
Das Thema, das über diesem Jumiko steht, kennt ihr alle: Es ist die Frage, wie das eigentlich funktioniert. Wie kann man von Jesus reden? Wie geht das?
Wenn ihr so veranlagt seid wie ich – ich bin ein pragmatischer Mensch – dann stellt sich immer die Frage: Wie funktioniert das ganz praktisch? Wie sieht das aus?
Wer jetzt denkt, dass ihr in dieser Einheit sozusagen einen Fahrplan serviert bekommt, mit hundertprozentiger Sicherheit, wie man jemanden zum Glauben führt, also: Man muss nur diesen Fahrplan befolgen, und am Schluss kommt jemand zum Glauben, den muss ich enttäuschen. So einen Fahrplan gibt es nicht, weil das Reich Gottes anders funktioniert.
Wenn ein Mensch zum Glauben an Jesus kommt, entscheidet das immer noch Gott. Das ist nicht unser Handeln. Es gibt keine Strategie, und selbst wenn wir sie noch so großartig verkaufen, wirst du damit allenfalls Menschen manipulieren, aber sie bleiben nicht beim Glauben. Dass jemand wirklich zum Glauben kommt, ist ein Geheimnis.
Und trotzdem leistet es sich die Bibel, genau über dieses Geheimnis immer wieder zu reden, Hinweise zu geben – manchmal zwischen den Zeilen. Das finden wir in vielen Geschichten in der Bibel. Außerdem gibt es kleine Tipps, wie man ein evangelistisches Leben führen kann, was wichtig wäre und worauf man achten könnte.
Ihr könnt jetzt bei dem, was ich euch erzähle, aus einer biblischen Geschichte für euch selbst herausfinden, was für euch das Wichtigste ist. Dabei gibt es vielleicht Momente, in denen ihr sofort automatisch abschaltet. Gerade an solchen Stellen solltet ihr besonders gut zuhören.
Wenn es zum Beispiel ums Gebet geht, konnte man das gerade bei Lea lernen. Oder es gibt Dinge, bei denen ihr innerlich sofort denkt: Ja, das ist wichtig.
Ganz am Ende der Bibelarbeit gebe ich euch 20, also 25 Sekunden Zeit. Dann habt ihr nochmal die Möglichkeit, für euch selbst herauszufinden, was von all dem, was ihr bis dahin gehört habt, für euch wichtig war.
Parallel zu dem, was ich hier sage, arbeitet ihr also in eurem Kopf und in eurem Leben durch, was wichtig ist und was nicht. Dinge, die nicht wichtig sind, könnt ihr gleich weglegen – es sei denn, sie springen euch so an, dass ihr schon wieder darüber nachdenken solltet. Dann ist das eben so.
Ich möchte in eine der spannendsten Geschichten aus dem Neuen Testament einsteigen. Sie steht in der Apostelgeschichte, Kapitel 8, und ich möchte euch zunächst in die Situation hineinführen, die dort beschrieben wird.
Diese Geschichte führt uns zunächst in ein Wüstental. Wer schon einmal in der Wüste war, weiß, wie sich das anfühlt. Alle anderen können die Augen schließen und sich das einfach vorstellen: Wie ist es in der Wüste? Es ist heiß, unglaublich heiß. Die Sonne brennt vom Himmel, über dem Tal liegt eine erdrückende Hitze, und nichts in diesem Tal scheint sich zu regen.
Philippus, einer der sieben Diakone, die die Apostel als Helfer eingesetzt haben, sitzt, so stelle ich mir das vor, im Schatten eines großen Felsenbrockens und blickt in die Steinwüste, so weit er sehen kann. Eine alte, staubige Straße schlängelt sich durch das Gelände. Hier scheint alles tot zu sein, leblos, kein Zeichen von Leben – was für eine trostlose Gegend.
Philippus greift zu seiner Wasserflasche, nimmt einen Schluck aus dem Wasserbeutel und stellt sich innerlich zum hundertsten Mal die Frage: Was mache ich hier? Warum bin ich hier? Habe ich mich verhört? Habe ich Gott falsch verstanden?
Während Philippus noch seinen Gedanken nachhängt, gehen wir zurück und schauen uns an, wie diese Geschichte begonnen hat. Dabei wollen wir in diesen alten Geschichten sieben kleine Fingerzeige entdecken, wie ein evangelistischer Lebensstil aussehen kann. Es geht darum, so etwas wie ein geistlicher Wegbegleiter für andere Menschen zu werden.
Hier in der Bibel beginnt die Geschichte damit, dass der Engel des Herrn zu Philippus redete und sprach: Steh auf, geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist, menschenleer, so übersetzt die Basisbibel.
Tot ist sie, ohne Leben, da ist überhaupt nichts los, keine sichtbaren Hoffnungszeichen. Was für eine Beschreibung, wenn man an die heutige Situation denkt, die auf eine Straße zutreffen würde, die von Jerusalem nach Gaza führt – eine Straße, die tot ist.
Und was für eine Umschreibung schon da: doppelbödig für Menschen, die einem so vorkommen können, Menschen, die geistlich völlig unbeweglich sind. Vielleicht kennt ihr solche Menschen, vielleicht gibt es sie um euch herum. Man hat den Eindruck, sie haben überhaupt keinen Draht, keinen Bezug zu Gott, zu Jesus. Das erscheint ihnen alles so dermaßen fremd.
Ich habe gerade vorher angedeutet, dass ich selbst aus so einer Familie komme und bis zum heutigen Tag dieses Gefühl nicht verloren habe, was es bedeutet, solche Menschen um sich zu haben, sie lieb zu haben und gleichzeitig zu merken, dass geistlich gesehen irgendwie alles tot ist.
Und da hinein hört Philippus: Geh genau dorthin, geh dahin, wo es wehtut, mitten hinein in ein geistlich totes Land.
So, und dann kommt der nächste Satz, und der heißt so: Philippus stand auf und ging hin. Großartig, was für ein Einstieg! Das hört sich alles so easy an: Der Engel redet, der Jünger hört und geht hin, Punkt, alles fertig.
Wow, das wünsche ich mir in meinem Leben, das wünsche ich euch in eurem Leben, dass Gott immer so redet, dass man ihn klar und deutlich hört, dann auch versteht, in Gang kommt – und dann super.
Ich fürchte, das wird in den allermeisten Fällen in eurem und in meinem Leben nicht so laufen.
Und doch, für die Frage, wie das aussehen kann, ein geistlicher Wegbegleiter oder Bereiter für andere zu sein, erhalten wir hier den ersten von insgesamt sieben kleinen Hinweisen.
Denn wie wir hier erfahren, zeichnet sich Philippus zuallererst als einer aus, der hört, der hinhört, der auf Gott hört – ein Beter, ein Hinhörer, ein Beter, wow! Einer, der mit Gottes Reden, mit seinem Handeln überhaupt rechnet.
Da geht es schon los: Tun wir das überhaupt? Rechnen wir damit, dass Gott hört? Tun wir das?
Und die Fragen, die ich euch stelle, die stelle ich mir auch in mein eigenes Leben hinein. Tue ich das, oder rede ich nur noch darüber? Wie ist das bei dir, bei mir?
Ich fürchte, wir überhören allzu oft das, was uns Gott zu sagen hat, weil unsere Ohren verstopft sind und unsere Sinne mit anderen Dingen beschäftigt sind.
Offene Ohren für das Reden Gottes zu haben, das ist nicht selbstverständlich, das will eintrainiert werden.
Warum? Weil ich glaube, dass es entscheidend ist für jemanden, der einen evangelistischen Lebensstil leben will, der anderen von Gott erzählen will.
Wenn du das willst, dann solltest du zuallererst ein Mensch werden, der selber auf Gott hört.
Denn wer nichts mehr hört, der hat am Schluss auch nichts mehr zu sagen.
Darum lass uns Hörende werden.
Von Philippus kann man also lernen, zuzuhören, wirklich hinzuhören und ein hörender Mensch zu werden, der auf das leise Reden Gottes achtet. Philippus hat genau das getan. Dann lässt er sich vom Geist Gottes bewegen.
Punkt zwei: Er geht los und lässt sich in Bewegung bringen. Wir lernen, dass wer anfängt, auf Gott zu hören, selbst in Bewegung kommt. Bei ihm bleibt nichts beim Alten. Das war nie so. Die ganze Bibel ist voll mit Geschichten von Menschen, die das Reden Gottes erlebt haben. Was passiert dann? Sie kommen immer in Bewegung. In ihrem Leben tut sich immer etwas. Wenn Gott redet, bleibt nicht alles beim Alten. Das war nie so.
Wenn du ein Mensch bist, der auf Gott hört, dann stell dich darauf ein: Da kommt etwas auf dich zu. Wenn Gott redet, kommt immer Bewegung in die Dinge. Sie verändern sich. Übrigens nicht immer so, wie wir uns das vorstellen, und auch nicht immer so, wie wir es gerne hätten. Das ist das Spannende an der ganzen Geschichte.
Die Aufträge Gottes wirken manchmal seltsam und unverständlich. Philippus wurde zum Beispiel in ein Wüstental geschickt, an die Straße, die nach Gaza hinabführt. Diese Öde heißt großartig oder richtig super. Was also soll er dort? Philippus sitzt zunächst da und erlebt nicht mehr als den heißen Wind, der durch das Tal streicht. Gähnende Leere, Öde – nicht gerade das, was man sich unter einem Auftrag von Gott vorstellt.
Und überhaupt: Erreicht man so Menschen? Wird man so zu einem evangelistischen Typ, zum Wegbereiter für andere, indem man in der Wüste sitzt und wartet? Bei Philippus scheint das erstaunlicherweise dazuzugehören.
Punkt drei: Manchmal gehört Warten offensichtlich mit dazu. Wüstenzeiten, in denen es noch gar nicht so läuft, wie wir uns das immer vorgestellt haben. Viel langsamer, viel behutsamer. Je nachdem, wie ungeduldig du bist, wirst du damit nicht so leicht zurechtkommen.
Dabei ist das nichts Ungewöhnliches. Es kommt in der Bibel immer und immer wieder vor. Abraham und andere haben bis ins hohe Alter gewartet, bis sie dann zu ihrer eigentlichen Berufung durchgestoßen sind.
Wie kommen wir eigentlich dazu zu meinen, bei uns müsse alles sofort passieren? Woher haben wir diese Ansicht, diese Vorstellung? Verachtet die Wartezeiten nicht. Wenn sie euch schwerfallen, seid ihr in bester Gesellschaft.
Diese Zeiten sind oft Vorbereitungszeiten auf das, was kommt. Manchmal ist es dran, erst einmal abzuwarten. Warte ab, was Gott dir vor die Füße legt, wen er dir schickt, in was er dich hineinführt, in was du dich plötzlich vorfinden wirst. Wann er redet, das ist seine Sache. Das wirst du mit nichts erzwingen.
Und Gott hat Zeit – manchmal unfassbar viel Zeit.
Als du vorhin vom Bodenseezeltlager erzählt hast, musste ich an ein Gespräch mit Karl Wetzel denken. Er war der Mensch, der vor vielen Jahren das Bodenseezeltlager gegründet hat. Damals war er 96 Jahre alt. Wir haben uns in seinem Wohnzimmer getroffen. Ich erinnere mich noch gut, dass ich ihm für einen Artikel eine Frage stellen sollte: Ob Gott denn treu gewesen sei, wenn er jetzt, mit seiner ganzen Lebenserfahrung, zurückblickt. Ob Gott ein treuer Gott war.
Ich erinnere mich auch daran, wie Karl Wetzel damals über sein Tischtuch strich. Es war ein Tischtuch, das immer Falten warf und das er verzweifelt zu glätten versuchte. Für mich schien es endlos, wie er immer wieder über das Tischtuch strich. Ich sagte zu ihm: „Ja Karl, jetzt komm, sag ja, natürlich war Gott treu in deinem Leben.“ Er zögerte sehr lange, bis er schließlich sagte: „Ja.“ Ich war froh, dass die Antwort kam – was sollte ich sonst schreiben? Dann fügte er noch hinzu: „Aber Gottes Uhren gehen anders. Er hat manchmal unfassbar viel Zeit, und manchmal ist er schneller, als ich nur denken konnte. Gottes Uhren gehen anders.“
Manchmal gehört Warten zu einer Berufung dazu, und manchmal bist du schneller in einer Geschichte drin, als es dir lieb ist.
So wartet Philippus also, bis irgendwo am Horizont in der flimmernden Hitze eine Bewegung die Öde durchbricht: ein Wagen, Pferde, ein Mann, der auf dem Wagen hin und her geschüttelt wird. Der Geist Gottes beginnt erneut, Philippus zu bewegen, und sagt zu ihm: „Geh hin und halte dich zu diesem Wagen.“ In der Luther-Übersetzung steht an dieser Stelle eine interessante Formulierung: „Halte dich dazu.“ Das ist unser vierter Hinweis.
Philippus hält sich zu diesem Wagen. Das ist eine andere evangelistische Strategie, als wir sie manchmal kennen. Manche Leute würden sagen: Wenn du jemanden triffst, dann musst du die Gelegenheit sofort nutzen. Philippus hingegen hält sich zu dem Wagen. Er hält ihn nicht an. Er steht nicht davor und sagt: „Stopp, kennst du den Herrn Jesus?“ Das macht er nicht. Das kann man machen, manche Leute brauchen das, manche Evangelisten brauchen das auch. Philippus macht es ganz anders.
Die Formulierung, die die Bibel uns hier überliefert, heißt: Er hält sich zu dem Wagen. Er zwingt keine Vollbremsung, sondern geht langsam mit, läuft nebenher. Wegbereiter für Menschen zu sein, ist ein einfühlsamer Job.
So nähert sich Philippus dem Wagen und dem Menschen auf dem Wagen erst langsam. Er fällt nicht mit der Tür ins Haus, sondern nähert sich behutsam.
Wie war das? Ich stelle mir das so vor: Philippus geht an die Straße und wendet dem heranrollenden Wagen den Rücken zu. Der Wagen kommt also von hinten. Philippus gibt sich zunächst so, als wäre er auch nur ein ganz normaler Reisender nach Gaza, der die Straße entlangläuft.
Der Wagen kommt langsam näher. Philippus hört ein Murmeln, das kennt er. Es ist das Murmeln von jüdischen Gelehrten, die in ihren Schriften lesen und das Gelesene sozusagen durch vor sich hin Murmeln noch einmal verkauen – wie sie das genannt haben.
Der Wagen fährt nicht schnell, höchstens im Schritttempo auf der holprigen Straße. Aber er nähert sich. Irgendwann ist er auf gleicher Höhe, sodass Philippus eine ganze Zeit lang neben dem Wagen herläuft. Er hört, was der Mann vor sich hin murmelt und liest.
Philippus erkennt den Text: Es ist ein Abschnitt aus dem Buch des Propheten Jesaja. Er sieht aus den Augenwinkeln, wie der Mann den Kopf schüttelt. Und er hört, wie der Mann dieselbe Stelle noch einmal liest.
Ich habe keine Ahnung, wie lange sie so nebeneinander hergelaufen beziehungsweise gefahren sind. Geh mit Menschen ihren Weg mit, halte dich dazu! Du musst nicht alles mitmachen, aber halte dich dazu!
Wisst du, was mich in der Jugendarbeit richtig nervös macht? Wenn mir Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sagen, dass sie überhaupt keine Menschen mehr kennen, die keine Christen sind. Dabei habe ich einen finsteren Verdacht: Diese Geschwister halten sich nicht mehr für Menschen in der Welt, sondern halten sich von der Welt fern.
Du musst nicht alles mitmachen. Aber wenn du dich so sehr in deiner Blase abkapselst, dass du am Ende niemanden mehr kennst, der aus der Situation kommt, in der ich selbst einmal war, dann tut mir das bis in die Seele weh. Ich glaube, da stimmt etwas nicht. Das ist selten der Auftrag, den Gott uns gibt.
Könnte es sein, dass ein Aufbruch notwendig ist? Wo in deinem Leben geht es darum, einfach einen Weg mit einem bestimmten Menschen zu gehen, sich dazuzuhalten? Welcher Mensch fällt dir jetzt, vielleicht sogar sofort, ein? Sich dazuzuhalten kann eine lange Zeit dauern, manchmal Jahre. Bis das passiert, was in der Geschichte geschieht: Bis sich eine Gelegenheit ergibt, aktiv zu werden, bis sich eine Gelegenheit ergibt, tatsächlich direkt auf Gott zuzugehen – vielleicht durch eine gute Frage.
Fragen sind manchmal die Möglichkeit, einen Raum zu öffnen und ins Gespräch zu kommen. In der Geschichte macht Philippus das so. Irgendwann steht hier in Vers 30: „Verstehst du auch, was du da liest?“ Er spricht also den Mann auf dem Wagen zum ersten Mal direkt an. Der Mann antwortet: „Wie kann ich, wenn mich niemand anleitet?“ Jetzt bittet er Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen.
Seht ihr das? Nach der ganzen Zeit, in der Philippus einfach nur mitgegangen ist – das war bis dahin seine Aufgabe – steigt er jetzt in den Wagen ein. Und wie uns der Rest der Geschichte zeigt, steigt er nicht nur in den Wagen, sondern auch in eine Lebensgeschichte ein. Er lässt sich auf diesen Menschen ein.
Und wenn du die Geschichte in Apostelgeschichte 9 überhaupt verstehen willst, dann musst du die Lebensgeschichte dieses Menschen verstehen. Es ist wie bei uns: Wenn du einen Menschen verstehen willst, musst du seine Geschichte kennen. Diese lernst du nur kennen, wenn du anfängst hinzuhören, zuzuhören – ein zweites Mal. Diesmal nicht auf Gott, sondern auf Menschen und auf das Handeln Gottes im Leben dieser Menschen.
Philippus macht das. Er steigt in den Wagen ein, und jetzt bekommt die Geschichte einen eigenen Drive. Wir erfahren, dass der Mensch, der da sitzt – jetzt müssen wir nämlich selber auch in die Geschichte dieses Mannes einsteigen, sonst verstehen wir die ganze Geschichte nicht – dass das ein besonderer Mensch ist. Die Bibel beschreibt das in ganz schlichter Art und Weise und erzählt uns, dass das kein 0815-Mann ist, sondern ein mächtiger, ein hoher Politiker, ein einflussreicher Mann aus Äthiopien. Äthiopien wurde damals als eines der reichsten Länder angesehen.
Er ist der Kämmerer der Kandake, der Königin von Äthiopien. Kämmerer ist so etwas wie ein Finanzminister, also jemand, der wirklich etwas zu sagen hat und ungewöhnlich eng mit der Königin zusammengearbeitet hat. Jetzt muss man wissen, dass es in der Antike üblich war, dass dieser klassische Job für einen Eunuchen, einen Kastraten, vorgesehen war. Ein Mensch also, dem in einer aus heutiger Sicht fürchterlichen Operation die Geschlechtsorgane entfernt wurden – und das nur aus einem einzigen Grund: um ihn für einen Spitzenjob in Position zu bringen.
Denn ein Kastrat, ein Eunuch, wurde einer mächtigen Person nie gefährlich, weil klar war, dass er keine eigenen Nachfolger haben würde. Somit konnte er die Macht des jetzigen Mächtigen nicht durch eigene Nachfolger infrage stellen. Deshalb hat man solche Kastraten in der Antike produziert. Die allermeisten Menschen haben diese Operation nicht überlebt, so furchtbar war sie damals. Dieser Mann hat sie überlebt und kam tatsächlich in diese Topposition.
Die Bibel beschreibt das hier. Martin Luther übersetzt „Kämmerer“, aber eigentlich steht im Griechischen das Wort „eunuchos“. So ein Mann sitzt also auf dem Wagen, und die Bibel erzählt uns, dass er nach Jerusalem gereist war, um anzubeten. Er war also irgendwie in seiner Lebensgeschichte schon einmal in Kontakt mit dem Gott Israels gekommen. Wie genau, wissen wir nicht, aber dass es so war, ist glasklar.
Übrigens eine kleine Randbemerkung, die wir nicht überlesen sollten: Mit Blick auf Menschen, von denen wir denken, dass bei ihnen kein Fetzen Glauben irgendwo in ihrem Leben zu finden ist – wenn du anfängst, mit solchen Menschen zu reden, dann kann es dir ganz oft passieren, dass du plötzlich merkst: Ach, guck an, hier und dort und an unterschiedlichen Stellen hat Gott bereits ein Glaubenspflänzchen gepflanzt.
Es kann sein, dass irgendwo in einem komplizierten Leben dieses Pflänzchen zertrampelt worden ist, etwas zu Ende gegangen ist, was noch gar nicht richtig gewachsen war, noch nicht richtig Wurzeln schlagen konnte. Aber das sind Ansatzpunkte. Bei diesem Mann ist das so. Er hat irgendwann den Gott Israels kennengelernt, und jetzt fuhr er durch die ganze Wüste, um an den Tempel nach Jerusalem zu kommen – den Ort, von dem die Juden sagten, dass dort Gott wohnt, um Gott zu begegnen.
Und das Blöde ist: Es hat nicht funktioniert. Er kommt nach Jerusalem, und die Menschen erkennen, wer er ist, und dass er ein Eunuch ist. Damit endet seine Reise im Vorhof des Tempels. Er kommt gar nicht hinein, er kommt nicht an den Ort, an den er wollte. Im Judentum gibt es im fünften Buch Mose eine Ordnung, die heißt: kein Verschnittener – und das ist etwas anderes als ein Beschnittener. Kein Kastrat darf in die Gemeinde aufgenommen werden.
Also haben sie ihm an der Tür schon gesagt: „Sorry, geht leider nicht.“ Jetzt musst du dir das mal vorstellen: Da wächst in dir das Pflänzchen, das schlichte Vertrauen, dass es da einen Gott gibt, der sich für dich interessiert. Du gehst an den Ort, an dem du vermutest, dass dieser Gott dir dort ganz nahe sein kann, und dann geht erst mal die Tür zu. Die ganze Reise war für die Katz.
Aber wenn Gott eine Tür zumacht, dann macht er in der Regel im Leben eines Menschen auch wieder eine Tür auf. Ich weiß nicht, wo das dort passiert ist – irgendwo im Umfeld des Tempels. Irgendwo muss ihm ein Jude gesagt haben, dass er sich auf jeden Fall noch eine Jesajarolle kaufen soll, bevor er heimreist. Das Buch Jesaja – warum? Weil das das einzige Buch im Alten Testament ist mit der einzigen Stelle, die darauf hinweist, dass am Schluss jemand kommen wird, der es ermöglicht, dass selbst ein Kastrat Teil der Gemeinde wird.
Und jetzt sitzt der Mann mit seiner Geschichte, mit seinem Glauben, den er hatte, mit dem, dass die Tür vor seiner Nase zugegangen ist, auf dem Wagen. Er liest ausgerechnet diese Stelle und versteht nichts. „Verstehst du, was du da liest?“ Und er versteht es nicht. „Sag mir“, sagt er zu Philippus, „von wem redet der Prophet da, von sich selbst oder von wem?“
Und das ist die steile Vorlage für Philippus, jetzt zu erzählen, sich dazuzuhalten, in eine Lebensgeschichte einzusteigen. Das ist das andere: Irgendwann wirst du Worte finden müssen, um zu erzählen, um zu reden.
Wir haben manche Strömungen auch in der Jugendarbeit, in denen Menschen sagen: „Ey, manchmal sind Taten viel deutlicher als Worte.“ Das stimmt. Ich glaube das auch. Aber Taten ersetzen manchmal erklärende Worte nicht. Denn wenn jemand keine Ahnung von Jesus hat, braucht er jemanden, der ihm das erklärt.
Das heißt, du wirst Worte finden müssen. Irgendwann ist es dran, den Mund aufzumachen. Also, nachdem man auf Jesus gehört hat, sich von ihm hat bewegen lassen, gewartet hat und sich an einen Menschen gehalten hat, in seine Lebensgeschichte eingestiegen ist, ist irgendwann die Zeit gekommen, zu reden. Es gilt zu erklären, wer Jesus eigentlich ist – mitten in die Lebensgeschichte eines Menschen hinein.
Dafür gibt es kein Schema. Es geht so, wie du es in diesem Augenblick kannst, dann, wenn es darauf ankommt. Philippus tut das, und er erklärt. Er erklärt anhand der damaligen Bibel – ein Grund, warum mir die Bibel so wichtig ist. Sie hatten das Neue Testament gar nicht, aber das, was sie da hatten, ist das, was wir heute als Altes Testament kennen. Und davon wird es zumindest in Teilen unfassbar spannend.
So beginnt das Evangelium im Leben dieses Kämmerers zu leuchten, aufzuleuchten – mitten hinein in seine völlig komplexe Lebenssituation. Ich habe keine Ahnung, wie lange sie auf dem Wagen unterwegs waren, während Philippus die Fragen beantwortete. Irgendwann steht der Kämmerer nur noch vor einer einzigen letzten Frage und sagt: „Was hindert mich jetzt noch, zu Gott zu kommen? Gibt es noch irgendetwas, noch eine Tür, die zugeht? Was hindert mich noch, mich taufen zu lassen?“
Ich glaube, Philippus hat in diesem Moment gelächelt, die Schultern hochgezogen und angedeutet: „Nichts.“ Spätere Texte sollten zitieren, wie es heißt: „Wenn du von ganzem Herzen glaubst, kann es geschehen.“ Dann beschreiben sie, dass dieser Mensch gesagt hat: „Ich glaube, ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.“
Und dann kommt es zur folgenden Szene. Ich lese Vers 38 und 39: „Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer. Und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer war nicht mehr da.“
Philippus also taufte den Kämmerer, und dann ist er plötzlich weg, entrückt. Puh! Man kann sich jetzt trefflich fragen, was da wirklich passiert ist. War er entrückt, also plötzlich weggebeamt? Oder hat er sich geordnet verabschiedet? Der Kämmerer war emotional so sehr in dem Moment, dass er das gar nicht mitbekommen hat. Jedenfalls – ich weiß es nicht. Es steht hier, dass der Geist Gottes seine Hand mit ihm spielte.
Das bringt mich zum siebten und letzten Punkt unter der Frage, wie es aussehen kann, Wegbereiterin oder Wegbereiter für andere Menschen zu werden. Der Punkt heißt: Bring die Menschen zu Jesus und binde sie nicht an dich selbst, sondern gib sie frei.
Das Evangelium führt immer in die Freiheit – auch in die Freiheit von denen, die mir das Evangelium verkündigt haben. Es verbietet sich, Menschen geistlich an sich selbst zu binden. Zu Jesus sollen sie gehören, nicht zu dir, auch nicht zu einer Organisation.
Am Schluss sollen sie zu Jesus gehören und sich an ihm festhalten, nicht an dir. Damit sie eines Tages frei sind, frei selbst Hörende zu werden, sich von Jesus bewegen zu lassen, abzuwarten, wenn es notwendig ist, sich zu Menschen zu halten, in ihre Lebensgeschichte einzusteigen, dann irgendwann den Mund aufzumachen und andere Menschen zu Jesus zu bringen, damit auch diese frei werden.
So kann das aussehen: Wegbereiterin oder Wegbereiter zu werden, damit Menschen Jesus finden. So kann es aussehen, wenn Jesus zunächst sein eigenes Leben und dann durch dich hindurch das Leben anderer Menschen bewegt.
Und die große Frage ist, ob du dazu bereit bist.
Ich würde nur gern beten. Danke dir, Jesus, für deinen langen Atem, den du hast und den du in unserer eigenen Lebensgeschichte gezeigt hast. Jede und jeder könnte erzählen, durch welche Windungen das Vergangene gegangen ist – und vielleicht immer noch geht –, bis ein eigener Glaube an dich entstanden ist.
Manche Türen sind zugegangen, doch du hast neue aufgemacht. Jetzt stehen wir vor dieser Geschichte und bitten dich, dass wir selbst werden, was der Philippus war: Menschen, die auf dich hören, Menschen, die sich von dir bewegen lassen und das Warten lernen.
Menschen, die einen Blick dafür bekommen, wann es notwendig ist, sich zu anderen zu halten, in Lebensgeschichten einzusteigen, den Mund aufzumachen und dich zu bekennen, damit andere selbst zum Glauben an dich kommen.
Am Schluss bleibt es ein Wunder – dein Wunder. Genau um das bitten wir dich in unserem Leben. Amen.