Die Erkenntnis des Holzwegs im Leben
Und nun, an diesem vorletzten Abend unserer Allianz-Gebetswoche, in der Mitte dieser Abendmahlsfeier, hören wir ein weiteres „Ich bin“-Wort Jesu aus dem Johannesevangelium. Jesus sagt: „Ich bin der Weg.“
„Ich bin auf dem Holzweg“, so sagte damals eine Persönlichkeit, die ich nicht vergessen kann. Sie meinte damit, dass sich alle Lebensmöglichkeiten als Sackgassen herausgestellt hatten. „Ich bin auf dem Holzweg“, sagte sie, obwohl ihr Lebensweg gar nicht anders aussah als der vieler anderer: geboren, getauft, vielleicht konfirmiert, Schule, Studium, Examen, geheiratet, Frau, Kinder.
Aber trotz all dessen: „Ich bin auf dem Holzweg.“ Hätte man ihr nicht sagen müssen: „Mann, du musst in den Urlaub fahren, mal ausspannen“? Oder: „Du musst zur Beratungsstelle, du brauchst ein paar seelische Übungen“? Doch all das hätte nichts genützt, weil sich die Wahrheit nicht unterdrücken lässt.
Und, liebe Freunde, die Wahrheit ist: Wir alle sind auf dem Holzweg – alle! Ob wir den Höhenweg unseres Lebens einschlagen und von Gipfel zu Gipfel stürmen, oder ob wir den Randweg gehen und alles von oben herab genießen, oder ob wir den Talweg gehen und im Trüben und Dunkeln fischen – alle Wege führen in Schuld und Tod hinein.
Wir leben in einer Kraterlandschaft der Schuld, und wir gehen durch die Todeslandschaft, durch die Wüstenlandschaft des Todes. Maximal nach drei Milliarden Herzschlägen ist unser Leben zu Ende. Um Schuld und Tod kommt niemand herum, auch hier nicht.
Schuld und Tod sind die beiden heißen Eisen, Schuld und Tod sind die beiden wunden Punkte, Schuld und Tod sind die Pfähle in unserem Fleisch. Wir sind auf dem Holzweg – alle miteinander.
Die Suche nach dem Ausweg und die Grenzen der Religionen
Wie kommt man weiter? „Ich suche den Ausweg“, sagte der Mann damals. Er suchte den Ausweg und handelte so, wie es heute viele tun. Sie suchen den Ausweg durch die Religionen.
Der eine liest sogar wieder die alten Schriften von Konfuzius, der sechshundert Jahre vor Christus geboren wurde. Vielleicht können seine staatsmännischen und philosophischen Weisheiten einen Weg aufzeigen. Die anderen üben die mystische Versenkung nach Laotse, um so ein Edler zu werden.
Und die Dritten entdecken die Predigt des Buddha in Benares, wo er den achtfachen Pfad beschrieben hat. Alles zielt darauf ab, im Ringweg möglichst edler in den Mutterschoß zurückzukehren, bis man schließlich im Nirwana landet.
Die Vierten konvertieren sogar vom Kreuz zum Halbmond, weil sie von dieser Lehre den richtigen Weg in irgendeine Zukunft versprechen. Das ist der Ausweg der Religionen – weg vom Holzweg. Aber ist das wirklich ein Ausweg?
Kenner sagen uns, dass diese Religionen nicht so über Schuld und Tod sprechen. Wissen Sie, jede Gegend ist schön, solange man nur Gast darin ist. Jede Religion ist faszinierend, solange man sie nur studiert: Mohammedanisch studieren, aber leben und sterben wie ein Mohammedaner; Hindu kennenlernen, gut, aber leben und sterben wie ein Hindu.
Liebe Freunde, weil Schuld und Tod bleiben, bleibt der Ausweg mit den Religionen ein Irrweg. So kommen wir nicht weiter – wir alle, ich eingeschlossen. Ich brauche den Heilsweg. Ich brauche den Weg, der durch die Kraterlandschaft der Schuld und durch die Wüstenlandschaft des Todes führt.
Jesus Christus als der wahre Weg
Und einer ist gekommen – nicht irgendeiner, sondern ein gewisser Jesus Christus. Er hat es gesagt, und darin steckt die Botschaft, darin steckt das Evangelium, darin steckt das, was wir alle miteinander brauchen.
Er sagte: „Ich bin der Weg.“ Er sagte nicht nur: „Ich bin der Wegweiser, der den Weg zeigt und den ihr auf eigenes Risiko gehen könnt.“ Er sagte nicht nur: „Ich bin der Wegführer, dem ihr auch vielleicht hintendrein folgen könnt.“ Er sagt nicht nur: „Ich bin der Weggefährte, der euch ein Stück weit begleitet, aber dann müsst ihr alleine gehen.“
Er sagt: „Ich bin der Weg. Ich bin er.“ Wirklich nicht irgendein anderer, sondern der einzige Weg.
Er ist der Weg, der im Himmel angefangen hat. Er kam auf diese Erde, ging von Bethlehem bis Golgatha und dort hat er nicht aufgehört. Er brach durch den Tod hindurch. Von Jerusalem ging es zurück in den Himmel.
Das ist der Weg durch die Zeit zur Ewigkeit, das ist der Weg durch die Reiche ins Himmelreich, das ist der Weg durch den Tod hindurch zum Leben. Das ist der Heilsweg, den wir alle miteinander brauchen.
Die Realität des Kreuzwegs und die Erfahrung durchkreuzter Wege
Nur eines: Machen wir uns kein falsches Bild von einem Promenadeweg, von einem Sonnenweg oder von einem Highway direkt in den Himmel. So ist es nicht. Dieser Weg – und lassen Sie mich nur kurz zwei Wegbeschreibungen nennen – dieser Weg ist und bleibt ein Kreuzweg.
Denken Sie doch kurz an Paulus. Er wollte den Weg von Jerusalem nach Kleinasien gehen. Er wollte die Mittelpunkte der Welt zu Mittelpunkten des Reiches Gottes machen. So zog er los mit seinen Gefährten: Paulus mit Timotheus, Silas und Lukas. Sie gingen den Weg Richtung Westen, aber der Heilige Geist wehrte ihnen. Durch Umstände, die wir nicht kennen, war der Weg versperrt. Er musste nach Norden gehen.
Doch auch von dort heißt es, dass der Heilige Geist ihm wehrte. Es gab Unruhen, Kriege, wir wissen es nicht genau. Der Weg war abgeschnitten. Es blieb nur ein schmaler Weg, nämlich der nach Nordwesten. Diesen gingen sie, ein schmaler Gebirgspfad. Aber ohne irgendwo missionieren zu können, gelangten sie nach Troas.
Dort, in Troas, sehe ich sie sitzen: geschlagene Missionare. Sie wollten die Fahne für ihren Herrn setzen, und nun waren sie in die Wüste abgesetzt. Sie wollten ein Gleis legen für ihren Herrn, und nun waren sie auf das Abstellgleis geschoben. Sie wollten den Mund aufmachen für ihren Herrn, und nun waren sie mundtot gemacht.
Geschlagene Missionare mit einem durchkreuzten Weg. Liebe Freunde, welchen Weg haben wir schon geplant, und was ist daraus geworden? Welchen Weg wollten Sie schon gehen, und an welches Ende sind Sie gekommen? Welche Bahnen wollten Sie schon einschlagen, und was ist daraus geworden? Wir alle stehen in unserem Leben vor durchkreuzten Wegen, so wie damals.
Und dann hörten sie eine Stimme: „Komm herüber nach Mazedonien, hilf uns!“ Und dann fiel es Paulus wie Schuppen von den Augen. Gottes Wille war es, so schnell wie möglich nach Europa zu kommen. Gottes Leitung war die Umleitung.
Gottes Weg war der Umweg. Ihr durchkreuzter Weg ist Gottes Kreuzweg. So ist es bis heute geblieben. „Meine Wege sind nicht eure Wege, und meine Straßen sind nicht eure Straßen.“ Und wenn Sie auch immer wieder an durchkreuzten Straßen Ihres Lebens leiden, wenn Sie heute Abend hierher gekommen sind, weil Sie nicht weitersehen, weil Sie in einer Sackgasse stehen, weil Gott einen Halt gesetzt hat, dann wissen Sie: Die durchkreuzten Wege Ihres Lebens sind Gottes Kreuzwege. Und das sind die Schnellwege zum gottgewollten Ziel.
„Befiehl du deine Wege und was dein Herz erkränkt.“
Der einsame Fußweg des Glaubens und die Stärkung im Abendmahl
Durchkreuzte Wege sind Gottes Kreuzwege, und das andere noch ist ein Fußweg. Ein einsamer Weg, liebe Freunde!
Es ist keine Fußgängerzone in Stuttgart, keine Schulstraße und keine Bahnhofsunterführung, wo man kaum vor Menschen den Weg findet. Dieser Weg des Herrn ist ein einsamer Weg.
Ein paar im Schülergebetkreis, ein paar in der Jungenschaft und im Mädchenkreis, ein paar in der Gemeinschaft und in der Stunde – und doch letztlich nur ein paar im Gottesdienst.
Kirgigor hat Recht, wenn er sagt: Wer diesen Weg gehen will, muss den Mut haben, ein Einzelner zu sein. Wer diesen Weg gehen will, muss den Mut haben, ein Einsamer zu sein.
Wer diesen Weg gehen will, muss den Wappenspruch der französischen Adelsfamilie tragen: Si omnes, ego non – zu Deutsch: Wenn auch alle, ich nicht.
Wenn auch alle nichts von diesem Herrn halten, ich nicht. Wenn auch alle andere Wege gehen, ich nicht. Wenn auch alle dieses Mahl für überflüssig halten, ich nicht. Ich gehe diesen Weg.
Und liebe Freunde, auf diesem Weg wird man gestärkt.
Abendmahl ist Rastplatz unterwegs. Hier trinken wir, hier essen wir, hier sammeln wir neue Kraft, um unseres Weges zu gehen, bis zu dem Tag, an dem er den Platz bereitet hat, an seinem letzten Tisch.
Gehen Sie mit! Ich bin der Weg, sagt Jesus. Amen.