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Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Wer über sich im Bilde sein will, wahrhaft gebildet und nicht schrecklich eingebildet, der reflektiere diese dreiteilige Bildge­schichte: Gott schafft Kunstbilder. Ihn schaffen Zerrbilder. Er hat das Ebenbild geschaffen. - Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Sicher ist Gott auch Naturfreund, liebe Gemeinde. Er hat Himmel und Erde gemacht. Der erste Schöpfungstag war die Ouvertüre einer grandiosen Serie. Berge und Wälder, Täler und Felder, Flüsse und Seen sind sein Revier. Wen es also mit allen Fasern hinauszieht in die große, weite Welt, wer im Wald und auf der Heide seine Freude findet, wer nicht genug bekommen kann von diesem grünen Park, der ist gleichfalls ein Freund der Natur. Sicher ist Gott auch Blumenfreund. Er ließ Samen aufgehen und Pflanzen wachsen. Die Vielfalt der Pflanzenwelt ist atemberaubend. Rosen und Astern, Veilchen und Sonnenblumen, Nelken und stinkende Hoffart sind sein Entzücken. Wen es also mit aller Gewalt hinunterzieht in sein Blumenbeet, wer seinen Fenstersims mit Topfpflanzen aller Art verbaut, wer seine Vasen gar nie leer im Buffet stehen hat, der ist gleichfalls ein Freund der Blumen. Sicher ist Gott auch Tier­freund. “Es wimmle von lebendigen Tieren auf Erden”, befiehlt er am fünften Schöpfungstag. Walfische und Forellen, Ameisen und Elefanten, Adler und Maikäfer gehören in seine Menagerie. Wen es also mit aller Energie hinüberzieht in die Wilhelma, wer trotz Polizeiverbot die Tauben unseres Kirchendaches füttert, wer nicht nur auf den Hund kommt, sondern auch noch für die Katz lebt, der ist gleichfalls ein Freund der Tiere. Aber Gott ist mehr. Vor dem sechsten Schöpfungstag gibt es eine Art Verschnaufpause. Ein Gedankenstrich ist eingefügt. Etwas Neues, etwas Besonderes, etwas hochgradig Bedeutsames steht bevor: “Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei.” Das ist es, was Gott eigentlich gewollt hat: “Mensch, das klingt stolz”, sagt Maxim Gorki. Das ist es, was Gott eigentlich gewünscht hat: Mensch, das klingt selbstbewusst. Das ist es, was Gott eigentlich ersehnt hat: Mensch, das klingt erhaben. Alles bis dahin Ge­schaffene war Vorbereitung. Alles bis dahin Unternommene war Zu­bereitung. Der Mensch ist das Ziel des ganzen Schöpfungswerkes. Mag Gott auch Naturfreund und Blumenfreund und Tierfreund sein, vor allem und zuallererst ist er Menschenfreund. Er will nicht alleine leben wie Buddha. Er will nicht alleine schweben wie die Hindugötzen. Er will nicht allein thronen wie Zeus auf dem Olymp. Unser Gott sucht das menschliche vis-à-vis. Ihm ist am Menschen gelegen. Seine Liebe gehört dem Du. Deshalb ließ er es nicht mit einem Naturpark, einem botanischen Garten und einem Zoo bewenden, sondern gesellte den Menschen hinzu. Mit dem sechsten Tage­werk setzte er seiner Schöpfung die Krone auf. Schon hier gilt die alte Spruchweisheit: Das Letzte ist das Beste. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Wer also über sich im Bilde sein will, wer also wahrhaft gebildet sein und nicht schrecklich eingebildet sein will, der reflektiere diese dreiteilige Bildge­schichte. 1. Er schafft Kunstbilder. 2. Ihn schaffen Zerrbilder. 3. Er hat das Ebenbild geschaffen.

1. Er schafft Kunstbilder

Hier steht Mannsbilder und Weibsbilder. Sein ganzes Können legt er hinein. Da mag man den Menschen als billiges Zufalls- und Nebenprodukt eines Werdeprozesses abqualifi­zieren, da mag man lange über seine Abstammung vom Affen oder irgendwelchem Urschleim philosophieren, da mag man ewig über Evolution oder Schöpfung diskutieren: Wir alle stammen aus Gottes Atelier. Und er ist kein Sonntagsmaler, der Laienhaftes auf den Markt bringt. Er ist kein Dilettant, der Bruchstückhaftes zur Schau stellt. Er ist kein Fabrikant, der Kitsch produziert. So wie beispielsweise die Meisterwerke eines Albrecht Dürer mit den Initialen “AD” gezeichnet sind, so tragen wir den Namen des lebendigen Gottes. Seine Handschrift macht den Menschen zum Meister­werk. An uns ist seine Größe ablesbar. Er schafft also Kunstbilder. Seine Liebe zum Detail ist unübersehbar. Der Psalmist damals hat es kapiert: “Ich danke dir, dass ich wunderbar bereitet bin, wunderbar sind deine Werke und meine Seele erkennt es wohl. Meine Knöchlein waren dir nicht verborgen” (Ps.139). Kein Bild ist wie das andere. Autos kommen vom Fließband, Anzüge von der Stange, Fahrkarten vom Automaten. Sie und mich gibt es nur als einmalige Ausgabe. Er kennt keine Kopien und kein Din-Format. Auch wenn Sie sich im Spiegel nicht mehr sehen können, Sie sind eine Handarbeit Gottes. Auch wenn Sie sich so wertlos vorkommen, Sie sind ein wertvolles Exemplar. Auch wenn Sie an Ihrer Stelle übrig wären, Sie sind ein unersetzliches Porträt. Ja, selbst wenn Ihre Eltern Sie nicht gewollt haben und Sie zeitlebens darunter zu leiden hatten, ein unerwünschtes Kind zu sein: Sie sind Gottes Wunsch­kind. Er hat Sie gewollt. Er hat Sie gewünscht. Er hat sein Ja gesprochen und deshalb gibt es keine übrigen Leute. Ob es der hilflose Säugling in den Tragkissen seiner Mutter ist, über dem noch ein Hauch der Ewigkeit liegt, oder ob es die einsame Großmutter ist, die von den Stürmen des Lebens gezeichnet wurde, für alle gilt, was Kurt Marti, der Dichterpfarrer so formulierte: “Ich wurde nicht gefragt bei meiner Geburt, und die mich gebar wurde auch nicht gefragt bei ihrer Geburt, niemand wurde gefragt außer dem Einen, und der sagte ja.” Und wenn immer wieder jene schwermütige, östliche Weisheit in uns zu bohren beginnt: “Der Schlaf ist gut, der Tod ist besser, am besten wäre nie ge­boren zu sein”, dann müssen wir jene fröhliche, biblische Wahr­heit dagegen halten: Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde. Was aber unser Gott geschaffen hat, das lässt er nicht links liegen, das will er auch erhalten. Gott schafft Kunstbilder. Dann gibt er ihnen einen Rahmen. Du sollst den Feiertag heiligen. Du sollst Vater und Mutter ehren. Du sollst nicht töten. Du sollst nicht ehebrechen. Du sollst nicht stehlen. Die 10 Gebote sind die Rahmenordnung für unser Leben. Ohne sie verlieren wir an Wert und setzen uns der Gefahr aus, als “Gruscht” oder Sperrmüll auf dem Flohmarkt des Lebens verhökert zu werden. Gott schafft Kunstbilder, denen er einen Rahmen gibt und jedes an einen besonderen Platz stellt. Der Eine steht in der Schule, der Andere an der Maschine, der Dritte in der Küche und der Vierte im Büro. Oft genug macht uns unser Standplatz zu schaffen und wir denken, dass es an andern Arbeitsplätzen besser wäre und leichter wäre. Er aber will, dass wir Ja sagen zur Platzanweisung unseres Lebens und endlich dafür dankbar werden. Wo Gott uns hinstellt, haben wir die richtige Stellung, auch wenn sie mit BAT 9 eingestuft ist. Wir alle sind wertvolle Originale, die aus der Hand dieses Menschen­freundes kommen und die er sich nicht abkaufen lässt. Er schafft Kunstbilder, aber, und das ist das Zweite,

2. Ihn schaffen Zerrbilder

Bei 1. Mose 1 ist es leider nicht ge­blieben. Nicht nur Adam und Eva, die auf einmal wie Gott sein wollten, alle Menschen bildeten sich etwas ein. Das Menschengeschlecht wurde eingebildet. Keiner wollte mehr Abbild von Gottes Macht werden. Jeder wollte Spiegelbild seiner eigenen Größe sein. “Lasst uns einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reicht!” Das Titanische hat sich bei uns festgesetzt. Groß her­auskommen, das wollen wir doch alle. Eine gute Figur abgeben, das ist unser heimlicher Wunsch. Ein beneidenswerter Typ werden, das steckt uns tief in den Knochen. Das Recht auf Selbstverwirklichung wurde uns auch eingehämmert. Du musst etwas aus dir machen! Nach ehrgeizigen Plänen bauen wir uns auf oder lassen uns aufbauen. Immer größer wollen wir werden und andere überragen. Deshalb tragen wir den Kopf hoch, Topleute müssen wir sein, Stars, die von den Litfaßsäulen lächeln. Wer ganz oben ist, ist spitze. Natürlich darf dabei mit Ellenbogen gearbeitet werden. Wo gehobelt wird, fallen Späne. Wo man sich selbst ins Bild setzt, müssen andere Bilder versetzt werden oder gar weichen. Als Schüler ist einem das Vaterbild oder Mutterbild oder Lehrerbild im Weg. Was wollen schon diese autoritären Typen! Als Auszubildender kämpft man gegen verschiedene Feindbilder: Weg mit den frommen Systemerhaltern! Später geht es je nach Überzeugung gegen die Roten oder Grünen, gegen die Schwarzen oder Weißen. Bilderstürmer gab es nicht nur in der Reformationszeit. Heute stechen wir skrupellos auf andere, um uns ins rechte Licht zu setzen. Und dabei merken wir gar nicht, dass wir schon lange aus dem Rahmen gefallen sind und es geschafft haben, aus dem Bild Gottes ein Zerrbild zu machen, das ihn schafft. Von Leonardo da Vinci wird erzählt, dass er lange ein Modell für die Christusgestalt des Abendmahlbildes gesucht habe. Endlich fand er einen jungen Mann, der seinen Vorstellungen entsprach. Ein Jahrzehnt später suchte er für dasselbe Bild ein Modell für die Judasgestalt. Nach langen Suchern fand er einen völlig verstörten Mann. Den engagierte er und dann stellte sich heraus: Es war der gleiche Mensch, der schon für die Christusgestalt Modell gestanden hatte. Was war aus ihm geworden? Was ist aus dem Menschenbild geworden? Was für ein Zerrbild! Hatte Gottfried Benn recht, wenn er sagte: “Die Krone der Schöpfung, der Mensch, das Schwein.” Gott sei Dank ist die Bildgeschichte damit nicht zu Ende. Es gibt eine Fortsetzung. Wider Erwarten und gegen jede Logik setzt Gott noch einmal an. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, der im Stall von Bethlehem geboren wurde. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, der in der Zimmerei in Nazareth aufgewachsen ist. Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, den Paulus als zweiten Adam bezeichnet. Er hat, und das ist das Letzte …

3. Er hat ein Ebenbild geschaffen

Aber alle fragten skeptisch: Was kann von Nazareth Gutes kommen? Sie hatten ein völlig anderes Messiasbild. Er deckte ihre Erwartungen nicht ab. Er störte ihre Kreise. Er verunsicherte ihre Überzeugung. Deshalb stachen sie mit Dornen auf ihn ein, bis Blut aus dem Schädel tropfte. Deshalb schlugen sie mit Hämmern seine Hände fest, bis sie am Schandholz steif wurden. Deshalb verletzten sie mit Speeren seine Hüfte, bis die grausame Exekution zu Ende war. Sie haben Jesus ganz geschafft, aber Gott schaffte daraus etwas ganz anderes. Aus diesem Jammer- und Elendsbild wurde das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. In diesem Erschöpften will der Schöpfer wieder erkannt werden, mehr: hinter diesem Erschöpften will er seine Geschöpfe wieder­sehen. Christus also unser Vorbild, der Liebe inmitten einer Welt des Hasses übt und sich für andere verblutet: “Ein Vorbild habe ich euch gegeben, dass ihr tut, wie ich euch getan habe.” Christus also unser Leitbild, der weiß, wo es lang geht, auch wenn das Labyrinth unserer Tage schwindelerregend ist: “Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.” Christus also unser Zielbild, der die Tür zum Vaterhaus kennt. “Ich bin die Tür, wenn jemand durch mich eingeht, der wird gerettet werden.” Christus also unser Gleichbild. Einmal, liebe Freunde, und darauf weist dieser Sonntag Jubilate, einmal werden wir alle vor diesem Gott erscheinen müssen. Das jüngste Gericht ist kein Gerücht. Der jüngste Tag wird nicht vertagt. Nichts ist so sicher wie dieser Termin. Dann wird Gott uns ansagen: Ich habe dich als Kunstbild geschaffen. Dann wird Gott uns anfragen: Warum hast du ein Zerrbild daraus gemacht? Dann wird Gott uns anklagen: Gehet weg von mir! Jesus ist dann die letzte Chance. Er tritt, sofern ich ihm gehöre, zwischen Gott und mich. Seine Arme verdecken die Risse, die durch mein Leben laufen. Sein Körper verdeckt den Schmutz, der sich auf mich gelegt hat. Sein Eben­bild verdeckt mein Zerrbild. Und Gott sieht nur noch ihn an und ich darf mich dahinter verstecken. Geschützt, geborgen, gerettet! Jubilate! Das sind echt schöne Aussichten. Sie gelten dem, der es jetzt gelten lässt: Liebe, dir ergeb ich mich. Dein zu bleiben ewiglich.

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]