Vogelflug, zweiter Teil zum Buch der Genesis, dem Buch der Anfänge, das uns die zentrale Frage beantwortet: Woher kommen wir? Diese Frage treibt den Menschen von Natur aus an. Schon kleine Kinder stellen sie sich.
Das Buch beantwortet auch die zweite wichtige Frage: Warum ist es nicht mehr ideal? Was beeinträchtigt das Ideal? Wir haben gesehen, dass es die Sünde ist – der Bundesungehorsam des ersten Menschen. Paulus sagt in Römer 5, dass durch diesen ersten Menschen, Adam, die Sünde in die Welt gekommen ist.
Nicht, wie es der Katechismus der katholischen Kirche lehrt, wird die Sünde durch Vererbung weitergegeben. Vielmehr befindet sich der Mensch, wie der Theologe Helmut Tillike sagt, ursprünglich in dieser Schuldverhaftung. Gott hatte den Bundesbruch bereits mit Sanktionen belegt und gesagt: „An dem Tag, da du von diesem Baum isst, wirst du gewisslich sterben“ (1. Mose 2,16-17).
Daraufhin vertreibt Gott die Menschen aus dem Paradies (1. Mose 3,24). Der Mensch ist sich selbst, Gott, den anderen Menschen und auch der Schöpfung gegenüber entfremdet. Das heißt, die Dinge sind entstellt.
Die Theologen haben sich lange gefragt und viele Bücher darüber geschrieben, wie sich das Wesen des Menschen verändert hat. Er verlor nicht sein Ebenbild, wie es auch in Jakobus 3,9 und Kolosser 3 bestätigt wird. Er ist immer noch im Ebenbild Gottes geschaffen, wie auch in 1. Mose 5,2 und nach der Sintflut in 1. Mose 9,6 bestätigt wird.
Doch in seinem ganzen Sein – das heißt in seinem Willen, Verstand, seinen Gefühlen und den daraus hervorgehenden Handlungen – ist er entstellt. Er ist Gott entfremdet und tot in seinen Sünden. Paulus sagt in Epheser 2, dass er durch Christus wieder lebendig gemacht werden kann.
Dieser Retter wurde bereits in 1. Mose 3,15 angekündigt. Dort heißt es, dass er der Schlange den Kopf zertreten wird. Das bedeutet, dass er der Herrschaft der Schlange ein Ende bereitet und ein Volk rettet.
Die ganze Geschichte zwischen den beiden Buchdeckeln von Genesis 3 oder 4 bis offenbar Offenbarung 22 dreht sich um die Frage, wie das geschehen wird. Wie würde Gott die Geschichte mit dem Menschen weiterschreiben? Es war nämlich nicht sofort zu Ende mit ihm, denn Gott hatte Erbarmen – von sich aus, obwohl er es nicht nötig gehabt hätte.
Theologen sprechen von der Asseität Gottes: Er hätte es nicht nötig gehabt, den Menschen zu schaffen. Er hätte die Geschichte sofort beenden können. Doch die gesamte Bibel beschäftigt sich zwischen diesen beiden Buchdeckeln mit dem wunderbaren Heilsplan Gottes.
Dieser Plan zeigt, wie sich Gott seinem Volk zuwendet, sich seinem Volk nachschickt und es besucht. Wie Johannes so schön im Lobpreis in Lukas 1 sagt, rettet er es aus seinem Elend. Und...
Zunächst betrachten wir die Kapitel 4 bis 11. In diesen Kapiteln wird die gesamte Geschichte des Menschen nach dem Sündenfall entfaltet. Ich glaube, dass auch Kapitel 4, Vers 11 noch zum ersten Teil gehört, der die Kapitel 1 bis 11 umfasst. Dieser Abschnitt bildet das Fundament und den Anfang. Er zeigt auch den Verlauf, den der Mensch nach der Sünde genommen hat.
Die Geschichte beginnt in Genesis 4 mit der Erzählung von den beiden ersten Söhnen, Kain und Abel. Es geht um ihren Konflikt, zu dem ich auch eine eigene Predigt gehalten habe: Warum führen Menschen Krieg? Hier erkennen wir den Grund, der wahre Grund ist die Sünde. Eine der ausgeprägtesten Formen der Sünde ist die Eifersucht. Diese Eifersucht des älteren Bruders auf den jüngeren wird deutlich.
Wir wissen aus dem Neuen Testament auch, woher die Ablehnung des Opfers stammt. In 1. Johannes 3 wird erklärt, dass Gott das Opfer von Abel wegen seines Glaubens angenommen hat, das von Kain aber ablehnte. Es heißt dort, dass Kain aus dem Bösen war (1. Johannes 3,12) und seinen Bruder erschlug. Warum? Weil seine Werke böse waren, die seines Bruders aber gerecht.
Darum ging es: um Gerechtigkeit. Aus Hebräer 11 wissen wir, dass Abel sein Opfer aus Glauben dargebracht hatte (Hebräer 11,4). Durch Glauben brachte Abel Gott ein besseres Opfer dar als Kain. Diese Gerechtigkeit aus Glauben machte den Unterschied. Kain spürte das, wurde eifersüchtig und sehr wütend (Genesis 4,5). Er senkte den Kopf.
Gott spricht erneut, wie schon im dritten Kapitel, wo er Adam zuruft: „Wo bist du, Adam?“ Hier wird Kain gefragt: Warum bist du so wütend? Warum senkt sich dein Angesicht? (Genesis 4,6) Solche Warnungen vor der Sünde finden wir auch im Neuen Testament, beispielsweise bei Judas von Jesus. Die Menschen werden vor ihrer Sünde gewarnt.
In Genesis 4 wird sehr anschaulich dargestellt, dass die Sünde nicht von außen in den Menschen kommt, sondern aus ihm selbst heraus. Jesus sagt, dass das, was aus dem Menschen herauskommt, sein Herzquelle verseucht ist. Aus dieser Quelle, der Wurzel, aus der der Stamm und die Blätter hervorgehen, kommen auch sündige Taten hervor.
Es lauert die Sünde vor der Tür (Genesis 4,7), doch der Mensch hört nicht auf diese Warnung Gottes. Das ist ein programmatischer Vers, der am Anfang steht und sich durch das Alte und Neue Testament zieht. Der Mensch will sich Gott nicht unterstellen, will nicht auf die Warnung hören.
So geht Kain hin (Genesis 4,8). Seine Füße tragen ihn, weil sein Herz von Neid erfüllt ist. In Rebellion gegen Gott schlägt er seinen Bruder tot – der erste Mord in der Menschheitsgeschichte!
Gott stellt ihn erneut zur Rede, mit einer pädagogischen Frage: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Die Antwort des rebellischen, verstockten Menschen lautet: „Soll ich denn meines Bruders Hüter sein?“ Ja, das hätte er sein sollen. Wir hätten in Gemeinschaft miteinander vor Gott leben sollen, in Freude.
Es geht darum, dass Gottes Volk an Gottes Ort unter Gottes Herrschaft leben sollte. Doch hier widersetzt sich Kain dieser Herrschaft. Er entfremdet sich weiter von seinem Nächsten durch diesen Mord.
Gott stellt ihm eine weitere Frage: „Was hast du getan?“ (Genesis 4,10) Die Stimme des Blutes seines Bruders schreit zu Gott vom Erdboden. Kain wird mit einem Fluch belegt, der mit einer Ruhelosigkeit verbunden ist (Genesis 4,12). Diese Ruhelosigkeit begleitet den Menschen bis heute. Er muss sich ablenken, sobald er auf einen Ersatz anstelle von Gott ausgerichtet ist.
Augustinus sagt, dass der Mensch erst dann zur Ruhe kommt, wenn er in Gott ruht. Solange er an einem Ersatz ausgerichtet ist, muss er ruhelos umhergehen. Das ist seitdem der Fluch des Menschen, der in der Rebellion der Sünde verharrt.
Kain erhebt Einspruch. Er bereut seine Tat nicht, sondern nur die Konsequenzen. Das ist auch ein Teil dessen, was Paulus im 2. Korinther 7 beschreibt: Die unechte Form der Buße ist das Bereuen der Konsequenzen, die für ihn daraus entstehen würden.
Kein Verleger verlangt Milderung, doch Kain erhält sie. Das Entscheidende und Traurige ist, dass er weggeht (Genesis 4,16). Er entfernt sich vom Angesicht des Herrn, von seiner Gegenwart. Gottes Volk lebt nicht mehr am Gottesort unter seiner Herrschaft, sondern es ist nun ein Volk, das Kulturentwicklung betreibt, wie wir am Ende des vierten Kapitels sehen.
Doch dieses Volk lebt nicht mehr unter Gottes Herrschaft, sondern unter seinem eigenen Gesetz und unter dem Fluch der Sünde.
Tatsächlich sehen wir in 1. Mose 4,17 die Entwicklung der Kultur: Städtebau, Zeltbau, die Herdenhaltung, Kleinviehzucht und Viehzucht. Außerdem erkennen wir die Entstehung von Musikinstrumenten und die Eisenbearbeitung, wie in 1. Mose 4,22 beschrieben.
Doch diese Fortschritte sind vermischt mit einer Entfremdung von Gott, die sich besonders durch Lamech, einen Nachfolger aus dieser Linie, zeigt. In 1. Mose 4,23 wird ein erstes Lied komponiert, das von Rache handelt: „Einen Mann erschlug ich, weil er mich verwundet hat, einen jungen Mann, weil er mich geschlagen hat.“
Der Mensch bleibt zwar im Ebenbild Gottes, doch dieses Ebenbild ist deutlich beeinträchtigt. Er ist entfernt vom Angesicht Gottes. Er entwickelt die Kultur weiter, aber das, was in seiner Substanz von Gott geschaffen ist und womit er betraut wurde, missbraucht er. Er schlägt eine Richtung ein, in der er sich selbst dienen möchte. Dies entfremdet ihn nicht nur von Gott, sondern auch von anderen Menschen.
Parallel dazu sehen wir eine zweite Linie. Edith Schaeffer hat diese in ihrem Buch „Vogelflug“ wunderbar dargestellt. Sie beschreibt, dass es nur zwei Linien gibt: die Linie des Glaubens und die Linie des Unglaubens. So wie die Linie des Unglaubens im vierten Kapitel eindrücklich eingeführt wird, wird auch die Linie des Glaubens gegenübergestellt.
Adam und Eva bekommen nochmals einen Sohn, den sie Seth nennen. Mit ihm drücken sie ihre Enttäuschung und Verzweiflung über die Schwäche des Menschen aus, in die er durch die Sünde geraten war. Dann folgt ein weiterer Sohn, Enosch. Hier liegt eine kleine Verwechslung vor: Seth bedeutet Ersatz anstelle des verlorenen Sohnes, während Enosch die Hinfälligkeit des Menschen symbolisiert. Diese Hinfälligkeit war dem Menschen durch die Sünde innerlich inhärent, neben seiner Schwäche und Begrenztheit.
So sehen wir nun zwei Linien: die Linie des Glaubens und die Linie des Unglaubens, die weiter verfolgt werden. Die Nachkommen Adams von Seth bis Noah werden in 1. Mose 5 erwähnt. Dieses Kapitel zeigt deutlich den bezeichnenden Begriff für das erste Buch Mose: Es ist eine Art Chronik, ein Toledot, ein Buch der Geschichte.
Wir können daraus ableiten, dass durch diese Familienchroniken auch das Material für das Buch Genesis gesammelt wurde. Es wird nochmals Bezug genommen darauf, dass Gott den Menschen in seinem Bild geschaffen hat, als seinen Stellvertreter. Er schuf sie als Mann und Frau, segnete sie und gab ihnen den Auftrag, sich zu vermehren, die Erde zu füllen und den Erdboden zu bebauen.
Adam zeugt Söhne nach seinem Bild, ihnen gleich, was erneut auf eine genetische Disposition hinweist. Die Söhne werden in der Gleichheit nach seiner Art gezeugt. Sie leben lange, die Lebenszahlen sind sehr hoch. Manche haben gesagt, beim fünften Kapitel des ersten Buches Mose hätten sie aufgehört zu lesen oder hielten es für einen Mythos. Doch wir können davon ausgehen, dass die genetischen Voraussetzungen damals noch anders waren.
Gott hat ausdrücklich in 1. Mose 6 gesagt, dass er die Lebenszeit des Menschen begrenzt. Einige meinen, diese Begrenzung beziehe sich auf die Lebenszeit, andere auf die Zeit bis zur Flut. Dies muss an dieser Stelle ergänzt werden.
Die Menschen lebten, und es wird immer wieder in einer Art Stakkato wiederholt: „Sie lebten und sie starben.“ Eine Ausnahme gibt es in diesem fünften Kapitel, die hervorsticht. Ich habe sie mit einer violetten Farbe als Zeichen des Gehorsams gegenüber Gott markiert. Es ist Henoch, der in 1. Mose 5,22 mit Gott wandelte. Dieser Satz steht zweimal, in Vers 22 und Vers 24. Henoch wird in Vers 24 von Gott hinweggenommen.
Dieses Leben des Gehorsams durch den Glauben vor Gott wird als Kontrast zur Linie des Ungehorsams und des Unglaubens dargestellt.
Wir sehen auch, dass Noah – dessen Name Ruhe oder Trost bedeutet – in 1. Mose 5,29 erwähnt wird. Dieser Name bezieht sich auf die Ruhe beziehungsweise die Unruhe des Menschen durch die Sünde und den Fluch, der auf der Arbeit lag. Noah wird als derjenige beschrieben, der uns über unsere Arbeit und die Mühe unserer Hände trösten wird, die vom Erdboden herrühren, den der Herr verflucht hat.
Die Menschen sind sich dieser Tatsache bewusst. So wird Noah geboren, und die Zeit wird als reif zum Gericht beschrieben.
Es wird von Gottessöhnen gesprochen, vielleicht waren es Engelwesen – wir wissen es nicht genau, können es nur vermuten –, die sich mit Menschen vermischten. Andere wiederum dachten, es seien Riesen gewesen. Auch hier bleibt die genaue Identität unklar.
Das sechste Kapitel schildert jedenfalls diese Zeit des Gerichts, diese Phase der Gerichtsreife. Gott sagt, sein Geist soll nicht immer mit den Menschen rechten; deshalb sollen ihre Tage hundertzwanzig Jahre betragen. Außerdem bezeichnet Gott das Verhalten und die Bosheit der Menschen als sehr groß. Alles Trachten der Gedanken ihres Herzens sei nur böse. Hier wird deutlich, dass die Verhältnisse grundsätzlich verkehrt lagen.
Der Mensch wird nicht durch seine Umwelt verdorben, wie es seit Rousseau oft behauptet wird, sondern es geht um das Trachten der Gedanken des Herzens, die allezeit böse sind. Es handelt sich um eine Herzenssache. Darum muss Gott eingreifen. Dies ist ein zentraler Gedanke sowohl im Alten als auch im Neuen Testament. Zum Beispiel kommt dies in Jeremia 31 zum Ausdruck, wo es heißt, Gott müsse das Herz erneuern und ihnen ein neues Herz einpflanzen – durch seinen Geist. Es braucht eine grundsätzliche Erneuerung, eine Wiedergeburt von oben, so wie Jesus es in Johannes 3 beschreibt, weil das Trachten des menschlichen Herzens böse ist.
Gott reut es, und das haben manche Theologen falsch interpretiert, indem sie Gott unterstellten, er würde sich durch die Geschichte mit dem Menschen bestimmen lassen. Das stimmt natürlich nicht. Seine Souveränität steht seiner Liebe und seiner freiwilligen Hingabe zum Menschen nicht entgegen. Deshalb beschließt Gott, Gericht zu üben.
Gleichzeitig sehen wir, dass er die Linie des Glaubens bewahrt, die in Noah bestand – seiner Frau, seinen drei Söhnen und den Schwiegertöchtern. Noah findet Gnade in den Augen des Herrn. Das ist wieder diese freiwillige Zuwendung, die von Gott ausgeht und keinen Grund im Menschen findet, sondern einen Menschen in Glaubensgerechtigkeit erwählt. Schon im Alten Testament wird von Noah gesagt, dass er ein gerechter Mann war und unzweifelhaft unter seinen Zeitgenossen, ähnlich wie es zum Beispiel auch von Hiob geschildert wird. Ebenso wird von Henoch berichtet, dass er mit Gott wandelte.
Im Gegensatz dazu heißt es in 6,11: Die Erde war vor Gott verderbt und erfüllt mit Krefel. Es konnte so nicht weitergehen. Gott sah die Erde an, und in 6,12 heißt es, sie war verderbt, alles Fleisch hatte seinen Weg auf der Erde verdorben.
Noah bekommt den Auftrag, sich einen Schutz zu bauen – eine Arche, ein großes Schiff. Durch dieses Schiff bewahrt Gott nicht nur die menschliche Rasse, sondern auch die ganzen Tierarten, die er geschaffen hat, jedes nach seiner Art, wie es in Genesis 1 beschrieben wird. Noah erhält den Auftrag, Nahrungsmittel und Vorräte zu sammeln. Gott schickt dann die Tiere in die Arche und bittet Noah, in diese Arche zu gehen.
Aus dem Neuen Testament, aus Lukas 17, wissen wir, dass diese Zeit sehr böse war. Noah wurde als Prediger der Gerechtigkeit bezeichnet (2. Petrus 2). Er musste viel Spott von seinen Zeitgenossen ertragen. Diese waren sich nicht bewusst, dass das Gericht auf sie zukommen würde. Das Gericht kam plötzlich über sie. Sie glaubten dem Zeugnis Noahs nicht, obwohl er hundertzwanzig Jahre an der Arche baute und zur Buße aufrief. Niemand folgte diesem Ruf, und auch sein Zeugnis, das vor ihren Augen entstand, wurde nicht beachtet.
Im Gegensatz dazu gehorcht die Linie des Glaubens. Noah tut alles, wie der Herr es ihm geboten hatte (Vers 5 und 16). Die Tiere gehen hinein, wie Gott es ihnen geboten hatte. Gott schließt die Arche zu; er ist der Handelnde in dieser Geschichte. Gott erwählt Noah, der Gnade in seinen Augen findet und gerecht vor ihm lebt. Er handelt genau so, wie Gott es ihm aufgetragen hatte, und wird durch die Flut geschützt.
Die Flut wird in realistischen Worten beschrieben. Manche haben daraus einen Mythos gemacht, wenn sie an die Arche und die weltweite Flut denken. Es wird berichtet, dass vierzig Tage lang alles von den Wassermassen bedeckt war und die Wasser überhandnahmen (6,7.19). Doch Gott begrenzt das Gericht. Er gedenkt an Noah und auch an die Tiere.
Interessanterweise steht in Jona 4, dass Gott sowohl an die Menschen als auch an die Tiere denkt. Beide erhalten durch ihn Leben und Nahrung, wie Psalm 104 sagt. Gott gedenkt seiner Schöpfung und wendet sich ihr in Gnade wieder zu. Er verschließt die Quellen der Tiefe und die Fenster des Himmels (8,2). Die Wasser verschwinden von der Erdoberfläche. Nach mehrmaligem Ausschicken von Vögeln – erst eines Raben, dann einer Taube – kann Noah aus der Arche gehen.
Er erhält erneut den Auftrag, fruchtbar zu sein und sich auf der Erde zu mehren. Es ist eine Erneuerung des Bundesauftrags, der nun an Noah ergeht.
Die erste Reaktion ist, wie schon in Genesis 4, etwas vom Ersten Gottesdienst zu sehen. Bevor in Genesis 4 die gesamte Kulturentwicklung beschrieben wird, sehen wir, dass die ersten Menschen bereits Gottesdienst hielten und ihm opferten. Woher sie diesen Impuls hatten, ist unklar, wahrscheinlich kam er von Gott selbst, der den ersten Menschen Kleider aus Fellen machte – was ein Opfer voraussetzte.
So baut Noah in 8,20 dem Herrn einen Altar, ähnlich wie später Abraham, Isaak und Jakob, die Erzväter, die ebenfalls Gott immer wieder einen Altar bauten. Wir sehen diesen Impuls des Gottesdienstes.
In 8,21 riecht der Herr den lieblichen Geruch des Opfers. Dieser ist lieblich, weil er auf das Opfer seines Sohnes hindeutet. Im gesamten Opferdienst Israels ist dieser lieblich riechende Rauch ein Vorschattungsbild – wie es im Hebräerbrief heißt – auf das wahre Opfer des Messias.
Dann folgt die Ankündigung, dass Gott die Erde nicht mehr in dieser Weise verderben werde. In Kapitel neun segnet Gott Noah und seine Nachkommen erneut und setzt neue Bundesbestimmungen fest, die er detailliert erläutert.
Es ist der Bund mit der gesamten Erde, der in Noah geschlossen wird. Mehrere Schutzbestimmungen werden erlassen, unter anderem in Vers 6: Weil Menschenblut vergossen wird, soll auch durch Menschen Blut vergossen werden.
Es wird daran erinnert, dass der Mensch im Bild Gottes geschaffen ist, dieses Ebenbild Gottes ist trotz der Sünde, die das Trachten des Herzens und alle Motivationen und Handlungen verunreinigt hat, erhalten geblieben.
Noah bekommt erneut die Aufgabe, die Erde zu füllen, zu bebauen und zu bewahren. Dies impliziert eine Erneuerung. Es wird ausdrücklich von einem Bund gesprochen: „Siehe, ich richte meinen Bund auf mit euch und euren Nachkommen, die nach euch kommen“ (9,9).
Das Bundeszeichen ist der Regenbogen, der in 9,12 als Zeichen der Bundesverheißung definiert wird. Es ist ein Bund, der von Gott ausgeht und dem Menschen erneut die Stellvertretung überträgt, die Erde zu entwickeln.
Dieser Bund ist ein ewiger Bund, wie in 9,16 deutlich wird.
Wir sehen bereits den ersten Bundesträger, Noah, versagen, kurz nachdem er aus der Arche gegangen ist. Nachdem er Gottesdienst gehalten und einen Altar gebaut hatte, sehen wir ihn in 1. Mose 9,21 betrunken in seinem Zelt. Ein Sohn, der die Schwäche seines Vaters ausnutzt, wird mit einem Fluch belegt (1. Mose 9,25).
So erkennen wir, dass diese Sünde durch die Flut nicht ausgelöscht wurde. Noah war zwar gerecht, aber dennoch ein Sünder. Er war gerecht durch Glauben, aber durch seine Trunkenheit zeigte sich seine Sündhaftigkeit weiterhin. Die Geißel des Alkohols, der Missbrauch einer guten Gabe Gottes, wird hier deutlich vorgebildet. Viele Dinge sehen wir hier erstmals vorgebildet, darunter auch diese Folge der Sünde.
Die Nachkommenschaft breitet sich erneut aus und teilt sich Gebiete auf. Genesis 10 ist eine interessante Studie über die Namen und Völker, die entstehen. Wir sehen, dass es verschiedene Sprachen gibt (1. Mose 10,5), worauf Genesis 11 noch eingeht. Außerdem gibt es Gewalthaber, wie Nimrod (1. Mose 10,8), der als erster Gewalthaber auf Erden beschrieben wird. Er war ein gewaltiger Jäger vor dem Herrn.
Es entstehen Königreiche, zum Beispiel Babel (1. Mose 10,10), und einzelne Städte erlangen besondere Bedeutung, darunter Sodom und Gomorra (1. Mose 10,19). Diese spielen in der weiteren Geschichte des Buches noch eine wichtige Rolle. Sie stehen im Alten Testament, in den Propheten und im Neuen Testament bei Jesus als Typus für die Abtrünnigkeit des Menschen, die das Gericht Gottes zur Folge hat.
In 1. Mose 10,25 wird bereits der Hinweis gegeben, dass die Erde zerteilt wird. Trotz dieser Reinigung durch das Gericht ist das Problem nicht beseitigt. Es braucht weiterhin Opfer, denn der Mensch fällt in Sünde, wird verflucht und steht in diesem Fluch der Sünde. Das Hauptproblem bleibt, wie in 1. Mose 3,5 gesagt wurde: Der Mensch will sein wie Gott selbst.
In 1. Mose 11 errichtet der Mensch einen Turm, besser gesagt eine Ziggurat, als Gottesdienststätte und Zeichen seiner Überheblichkeit. Er will seine Gebäude möglichst hoch bauen, um seine Macht zu zeigen. Dies ist ein Ausdruck von Stolz und Hochmut, indem der Mensch sich selbst zum Zentrum macht und seine Macht gegen die Herrschaft Gottes erhalten und ausbauen möchte.
Gott steigt dann in anthropomorpher Sprache herab, um die Stadt und den Turm anzusehen (1. Mose 11,5). Er verwirrt die Sprachen. Hier sehen wir den Ursprung der Sprachverwirrung, der Verständigung und der Gemeinschaft. Dies ist ein weiterer Faktor der Entfremdung als Folge der Überheblichkeit des Menschen. Gott zerstreut die Menschen über die ganze Erde, und sie hören auf, die Stadt zu bauen.
Dem Ansinnen, wie Gott zu sein und sich einen hohen Turm zu bauen, um sich einen Namen zu machen, wird damit ein Riegel vorgeschoben. So bleibt es in der Geschichte des sündigen Menschen, dass er sich nicht Gottes Herrschaft unterstellt. Gott begrenzt seine Herrschaft immer, sowohl in der Dauer als auch in den Projekten.
Der Mensch entfremdet sich gegenseitig und kann sich nicht mehr verständigen. So ist es bis heute geblieben, trotz Google Translator und anderen modernen Instrumenten.
Dann sehen wir im Gegensatz dazu die Linie des Glaubens, die über Sem verläuft und vom Autor ganz deutlich hervorgehoben wird (1. Mose 11,10).
Dies ist die Geschichte Sems, in der eigentlich die Vorfahren bis Abraham geschildert werden. Schon in den Anfängen wird angedeutet, dass Sarai unfruchtbar war und ihm kein Kind gebar. Dies wurde später zur großen Sorge, Mühe und Plage Abrahams und gleichzeitig zum Gegenstand des Glaubens. Abraham wird in 1. Mose 12 berufen.
Am Ende des elften Kapitels sehen wir, dass Terach, der Vorfahr, zunächst auszieht, um ins Land Kanaan zu gehen. Das heißt, er macht sich auf den Weg. Doch wie in Apostelgeschichte 7 von Stephanus geschildert wird, bleibt er bis zu seinem Tod in Ur in Chaldäa. Er bleibt also unterwegs stecken und erst nach dem Tod seiner Vorfahren macht er sich auf, um dem Auftrag des Herrn nachzukommen und ins Land Kanaan zu ziehen.
In den Kapiteln vier bis elf sehen wir, wie sich diese Kulturentwicklung gestaltet. Es gibt eine Parallelität zwischen der Linie des Glaubens und der Linie des Unglaubens. Die Sünde wird als das tiefgreifende, grundlegende Problem dargestellt, das vom Herzen des Menschen ausgeht. Sie bestimmt seine Gedanken, Worte und Taten und führt zum Gericht Gottes. Doch dies ist nicht die endgültige Lösung; das Problem der Sünde bleibt bestehen.
Wichtig ist auch, dass in Kapitel 8, Vers 21 noch einmal betont wird, dass das Herz des Menschen nach wie vor böse ist, und zwar von seiner Jugend an. So bleibt es auch nach der Sintflut. Dort heißt es: „Das Herz des Menschen ist böse von seiner Jugend an“ (1. Mose 8,21).
Es erfolgt ein erneuter Bundesschluss unter Noah, der sowohl die Gottesebenbildlichkeit als auch den Auftrag bestätigt, als Stellvertreter die Erde zu entwickeln – etwas, das unter den Nachkommen zuvor nicht geschehen war. Doch auch dort zeigt sich sofort wieder die Überheblichkeit des Menschen: Er will die Herrschaft ohne Gott und gegen den göttlichen Weltherrscher gestalten und sich selbst zum Zentrum machen.
So sehen wir immer wieder die Begrenzung dieser Herrschaft und den Abbruch der menschlichen Bemühungen, wie beim Turmbau zu Babel. Dort wird die Bestätigung und zugleich die Entfremdung des Menschen deutlich.
Wenn wir schließlich sehen, dass am Ende alle Völker aus allen Stämmen und Sprachen vor dem Thron Gottes stehen, so ist dies genau der Heilsplan Gottes. Er wird durch einen Menschen, Abraham, erfüllt, den er berufen hat. Durch den Samen Abrahams, der, wie wir aus Galater 3 wissen, Christus ist, wird die Rettung kommen.
Die Linie des Glaubens steht also neben der Linie des Unglaubens, und wir erkennen diese parallele Entwicklung. Es ist erstaunlich, wie Gott weiterhin seinen Plan erfüllt. Dies sehen wir dann im nächsten Teil bei den Erzvätern.