Johannes – in seinen dunkelsten Stunden
Lukas-Evangelium 7,18-35 Reihe: Johannes der Täufer im Auftrag des Höchsten (5/6)
Einleitende Gedanken
Johannes der Täufer war ein sehr spezieller, ausserordentlicher und bedeutender Mann. Markus eröffnet sein Evangelium mit dem Dienst des Johannes. Bis heute gedenken Christen jeweils am 24. Juni seiner Geburt und am 29. August seiner Enthauptung. Wir beschäftigen uns heute mit den vermutlich dunkelsten Stunden seines Lebens.
Johannes ist verunsichert und irritiert
Die Verkündigung des Johannes war direkt, schnörkellos und ziemlich hart. Unmissverständlich wies er auf das Gericht, aber auch auf die Gnade hin, die durch den Messias zu uns Menschen gekommen ist. Selbst gegenüber Herodes Antipas scheute er sich nicht, die Wahrheit zu sagen. „Johannes wies den Tetrarchen Herodes zurecht, weil dieser dem eigenen Bruder dessen Frau Herodias weggenommen hatte. Johannes hielt ihm ausserdem all das Böse vor, das er sonst noch getan hatte.“ Lk.3,19. Da gab es einiges zu sagen! Das wollte sich Herodes nicht gefallen lassen und er liess Johannes festnehmen und ins Gefängnis werfen. Josephus Flavius , der jüdische Geschichtsschreiber, berichtet, dass Johannes in der Festung Machärus, eingesperrt wurde. Diese Festung lag recht abseits am Toten Meer. Wie lange Johannes dort festgehalten wurde, wissen wir leider nicht. Jedenfalls muss das für ihn eine zermürbende Zeit gewesen sein. Seine Jünger blieben mit ihm in Kontakt. Vermutlich waren sie für seine Verpflegung besorgt. Sie berichteten Johannes über die vielen Wunder, die Jesus wirkte, wie Kranke gesund und wie sogar Tote auferweckt wurden. Eines Tages gab Johannes zwei seiner Jünger den Auftrag, zu Jesus zu gehen. Sie sollten ihn fragen: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Lk.7,19. Was war denn hier passiert? Johannes der Täufer will wissen, ob Jesus der Messias ist! Er, in dem der Heilige Geist seit seiner Empfängnis wohnte. Er, der Jesus taufte und sah, wie sich der Heilige Geist wie eine Taube auf ihm nieder lies. Er, der auf Jesus zeigt, als er zu ihm kam und rief: „Seht, hier ist das Opferlamm Gottes, das die Sünde der ganzen Welt wegnimmt!“ Joh.1,29. Wie kam Johannes dazu, Jesus diese Frage zu stellen? Das hätten wir von ihm doch nicht erwartet. Was war da geschehen? Leider gibt uns die Bibel keinen Einblick in die Gedanken und in die Gefühlswelt des Johannes. Wir können nur Vermutungen anstellen. Jedenfalls macht es den Anschein, dass Johannes verunsichert und irritiert war. Vermutlich hatte er eine andere Vorstellung davon, wie der Messias wirken würde. Gut, Jesus tat grosse Wunder, aber warum äusserte er sich nicht zu Herodes? Warum setzte sich Jesus nicht für die Gerechtigkeit ein? Wieso bemüht sich Jesus nicht darum, ihn aus dem Gefängnis zu holen? Wieso besucht ihn Jesus nicht? Das wäre doch nett gewesen, schliesslich hatte er sich für Jesus eingesetzt. Zermürbende Fragen, die er einfach nicht abschalten konnte. Ihm erging es ähnlich wie Elia, der nach dem grossartigen Sieg auf dem Karmel nur noch sterben wollte. Er hatte den Eindruck, sein Dienst sei ins Leere gelaufen. So flehte er: „Herr, ich kann nicht mehr. Lass mich sterben! Ich bin nicht besser als meine Vorfahren.“ 1.Kö.19,4. Johannes wollte sich nun Gewissheit verschaffen. So liefen seine beiden Jünger zu Jesus und sahen mit eigenen Augen, wie Jesus viele Kranke, Leidende und von bösen Geistern geplagte Menschen heilte. Sie sahen, wie er Blinden das Augenlicht schenkte. Sie hörten, wie er den Menschen das Evangelium vom Reich Gottes verkündigte. Endlich fanden sie eine Gelegenheit Jesus anzusprechen und sie sagten: „Johannes der Täufer hat uns zu dir geschickt und lässt dich fragen: ‚Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?‘“ Lk.7,20. Jesus antwortete nicht mit einem einfachen: „Ja, sagt Johannes, ich bin der Messias, auf den Israel wartet.“ Jesus sagte im Prinzip das, was Johannes bereits von seinen Jüngern erfahren hatte: „Geht zu Johannes und berichtet ihm, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden geheilt, Taube hören, Tote werden auferweckt, und den Armen wird Gottes gute Botschaft verkündet.“ Lk.7,22. Mit dieser Aussage nahm Jesus Bezug auf eine Aussage des Propheten Jesaja, die Johannes bestimmt kannte: „Die Augen der Blinden werden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Die Lahmen werden springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken.“ Jes.35,5-6. Vermutlich stellte sich Johannes die Erfüllung dieser Prophetie anders vor. Bis dahin brachte er sie nicht in Verbindung mit dem Wirken von Jesus. Ehrlich gesagt, würden wir das, was in Jesaja 35 steht auch einer anderen Zeit zuordnen. Doch damit sagte Jesus dem Johannes, dass sich in seiner Gegenwart Reich Gottes ereignet. Sogar Tote werden erweckt! Jesus verstand die Verunsicherung und Irritation des Johannes. Er wusste, dass er eine andere Vorstellung von seinem Wirken hatte. Deswegen klagte er ihn aber nicht an, sondern lässt ihm sagen: „Glücklich zu preisen ist, wer nicht an mir Anstoss nimmt.“ Lk.7,23. Glücklich, wer am Wirken Gottes keinen Anstoss nimmt. Auch dann nicht, wenn wir Gottes Handeln und Wege nicht begreifen. Und das kann ich euch garantieren, dass ihr früher oder später in eurem Leben an solche Punkte kommen werdet. An den Punkt, an dem wir die Welt und Gott nicht verstehen. Wo wir nicht verstehen, was vor sich geht und warum Gott sich nicht anders verhält. Gott mutet uns solche Zeiten zu und führt uns dadurch in die Tiefe. „Glücklich zu preisen ist, wer nicht an mir Anstoss nimmt.“ Lk.7,23. Gerne möchten wir auf alles eine gute Antwort haben. Wir wollen erklären können, warum es in der Welt so viele Kriege gibt. Wir wollen wissen, warum so viele Menschen leiden müssen. Wir wollen wissen, warum sich menschliches Elend nicht schneller beseitigen lässt. Aber wir bekommen selten eine Antwort. Manchmal müssen wir einfach demütig anerkenne, dass Gottes Gedanken höher sind als unsere. So sagte Paulus einmal: „Wie unerschöpflich ist Gottes Reichtum! Wie tief ist seine Weisheit, wie unermesslich sein Wissen! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!“ Röm.11,33. Wer im Glauben reifer wird, lernt Gott zu vertrauen, selbst wenn alles in sich zusammenbricht. Das Gebet des Glaubens lautet dann: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“ Psalm 73,23+26
Jesus stellt sich ganz und gar zu Johannes
Nachdem die Jünger des Johannes gegangen waren, begann Jesus über Johannes zu sprechen. Die Juden hatten ihn bereits abgeschrieben. Schliesslich sass er im Gefängnis. Vielleicht dachten sie, das hätte er sich mit seinem Übereifer selber eingebrockt. Warum musste er unbedingt Herodes öffentlich anklagen? Man muss mit der Wahrheit nicht immer so geradlinig umgehen. Was sie auch immer über Johannes dachten. Jesus wollte nun klar stellen, wer Johannes wirklich war. Zuerst stellte er ihnen drei Fragen: „Was wolltet ihr euch eigentlich ansehen, als ihr zu Johannes in die Wüste hinausgingt? Ein Schilfrohr, das sich im Wind hin- und herbewegt?“ Lk.7,24. Nein! das wollten sie bestimmt nicht. Ein Schilfrohr, das sich im Wind bewegt, ist überall zu finden. Deswegen geht niemand in die Wüste. Zweite Frage: „Was wolltet ihr denn sonst dort draussen sehen? Einen Mann in feiner Kleidung?“ Lk.7,25. Ganz bestimmt nicht! Das kann nicht sein. „Ihr wisst doch: Leute, die vornehme Kleider tragen und im Überfluss leben, sind in den Königspalästen zu finden.“ Lk.7,25. Dritte Frage: „Was wolltet ihr also sehen, als ihr hinausgingt?“ Lk.7,26. Was wollten sie sehen? „Einen Propheten?“ Lk.7,26. Genau, das wollten sie sehen. Einmal im Leben einen echten Propheten sehen und erleben, von denen sie ansonsten nur in den alten Schriften lesen konnten. Das war interessant und deshalb wollten sie zu Johannes. Ihre Vermutung war richtig. Johannes war tatsächlich ein Prophet, wie Jesus bestätigt: „Ja, ich sage euch: Ihr habt einen Propheten gesehen, und noch mehr als das.“ Lk.7,26. Johannes war sogar mehr als ein Prophet. Er war Prophet und gleichzeitig die Erfüllung einer allgemein bekannten prophetischen Ankündigung. Der Propheten Maleachi kündigte ihn bereits vor drei- bis vierhundert Jahren an. So sagte Jesus: „Johannes ist der, über den es in der Schrift (Maleachi 3,1) heisst: ‚Ich sende meinen Boten vor dir her; er wird dir vorangehen und dein Wegbereiter sein.‘“ Lk.7,27. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Es gibt ganz wenige Menschen, die von Propheten angekündigt wurden. Doch dann sagte Jesus noch etwas, das für uns schwierig zu verstehen ist: „Ich sage euch: Unter allen Menschen, die je geboren wurden, gibt es keinen Grösseren als Johannes; und doch ist selbst der Geringste im Reich Gottes grösser als er.“ Lk.7,28. Kein Mensch war grösser, der je geboren wurde, als Johannes. Vermutlich sagte das Jesus aus zwei Gründen. Einmal, weil Johannes quasi auf der Schwelle zwischen altem zum neuem Bund stand. Er war das Bindeglied zwischen den beiden heilsgeschichtlichen Zeiten. Er war der letzte grosse Prophet bevor Jesus in die Welt kam und er hatte die ehrenvolle Aufgabe, direkt auf die zentralste und wichtigste Person der Heilsgeschichte hinzuweisen: auf Jesus Christus. Ein weiterer Grund, warum Jesus sagte, dass es keinen Grösseren gäbe, war vermutlich seine Empfängnis. Mir ist keine andere Person bekannt, von der gesagt wird, dass sie bereits im Mutterleib mit dem Heiligen Geist erfüllt worden sei. Aber Johannes wurde bereits im Mutterleib mit dem Heiligen Geist erfüllt, wie das der Engel Gabriel seinem Vater Zacharias ankündigte: „Schon im Mutterleib wird er mit dem Heiligen Geist erfüllt sein.“ Lk.1,15. Das war ein grosses Privileg. Man könnte vielleicht sagen, dass ihm die Rettung in die Wiege gelegt wurde. Deshalb vermute ich, dass Johannes wegen diesem Privileg, weil er bezüglich der Erlösung bevorzugt wurde, im Reich Gottes eine andere Stellung haben wird. „Der Geringste im Reich Gottes wird grösser als Johannes sein.“ Lk.7,28. Das ist mein Vorschlag, wie man das verstehen könnte.
Die Juden verachten Gottes Entgegenkommen
Jesus erinnerte die Leute, wie es war, als Johannes noch nicht im Gefängnis war, sondern am Jordan taufte: „Alle, die Johannes zuhörten – das ganze Volk und sogar die Zolleinnehmer -, gaben Gott in seinem Urteil Recht; sie haben sich von Johannes taufen lassen.“ Lk.7,29. Sogar Menschen, die in den Augen der religiösen Elite zum Abschaum der Menschen gehörten, liessen sich taufen und bekannten ihre Sünden. Hingegen leisteten die Juden Widerstand, die wissen mussten, wer Johannes war und welchen Auftrag er erfüllte. Jesus sagte: „Die Pharisäer und die Gesetzeslehrer machten den Plan zunichte, den Gott für sie hatte; sie haben sich nicht von Johannes taufen lassen.“ Lk.7,30. Sie waren nicht bereit, Johannes den Täufer anzuerkennen. Sie hielten sich vornehm zurück und lehnten ab, was Gott ihnen schenken wollte. Aber nicht nur das. Die Pharisäer und Gesetzeslehrer verunsicherten durch ihr Verhalten die jüdische Bevölkerung. Statt Gottes Plan zu unterstützen, behinderten sie, was Gott tat. So fragte Jesus: „Mit wem soll ich also die Menschen dieser Generation vergleichen? Welches Bild trifft auf sie zu?“ Lk.7,31. Und Jesus nahm spielende Kinder zum Vergleich. Ein Spiel, bei dem eine Gruppe zum Beispiel mit der Flöte lustige Lieder spielt und die anderen Kinder reagieren darauf, indem sie zu diesem Flötenspiel tanzen. Und so verglich Jesus das Verhalten der Juden mit dem Verhalten der Kinder in diesem Spiel: „Sie sind wie Kinder, die auf dem Marktplatz sitzen und einander zurufen: ‚Wir haben euch auf der Flöte lustige Lieder gespielt, und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder angestimmt, und ihr habt nicht geweint.‘“ Lk.7,32. Sie sind Spielverderber! Sie machen bei diesem Spiel nicht mit. Genauso verhielten sie sich gegenüber Johannes und Jesus. Johannes predigte und taufte und sie weigerten sich darauf zu reagieren. „Johannes der Täufer ist gekommen, hat gefastet und keinen Wein getrunken, und schon habt ihr gesagt: ‚Er ist von einem bösen Geist besessen.‘“ Lk.7,33. Statt auf ihn zu hören und auf seine Botschaft zu reagieren habt ihr ihn verleumdet. Jeder Jude musste aus der Geschichte Israels wissen, dass es immer gottgeweihte Männer gab, die keinen Alkohol tranken und ein asketisches Leben führten. Es ist empörend, wenn man über Johannes sagt, er sei deswegen von einem bösen Geist besessen. Aber leider ist es so, wenn Menschen etwas kategorisch ablehnen, schrecken sie nicht davor zurück, Lügen zu verbreiten. So wurde zum Beispiel über die Christen in der Antike gesagt, sie würden ihre Kinder opfern. Was für ein Unsinn! Jesus hatte einen anderen Lebensstil als Johannes, aber auch das schien ihnen falsch zu sein. Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt wie jedermann, und da sagt ihr: „Was für ein Schlemmer und Säufer, dieser Freund der Zolleinnehmer und Sünder!“ Lk.7,34. Jesus trank Wein. Er fastete nicht so wie Johannes. Er war den Menschen mehr zugetan als Johannes. Jesus besuchte die Menschen sogar in ihren Häusern. Das war ihnen auch nicht recht. Jesus beschimpften sie als Säufer und Sünder, obwohl er nie betrunken war. Die Juden wollten offensichtlich nicht annehmen, was Gott ihnen schenken wollte – sehr schade. Es geschah leider das, was der Evangelist Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums schrieb: „Jesus kam zu seinem Volk, aber sein Volk wollte nichts von ihm wissen.“ Joh.1,11. Zum Glück verachteten nicht alle Juden, was Gott für sie tat. Es gab Juden, die sich mit ganzer Überzeugung von Johannes taufen liessen und die später Jesus nachfolgten. So sagte Jesus zum Schluss: „Und doch hat die Weisheit Gottes Recht; das zeigt sich an all denen, die sie angenommen haben.“ Lk.7,35. Zu welchen Menschen gehörst du? Hast du Jesus angenommen? Der Evangelist Johannes schreibt, nachdem er gesagt hat, dass das Volk Israel nichts von Jesus wissen wollte: „All denen jedoch, die ihn aufnahmen und an seinen Namen glaubten, gab er das Recht, Gottes Kinder zu werden.“ Joh.1,12. Bist du ein Kind Gottes geworden?
Schlussgedanke
Das war eine dunkle, ich denke die dunkelste Zeit im Leben des Johannes. Er sass im Gefängnis und verstand nicht, warum Jesus in der damaligen Gesellschaft nicht mehr veränderte. Plötzlich war er sich nicht mehr sicher, ob dieser Jesus, der grosse Wunder vollbrachte, tatsächlich der Messias sei. Vielleicht zermürbte er sich mit der Frage, ob wohl alles umsonst gewesen sei, ob er sich getäuscht hätte. Gott mutet uns solche Zeiten zu. Dadurch führt er uns in ein tieferes Vertrauen zu ihm. Wir lernen ihm zu Vertrauen, auch wenn wir nicht alles, was wir erleben, sehen und fühlen einordnen können. Jesus sagt auch zu dir: „Glücklich zu preisen ist, wer nicht an mir Anstoss nimmt.“ Lk.7,23. Es ist immer die beste Entscheidung, sollten wir den Überblick und die Kontrolle verlieren, bei Jesus zu bleiben. Wir sollten uns hüten Gott anzuklagen. Nehmen wir zu Herzen, was Gott durch Jesaja auch uns sagt: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ Jes.55,8-9. Vertrauen wir also den Gedanken Gottes, denn so finden wir unseren inneren Frieden.