Einführung in Psalm 90 als Lebens- und Sterbebegleiter
Und heute Abend wollen wir uns Psalm 90 ansehen. Ich habe diesen Psalm einmal überschrieben mit: „Nur ein Psalm für Beerdigungen“. Ihr wisst, warum dieser Psalm bei vielen Beerdigungen gelesen wird. Weil ein Satz darin vorkommt: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen.“
Ich habe ihn weiter überschrieben mit: „Das Gebet Moses, des Mannes Gottes“. Sozusagen ein Vermächtnis zum Nachdenken – nicht nur für Senioren.
Ich möchte zu Beginn diesen Psalm vorlesen. Er umfasst siebzehn Verse und ist ein Gebet von Mose, dem Mann Gottes:
Herr, du bist unsere Wohnung gewesen von Generation zu Generation. Ehe die Berge geboren waren und du die Erde und die Welt geschaffen hast, bist du von Ewigkeit zu Ewigkeit Gott.
Du lässt den Menschen zum Staub zurückkehren und sprichst: „Kehrt zurück, ihr Menschenkinder!“ Denn tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist, und wie eine Wache in der Nacht.
Du schwärmst sie hinweg, sie sind wie ein Schlaf. Am Morgen sind sie wie Gras, das aufsprosst, am Mittag blüht es und sprosst auf, am Abend welkt es und verdorrt.
Denn wir vergehen durch deinen Zorn, und durch deinen Grimm werden wir verstört. Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts.
Denn alle unsere Tage schwinden durch deinen Grimm, wir bringen unsere Jahre zu wie ein Seufzer.
Die Tage unserer Jahre sind siebzig Jahre, und wenn sie in Kraft sind, achtzig Jahre. Und ihr Stolz ist Mühe und Nichtigkeit, denn schnell eilt es vorüber, und wir fliegen dahin.
Wer erkennt die Stärke deines Zorns und deines Grimms, wie es der Furcht vor dir entspricht?
So lehre uns denn, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz erlangen.
Hier wieder, Herr: „Bis wann?“ Erbarme dich deiner Knechte! Sättige uns am Morgen mit deiner Gnade, so werden wir jubeln und uns freuen in allen unseren Tagen.
Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast, so viele Jahre, wie wir Übles gesehen haben.
Lass an deinen Knechten sichtbar werden dein Tun und deine Majestät über ihren Söhnen.
Die Freundlichkeit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns, und festige über uns das Werk unserer Hände! Ja, das Werk unserer Hände festige du es.
Soweit Gottes Wort.
Persönliche Erfahrungen und Beobachtungen auf Friedhöfen
Wir haben in Wuppertal verschiedene Friedhöfe, und auf vielen von ihnen bin ich schon gewesen und habe auch Beerdigungen gehalten. Wenn man auf einem Friedhof ist, der zu einer evangelischen Kirche gehört, gibt es in der Regel hinten in der Sakristei einen kleinen Aufenthaltsraum. Dort stehen ein Tisch und ein Stuhl. An den Garderoben hängen einige Talare. Man kann sich aussuchen, ob man den reformierten oder den lutherischen Talar anziehen möchte.
Meist liegt dort auch ein Buch, in das jeder Pfarrer einträgt, wen er beerdigt hat, das Datum und über welchen Bibeltext er gepredigt hat. Das ist sehr interessant. Ich habe festgestellt, dass es bestimmte Pastoren gibt, bei denen sich im Grunde nur der Name der beerdigten Person und das Datum ändern. Der Bibeltext bleibt immer derselbe Psalm.
Zum Beispiel gibt es einen Pastor, der immer über Psalm 90 predigt. Offenbar wechselt er nur den Namen aus. Deshalb habe ich das hier so überschrieben: „Nur ein Psalm für Beerdigungen?“ Ich glaube das nicht.
Die Lebensgeschichte Moses als Hintergrund für den Psalm
In der Überschrift haben wir gelesen, dass dieses Gebet von Mose stammt. Wenn ich mir das vorstelle und das Leben von Mose betrachte, erhalten verschiedene Verse eine besondere Bedeutung.
Ich denke, es ist gut, wie auch beim Psalm von David, zu wissen, wer den Psalm geschrieben hat und unter welchen Umständen. Das Thema dieses Gebets sind die Gegensätze des Lebens. Wir finden darin die Ewigkeit Gottes und die Vergänglichkeit des Menschen. Wir finden den heiligen Gott und den sündigen Menschen. Ebenso den Gegensatz zwischen Leben und Tod sowie die Bedeutung des Lebens in einer gefallenen Welt.
Wenn wir uns das Leben von Mose ansehen, stellen wir fest, dass Mose nach seinen eigenen Aussagen viele Überstunden in seinem Leben gemacht hat. Er ist nicht siebzig oder achtzig Jahre alt geworden, sondern bei ihm fing der Hauptauftrag erst mit achtzig an.
Ich habe sein Leben einmal mit „vierzig, vierzig, vierzig“ überschrieben. Das bedeutet: Die ersten vierzig Jahre war er sozusagen ein Migrantenkind, dann ein Adoptivsohn des Weltherrschers. Er erhielt eine ausgezeichnete Ausbildung, wurde zum Totschläger und musste fliehen. Mit vierzig Jahren musste er aus Ägypten fliehen.
Dabei war er als Migrant, der von der Tochter des Pharao adoptiert wurde, hervorragend ausgebildet worden. Stephanus sagt das in seiner Predigt, bevor er gesteinigt wird: Mose war unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter. Damals war Ägypten die Weltmacht auf der Erde. Er hätte ein guter Pharao werden können.
Doch er vermasselt sich im Grunde alles, indem er einen Ägypter erschlägt. Er muss fliehen. Die nächsten vierzig Jahre lebt er dann in der Wüste, heiratet dort und hütet die Herde seines Schwiegervaters, der ein Priester war.
Man könnte fragen: War das alles, Mose? War das das Leben? Er hätte eine völlig andere Karriere machen können, doch er ist ein einfacher Hirte, der mit der Herde durch die Wüste zieht.
Erst mit achtzig Jahren beruft Gott ihn. Er wird zum Revolutionär, zum Befreier und zum Führer eines unterdrückten Volkes. Wir kennen die Geschichten der Wüstenwanderung. Er bekommt den Auftrag, die Stiftshütte zu bauen. Mose wird Freund Gottes genannt und wird ein Vorbild für den Herrn Jesus.
Mose wird insgesamt hundertzwanzig Jahre alt, und es wird gesagt, dass seine Kraft nicht geschwunden ist. Ich selbst bin noch keine achtzig und merke schon, dass es nicht mehr so ist wie früher. Mose erlebt Gott auf jeden Fall auf eine ganz besondere Weise.
Die historische Situation und Bedeutung des Psalms
Vorgeschichte zu diesem Psalm: Man kann annehmen, dass er nach Kadesch-Spanea geschrieben wurde, also nachdem die Kundschafter ins Land gezogen waren und mit ihrer Botschaft zurückgekehrt sind. Zehn von diesen Kundschaftern berichteten, es sei unmöglich, ins Land einzuziehen. Sie sagten, das Land „frisst“ seine Bewohner. Zwar sei das Land fruchtbar, doch gegen die befestigten Städte und die ausgebildeten Soldaten hätten sie keine Chance.
Nur zwei der Kundschafter, Josua und Kaleb, sagten: „Wir haben einen großen Gott.“ Daraufhin begann die vierzigjährige Wüstenwanderung. Ist euch schon einmal bewusst geworden, was das für Israel und auch für Mose bedeutete? Vierzig Jahre in der Wüste! Normalerweise hätte jemand, der von Ägypten nach Kanaan reist, wenn er die Küstenstraße genommen hätte, selbst als Karawane mit Hab und Gut, das Ziel spielend in vierzehn Tagen erreichen können.
Gott führte sie zunächst in den Süden auf die Sinaihalbinsel und ließ sie am Berg Sinai, am Horeb, lagern. Dort erhielten sie die Zehn Gebote und auch die weiteren Anweisungen im dritten Buch Mose. Außerdem bekamen sie den Plan für die Stiftshütte. Diese bauten sie innerhalb von dreiviertel Jahr. Genau am Jahrestag des Auszugs aus Ägypten war die Stiftshütte fertig, und Gott nahm Wohnung in dieser Stiftshütte.
Es war ein beeindruckendes Erlebnis: Die Wolke der Herrlichkeit, die Schichtina, nahm Wohnung im Allerheiligsten. Es heißt, die Priester konnten ihren Dienst nicht tun, weil die Wolke das Zelt erfüllte. Sie erlebten die unmittelbare Gegenwart Gottes. Doch aufgrund des Ungehorsams in Kadesch-Spanea sagte Gott: „Ich schicke euch jetzt vierzig Jahre durch die Wüste.“
Sie lagerten an verschiedenen Stellen. Gott hatte gesagt, keiner von denen, die opponiert hatten – alle Menschen über zwanzig Jahre – sollten überleben. Nur die nächste Generation, die zu diesem Zeitpunkt bis zwanzig Jahre alt war, sollte in das Land einziehen können. Das heißt: Nach diesen 40 Jahren waren die Ältesten sechzig Jahre alt, alle anderen waren gestorben.
Habt ihr das schon einmal ausgerechnet? Das bedeutet, in diesen 40 Jahren gab es mindestens zwei Millionen Beerdigungen. Was heißt das pro Tag? Das sind 139 Beerdigungen täglich. Das muss bedrückend gewesen sein, oder? Man macht sich das im Grunde nicht bewusst. Gott hatte gesagt, in diesen 40 Jahren sollen alle sterben, die über zwanzig Jahre alt waren. Wenn man davon ausgeht, dass es zwei Millionen waren – wahrscheinlich sogar noch mehr –, dann sind das an jedem Tag 139 Beerdigungen.
Könnt ihr euch vorstellen, dass unter diesem Eindruck Mose solch einen Psalm schreibt? Wahrscheinlich hat er nicht alle Beerdigungen selbst gehalten, sicher auch andere Fürsten des Volkes, aber es muss erschreckend gewesen sein. Als das Volk schließlich ins Land einzog, waren von der Generation die Ältesten gerade einmal sechzig Jahre alt. Die beiden Ausnahmen waren Josua und Kaleb, die beide älter wurden. Mose starb vorher, bevor sie eingezogen sind.
Man kann sagen, es waren also vierzig Jahre pausenlose Beerdigungen. Wenn ich diesen Psalm unter diesem Aspekt lese, wird mir einiges daran deutlich. Es ist nicht umsonst, dass Mose sagt: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen.“ Sie konnten sich ausrechnen, dass, wenn der Letzte von denen, die damals bei der Auflehnung in Kadesch-Spanea über zwanzig Jahre alt waren, gestorben war, sie hineinziehen konnten.
Gott hatte diese Anordnung gegeben, weil die Kinder Israel gesagt hatten, sie könnten nicht in das Land einziehen, da sie viele kleine Kinder hätten. Wie sollten diese bei den Feinden im Land Kanaan bestehen können? Gott sagte: „Die, vor denen ihr Angst habt, werde ich vertreiben.“
Ich finde es interessant, wie Gott vorgeht und wie er sein Volk erzieht. Mich beeindruckt das sehr stark, und wir merken, dass dadurch auch gerade Mose innerlich reift.
Die innere Entwicklung Moses und seine Beziehung zu Gott
Gott hat diesen Mann verändert – einen Mann, der damals jähzornig war. Mit vierzig Jahren hatte er in seinem Zorn einen Mann getötet, der fliehen musste. Er hatte die beste menschliche Ausbildung genossen, die es damals gab.
Gott demütigte ihn, und später konnte dieser Mann sagen, dass er der sanftmütigste Mensch war. Er ging einen Weg mit Mose. Mose verstand ihn und lernte Gott kennen. Gott sagt von Mose: „Ich rede mit Mose wie mit einem Freund von Angesicht zu Angesicht.“ Diese Aussage wird von Gott sonst keinem anderen Menschen zugeschrieben.
So erkennen wir, wie Gott diesen Mann innerlich zubereitet hat.
Gliederung des Psalms und erste Strophe: Auf der Reise zum ewigen Zuhause
Schauen wir uns die Gliederung dieses Psalms an. Er besteht eigentlich aus drei Strophen.
Die erste Strophe umfasst die Verse eins bis zwei. Ich möchte sie überschreiben mit: Wir sind auf der Reise, aber unser Zuhause ist bei Gott.
Herr, du bist unsere Wohnung gewesen von Generation zu Generation. Ehe die Berge geboren wurden und du die Erde und die Welt geschaffen hast, von Ewigkeit zu Ewigkeit bist du Gott.
Die zweite Strophe sind dann die Verse drei bis zwölf. Man könnte sie überschreiben mit: Wir sind Lernende, und das Leben ist die Schule.
Die dritte Strophe umfasst die letzten vier Verse, dreizehn bis siebzehn. Doch wir sind Glaubende mit einer herrlichen Hoffnung.
Schauen wir uns diese drei Strophen genauer an.
Strophen eins bis zwei: Wir sind auf der Reise, aber unser Zuhause ist bei Gott. Damals waren es für die Israeliten und für Mose mühevolle Reisen, eine vierzigjährige Wüstenwanderung.
Rückblick auf das Leben und die Vergänglichkeit
Wenn wir auf unser Leben zurückblicken, besonders wenn wir älter werden, stellt sich die Frage: Wer von euch ist achtzig Jahre alt oder älter? Nach dieser Berechnung habt ihr schon einige Überstunden geleistet. Wie würdet ihr euer Leben beschreiben?
Wenn ich in die Bibel schaue, sehe ich sehr unterschiedliche Lebensbeschreibungen. Ein Beispiel ist Jakob, der ein hohes Alter von 137 Jahren erreichte. Am Ende seines Lebens sagt er zum Pharao: „Die Zeit meiner Wanderschaft ist hundertdreißig Jahre. Wenig und böse ist die Zeit meines Lebens und reicht nicht heran an die Zeit meiner Väter in ihrer Wanderschaft.“ Jakob muss also am Ende seines Lebens eingestehen, dass er viele Umwege gemacht hat, von denen viele selbst verschuldet waren.
Jakob hatte damals geglaubt, er müsste in Gottes Handeln eingreifen. Er brachte seinen Bruder dazu, ihm das Erbe abzunehmen und ihm den Segen wegzunehmen. Obwohl Gott gesagt hatte, dass ihm der Segen zusteht, meinte Jakob, er müsse nachhelfen. Am Ende seines Lebens wird deutlich, dass er verstanden hat, dass sein Verhalten damals falsch war.
Interessant ist, wie das beschrieben wird, als sein Sohn Joseph mit dessen Söhnen zu ihm kommt. Jakob nimmt die beiden Söhne Josephs in die zwölf Stämme Israels auf. Dabei nimmt er den Stamm Levi separat, sodass es weiterhin zwölf Stämme gibt. Er segnet die beiden Söhne Josephs und legt dabei seine Hände über Kreuz auf sie. Joseph sagt: „Stopp, das stimmt nicht, das ist der Ältere!“ Doch Jakob antwortet: „Ich weiß.“ Damit macht er deutlich, dass Gott damals genauso hätte handeln können. Gott hätte seinen Vater dazu veranlassen können, das Erbe so zu verteilen. Es hätte keine Flucht oder Rachegedanken gegeben.
Jakob versteht am Ende seines Lebens, dass viele seiner Umwege vergeblich waren. Das Letzte, was von ihm berichtet wird, ist, dass er über der Spitze seines Stabes betet. Das ist eine eigenartige Szene. Er hatte einen Stock, den er in der Hand hielt. Beim letzten Gebet dreht er den Stab um und betet über dessen Spitze. Was will er damit sagen? Er betrachtet sein Leben vom Ende her. Normalerweise hält man den Griff des Stabes in der Hand. Jakob dreht seinen Lebensstab sozusagen um.
Vielleicht geht es dir ähnlich wie Jakob, wenn du älter wirst. Man blickt auf das Leben zurück und denkt: „Manches war nicht richtig, manches hätte ich besser machen können.“
Wie es Mose am Ende seines Lebens erging, wissen wir nicht genau. Einerseits war er sicher enttäuscht, dass Gott ihm nicht die Gnade schenkte, mit ins Land Kanaan einzuziehen. Gott bestraft ihn, weil er damals, als er mit dem Felsen sprechen sollte, damit Wasser hervorkommt, den Felsen nicht nur ansprach, sondern ihn wie beim ersten Mal schlug. Sicherlich hat Mose diese Strafe nicht verstanden.
Wir verstehen das erst durch das Neue Testament, wo der Felsen, der lebendiges Wasser gibt, als Bild für unseren Herrn gesehen wird. Unser Herr musste nur einmal geschlagen werden, nicht zweimal. Mose hat diese Bedeutung damals nicht erkannt. Deshalb ließ Gott ihn nicht ins Land einziehen.
Doch Mose rebelliert nicht, sondern nimmt das schweigend hin. Andererseits belohnt Gott ihn, indem er ihn auf den Berg Nebo steigen lässt, wo Mose stirbt und von Gott begraben wird. Sein Grab wurde nie gefunden. Gott erweist ihm auf diese Weise selbst die Ehre.
Weitere biblische Lebensrückblicke: David und die Vergänglichkeit
Ein weiteres Beispiel für eine mühevolle Lebensreise ist vielleicht David. Am Ende seines Lebens sagt er in 1. Chronik 29,15: „Wir sind Fremdlinge und Gäste vor dir, wie unsere Väter alle. Unser Leben auf Erden ist wie ein Schatten und bleibt nicht.“
Ich glaube, jeder von uns, der auf sein Leben zurückblickt, wird Ähnliches sagen. Nicht umsonst sagt man, je älter wir werden, desto schneller jagen die Jahre dahin.
Jetzt haben wir Juni, und das halbe Jahr ist schon wieder vorbei. Wer hätte gedacht, dass wir überhaupt bis hierher kommen würden?
Die zweite Strophe: Lernen und Leben als Schule
Die zweite Strophe, die Verse drei bis zwölf, haben wir überschrieben mit „Wir sind Lernende und das Leben ist die Schule“. Bei Mose war das eindeutig. Mose war unterwiesen in aller Weisheit der Ägypter, aber in der Schule Gottes hat er weit mehr gelernt. In der Schule Gottes hat er Demut, Sanftmut, Weisheit und Geduld gelernt.
Wenn du vielleicht auf dein Leben zurückschaust, wirst du auch sagen: Ja, das Leben ist manchmal eine harte Schule – hart, oft voller Leid und Not. Es ist gut, wenn wir diesen Weg mit Gott gehen können. Wir brauchen Gott und sein Wort als Lehrmeister.
Ich habe schon gesagt: Je älter wir werden, desto schneller scheint das Leben vorbeizugehen. Hier wird das auch so gesagt: „Tausend Jahre sind in deinen Augen wie der gestrige Tag, wenn er vergangen ist, und wie eine Wache in der Nacht.“ Wahrscheinlich kennt ihr das auch, oder? Manchmal denkt man: Wo ist der Tag geblieben? Man hat versucht, alles Mögliche zu tun. Erika fragt mich manchmal abends: „Na? Hast du alles geschafft?“ Und ich muss sagen: Nein, man hat sich wahrscheinlich zu viel vorgenommen.
Auf der anderen Seite steht hier: Manchmal ist das Leben wie eine Wache in der Nacht. Kennst du das auch, wenn du nicht schlafen kannst? Du denkst, die Stunde vergeht nicht. Beide Empfindungen kennt man. Und Mose sagt auch: „Kenne ich auch.“ Nach den vierzig Jahren Wüstenwanderung wird er sicherlich sagen: Wo sind die Jahre geblieben?
Auf der anderen Seite hat er bestimmt oft überlegt: Wann können wir denn weiterziehen? Wann werden wir endlich im Land ankommen? Gott, du hast es doch versprochen. Er sagt: „Du schwemmst sie dahin, sie sind wie ein Schlaf, sie sind am Morgen wie Gras, das aufsprosst. Am Morgen blüht es, sprosst auf, am Abend welkt es und verdorrt.“
Ich glaube, jeder von uns weiß: Wenn wir nicht die Hoffnung auf Gott hätten, wäre unser Leben im Grunde sinnlos. Wofür lebt man? Die meisten von euch sind auch in dem Alter, in dem man die Zeitung in der Regel von hinten anfängt zu lesen, dort, wo die Todesanzeigen stehen. Und ich muss sagen, das ist oft so frustrierend, oder?
Es gibt bei uns in Wuppertal kaum Todesanzeigen, bei denen ein Bibelspruch steht. Meistens steht da: „Ein treues Mutterherz hat aufgehört zu schlagen“ oder „Wie ein Blatt vom Baum fällt“ oder „Nur Arbeit war sein Leben, nie dachte er an sich“. Oft denke ich, das könnte man auch über ein totes Pferd schreiben. Ist die Arbeit nur mein Leben? Was ist der Sinn meines Lebens?
Manchmal kommt einem das so vor, wenn man vorne die ersten Kapitel im ersten Buch Mose liest und die ganzen Geschlechtsregister durchschaut. Es ist ja auffallend: Es gibt nur eine Linie von Namen, bei der Jahreszahlen dabei stehen – wann jemand geboren ist, wann er sein erstes Kind bekommen hat und wann er gestorben ist.
Manchmal denke ich, wenn man über den Friedhof geht und sich die Grabsteine anschaut, hat man den Eindruck, das Leben eines Menschen ist nur ein Strich zwischen zwei Zahlen: geboren, gestorben, Strich. Ist das das Leben?
Mose macht hier deutlich: Wir haben ein Ziel. Damals hatten die Kinder Israel das Ziel, ins Land zu kommen. Die ganze Generation, die damals in Kadesch-Barnea aufbegehrt hatte, hatte kein Ziel mehr. Gott hatte ihnen gesagt, sie würden in der Wüste sterben. Wie schrecklich muss das für diese Generation gewesen sein!
Die anderen trieb das Ziel an: Wir werden einmal dort sein. Und ich glaube, für uns Christen ist das ähnlich. Wir haben ein Ziel, auch wenn das Leben mühevoll ist. Aber wir haben ein Ziel.
Gisela sagt das auch schon mal so: Am liebsten wäre ich schon da. Und das ist schon die Frage.
Die Illusion der Unsterblichkeit und die Vorbereitung auf das Sterben
Ulrich Barzani schreibt in dem Büchlein, das ich zu Anfang zitiert hatte, „Mit Ulrich Barzani durch die Psalmen“. Dort schreibt er zu diesem Psalm:
„Wir tun so, als wenn wir ewig leben würden. Jeder von uns weiß, dass er sterben muss, aber bis jetzt hat es noch keiner von uns erlebt. Und trotzdem verhalten wir uns, als ob wir alle ewig leben. Dann stirbt jemand mit 96 Jahren, und über der Anzeige steht: ‚Plötzlich und unerwartet.‘ Ja, wir lachen darüber, aber ist es nicht so?
Weihnachten kommt immer so plötzlich, oder? Wir sind alle nicht darauf vorbereitet. Die letzten Tage sind voller fürchterlicher Hektik, obwohl wir es seit zwölf Monaten wissen. Genauso ist es mit unserem Sterben. Es gibt nur wenige, die sich wirklich darauf vorbereiten und alles schon ordnen.
Ich weiß von einem Bruder, der jetzt lange beim Herrn ist. Er war damals über achtzig, und einer der jüngeren Brüder fragte ihn: ‚Na, Ernst, hast du dir schon Gedanken über deine Beerdigung gemacht?‘ Da ist er hochgegangen wie eine Rakete. Er war ungeheuer böse. Vierzehn Tage später war er tot.
Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe. Natürlich habe ich auch noch viele Pläne, wenn der Herr mich noch hier lässt. Aber auf der anderen Seite ist es wichtig, bereit zu sein, abtreten zu können. Das lehrt uns dieser Psalm.
Denn alle unsere Tage schwinden durch seinen Grimm, wir bringen unsere Jahre zu wie ein Seufzer. Die Tage unserer Jahre sind siebzig Jahre, und wenn sie in Kraft sind, achtzig Jahre. Und ihr Stolz ist Mühe und Nichtigkeit, denn schnell eilt es vorüber, und wir fliegen dahin.
Wer ist über siebzig? Die Tage unserer Jahre sind siebzig, alles darüber sind Überstunden, oder? Wir müssen uns das bewusst machen.
Nebenbei bemerkt: In der Zeitung war eine Karikatur zur Debatte über den Renteneinstieg. Da steht ein Rentner vor dem Beamten, und der Beamte sagt: ‚Neueste Errungenschaft: Die zahlen ein und arbeiten, bis sie sterben.‘ Der Rentner fragt: ‚Und dann?‘ Der Beamte antwortet: ‚Dann wird die Rente doppelt so hoch sein.‘ Ich fand das schon sehr gut. Der Rentner fragt weiter: ‚Und was ist der Trick dabei?‘
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir nicht erst ab siebzig unser Leben vom Ziel her erleben. Deswegen sagt hier Mose: ‚Lehre uns, unsere Tage zu zählen, damit wir ein weises Herz erlangen.‘ Andere übersetzen: ‚damit wir klug werden.‘
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns vom Ziel her Gedanken machen. Was würdest du tun, wenn du wüsstest, du hast nur noch ein Jahr zu leben? Was würdest du tun, wenn dir der Arzt sagt, du hast noch vierzehn Tage zu leben? Das sind unangenehme Fragen. Ich möchte nicht, dass jemand deswegen diese Nacht nicht schlafen kann. Aber hier steht: ‚Bedenke uns, lehre uns, unsere Tage zu zählen.‘
Ich glaube, der Vorteil von uns Eltern ist, dass wir unsere Tage bewusst angehen und jeden Tag und jede Woche dankbar aus der Gnade Gottes nehmen – und nicht einfach drauflosleben.
Ich kann oft nicht verstehen, warum viele sogenannte Rentner heute nicht mehr so genannt werden wollen. Selbst ‚Senioren‘ ist inzwischen anrüchig geworden. Man möchte nicht daran erinnert werden. Heute heißen die Heime ja nicht mehr Altersheime, auch nicht Altenheime, auch nicht Seniorenheime – das sind Residenzen.
Wir merken an solchen Namen, dass wir uns selbst etwas vormachen.“
Die dritte Strophe: Glauben mit Hoffnung auf Gottes Treue
Mosel beschreibt in den letzten vier Versen: „Doch wir sind Glaubende und haben eine herrliche Zukunft.“ Er schreibt hier: „Kehre wieder her, bis wann? Erbarme dich deiner Knichte, sättige uns am Morgen mit deiner Gnade, so werden wir jubeln und uns freuen in allen unseren Tagen. Erfreue uns so viele Tage, wie du uns gebeugt hast, so viele Jahre, wie wir Übles gesehen haben. Lass an deinen Knechten sichtbar werden dein Tun und deine Majestät über ihren Söhnen. Die Freundlichkeit des Herrn, unseres Gottes, sei über uns und festige über uns das Werk unserer Hände, ja das Werk unserer Hände festige du es.“
Moses sagt sozusagen: Gott führt uns und bringt uns zum Ziel. Wahrscheinlich sollten wir uns mehr mit diesem Ziel beschäftigen, als mit der Frage: Was erwartet uns da? Er sagt, Gott sättigt uns. Dabei denkt er wahrscheinlich an das Manna, das jeden Morgen da war, sodass sie aus der Gnade Gottes täglich neu leben konnten.
Wir haben ein Ziel, das über den Tod hinausgeht. Jesus selbst hat es uns ja verheißen in Johannes 17: „Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, bei mir sein, damit sie meine Herrlichkeit schauen.“ Manchmal denke ich, wir richten uns zu Hause ein. Natürlich wollen wir ein gemütliches Zuhause haben, aber im Himmel bereitet der Herr Jesus uns die Wohnungen vor.
Es hat einmal jemand gesagt: Stellt euch vor, der Herr Jesus dekoriert deine Wohnung im Himmel schon seit zweitausend Jahren. Kannst du dir vorstellen, wie fantastisch die wird? Es lohnt sich, auf dieses Ziel hin zu leben. Und ich glaube, das darf dieser Psalm uns lehren: Wir haben ein Ziel, und ein Leben mit Gott ist ein Leben mit Ziel.
Die Glaubenserfahrungen auf unserem Weg und auch die Nöte und Probleme, die Gott uns in den Weg schickt, sind dazu da, dass wir im Glauben wachsen. Ich möchte uns Mut machen, aus dieser Perspektive unser Leben zu sehen und auch das Ziel unseres Lebens bewusst anzugehen. Wir sollten dieses Ziel vor Augen haben und davon weitersagen.
Ermutigung für Senioren und das aktive Leben im Glauben
Erika und mir liegt es sehr am Herzen, dass gerade die Senioren den Herrn Jesus noch kennenlernen. Wenn du heutzutage durch die Städte und Fußgängerzonen gehst, siehst du meist nur Senioren, oder? Jüngere Menschen laufen kaum noch durch die Fußgängerzonen, denn sie bestellen alles über das Internet. Auf den Straßen sieht man fast nur noch Senioren.
Gestern waren wir in Bad Wildbad, und dort waren nur Senioren unterwegs – wirklich nur Senioren. Es ist schön, ein Senior zu sein, oder? Ein Vorteil als Rentner ist: Du wirst morgens wach und hast dein Geld schon verdient. Wie sagt man allgemein? Ein Rentner rennt weiter, ein Pensionär... nee, das sage ich jetzt nicht.
Wir dürfen dankbar sein, wenn wir Senioren sind und Eigentum des Herrn. Wir haben ein herrliches Ziel, und es lohnt sich, darauf hinzuarbeiten und diese Botschaft weiterzusagen. Als Senioren können wir noch aktiv für unseren Herrn sein, solange er uns Kraft gibt. Beim Herrn Jesus gibt es keine Pensionsgrenze.
Ein Beispiel ist Mose: Er wurde erst als „Supersenior“ von Gott berufen. Wenn wir in die Bibel schauen, merken wir, dass es viele Senioren gab, die der Herr im Alter gebraucht hat – auch in der Kirchengeschichte.
Vorgestern habe ich in der Bücherei ein Buch über den Missionar Stud gesehen. Er ist erst mit 53 Jahren in den Kongo gegangen. Oder wenn ich an Pastor Kemmer denke, der das Werk in Krelingen leitete – er war sechzig. Da kann noch viel passieren, nicht nur bei Politikern, die erst im Alter anfangen.
Natürlich wollen wir, wenn der Herr uns noch Kraft gibt, für ihn tätig sein – mit frohem Herzen, weil wir ein Ziel haben, auf das es sich lohnt hinzuarbeiten. Amen.
