1. Ein Blick in die Natur
Donald McGavran, der amerikanische Missionswissenschaftler, der den Begriff "Gemeindewachstum" geprägt hat, gebrauchte immer wieder ein Lieblingsbeispiel: "Was ist die wahre Frucht eines Apfelbaums?" Ein Apfel? Falsch! Die wahre Frucht eines Apfelbaums ist nicht ein Apfel, sondern ein weiterer Apfelbaum." Das stimmt. Wenn die wahre Frucht ein Apfel wäre, dann hätte Gott sicherlich kernlose Äpfel geschaffen. Aber Gott hat es so eingerichtet, dass Bäume Samen werfen, und weitere Bäume entstehen können.
Wir erkennen in der Natur ein Prinzip: Eine Pflanze wird nicht unendlich groß, sondern sie bringt weitere Pflanzen hervor, die wiederum weitere Pflanzen hervorbringen.
Wir wollen dieses Prinzip auf Gemeindearbeit übertragen. Das würde bedeuten:
- Ein einzelner Christ muss nicht unendlich viele Menschen zum Glauben führen, sondern vielleicht nur einige wenige, die dann ihrerseits Menschen zu Jesus führen.
- Ein Gemeindegründer muss nicht alles tun, sondern Zeit und sich selbst in einige Mitarbeiter investieren, die dann ihrerseits die Arbeit anpacken – und dabei weitere Mitarbeiter anlernen.
- Ein Hausbibelkreis kann nicht unendlich wachsen, sondern sollte nach einer gewissen Zeit einen oder mehrere neue Kreise hervorbringen.
Noch ein anderes Beispiel, damit es ganz deutlich wird. Ich las von jemandem, der beschloss seinen Garten über und über mit einer bestimmten Blumenart voll zu säen, die er besonders liebte. Er ging also in eine Gärtnerei und wollte für die vielen Quadratmeter des Gartens Samen kaufen. Als er den Preis für sein Vorhaben hörte, verschlug es ihm fast die Sprache: fast 300,- DM! Er beschloss, lediglich drei Beutelchen Samen für insgesamt 8,70 DM zu kaufen, säte sie aus, hatte im Sommer ein nettes kleines Blütenfeld, pflückte den Samen, trocknete ihn, säte ihn im nächsten Jahr aus - und schon war der ganze Garten voller Blumen. Hätte er in diesem Jahr erneut den Samen geerntet, so hätte er genug für die ganze Nachbarschaft gehabt, und im darauf folgenden Jahr hätte er schon den ganzen Stadtteil damit beglücken können. So - und nicht anders - funktioniert das Prinzip der Multiplikation!
Wenn Gemeinde effektiv wachsen soll, müssen alle Bereiche auf Multiplikation angelegt sein:
- die einzelnen Gläubigen gewinnen wieder andere Menschen
- die einzelnen Mitarbeiter gewinnen wieder andere Mitarbeiter
- die einzelnen Leiter schulen wieder neue Leiter
Wo nach diesem biblischen Prinzip gearbeitet wird, da wachsen nicht nur Äpfel, da werden sicher nach einer gewissen Zeit weitere Apfelbäume entstehen.
2. Ein Blick in die Mathematik
Wir haben im Bereich der Natur gesehen wie der Schöpfer alle Pflanzen auf Vervielfältigung angelegt hat. Hätte die Natur das Multiplikationsprinzip verworfen, wäre alles Leben bereits längst ausgestorben. Aber in der Gemeinde läuft die Arbeit nur zu oft nach dem Prinzip der Addition.
Addition heißt:
12 + 2 = 14, 14 + 2 = 16, 16 + 2 = 18
Auf diese Weise wächst die Zahl der Christen solange, bis irgendwann eine natürliche Wachstumsgrenze erreicht ist. Dann setzt Stagnation ein.
Multiplikation dagegen heißt:
12 x 2 = 24, 24 x 2 = 48, 48 x 2 = 96
Nur wo ein Multiplikationsprozess in Gang gesetzt wird und die dafür nötigen Strukturen geschaffen werden, ist Wachstum unbegrenzt möglich.
Nur, wie können wir das umsetzen? Wir wollen ja hier keine Zahlenspielerei betreiben. Wie können wir das biblische Prinzip der Multiplikation in unserem Gemeindealltag praktizieren?
3. Ein Blick in die Praxis
Sylvia hat 1992 begonnen einmal im Monat einen Bibelgrundkurs an ca. 10 Frauen weiterzugeben. Diese zehn Frauen hatten dann die Aufgabe, den Kurs innerhalb der nächsten Wochen an eine weitere Person weiterzugeben. Wenn nun ein Teil dieser Frauen den Kurs ebenfalls weitergibt, dann entsteht ein Schneeballprinzip. Kurs an die Ehepaare Berge / Rusch. Achim Rusch gab den Kurs an Ehepaar Dietrich in Wallstadt weiter, die kamen zum Glauben, und heute gibt Armin Dietrich das Wort Gottes in einem Hausbibelkreis weiter. Ein kleines Beispiel für Multiplikation.
Von einem Pastor las ich folgende sehr plausible Rechnung. "Früher", sagte er, "investierte ich wöchentlich etwa 10 Stunden in die Seelsorge, und ich merkte, es reicht hinten und vorne nicht. Mit einem enormen Kraftakt hätte ich die Zeit noch auf 12, vielleicht noch auf 15 Stunden erhöhen können, aber auch damit hätte ich die Arbeit nicht bewältigen können. Dann beschloss ich, mein Seelsorgepensum auf die Hälfte zu reduzieren, und die freigewordenen fünf Stunden investierte ich in die Schulung von seelsorgerlich begabten Geschwistern aus der Gemeinde. Und siehe da: heute investiert jeder dieser Seelsorger im Schnitt ca. sechs Stunden, so dass wir zusammengenommen schon auf 35 Stunden Seelsorge pro Woche kommen." Leuchtet das ein? Was war hier geschehen? Antwort: Nichts anderes als eine Umstellung vom Prinzip der Addition auf das Prinzip der Multiplikation. Darum macht der Dieter Seelsorge-Schulung! Da geht es um Multiplikation von Zeit!
Unser Herr Jesus Christus wirkte drei Jahre lang öffentlich. Aber mit niemanden verbrachte er soviel Zeit wie mit seinen Jüngern. Je näher sein Ende kam, desto mehr Zeit verbrachte er mit ihnen. Und als die letzte Woche anbrach, war er fast nur noch mit den Zwölfen zusammen. Jesus teilte sein Leben mit ihnen. Er redete, aß und litt mit ihnen. Er war ihr Rabbi, ihr Lehrer, ihr Meister, ihr Freund, aber auch ihr Vorbild. Jesus investierte sein Leben in das Leben der Jünger. Auf diese Weise prägte er sie für ihr gesamtes weiteres Leben. Jesus hatte nur drei Jahre Zeit. Aber er nutzte sie, um zwei Hände voll Jünger heranzubilden. Statt ständig Tausenden zu predigen, konzentrierte er sich auf ein Dutzend. Die Zeit zwischen Auferstehung und Himmelfahrt widmete sich der Sohn Gottes ebenfalls ausschließlich seinen Jüngern. 40 Tage "heilsgeschichtliches Seminar" mit Jesus (Apostelgeschichte 1, 3)! Er hätte sich im Tempel zeigen können, aber er konzentrierte sich auf seine späteren Apostel. Als der Sohn zum Vater zurückging, da befahl er denen, die er selbst zu Jüngern herangebildet hatte, wiederum andere zu Jüngern zu machen (Matthäus 28, 19). Nicht zu Hauskreis- oder Gottesdienstbesuchern, sondern zu Jüngern! Nach diesem Prinzip der Multiplikation hat sich die Gemeinde Jesu damals selbst unter schwerer Verfolgung ausgebreitet.
Als wir 1990 mit der Gemeindegründungsarbeit begannen, da hatten wir sonntags zwei Mitarbeiterinnen in der Kinderarbeit: Sylvia für die Sonntagsschule, Ingrid für die Kinderstunde. Das war’s. Dann hat der Herr immer wieder Geschwister bereit gemacht, sich in diese äußerst wichtige Arbeit hinein nehmen zu lassen. Isabella wurde in der Sonntagsschularbeit zugerüstet und arbeitete viele Jahre mit den Teenagern. Andrea, Wolfgang und Ulf kamen dazu, so dass viele Geschwister Bibelarbeiten mit den Sonntagsschülern machen. Was für ein Geschenk! Ingrid war zunächst alleine. Dann kamen Andrea und Ulrike dazu. Gabi Schuler und Reinhard Renner halfen vorübergehend mit. Später kamen Regina, Gabi, Susanne, Sigrid, Sylvia, Uschi und Bettina hinzu. Ist das nicht großartig? Aus einer hat Gott zehn gemacht. Das ist ein Wachstum von 1000 Prozent.
Folie: Prinzipien der Zurüstung
1990 hatten wir einen Hausbibelkreis und zwar bei Fam. Wunschik. Dort hielt ein Bruder die Bibelarbeit. Im Oktober 93 kam der Heidelberger Bibelkreis dazu, und Anfang 1995 starteten vier weitere Bibelkreise, so dass die Gemeinde fünf Hauskreise hatte, in denen mindestens sechs Brüder zum Einsatz kamen. Das ist Multiplikation! Dieses Hauskreis-Konzept hatte noch einen ganz wichtigen Nebeneffekt. An den Vorbereitungsabenden für die nächste Hauskreisstunde geschah Leiter-Schulung. Am Dienstagabend saßen wir zusammen mit acht/neun Brüdern und bereiteten zum einen den nächsten Bibelkreis vor, zum anderen sprachen wir über alle Belange der Gemeinde und übten somit Leiterschaft ein. Das war sehr wichtig. Aus diesem Brüderkreis gingen innerhalb der nächsten Jahre die ersten Ältesten und ein Diakon der Gemeinde hervor. Brüder müssen neben ihrer geistlichen und charakterlichen Qualifikation in den Bereichen Verkündigung, Seelsorge und Leitung zugerüstet werden. Leiter „findet“ man nicht – sie müssen geschult werden! Noch einmal zurück zu dem Bild vom Apfelbaum. Wir haben gesehen, wie einzelne Äpfel an ihm wachsen können. Das ist gut. Wir haben gesehen, dass ganz neue Äste an ihm wachsen können - vielleicht mit vielen neuen, schönen Äpfeln. Aber das Maximalziel wäre so noch nicht erreicht. Erst wenn neue Apfelbäume entstehen würden.....das heißt: neue Gemeinden. Die Gemeinde in Pfullingen hat bereits mehrere Tochtergemeinden "gebären" können... Lasst uns dafür beten und arbeiten, dass der treue Herr auch unsere Arbeit hier mit einer oder mehreren Tochtergemeinden segnen kann! Und wenn die erste dieser Tochtergemeinden wiederum einen Tochtergemeinde hervorgebracht hat, dann ist diese Enkelgemeinde der Beleg dafür, dass wir wirklich nach den Prinzipien der Multiplikation gearbeitet haben.
Willst du etwas pflanzen, das einen Sommer dauert, so pflanze Blumen!
Willst du etwas pflanzen, das ein Leben dauert, so pflanze Bäume!
Willst du etwas pflanzen, das eine Ewigkeit dauert, so pflanze eine Gemeinde!
Auch der Apostel Paulus hatte Vervielfältigung im Sinn. Er schrieb an Timotheus: "Was du (2) von mir (1) gehört hast vor vielen Zeugen, das befiehl treuen Menschen (3) an, die tüchtig sind, auch andere (4) zu lehren (2. Timotheus 2, 2)".
Das eine möchte ich allerdings zum Schluss noch anmerken. Das Denken in den Kategorien der Multiplikation birgt auch eine gewisse Gefahr in sich, nämlich die Gefahr der Oberflächlichkeit. Allzu leicht geht alles "Hopplahopp":
- schnell viele Leute - und vielleicht sind sie gar nicht gründlich bekehrt?
- schnell viele Mitarbeiter - und vielleicht leben sie noch gar nicht in der Heiligung und Hingabe ihres Lebens?
- schnell viele Leiter - und vielleicht haben sie noch gar nicht die geistliche und charakterliche Reife? Nur nicht der Oberflächlichkeit und dem Größenwahn verfallen (in zehn Jahren zur Mega-Church oder so)!
Wenn wir die neutestamentlichen Prinzipien der Multiplikation anwenden - und das wollen wir -, dann lasst sie uns mit der Treue im Kleinen und der ganzen Abhängigkeit von unserem HERRN verbinden. Dann werden wir biblisch bauen, und unser Werk wird Bestand haben am Tag Jesu Christi.
Luther und das Apfelbäumchen ... ... noch viele Apfelbäumchen!
Literatur "Gemeindewachstum", Heft Nr. 46