Macht
Wer hat die Macht? Wer besitzt die Macht? Wer beweist die Macht? Die Osterfrage ist die Machtfrage. Wo haben wir die Macht zu suchen? Zwei Bücher auf meinem Schreibtisch geben zwei völlig entgegengesetzte Antworten.
Das eine ist ein Frühlingsbuch. Mit Gedichten und Prosa beschreibt es die erwachende Natur. Eduard Mörike, unser Landsmann und Gemeindeglied aus der Moserstraße, immer noch am schönsten: "Frühling lässt sein blaues Band, wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land. Veilchen träumen schon, wollen balde kommen. Horch, von fern ein leiser Harfenton. Frühling, ja du bist's. Dich hab ich vernommen." Also, der Frühling kommt. Der Winter ist vergangen. Die Sonne geht als Sieger hervor. Keine Macht kann den Ansturm dieser Mächte bremsen. Wo haben wir die Macht zu suchen? Das Frühlingsbuch sagt: draußen in der Natur.
Das andere aber ist ein Esoterikbuch. Mit Bildern und Artikeln beschreibt es den reinkarnierten Menschen. Prominente, voll im Trend, erinnern sich, dass sie früher schon einmal gelebt haben, als Zimmerpflanze oder Haustier oder Holzwurm. Jetzt wissen sie es ganz genau, dass wir Menschen die Todesprogramme in unserem Körper durch einen Erwachungsprozess auslöschen können und damit als edlere Lebewesen wiedergeboren werden können. Man hat sogar die Möglichkeit, eine Versicherungspolice für 50 Franken zu erwerben. Dabei entscheidet der Versicherte, welche Art von Wiedergeburt ihm am meisten zusagt. Sollte er nämlich das Pech haben, als elender Armutsfall wieder auf die Welt zu kommen, befördert die Wiedergeburts-Lebensversicherung unverzüglich zurück auf die Sonnenseite des Lebens. Wenn dieses dicke Ei kein Sonderangebot zu Ostern ist! Wo haben wir die Macht zu suchen? Das Esoterikbuch sagt: drinnen im Menschen.
Liebe Freunde, mir geben beide Antworten noch viel größere Fragen auf. Was ist das für eine Macht draußen in der Natur, wenn sie das Frühjahr nicht vor dem Herbst und Winter schützen kann? Alle Blumen blühen nur auf Zeit, keine für die Ewigkeit. Was ist das für eine Macht drinnen im Menschen, wenn sie die Jugend nicht vor dem Alter und Vergreisen bewahren kann? Alle Menschen leben nur auf Zeit, keiner für die Ewigkeit. Deshalb halte ich mich an das Bibelbuch. Mit Berichten und Briefen beschreibt es den lebendigen Gott. An Karfreitag überlässt er seinen einzigen Sohn rohen Henkersknechten. Mit ein paar Hammerschlägen heften sie ihn am Holzbalken fest. Hilflos stirbt er zwischen Himmel und Erde, aber so löst Gott die Schuldfrage. An Ostern können ihn Siegellack und Objektschützer nicht halten. Wie ein Federball springt der Zentnerstein vom Grab. "Christ ist erstanden, von der Marter alle", so löst Gott, die Machtfrage. Wo haben wir die Macht zu suchen? Das Bibelbuch sagt: nicht draußen in der Natur, nicht drinnen im Menschen, sondern droben bei Gott. Er hat die Macht. Er besitzt die Macht. Er beweist die Macht. Wir sind eingeladen, die Machtfrage auch an diesem Ostertext zu bedenken.
1. Die österliche Ohnmacht
..., die spüren wir, so wie die Frauen. Da tauchen sie vor dem Stadttor auf. Kopftücher taugen sie und Körbe in den Händen. Eiligen Schrittes laufen sie Richtung Grab. Maria voraus, dann Maria Magdalena, dann noch andere Frauen hinterher. Was haben sie schon miteinander erlebt? In Magdala erlebten sie die Macht der Krankheit. Diese Magdalena war nämlich okkult belastet. Bei ihr war der Teufel los. Ärzte versuchten ihre Kunst, aber nur durch ein Wunder kam sie von der Krankheitsmacht frei. In Jerusalem erlebten sie die Macht der Lüge. Eine klerikale Justiz war sich für einen Schauprozess nicht zu schade. Hanebüchene Unterstellungen wurden ihrem Meister zur Last gelegt. Das Unrecht schrie gen Himmel, aber Jesus schwieg angesichts solcher Lügenmacht. Auf Golgatha erlebten sie die Macht der Gewalt. Einem Geschwächten wurde der Querbalken aufgepackt. Zimmermannsnägel durchstießen die Handteller. Die Sonne verfinsterte sich am Himmel, aber niemand stellte sich gegen solche Gewaltsmacht. Und jetzt erleben die Frauen noch die Macht des Todes. Mit ihrem Parfüm können sie den Verwesungsgeruch vertreiben. Mit ihren Salben können sie die Todesblässe wegschminken. Mit ihren Spezereien können sie den Verfallsprozess verzögern, aber mit nichts können sie die Todesmacht vergessen machen. Angesichts der Übermacht des Todes spüren sie ihre Ohnmacht, so wie wir auch. Eiligen Schrittes laufen wir Richtung Grab. Keiner kann aus diesem Leichenzug ausscheren. Endstation Friedhof ist angesagt. Und was haben wir schon miteinander erlebt? Die Macht der Krankheit ist eingebrochen. Plötzlich war sie da und zerstörte alle Lebenspläne. Wieviel leiden unter der Krankheitsmacht? Die Macht der Lüge ist aufgetaucht. Einer hat den andern hinters Licht geführt und aus der Ehe einen Scherbenhaufen gemacht. Wieviel leiden unter der Lügenmacht? Die Macht der Gewalt ist explodiert. Volksstämme, die bisher miteinander lebten, machen sich gegenseitig die Heimat streitig. Wieviel leiden unter der Gewaltsmacht? Und eines Tages werden wir die Macht des Todes erleben. Mit unseren Sprays können wir den Geruch verbessern. Mit unseren Döschen können die wir Fältchen glätten. Mit unserer ganzen Kosmetik können wir blühende Jugend vortäuschen, aber mit nichts können wir die Todesmacht vergessen machen. Und wenn wir heute vielleicht auf den Wald- oder Pragfriedhof gehen, um auch nach dem Grab zu sehen, dann wird dies wieder so sein. Angesichts des Todes spüren wir unsere österliche Ohnmacht. Das ist das Erste, aber Gott sei Dank nicht das Letzte. Denn ...
2. Die österliche Allmacht
..., die hören wir, so wie die Frauen. Da stehen sie vor der Gruft. Die Kopftücher sind zurückgeschoben und die Körbe abgestellt. Keinen Schritt weiter wagen sie mehr, die Maria, die Maria Magdalena und die andern Frauen. Was erleben sie jetzt miteinander? Zuerst ein Wunder. Der Stein ist weg. Der Koloss liegt auf der Seite. Der Eingang steht sperrangelweit offen. Ein Wunder, gewiss, aber sie verwundern sich nur. Dann erleben sie ein Mirakel. Das Grab ist lotterleer. Der Leichnam scheint gestohlen. Die Tücher liegen auf dem Boden. Ein Mirakel, gewiss, aber sie fürchten sich nur. Dann erleben sie eine Erscheinung, eine Vision. Eine Gestalt sitzt auf dem Stein. Hell wie der Blitz strahlt er. Weiß wie der Schnee leuchtet er. Eine Vision, gewiss, aber sie entsetzen sich. Erst als sie das Wort erleben: "Er ist auferstanden" gehen ihnen die Augen auf. Erst als sie das Wort bekommen: "Er ist auf erstanden" geht ihnen ein Licht auf. Erst als sie das Wort hören "Er ist auferstanden" wird bei ihnen Ostern, und sie wissen: Mag die Krankheit ihre Macht zeigen, er hat mehr Macht. Mag die Lüge ihre Macht beweisen, er hat mehr Macht. Mag die Gewalt mit ihr Macht triumphieren, er hat mehr Macht. Mag selbst der Tod seine Macht demonstrieren, er hat mehr Macht. "Jesus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergänglich Wesen ans Licht gebracht." Angesichts der Übermacht des Todes hören sie seine österliche Allmacht so wie wir alle.
Liebe Freunde, warten wir nicht auf ein Wunder. Wir könnten unsere blauen Wunder erleben. Wunder führen zur Verwunderung, nicht zum Glauben. Warten wir nicht auf ein Mirakel. Wir könnten uns selbst nicht mehr kennen. Mirakel jagen einem gewaltige Schrecken ein. Warten wir auch nicht auf eine Vision. Wir könnten weiß wie die Wand werden. Visionen lassen uns das Blut gerinnen. Warten wir vielmehr auf das Wort, auf das lösende und alles befreiende Wort: "Er ist auferstanden." Und genau das wird heute wieder verkündigt: "Er ist auferstanden." Jesus ist nicht verwest. Er ist auferstanden. Jesus ist nicht in Staub und Asche versunken. Er ist auferstanden. Jesus ist nicht in den Gehirnen einiger Spinner auferweckt worden. Er ist auferstanden. "Christ ist erstanden, von der Marter alle, des sollen wir sein, Christ will unser Trost sein." Das heißt doch für die Krankheitsmacht, dass sie Ihnen vielleicht die Gesundheit nehmen kann, aber nicht die Gewissheit, dass Sie kein Dunkel trennen darf von diesem Licht. Das heißt doch für die Leidensmacht, dass sie Ihrer Ehe das Glück vorenthalten darf, aber nicht die Freude, dass auch in allem Leide einer mit Ihnen geht. Das heißt doch für die Gewaltsmacht, dass sie Ihnen den äußeren Frieden versagen darf, aber nicht den göttlichen Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Das heißt doch für die Todesmacht, dass sie Ihnen das irdische Leben rauben darf, aber nicht das ewige Leben. Jesus hat nach der Osterwende die Macht angetreten. Die Ozeane dieser unsicheren Welt sind nur Lachen in der Hand dieses Heilands. Die Kontinente dieser gefährlichen Welt sind nur Staubkörner auf seinen Fingern. Einmal wird er seine Hand über die Erde recken. Einmal wird er alle Gräber sprengen. Einmal wird er alle Toten zu sich winken. Einmal wird Ostern für alle sichtbar werden. Bis dahin halten wir uns an sein Wort: "Er ist auferstanden" und hören darin die österliche Allmacht unseres Herrn.
3. Die österliche Vollmacht
..., die kriegen wir, so wie die Frauen. Da laufen sie zur Stadt zurück. Die Kopftücher fliegen im Wind und die Körbe sind am Grab zurückgeblieben. Pressant haben sie es, die Maria, die Maria Magdalena und die andern Frauen. Was werden sie jetzt miteinander erleben? Sie sollen Meldung erstatten. Sie sollen Nachricht übermitteln. Sie sollen die Botschaft weiterstrahlen: Er lebt. Viele haben ihr Leben nur noch auf Empfang eingestellt. Über die Schüssel auf dem Dach kommt die Welt ins Haus. Neues auf allen Kanälen. Aber an Ostern wird unser Leben umgestellt, auf Sendung gestellt. Über uns soll es unters Dach kommen. Christen als Osterkanäle in jedes Haus!
An Ostern wird unser Leben auf Sendung gestellt. Christen als Osterkanäle in jedes Haus!
Deshalb lautet der Auftrag, gleich doppelt gesagt: "Gehet hin!" Deshalb der Befehl: "Gehet eilend hin!" Deshalb die Vollmacht: "Gehet eilend hin nach Galiläa." Aber werden sie uns hören? Werden sie uns glauben? Werden sie uns nicht für verrückt erklären? Auf diese bedrückende Frage nach dem Morgen bekommen die Frauen eine hilfreiche und trostreiche Antwort, die auch uns gilt: "Er wird vor euch hingehen", das heißt: Er wird vor euch hergehen, er wird vor euch heimgehen, er wird vor euch da sein. Wo wir auch immer ankommen, er ist immer schon da. Wenn Sie also nachher nach Hause kommen und mit Sorge die Tür aufschließen: Er ist schon da. Wenn Sie übermorgen ins Geschäft kommen und mit Frust den Arbeitsplatz einnehmen: Er ist schon da. Wenn Sie plötzlich ins Krankenhaus kommen und mit Verzweiflung diese Umgebung sehen: Er ist schon da. Wenn Sie schließlich Ihre letzten Atemzüge tun und mit Todesängsten das Ende erwarten: Er ist schon da. Er fängt mich auf. Er führt mich durch. Die österliche Ohnmacht ist nicht mehr unser Schicksal. Jetzt ist die österliche Allmacht Trumpf. Mit österlicher Vollmacht können wir dafür stehen. Doch, die Machtfrage ist seit Ostern entschieden, deshalb sagt es Jesus: "Fürchtet euch nicht."
Amen
[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]