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Gottesdienst am Palmsonntag

15.04.1973Johannes 12,20-24

Über den Predigttext vom Palmsonntag will ich heute nicht predigen. Dieser Text war nämlich vor kurzem am ersten Advent der Predigttext. So ist es in unserer Perikopenordnung angeordnet.

An unsere Perikope vom Einzug in Jerusalem sind hinten noch die nächsten Verse aus Johannes 12 in Klammern angefügt. Ich habe eine große Sammlung von bekannten Predigern und ihren Predigtbüchern. Dabei ist mir aufgefallen, dass über diese Verse praktisch nie gepredigt wurde. Ich habe gedacht, darüber müsste man einmal predigen.

 Johannes 12, Verse 20-24: Jesus war nach Jerusalem eingezogen. Das Volk stand da und rief: Hosianna, dem Sohn Davids! Die Pharisäer sagten: „Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet. Siehe, alle Welt läuft ihm nach.“

Jetzt beginnt unser Predigttext: Es waren aber etliche Griechen unter denen, die hinaufgekommen waren, um auf dem Fest anzubeten. Diese traten zu Philippus, der aus Bethsaida in Galiläa stammte, und baten ihn: „Herr, wir wollten Jesus gern sehen.“

Philippus ging daraufhin und sprach mit Andreas. Andreas und Philippus sagten es Jesus weiter.

Jesus aber antwortete ihnen und sprach: „Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, so bleibt es allein. Wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“

Herr, erkläre du uns jetzt dein Leiden und Sterben. Amen.

Die Suche der Griechen nach Jesus als Ausdruck tiefer Sehnsucht

Liebe Brüder und Schwestern, unsere Monika bringt bald täglich ein Poesiealbum mit nach Hause. Sie wissen, was ein Poesiealbum ist: jene Zeugnisse urdeutscher Lyrik. Mir macht es Spaß, in diesen Büchern zu blättern und zu sehen, was da alles drinsteht.

Da hat neulich eine Mitschülerin hineingeschrieben: „Gar sonderbar ist diese Welt, mich wundert's, dass sie wem gefällt.“ Da stapft also eine siebenjährige Schülerin die Wächterstaffel hinunter, den Ranzen auf dem Buckel, Farbtöne blühen und Vögel zwitschern, und so ein Mädchen schreibt von der sonderbaren Welt: „Mich wundert's, dass sie wem gefällt.“

Ich dachte, ich muss heute mal darüber predigen, warum mir die Welt gefällt.

Punkt eins: Es gibt so viele enttäuschte Menschen. Da waren diese Griechen, die zum Passafest nach Jerusalem gezogen waren. Sie hatten eine weite Reise hinter sich. Man will sie fragen: Warum seid ihr eigentlich von Griechenland bis nach Jerusalem gezogen? Ihr habt doch bei euch in Athen herrliche Tempel, dort auf der Akropolis. Ihr habt hellenistische Kultur, die ganze Weisheit des Altertums. Ihr habt Sokrates und Plato und die ganze Philosophie.

Aber diese Griechen sind dort nicht satt geworden bei dem, was sie suchten. Es steht nicht da, dass sie überall in der Welt herumgereist waren in ihrer Unruhe. Es steht nur da, dass sie jetzt sogar bis nach Jerusalem zum Passafest gezogen waren. Und diese Enttäuschung für diese Männer: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist nicht für uns. Der Tempel ist verschlossen, sie stehen im Vorhof der Heiden.

Sie erleben das mit, was dort in diesen bewegten Tagen in Jerusalem geschieht: Jesus, alle Welt redet von ihm. Vielleicht haben sie aus der Ferne Jesu Predigen gehört. So treten sie zu Philippus und sagen: „Komm, vermittel uns eine Audienz. Wir wollen Jesus gerne sehen.“ Nicht mit den Augen, sondern sie wollten eine persönliche Begegnung mit ihm haben.

Dass wir uns das jetzt deutlich merken: Die Menschen in ihrer grenzenlosen Enttäuschung interessiert Jesus. In Jerusalem waren sicher viele hilfsbereite Leute, die diesen Griechen gerne religiöse Fragen erklärt hätten oder die gesagt hätten: „Wir können mit euch sprechen über die Strukturprobleme unserer Priesterschaft oder über die Nachwuchsprobleme in unserem Dienst am Tempel oder über Organisationsprobleme hier in unserer religiösen jüdischen Welt. Wir reden gerne mit euch über die Probleme der Zehnsteuereintreibung.“

Aber das hat die Griechen nicht interessiert in ihrer grenzenlosen Enttäuschung. Sie hat nur noch eins angezogen: „Wir wollen Jesus gerne sehen.“ Dieses Missverständnis kommt bei uns immer wieder vor, als ob die Menschen um uns herum sich für die Kirche interessieren würden. Also als ob die Menschen um uns herum Christen interessieren würden, als ob wir für sie attraktiv wären.

Im Gegenteil, die Menschen stoßen sich ja an uns. Aber nach Jesus haben sie ein ganz großes Verlangen, und sie wollen ihn gerne sehen.

Jesus als Antwort auf die Sehnsucht enttäuschter Suchender

Woher kommt eigentlich diese große Sehnsucht bei den Griechen? Ich stelle mir vor, dass sie Jesus nur aus der Ferne gesehen haben. Sie haben lange darüber nachgedacht und sich immer wieder gefragt: Was hat Jesus eigentlich zu bieten?

Die Griechen, von denen hier die Rede ist, hatten Geld. Sonst hätten sie sich solche Reisen nicht leisten können. Außerdem verfügten sie über eine große Kultur und viel Weisheit. Sicher waren es gebildete Menschen, sonst wären sie nicht so ernsthaft suchend gewesen.

Doch da stand dieser Jesus, ohne Besitz, nur mit einem kleinen Kreis von Anhängern. Er hatte keine herausragende Gestalt, keine Anerkennung, kein Universitätsstudium und keinen Titel, auf den er verweisen konnte. Er erschien ganz einfach, mit leeren Händen.

Trotzdem erhob Jesus den Anspruch, enttäuschten Menschen die Antwort bieten zu können. Er sagte: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Die Griechen baten Philippus: „Vermittle uns eine Audienz bei dem, das wollen wir sehen, das wollen wir prüfen. Das betrifft enttäuschte Menschen.“

Wenn sie darüber nachdachten, was Jesus geben könnte, merkten sie: Es sind keine materiellen Dinge. Jesus selbst ist das Wesentliche. Er lädt ein: „Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.“ Er nennt sich das Licht der Welt und verspricht: „Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“

Die Griechen wollten Jesus gerne sehen. Sie interessierten sich nicht für andere Dinge. „Mensch, rede nicht von den anderen Dingen, das bewegt uns nicht“, sagten sie. „Das eine wollen wir noch prüfen, dem einen wollen wir noch nachgehen.“

Das Geheimnis des Lebens im Sterben: Jesu Antwort mit dem Weizenkorn

Da sind wir beim Zweiten, was Jesus anbietet. Ich muss Sie nun bitten, an dieser Stelle genau aufzupassen. Wenn Sie jetzt abschalten, war der ganze Gottesdienst umsonst.

Ich muss Ihnen jetzt etwas erklären, was sich mit menschlichen Worten kaum fassen lässt. Ich bin fast hilflos dabei. Sie haben versucht, Beispiele zu finden, aber es ist nicht möglich.

Die Griechen kommen zu Jesus und sagen: „Jetzt wollen wir mal sehen, wer Jesus wirklich ist.“ Man denkt nun, Jesus wird seine göttliche Macht demonstrieren. Er hat Himmel und Erde geschaffen, er ist der König über alles, hat Wunder an Aussätzigen und Blinden getan. Jetzt sollte er doch vor diesen Griechen eine große, ernsthafte Schau machen, die den Glauben weckt. Doch das tut Jesus nicht.

Trotzdem sagt Jesus: „Hört gut zu, jetzt ist die Stunde da, in der der Menschensohn verherrlicht wird. Jetzt ist der Höhepunkt gekommen.“ Jetzt müssten alle ganz genau aufpassen. Jesus enthüllt seine göttliche Größe vor ihnen – aber nicht durch Wunder, sondern durch seinen Passionsweg.

Verstehen Sie das: Diesen Punkt kann man kaum begreifen. Jesus demonstriert nicht mit großen, eindrucksvollen Wundern. Stattdessen sagt er: „Ihr könnt meine Größe, mein Angebot, die Antwort für alle enttäuschten Menschen nur in einem finden – meinem Passionsweg, meinem Kreuz!“

Bitte bleiben Sie dran! Jesus nimmt ein Bild: Ein Weizenkorn wird ausgestreut und fällt irgendwo ins Ackerfeld. Dort ist es dunkel und nass, und es verfault.

Die Griechen, ihr Jünger, so spricht Jesus über die Welt: Über der Welt liegt die furchtbare Vergänglichkeit des Todes, der Todeshauch der Welt. Das ist der Grund eurer Enttäuschung. Die Griechen bauen für die Ewigkeit – und doch vergeht alles.

Was nützt die Weisheit eines Sokrates? Sie vergeht. Alles wird in diesen Acker der Vergänglichkeit geworfen. Ihr könnt große Ziele im Leben haben, euch in Positionen bringen, machtvoll und anerkannt vor Menschen sein – und doch vergeht alles wie ein Weizenkorn, das irgendwo verrottet, verwest oder verschimmelt.

Menschenleben vergehen, sobald der Todeshauch weht. Jesus sagt: „Ihr Griechen, das ist nicht nur ein Schicksal, das hier und dort zuschlägt. Das ist die Wirklichkeit des lebendigen Gottes, der seinen Zorn über diese Welt ausgebreitet hat – über eine Welt, die ihn verloren hat.“

Es ist schrecklich mit dieser Gerichtshand des Todes. Die Bibel beschreibt es mit wenigen Worten: „Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte wie die Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, und die Blume verwelkt. Ja, Gras ist das Volk.“

Doch Jesus sagt: „Aber eins kann ich euch bieten: Mein Leben fällt auch in den Acker – unverweslich. Da kommt keiner dran vorbei. Aber bei mir geht Frucht auf. Und das habe ich zu bieten: Frucht für viele.“

Es lohnt sich, in dieser Welt zu leben, weil es eine Lösung gibt. Einer hat die Probe im Sterben bestanden – das bin ich. Deshalb lohnt es sich, in der Welt zu leben.

Das Weizenkorn muss sterben, sagt Jesus. Schaut auf meinen Passionsweg! Er will euch nicht durch äußere Zeichen fesseln. Ihr sollt euren Blick konzentrieren auf das eine große Wunder: Dass in der Todesnacht von Golgatha Gott mein Leben aus dem Tod herausreißt und die Verlassenheit der Welt unter dem Gericht Gottes in Jesus aufsprengt.

Das ist das Angebot Jesu für verzweifelte Menschen, für enttäuschte Leute, die den Dingen auf den Grund gehen wollen.

Das lohnende Leben im Hingeben: Jesu Einladung zum Nachfolgeweg

Und da stehen wir schon beim dritten lohnenden Leben für uns, über das wir heute sprechen wollen. Warum gefällt uns diese Welt? Es gibt so viele enttäuschte Menschen. Wir wollen sie nicht mit billigen Worten vertrösten, als sei das, was sie erleben, nicht schwer und schlimm. Das werden sie in ihrem eigenen Sterben noch auskosten müssen – was diese Welt am Ende quittiert für unsere ganze Anstrengung, für unseren ganzen Fleiß und unseren ganzen Einsatz.

Was bietet Jesus vor dieser einen Frage? Das Weizenkorn, das in die Erde fällt und stirbt, aber Frucht bringt für andere. An Jesus siehst du nichts als diese Armut, aber er bringt Frucht für viele.

Jetzt muss ich noch darüber reden, dass es lohnendes Leben für uns heißt – lohnendes Leben für uns. Dann wird einer ganz praktisch fragen: Was heißt das jetzt für mich? Jesus hat eine Warnung an seine Jünger ausgesprochen: Man kann ein Leben lang damit beschäftigt sein, für sich selbst zu sorgen und sein Leben zu ordnen. Liebe Brüder und Schwestern, was bewegt uns denn, wenn wir wieder draußen sind? Wie ordnen wir unsere Wünsche, unsere Krankheiten, unsere Leiden?

Und Jesus sagt: Merkt es nicht. Da liegt ein Geheimnis drin. Wer sein Leben hingibt wie ein Weizenkorn und nur noch fragt: Herr, was willst du von meinem Leben? Und sich dreien ins Sterben ergibt, lässt seine Pläne von Gott durchstreichen und seine Wünsche, der kommt um. Aber er trägt Frucht für viele, und das ist das Einzige, was man in der Welt erben kann.

Du kannst die höchste Karriere erklimmen, wirst nichts mitnehmen. Das Einzige, was du mitnehmen kannst, ist Frucht für die Ewigkeit, von Gott bestätigt. Deshalb nimmt Jesus hier sein Weizenkornbeispiel, das er selbst durchlebt hat, als Vorbild für die, die mit ihm leben.

Ich bin erstaunt, wie in unseren Tagen viele in der Welt das begreifen. Es gibt nur noch eine Frage, die die Menschen bewegt: Jesus. Bei uns in Deutschland versteht man das im Augenblick ein bisschen wenig, aber etwa in Äthiopien hat die Mekane-Jesus-Kirche vor einem Jahr einen dringenden Hilferuf an die europäischen Kirchen gerichtet.

Ihr gebt uns nur Sozialhilfe, das ist Bevormundung der Weisen. Wir wollen von euch Geld haben, damit wir Evangelisten schulen können. Es ist bemerkenswert, dass dieses Papier bei uns bis heute totgeschwiegen wird. Wir wollen Christus der Welt verkünden, weil sie nach ihm hungert.

Und wenn wir Christus verkünden, was können diese Brüder der Mekane-Jesus-Kirche dort in Äthiopien verkünden? Dieses Geheimnis eines Lebens, wo man nicht in der Welt groß wird, sondern sein Leben zum Opfer darbringt, damit Jesus segnen kann.

Es ist sehr erstaunlich, dass dort, etwa in Afrika, gerade eine so große Erweckung lebt. Gemeinden sind um 65 Prozent in der Zentralafrikanischen Republik gewachsen. Gerade dort in Äthiopien lassen sich an einem Sonntag 1500 Menschen in einer Kirche taufen. Kurz darauf noch einmal 1400 Menschen in derselben Kirche, obwohl man dort nur getauft wird, wenn die ganze Familie zum Glauben kommt.

Dort entdecken Menschen, dass es sich lohnt, in der Welt zu leben, aber sich für Jesus hinzugeben. Lass deine Pläne durchstreichen, deine Wünsche, was du an eigenem hast.

Dazu will ich ein ganz aktuelles Beispiel nehmen: Unsere Predigt wird auf Tonband den Kranken ins Haus getragen. Wir grüßen Sie, wenn Sie uns in ein paar Tagen hören. Da liegen Menschen im Krankenbett und fragen: Warum, warum, warum bin ich zum Pflegefall geworden?

Weil das Weizenkorn sterben muss. Und weil Gott dich nicht groß machen will, sondern klein. Und weil er dort, wo nichts mehr da ist, Frucht bringen kann.

Das Geheimnis des Lebens im Opfer und die Hoffnung auf Frucht

Das ist sein Geheimnis, wann und wo auch immer. Sie wissen, dass im Basler Missionshaus einst dieses Lied entstanden ist, von Samuel Preiswerk, dem Hebräischprofessor in Basel:
Die Sache ist dein, Herr Jesu Christ, die Sache, an der wir stehen.

Allein das Weizenkorn, bevor es fruchtbar sprosst zum Licht empor,
muss sterben in der Erde Schoß, zuvor vom eigenen Wesen los.

Und das haben diese Missionszöglinge gesungen bei ihrer Einsegnung. Sie kennen vielleicht die Geschichten, wo der Leiter der Basler Mission in die Klasse der Zöglinge eintrat und sagte:
An der Goldküste sind alle Missionare wieder am Fieber gestorben, keiner hat überlebt nach einem halben Jahr.

Ein Verwandter von mir ist dort unten auch nach einem halben Jahr mit seiner Frau umgekommen. Es war eine ganze Kette von Todesfällen.

Dann fragt er: Wer ist bereit, sich in dieses Fieber senden zu lassen?

Und dann strecken alle die Hände und melden sich freiwillig, weil sie wissen: Es kommt nicht darauf an, ob ich ein großer Missionar werde, sondern ob ich mein Leben zum Opfer für Jesus geben kann.

Es kommt in unserem Leben nicht darauf an, ob die Hofacker-Kirche groß rauskommt und ob der offene Abend groß rauskommt und ob ich viel Frucht bringe, indem ich säe und zählen kann.

Sondern ob in der kommenden Woche Jesus mich brauchen kann und aus meinem Leben Frucht schaffen kann.

Dann wollen wir nur noch beten: Herr, streich du meine Pläne durch, streich du meine Wünsche durch.

Und wenn es ins Sterben geht, mit manchem, was mir so lieb ist, mit manchem, was mir so kostbar war, dann will ich mich freuen, dass mein Fleisch und mein Leben, das in dieser Welt leben darf, noch für etwas Wichtiges Frucht trägt – und für viele Menschen.

Dann gibt es nur noch eine Sorge: Herr, brauchst du mich? Amen!