Gesunde Lehre, gesunde Grenzen: Nachfolge als Marathon
Theologie, die dich im Glauben wachsen lässt. Nachfolge praktisch – dein geistlicher Impuls für den Tag.
Mein Name ist Jürgen Fischer, und heute geht es um die Geschwister in der Gemeinde.
Erkenntnisse zum langen Glaubensweg und Ausharren
Das Leben ist länger, als ich erwartet habe. So würde ich meine persönliche Erkenntnis aus den letzten Jahren, also der Zeit ab fünfzig, beschreiben.
Eine zweite Einsicht war, dass in der Bibel mehr über Ausharren steht, als mir lieb ist. Ein Thema wie Ausharren oder die Aufforderung, nicht müde zu werden und nicht zu ermatten, wird ja nicht vom Heiligen Geist inspiriert, weil es mit mir nie etwas zu tun hätte. Auch der Herr Jesus formuliert durchaus provokant: Gewinnt euer Leben durch Ausharren!
Ich muss mir also wohl oder übel als älter werdender Christ Gedanken darüber machen, wie das geht: ausharren, nicht müde werden, nicht ermatten.
In diesem Zusammenhang spielen gesunde Grenzen eine wichtige Rolle. Grenzen, die mein Leben bewusst abschirmen gegen Erwartungen, von denen ich denke, dass sie mir nicht guttun. Nicht guttun im Hinblick auf ein Leben, das ein Marathon ist und auch in zehn oder zwanzig Jahren noch für den Herrn Jesus brennen will.
Herausforderungen in der Gemeindeleitung und Umgang mit Erwartungen
Nachdem ich euch gestern von meinem Kampf um eine romantische, erfüllende Ehe erzählt habe – ein bisschen in die Richtung „My home is my castle“ – soll es heute um die Erwartungen von Geschwistern gehen.
Als Gemeindemitarbeiter und vor allem in Leitungsverantwortung werde ich schnell als die eierlegende Wollmilchsau angesehen. Als jemand, der alles kann und sofort alles tun muss. An dieser Stelle sage ich ganz bewusst: Nein, ich kann nicht alles. Ich muss erst einmal gar nichts und lasse mich nicht manipulieren.
Ich formuliere das bewusst scharf, weil der Umgang mit Leitenden oft von einem Grad an Unhöflichkeit, übertriebener Erwartungshaltung und Respektlosigkeit geprägt ist. Deshalb verstehe ich jeden, der nach ein paar Jahren Gemeindeleitung bitter wird oder zum Zyniker.
Niemand, wirklich niemand, kann die Ansprüche einer Gemeinde an ihre Leitung vollständig erfüllen. Und oft genug sind sich die Geschwister selbst nicht einmal ihrer Verantwortung gegenüber der Leitung richtig bewusst.
Die biblische Perspektive auf Leitung und Gemeinschaft
Paulus formuliert in 1. Thessalonicher 5,12-13:
Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die anerkennt, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen. Und dass ihr sie ganz besonders in Liebe achtet, um ihres Werkes willen. Haltet Frieden untereinander.
Ich mag diese beiden Verse sehr. Sie zeigen, dass diejenigen, die sich reinhängen, ihre Freizeit opfern, sich Gedanken machen und bereit sind, Sünde offen anzusprechen, besonders in Liebe geachtet werden sollen. So sieht Gottes Idee aus.
Aber seit der Zeit der Apostel sieht die Realität oft anders aus. Unterordnung, Mitmachen und ganz besonders in Liebe achten – das sind die Dinge, vor denen sich viele gerne drücken. Viel mehr geschätzt wird es, zu meckern, Forderungen zu stellen und sich beleidigt zurückzuziehen.
Liebe zur Gemeinde trotz Herausforderungen
Und damit mich niemand falsch versteht: Ich liebe Gemeinde. Ich liebe, was Gott liebt, und bringe mich mit viel Kraft in meine lokale Ortsgemeinde ein. Genau das sollte jeder Christ tun.
Ich finde es ganz schrecklich, dass Corona dazu geführt hat, dass sich Geschwister aus Diensten zurückgezogen haben. Gerade jetzt braucht es doch mehr und nicht weniger, die mitmachen.
Ich liebe Gemeinde. Aber es ist eine Realität in meinem Leben, dass ich jedes Jahr an den Punkt komme, an dem ich aus Frust über den Umgang von Geschwistern untereinander oder mit mir die Stellenanzeigen durchschaue, ob irgendwo vielleicht ein netter Pastorenjob frei ist. Ich mache das tatsächlich jedes Jahr. Das ist kein Scherz.
Es ist meine Art, Dampf abzulassen, bevor ich dann in den Wald gehe, um Gott mein Leid zu klagen und meine Sorgen dort abzugeben, wo sie hingehören.
Gesunde Grenzen setzen als Schutz vor Überforderung
Mitarbeit in der Gemeinde ist nicht einfach. Da unser Thema heute „gesunde Grenzen“ lautet, soll es darum gehen, wie ich mich gegen die Ansprüche abgrenze, mit denen man mich als Teil der Leitungsmannschaft in einer Gemeinde bedrängt und auch manipulieren will.
Wie mache ich das? Drei Punkte:
1. Respekt und Liebe einfordern
Erstens fordere ich Respekt, Höflichkeit und Liebe ein. Ich beschreibe meine Grenzen und bestehe darauf, dass sie ernst genommen werden.
Der Apostel Paulus schreibt: „Liebe benimmt sich nicht unanständig.“ Wenn wir als Christen an der Liebe untereinander erkannt werden sollen, dann darf ich auch auf einen Mangel an Liebe hinweisen.
Ich persönlich denke, dass niemand, der lieblos mit Geschwistern umgeht, das Recht hat, in der Gemeinde mitzureden.
2. Eigene Möglichkeiten und Grenzen klar kommunizieren
Zweitens beschreibe ich sehr klar meine Möglichkeiten und meine Grenzen.
Ein persönliches Beispiel: Bitte erwarte von mir nicht, dass ich zu jedem Gemeindeglied einen engen Kontakt halte. Man kann mir völlig zu Recht vorwerfen, dass ich kein guter Hirte bin. Ich bin das nicht in dem Sinn, dass ich mich regelmäßig bei Geschwistern melde, mit ihnen Kaffee trinke oder mir ihre Probleme anhöre. Das tue ich nicht, und das bin ich nicht.
Ich kann dir die Bibel erklären und dein Leben analysieren. Wenn du diese Gaben brauchst, dann bin ich dein Mann. Aber wenn du Streicheleinheiten brauchst, dann such dir bitte jemanden mit der Gabe der Barmherzigkeit. Deshalb sind wir im Leib Christi ja unterschiedlich.
Ich werde für dich beten. Ich werde dir durch meine Predigten Stoff zum Nachdenken und zum Wachsen geben. Ich bin dein Notfallplan, wenn du nicht mehr weiterweißt. Aber ich bin definitiv zu sprunghaft, zu wenig einfühlsam und zu vergesslich, um ein zärtlicher Seelsorger zu sein.
Soweit ich die Bibel verstehe, ist das auch in Ordnung. Ich muss nämlich nur mit meinen Talenten wuchern und die Gaben einsetzen, die ich habe.
3. Schwächen in der Gemeinde verstehen und tragen
Dritter Punkt: Ich mache mir klar, dass Gemeinde sehr oft eine Gemeinschaft von Schwachen ist. Diese Schwachen haben ernste emotionale Probleme, die sie nicht an der Tür zum Gemeindehaus ablegen.
Wer in einer gestörten Familie aufwächst, neigt dazu – und zwar unbewusst –, den Menschen, denen er begegnet, bestimmte Rollen zuzuweisen. Mit diesen Rollen lässt er den Schmerz und die Situation seiner Ursprungsfamilie von Neuem entstehen.
Deshalb sind Verantwortungsträger in Gemeinden oft wie wandelnde Zielscheiben für schwache Menschen. Diese sehen in ihnen einen Vater- oder Mutterersatz, einen Ehepartner oder so etwas wie Gott. Und wehe, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden! Was dann an Zorn über den Leiter ausgegossen wird, ist wirklich schlimm – schlimm, aber normal für schwache Menschen.
Als Leiter muss ich lernen, auch die Schwachheiten der Schwachen zu tragen. Deshalb braucht es stabile Grenzen. Grenzen, die allen in der Gemeinde deutlich machen, was ich erwarte: nämlich einen liebevollen Umgang.
Ebenso wichtig ist, klarzumachen, was ich geben kann – nämlich nicht mehr als das, was ich habe – und was ich nicht sein will: ein Papa- oder Gott-Ersatz.
Einladung zur aktiven Gemeindeteilnahme
Was könntest du jetzt tun?
Wenn du durch Corona aufgehört hast, dich in der Gemeinde einzubringen, und wenn du zu denen gehörst, die denken, dass die Leitungscrew das schon machen wird, dann bitte Gott um Vergebung. Ruf deine Verantwortlichen an und sage ihnen, dass du jetzt wieder dabei bist.
Das war's für heute.
Wenn du mehr Informationen zum Umgang mit Schwachen in der Gemeinde suchst, dann lies das Buch Mut zur Liebe von Hemmfeld, Minnirt und Meyer.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.