Einführung und persönliche Hinweise
Ja, schön, heute Abend bei euch zu sein. Ich hoffe, dass wir auch weiterhin einen angenehmen und anregenden Abend miteinander verbringen.
Ich fand es schon ganz interessant, zuzuhören, was ihr aus eurem Leben berichtet habt, zumindest von den Leuten, die jetzt nach vorne gekommen sind.
Bevor ich zu meinem eigentlichen Thema komme, möchte ich noch zwei Dinge ansprechen – sozusagen als Angebote.
Erstens, für all diejenigen, die auch bei Facebook unterwegs sind – ich meine damit meine Freunde, also ihr könnt das gerne tun. Nicht einfach so, sondern ich hatte mir zum Ziel gesetzt, als ich bei Facebook angefangen habe, alle paar Tage eine Gedankenanregung für das Leben und den Glauben mitzuposten.
Ihr werdet bei mir nicht lesen: „Ich habe jetzt gerade gegessen“, oder „Ich gehe jetzt schlafen“, oder „Jetzt sitze ich gerade im Auto“. Solche Dinge schreibe ich nicht. Stattdessen versuche ich, ein paar Anstöße für das Leben und den Glauben zu geben. Das sind dann immer ein paar Gedankenanregungen, manchmal zu einer Geschichte oder einem geschichtlichen Hintergrund, manchmal zu einem Bibelvers oder Ähnlichem. Falls euch das interessiert, könnt ihr euch das gerne anschauen.
Zweitens, für die Leute, die gerne lesen, wie ich das tue: Ich habe hier vorne ein paar meiner Bücher mitgebracht. Ich habe sowohl dickere als auch dünnere Bücher geschrieben. Heute habe ich die dünnere Variante mitgebracht, weil ich mir gedacht habe, nicht alle lesen so gerne.
Zum Beispiel ist hier eines dabei, das sich mit Politik und Christsein auseinandersetzt. Die Frage lautet: Darf man als Christ Politik betreiben? Soll man es? Was steht darüber in der Bibel? Was sagt die Geschichte dazu? Und wie läuft das in der Gegenwart in der Politik?
Dann habe ich unter anderem noch eines dabei, das sich mit den Vorwürfen des Sakrilegs beschäftigt – also zum Beispiel: War Jesus verheiratet? Gab es apokryphe Evangelien? Wenn ja, was steht da drin? Außerdem habe ich ein Büchlein über Schöpfung und Evolution mitgebracht.
Falls euch das interessiert, dürft ihr die Bücher gerne mitnehmen. Wenn ihr sie habt, könnt ihr mir dann vier Euro pro Buch geben.
Das erst mal dazu.
Thematische Einführung: Gewalt in der Bibel
Dann komme ich zum Thema von heute Abend. Ich gehe davon aus, dass ihr wisst, worum es geht, nämlich um die Frage der Gewalt – insbesondere um Gewalt in der Bibel. Dabei soll heute Abend ein besonderer Fokus auf die Gewalt im Alten Testament gelegt werden.
Im Alten Testament finden wir viele Beschreibungen von gewalttätigen Ereignissen. Das stellt natürlich eine Herausforderung dar, vor allem für Menschen, die keine Christen sind. Diese verweisen oft auf vielbesuchte Internetseiten, die von Atheisten betrieben werden. Dort findet man ganze Listen von Bibelstellen, in denen Gewalt im Alten Testament beschrieben wird.
Diese Stellen werden dann häufig als Argument genutzt, um zu sagen: „Ihr glaubt an einen Gott, aber dieser Gott ist doch ethisch und moralisch disqualifiziert, weil so viel Gewalt in der Bibel vorkommt.“
Manche Christen sind darüber erschreckt, andere schweigen einfach und kümmern sich nicht weiter darum. Wieder andere versuchen, diese Stellen zu verdrängen oder wegzuerklären. Manche Christen scheitern sogar am Glauben aufgrund solcher Bibelstellen. Sie sagen: „Das kann doch nicht sein! Gott, an den ich glaube, lässt dieses Unheil nicht nur zu, sondern hat es manchmal sogar befohlen.“
Das ist tatsächlich keine einfache Angelegenheit. Wie gehen wir damit um?
Übrigens wird dieses Thema nicht nur von Atheisten aufgegriffen, sondern auch von Muslimen. Auf manchen muslimischen Internetseiten findet man ähnliche Hinweise.
Früher wurde den Muslimen vorgeworfen, ihr Gott sei gewalttätig, weil im Koran steht, dass die Ungläubigen verfolgt und getötet werden sollen. Viele Muslime haben dann im Alten Testament nachgeschaut und festgestellt, dass es dort ebenfalls Gewalttaten gibt, die insbesondere vom Volk Israel oder am Rande des Volkes Israel ausgeführt wurden.
Die Frage, der wir heute Abend nachgehen wollen, lautet: Wie ordnen wir diese Texte ein? Was machen wir damit?
Maßstäbe für die Beurteilung von Gewalt
Und bevor wir auf einzelne Bibelstellen zu sprechen kommen, möchte ich erst einmal etwas anderes klären. Und zwar möchte ich gerne klären, wie wir in diesem Fall überhaupt Urteile fällen können. Das heißt: Wonach machen wir fest, ob Gewalt gut oder schlecht ist?
Denn es gibt wahrscheinlich keinen – keinen unter euch heute, aber sonst auch kaum einen Menschen, den ich in Deutschland kenne –, der Gewalt generell in jedem Fall ablehnt. Vielleicht würden jetzt manche sagen: Ja, ich lehne Gewalt doch in jedem Fall ab. Das glaube ich eigentlich nicht.
Wir könnten jetzt einzelne Beispiele konstruieren, bei denen ihr wahrscheinlich sagen würdet: Also hier in diesem Fall ist Gewalt ja legitim. Und Gewalt meint ja nicht gleich, jemanden umzubringen. Gewalt kann auch heißen, jemanden zu schlagen oder jemanden einzusperren oder jemandem eine Strafe zu geben. Das ist ja auch Gewalt. Es gibt verschiedene Formen von Gewalt, verschiedene Stufen.
Gewalt fängt nicht erst an, wenn der andere tot ist, sondern auch schon vorher, wenn du ihn geschlagen hast. Selbst wenn du ihn festhältst oder sagst: „Ich habe keine Gewalt ausgeübt, ich binde ihn bloß fest.“ Und wenn er nach zwei Wochen verhungert ist, dann hast du ja nichts gemacht. Das geht nicht, das ist auch Gewalt.
Gewalt kennt viele Formen, und Gewalt ist heute weit verbreitet. Diejenigen von euch, die Medien konsumieren, werden sowieso mit Gewalt konfrontiert. Wer jeden Abend Fernsehen sieht, hat jeden Abend Gewalt. Und zwar manchmal solche, die real dargestellt wird, wie sie in anderen Ländern stattfindet, manchmal Gewalt, die in Spielfilmen zur Unterhaltung dargeboten wird.
Nun, bei dieser Gewalt wissen wir meistens, dass sie gespielt ist. Das ist nicht echt. Die Schauspieler, die da mitgemacht haben, leben alle noch. Man sieht sie dann hinterher auch auf Bildern irgendwo, wie sie wieder nett lächeln, obwohl sie im Film eigentlich umgekommen sind. Also das ist dann kein so großes Problem.
Beispiele zur Legitimität von Gewalt
Aber nehmen wir doch mal Beispiele aus unserem Alltagsleben, dann merken wir, wie schwierig es ist, genau zu beurteilen, welche Gewalt legitim ist und welche nicht. Das müssen wir erst klären, bevor wir an die Bibel herangehen. Wenn wir einfach an die Bibel herangehen und sagen, das ist eine Gewalt, die ist mir fremd und mit der habe ich nichts zu tun, kann das ganz schnell zu Missverständnissen führen.
Wir müssen zunächst für uns klären, nach welchen Maßstäben wir sagen, diese Gewalt ist okay und diese Art von Gewalt nicht. Ich kann mal ein paar Fragen stellen, und ihr könnt euch melden, wo ihr denkt, diese Gewalt ist in Ordnung.
Nehmen wir mal an, du gehst heute Abend nach Hause, und irgendein Typ lauert dir auf, reißt dich nieder und will dich vergewaltigen. Jetzt haust du ihm so eine runter, dass er in die Ecke fliegt, und du kannst abhauen. Ist diese Gewalt legitim oder nicht? Wer sagt ja, legitim? Die meisten melden sich. Falls das heute Abend vorkommt, darfst du zuschlagen, zumindest nach unserer Meinung. Das bedeutet also, in einem gewissen Rahmen halten wir Gewalt für in Ordnung.
Oder nehmen wir einen anderen Fall, der in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahren Aufsehen erregt hat: Ein Polizist sieht ein Entführungsopfer. Der Entführer hält dem Opfer eine Waffe an den Kopf, und wir wissen, der ist so durchgeknallt, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass er sein Opfer gleich erschießt. Darf der Polizist vorher, man nennt das einen finalen Todesschuss, den Entführer erschießen, bevor dieser sein Opfer erschießt? Was meint ihr, ja oder nein? Ja, hier sind auch noch relativ viele Leute, nicht alle. Manche würden lieber das Opfer sterben lassen, das ist auch Gewalt. Ich könnte ja fragen, wer dafür ist, dass das Opfer erschossen wird. Keiner meldet sich. Also hofft ihr darauf, dass es im letzten Moment noch ein Eingreifen Gottes gibt oder der Entführer stolpert oder sich selbst erschießt. In vielen Fällen würden wir diese Art von Gewalt als legitim ansehen.
Wie sieht das zum Beispiel aus mit der Geschichte des Nationalsozialismus? Deutschland war nationalsozialistisch, und irgendwann hatten die Amerikaner die Nase voll und erklärten Deutschland den Krieg. Durch den Eingriff der Amerikaner wurde der Zweite Weltkrieg beendet, und der Nationalsozialismus zerbrach. War die Gewalt der Amerikaner okay, oder hätten sie einfach weiter zuschauen sollen, wie Hitler ganz Europa erobert und unterdrückt? Wer meint, es war okay, dass die Amerikaner in den Zweiten Weltkrieg eingegriffen haben? Auch hier melden sich einige.
Wir merken jetzt verschiedene Formen von Gewalt, und bei viel dieser Gewalt sagen wir: Man darf zuschlagen in bestimmten Fällen, töten in bestimmten Fällen, Krieg führen in bestimmten Fällen. Da merken wir, dass viele nicht total pazifistisch sind, die sagen, alles ist okay, alle anderen dürfen böse Sachen tun, alle anderen dürfen Gewalt ausüben, und ich mache nichts. Das würden die meisten nicht vertreten.
Unter anderem ist Dietrich Bonhoeffer ein Held für viele, weil er sich in der Zeit des Nationalsozialismus an einem Aufstand gegen Hitler beteiligt hat, der dann schiefgelaufen ist. Aber das wusste man vorher nicht. Er sagte, ich beteilige mich daran, Hitler umzubringen, weil ich dadurch vielleicht einer Million Menschen das Leben retten kann. Wenn Hitler vorher gestorben wäre, wären weniger Juden umgebracht worden, weniger Russen, weniger Franzosen, Amerikaner und auch weniger Deutsche, auch weniger Christen, denn Hitler hatte ja auch Christen umgebracht.
Was meint ihr, ist es legitim, Hitler zu erschießen und dafür eine Million Menschen das Leben zu retten? Wer meint ja? Hier sind nur einige. Andere sagen dann immer noch, eine Million sollen sterben, oder Gott soll eingreifen. Das ist eine schwierige Sache, merkt ihr. Viele sagen, das ist okay, das ist erlaubt.
Jetzt bei denen, die hier hardcore sagen, man darf ihn ermorden, würde ich noch fragen: Wie ist das, wenn nur hunderttausend gerettet werden, oder nur tausend, oder nur fünfzig, oder nur zehn? Ich will es euch nicht zu schwer machen, ich will euch nur zeigen, so einfach geht das mit der Gewalt heute eben auch nicht.
Wir können nicht einfach sagen, keine Gewalt, und nur das ist okay. Das tut kein Mensch realistisch, und es wäre auch nicht richtig, weil du dann zum Beispiel dem Gewalttäter Vorschub geben würdest. Ist da nämlich einer, der andere einfach zusammenschlägt, zum Beispiel bei euch auf dem Schulhof? Stellt euch vor, euer Nachbar kommt mit einer Kalaschnikow zu seinem Nachbarn und sagt: Entweder rückt er sein ganzes Geld raus, oder er schießt dich. Und du sagst, okay, ich bin friedlich, also gebe ich mein ganzes Geld. Der wird ja nur ermutigt, wenn keiner etwas tut. Da ist die Frage: Sollte man da nicht auch etwas tun?
Ich will euch jetzt nicht dazu anleiten, das zu machen, also nicht, dass ihr jetzt Kampfsportausbildung macht, um dann demnächst jemandem eine auf die Nase zu geben. So nicht. Ich will euch nur sagen, die Menschen, unter denen wir leben, beurteilen Gewalt unterschiedlich – je nach Alter, religiöser Zugehörigkeit, auch je nachdem, ob du heute lebst oder vor 50 Jahren.
Vor 50 Jahren haben die Leute zum Beispiel den Kalten Krieg zum größten Teil befürwortet. Atomwaffen zu haben und mit dem Risiko, dass Millionen Menschen in einem Atomkrieg umkommen, hielten sie für gerechtfertigt. Allerdings hätten die Menschen vor 50 Jahren gemeint, kleine wehrlose Kinder zu töten, sei falsch.
Die meisten Deutschen heute meinen, kleine wehrlose Kinder zu töten ist richtig. Einige schauen mich jetzt seltsam an und denken: Wo sind wir? Im selben Land? Na ja, ich meine natürlich die Abtreibung. Nehmen wir nur das Beispiel der Spätabtreibung. Bei Spätabtreibung sind die Kinder vollkommen entwickelt, alles ist genau da. Wenn ein Kind behindert ist, darf man es relativ spät noch abtreiben. Das Kind ist total lebensfähig.
Der deutsche Staat sagt, okay, solche Kinder sterben tausendfach jedes Jahr. Und der Staat sagt, dieser Tod ist gerechtfertigt, er ist okay, er ist staatlich abgesichert. Sicher, ein Arzt, der das macht, der ein kleines Baby im Mutterbauch tötet, kommt nicht ins Gefängnis, er verdient sogar noch Geld damit. Die Mutter, die das tut, bekommt Mitleid, aber keine Strafe.
Hier hat sich unsere Vorstellung in Deutschland radikal verändert, was Gewalt gegenüber ungeborenen Babys angeht. Vor 50 Jahren hätte man gesagt: In keinem Fall darfst du ein kleines ungeborenes Baby töten, dann kommst du ins Gefängnis. Heute sagt man: Nein, es gibt gute Gründe, kleine ungeborene Babys zu töten.
Ich finde dieses Beispiel wichtig, weil wir manchmal argumentieren, wir töten nur Menschen, die schuldig sind, also die etwas Böses getan haben. Hier hätten wir ein Beispiel, wo heute allgemein in Deutschland Menschen getötet werden, legitim und vom Großteil der Bevölkerung befürwortet, ohne dass man dem Baby eine Schuld zuschreiben kann. Das Baby hat ja nichts gemacht, und trotzdem wird es getötet.
Ihr wisst ja, dass in Deutschland man schätzt, etwa jedes Jahr 130.000 Ungeborene ermordet werden. Das ist ein Massenmord. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland nie so viele Menschen ermordet worden wie jedes Jahr durch Abtreibung.
Ich nenne das als Beispiel, um zu zeigen: Gewalt gegen Embryos ist in jedem Fall Gewalt. Es gibt Bilder und Filme davon, wo man eine Nadel einsticht, um das Embryo zu zerstückeln oder zu töten, und wo das Embryo zurückweicht. Man merkt, der Herzschlag beschleunigt sich, es entsteht Angst. Das heißt, das ist tatsächlich eine Art Gewaltanwendung, offensichtlich eine tödliche.
Eine andere Sache, die unsere Nachbarländer schon befürwortet haben und die zwischenzeitlich ein Großteil der Deutschen auch befürwortet, ist die Euthanasie. Dort sagt man, alte Menschen darfst du unter bestimmten Umständen töten. Es gibt verschiedene Kriterien, je nachdem, in welchem Land du bist. In manchen Ländern sagt man, wenn die alten Menschen es wollen, in manchen, wenn die Angehörigen es wollen, in anderen verweigert man einfach bestimmte medizinische Hilfeleistungen mit der Begründung, die sind zu alt, das Geld ist knapp, also müssen sie sterben.
Es gibt verschiedene Varianten und Vorgehensweisen. Generell geht man davon aus, unter bestimmten Umständen ist es legitim, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Und das ist ja eine Gewaltanwendung, offensichtlich.
Hier merken wir, wie stark unsere Vorstellungen von Gewalt geprägt sind von dem, was die Gesellschaft uns beibringt und lehrt. Gesellschaftliche Veränderungen prägen das Bild, wann Gewalt legitim ist und wann nicht.
Wenn wir das jetzt mit anderen Ländern vergleichen, merken wir, nicht alle Menschen in der Welt ticken so wie wir in Deutschland. Zum Beispiel kennen etwa 50 Staaten weltweit die Todesstrafe. Dort sagen die Menschen zum größten Teil, unter bestimmten Umständen darf man einem Menschen das Leben nehmen, wenn er etwas besonders Brutales oder Schlimmes getan hat.
In Deutschland ist das nicht so, und die meisten Deutschen sind stolz darauf, dass wir keine Todesstrafe haben. Aber die Frage ist: Sind deshalb alle Amerikaner blöd, weil sie die Todesstrafe befürworten? Das klingt ein bisschen ignorant, davon auszugehen, nur weil ich dieser Meinung bin, ist sie richtig. Wenn man die Meinungen abwägt, merkt man, so ganz einfach ist das mit der Todesstrafe nicht.
Selbst manche Deutsche fordern plötzlich die Todesstrafe, wenn sie einen brutalen Fall sehen. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere: Das ist noch nicht lange her, da gab es in Emden einen Mord, bei dem eine junge Frau vergewaltigt und getötet wurde. Man nahm einen Verdächtigen fest, später stellte sich heraus, dass es der Falsche war. Aber schon vorher gab es überall bei Facebook und im Internet Todesdrohungen. Man sollte ihn umbringen, den gemeinen Kerl, der das wehrlose Mädchen getötet hat.
Die Polizei musste ihn schützen, nachdem festgestellt wurde, dass er es nicht war, weil einige ihn lynchen wollten und nicht glauben wollten, dass er unschuldig ist. Hier merkt man: Auch in Deutschland, wenn du selbst betroffen bist, wenn das vielleicht deine Freundin, deine Nachbarin oder deine Schwester ist, die grausam und sinnlos umgebracht wurde, sind die Argumente gegen die Todesstrafe plötzlich nicht mehr so wichtig. Dann denkst du dir, dieser gemeine Kerl, der das gemacht hat, soll sterben.
Das liegt im Menschen drin. Man kann sagen, solange mir das nicht passiert, finde ich die Todesstrafe schlimm. Aber viele Menschen, die selbst Opfer von Gewalttaten geworden sind, sagen, da muss man an diesen Menschen, die so rücksichtslos waren, auch Gewalt üben.
Das wird weltweit unterschiedlich gesehen, je nachdem, in welchem Land oder in welcher Kultur du bist. Was ich deutlich machen will, ist: Unsere Beurteilung, welche Gewalt legitim ist und welche nicht, hängt stark von unserer Erziehung ab, von der Familie, in der wir aufgewachsen sind, vom Staat, in dem wir leben, und auch von der Epoche, in der wir leben.
Ich habe gesagt, vor 50 Jahren dachten viele Menschen in Deutschland anders. Manche Gewalt empfanden sie als schlimm, die wir heute nicht mehr als schlimm empfinden, und manche empfanden sie als gar nicht schlimm, die wir heute als falsch empfinden. Auch in Deutschland hat sich da ein vollständiger Wandel vollzogen.
Wenn wir in die Bibel schauen, müssen wir sehen: Die Bibel ist nicht nur 50 Jahre alt. Das, was wir im Alten Testament finden, ist zwei-, drei- bis viertausend Jahre alt. Die Gewalt, die dort beschrieben wird, hat in einer anderen Welt stattgefunden, vor einem anderen Hintergrund. Wenn wir sie bewerten wollen, müssen wir das berücksichtigen.
Es ist dumm, zu versuchen, unseren heutigen Maßstab, den wir in Deutschland haben, auf diese Zeiten anzuwenden und zu sagen, alle, die ihn nicht teilen, sind falsch oder unmoralisch. Das würde den Großteil der Menschheit heute treffen, denn viele Menschen denken anders als wir in Deutschland heute. Und in der Vergangenheit war das noch viel ausgeprägter, weil die Menschen in anderen Situationen lebten, Dinge anders bewerteten und gute Gründe dafür hatten.
Manche Dinge, die wir heute rechtfertigen, hätten sie als schlimm empfunden. Andere Dinge, die wir heute als schlimm empfinden, waren damals kein Problem. Das liegt an verschiedenen Gründen, die wir jetzt nicht im Detail analysieren müssen. Dafür braucht man Soziologie, Politologie, Kulturgeschichte und Ähnliches.
Unter anderem liegt es daran, dass man sich heute in Deutschland nur auf das irdische Leben konzentriert. Das ist ein Punkt. Man bewertet Dinge anders, wenn man biblische Zeiten betrachtet, in denen man an ein Leben nach dem Tod glaubte.
Wenn du denkst, das Leben hier auf der Erde hast du nur einmal, und danach ist alles zu Ende, dann ist es das Schlimmste, einem Menschen das Leben zu nehmen. Wenn du aber davon ausgehst, wie im Alten Testament, dass das Leben nach dem Tod weitergeht, ist das nicht so schwerwiegend. Man nimmt einem Menschen das Leben, aber das meiste kommt ja noch danach.
Das heißt, es verkürzt ein paar Jahre hier auf der Erde, aber die Millionen Jahre, die du in der Ewigkeit verbringst, sind davon nicht berührt.
Auch hier kommt es also stark darauf an, welches Wirklichkeitsbild du hast. Wir alle gehen mit einem bestimmten Bild an das Leben heran und bewerten nach diesem Bild, ob eine Gewalttat legitim ist oder nicht.
Ein Mao Zedong als kommunistischer Herrscher empfand es als kein Problem, etwa 50 Millionen Menschen umzubringen, weil er dadurch eine glückliche kommunistische Gesellschaft schaffen wollte. Für ihn war das kein ethisches Problem.
Für Hitler war es auch kein großes ethisches Problem, Millionen Juden, etwa sechs Millionen, umzubringen, weil er sie als Feinde der Gesellschaft ansah. Das heißt, bestimmte Gründe bringen Menschen dazu, zu sagen: Weil ich dieses Weltbild habe, ist Gewalt in einem gewissen Rahmen legitim.
So müssen wir auch sehen, welches Weltbild wir mit uns herumtragen und an die Bibel anlegen. Wir sind nicht neutral, wenn wir die Bibel lesen, sondern wir bringen unser Weltbild mit. Deshalb müssen wir immer ein bisschen davon abrücken, wenn wir einzelne Gewalttaten in der Bibel lesen.
Beispiele von Gewalt im Alten Testament
Ich möchte jetzt in der nächsten Stufe einige Verse vorlesen, die wir in der Bibel finden und in denen Gewalttaten beschrieben werden. Ich werde diese Verse einfach vorlesen und anschließend im Gesamtzusammenhang einige Worte dazu sagen, wie wir diese Gewalt beurteilen können und was wir dazu sagen können. Es gibt verschiedene Formen von Gewalt.
Ich lese hier einige Verse aus 4. Mose 21, Verse 1-3:
„Als der König von Arad, der Kanaaniter, der im Südland wohnte, hörte, dass Israel herankam auf dem Weg von Atarim, zog er in den Kampf gegen Israel und führte etliche Gefangene. Da gelobte Israel dem Herrn ein Gelübde und sprach: ‚Wenn du, Herr, dieses Volk in meine Hände gibst, so will ich an ihren Städten den Bann vollstrecken.‘ Und der Herr hörte auf die Stimme Israels und gab die Kanaaniter in ihre Hand, und sie vollstreckten den Bann an ihnen und ihren Städten.“
Der Bann ist ein fester Ausdruck im Alten Testament. Er bedeutet, dass alles getötet werden muss, was sich in dieser Stadt befindet – Menschen und Tiere. Männer, Frauen, Kinder, alle werden getötet, ebenso die Tiere. Und genau das soll hier vollstreckt werden.
Ein weiterer Bericht findet sich in 4. Mose 21, Verse 34-35:
„Fürchte dich nicht vor ihm!“ Hier ist der König von Warschan mitgemeint. „Denn ich habe ihn in deine Hand gegeben, mit Land und Leuten, und du sollst mit ihm tun, wie du mit Chihon, dem König der Amoriter, getan hast, der in Heschbon wohnt.“ Sie schlugen ihn, seine Söhne und sein ganzes Kriegsvolk, bis keiner übrigblieb, und nahmen das Land ein.
Auch hier wird die gesamte Armee im Kampf getötet.
Oder 4. Mose 31, Vers 3:
„Rüstet euch, Leute, zum Kampf gegen die Midianiter, um die Rache des Herrn an den Midianitern zu vollstrecken.“ Sie zogen zum Kampf gegen die Midianiter, wie der Herr es Mose geboten hatte, und töteten alles, was männlich war. Die Israeliten nahmen die Frauen der Midianiter und ihre Kinder gefangen. All ihr Vieh, ihr Hab und Gut raubten sie und verbrannten mit Feuer alle Städte, in denen sie wohnten, sowie ihre Zeltdörfer.
Mose wurde zornig über die Hauptleute des Heeres und sprach zu ihnen: „Warum habt ihr alle Frauen leben lassen? So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind. Alle Mädchen, die unberührt sind, lasst ihr für euch leben.“ (4. Mose 31,3)
Hier sehen wir wieder einen Kriegszug, bei dem alle Männer getötet werden. Anschließend fordert Mose auf, auch die Frauen zu töten, zumindest jene, die nicht mehr jungfräulich sind, also ein bestimmtes Alter überschritten haben.
Weiter in 4. Mose 33:
„So sollt ihr alle Bewohner vor euch her vertreiben und alle ihre Götzenbilder, gegossenen Bilder und Opferhöhlen vertilgen. Ihr sollt das Land einnehmen und darin wohnen, denn euch habe ich dieses Land gegeben, damit ihr es in Besitz nehmt. Wenn ihr aber die Bewohner des Landes nicht vor euch her vertreibt, werden euch die, die ihr übriglasst, zu Dornen in euren Augen und zu Stacheln in eurer Seite werden und euch bedrängen in dem Land, in dem ihr wohnt.“
Hier heißt es also: Vertreibt oder tötet alle Bewohner in dem Land, in das ihr hineinkommt. Andernfalls werden sie euch später Probleme bereiten.
Oder 5. Mose 7, Vers 1:
„Wenn der Herr, dein Gott, dich in das Land bringt, das du einnehmen wirst, und viele Völker vor dir vertreibt – die Hethiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiviter und Jebusiter –, sieben Völker, die größer und stärker sind als du, und wenn der Herr, dein Gott, sie vor dir dahingibt, damit du sie schlägst, so sollst du an ihnen den Bann vollstrecken. Du sollst keinen Bund mit ihnen schließen und keine Gnade gegen sie üben. Eure Töchter sollt ihr nicht ihren Söhnen geben, und ihre Töchter sollt ihr nicht für eure Söhne nehmen. So sollt ihr mit ihnen verfahren: Ihre Altäre sollt ihr einreißen, ihre Steinmale zerbrechen, ihre heiligen Pfähle abhauen und ihre Götzenbilder mit Feuer verbrennen.“
Zuerst sollen sie getötet werden, danach alles, was mit ihnen zu tun hat, verbrannt oder zerstört werden.
Ein weiteres Beispiel findet sich in Josua 1, Vers 16:
„Alles, was du uns geboten hast, wollen wir tun, und wohin du uns auch schickst, wollen wir gehen. Wer deinem Mund ungehorsam ist und nicht gehorcht deinen Worten in allem, was du uns gebietest, der soll sterben. Sei nur getrost und unverzagt.“
Das sagen die Ältesten Israels zu Josua. Alle, die nicht gehorchen, sollen getötet werden.
Wenn eine Stadt erobert wird, heißt es an mehreren Stellen, dass der Bann vollstreckt werden soll. Zum Beispiel in Josua 6, Vers 21:
„Sie eroberten die Stadt und vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwertes – an Mann, Weib, Jung und Alt, an Rindern, Schafen und Eseln.“
Sie erschlugen alle, bis niemand mehr übrig blieb oder entkommen konnte. Den König von Ai ergriffen sie lebendig und brachten ihn zu Josua. Nachdem Israel alle Einwohner von Ai auf dem Feld und in der Wüste getötet hatte, wohin sie ihnen nachgejagt waren, und alle durch die Schärfe des Schwertes gefallen waren, wandte sich ganz Israel gegen Ai und schlug es mit der Schärfe des Schwertes.
Josua zog seine Hand nicht zurück, bis er die Lanze ausgestreckt hatte und der Bann an allen Einwohnern von Ai vollstreckt war. Am Ende dieses Berichts heißt es, dass ein großer Steinhaufen errichtet wurde, der bis zu diesem Tag als Erinnerung an die Eroberung von Ai besteht.
Ich möchte es dabei belassen. Es gibt noch andere Stellen, die ähnlich von kriegerischen Auseinandersetzungen berichten. Im zweiten und fünften Buch Mose finden sich zudem konkrete Anweisungen, wie mit Verbrechern umzugehen ist. Zum Beispiel wird unterschieden, ob jemand aus Versehen oder mit Vorsatz jemanden getötet hat.
Wer mit Vorsatz jemanden getötet hat, soll sein Leben verlieren. Das wird übrigens schon bei Noah erwähnt. Dort heißt es: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch vergossen werden.“ Das ist der erste Hinweis auf die Todesstrafe für Menschen, die andere getötet haben.
Wir haben also verschiedene Berichte, die wir nicht alle gleich einordnen können. Das möchte ich jetzt etwas genauer tun. Ich möchte verschiedene Stufen von Gewalt im Alten Testament besprechen und versuchen, deutlich zu machen, woher diese Gewalt kommt und wie wir sie möglicherweise einordnen können.
Am Ende wird vielleicht immer noch die Aussage übrigbleiben, dass manche Formen von Gewalt für uns unverständlich oder ungerecht erscheinen. Das kann sein. Aber vielleicht sollten wir vorsichtig sein, unser persönliches Empfinden von „ungerecht“ nicht mit der objektiven Aussage „Das ist ungerecht“ zu verwechseln.
Wenn ich sage „Das ist ungerecht“, meine ich damit einen absoluten, überzeitlichen Maßstab, der für alle Menschen verpflichtend gilt und den ich kenne. Ich meine also einen Maßstab, nach dem sich alle Menschen richten müssen.
Ich hoffe, dass wir bisher gesehen haben, dass es einen solchen Maßstab so nicht gibt. Wir sind alle Kinder unserer Zeit.
Schon heute sind wir uns nicht einig darüber, wo Gewalt erlaubt ist und wo nicht – weder hier in diesem Kreis, noch in Deutschland oder weltweit. Wenn wir uns heute als Menschen nicht einig sind, können wir kaum erwarten, dass alle Menschen der gesamten Weltgeschichte sich nach einem Maßstab richten, den wir nicht einmal mehr kennen.
Gewalt im Alten Testament: Grundlegende Einordnung
Zuerst einmal müssen wir feststellen, dass im Alten Testament Gewalt grundsätzlich negativ dargestellt wird. Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen müssen. Gott hat keine generelle Freude an Gewalt und verbietet sie kategorisch, insbesondere im persönlichen und zwischenmenschlichen Bereich. Damals war es nämlich unnormal, Gewalt aus Rache oder Ärger auszuüben.
In vielen Stämmen und Ländern herrschte damals, ähnlich wie heute noch in einigen Regionen, eine Art Blutrache. Das bedeutet: Wenn dir jemand etwas Böses getan hat, tust du ihm auch etwas Böses an – ohne Polizei, Soldaten oder Staat einzuschalten. Du gehst selbst hin und bringst ihn um oder verletzt ihn. Im Alten Testament ist das streng verboten. Selbst wenn jemand dein Familienmitglied getötet hat, durftest du nicht eigenmächtig Rache üben.
Stattdessen solltest du zu den Ältesten der Stadt gehen, also den juristischen Weg einschlagen. Diese sollten genau untersuchen und überprüfen, ob der Vorwurf stimmt, ehe du jemanden tötest. Dann sollen sie den Schuldigen festnehmen und die Strafe vollziehen, die vorgesehen ist. Das bedeutet: Im persönlichen Bereich sollst du normalerweise keine Gewalt ausüben.
Das sehen wir auch in den Beispielen, die ich gelesen habe. Dort handelt es sich nicht um persönliche Gewalt aus Rache oder Ärger, denn solche Gewalt war im Alten Testament ebenfalls verboten.
Es gibt jedoch eine Form von Gewalt, die wir heute noch als zumindest überlegenswert ansehen könnten: Gewalt gegen Menschen, die selbst schuldig geworden sind. Zum Beispiel gegen Vergewaltiger oder Mörder, die gerade jemanden töten wollen. Hier sagen wir oft, dass Gewalt gerechtfertigt sein kann, beispielsweise als Notwehr.
Einige der Berichte, die wir gelesen haben, passen genau in dieses Muster. So wird beschrieben, dass ein König Israel überfiel und töten wollte. Die Israeliten beteten, Gott gab ihnen Macht, und sie konnten sich verteidigen, indem sie ihre Angreifer töteten. Das ist eine Kriegssituation, in der man selbst angegriffen wird und sich verteidigt. Das würden die meisten von uns heute noch als legitim ansehen.
Natürlich kann man unterschiedlich beurteilen, wie lange man die Feinde bekämpfen soll. Persönlich neige ich dazu, sie so lange zu verfolgen, bis sie dich in Ruhe lassen, und dann ist Schluss. In der Bibel finden wir aber auch Stellen, die sagen: „Lass sie nicht laufen, sondern bring sie um.“ Die Begründung lautet, wenn du das nicht tust, sind sie ein Stachel in deinem Fleisch. Sie warten nur, bis sie stark genug sind, um dich erneut anzugreifen. Wenn sie dich töten wollen, solltest du sie lieber ausschalten, damit du in Zukunft keine Probleme mehr bekommst.
Übertragen auf die Nazis würde das bedeuten: Wir bekämpfen sie, bis sie keine Lust mehr haben, und dann lassen wir sie in Ruhe. Hätte Hitler gewartet, bis alle weg sind, hätte er wahrscheinlich wieder aufgerüstet. Hartnäckige Diktatoren lernen oft nicht dazu. Ein Beispiel ist Saddam Hussein im Irak. Er erhielt mehrfach Mahnungen von der UNO und war im Golfkrieg besiegt worden. Doch danach rüstete er wieder auf, entwickelte Biowaffen und tötete viele Tausend Kurden sowie eigene Leute. Manche würden sagen, man hätte ihn besser gleich absetzen, einsperren oder töten sollen, um die späteren Opfer zu verhindern.
Das ist ein Beispiel aus der Gegenwart. Manche von uns würden sagen, diese Art von Gewalt ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar.
Dann gibt es noch Fälle, die die Bibel als besonders schwerwiegend beschreibt. Das sind Menschen, die nicht nur andere angreifen, sondern schwere Schuld auf sich laden. Zum Beispiel solche, die andere quälen oder unterdrücken. Bei den Kanaanitern war es häufig, dass sie Menschenopfer brachten, manchmal sogar kleine Kinder verbrannten – für Götter wie Moloch oder Baal. Das galt als schlimm und sollte nicht passieren.
An einigen Stellen lesen wir, dass Gott solche Völker aus dem Land vertrieben hat, weil sie diese Opferpraktiken durchführten. Zum Beispiel steht im 5. Mose 18, dass sie ihre Kinder durchs Feuer gehen ließen. Das war eine Art Kinderopfer, um Gott gnädig zu stimmen.
Im Alten Testament gibt es nur eine Ausnahme, nämlich die Geschichte von Abrahams Sohn, bei der Gott Abraham prüft. Doch das war ein Test, und das Kind wurde nicht getötet. In der Bibel ist Menschenopfer grundsätzlich verboten.
Andere Völker hingegen praktizierten solche Opfer. Ebenso wird beschrieben, wie sie Gottes Gebote massiv übertraten. Das sehen wir zum Beispiel bei Sodom und Gomorra. Gott verhandelt sogar mit Abraham, weil er die Städte vernichten will. Abraham bittet, die Städte nicht zu zerstören, wenn dort hundert Gerechte leben. Gott stimmt zu. Später reduziert Abraham die Zahl auf fünfzig, dann auf zehn Gerechte. Selbst um dieser zehn Willen wäre er bereit, keine Gewalt anzuwenden.
Hier zeigt sich ein Charakterzug Gottes im Alten Testament: Er will nicht Gewalt um jeden Preis, sondern zeigt Geduld und gibt Menschen Chancen zur Umkehr. Nur am Ende, als keine Gerechten mehr da waren, wurde Gewalt angewandt.
Als die Engel in Sodom ankommen, um Lot zu warnen, wollen die Einwohner die Engel homosexuell vergewaltigen. Das wird im Text beschrieben mit dem Wort „erkennen“, das im Alten Testament oft für Sexualverkehr steht. Die Männer fordern: „Gebt sie uns heraus, damit wir sie erkennen!“ Das zeigt, wie schlimm es dort zuging. Daraufhin vernichtet Gott die Stadt.
Diese Menschen sind vor Gott massiv schuldig geworden. An anderer Stelle lesen wir, dass Gott 400 Jahre Geduld mit den Kanaanitern hatte – genau die Zeit, in der Israel in Ägypten war. Er vernichtete das Land nicht, um ihnen eine Chance zur Umkehr zu geben. Einige kehrten tatsächlich um, wie in Ninive. Dort kündigte Gott Gericht an, doch als die Menschen bereuten, geschah nichts. Sie lebten weiter in Frieden.
Das zeigt: Immer wieder gibt Gott Menschen eine Chance. Die Beispiele, die ich gelesen habe, stammen fast alle aus der Zeit der Landnahme, also als Mose und Josua ins Land Kanaan kamen. Dort sind viele krasse Kriege beschrieben. Die Bibel sagt, dass Gott den Völkern 400 Jahre Zeit gab, umzukehren, sie warnte und ihnen Chancen gab. Sie nutzten diese Chancen nicht.
Manche würden großzügig sagen: „Gib ihnen doch noch hundert Jahre.“ Doch die Frage ist, wer entscheidet letztlich? Ist nicht irgendwann diese ewige Geduld eher schädlich, weil wir dann mitverantwortlich sind für das weitere Leid?
Es gibt Fälle, die uns heute Kopfzerbrechen bereiten. Zum Beispiel die Frage: Wie kann man alle Menschen einer Stadt töten, ohne zu unterscheiden, wer schuldig ist und wer nicht? Das klingt absurd.
Im Krieg ist es jedoch oft unrealistisch, lange zu prüfen, wer schuldig ist. Wie willst du jeden Soldaten fragen: „Hast du schon jemanden ermordet?“ Oder: „Bist du einverstanden mit dem Regime?“ Das funktioniert nicht. Auch wenn Frauen Soldaten sind, lässt sich nicht einfach unterscheiden.
In einem Krieg, in dem schnell reagiert werden muss, ist das nicht praktikabel. Nach dem Krieg könnten noch Leute getötet werden, weil eine Art Kollektivschuld angenommen wird. Das erscheint uns heute absurd. Wir sind geprägt von der Aufklärung, die sagt: Jeder ist für sich selbst verantwortlich und wird nur für das bestraft, was er selbst getan hat.
Doch so ganz realistisch ist das nicht. Manche denken umgekehrt. Ein Beispiel: Bei einer Weltmeisterschaft sagt ein Fußballfan nach dem Sieg: „Wir haben gewonnen!“ Dabei haben viele Zuschauer gar nicht gespielt oder ein Tor geschossen. Dennoch fühlen sie sich als Teil des Erfolgs.
Das zeigt, dass wir Menschen nicht nur Individuen sind. Wir wollen auch mal auf die Schulter geklopft werden, auch wenn wir nichts persönlich geleistet haben. Ähnlich ist es bei der Olympiade: Menschen identifizieren sich mit den Sportlern, auch wenn diese vielleicht gar nicht aus dem Land stammen, sondern erst eingebürgert wurden.
Ich will nichts dagegen sagen, wenn ihr begeistert seid und sagt: „Wir haben gewonnen.“ Aber das verdeutlicht, dass wir einer Gruppe angehören wollen – den Ruhm teilen, aber nicht die Strafe.
Nach deutschem Recht gibt es sogar die Regel, dass man mitverurteilt wird, wenn man einer kriminellen Vereinigung angehört, auch wenn man selbst nichts Böses getan hat. In der Forschung zu Familienkonstellationen zeigt sich, dass Menschen oft von ihrer Gruppe geprägt sind und mitverantwortlich werden.
Ein Beispiel aus der Bibel: Als die Stadt Ai erobert wurde, stahl Achan einige Schätze, obwohl es verboten war. Er und seine ganze Familie wurden getötet. Auf den ersten Blick war nur Achan schuldig. Doch damals wusste die ganze Familie davon, und alle profitierten davon. Deshalb galt die Strafe für alle.
Manchmal ist jemand, der unschuldig erscheint, nicht wirklich unschuldig, sondern Teil der Gruppe. Nicht nur die Männer, die das Schwert führten, sondern auch die Frauen, die ihre Männer anstachelten oder vom Raub profitierten. Frauen waren in der Geschichte nicht immer friedlich. Manchmal haben sie Kriege angestachelt.
Beispiele sind Katharina die Große in Russland, die ihre Liebhaber töten ließ und Kriege mitinitiierte, oder Margaret Thatcher in England, die als „Eiserne Lady“ den Falklandkrieg führte. Frauen waren also nicht immer nur lieb und nett.
Deshalb ist es auch etwas merkwürdig, wenn man sagt, nur Männer dürften getötet werden, nicht aber Frauen. Bei damaligen Schlachten war das ganze Volk beteiligt.
Die Frage nach den Kindern ist ebenfalls schwierig. Heute wissen wir, dass Kinder stark von ihrer Familie geprägt werden – positiv wie negativ. Bildungsstudien zeigen, dass Kinder aus bildungsorientierten Familien bessere Chancen haben, Abitur zu machen und zu studieren, als Kinder aus bildungsfernen Familien.
Es gibt Familien, in denen Sozialhilfe über Generationen weitergegeben wird, weil die Eltern und Großeltern nie gearbeitet haben und das auch nicht kennen. Alkoholikerkinder haben eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, selbst Alkoholiker zu werden.
Es ist eine Illusion zu glauben, ein kleines Kind sei vollkommen unberührt von seiner Umgebung. Kinder werden mitbestimmt von der Umwelt, in der sie aufwachsen, von der Familie, die sie prägt.
Deshalb gibt es in der Bibel auch Hinweise, dass Kinder mitgetötet werden sollten. Die Begründung lautet, diese Kinder würden später genauso werden wie ihre Eltern. Gott wusste sogar, was aus ihnen werden würde, und warnte sein Volk, entsprechend zu handeln.
Den Israeliten hat das Töten der Kinder keinen Spaß gemacht. Sie haben es oft nicht getan, und später mussten sie den bitteren Preis zahlen. Ein Großteil Israels war ständig in Kämpfen mit den Kanaanitern, die noch im Land waren. Diese ständigen Auseinandersetzungen und die Vermischung mit Abgötterei und unmoralischem Leben führten zu großem Leid.
Gott wollte Israel davor bewahren, aber sie haben sich verführt und nicht nach Gottes Ordnungen gelebt. Das zeigt, dass Gewalt nicht einfach ist. Gott will keine Gewalt, aber er ist in manchen Situationen realistisch.
Wir leben heute in Deutschland, wo wir seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Krieg mehr hatten. Wir haben einen sicheren Staat mit Bundesgrenzschutz, Polizei und Verfassungsschutz, die Gewalt ausüben, um Terroristen festzunehmen, bevor sie Anschläge verüben. Deshalb können wir in Frieden leben – dank eines gewissen Maßes an Gewalt im Land und außerhalb.
In Ländern, die Krieg erlebt haben, denken die Menschen oft anders über Gewalt. Manche sehnen sich regelrecht danach, dass andere eingreifen und Gewalt anwenden, damit es ihnen besser geht. Ein Beispiel ist der Libyen-Konflikt. Die Aufständischen baten Europa und Amerika, ihnen zu helfen, damit Gaddafi sie nicht umbringt.
Für uns ist das schwer vorstellbar. Wir würden eher sagen: „Friede, lasst ihn in Ruhe.“ Doch ohne Eingreifen hätte Gaddafi viele Menschen getötet, wie viele Diktatoren vor und nach ihm. Die Menschen waren hinterher dankbar für die militärische Unterstützung, auch wenn dabei viele ihres Landes starben.
Man kann sagen: „Ich finde Krieg blöd“ oder „Ich bin gegen jeden Krieg.“ Aber die Frage ist, ob diese Haltung christlich motiviert ist oder eher menschlich, weil wir selbst nie in Kriegssituationen waren.
Menschen, die mit Gewalt aufwachsen, sehen das oft anders. Manchmal braucht es Gewalt, um das Böse in Schach zu halten und schlimmeres Leid zu verhindern.
Die Bibel zeigt klar, dass Gewalt keine Dauerlösung ist. Als Gott die Welt schuf, war sie gewaltfrei. Gott verheißt, dass in der Ewigkeit, wenn der eigene Wille der Menschen, die gegen Gott sind, keine Rolle mehr spielt, keine Gewalt mehr nötig sein wird. Dann werden alle nur noch Frieden haben.
In Gottes neuer Welt werden alle Tränen abgewischt, alles Leiden endet, und es wird keinen Krieg mehr geben.
Auch wenn Gott im Alten Testament Gewalt rechtfertigt oder anordnet, ist sie immer nur eine vorübergehende, zeitlich begrenzte Lösung – eine Ultima Ratio, wenn keine andere Lösung möglich scheint. Manchmal soll zukünftiges Leid verhindert, ein Exempel statuiert oder jemand bestraft werden. Manchmal darf sich auch jemand verteidigen.
Wenn wir die einzelnen Fälle im Alten Testament betrachten, stellen wir fest, dass Gewalt dort nicht übermäßig ist und meistens eine Begründung hat. Diese Begründungen können wir heute vielleicht nicht mehr teilen, aber wir müssen uns überlegen, ob unsere Beurteilung allgemein gültig ist oder zeitlich und kulturell begrenzt.
Gott will am Ende Gewalt beenden. Die Aufforderung zur Gewalt im Alten Testament gilt nicht für uns Christen heute. Nirgendwo steht dort, dass man „alle Ungläubigen töten“ oder „jeden, der dir auf die Nerven fällt, erschlagen“ soll. Gewalt war damals nur in einem bestimmten historischen Rahmen erlaubt.
Jesus sagt sogar: „Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen.“ Er fordert auf, das Schwert wegzustecken.
Das, was wir im Alten Testament lesen, ist eine Beschreibung historischer Abläufe vor etwa 3000 Jahren. Dort wird erklärt, warum Gott in dieser Situation bestimmte Gewalt gerechtfertigt hat.
Wir sehen aber auch, dass Gott bei Umkehr und Reue die Gewalt beendet hat. Es ging nie um Gewalt um jeden Preis, sondern nur soweit nötig.
Für uns heute gibt es keine Aufforderung, gewalttätig zu sein. Die Herausforderung bleibt: Vertraue ich Gott? Gestehe ich ein, dass meine Urteile nicht immer perfekt sind? Wenn Gott damals den Krieg angeordnet hat, war es vielleicht richtig.
Das ist eine Vertrauensaussage, ähnlich wie ein Soldat seinem General vertraut, wenn er sagt: „Da sind die feindlichen Panzer, beschießt sie!“ Man kann dem General misstrauen, aber bei Gott sollten wir zumindest in Erwägung ziehen, dass er gute Gründe hat.
Im Alten Testament steht auch: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ und „Liebe Gott über alles“. Das kommt nicht erst durch Jesus, sondern ist schon dort vorhanden.
Dort steht auch, dass man den Fremden in den Mauern nicht schlecht behandeln, sondern unterstützen soll. Wenn der Feind mit seinem Esel vorbeikommt und dieser zusammenbricht, sollst du helfen und die Last tragen.
Das zeigt, dass Gott kein Gott des Bösen ist, wie manche Atheisten oder Muslime behaupten. Er will das Gute für die Menschen, weiß aber, dass es Situationen gibt, in denen das Gute nicht direkt erreicht werden kann. Manchmal sind Menschen unverbesserlich, und dann rechtfertigt Gott Gewalt.
Das ist eine Herausforderung für uns.
Gott ist im Alten Testament kein Pazifist, aber auch kein Verfechter von Gewalt um jeden Preis. Manche Stellen wirken uns heute seltsam, beispielsweise wenn alle getötet werden sollen – Männer, Frauen und Kinder. Ich habe mögliche Hintergründe genannt, die das verständlicher machen können.
Es geht nicht darum, dass wir heute zum Töten aufgefordert werden. Es geht darum, ob wir mit dem, was in der Bibel steht, leben können und trotzdem sagen: Gott ist gerecht, auch wenn er das angeordnet hat.
Es gibt keine Aufforderung für heute, jeden umzubringen, der nicht ins Konzept passt.
An dieser Stelle mache ich Schluss. Das war ein Überblick zum Thema. In den nächsten Wochen wird es weitergehen mit anderen Aspekten von Leid und Gewalt.
Ich freue mich, wenn jetzt Fragen gestellt werden – möglichst gleich hier –, etwa wenn etwas näher erklärt werden soll oder wenn jemand anderer Meinung ist. Es ist besser, Fragen jetzt zu klären, als sie mit nach Hause zu nehmen.
Hier haben wir mehr Leute, die darüber nachdenken können, und eine größere Chance, eine Lösung zu finden. Beiträge, Rückfragen oder andere Meinungen sind herzlich willkommen.
Todesstrafe und Strafrecht im Alten Testament
Im Alten Testament hat Gott durch Mose die Todesstrafe angeordnet. Es gab verschiedene Vergehen, die mit der Todesstrafe geahndet werden sollten. Das bekannteste davon, das auch heute noch in vielen Ländern praktiziert wird, ist Mord.
In den Zehn Geboten wird oft falsch übersetzt „Du sollst nicht töten“. Eigentlich heißt es „Du sollst nicht morden“. Gott hat also nicht verboten, einem Menschen das Leben zu nehmen. Er hat nur gesagt, dass man es nicht aus eigensüchtigen oder niedrigen Motiven tun darf. Wenn es jedoch einen guten Grund gab, zum Beispiel bei einem Schwerverbrecher, dann durfte man diesem sogar das Leben nehmen.
Man kann sich die Frage stellen, warum das so war. Ein wichtiger Punkt ist, dass es zur Zeit des Alten Testaments keine Gefängnisse gab. Wenn man nachliest, stellt man fest, dass es keine Gefängnisstrafe als solche gab. Leute wurden nur kurzzeitig gefangen gesetzt, bis der Prozess lief.
Heute gibt es viele Menschen, die an der Wirksamkeit von Gefängnisstrafen zweifeln. Auch Rechtswissenschaftler sind skeptisch, weil das Ergebnis häufig ist, dass viele Straftäter nach einigen Jahren wieder freikommen. Ich habe mit Leuten gesprochen, die im Strafvollzug arbeiten. Sie sagen, dass die meisten Gefangenen nach einer gewissen Zeit wieder draußen sind und oft ihr Leben lang immer wieder straffällig werden.
Man merkt also, dass Gefängnisstrafen oft nicht wirken. Manchmal bewirken sie sogar das Gegenteil: Die Gefangenen werden schlimmer, weil sie dort den „richtigen Knackis“ begegnen, die harten Kerle. Von ihnen lernen sie und sind ständig mit ihnen zusammen. Nach der Entlassung kennen sie kaum andere Menschen und suchen deshalb wieder die Nähe zu diesen Leuten. So geraten sie erneut in kriminelle Kreise.
Das war eine der Ursachen, warum es im Alten Testament keine Gefängnisse gab. Stattdessen gab es entweder Geldstrafen oder Körperstrafen. Geldstrafen bedeuteten, dass man dem Geschädigten eine Wiedergutmachung zahlen musste. Körperstrafen konnten auch die Todesstrafe umfassen.
Ich habe auch gesagt, dass der Tod damals nicht als das Allerschlimmste angesehen wurde. Der Gedanke war: Wenn du zu Gott kommst und gerettet bist, dann ist deine Zeit auf der Erde nur verkürzt worden, damit du nicht erneut jemandem Böses tun kannst.
Außerdem sollte die Todesstrafe auch eine Art Genugtuung für die Angehörigen des Ermordeten sein. Die Emotion dahinter ist: „Da hat jemand mich ermordet, und der geht einfach so ohne großen Schaden aus.“ Das empfinden viele Menschen, besonders die Betroffenen, als ungerecht. Fragt man jemanden, dessen Kind grausam umgebracht wurde, sagen fast alle, dass sie es ungerecht finden, wenn der Täter einfach auf freien Fuß gesetzt wird.
In Deutschland zum Beispiel kann es bei einem Mord, je nach Fall, sein, dass ein Ersttäter fünf oder sechs Jahre im Gefängnis bleibt. Viele empfinden das als zu wenig und als ungerecht.
Natürlich gibt es heute große Probleme bei der Ausübung der Todesstrafe, was hier aber nicht das Thema ist. Die Gefahr besteht, dass jemand verurteilt wird, der eigentlich unschuldig ist. Deshalb ziehen sich die Prozesse in den USA oft jahrelang oder sogar jahrzehntelang hin. Es gibt viele Überprüfungen und Eingaben, weil man nie hundertprozentig sicher sein kann.
Im Alten Testament gab es also die Todesstrafe im Auftrag von Mose, also von Gott. Es wurde festgelegt, dass unter bestimmten Umständen das Leben genommen werden sollte. Dabei wird auch genau beschrieben, wann jemand getötet werden darf und wann nicht.
Ein Beispiel: Wenn du aus Versehen jemanden getötet hast, zum Beispiel weil du deine Axt nicht richtig festgemacht hast und sie dann jemand anderen tödlich verletzt, solltest du nicht getötet werden. Das gilt als fahrlässige Tötung.
Nur wenn du mit Vorsatz und aus niedrigen Motiven einen anderen Menschen getötet hast, sollte dein Leben beendet werden. Vorausgesetzt, es gibt zwei oder drei Zeugen, die eindeutig nachweisen können, dass du es getan hast.
Auch in der Bibel war man sich bewusst, dass es falsche Anklagen geben kann. Wenn du zum Beispiel deinen Nachbarn nicht magst und behauptest, er habe jemanden ermordet, obwohl das nicht stimmt, dann müssen dafür Zeugen vorliegen. Das war im Alten Testament schon klar geregelt.
War das so in etwa das, was du wissen wolltest? Oder gibt es noch etwas Spezifisches? Wenn es noch Fragen, Anmerkungen oder Kritik gibt, kann man das gerne noch genauer besprechen.
Mennoniten und Pazifismus im historischen Kontext
Nicht, nicht! Ich möchte auch an die großartigen Franzisten aus erster Linie erinnern. In der Zeit, in der Gewalt noch richtig erlaubt und üblich war, haben die Franzisten unter den Bauern eine bemerkenswerte Position eingenommen. Wie sieht das bei dem aus, der jetzt gegründet hat? Kann man das heute noch ethisch vertreten? So, Frau Präsidentin!
Zunächst möchte ich sagen: Für alle, die einen mennonitischen Hintergrund haben, seid froh und stolz darauf. Die Mennoniten haben hier viel Positives geleistet und getan, das muss man ganz deutlich sagen. Schon allein dadurch, dass sie sich aus vielen nutzlosen Streitereien herausgehalten haben, haben sie weniger Schuld auf sich geladen. Auch das ist sehr positiv. Deshalb ist es auf jeden Fall gut, nach Frieden zu streben und eine pazifistische Motivation zu haben. Das ist eine Grundvoraussetzung.
Mit dem Pazifismus der Mennoniten in der Realität sieht es allerdings nicht ganz so schön aus, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn ganz so lieb und nett waren die Mennoniten auch nicht immer. Zum Teil haben sie in Russland zum Beispiel andere, nämlich Nicht-Mennoniten, als Angestellte beschäftigt, die dann für sie gekämpft haben. Das war natürlich nicht ganz friedlich. Es gibt heute auch Mennoniten, die durchaus befürworten, zum Militär zu gehen. Die Auffassung der Mennoniten ist heute etwas weit gefächert.
Gewalt bedeutet, wie ich gesagt habe, nicht nur, jemanden zu töten. Ihr könnt jetzt sagen: Gibt es keinen Mennoniten, der einen anderen mal geschlagen, beschimpft oder die Tür vor den Kindern zugeschlossen hat? Natürlich gibt es die. Auch das ist Gewalt. Gewalt beginnt nicht erst beim Töten, sondern schon viel früher.
Wie sieht das nun aus? Ich habe euch ja deutlich gesagt, dass im Alten Testament keine Aufforderung steht, dass wir als Christen heute Gewalt ausüben sollen. Das habe ich mehrfach betont. Das heißt aber nicht, dass Gott generell keine Gewalt ausübt. Das finden wir ja sogar im Neuen Testament. Dort heißt es nicht, dass wir uns selbst rächen sollen, sondern dass Gott derjenige ist, der Rache übt oder Strafe gibt. Gott wird Strafe geben, das ist im Neuen Testament ganz klar.
Ein Beispiel sehen wir in der Rede Jesu: Jesus war kein Pazifist im Sinne von Gewaltlosigkeit. Am Ende der Zeiten wird er wiederkommen und alle Menschen richten. Dann wird er zu den einen sagen: Du bist gerettet, und zu den anderen: Du gehst verloren, du bist ewig von Gott getrennt. Das ist nicht pazifistisch, denn der Ort der Trennung von Gott wird als etwas sehr Schlechtes beschrieben.
Oder Jesus selbst, der die Geißel nimmt und die Händler aus dem Tempel vertreibt – das ist nicht unbedingt pazifistisch. Ich will nicht sagen, dass wir das heute genauso machen müssen. Wir müssen unterscheiden: Christen sind in ihrem Privatleben und ihrer Verantwortung zum Frieden aufgerufen. Das finden wir ganz deutlich in der Bergpredigt: Segnet die euch fluchen, betet für die, die euch verfolgen, und so weiter. Das ist unser Auftrag für unser privates Leben und den Gemeindealltag.
Dieser Pazifismus ist also da, aber er ist nicht im Alten Testament zu finden. Das ist auch nicht das Problem, wenn wir fragen, warum Gott an anderer Stelle Gewalt geübt oder befohlen hat. Das hat er getan, und das können wir nicht einfach wegreden. Aber an anderer Stelle hat er diejenigen, die Jesus nachfolgen wollen, zur Friedfertigkeit aufgerufen.
Ich möchte hier nicht die ganze Frage verhandeln, ob wir heute Gewalt ausüben dürfen oder nicht. Das ist eine ganz andere Frage. Deshalb will ich mich hier nur auf die Gewalt im Alten Testament beziehen.
Wir können auch zu Recht fragen: Darf ein Christ heute zum Wehrdienst gehen? Darf ein Christ Polizist oder Steuerbeamter werden? Denn auch Steuerbeamte üben eine gewisse Gewalt aus – zwar keine Tötungsgewalt, aber dennoch Gewalt. Wenn ein Hab und Gut gepfändet wird oder jemand sein Haus verliert, ist das auch Gewalt. Steuerbeamte sind dabei, ebenso Zollbeamte. Manche Lehrer üben auch eine Form von Gewalt aus. Wie sieht es aus, wenn ein Lehrer sagt: Du musst die Hausaufgaben machen, oder du wirst nicht durchgelassen? Auch das ist eine Form von Gewalt.
Ihr meint wahrscheinlich körperliche Gewalt bis hin zum Tod. Aber selbst da müssen wir genau definieren, welche Gewalt wir meinen. Selbst bei der Todesstrafe gilt: Die Aufforderung ist, dass sich Christen nicht selbst rächen sollen. Sie sollen keinen anderen schlagen oder töten. Das ist etwas anderes als das, was im Alten Testament dem Volk Israel in einer bestimmten historischen Situation aufgetragen wurde.
Am Ende komme ich noch einmal auf den Anfang zurück: Wenn ihr Mennoniten seid oder welche als Vorfahren habt, seid stolz darauf. Sie haben viel Gutes getan und manche Fehler nicht gemacht, die andere gemacht haben. Das allein war schon gut.
Ich weiß nicht, ob das ganz befriedigend war. Sonst müssten wir noch einmal ein Seminar machen: Soll ein Christ heute Gewalt ausüben, und wenn ja, in welchem Rahmen und wie viel? Das ist ein eigenes Thema.
Hier ging es mehr um den apologetischen Hintergrund, also um die Frage, inwiefern wir Gott noch vertrauen können und inwiefern Gott gerecht ist, wenn er im Alten Testament Gewalt anordnet oder selbst ausübt.
Habt ihr noch Fragen, Anmerkungen, Kritik oder andere Meinungen? Ihr habt sicher gemerkt, ich bin friedlich hier und mache niemandem etwas. Wenn ihr eine andere Meinung habt oder etwas sagen wollt, ist das kein Problem.
Ich schätze es, dass ihr heute nicht streitlustig seid. Dann höre ich an dieser Stelle auf. Falls ihr noch persönliche Fragen zu einzelnen Bibelstellen habt oder sagt, das hat mich nicht überzeugt und ich möchte mehr dazu hören, könnt ihr euch gerne an mich wenden. Ich werde noch eine Weile hierbleiben. Einige der Bücher habe ich hier, wie ich gesagt habe. Wer gerne ab und zu bei Facebook etwas von mir hören möchte, kann sich dort auch bei mir melden.
Dafür übergebe ich jetzt das Wort wieder an den, der heute Abend dran ist.