Einleitung: Vom theoretischen Wort zum praktischen Leben
Wir haben als Predigttext den 1. Johannesbrief, Kapitel 1, Verse 1 bis 4 (1. Johannes 1,1-4).
Es beschäftigt mich immer wieder bei der Vorbereitung, wenn diese Abschnitte kommen, dass sie für uns nicht nur eine Theorie bleiben. Sie dürfen keine fernstehenden, großen Leitsätze sein, sondern sollen ganz praktisch in unser tägliches Leben mit seinen Nöten und Sorgen übersetzt werden.
„Was von Anfang war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben, das Wort des Lebens.“ Denn das Leben ist erschienen. Wir haben es gesehen, bezeugen es und verkündigen euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist.
Was wir also gesehen und gehört haben, das verkündigen wir euch auch, damit auch ihr Gemeinschaft mit uns habt. Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.
Und das schreiben wir, damit unsere Freude vollkommen ist.
Die Vergänglichkeit der Zeit und die Sehnsucht nach Leben
Nach der Stille der schönen Weihnachtstage richtet sich das Programm im Fernsehen, bei den Radioanstalten und auch die Inhalte der Zeitungen nun wieder auf ganz andere Themen aus. So schnell, wie man in die Weihnachtstage hineingerutscht ist, steht man auch schon wieder am Ende.
Und jetzt dauert es nicht mehr lange, bis einem die Knallkörper wieder am Kopf vorbeizischen und die Leute sich auf das Feiern von Silvester vorbereiten. Es macht uns immer wieder nachdenklich, warum gerade jene schmerzliche Schwelle – ein Jahr ist wieder verflossen – so oft einfach im Lärm und in einem großen Rausch ausgelassener Fröhlichkeit übergangen wird.
Vielleicht haben viele Leute, besonders junge Menschen in ihrer Familie, Schwierigkeiten mit ihren Eltern, weil sie sich gerne auch in diesen großen Strom der Lebensfreude stürzen würden. Wir wollen doch leben, jung wie wir sind, und das Leben mit allem, was es bietet, auskosten.
Aber dann denken wir: „Ach was, da werden wir immer eingeschränkt, uns wird etwas weggenommen, verboten. Wir dürfen das nicht, und die anderen dürfen so ungehemmt alles genießen, was die Welt bietet.“ Und wenn sie dann noch sehen, dass jemand Geld hat, der sich alles leisten kann, dann erscheint das ganz anders als bei uns – Lebenslust, Lebensgier.
Die Kostbarkeit des Lebens angesichts von Krankheit und Tod
Und da bin ich froh über diesen Abschnitt: Das Leben ist erschienen.
Versuchen wir einmal, dieses Wort ganz neu zu verstehen – vor dem Hintergrund des großen Aufbruchs vieler Menschen, die das Leben gewinnen wollen.
Jetzt würde ich Sie am liebsten noch einmal mitnehmen in eine der vielen Krankenstuben unserer Stadt, wo so viele Menschen jetzt mit ihrer tödlichen Krankheit leben müssen. Dort könnten Sie wehmütig erfahren, wie Menschen winseln und betteln, nur um einen Tag ihres Lebens. „Ach, wenn ich doch noch ein bisschen bei euch bleiben dürfte! Ach, es ist mir gar nicht wichtig, ob ich gesund bin, wenn ich nur noch vom Leben etwas haben dürfte!“
Dann blickt ein Mann seine Frau an, seine Kinder, die Eltern. Wenn man spürt, dass das Leben von uns weggerissen wird, dann wird die Sehnsucht nach Leben noch einmal so groß, und das Leben erscheint besonders kostbar.
Es ist ein solches Ringen um das Leben, dass es heute gut in unsere Predigt passt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen einmal sehr viel leichter wird. Wir hängen mit allen Phasen unseres Herzens und unserer Gedanken an diesem Leben, das uns einmal geschenkt ist. Dieses Leben wollen wir haben.
Wie schwer wird es uns schon, wenn es sich nicht so einstellt, wie wir es gewünscht haben: wenn die Prüfungsnoten nicht so sind, wenn uns Berufswege verbaut sind, wenn plötzlich unser Leben in ganz andere Bahnen geworfen wird – durch Krankheit oder durch körperliche Belastungen, die uns zwingen, zurückzugehen.
Wir wollen doch Leben haben – sei es das Überschäumende der Lebensfreude, die ausgelassene Freude, die über alle Stränge schlägt, oder sei es die ganz schlichte Sehnsucht, die noch ein Stückchen von diesem Leben haben will. Es ist die gleiche Sehnsucht nach Leben, die Sehnsucht unserer Welt.
Die Falle der Lebenssehnsucht und der Durst nach mehr
Nur müssen Sie darauf achten: Je mehr man von diesem Leben trinkt – und wir trinken ja alle sehr gierig – umso mehr Durst bekommt man. Das ist wie bei einem Getränk, das den Durst nicht stillt, sondern ihn im Gegenteil immer schlimmer macht.
Mit dieser Lebenssehnsucht ist es ganz schlimm. Je mehr wir uns in den Taumel stürzen und meinen, wir müssten das genießen, umso weniger finden wir Erfüllung. Sie können das an Ihrem eigenen Leben oder am Leben von Bekannten beobachten. Prüfen Sie das einmal: Menschen, die sich von allen Einschränkungen losgerissen haben, die sie binden könnten, und sagen: „Ich muss das einfach, ich muss das haben, das brauche ich, das bin ich mir schuldig, ich muss das ausleben.“ Sind diese Menschen eigentlich glücklicher oder fröhlicher geworden?
Sie sind nur gieriger geworden, denn dieses Leben – auch das neue Jahr 1986 – ist nur ein dunkler Schatten des Lebens, aber nicht das Leben selbst. Das, was wir finden, macht uns von Jahr zu Jahr nur müder, enttäuschter, erschöpfter und schwermütiger, aber gar nicht glücklicher. Es macht uns nicht im richtigen Sinn lebensfroh und dankbar.
Die Botschaft von Jesus als wahres Leben
Darum möchte ich in diese Welt hinausrufen – und zwar weit über die Kirchenmauern hinaus – zu Menschen, die gar nichts von Jesus Christus halten oder von ihm erwarten. Ich möchte es jedem sagen.
Vielleicht gelingt es, dass hier oder da durch die Kassette ein Mensch zum Nachdenken gebracht wird. Vielleicht kommt dieser Mensch erst in einer Krise seines Lebens zur Besinnung. Erst dann, wenn ihm das Leben ganz plötzlich genommen zu sein scheint, wenn er sagt: „Was habe ich jetzt noch vom Leben?“, weil ihn ein schwerer Schlag getroffen hat.
Das eigentliche Leben liegt gar nicht in dem, was wir da finden und suchen, sondern in Jesus Christus. „Das Leben ist erschienen, wir verkündigen das Leben“, schreibt Johannes.
Darum ist mein erster Punkt auch: Wir haben das Leben gefunden.
Wir haben das Leben gefunden
Wir haben das Leben gefunden. Das ist ein ganz großer Unterschied zu allen anderen Menschen, wenn wir Christen sagen: Wir haben das Leben gefunden.
Es gibt Menschen, die reden immer davon, dass sie das Leben finden möchten. Oft ist es fast schon lächerlich, wie man bis ins hohe Alter hinein Menschen finden kann, die noch große Pläne entwickeln, was sie alles mit ihrem Leben tun und gestalten wollen. Dann kommt die Überraschung, wenn ihr Leben plötzlich durch die Todesstunde abbricht.
Dieser Schock: Wir haben doch das Leben noch gar nicht gehabt. Es war doch noch gar nicht da. Wir hofften, es irgendwo zu finden.
Die Pläne junger Leute sind ganz ähnlich. Sie setzen ihre Ziele und hoffen, dass das Leben da sein wird, wenn sie einmal ihre Ausbildung fertig haben, wenn sie auf eigenen Füßen stehen, wenn sie das Elternhaus verlassen, wenn sie den Lebensgefährten gefunden haben, wenn sie eine Familie sind. Und dann träumen sie sich vielleicht in den Ruhestand, als ob das Leben dort wäre, wenn sie plötzlich auf die Seite gestellt sind.
Wir haben das Leben gesehen. Was meint denn Johannes? Wo war denn das Leben? Er lenkt unseren Blick noch einmal auf die Krippe, wo nackt und bloß das Kind liegt.
Ist das Leben ein strampelndes Baby? Nein, nein, das meint er gar nicht, diese Naturkraft.
Das Leben Jesu als wahres Leben
Er meint, dieses bescheidene, arme Leben Jesu – niemand von ihnen hat je ein so kümmerliches Leben geführt wie Jesus. Er beschränkte sich auf den engsten Raum zwischen Nazaret und Jerusalem. Sein Leben verlief in diesem begrenzten Gebiet. Er hatte nur eine kurze Lebenszeit, vielleicht 33 Jahre.
Er genoss keine große Anerkennung, schuf keine bedeutenden Werke und führte ein ganz schlichtes, kleines Leben. Doch gerade hier zeigt uns Jesus, dass es nicht darauf ankommt, was wir in unser Leben hineinnehmen. Oft denken wir, das mache ein Leben groß, bedeutend und einflussreich.
Jesus hat dieses Leben in seiner ganzen vergänglichen Kürze und Kleinheit angenommen und bejaht. Er hat sich ganz hineingegeben in dieses irdische Todesleben. Dabei hat er sich nicht irgendeinem Wahn oder verrückten Spiel hingegeben, als ob man dieses Leben durch Sinnentaumel noch verstärken oder im Genuss vertiefen könnte. Jesus war hier ganz unbestechlich.
Stattdessen hat er dieses Leben aus der großen Fülle gelebt. Hier merken wir: Das liegt gar nicht in uns drin, das haben wir nicht. Es ist ein Irrtum, den wir schon am zweiten Feiertag erwähnt haben, wenn wir so gern die Person Jesu nehmen, sie anhimmeln, Jesus verehren und sagen: „Jesus war ein Großer, wir wollen ihm nacheifern.“ Als ob wir ihm wirklich nacheifern könnten.
Das liegt ja gar nicht in uns drin. Jesus ist nicht eine Gestalt, die uns ähnlich wäre, vielleicht nur ein paar Stufen höher als wir, sodass er uns als Leitbild dienen könnte. In Jesus ist das göttliche Leben in dieses menschliche, sterbliche Leben gekommen. In ihm ist das Leben.
Die Kraft des Lebens Jesu in Begegnungen
Sie spüren die Kraft dieses Lebens Jesu nicht nur in jener Szene, als Jesus der Prozession in der Stadt Nain begegnet. Dort tragen sie den offenen Sarg mit dem jungen Mann hinaus. In diesem Moment wird deutlich, dass Jesus den Tod überwindet und Menschen aus dem Tod herausruft.
Doch das Leben Jesu zeigt sich nicht nur darin. Jesus ging stets zuerst zu denen, die kein Leben mehr hatten: zu den Kranken und den Ausgestoßenen. Er blieb bei ihnen und lebte ihnen dieses Geschenk nicht nur vor, sondern schenkte ihnen tatsächlich das Leben.
Einem Mann, der mit großen Schmerzen auf der Matratze lag, sagte er: „Leben kannst du mit Gott! Das Leben ist viel größer als deine Krankheit.“ Jesus sah die Leidenden an und ging zuerst zu denen, die ihr Leben bereits verwirkt hatten. Diese hatten sich an falsche Bilder des Lebens geklammert, etwa an ein trügerisches Bild von Liebe. Solche Illusionen binden uns an Traumideen, die uns kein echtes Leben bieten.
Wenn Dirnen zu Jesus treten, verspricht er ihnen Leben. Sie können das alte, nichtige Leben hinter sich lassen, in der Kraft Gottes herauszutreten und ein neues Leben zu beginnen.
Jesus ging auch zu Menschen, die von Geldgier besessen waren. Wir kennen das ja: Wie sehr solche Gedanken unser Leben bis ins Letzte beherrschen können. Wie man dann ganz scharf wird, jeden Pfennig zählt und auf jeden Gewinn achtet. Doch Jesus befreit diese Menschen mit den Worten: „Ach komm, folge mir nach! Dort liegt nicht das Leben.“
Das Leben in Jesus als Geschenk und Gemeinschaft
Und ich wollte, dass heute im Gottesdienst bei Ihnen eine Entdeckung passiert. Wir denken oft, wenn Jesus das Leben offenbart, dann geschieht das in den schönen Palästen der Menschen. Wir glauben, er würde das mit der Fülle der Gaben Gottes in der Schöpfung draußen zeigen.
Doch Jesus sagt, dass das gar nicht mehr nötig ist. Weder Gesundheit noch äußere Gaben sind dafür erforderlich. Er kann sie uns zwar oft in großer Fülle schenken, doch sie sind nicht wesentlich dafür. Das Leben ist in ihm erschienen. Wenn du das Leben haben willst, musst du Jesus haben und mit ihm eins sein. Er kann dir das Leben jetzt geben und will es dir schenken.
Wir haben das Leben gefunden, sagt Johannes. Rückblickend hat er das später noch einmal ganz neu gesehen. Am Anfang, als sie den Weg mit Jesus gingen und tagtäglich bei ihm lebten, hatten sie das gar nicht richtig begriffen. Sie sahen die einzelnen Wunder und staunten darüber. Doch nach dem Ostermorgen, als sie vor dem leeren Grab standen, haben sie es verstanden: In Jesus schenkt uns Gott das erfüllte, reiche Leben.
Nach diesem Ostermorgen traten sie mit einer ganz neuen Freude und Fröhlichkeit in ihr Leben ein – ohne Angst. Wir haben das Leben gefunden, wir haben es am Grab entdeckt. Das Leben liegt in Jesus.
Die Herausforderung der Zeugenschaft
Jetzt sagt er zweitens: Wir können es auch bezeugen. Wir können es wirklich bezeugen.
Nun muss ich mit einer schwierigen Sache anfangen. Warum ist die Verkündigung oft so schwer? Warum wird uns in der Predigt so häufig langweilig? Das liegt natürlich an denen, die verkündigen – und dazu gehöre ich selbst. Man kann das Evangelium eigentlich nur bezeugen. Bezeugen heißt, man kann nur über das sprechen, was man selbst erfahren hat.
Für die Menschen ist es nämlich völlig uninteressant, was man sich in Büchern hier und da zusammen gelesen hat. Es interessiert auch niemanden, was wir vermuten oder denken. Viel wichtiger und heute brennend interessant ist, was wir gemeinsam mit Jesus im Leben erfahren haben. Wenn oft gesagt wird, man wolle keine theoretischen Sachen hören, sondern Geschichten aus dem Leben, dann bedaure ich, dass es bei uns heute so wenig Lebensberichte gibt.
Ich habe immer noch den Gedanken, dass wir in jedem Gottesdienst ein oder zwei Lebenszeugnisse hören könnten. Doch manche warnen schon davor und winken ab. Sie sagen, das werde zu pädagogisch, zu persönlich, und das gefällt ihnen nicht. Aber wir müssen doch eigentlich von dem erzählen können, was wir erlebt haben. Das muss doch bei uns genauso sein wie einst bei den Jüngern.
Wir sind doch auch verrückten Trugbildern nachgelaufen. Unser Leben war zerstört, weil wir ganz andere Leidgedanken hatten – wie unser Leben schön werden müsste. Und ihr Eltern, wie wäre es befreiend, wenn einer von euch da vorne hintreten würde und sagen würde, wie lange er noch in seinem Alter der Vergangenheit nachgetrauert hat und geglaubt hat, das Leben liege in der goldenen, verklärten Vergangenheit? Bis er begriffen hat: Jesus möchte jetzt meine alten Tage, die Zeit, in der ich Stück um Stück meine Kraft abgebe, mit seiner Lebenskraft füllen.
Selbst eine Leidenszeit wird erfüllt. Das Leben ist erschienen. Ich darf ein Verkündiger eines erfüllten Lebens sein. Und dann schreiben wir auf unsere Todesanzeige: Nach einem reich erfüllten Leben. Jesus war 33 Jahre alt, wenn sie dann 44 werden, ist das doch ein erfülltes Leben. Und dann gar siebzig, wo sie doch so viel mit ihm erleben können.
Also müssten wir es bezeugen können. Johannes sagt: Wir haben es nicht bloß gesehen, wir haben es betrachtet, mit unseren Händen betastet. Sicher denkt er dabei an Thomas, der unbedingt seine Hände in die Nägelmale Jesu legen wollte. Er konnte es gar nicht glauben. Ist es wirklich so? Dass die materielle Welt, das Geld und das Gefühl Trugbilder sind – das sind die Pappdeckel, hinter denen nichts ist.
Wir lassen uns so oft von potemkinschen Dörfern täuschen. Das wirkliche Leben liegt doch nur dort, wo ich auf die Ewigkeit Gottes zuwandere. Aber wir haben es erlebt, wir haben es betastet. In unserem eigenen Leben ist das passiert. Ich bin ganz sicher: Es sitzt jetzt keiner hier in dieser Kirche, für den das nicht heute eine ganz neue Sicht seines Lebens bedeuten könnte.
Im Blick auf das neue Jahr, für das, was wir als wichtig ansehen, im Klagen über das Schwere, das wir zu tragen haben: Es ist nicht das Schwere. Sie können auch dort, wo es bei Ihnen so bitter aussieht, ganz wunderbar das Leben erfahren und bezeugen.
Zeugnisse des Lebens in schweren Zeiten
Wir haben immer überlegt, welche Geschichte ich Ihnen jetzt erzählen und bezeugen kann. Von mir selbst habe ich schon viel erzählt. Von anderen möchte ich nicht berichten. Sie brauchen keine Angst zu haben, dass ich Ihre Geschichte erzähle.
Doch es geht uns immer wieder so, wenn wir gerade bei Leidenden erleben und erfahren, wie plötzlich sie entdecken: Ich darf mich jetzt ganz in die Hand Jesu geben. Selbst in einer Todesstunde, in einer Abschiedszeit, strahlt plötzlich die große Lebenshoffnung auf.
Ich sage dann immer wieder zu den Leuten, wenn wir eine Beerdigung halten: Kein Wort vom Tod, wir reden vom Leben. Wir haben doch das große Thema, das jetzt da ist. Natürlich ist der Schmerz für die Witwe und die Angehörigen da, aber davon reden wir nicht. Sie werden doch bezeugen können, dass das Leben erschienen ist.
Wir hatten in unserer alten Sulkener Kirche ein großes Wandgemälde, das oft den Anstoß bei Leuten erregte. Darauf war der Ostersieger Jesus dargestellt. Unten lag der überwundene Tod, ein Gerippe, ein richtiges Totengerippe, auf dem Jesus stand. Die Leute sagten, das sieht so grausam aus. Es war ein Bild von Wolfdieter Kohler, dem Kunstmaler, der morgen beerdigt wird.
Ich habe dann Reinhard Wenzelmann in Sulgen angerufen, der dort oben ist, und gesagt: Das musst du heute deiner Gemeinde predigen: Das Leben ist erschienen. Für uns ist der Tod, der uns noch so oft ängstigt und dem wir so oft begegnen – in den Bildern der Nachrichtensendungen, immer wieder die schrecklichen Todesbilder – überwunden durch den Sieg Jesu. Wir können es bezeugen.
Vor Weihnachten habe ich ein Büchlein von Peter Barall bekommen, der mit uns auf der Freizeit in Sankt Moritz war und Pfarrer in Karlsbad ist. Ich wusste gar nicht, dass er einer aus dem harten Kern der Studentenrevolution von 1968 war. Eine Reihe seiner Freunde sind berühmte Terroristen geworden. Jesus hat ihn jedoch durch eine eigentümliche Bekehrung herausgerissen – durch die offensive junge Christen.
Er war mit uns auf der Freizeit und erzählte dort, wie er einen Monat zuvor seinen vierzehnjährigen Sohn, den Ältesten, in den Tod begleiten und als Vater beerdigen musste. Ich habe selten ein solches Zeugnis des Lebens gehört. Der Vater war nicht in einem Augenblick nur bewegt. Viel schwerer fiel es ihm, wie er vom Großen sprach: Wie Jesus uns in solchen Augenblicken beschenkt, wie er einen jungen Menschen fröhlich und gewiss macht.
Er sagte, erst in dieser kranken Zeit, als der Junge wusste, dass er nicht mehr gesund wird, fand er zur Glaubensgewissheit in Jesus. Das Leben ist erschienen.
Die Notwendigkeit der Entscheidung für das Leben
Jetzt müssen Sie nur noch wissen, was Ihr Leben bremst. Es sind die Kompromisse mit der Sünde, die wir eingehen.
Jesus hat uns dringend gemacht, dass wir nicht weiterhin an diesem falschen Leben teilhaben oder mitmischen. Lass das alte Leben hinter dir und binde dich nicht daran.
Wir können das bezeugen und selbst erfahren. Nur diejenigen sollen den Mund aufmachen und von Jesus reden, die es mit ihrem Leben bezeugen können. Diejenigen, die dahinterstehen und sagen: Ja, ich habe das erfahren, ich habe das entdeckt, und in meinem Leben ist das geschehen.
Diese Menschen können ihr Zeugnis mit einem Bericht ihres Lebens untermauern. So ist das Leben erschienen.
Ich möchte das noch einmal zusammenfassen im dritten Teil.
Die Aufforderung, das Leben zu wählen
Wählt das Leben. Es ist erschienen, wir haben es gefunden und können es bezeugen. Nun aber wählt das Leben.
Wir haben über diese Christfeiertage, über die Weihnachtstage, so viel Verkündigung gehört. Manch einer wird dann sagen: Danke, jetzt ist mein Bedarf gedeckt, ich habe viel gehört. Wichtig ist jedoch, dass sie das Leben ergreifen.
Mir wird immer wieder bange, wenn ich daran denke, dass ich über das Leben spreche. Was bedeutet das eigentlich? Es bedeutet, mit Jesus eine ganz persönliche und vertraute Gemeinschaft zu haben. Es bedeutet, ihn in das eigene Leben aufzunehmen. Er soll jeden Morgen und Abend ihr Begleiter sein, der schützend die Hand über sie hält, der sie mutmachend anspricht und sagt: „Mein Sohn, ich habe dir deine Sünden vergeben.“ Er sagt: „Fürchte dich nicht.“ Das ist doch Leben.
Leben heißt, jeden Schritt mit ihm ordnen zu können. Und jetzt müssen sie nur wissen: Jede Kompromisshaltung mit der Sünde, jede Abkehr von Jesus nimmt uns das Leben.
Heute ist es fast ein Kennzeichen von uns Christen, dass wir vom Betrug dieser Welt mitgeprägt sind. Wir gehen längst auf verdunkelten Wegen. Hier und da hat sich schon ein Schielen nach dem Glück der anderen eingeschlichen. Manche denken ganz offen: „Ach, die haben doch das Leben, man müsste eigentlich auch so leben können wie die.“
Was ist aber schön an dem Schmutz, an der Gier, an der Sinnlosigkeit dieses irdischen Lebens? Streben sie nach Geld oder Reichtum, sind es ihre Sinne, die sie immer wieder benebeln? Ist es die Lusterfüllung, weil sie meinen, das müsse ich noch haben? Dann spielen sie mit dem Gedanken, sich ein Stück weit von Jesus beurlauben zu lassen.
Ist das Leben?
Gemeinschaft als Zeichen des Lebens
Da steht etwas Schönes über die Gemeinschaft, nämlich dass wir darin das erfüllte Leben haben. Es ist die ganz enge Begegnung mit dem ewigen Gott und Vater, mit dem wir auf Du und Du leben. Wir haben Gemeinschaft mit dem Vater und zugleich Gemeinschaft untereinander.
An dieser Gemeinschaft können sie prüfen, ob sie das Leben haben und ob sie sich wohlfühlen in der Gemeinschaft gläubiger Menschen. Unsere Kirche hat hier in den zurückliegenden nicht nur Jahrzehnten, sondern Jahrhunderten viel versäumt. Die Gemeinschaft wurde oft vernachlässigt.
Wenn nach dem Gottesdienst die Hauskreise des offenen Abends noch beieinander bleiben, um einfach Gemeinschaft zu haben, voneinander zu hören und manches miteinander zu bereden, dann haben sie entdeckt: Ich kann das Leben nur haben, wenn ich auch am anderen teilhabe.
Bei vielen anderen aber herrscht eine solche Angst, dass man sagt: Zwar hat mich fast schon gefreut, dass der neben mir vorhin auf dem Sitz mich gegrüßt hat. Und dann hat er mir noch gar die Hand hingestreckt – ich könnte ja eine Übertragung der Grippe bekommen. Und im Übrigen: Was will der in meinem Leben?
Diese Ichbezogenheit ist nicht das Leben. Erst wenn sie im Anderen den Bruder und die Schwester sehen, auf die sie zugehen können, mit denen sie telefonieren dürfen, die sie besuchen können, da hört auch das auf, dass sie sagen: Nach mir hat gar niemand geschaut, ich bin ganz allein geblieben.
Dieses Klagen über das Alleinsein ist ein Zeichen, dass man das Leben nicht gefunden hat. Wir haben Gemeinschaft untereinander. Das bekennt Johannes. Das ist beglückend für uns.
Wir können miteinander zusammen sein, so wie unsere jungen Leute gestern Abend zusammen waren. Sie hatten einfach Freude aneinander, spielten miteinander, weil Jesus in ihrem Leben die Mitte ist. Sie stärken einander darin und erzählen darüber, was sie dort entdecken und gefunden haben.
Und sie sagen: Wir können doch ohne Scheu miteinander beten. Warum denn die Scheu? Gibt es einen Grund, warum sie sagen, sie könnten nicht beten, sie könnten doch sonst reden? Warum sollen wir nicht miteinander und füreinander beten können, wenn wir Gemeinschaft mit dem Vater haben?
Dort schreiben wir, dass unsere Freude vollkommen sei. Unsere Kinder sehnen sich nach einem Leben, das erfüllt und reich ist. Sie wollen kein Christentum, bei dem dauernd gesagt wird: Das darfst du nicht und das sollst du nicht.
Wir sollten unseren Kindern etwas von einem erfüllten Leben vormachen, sodass sie an uns sehen und sagen: Das sehe ich bei meinen Eltern, das sehe ich bei den Leuten, die in die Kirche gehen. Sie platzen vor Freude. Sie sind glücklich, auch wenn sie manchmal Lasten tragen. Aber sie haben das Leben in Fülle, und ihre Freude hört nicht einmal auf, wenn sie an Gräbern stehen oder wenn sie Schweres erleben.
Freude, weil das Leben ewiges, unbegrenztes Leben ist.
Schluss: Das Leben in Jesus als Quelle der Fülle
Noch einmal führt uns Johannes zur Krippe. Schau dieses arme Leben Jesu an! Es ist kein armes Leben, denn selbst am Kreuz hat er einem Verbrecher ewiges Leben geschenkt.
Dieser Jesus macht dein Leben reich. Nimm ihn auf, nimm ihn in dein Leben auf und lass ihn Herr deines Lebens sein.
Amen.
