
Yeah, da vorne war ich auch noch nicht! Ausgelassen streift Tony durch die Stadt. Wer ihn nur summen hört, ahnt gar nicht, dass es schon dreiundzwanzig Uhr nachts ist. Oder dass es stockfinster ist. Noch nicht mal, dass die Lage eigentlich ziemlich frustrierend ist.
Er war als Fotoreporter für die Lokalzeitung unterwegs, um weihnachtliche Lichtinstallationen zu fotografieren. Aber in Berenbach ist seit sechs Stunden der Strom ausgefallen, und ohne Strom gibt es keine Lichterketten. Bin froh, dass Meik mir die Stirnlampe geborgt hat. Die Bilder werden auch immer besser. Schon krass, wie viel man aus dem Blitzlicht rausholen kann.
Sein Lichtkegel wandert durch die dunklen Straßen. Aber müsste Tony so spät nicht eigentlich längst zu Hause sein? Noch dazu heute, einen Tag vor Weihnachten? Hoffentlich merkt Dad nicht, dass ich noch weg bin. Wobei, der arbeitet bestimmt eh noch und kriegt nichts mit.
Wow, hallo, du bist auch ein cooles Motiv. Bleib mal still sitzen. Cooles Bild. Aber die Kohle kann ich wohl vergessen. Ohne die vereinbarten Bilder fürchtet Tony, dass ihn die Redaktion nicht bezahlen wird. Aber er konnte ja wohl nichts für einen Stromausfall, oder?
Er schiebt den Gedanken beiseite. Gerade genießt er es einfach, unterwegs zu sein und Schnappschüsse zu machen. Ein Graffiti an der Straßenbahn, ein Kino ohne Lichter, die Katze. Eben irgendwann hat er den Stadtrand erreicht.
Hm, da vorne ist der Wald. Besser, ich gehe zurück. Nicht, dass mich so ein Wildschwein anfällt.
Oh, aber da hinten ... Was hat Toni gesehen? Er will doch nicht etwa wirklich in den Wald? Den einzigen Ort, an dem es noch dunkler ist als in der Stadt? Zum Glück nicht. Aber sein Weg führt ihn an einen anderen geheimnisvollen Ort: das Elektrizitätswerk. Ein paar Bilder davon beim Stromausfall werden doch genial.
Er stapft den schmalen Feldweg entlang, der vor dem Wald links abzweigt. Bald hat er den großen Gebäudekomplex erreicht. Langsam spaziert er an den Wänden entlang und sucht nach geeigneten Fotomotiven.
Als er ein paar Meter gegangen ist, erschreckt ihn ein Geräusch, nur ganz leise. Trotzdem stellen sich ihm die feinen Härchen im Nacken auf. Ich mache besser die Lampe aus. Warum dreht er nicht um und geht zurück? Dafür ist Toni zu neugierig, was er da gehört hat. Wenn er genau die Ohren spitzt, klingt es fast wie ein hämisches Gackern.
Ich schleiche mich hier an, und am Ende ist das nur ein Huhn. Still grinst Toni in sich hinein, ein bisschen mulmig ist ihm aber schon. Er gibt sich Mühe, völlig leise zu sein. Schritt für Schritt schleicht er an der Mauer entlang.
Als er an eine Ecke kommt, späht er zunächst vorsichtig hinüber. Er kann dort nur einen winzigen, hellen Punkt erkennen, sonst nichts. Er nimmt seinen Mut zusammen und geht weiter. Was er dann sieht, verschlägt ihm den Atem.
Noch langsamer und noch leiser geht er noch näher ran. Bloß nicht gesehen werden! Meinetwegen musst du nicht schleichen, Kleiner. Mist! Was tun? Weglaufen? Vielleicht lauern hier irgendwo Schläger. Andererseits?
Oder sie arbeitet hier und löst das Problem. Dann würde es kein gutes Licht auf ihn werfen, hier herumzuschleichen und dann abzuhauen. Toni entschließt sich, sich zu erkennen zu geben.
„Hallo! Ich bin Toni. Wissen Sie, wann es wieder Strom gibt?“
„Nein, weiß ich nicht. Aber wenn das hier klappt, sehen wir es gleich.“
Im Schneidersitz sitzt die junge Frau auf dem nassen Boden. Aufgeregt tippt sie auf ihrem Laptop herum. Der ist über zwei Kabel mit einem offenen Kasten an der Wand verbunden. Toni staunt, dass die Techniker hier so arbeiten müssen.
Wieso kann das Problem nicht von drinnen behoben werden, wo es wenigstens warm ist? Toni weiß nicht genau, wieso, aber er bekommt Mitleid mit der Frau. Sie starrt so versessen auf ihren kleinen Monitor, fast als hätte sie schon wieder vergessen, dass er hier ist.
Schlüssig schaut er ihr noch eine Weile zu. Gerade will er sich verabschieden, da sieht er die Lichtkegel von Autos auf dem Werksparkplatz kommen.
Schauen Sie, da kommen noch mehr Techniker.
Was? Oh Mist.
Hä, was ist?
Keine Chance, die Frau hört ihm gar nicht zu. Sie starrt nur immer weiter auf den Laptop und spricht mit sich selbst: „Das geht noch nicht. Wenn ich die Übertragung abbreche, ist das Ding Schrott, dann bleibt das Licht aus. Mist, Mist, Mist.“
Das wird ja immer seltsamer. Irgendwas stimmt doch hier nicht.
Das wird Tony endgültig bewusst, als er die Männer vom Parkplatz heranrennen hört. Der vorderste strahlt Tony mit seiner Taschenlampe mitten ins Gesicht, bis es blendet.
„Keine Bewegung, ihr seid umstellt.“
Tony ist völlig perplex. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht, als der Polizist ihm Handschellen anlegt. Ein anderer fesselt die Frau und gibt den Laptop einem Dritten.
„Ihr versteht das nicht, davon wird alles nur schlimmer.“
„Lass mich das fertig machen, das löst doch das Problem.“
„Das glaube ich kaum. Sie kommen mit uns aufs Revier. Dort können Sie uns in Ruhe alles erklären.“
„Ich checke gerade gar nichts mehr.“
„Ach wirklich? Du wirst uns dieselben Fragen beantworten müssen. Ihr seid verhaftet.“
Die meisten Sachen schocken Tony nicht so schnell. Aber eine Verhaftung? Wofür überhaupt? Er hat doch nur einer Technikerin über die Schulter geschaut, zumindest hat er das gedacht.
Jeweils zwei Beamte eskortieren Tony und die Frau zu einem der Polizeiautos. Auf dem Revier angekommen, nimmt der Polizist von eben Tony mit in ein Büro, ein zweiter kommt mit. Aus dem Augenwinkel sieht Tony, wie die Frau in ein anderes Büro geführt wird.
„Wir stellen dir ein paar Fragen. Du musst nicht antworten, aber was du sagst, muss wahr sein. Hast du das verstanden?“
„Ja.“
„Wie heißt du, kleiner, mit Vor- und Nachnamen?“
„Antonio, Antonio Patel.“
„Okay, hast du das? Schreibt man Patel mit einem oder mit zwei T?“
„Mit einem.“
„Hab's notiert. Gut, Antonio, erzähl uns bitte, was du da mitten in der Nacht am Elektrizitätswerk gemacht hast. Und wer die Frau ist, mit der du dort warst.“
„Ähm, darf man nicht jemanden anrufen, wenn man verhaftet wurde?“
„Oh, wir sind hier nicht in einem Neunzigerjahres-Spielfilm, Junge.“
„Ja, komm, lass gut sein. Das wird trotzdem nicht gehen. Wir haben ja zwar Notstrom, aber das Telefonnetz ist sehr löchrig.“
„Darf ich es versuchen?“
„Na gut, das Telefon ist den Gang runter links. Du hast fünf Minuten, klar?“
Tony versucht es sehr oft und will schon aufgeben. Es fühlt sich an wie ein kleines Wunder, als es tatsächlich klingelt. Hätte Philipp vorhin auch so viel Glück gehabt?
Am anderen Ende von Bärenbach reißt das Klingeln jemanden unsanft aus dem Schlaf.
„Hallo?“
„Du bist wo? Wie kommt das denn?“
„Ja, ja, Tony, jetzt beruhige dich doch. Ich glaube dir, dass du nichts Kriminelles gemacht hast. Natürlich hole ich dich ab. Ich bin in einer halben Stunde da. Lass, lass uns das nachher besprechen.“
„Ja, keine Ursache.“
„Hallo?“
„Na, es ist ja alles gesagt, der Arme.“
Dann schreibe ich Amy kurz eine Nachricht und fahre sofort los. Je eher wir alle wieder ins Bett kommen, desto besser.
„Wo ist denn die Taschenlampe?“
„Ah, hier. Hoffe, das ist okay.“
Wir klären erst, was vorgefallen ist.
Also, wie heißt die Frau, mit der du am Elektrizitätswerk warst, und woher kennt man euch überhaupt? Ehrlich gesagt, ich habe gar nicht nach ihrem Namen gefragt.
Wie lange habt ihr denn schon zusammengearbeitet? Die Polizisten wollen es genau wissen: wie lange der Überfall geplant war und wer sonst noch mitgeholfen hat. Toni kann auf die wenigsten Fragen eine Antwort geben.
Ich wollte nur Fotos machen und fand es einfach interessant, mich dort umzusehen. Ich kenne die Frau nicht, bitte glauben Sie mir.
Einer der Polizisten meint, Toni will nicht zugeben, dass er Mist gebaut hat. Der andere beginnt ihm zu glauben, dass seine Verzweiflung echt ist.
Nun gut, wir belassen es erst mal dabei. Wir besprechen uns jetzt weiter mit unseren Kollegen und sehen dann weiter.
Auf die beiden Kollegen müssen Sie noch kurz warten. Einer war bei der Verhaftung dabei gewesen, eine weitere ist hier auf der Wache dazugekommen. Sie haben wichtige Informationen herausgefunden.
Die Frau heißt Annika Heinzel, sie ist vierundzwanzig Jahre alt und war allein dort, ohne irgendwelche Helfer.
Und was hat sie da am Elektrizitätswerk gemacht? Das Problem lösen, das habe ich euch doch schon gesagt! Bleiben Sie bitte beim Sie. Sie arbeiten nicht im Werk und wurden nicht von dort beauftragt. Es ist Ihnen nicht erlaubt, dort irgendwelche Probleme zu lösen.
Weil der Notstrom stabil läuft, konnten wir die Ermittlungen vor Ort fortsetzen und haben vorhin einen Funkspruch erhalten. Wir wissen jetzt, dass es einen Hackerangriff auf das Werk gab. Jemand hat sich dort ins Intranet eingeschlichen und buchstäblich alle Lichter ausgeknipst.
Was haben Sie damit zu tun, Frau Heinzel? Ich sage gar nichts. Nur, dass ich die Lösung gehabt hätte. Aber eure Gorillas haben mich ja nicht gelassen.
Ich verbitte mir diesen Ton, Frau Heinzel.
Nach endlosen Minuten kann Toni die Polizisten gedämpft auf dem Flur reden hören. Es ist zu leise, um zu verstehen, was sie sagen. Er wagt es aber nicht, das Büro zu verlassen und hinzugehen.
Bald kommt einer der Polizisten wieder herein. Okay, du kannst jetzt erst mal nach Hause gehen beziehungsweise vorne im Foyer warten, bis du abgeholt wirst.
Ähm, werde ich bestraft? Nein, vorerst nicht. Wir glauben dir, dass du aus Versehen in die Sache verwickelt wurdest. Aber bitte, tu dir selbst und denen, die sich um dich sorgen, einen Gefallen, ja? Ja? Treib dich nicht nachts an so einsamen Orten herum.
Okay, das habe ich kapiert.
Der Polizist klopft Toni aufmunternd auf die Schulter und begleitet ihn ins Foyer. Dort wartet Mike schon.
Hallo Toni. Hey, das ist ja eine Überraschung, dich hier zu sehen.
Hallo Mike. Hallo Stefan.
Ja, ich gebe mir große Mühe, nicht so oft auf dem Polizeirevier zu landen.
Ihr kennt euch? Also Sie, tut mir leid. Schon gut. Ja, wir gehen in dieselbe Kirchengemeinde, weißt du. Schon gut.
Aber ich wurde beschimpft, weil ich hier die Hohen Herren geduzt habe.
Sie wurden nicht beschimpft, Sie waren es, die die Kollegen beleidigt haben.
Pah, Annika, Annika Heinzel, richtig? Sie waren doch auch schon mal bei uns im Gottesdienst zu Besuch.
Ja, und? Das ist schon lange her.
Es würde mich freuen, wenn Sie mal wieder vorbeischauen.
Ich habe schon genug Probleme. Ich muss mir nicht auch noch in der Kirche predigen lassen, was ich alles falsch mache.
Dafür ist die Kirche auch nicht da. Die Einladung steht.
Ich gehe bestimmt nicht dahin, wo dieser Gorilla auch hingeht.
Frau Heinzel, letzte Verwarnung, bevor Sie ein Bußgeld erhalten.
Ja, bestraft mich nur. Aber wisst ihr was, so böse bin ich gar nicht.
Ja, okay, ich war’s. Ich hab den Strom ausgeschaltet. Aber nur, damit mal alle sehen, wie das ist. Aber mehr auch nicht.
Wie was ist? Stellen Sie jetzt hier Fragen oder was?
Für mich interessiert sich niemand. Ich bin ganz alleine und das ist immer allen egal. Ihr wisst doch gar nicht, wie das an Weihnachten ist.
Na ja, bisschen schon.
Quatsch, du hast doch den Typen da, der dich sogar mitten in der Nacht bei der Polizei einsammelt.
Ich habe niemanden. Alle sollen sehen, wie das ist, wenn man alleine im Dunkeln sitzt.
Aber die anderen können nichts dafür, dass sie alleine sind. Mike hat sie doch sogar eingeladen.
Ich wollte ja auch nicht, dass es so schlimm wird. Es sollte nur zwei Stunden gehen und dann alles wieder normal.
Es ist nur irgendwas Falsches eingestellt gewesen. Dass der Strom gar nicht wieder angeht, das wollte ich doch nicht. Ehrlich, das müsst ihr mir glauben.
Deshalb bin ich auch zurückgekommen, um alles wieder in Ordnung zu bringen. Ihr hättet mich nur machen lassen müssen.
So funktioniert das nur leider nicht. Sie können nicht das Elektrizitätswerk hacken, die ganze Stadt ins Chaos stürzen und dann denken, wir lassen Sie einfach weiter daran herumdoktern. Das verstehen Sie nicht.
Wissen Sie, Annika, ich verstehe auch nicht genau, was in Ihnen vorgeht. Aber eines kann ich Ihnen mitgeben: Sie müssen nicht kriminell sein, um Liebe und Zuwendung zu finden.
Das wird nicht aufgehen. Und noch was: Gottes Sohn Jesus ist mitten in unsere Finsternis hineingekommen an Weihnachten. Er ist gerade für diejenigen gekommen, die einsam sind, die Probleme haben und denen es nicht gut geht.
Ich bin als Licht in die Welt gekommen, damit jeder, der an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibt. Und das hat Jesus selbst gesagt.
Ich habe mit diesem frommen Zeug nicht viel am Hut. Das hat auch nichts mit Frömmelei zu tun. Es ist wirklich so. Bei Jesus ist jeder willkommen, der zu ihm kommt.
Ich wiederhole nochmal meine Einladung: Morgen ist um zehn Uhr der Weihnachtsgottesdienst. Ich würde mich freuen, Sie da zu sehen.
Damit verlassen Toni und Mike die Polizeistation. Im strömenden Regen stapfen sie zu Mikes Auto.
„Danke, dass du das für mich gemacht hast.“
„Aber klar, Toni. Kommst du noch mit, wenn ich meinem Dad alles erkläre? Bestimmt denkt er sonst, ich wäre wirklich kriminell.“
„Wenn es dich beruhigt, bin ich gern dabei. Nur nicht mehr allzu lange, ich bin morgen früh mit Gudrun verabredet, um ihr Fenster zu reparieren.“
„Tust du mir auch einen Gefallen?“
„Ja, was denn?“
„Denkst du auch mal darüber nach, was Stefan über Jesus gesagt hat? Dass er für die Menschen da ist, die es schwer haben? Dass er für jeden da ist und dass er auch dich ins Herz geschlossen hat und sich riesig freuen würde, wenn du ihn kennenlernen willst.“
Für Toni ist es glimpflich ausgegangen. Die Polizei weiß Bescheid, und er kann nach Hause.
Aber Moment mal: Die Lichter sind ja immer noch aus. Wer kann helfen, den Strom wieder einzuschalten?
Finde es heraus im vierten Teil von „Weihnachten mit der Crew“.