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Das Buch

Lukas 12,42-48
Der wiederkommende Herr interessiert sich für Bücher. Einmal müssen wir ihm unsere Bücher vorlegen und über unser Leben Rechenschaft ablegen. Deshalb lassen Sie uns heute daran denken, dass der Inhalt unseres Grundbuchs, unseres Zeitbuchs, unseres Sachbuchs dem Herrn gehört und dann sagen: "Wird künftig beachtet." - Predigt zum Ewigkeitssonntag aus der Stiftskirche Stuttgart

Wenn der Herr kommt, und ich rechne mit seinem Kommen, dann will er Bücher ansehen, liebe Gemeinde. Wenn der Herr wiederkommt, und ich rechne mit seiner Wiederkunft, dann will er Bücher einsehen. Wenn der Herr zurückkommt, und ich rechne mit seiner Rückkehr, dann will er Bücher durchsehen. Vom letzten Tag heißt es ausdrücklich "Bücher werden aufgetan" (Off.20,12). Der wiederkommende Herr interessiert sich für Bücher.

Schnell bringen wir ihm unser Totenbuch. Fein säuberlich sind die Namen in diesem Sterberegister eingetragen. Beim Durchlesen stehen sie wieder lebendig vor unseren Augen. Dann stellen wir unsere Fragen: Herr, warum hast du mir die Mutter genommen, obwohl sie die einzige war, die mich mit ihrer Liebe durchsonnte? Herr, warum hast du meinen Mann abgerufen, obwohl er noch mitten im Leben stand und die Familie versorgte? Warum hast du mein Kind sterben lassen, obwohl es das lang erbetene und ersehnte Glück ins Haus gebracht hat. Herr, warum? Aber der wiederkommende Herr interessiert sich nicht zuerst für unser Totenbuch.

Schnell bringen wir ihm unser Fotobuch. Fein säuberlich sind die Bilder in dieses Album geklebt. Schnappschüsse, Familienbilder, Urlaubsfotos wecken die Erinnerungen. Dann stellen wir unsere Fragen: Herr, warum musste diese Ehe zerbrechen, obwohl sie damals so glücklich begonnen hat? Warum musste diese Familie auseinanderlaufen, obwohl sie nötige Nestwärme für jeden geboten hat? Warum musste dieser Freund verlorengehen, obwohl er so viel Geborgenheit schenkte. Herr warum? Aber der wiederkommende Herr interessiert sich nicht zuerst für unser Fotobuch.

Schnell bringen wir ihm unser Tagebuch. Fein säuberlich sind die Daten in dieser Chronik verzeichnet. Helle Tage waren schon dabei, aber auch sehr viel dunkle, schwere, rätselhafte. Dann stellen wir noch einmal unsere Fragen: Herr, warum ist dieser Weg abgebrochen? Warum ist dieser Plan gescheitert? Warum ist dieser Wunsch unerfüllt geblieben? Herr, warum? Aber der wiederkommende Herr interessiert sich nicht zuerst für unser Tagebuch.

Es ist überhaupt nicht so, dass wir an jenem Tag mit unseren Büchern anrücken und ihm unsere Fragen stellen könnten, die er gefälligst zu beantworten hat. Das ist verkehrte Welt und vermessener Wahn. Er bestimmt die Bücher und stellt seine Fragen, die eine Antwort von uns verlangen. Dieser Herr kommt wie ein Richter zum Notar: Zeigen Sie mir Ihre Bücher! Dieser Herr kommt wie ein Rechnungsprüfer zum Kassier: Zeigen Sie mir Ihre Bücher! Dieser Herr kommt wie ein Revisor zum Inspektor: Zeigen Sie mir Ihre Bücher! Einmal ist Überprüfung. Einmal ist Kassensturz. Einmal ist Revision, dann, wenn der Herr wiederkommt und sagt: Ich möchte das Grundbuch ansehen, und ich möchte das Zeitbuch einsehen, und ich möchte das Sachbuch durch­sehen.

1. Das Grundbuch

... regelt den Besitz. Dort ist einer als Besitzer eingetragen. Bei dem bebauten Flurstück Nr. 110 oder 260 steht sein Name. Das Eigentumsrecht ist aktenkundig gemacht. Nun kann er mit Fug und Recht behaupten: "“Dies ist mein Haus. Das Land drumherum gehört mir. Deshalb werde ich Bäume fällen, Unkrautvertilger verwenden und Müll ablagern, wo und wann und soviel ich will. Dies ist mein Haus. Das Geschäft beim Haus gehört mir. Deshalb werde ich den Arbeitern Füße machen, den Angestellten Dampf machen und den Aufmüpfigen die Entlassungspapiere aushändigen können, wie ich es nach meinem Gusto für richtig halte. Dies ist mein Haus. Die Familie im Haus gehört mir. Deshalb wird die Frau mir untertan sein und die Kinder werden nach meiner Pfeife tanzen. Der Herr im Haus bin ich."

Und Jesus sagt: Irrtum. Das Grundbuch muss genau gelesen werden. Dort ist keiner als Eigentümer eingetragen. Bei jedem bebauten oder unbebauten Flurstück steht Gottes Name. Sein Eigentumsrecht ist aktenkundig. Keiner ist Herr im Haus, auch wenn er nur ein Dachjuchhe mit 15 qm sein Eigen nennt. Keiner ist Chef im Laden, auch wenn er nur als Taglöhner sein Brot verdient. Keiner ist Boss in der Familie. Jeder ist nur Verwalter auf Zeit, von Gott eingesetzt und beauftragt. Deshalb sagt er: Dies ist mein Haus. Was hast du mit meinem Land gemacht? Ich hab dir's doch als Garten zur Verfügung gestellt, damit du es bebauest und bewahrest und du deine Freude daran haben sollst. Dies ist mein Haus. Was hast du mit dem Geschäft gemacht? Ich hab dir's doch als Arbeitsplatz in die Hände gegeben, damit auch andere Arbeit und Brot finden können. Dies ist mein Haus. Was hast du mit der Familie gemacht? Ich habe dir doch Frau und Kinder zu treuen Händen übergeben, damit du sie nicht schurigelst, sondern versorgst und ihnen mit Liebe begegnest.

Der Russe Maxim Gorki erzählt in seinem Buch "Das Nachtasyl" von einem Menschen, der auszog, um jenes Land zu suchen, in dem es recht und gerecht zugeht. Auf dieser Suche ging es ihm schlecht, sehr schlecht sogar. Kurz vor seinem Tod traf er noch auf einen verbannten Gelehrten im Ural: "Können Sie mir noch sagen, wo das rechte Land ist?" Der breitet seine Weltkarte aus, guckt und guckt, findet aber nichts und sagt: "Das gibt es überhaupt nicht." Da wurde der alte Mann wütend, zischte so etwas wie "du Schuft" und gab ihm eins über den Schädel. Dann ging er hin und hängte sich auf.

Er hätte nicht draußen in der Welt, sondern drinnen im Haus suchen müssen. Gott will unter unsrem Dach Land, in dem es recht und gerecht zugeht. Unsere Mitbewohner, unsere Nächsten, unsre Kinder warten doch sehnlichst darauf, dass man daheim atmen kann. Aber weil wir es so schlecht fertigkriegen, deshalb bittet der treue Verwalter den Eigentümer selbst: "Komm zurück. Regle du unsere gespannten Verhältnisse. Gib jedem zur rechten Zeit, was er braucht an Kraft, Hilfe und Trost. Mach meinen Platz, an dem ich lebe und leide, zu rechtem und gerechtem Land." Das Grundbuch regelt den Besitz.

2. Das Zeitbuch

... regelt den Termin. Dort sind schon eine ganze Menge von Terminen eingetragen. Jeder ist wichtig und darf auf keinen Fall vergessen werden. Wehe, wenn ich ihn verschlafe und nicht wahrnehme. Da steht der Prüfungstermin, der meine Zeit bis dahin zum einzigen Stress macht. Da steht der Gerichtstermin, der die leidigen Erbgeschichten endlich klären soll. Da steht der Operationstermin, der einen längeren Krankenhausaufenthalt nötig macht. Dazwischen stehen Zahnarzttermine, Steuertermine, Besuchstermine. Unser Zeitbuch ist schlichtweg ausgebucht. Für alles andere haben wir keine Zeit mehr. Terminlich sind wir voll.

Und Jesus sagt: Ich komme zurück. Meine Abwesenheit wird nicht ewig dauern. Nichts ist so sicher wie die Wiederkunft. "Denn der Menschensohn kommt zu der Stunde, da ihr's nicht meint." Einmal steht er an unserer Tür. Dann mag der eine zu ihm sagen: "Ich bin eben voll beschäftigt. Diese Termine muss ich wahrnehmen. Kommen Sie später wieder vorbei." Aber Jesus kommt. Dann mag der andere zu ihm sagen: "Haben Sie nicht das Schild gelesen: Hausieren verboten. Ich mag keine ungebetenen Gäste an meiner Tür. Machen Sie sich schleunigst davon." Aber Jesus kommt. Dann mag der Dritte zu ihm sagen: "Ich habe es doch studiert, dass das Grab nicht leer war. Die Auferstehung und Wiederkunft ist glatter Betrug, ein Märlein der Kirche. Sie gibt es gar nicht." Aber Jesus kommt entgegen allen Verboten, Wünschen und Erwartungen. Einmal steht er leibhaftig vor uns. Um eine Christusbegegnung kommt keiner herum.

Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph, sagte in einem Festvortrag "Die Kirche, die nicht auf die Wiederkunft wartet, hat den Kern ihrer Kraft aufgegeben." Wir können es noch zugespitzter sagen: Wer nicht mit dem Wiederkunftstermin rechnet, verrechnet sich gründlich. Nicht einmal der Tod kann uns um dieses letzte, große Zusammentreffen bringen. Wenn wir vor seinem Kommen aufs Leidenslager geworfen werden, wenn wir vor seinem Erscheinen den Todeskampf durchstehen müssen, wenn wir vor diesem Termin für immer die Augen schließen, dann wird unser Sterbetag zum Begegnungstag mit dem Herrn, an dem er fragt: Was hast du mit meiner Zeit gemacht? Was hast du mit meinem Termin gemacht? Warum hast du mich vergessen?" Deshalb bittet der treue Verwalter: "Herr, lass mich nicht in den Tag hineinleben und so tun, als ob es ewig Weile mit deinem Kommen habe. Lass mich nicht den Tag einfach ausleben, als ob ich schalten und walten könnte, wie es mir gefällt. Lass mich auf deinen großen Tag hinleben und diesen wichtigsten Termin in meinen Kalender eintragen." Das Zeitbuch regelt den Termin.

3. Das Sachbuch

... regelt die Gaben. Das Wissen, dass der Hausherr zurückkommt, löst bei dem Verwalter zwei mögliche Reaktionen aus. Entweder wird er in hohe Aktivität verfallen, so nach dem Motto: Jetzt aber nichts wie los. Atemlos keucht er durch die Gänge. Der Staub muss weg, die Blumen ans Fenster, das Essen auf den Tisch. Der Mann rotiert. Oder, und das ist die andere Möglichkeit, er wird in tiefe Passivität verfallen, so nach dem Satz: Es hat doch alles keinen Wert mehr. Müde lässt er sich in den Sessel fallen. Nur nicht an nachher denken. Der Mann resigniert.

Und das ist bei denen, die mit Jesus rechnen, auch so. Entweder werden sie so aktiv, dass sie nichts mehr hält. Atemlos rannten sie bis nach Russland und Amerika, um die Wiederkunft nicht zu verpassen. Oder sie wurden so passiv, dass sie keinen Strich mehr getan haben. Gärten wurden nicht mehr bestellt und Häuser nicht mehr gerichtet, weil ja der Herr wiederkomme.

Und Jesus sagt: Beides ist falsch. Die hohe Aktivität und die tiefe Passivität sind angesichts meiner Realität von Übel. Er will keine abgerackerten Leute, die jappend durch die Tage hetzen und sich keine Stille mehr gönnen. Und er will keine verschlafenen Leute, die alles von sich strecken und nur noch vor sich hindämmern. Er will solche Leute, die treu ihre Gaben einsetzen. Nicht jeder hat alle Gaben. Nicht jeder hat große Gaben. Aber jeder hat eine bestimmte Gabe: "Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen", und "wem wenig anvertraut ist, von dem wird man wenig fordern". Der wiederkommende Herr schert nicht alle über den gleichen Kamm. Der zurückkommende Herr verlangt nicht von allen das Gleiche. Unser Gott ist ein Gott mit Augenmaß, der wohl weiß, Soll und Haben zu verrechnen. So soll der, der tragen kann, anderen die Lasten mittragen. So soll der, der trösten kann, andern ein Trostwort sagen. So soll der, der leiten kann, die Zügel in die Hand nehmen. So soll der, der geben kann, seine Hand weit aufmachen. So soll der, der beten kann, mit dem Gebet den Himmel stürmen. Das apokryphe Jesuswort lautet so: "Wobei ich euch antreffe, danach werde ich euch richten."

Gewiss muss ich nicht immer in Hochform sein, aber mein Herr soll mich so finden, dass ich mit meiner Gabe mein Sach tue und mich nicht schämen muss, wenn er kommt, das Sachbuch aufschlägt und die Gabe bei mir sucht, die dort verzeichnet ist. Deshalb bittet der treue Verwalter: "Herr brauche mich. Bei dir ist keiner unnütz. Lass mich nicht in Selbstmitleid zerfließen, sondern selbst Mitleid bekommen mit denen, die leiden. Gib meinem Leben diesen Wert."

Liebe Freunde, vor einiger Zeit wurden die Bücher unserer Kirchenpflege vom Oberkirchenrat eingefordert. Das landeskirchliche Rechnungsprüf­amt ging diese Unterlagen genau durch und schickte sie mit einigen Prüfungsbemerkungen zurück. Diese kamen bei der letzten Kirchengemeinderatssitzung auf die Tagesordnung, wurden besprochen und mit dem Vermerk versehen: "Wird künftig beachtet."

Wenn der Herr unsere Bücher einfordert, wird es für zukünftige Beachtung zu spät sein. Deshalb lassen Sie uns heute an den Inhalt des Grundbuchs denken, dass unser ganzes Haus dem Herrn gehört, und dann sagen: "Wird künftig beachtet." Lassen Sie uns heute an den Inhalt des Zeitbuchs denken, dass unser wichtigster Termin sein Kommen ist, und dann sagen: "Wird künftig beachtet." Lassen Sie uns an den Inhalt des Sachbuches denken, dass unsere noch so bescheidene Gabe für den Herrn eingesetzt wird, und dann sagen: "Wird künftig beachtet."

Amen