
Herzlich willkommen zum Podcast der Eva Stuttgart mit Jörg Lackmann und Thomas Povileit. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zum theologischen Denken anregen.
Es gibt viele Erwartungen – sowohl ausgesprochene als auch unausgesprochene. Besonders in der Gemeinde hört man oft Sätze wie: „Der will Christ sein und macht jetzt so etwas? Das hätte ich von ihm nicht erwartet.“ Andererseits ist es ja auch nicht so, dass wir von Menschen gar nichts erwarten dürfen.
In unserem Podcast geht es um die Frage: Was kann und was soll ich von Christen erwarten?
Thomas, hat schon mal jemand etwas von dir erwartet?
Klar, die Menschen erwarten ständig etwas von mir. Als Mensch habe ich ja verschiedene Rollen. In der Familie bin ich Ehemann und Vater, in der Gemeinde Pastor, im Geschäft Kunde. Überall haben die Leute Erwartungen an mich. Das heißt, sie haben Vorstellungen darüber, was ich tun soll, wie ich mich benehmen soll oder was ich anziehen soll. Manchmal sind Menschen enttäuscht, weil ich etwas nicht so gemacht habe, wie sie es erwartet haben.
Manches können verschiedene Menschen auch zu Recht von mir erwarten. Anderes hingegen kann ich gar nicht leisten. Und um ehrlich zu sein: Manches will ich auch gar nicht tun, selbst wenn ich weiß, dass der andere es von mir erwartet.
Wann werden Erwartungen für dich zu Belastungen oder Herausforderungen?
Auch wenn Erwartungen unausgesprochen bleiben, sind sie manchmal stressig für mich. Ich ahne, dass jemand etwas von mir erwartet, das vermute ich, aber ich weiß es nicht wirklich.
Erwartungen werden für mich auch dann zur Herausforderung, wenn ich Dinge nur für den anderen mache, obwohl ich selbst nicht davon überzeugt bin, sie tun zu müssen.
Hast du dafür ein Beispiel? In diese und andere Richtungen kann man sich das vorstellen.
Ja, ich habe ein Beispiel. Ich war Redner auf einer Konferenz. Am liebsten hätte ich mich einfach in ein Polo-Shirt gehüllt – natürlich ein ordentliches Polo-Shirt. Doch jemand, der zu den Organisatoren gehörte, machte mir deutlich, dass ich dort in einem Hemd auftreten soll.
Das löste einen kurzen inneren Kampf in mir aus. Schließlich sagte ich: „Also gut, wenn ihm das gefällt, mache ich das für ihn.“ Obwohl ich persönlich das nicht für so wichtig hielt.
Als mein Vortrag zu Ende war, dachte ich: „Na wenigstens ist dieser Zuhörer jetzt mit meinem Outfit zufrieden.“ Doch sein Kommentar war: „Ja, eine Krawatte wäre auch gut gewesen.“
Wow. Hat er Recht? Du weißt ja: 70 Prozent des Heiligen Geistes sind die Krawatte. Das weiß ich nicht, ob das heute noch so ist.
Ich weiß nur, dass es mich damals geärgert hat. Ich hatte ja versucht, seine Erwartungen zu erfüllen – und das war für ihn nicht genug.
Das war für mich ein typisches Beispiel, wie stressig es sein kann, die Erwartungen anderer zu erfüllen.
Manchmal bin ich ganz froh, dass ich nicht so einen heißen Draht dafür habe, zu ahnen, was die anderen jetzt von mir wollen. Sehr oft bekomme ich gar nicht mit, was die anderen von mir erwarten.
Wie gehst du denn allgemein mit unausgesprochenen Erwartungen um, wenn du sie mitbekommst?
Wenn ich sie mitbekomme? Naja, es gibt ja Rollen, in denen ich stecke. Und da komme ich, glaube ich, diesen Erwartungen oft unbewusst nach. Sehr oft bekomme ich diese unausgesprochenen Erwartungen aber, wie gesagt, gar nicht mit. Mir fehlt da ein bisschen das sensible Gespür, und deswegen habe ich diesen Erwartungsstress auch nicht so häufig.
Wenn ich sie aber mitbekomme, muss ich ehrlich sagen, dass ich mich manchmal weigere, auf Dinge zu reagieren, die ich nur vermuten muss und bei denen der andere nicht einmal zu mir kommt und sagt: "Das und das erwarte ich von dir." Ehrlich gesagt denke ich mir dann auch manchmal: Wenn es ihm wichtig ist, kann er mir das gerne sagen. Ich spüre das zwar relativ gut, aber es kann ja wohl nicht so wichtig sein, wenn er es nicht einmal ausspricht, oder? Das ist vielleicht ein bisschen eine fiese Argumentation.
Ich meine, ich habe eine Frau, die solche Dinge gut spürt und mir dann auch manchmal sagt, was erwartet wird. Da ist sie wirklich gut drin. Aber ich denke mir dann auch manchmal: Wenn jemand nicht wirklich kommt – auch wenn es wahrscheinlich stimmt, dass der andere etwas erwartet, wenn meine Frau das so sagt –, warum soll ich es dann einfach machen, wenn er es nicht ausspricht? Ich kann mir ja alles Mögliche denken.
Ich habe das Beispiel, das du eben gebracht hast, für mich gerade weitergesponnen: Der hat dir gesagt, zieh doch ein Hemd an. Ich nehme an, ihr habt euch geduzt. Ist aber egal, sonst findet man die Konferenz noch raus, falls es eine Sie ist. Und dann hat er danach gesagt: "Nee, Krawatte hätte noch sein sollen."
Jetzt habe ich mir überlegt: Wenn du Hemd und Krawatte angehabt hättest, hätte er wahrscheinlich gesagt, die Anzugsjacke hätte gefehlt. Könnte sein, ja. Oder sie war nicht dunkel genug, sondern hatte eine fröhliche Farbe und war nicht seriös genug für diesen Tag.
Wenn es nicht ausgesprochen ist – ich meine, woher sollst du das genau wissen bei manchen Dingen? Dann weiß ich es nicht. Vor allem bei diesen Zwischensachen.
Manchmal werden Dinge zu Recht von uns erwartet. Es ist nicht so, dass wir in einer erwartungslosen Welt leben, in der niemand mehr etwas zu sagen hat und jeder tun kann, was er will. Es gibt Menschen, und wir beschäftigen uns im Podcast mit dem Christsein und Christen, die berechtigte Erwartungen an uns haben können.
Gibt es da ein paar Dinge, die dir einfallen würden?
Ich glaube auch, dass es stimmt, dass man Dinge zu Recht von uns erwarten kann. Kürzlich war ich auf einem Treffen unseres Netzwerks „Evangelium für alle“. Dort gab es einen Redner, Andreas Reh, der genau dieses Thema behandelt hat: Was kann man von Christen erwarten?
Das war für mich auch eine Inspiration für diesen Podcast, den wir jetzt machen.
Darf ich kurz fragen, wie er auf dieses Thema gekommen ist?
Er hat den Philemonbrief ausgelegt, und im Rahmen dieser Auslegung kam er auf das Thema. Das heißt, er hat sich von der Bibel her diesem Thema genähert. Es gab keinen anderen Anlass, weswegen er das machen wollte.
Nein, er kam direkt von der Bibel her. Ich nehme einige Gedanken von ihm auf, damit klar ist, dass nicht alles von mir stammt.
Credits an Andreas.
Ja, genau. Paulus hat also den Philemonbrief als Grundlage genommen. Vielleicht ist es gut, vorher ein bisschen Hintergrund zum Philemonbrief zu geben.
Paulus hat diesen Brief geschrieben, weil der Sklave Onesimus von seinem Herrn Philemon weggelaufen war. Wahrscheinlich wurde er geschnappt, und Paulus traf ihn dann im Gefängnis. Gott hat da wirklich Humor: Du versuchst, von deinem Herrn ganz weit wegzulaufen, und am Ende läufst du eigentlich Paulus in die Arme.
Paulus erklärt Onesimus das Evangelium, der Sklave bekehrt sich. Dann stellt Paulus fest: „Hey, der Sklave gehört ja einem guten Bekannten von mir, dem Philemon.“ Das Thema Christ und Sklaverei wäre jetzt ein eigenes Thema, aber das lassen wir hier außen vor.
Genau, dann schickt Paulus Onesimus mit einem Brief zurück zu Philemon. In dem Brief schreibt Paulus an Philemon, dass er erwartet, dass dieser Onesimus wieder aufnimmt und ihn nicht bestraft. Onesimus ist ja Christ geworden. Falls Philemon dennoch irgendeine Strafe verhängt oder Geld von ihm fordert, sagt Paulus, er werde das Geld ihm überweisen, das Onesimus dann schuldig ist.
Paulus hat also eine ganz klare Erwartung an Philemon: Behandle mir den Onesimus gut, bestraf ihn nicht.
Paulus beginnt seine Ausführung mit Vers 4: „Ich gedenke deiner allezeit in meinem Gebet.“ Das heißt, Paulus hat für Philemon gebetet. Er erwartet also etwas von Philemon, betet aber auch dafür, dass Philemon es schafft, Onesimus ohne Groll wieder aufzunehmen.
Deshalb gilt: Bete für das, was du erwartest, damit Gott dem anderen die Kraft gibt, es auch umsetzen zu können. Vielleicht muss Gott mir ja auch klar machen, dass meine Erwartungen ziemlich überzogen sind. Aber wenn meine Erwartungen berechtigt sind, sollte mein Gebet für den anderen der Rückenwind sein, der sein Lebensschiff gerade in diesen Handlungen vorwärts bringt.
Weil wir jetzt die Perspektive gewechselt haben – von dem, was von mir erwartet wird, hin zu dem, was ich von anderen erwarten kann, wenn ich für sie bete – stellt sich die Frage: Was dürfen Menschen von mir erwarten, wenn sie für mich gebetet haben?
Ich bleibe dazu beim Brief an Philemon, genauer gesagt bei Vers 5. Paulus schreibt dort: „Ich habe von deiner Liebe und deinem Glauben gehört.“ Das sind zwei der drei zentralen Eigenschaften, die Christen auszeichnen: Liebe, Glaube und Hoffnung. Diese drei werden in verschiedenen Versen des Neuen Testaments immer wieder genannt. Von mir kann man also vor allem Liebe erwarten. Sie ist das Erkennungsmerkmal dafür, dass ich Jesus nachfolge.
Deshalb muss ich mich immer wieder fragen: Was ist zum Beispiel das Beste für jemanden – nehmen wir den Namen Julian als Beispiel – und wie kann ich ihm helfen, dieses Beste zu erleben? Das kann bedeuten, dass ich mit Julian ein ernstes Wort sprechen muss, weil er zu sehr auf Selbstoptimierung fixiert ist und dabei andere Menschen aus den Augen verliert. Es kann aber auch heißen, ihn in seinen Gaben zu unterstützen oder ihm ganz praktisch zu helfen.
Kurz gesagt: Von Christen kann ich Liebe erwarten.
In meiner Zeit als Mitarbeiter in der Psychiatrie hatten wir einen Patienten, der von sich behauptete: „Ich bin Jesus Christus.“ Das hat er mir so gesagt. Der Kommentar meiner Kollegen war: „Na, dann sollte er aber mal ein bisschen mehr Liebe in seinem Leben zeigen.“ Denn er verhielt sich nicht besonders liebevoll gegenüber seinen Kollegen oder Mitpatienten. Ich wollte schon sagen: „Kollege, das hätte mich doch gewundert“, aber…
Diese Erwartung, dass Christen Gottes Liebe sichtbar machen sollen, ist auch für Nichtchristen nachvollziehbar und berechtigt. Das ist also der erste Punkt: Liebe.
Der zweite Punkt, den Paulus hier anspricht, ist der Glaube. Wir Christen sagen ja immer wieder: „Wir sind gläubig.“ Aber woran erkennt man das eigentlich?
Vor einigen Tagen erzählte mir eine Frau, die kein Christ ist, dass sie bei ihrer christlichen Schwester zu Besuch war, als plötzlich die Sirenen losgingen. Gibt es die noch? Nein, eigentlich nicht mehr. Das war vor einiger Zeit. Es handelte sich um einen ABC-Alarm, einen auf- und abschwellenden Heulton, der etwa zwölf Sekunden dauert und dreimal wiederholt wird. Das kenne ich noch aus meiner Kindheit. Ich erinnere mich gut daran. Früher gab es jeden ersten Samstag im Monat einen Probealarm. Heute läuft das alles über eine App. Aber im Gegensatz zur App funktionierte damals die Sirene.
Jedenfalls dachten sie, als die Sirenen losgingen, dass im nahegelegenen Atomkraftwerk in Geesthacht etwas passiert sei. Nach dem Notfallplan befanden sie sich in einer Zone, die abgeriegelt wird, weil die Menschen dort sowieso sterben würden. Ab einer gewissen Entfernung wird alles abgeriegelt, sodass niemand mehr herauskommt.
Die Frau, die kein Christ ist, dachte daraufhin: „Okay, jetzt habe ich noch Zeit, mich telefonisch von meiner Familie zu verabschieden.“ Sie war allein bei ihrer Schwester, deren Familie woanders war, so erzählte sie es.
Sie berichtete weiter, dass ihre christliche Schwester Panik bekam. Sie sagte zu mir: „Das habe ich nicht verstanden. Warum bekommt sie Panik? Sie ist doch gläubig.“ Nach dem Motto: „In ein paar Stunden wird sie das doch sehen, was sie glaubt.“ War das ein Zitat? So ähnlich, nach dem Motto, hast du gesagt.
Ich denke, sie hat zu Recht erwartet, dass, wenn jemand sagt „Ich kenne Gott“, das ihm Geborgenheit geben sollte – gerade wenn der Tod an die Tür klopft.
Deshalb ist es wichtig, dass ich mich als Christ frage: Woran erkennt man eigentlich meinen Glauben? Wenn mein Glaube kaum sichtbar wird, weil ich ständig von Angst oder Sorge bestimmt werde, dann darf ich den Herrn Jesus bitten, dass er in mir wirkt und meinen Glauben stärkt.
Um die Geschichte zu Ende zu erzählen: Es war tatsächlich nur ein Probealarm. Aber dieser wurde nirgendwo kommuniziert, sodass die Bevölkerung nicht wusste, dass es kein Ernstfall war. Das wurde erst später bekannt. Deshalb bekam die Schwester natürlich Panik, weil sie damit rechnete, dass es ein undichtes Leck im Atomkraftwerk gibt und alle verstrahlt werden.
Also: Liebe und Glaube – das darf ich auf jeden Fall von einem Christen erwarten.
Wenn ich das Stichwort „Liebe“ nehme, kommt mir sofort das Gegenteil in den Sinn: Die lieben Galater natürlich, mit dem Bild aus der Tierwelt, dass sie sich gegenseitig gebissen und gefressen haben in der Gemeinde. Auch andere Stellen zeigen, dass Menschen aus der Gemeinschaft ausgestoßen werden. Das hatten wir zuletzt mit Demas, da war von Liebe nicht viel zu sehen.
Wie gehe ich also damit um, wenn ich negative Erfahrungen in der Gemeinde mache? Solche Dinge sind ja leider zu erwarten. Die Frage ist, ob man damit umgehen kann. Vielleicht kommen wir darauf zurück, denn wir leben ja auch von Vergebung.
Zunächst einmal: Die Stellen, die du nennst, stehen tatsächlich in der Bibel. Natürlich ist in der Gemeinde vieles nicht perfekt, auch bei uns nicht. Es gibt viele Baustellen. Aber ich bin froh, dass Gott kein Perfektionist ist. Wenn er das wäre, würde er es mit mir gar nicht aushalten – so ein Montagsmodell wie ich.
Bist du montags geboren, oder war das nur eine Metapher?
Das war eine Metapher.
Okay, ich bin dienstags geboren, nur so nebenbei, falls das jemanden interessiert – ich glaube nicht.
Ich finde es wichtig, damit zu rechnen, dass ich auch in der Gemeinde Enttäuschungen erleben werde. Besonders schmerzt es, wenn ich von Menschen enttäuscht werde, denen ich vertraut habe. Noch schlimmer ist es, wenn sie persönliche Aussagen, die ich gemacht habe, gegen mich verwenden.
Trotzdem finde ich es großartig, dass Paulus dem Philemon schreibt, zum Beispiel in Vers 6: „Ihr erkennt das Gute, das ihr tun könnt, das euch im Hinblick auf Christus gegeben ist.“ Diese Verse werden unterschiedlich ausgelegt, aber beim Treffen des EFH-Netzwerks wurde von einer „Tendenz im Blick auf Christus“ gesprochen. Das hat mir gefallen.
Denn vieles in meinem Leben und im Leben anderer Christen ist unperfekt. Aber daran sollte ich mich nicht aufhalten. Ich sollte nicht Ausschau halten, was im Leben des anderen nicht stimmt, sondern mich fragen: Wo kann ich Christus im anderen erkennen? Manchmal ist das vielleicht nur schemenhaft, aber das ist egal.
Ich will mich nicht darauf konzentrieren, was bei dem anderen nicht stimmt, sondern mich freuen über das, wo ich Christus im anderen entdecke. Natürlich muss auch das, was nicht passt, angesprochen werden. Jeder hat seine Baustellen und ist auf dem Weg der Veränderung.
Aber ich kann von Christen erwarten, dass ich irgendwie Christus in ihrem Leben entdecke – auch wenn er noch durch viel Lieblosigkeit und Egoismus verdeckt ist.
Jemand, der das nicht macht, wie können wir denn da offen darüber sprechen? Ich glaube, das Schwierige an diesen Erwartungen und Enttäuschungen ist, dass sie oft, wie wir vorhin sagten, unausgesprochen bleiben. Es wird nicht klar gesagt: „Du, du hast aber diesmal das gemacht, das fand ich gar nicht gut“ oder so. Wie auch? Das ist ja oft schwierig. Es sind oft Gefühle im Spiel, und der andere wird das ja sofort kontern. Dann ist ein Gespräch noch gar nicht möglich.
Wie kann man es schaffen, vertrauensvoller miteinander zu reden, authentischer zu sein und sich vielleicht auch über diese Themen auszusprechen?
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, den du ansprichst: sich miteinander auszusprechen und den anderen um Vergebung zu bitten, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Das ist auch ein Thema im Philemonbrief. Paulus bittet hier sogar, und das ist ganz spannend, um Vergebung für den Onesimus.
Vergebungsbereitschaft ist etwas, das ich von Christen erwarten kann. Weil Gott mir alles vergeben hat, bin ich herausgefordert, auch dem anderen aktiv zu vergeben, wenn er kommt und mich um Vergebung bittet. Ansonsten muss ich zumindest die Bereitschaft haben, ihm vergeben zu wollen.
Vergebungsbereit zu sein heißt, ich rechne in meinem Kopf dem anderen seine Tat schon nicht mehr zu und bin bereit, die Folgen selbst zu tragen. Das ist Vergebung.
Diese Vergebung kann ich von Christen erwarten, auch wenn das nicht unbedingt bedeutet, dass wir wieder enge Freunde werden. Es heißt auch nicht, dass ich dir Vergebung hörbar zusage, wenn du dein Handeln an mir nicht bereust. Aber das ist ein extra Thema: Was ist Vergebung, und was ist keine Vergebung?
Trotzdem kann ich von Christen zumindest die Bereitschaft erwarten, vergeben zu wollen, auch wenn die Vergebung noch nicht zugesprochen werden konnte.
Das heißt also: Wenn ich Onesimus habe – oh, der Name, Onesimus, ja, Onesimus – wenn ich den richtigen Kopf habe, kann man durchaus aus dem Philemonbrief herauslesen, dass er geflohen ist. Das ist ganz klar. Er ist von seinem Herrn geflohen.
Wahrscheinlich hat er auch etwas gestohlen. Sonst würde das mit dem „Ich erstatte dir den Schaden und zahle dir alles“ nicht stehen. Ich denke, dass Paulus das nicht einfach so sagt, sondern dass es tatsächlich so war. Das vermute ich zumindest.
Paulus hat es ganz offen angesprochen, dass Vergebung nötig ist, und darum gebeten. Er hat es also nicht unausgesprochen gelassen – nicht nach dem Motto „Ich schicke ihn dir zurück, nimm ihn mal schön auf“. Stattdessen hat er den wunden Punkt angesprochen und nicht umgangen, was ja auch nicht ganz ohne ist.
Wir hatten es jetzt von Liebe, Glauben und Vergebungsbereitschaft. Gibt es noch etwas, was wir im Philemonbrief über die Frage „Was kann ich von Christen erwarten?“ lesen können?
Ja, Paulus erwartet von Philemon in Vers 20: „Erquicke mein Herz in Christus!“ Ein ganz spannender Vers. Bereits in Vers 7 bestätigt Paulus ihm, dass die Herzen der Heiligen durch Philemon erquickt worden sind. Das ist natürlich ein großartiges Zeugnis, das Paulus hier für Philemon ausstellt.
Das sollte ich auch von Christen erwarten können: dass mein Durst nach Erfüllung durch die Begegnung mit ihnen gestillt wird. Dabei ist klar: Das kann ich als Christ nicht aus eigener Kraft leisten. Das kann nur Jesus. Jesus kann meinen Durst letztendlich stillen.
Aber ich darf als sein Kind Wasserträger sein, der das Wasser des Herrn Jesus zu seinen anderen Kindern bringt. Das kann auf verschiedene Weise geschehen: indem ich sie vielleicht an eine spannende Zusage des Herrn Jesus erinnere, die ihnen dann wirklich weiterhilft. Oder indem ich jemanden praktisch unterstütze und ihm helfe, dass auch praktische Probleme gelöst werden.
Oder ich bringe das Wasser des Herrn Jesus zu jemand anderem, indem ich ihm zeige, wie groß Jesus ist. Damit bewirke ich, dass der andere über Jesus staunt. Wenn er auf Jesus schaut, wird er vielleicht wieder ermutigt. Denn der Blick auf Jesus ermutigt einfach.
So kann ich den anderen motivieren, den Kopf nicht hängen zu lassen, sondern fröhlich mit Jesus weiterzugehen. Das sind alles Möglichkeiten, das Herz des anderen zu erquicken oder den Durst zu stillen.
Langsam fühle ich mich von den vielen Erwartungen, die an mich als Christ gestellt werden, schon etwas überwältigt. Liebe, Glauben, Vergebungsbereitschaft – ein erquickender Wasserträger sein. Dabei erinnere ich mich an eine Formulierung von Paulus, die ich sehr interessant finde.
Ich möchte nicht davon anfangen, dass du mir etwas schuldest – das sagt er ja auch. Das ist ziemlich deutlich, finde ich. Philemon war ihm tatsächlich etwas schuldig, und Paulus spricht das auch an. Natürlich weist er darauf hin, dass Philemon ihm etwas schuldet, aber er pocht nicht darauf. Das möchte ich mal positiv auslegen.
Gibt es da jetzt noch etwas, das einen Beziehungsaspekt mit einbringt? Einerseits kann es gut sein, dass Paulus einfach eine offene Sprache pflegt und sagt: „Du, der ist mir hier zugelaufen, ich weiß, er hat viel Mist gebaut in seinem Leben, aber mir ist er total wertvoll geworden. Du bist einer der Menschen, die fördern und ermutigen, das weiß ich. Tu das auch bei ihm.“ Dabei spricht Paulus schon eine ganze Reihe von Erwartungen aus: Du liebst, du vergibst, du glaubst.
Kommt jetzt noch ein weiterer Beziehungsaspekt hinzu? Sonst wäre es ja so nach dem Motto: „Ja, der hat Übles mitgespielt, und jetzt bitte schluck mal alles runter, obwohl ich noch die Erwartung habe, dass du dies und das tust.“ So könnte man es im schlechtesten Fall lesen.
Wenn es gut läuft, ist es natürlich super. Dann ist es eine richtig offene Beziehung, in der man sagt: „Du, es ist eine schwierige Situation, ich verstehe das. Ich hätte ihn auch gern bei mir, aber ich schicke ihn dir wieder zurück. Ich würde aber gern, dass das so und so läuft.“ Wenn man so miteinander reden kann, ist das natürlich toll.
Ist da etwas, das in dem Brief beziehungsmäßig vielleicht noch ein bisschen abfedert? Na ja, Beziehung war ja das, was wir am Anfang hatten: die Liebe. Aber hier zeigt sich das auch noch einmal praktisch. Im Philemonbrief, Vers 22, wäre vielleicht so eine Antwort auf deine Frage. Dort sagt Paulus zu Philemon: „Bereite mir eine Herberge.“
Ich meine, das ist ja spannend. Er lädt sich selbst bei Philemon ein. Das zeigt, dass Philemon vielleicht ein gastfreundlicher Typ ist. Und das weiß keiner so leicht mit ihm zu machen. Es passt auch zu mir als Norddeutschem, dass ich mich bei Leuten einlade – so wie Paulus es hier macht. Hier haben wir wenigstens eine biblische Begründung dafür.
Für Paulus ist Gastfreundschaft selbstverständlich. Und das ist, glaube ich, schon etwas, woran wir uns als Christen immer wieder erinnern müssen. Natürlich hat jeder eine andere Kraft, um Leute aufzunehmen, und auch andere Räume. Es gibt ein Buch, dessen Titel mir gefällt: „Platz ist in der kleinsten Hütte“. Das stimmt ja. Also vielleicht nicht für zwanzig Leute, aber für einen oder so.
Ich denke, unser Problem ist sehr oft gerade beim Thema Gastfreundschaft die Erwartung an uns selbst. Also: Das Essen muss perfekt sein, die Wohnung muss aufgeräumt sein. Ja klar, die Frauen, die mir jetzt zuhören, sagen: „Du bist halt keine Frau mit einem Gen für Ästhetik.“ Das bin ich nicht. Meine Frau schafft auch eine viel bessere Atmosphäre, als ich sie je schaffen würde. Aber ich denke, mit weniger Erwartungen an unseren perfekten Auftritt könnten wir vielleicht die Herzen der Gäste öfter erquicken.
Warum also nicht mal wirklich ein einfaches Essen? Das können wir ja ganz trendy verkaufen. Wir sagen: Das ist unser minimalistischer Lebensstil. Das wollte ich gerade sagen. Du musstest nur einen ordentlichen Label geben, der heute passt. Genau, da sind wir voll im Trend. Dann ist das Kartoffelpüree auf einmal total hip. Ja, genau, NATO-Kit von gestern.
Oder warum muss es nach dem Mittagessen immer Kuchen geben? Warum reicht man nicht einfach eine Tasse Kaffee, ein paar Kekse – meinetwegen auch die berühmten Butterkekse? Oder jetzt im Sommer einfach den Grill vorheizen, jeder bringt sein Grillgut mit. Wir haben das letztens gemacht, ein paar Salate organisiert und fertig.
Ich weiß, ihr, die mir zuhört, sagt: „Stopp, stopp, stopp, das ist alles nicht so einfach, es ist alles Arbeit.“ Das stimmt. Aber Gastfreundschaft ist trotzdem etwas, was man von uns Christen erwarten kann. Die Frage ist da berechtigt: Wie lebe ich das? Wie setze ich das in meinem Leben um?
Die Frage muss ja erlaubt sein. Vielleicht stehen mir hier doch meine eigenen Erwartungen an die perfekte Gastfreundschaft so sehr im Weg, dass Jesus mich nicht gebrauchen kann, um die Gäste zu erquicken – weil ich sie gar nicht erst einlade. Und das kann und sollte ich, denke ich, auf jeden Fall ändern.
So endet mit diesem Appell auch unser Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, dass ihr einen Impuls mitnehmen konntet, besser mit diesen Erwartungen umzugehen und daraus keinen Druck zu machen. Stattdessen soll eine christliche Atmosphäre entstehen, vielleicht ähnlich wie in Philemon 22, wo jemand sich selbst einladen kann – so als kleiner Fun Fact nebenbei.
Es geht einfach darum, eine Gemeinschaft zu haben, in der man ehrlich miteinander redet und auch ein bisschen was einfordert – aber auf eine gute Art und Weise, weil wir eine Familie sind. In einer Familie kann man auch ganz anders miteinander umgehen. Da kommt man auch mal so vorbei, und da sagt man auch mal in Liebe: „Du, das war jetzt nicht gut gewesen, kannst du das und jenes machen?“
Ich glaube, das ist das Bild, das hinter dem Philemon-Brief steht. Man merkt immer diese Beziehung. Das wünschen wir euch.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollten, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns gerne unter podcast@eva-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen. Gott ist nicht perfekt, deswegen lassen wir das Ungeschnittene drin – und viele Begegnungen mit Geschwistern.
Ja, Gott ist schon perfekt. Gott ist perfekt – das wollte ich vorher einwerfen, weil du gesagt hast, Gott sei kein Perfektionist, sonst hätte er die Schöpfung falsch gemacht. Er ist in dem Sinne kein Perfektionist, weil er uns das nicht fordert. Nach dem Sündenfall sind wir so, aber Gott macht uns nicht perfektionistisch.
Wie kriege ich jetzt das Ende hin, nachdem du hier am Schluss reingesprochen hast? Das lassen wir jetzt einfach so auslaufen. Das ist schon der Anfang unseres Nachgesprächs. Aber jetzt schalten wir einfach mal das Mikrofon aus und wünschen euch noch einen schönen Tag.