Einführung in das Thema und Problemstellung
Ich freue mich, dass ihr da seid, denn wir wollen, wie versprochen, eine kleine Minireihe starten. Das Thema lautet: Jesus und das Alte Testament – oder genauer: Wie hat Jesus eigentlich über das Alte Testament gedacht? Darum soll es heute gehen und auch an den kommenden beiden Sonntagen.
Warum ist dieses Thema eigentlich drei Predigten wert? Ganz einfach: Weil wir vor einem Problem stehen. Und ich sage mal, das Problem, vor dem wir als konservative Gemeinde stehen, ist folgendes.
Wir leben in einer Zeit, in der freie Gemeinden immer mehr mit einer bestimmten Idee konfrontiert werden – und diese Idee auch zunehmend annehmen. Sie lautet: Die Bibel, so wie man sie gemeinhin kennt, ist überhaupt nicht Gottes Wort. Vielmehr ist sie ein Buch, das Menschen aufgeschrieben haben, um ihre ganz persönlichen, subjektiven Erfahrungen mit etwas Göttlichem weiterzugeben.
Das ist die Frage, über die wir uns unterhalten müssen: Ist die Bibel Gottes Wort an uns oder ein Buch von Menschen, die aus ihrer Sicht etwas über Gott geschrieben haben?
Auch wenn ihr das vielleicht jetzt komisch findet, ist das für mich die Frage, an der sich das Schicksal einer Gemeinde tatsächlich entscheidet. Ich weiß, dass das schräg klingt – dass man das Schicksal einer Gemeinde irgendwie an ihrer Einstellung zu einem Buch festmachen will. Aber es ist nun einmal so.
Die Bibel ist ein altes, kompliziertes Buch. Man braucht etwas Know-how, um sie sauber auszulegen, das ist überhaupt keine Frage. Grammatik, Kulturgeschichte, alte Sprachen und noch ein bisschen mehr sind zu berücksichtigen. Das will ich definitiv nicht abstreiten. Es ist gut, auch wenn wir an der einen oder anderen Stelle zugeben, dass wir nicht alles verstehen.
Und doch ist die Bibel Gottes Kommunikationsmittel an die Menschheit. Wenn jemand sagt: „Ich möchte Rettung finden“ oder „Ich möchte Weisheit für mein Leben“, dann wird er in diesem Buch fündig.
Die Bedeutung der Bibel für das Leben und den Glauben
Ich habe das letzte Woche schon gesagt, und ich möchte es gern noch einmal wiederholen. Man kann so weit gehen zu sagen, dass der Erfolg eines Lebens davon abhängt, wie viel Zeit ich mit dem Nachsinnen über die Bibel verbringe.
Im Psalm 1 heißt es dazu: Wie glücklich ist ein Mensch, der sich nicht verführen lässt von denen, die Gottes Gebote missachten, der nicht dem Beispiel gewissenloser Sünder folgt und nicht zusammensitzt mit Leuten, denen nichts heilig ist. Wie glücklich ist ein Mensch, der Freude findet an den Weisungen des Herrn, der Tag und Nacht in seinem Gesetz liest und darüber nachdenkt.
Und jetzt der Vergleich: Er gleicht einem Baum, der am Wasser steht. Jahr für Jahr trägt er Frucht, sein Laub bleibt grün und frisch. Was immer ein solcher Mensch unternimmt, es gelingt ihm.
Wir merken also: Unsere Haltung zur Bibel ist kein Randthema in unserem Leben, sondern tatsächlich ein Thema, das über unser ewiges Schicksal und den Erfolg unseres Lebens entscheidet. Deshalb ist es wichtig, dass wir richtig über die Bibel denken.
Herausforderung durch den Zeitgeist und die Postmoderne
Wie gesagt, wir leben in einer Zeit, in der in freien Gemeinden, wie wir es sind, der konservative Blick auf die Bibel immer mehr in Kritik gerät.
Die Frage ist: Warum ist das so? Die Antwort darauf ist schon etwas komplizierter. Es hat damit zu tun, dass wir uns überlegen müssen, wie die Zeit tickt, in der wir leben, und wie die Postmoderne funktioniert.
Wenn man die Postmoderne, also unsere Zeit, betrachtet, spricht man in der Literatur vom sogenannten psychologischen Menschen. Dieser psychologische Mensch ist jemand, der in sich hineinschaut und das, was er an Gefühlen in sich findet, darüber bestimmt, wer er ist. Er sagt: „Ich bin das, was ich fühle.“
Ob uns das nun passt oder nicht: Wer sich auf diesen Weg begibt, macht tatsächlich sein Wohlbefinden zu seinem Gott. Das geht sogar noch einen Schritt weiter. Es wird gern behauptet, dass ich nur dann authentisch bin, wenn ich nach dem lebe, was ich fühle. Authentizität ist das A und O. Nur wenn ich das tue, sorge ich dafür, dass meine Seele nicht krank wird.
Das heißt: Ich muss nach dem leben, was ich in mir finde. Das ist das Dogma.
Nun, bis auf wenige Ausnahmen – vielleicht Pädophile und Soziopathen – ist es ganz wichtig, dass jeder seine individuelle, einmalige Art auslebt, also das, was er in sich drin findet. Ich will euch nicht erschrecken, aber das ist die Zeit, in der wir leben. Das ist das, was die Menschen glauben, und das sind Gedanken, die uns natürlich auch beeinflussen werden. Wir werden diese Gedanken ein Stück weit übernehmen.
Jetzt haben wir also diesen postmodernen Menschen, der sagt: Mein Wohlbefinden, mein Sein, das ist das, was mich definiert. Logischerweise ist es dann so, dass, wenn ich schlechte Gefühle habe, etwas falsch sein muss, denn das darf einfach nicht sein.
Konflikte zwischen biblischem Glauben und Zeitgeist
Jetzt habe ich als Christ ein großes Problem. Ich bekomme Schwierigkeiten, weil dieser Gott, mein Wohlbefinden irgendwie nicht zu ihm passt. Oder andersherum: Die Bibel passt nicht zum Zeitgeist. In der Bibel tauchen Dinge auf, mit denen der postmoderne Mensch überhaupt nicht klarkommt.
Zum Beispiel gibt es dort einen Gott, der Völker richtet, weil das Maß der Sünde voll ist. Es gibt einen Gott, der sagt: Sexualität ist klasse, aber ich hätte sie gerne im Rahmen einer Ehe zwischen einem Mann und einer Frau. Gott ist überhaupt nicht inklusiv. Ist euch das mal aufgefallen? Er ist sehr exklusiv und sagt, es gibt genau einen Weg.
Wer ewiges Leben haben möchte, der soll zu Jesus kommen. Er sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Alle anderen Wege führen am Ziel vorbei. Hölle! Dass Menschen wirklich verloren gehen, ist heute total unpopulär geworden.
Und jetzt will ich ganz chauvinistisch noch einen letzten Punkt bringen: Eine Gemeindeleitung, wie auf dem Foto vorhin, die nur aus Männern besteht, das geht gar nicht. Ihr merkt, wir leben in einer Zeit, in der in der Bibel Dinge stehen, die wir versuchen umzusetzen und mit denen wir leben wollen. Aber genau solche Sachen, wie ich sie eben aufgezählt habe, machen dich in den Augen deiner Arbeitskollegen oder Schulfreunde zum absoluten Spinner, wenn du daran glaubst.
Man könnte jetzt sagen: Ja, das ist doch nicht schlimm. Das ist doch genau das, was Jesus verheißen hat. In Matthäus 10,22 heißt es: „Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen. Wer aber aushält bis ans Ende, der wird gerettet werden.“ Na, ist das nicht schon immer so gewesen? Vorsicht!
Historische Realität von Ablehnung und Ausgrenzung
Ja, über Jahrhunderte hinweg war es für Christen völlig normal, dass sie ausgegrenzt, abgelehnt, gemobbt, häufig entrechtet, vertrieben und sogar ermordet wurden. Über diese lange Zeit war klar: Das ist der Preis, den wir zahlen, weil wir Jesus nachfolgen. Wir haben uns entschieden – wir gehören nicht mehr dazu.
Das eine ist der Zeitgeist. Die anderen dürfen ihr Ding machen. Dafür gehen sie verloren. Wir sind raus, es ist nicht mehr unser Ding.
Jetzt haben wir folgendes Problem: Wir haben diese Spannung. Versteht ihr? Auf der einen Seite sind wir als Kinder unserer Zeit in diese Zeit hineingeboren. Gedanklich kommen wir da nicht raus. Wir haben also auf der einen Seite den psychologischen Menschen der Postmoderne.
Wir leben in einer Kultur, die von Selbstannahme und Selbstverwirklichung geprägt ist. Eine Kultur, die mir jeden Tag einredet, dass das, was ich über mich fühle, am besten beschreibt, wer ich bin. Und eine Kultur, die mich auffordert, so zu leben, dass ich mich möglichst gut fühle. Das ist doch logisch! Das ist das Ziel des modernen Menschen: Fühl dich gut!
Horche in dich hinein. Lebe aus, was an Emotionalität in dir steckt. Fühl dich gut! Versteht ihr, da ist nichts von wegen: „Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden.“ Ausharren bis ans Ende hat nichts mit Gutfühlen zu tun.
Also, ich habe auf der einen Seite hier ganz klar: Ich weiß, ich bin mit Jesus unterwegs. Aber auf der anderen Seite habe ich das, was mir die Kultur jeden Tag mantraartig predigt: Werde, was du fühlst, und fühl dich wohl. Das ist irre, oder?
Auf der einen Seite die Kultur: „Fühl dich wohl!“ Auf der anderen Seite eine Religion, wo der Religionsgründer mir sagt: „Hey, ich habe eine Verheißung für dich: Du wirst dich nicht wohlfühlen.“ Wie passt das zusammen?
Auf der einen Seite trimme ich mein Leben auf gute Gefühle. Und ich werde jeden Tag durch den Zeitgeist und die daraus resultierenden Gewohnheiten konditioniert. Ihr erinnert euch an die Vorträge über säkulare Gewohnheiten.
Wir machen die Dinge einfach mit. Wir werden jeden Tag in diese Richtung konditioniert. Mein Leben macht mich, einfach dadurch, dass ich in dieser Welt mitlebe, zu jemandem, der gute Gefühle liebt und ihnen mehr Beachtung schenkt, als sie wahrscheinlich verdienen.
Das ist die eine Seite. Und du kommst da nicht einfach raus. Auf der anderen Seite stehe ich als Christ für ein Denken, für das unsere tolerante Gesellschaft nur Verachtung übrig hat.
Nun kann ich diese Spannung natürlich auflösen, indem ich einfach schweige. Ich muss ja mit niemandem über das reden, was ich so denke. Ich kann mich nur noch mit meinen christlichen Freunden umgeben, in meiner Echoblase leben, aus Lobpreisliedern und Lieblingspredigern, die ich mir so zusammensuche.
Das kann ich tun. Oder ich bekomme ein Problem. Ich bekomme ein Problem mit der Welt, in der ich lebe, weil sie mich einfach für einen Spinner hält.
Jetzt werde ich für einen Spinner gehalten, habe aber in mir diese tiefe Sehnsucht: Ich möchte mich gern wohlfühlen. Versteht ihr diese Spannung? Wie löse ich sie auf?
Die Antwort ist: Entweder gar nicht und du lebst mit ihr – oder es gibt irgendwann einen Ausweg.
Der scheinbare Ausweg durch liberale Theologie
Das ist kein wirklicher Ausweg, aber ich muss ihn euch präsentieren. Es ist ein Pseudo-Ausweg, der damit zu tun hat, dass jeder, der in dieser Spannung steckt, irgendwann feststellt: Ich habe diese Spannung doch eigentlich nur aus einem einfachen Grund. Der einzige Grund, warum ich diese Spannung habe, ist, dass es dieses Buch gibt. Versteht ihr? Also, ich hätte die ganze Spannung mit dem Zeitgeist ja nicht, wenn es nicht die Bibel gäbe.
Wenn ich es irgendwie schaffe, Christ zu sein und die Bibel loszuwerden – wenigstens die Teile, die mir nicht passen – dann habe ich die Spannung doch aufgelöst, oder? Und jetzt wird man sagen: Ja, aber das ist doch ein bisschen... das ist ja nun nicht ganz das, was man machen soll. Aber es ist halt so: Dieses dicke Buch ist mein Problem, wenn ich diese Spannung wahrnehme.
An dieser Stelle kommt das ins Spiel, was man liberale Theologie nennt. Liberale Theologie ist ungefähr 200 Jahre alt, sie gibt es also noch nicht so lange. Im Zentrum liberaler Theologie steht folgende Idee: Wir machen aus der Bibel nicht mehr ein Buch, das Gott den Menschen geschrieben hat, sondern wir tun einfach so, als ob es nicht ein Buch von Gott an Menschen wäre, sondern ein Buch, das Menschen für Menschen geschrieben haben. Menschen mit normalen Meinungen, die Kinder ihrer Zeit waren.
Das bedeutet: Für einen liberalen Theologen – in evangelikalen Kreisen spricht man dann auch von progressiver Theologie, da hatte uns Jenny einen Vortrag gehalten, ihr erinnert euch – für einen liberalen Theologen ist die Bibel nicht Gottes Wort, sondern das Wort von Menschen über Gott. Fehlbare Menschen, Kinder ihrer Zeit, machen Erfahrungen mit Gott und schreiben im Rahmen dieser Erfahrungen ein Buch. Nicht Gott kommuniziert mit den Menschen, sondern Menschen kommunizieren über Gott. Das ist der Denkansatz liberaler Theologie.
Das bedeutet natürlich: Wenn ich das schlucke, wenn ich sage, „Jo, das glaube ich jetzt auch“, dann kannst du natürlich – weil es ja nur noch ein Buch von Menschen ist – aus dem Buch all das nehmen, was dir gefällt. Das ist meist der Aspekt Liebe und Rettung und so, das ist immer gut. Alles, was mir nicht gefällt, ist dann Verhandlungsmasse, weil das ja nur Menschen waren, die das geschrieben haben. Das kann ich dann auch streichen.
Es ist logisch: Ich streiche normalerweise aus der Bibel das heraus, was mich bei anderen Menschen anecken lässt, was nicht mehr zum Zeitgeist passt, wo ich ein bisschen komisch werde. Das fliegt raus. Jetzt werdet ihr sagen: Jürgen, kein gläubiger Christ kann da irgendwie drauf reinfallen. Das geht ja gar nicht. Also, wir haben den Kindergottesdienst hier im Raum gelassen, weil es einfach zu billig ist, das Argument.
Argumentation mit Jesus gegen die Bibel
Ja, und jetzt kommt ein Trick: Man kann diese Theologie gläubigen Leuten besser verkaufen, wenn man folgendermaßen argumentiert. Man sagt: Natürlich wollen wir nicht einfach willkürlich Dinge aus der Bibel streichen. Aber was wir machen, ist, wir argumentieren mit Jesus gegen die Bibel.
Du wirst sagen, das ist Quatsch. Hä? So quatschig ist das gar nicht. Ich habe euch mal zwei Zitate mitgebracht, damit ihr merkt, was ich meine.
Der erste ist von Richard Rohr. Er ist zwar noch kein richtiger Christ, beeinflusst aber viele progressive Theologen stark. Er schreibt in einem Buch: Interpretieren Sie die Bibel doch einmal so, wie Jesus es tat. Er ignoriert sie, leugnet sie oder widerspricht ihr, wo sie imperialistisch, strafend, ausschließend oder nach Stammesdenken klingt.
Denkst du dir jetzt: Hä, ein Jesus, der das Alte Testament ignoriert, leugnet und ihm widerspricht, wo es ihm passt? Genau, das ist der Jesus der progressiven Theologen.
Ein weiterer, der in Deutschland sehr bekannt ist, ist Siegfried Zimmer. Er schreibt in seinem Buch „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“ und ich würde sagen: Ja, aber das ist ein anderer Punkt. Er schreibt: Biblische Texte, die etwas anderes für richtig halten als Jesus uns gelehrt hat, dürfen unser Gewissen nicht binden.
Dieses „dürfen unser Gewissen nicht binden“ hätte man auch so formulieren können: „Die gelten nicht.“ Aber das klingt irgendwie nicht so nett.
Weiter schreibt er: Das Gottesverständnis, der Lebensstil Jesu und das Evangelium von Jesus Christus sind für uns der Maßstab, an dem wir alles andere in der Bibel messen. Im Konfliktfall argumentieren wir ohne jedes Zögern mit Jesus Christus gegen die Bibel.
Du liest das? Und eigentlich möchte ich dem zustimmen, weil ich immer mit Jesus gegen den Rest der Welt sein möchte. Das ist doch logisch. Aber gegen die Bibel?
Also frage ich mich: Wie kann so etwas möglich sein? Ist es denn nicht Jesus, der ganz deutlich formuliert in Matthäus 5,17-18: „Meint nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, soll nicht ein Jota oder ein Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist.“
Der Konflikt zwischen liberaler Theologie und biblischem Jesusbild
Und ich hoffe, ihr versteht jetzt langsam, wo das Problem liegt. Liberale Theologie möchte uns als evangelikalen Christen eine Idee verkaufen, und zwar die, dass Jesus das Alte Testament auf eine ganz neue Weise interpretiert. Manchmal ignoriert er das Alte Testament sogar oder widerspricht ihm.
Das Problem ist: Ich lese meine Bibel, und der Herr Jesus behauptet das genaue Gegenteil. Er sagt nicht, dass er gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Er sagt: „Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen.“
Zugegebenermaßen kann man etwas länger darüber nachdenken, was genau gemeint ist, wenn der Herr Jesus sagt, er erfülle die Gebote. Dazu gibt es bei meinem Podcast „Jesu Leben und Lehre“ drei Episoden, Nummer 181 bis 183, falls euch das Thema interessiert.
Trotzdem staunen wir hoffentlich darüber, dass liberale Theologen hier überhaupt einen Konflikt feststellen. Woher kommt dieser Konflikt, wenn ich ihn nicht sehe? Woran liegt das?
Die Antwort ist: Es liegt daran, dass sie die Bibel für ein Buch halten, das Menschen geschrieben haben, und eben nicht vom Heiligen Geist inspiriert ist. Das bedeutet für sie, dass sie dieselben Texte lesen wie ich, also die Evangelien, aber sie glauben nicht an den Jesus, der dort präsentiert wird.
Liberale Theologen denken, dass im Neuen Testament vieles über Jesus steht, was so nie passiert ist und was Jesus so nie gesagt hat. Das Problem ist, dass sie einem das vorher nicht sagen. Sie gehen nicht auf die Kanzel und sagen: „Hey, ich glaube fast nichts von dem, was du glaubst, aber lass mich dir meine Predigt halten.“ Das ist jedoch in ihrem Kopf.
Lass es mich noch einmal auf den Punkt bringen, damit ihr mich versteht: Liberale Theologen – und das ist eigentlich die komplette Hochschultheologie – starten mit der Annahme, dass der Jesus, der im Neuen Testament beschrieben wird, eine Erfindung der frühen Kirche ist. Sie sehen ihn als eine Kunstfigur, die so nie gelebt hat. Das ist der Startpunkt ihres Denkens.
Jetzt merkt ihr schon: Wenn ich Jesus aber einfach so stehen lasse, wie er im Neuen Testament dargestellt wird, wenn ich also die Idee zulasse, dass Gott Gott ist und dass Gott denkt: „Ich würde meinen Gläubigen gerne einfach so sagen, was Sache ist“, dann inspiriert er durch seinen Geist Menschen auf eine Weise, dass sie in der Lage sind, ein wahrhaftiges Bild von der Persönlichkeit des Herrn Jesus und von seinen Predigten zu zeichnen.
Wenn ich glaube, dass Gott Menschen so inspiriert, dass sie wahrhaftig beschreiben, was wirklich passiert ist, und ich das lesen kann und sage: „Aha, spannend, vielen Dank!“, dann gibt es keinen Konflikt mit dem Alten Testament.
Jesus sagt ja selbst: „Ich bin nicht gekommen, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen, sondern zu erfüllen.“ Das ist ganz einfach.
Die Gefahr der Verfälschung des Jesusbildes
Wenn ich euch vorhin das Zitat von Siegfried Zimmer genannt habe, in dem er sagt, dass Gottes Verständnis von Jesus, der Lebensstil Jesu und das Evangelium von Jesus Christus für uns der Maßstab sind, an dem wir alles andere in der Bibel messen, dann dürfen wir eines nicht falsch verstehen.
Das klingt total christlich, und ich würde dem sogar zustimmen, wenn ich nicht genau wüsste, dass er mit dem Wort „Jesus“ etwas anderes meint als ich. Das ist das Problem. Er sagt „Jesus“, aber sein Jesusverständnis ist ein anderes.
Ein ganz einfaches Beispiel: Vorletzte Woche im Johannesevangelium, Kapitel 6, „Ich bin das Brot des Lebens“ – das hat uns begeistert, oder? Dass da jemand kommt und sagt, wir sollen ihn aufnehmen, ganz intensiv mit ihm leben, ihn... Ja, Professor Zimmer sagt, das sei absolut unhistorisch. Jesus habe das nie gesagt. Das habe sich die nachösterliche Gemeinde ausgedacht und ihm in den Mund gelegt.
Bitte versteht richtig gut, was hier passiert, denn die Welle, die auf uns als Gemeinden zurollt, ist so gigantisch, dass ihr davon gefangen genommen und weggeschwemmt werden könnt, wenn ihr die Idee nicht versteht.
Wenn jemand sagt: „Im Konfliktfall argumentieren wir ohne jedes Zögern mit Jesus Christus gegen die Bibel“, dann meint dieser jemand tatsächlich nicht den Jesus, wie er im Neuen Testament dargestellt wird.
Liberale Theologen sprechen von Jesus, aber sie meinen nicht den Jesus, den wir kennen. Und eigentlich haben euer Jesus und unser Jesus nur eines gemeinsam: den Namen. Es ist wirklich so verrückt.
Das müsst ihr verstehen, wenn ihr euch in diese Theologie hineinbegebt. Ihr könnt das natürlich gerne machen, aber ihr müsst einfach nur verstehen, welche Denkvoraussetzungen dabei gelten, damit ihr den Trick durchschaut. Noch einmal: der ganze Trick hier.
Der Trick der liberalen Theologie im Umgang mit der Bibel
Das ist der Trick. Ich komme aus einer Zeit, in der mir, warum auch immer, irgendetwas in der Bibel nicht passt. Punkt eins: Das kann die Sexualethik sein, das Rollenverständnis, ein strafender Gott, Jesus als der einzige Weg in die Ewigkeit oder auch Dinge wie das stellvertretende Opfer Jesu am Kreuz, die Auferstehung oder die Jungfrauengeburt. Du hast irgendetwas, das dir nicht passt.
Punkt Nummer zwei: Na ja, dann muss ich einfach die Teile der Bibel loswerden, die mir Probleme bereiten. Wie mache ich das? Ich erfinde mit den Mitteln der Bibelwissenschaft – ich muss das so formulieren, ich muss das mit Anführungs- und Schlusszeichen formulieren, das muss ich als Naturwissenschaftler tun, damit das Wort Wissenschaft hier nicht zu sehr in Misskredit gerät – einen Jesus, der genau so denkt, wie ich das gerne hätte. Ist das nicht schön?
Jetzt denkt ihr vielleicht: Aber dann kann doch jeder das machen. Und das passiert ja auch. Es gibt eine feministische Jesusvorstellung, eine Jesusvorstellung in Richtung Befreiungstheologie, da ist ein bisschen Marxismus mit drin. Ja, und wir sind halt jetzt in der Postmoderne – bastel dir deinen Jesus. Den Jesus, der zu dem Problem, das du hast, nichts mehr sagt.
Es gibt übrigens noch ein dümmeres Argument, das will ich euch nur einmal kurz präsentieren, weil es immer wieder kommt: Statt mir einen neuen Jesus zu basteln, der nichts dagegen hat, kann ich auch sagen: „Ja, Jesus hat zu dem Problem XY nie etwas gesagt, und deswegen war es ihm egal.“ Entschuldigt, wenn ich das einfach so sage.
Es gibt zwei Gründe, warum man nichts zu etwas sagt: Entweder ist es einem wirklich egal, oder es ist so selbstverständlich, dass man nichts sagen muss. Versteht ihr? Aber das ist nur ein dummes Seitenargument, das müsst ihr nur einmal gehört haben.
Ich erfinde also einen neuen Jesus und argumentiere dann mit meinem neuen Jesus, der ja gar nichts gegen all die Sachen hat, die mir Probleme bereiten – gegen die Bibel im Allgemeinen, dann gegen das Alte Testament, manchmal auch gegen neutestamentliche Aussagen. Mir passt etwas nicht, ich will es loswerden, also erfinde ich einen Jesus, der genau so denkt, wie ich das brauche, und dann argumentiere ich ohne jedes Zögern mit Jesus gegen die Bibel.
Wenn es nicht so traurig wäre und wenn das nicht gerade Menschen zu Tausenden im Moment den Glauben an Jesus kosten würde, wäre es vielleicht amüsant. Das ist der Weg der liberalen oder progressiven Theologie, der sich aktuell in vielen freien Gemeinden durchsetzt. So hat er sich, wie mir ein Artikel geschickt hat, in evangelikalen Ausbildungsstätten zum Teil schon durchgesetzt.
Die Verlockung der liberalen Theologie im Kontext der Postmoderne
Und wisst ihr was? Wir leben als postmoderne Menschen. Ob wir das wahrhaben wollen oder nicht, unser Gefühlsleben ist uns viel zu wichtig.
Deswegen garantiere ich euch, wird sich dieser Weg durchsetzen – aus einem ganz einfachen Grund: Dieser Weg der Liberalität wird uns vor dem Schlimmsten bewahren, was uns in diesem Land passieren kann.
Wir werden ja nicht wirklich verfolgt oder ins Gefängnis gesteckt. Wir haben auch keine Probleme, einen Job zu finden oder ähnliches. Aber wer von euch möchte in die Schublade gesteckt werden mit der Bezeichnung „weltfremder, intoleranter Faschist“? Wer möchte da drinstecken?
Ganz ehrlich: Wir haben die Postmoderne geschluckt. Wir haben dieses innere Ich angenommen. Nächstes Jahr mache ich ein paar Beispiele, damit ihr seht, wie sehr ihr das tatsächlich geschluckt habt.
Noch glaubt ihr mir nicht, dass das Wohlfühlen für euch so etwas wie ein halber kleiner Gott geworden ist. Das werde ich euch beim nächsten Mal in der Einleitung zeigen. Heute reicht es zu sagen: Menschen werden glauben, weil sie es glauben wollen.
Und lasst uns bitte, bitte, bitte nicht denken, wir seien irgendwie immun gegen den Zeitgeist oder gegen diesen Wunsch aller Menschen, gemocht zu werden. Niemand stellt sich hin und sagt: „Mach mich bitte zum Außenseiter, das habe ich mir immer schon gewünscht.“ Das wird niemand tun.
Notwendige Entscheidungen und Ausblick
Frage: Was können wir tun?
Antwort: Wenn wir geistlich das überleben wollen, was an Wellen auf uns zurollt, müssen wir zwei Dinge tun. Erstens müssen wir eine Entscheidung treffen, wofür wir die Bibel halten. Zweitens müssen wir zuhören, was Jesus über die Bibel sagt.
Die Frage lautet: Ist die Bibel Gottes Wort an uns oder ein Buch von Menschen, die aus ihrer Sicht etwas über Gott geschrieben haben? Du wirst dazu eine Entscheidung treffen müssen. Und zwar nicht nur eine Entscheidung im Sinne von „Czech“, sondern eine Entscheidung, die sich in deinem Leben ganz praktisch widerspiegelt.
Darf die Bibel als Gottes Wort autoritativ in dein Leben hineinsprechen? Das ist die entscheidende Frage. Spricht sie in dein Leben hinein? Hat sie das in der letzten Woche getan? Hast du konkrete Momente vor Augen, in denen du wusstest: „Da habe ich einen Fehler gemacht, das hat mir Gott gezeigt, ich habe es in Ordnung gebracht, danke, Herr!“?
Die Bibel ist ein Kommunikationsmittel, ich kann es nicht anders formulieren.
Deswegen werde ich jetzt keine Predigt darüber halten, warum ich glaube, dass die Bibel Gottes Wort ist. Aber hier wären ein paar Punkte, die mich zum Beispiel davon überzeugen, dass die Bibel ein ganz außergewöhnliches Buch ist und wirklich heraussticht.
Wenn mich jemand fragt: „Warum glaubst du, dass die Bibel Gottes Wort ist?“, würde ich erstens ihr Alter nennen. Sie ist einfach uralt. Soweit wir wissen, wurde sie noch vor den Weden geschrieben.
Zweitens ihre Aktualität und Ehrlichkeit – das ist der absolute Hammer. Du liest die Bibel und möchtest gar nicht glauben, dass der Mensch so dumm und so böse ist, wie es dort steht. Bis du die Zeitung aufschlägst und sagst: „Doch, genau so ist es.“
Dann die innere Kohärenz: Ich habe ein Buch, das über zweitausend Jahre hinweg von über vierzig Autoren geschrieben wurde. Ich schaue ins erste Buch hinein, das ist 1. Mose, und ins letzte Buch, die Offenbarung. Und ich kann die Verbindungen ziehen – das ist der Hammer. Wo gibt es so etwas sonst?
Diese innere Kohärenz begeistert mich absolut.
Es gibt Prophetien. In Jesaja 41,23 wird das als Gottesbeweis definiert. Prophetien – zeig mir doch ein Buch mit Prophetien! Ich gebe dir, wie viele du möchtest: ein Dutzend, zwei Dutzend, drei Dutzend.
Wollen wir uns nur über die Messias-Prophetien oder über historische Prophetien unterhalten? Da sind so viele drin, dass die liberale Theologie, für die es ja keine Prophetien gibt, gezwungen ist, die ganzen Bücher immer hinter die Prophetien zu packen. Das funktioniert irgendwann nicht mehr.
Die Bibel ist lebensspendend. Das heißt, sie beschreibt, wie man eine lebensspendende Beziehung zu Gott bekommt – und übrigens eine Beziehung, die sich auswirkt.
Wusstest du, dass alles, was du in dieser Welt halbwegs schön findest, wir als Christen eigentlich für uns verbuchen können?
Du möchtest wissen, wer die ersten Waisenhäuser gegründet hat, wer die ersten Armenhäuser ins Leben gerufen hat, wer das Rote Kreuz erfunden hat? Wer maßgeblich für die Abschaffung der Sklaverei im Westen verantwortlich war? Wer steckt hinter der Gründung von Universitäten oder für die Entwicklung der Naturwissenschaften?
Die Welt mit Menschenrechten, so ganz grundsätzlich die Idee der Barmherzigkeit – all das geht auf ein Buch zurück. Punkt. Ein Buch, das Menschen zum Leben geführt hat und dessen Prinzipien plötzlich jeder haben will.
Das ist Kulturgeschichte. Die Kulturgeschichte dieser Welt ist im Wesentlichen eine Erfolgsgeschichte der Bibel.
Völlig klar, warum das erste gedruckte Buch in Europa eine Bibel sein musste. Was denn sonst?
Und dann diese einmalige Botschaft der Errettung aus Gnade, nicht wie alle anderen Religionen, die sagen: „Ich gebe dir neue Regeln, neue Gebote, streng dich an!“
Jetzt kommt einer und sagt: „Hör auf! Ich habe mich schon für dich angestrengt, ich bin schon am Kreuz gewesen. Wie wäre es mit Glauben? Wie wäre es mit sich beschenken lassen? Wie wäre es mit Nachfolge? Lass mich doch vorangehen, das reicht doch, wenn du hinterherläufst. Du hast dein Leben bisher auch nicht auf die Reihe gekriegt.“
Verstehst du? Das ist die Bibel.
Und du kannst alle anderen Bücher danebenlegen. Wir können uns ja gerne nachher bei Pastor und Bibel darüber unterhalten. Zeig mir mal irgendein Buch, das vergleichbar wäre.
Aber das war keine Predigt darüber, warum ich glaube, dass die Bibel Gottes Wort ist.
Damit niemand denkt, ich glaube an die Bibel, aber nicht an Jesus: Gar keine Frage.
Ich bin davon überzeugt, dass Gott uns ein Buch hinterlassen hat, weil er tatsächlich mit mir und mit dir kommunizieren wollte. Über die Jahrhunderte hinweg wollte er mit der Menschheit kommunizieren.
Hinter diesem Buch gibt es genau einen Autor. Deswegen auch diese innere Stimmigkeit. Dieser eine Autor ist der Heilige Geist, der Menschen inspiriert hat, Dinge aufzuschreiben, von denen Gott wollte, dass wir sie heute noch lesen, hören und anwenden können.
Dazu heißt es in 2. Timotheus 3,16-17:
„Alle Schrift, die von Gottes Geist eingegeben ist, ist nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung und zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet.“
Die Bibel geht also davon aus, dass es solche Texte gibt.
Mit den Heiligen Schriften in der Hand ist der Mensch, der sich Gott zur Verfügung gestellt hat, ausgerüstet für alle Aufgaben seines Dienstes.
Zusammenfassung und Ausblick auf die nächsten Predigten
Ich habe gesagt, wir müssen zwei Dinge tun, wenn wir den Gefahren der liberalen Theologie widerstehen wollen.
Erstens: Wir müssen uns entscheiden, was die Bibel für uns ist. Diese Entscheidung ist sehr wichtig und darf nicht leichtfertig getroffen werden. Wenn du sagst: „Jürgen, das hat mich noch nicht überzeugt“, dann ist das in Ordnung. Aber dann solltest du dir ein oder zwei Bücher besorgen und dich intensiver damit beschäftigen. Es geht hier um Leben und Tod, daher ist es sinnvoll, etwas Zeit dafür zu investieren.
Der zweite Punkt ist, und damit möchte ich nächsten Sonntag beginnen: Wir müssen uns anschauen, wie der Herr Jesus zum Alten Testament steht. Wenn Jesus im Neuen Testament, an den wir glauben, keine Erfindung der Kirche ist, dann lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie er mit der Bibel, also mit seiner Bibel – dem Alten Testament – umgegangen ist.
Welche Bedeutung misst er dem Alten Testament bei? Welche Autorität hat das Alte Testament für sein Leben? Und wen hält er für den Autor? Diese drei Fragen wollen wir beim nächsten Mal angehen.
Heute reicht mir eine Frage: Was ist die Bibel für dich und warum? Nehmt diese Frage bitte mit.
Amen.