Einführung in das Wort Jesu und die Bedeutung der Liebe
Also, liebe Schwestern und Brüder, im 15. Kapitel des Johannesevangeliums steht das Wort, das uns heute eingeprägt wird. Es ist nicht einfach nur ein Wort aus Johannes 15, sondern das Wort unseres Herrn Jesus, das uns der Apostel Johannes im 15. Kapitel, Vers 9, weitergibt.
Jesus spricht: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!“ Es geht nicht darum, was wir tun, sondern darum, dass wir in der Liebe des Herrn Jesus aufblühen können.
In Korntal haben wir ja schon von Anfang an einige Heime für Kinder aus ganz zerstörten und zerstörerischen Verhältnissen. Dort sagen uns die Experten, dass keine große Pädagogik und keine Ratschläge helfen. Diese Kinder können nur durch Liebe geheilt werden, wenn sie sich angenommen wissen.
So sagt Jesus, bevor er uns Befehle gibt: „Bleibt doch in meiner Liebe, damit ihr aufblühen könnt.“
Durchblick im Zeitgeschehen: Herausforderungen und Versuchungen der Christenheit
Aber jetzt zuerst einmal Durchblick im Zeitgeschehen. Ich habe mir immer überlegt, welche Aspekte ich jetzt unter uns bewusst machen könnte in diesen Tagen, wenn es um den Durchblick im Zeitgeschehen geht. Es ist ja eher so, dass es wie ein Puzzlespiel ist, zu Deutsch Puzzle, bei dem man bloß einige kleine Stückchen kennt und gar nicht weiß, wo die zusammenpassen.
Neulich hat mir jemand vom Missionsbund „Licht im Osten“ gesagt: Wie soll es denn in Russland weitergehen? Wir freuen uns über einen neuen Aufbruch des Glaubens, aber 70 Jahre lang waren die Babuschkas, die Großmütter, das Entscheidende. Und nach 70 Jahren Kommunismus gibt es eigentlich keine Babuschkas mehr. Wir freuen uns über neu aufbrechende Gemeinden, aber es hat mich immer getröstet, wenn man selber Großvater ist, was Großeltern bedeuten können. Also Puzzlestücke.
Rudolf Alexander Schröder hat ja schon vor langen Jahrzehnten gedichtet:
Es mag sein, die Welt ist alt.
Missetat und Missgestalt sind in ihr gemeine Sache allgemein.
So Missetat und Missgestalt, bei all unseren Möglichkeiten des Helfens und Behebens von Nöten, brechen immer wieder neue Nöte auf. Wir haben gedacht, wir haben die Tuberkulose und die Masern im Griff durch Impfungen und Medikamente. Und plötzlich bricht AIDS auf. In Afrika löscht das ganze Land Striche aus, und wir wissen keine Hilfe.
Wir haben gemeint, die Energieprobleme unserer Welt gelöst zu haben durch die Kernkraftwerke, und dann kam Tschernobyl. Und wir merken, das ist auch keine Hilfe. All unser Helfen, unser Versuch, die Welt vollkommen zu machen, ohne Probleme, ist wie ein brüchiges Mürbeteigstück, das wir über die Erde breiten wollen. Und es reißt immer wieder neu auf.
Da werden die Christen gefragt: Was tut ihr denn zur Behebung dieser Nöte? Wo packt ihr mit an? Und wir Christen sind versucht – deshalb spreche ich beim Durchblick im Zeitgeschehen, weil das im Augenblick eine ganz große Versuchung für die Christenheit ist – dass wir sagen: Wir packen mit an.
Halbierung der Armut in den nächsten zehn Jahren – sogar ein Großteil der Evangelischen Allianz in Deutschland ist davon fasziniert. Ich habe dem lieben Hartmut Steeb, der demnächst kommt, gesagt: Dann würde ich mal anfangen, als Opfer der Allianz-Gebetswoche zur Behebung des Hungers zu bestimmen. Moment, das brauchen wir selber für uns.
Große Worte können wir schnell machen, aber was können wir denn konkret tun zur Behebung der Nöte? Was können wir Christen tun, um das Riesenloch der Sozialversicherung zu stopfen? Kein Mensch weiß, wie das eigentlich weitergehen soll bei uns mit der Verschuldung der Bundesrepublik.
Wir haben versucht, große Töne zu machen, ohne zu fragen. So wie die Amerikaner immer fragen – die bewundere ich immer – die haben so einen Filter im Hinterkopf eingebaut: What should be done? Was sollte alles gemacht werden? Da gibt es eine Fülle von Dingen. What can we do? Was können wir denn überhaupt machen? Wofür haben wir Geld, wofür haben wir Leute? Da hört sehr schnell auf, was man tun kann. Und dann sagen die Amerikaner als Drittes: What will we do? Was packen wir an konkret? Eine Sache, wir können nicht alles machen.
Aber die Versuchung der Christen ist, mitzumischen, damit die anderen uns nicht vorhalten: Ihr steht abseits bei den großen Nöten der Welt. Bitte, ihr Christen, ihr seid doch bekannt, euer Jesus hat geheilt, er hat sich den Menschen zugewandt, was tut ihr denn? Was sollen wir tun? So haben schon die Menschen gefragt. Sie haben den Johannes den Täufer gefragt, sie waren gepackt von dem Ernst: Wir haben Verantwortung. Wenn wir schon zu Gott ganz neu gehören wollen, dann was sollen wir tun?
Konkrete Aufgaben und Grenzen christlichen Handelns
Und der Täufer Johannes hat ihnen ganz konkrete, überschaubare Aufgaben genannt. Dabei ist ein doppelter Aspekt zu bedenken: Was können wir überhaupt schaffen? Auch christliche Krankenhäuser können nicht garantieren, dass die Kranken gesund werden.
Ich war lange Zeit mitverantwortlich für unsere Bruderschaftsarbeit im CV&M. Wir haben geholfen. In Afrika kam der Ruf: Schickt uns CV&M-Sekretäre, unsere stellungslosen jungen Leute, die keine Berufsausbildung haben, wenigstens beizubringen, wie man einen Hammer in die Hand nimmt und wie man die schlichtesten mechanischen Dienste verrichten kann.
Da ist unser Fritz Mast hinausgegangen. Bruder Bröschl kennt ihn noch. Nach einigen Jahren hat er gesagt, nachdem er so eine Berufsausbildungsstätte in Kaduna, Nigeria, aufgebaut hat: Wenn Gott nicht Gnade gibt, erziehe ich jedes Jahr zwanzig kommende Ausbeuter, die nachher mit Stehkragen herumlaufen und andere Mitarbeiter in ihrer Fahrradreparaturwerkstatt unterdrücken. Ich erziehe Ausbeuter, wenn Gott nicht Gnade gibt.
Wir haben es doch gar nicht in der Hand, dass das, was wir anpacken und wo wir helfen wollen, auch wirklich eine Hilfe ist.
Zweitens ist zu bedenken: Bei dem dringenden Ruf Christen, macht doch mit, tut was Vernünftiges, dürfen wir nicht das Wort Gottes versäumen. So war es schon in der ersten Christenheit, als die Witwen der griechischen Mitchristen in der Versorgung übersehen wurden. Man organisierte eine Speisung, aber die Apostel sagten, es sei nicht gut, wenn sie das Wort Gottes versäumen und gleichzeitig den praktischen Dienst tun.
Sie beriefen deshalb die sieben Armenpfleger, darunter Stephanus und Nikanor, Männer, die voll heiligen Geistes und Christen waren. Doch sie betonten, dass sie das Wort Gottes nicht vernachlässigen dürften.
Es ist die Erfahrung durch die Missionsgeschichte hindurch, dass die Evangeliumsverkündigung stets begleitet war von Hospitälern, Hebammenstationen und Mechanikerwerkstätten, um auch praktische Hilfe zu leisten. Bis heute sind die von der Basler Mission aufgebauten Autoreparaturwerkstätten die verlässlichsten.
Es wurde also praktisch etwas getan. Aber schon in Trankebar, als August Herr Van Franke die erste Mission von Deutschland aus begann, sagte nach drei Generationen die dortige Kirchenleitung in Indien: Wir stellen jetzt die Bekehrungsprogramme ein. Wir haben ja Schulen, Hospitäler und Hebammenstationen. Dafür brauchen wir alle Gelder und alle Kraft. Die Hindus sollen nicht meinen, wir wollten sie bekehren, wir machen bloß noch praktische Hilfe.
In der praktischen Hilfe steckt also eine Tendenz, das Evangelium zu verdrängen.
Ich habe jetzt versucht, viele Beispiele zu nennen, aber die Zeit läuft uns davon.
Als George Williams, der Gründer des ersten christlichen Vereins junger Männer, sein Programm entwickelte, sagte er: Wir wollen dazu beitragen, dass junge Leute in ihrem Beruf tüchtige Menschen werden. Wir bieten Stenografie- und Schreibmaschinenkurse sowie Fremdsprachenkurse an. Wir wollen auf ihre geistigen Bedürfnisse eingehen, bauen Bibliotheken und Büchereien auf. Auch ihre körperlichen Interessen berücksichtigen wir mit Sportprogrammen.
Aber lasst uns bei dem Bemühen, auf die Bedürfnisse junger Männer einzugehen, nicht den ersten Zweck unserer Arbeit vergessen: dass sie durch die Begegnung mit dem Evangelium zu lebendigen Christen werden.
Lasst uns nicht über all den Programmen vergessen, dass beim Helfen eine Tendenz besteht, nur ein Sportprogramm mit Bücherei zu haben, und dann noch Geld für diese Kurse sammeln zu müssen. In Amerika ist die Kapelle, wo die Bibelarbeit stattfindet, oft ganz am Rand des großen Gebäudes.
Wir müssen genau aufpassen, was wir tun sollen.
Das zentrale Werk Gottes: Glaube an Jesus Christus
Eine kleine Geschichte wird im Johannesevangelium erzählt. Es kamen fromme Juden zu Jesus und fragten: „Was müssen wir tun?“ Diese Frage ähnelt der, die Johannes der Täufer stellte: „Was müssen wir tun, damit wir Gottes Werke wirken, Werke, an denen Gott Freude hat und die er bejaht?“
Wissen Sie, wie die Antwort von Jesus lautet? Sind wir schon in der Bibel? Jesus sagte: „Das ist Gottes Werk, dass ihr glaubt an den, den er gesandt hat.“ Das war nicht einfach nur gemeint. Gott möchte bei euch etwas bewirken. Das ist Gottes Werk. Ihr tut nicht etwas für Gott, sondern Gott möchte etwas in euch tun.
Er ist darauf aus, dass ihr in erster Linie an den Offenbarer Gottes, an den Heiland Jesus, glaubt. Auch das kommt an.
Wenn wir immer wieder die Aufforderung erhalten, noch viel mehr praktisch zu tun und in den Nöten der Welt mit anzupacken, dürfen wir den ersten Zweck nicht vergessen: Ich möchte in der Wahrheit fest gegründet sein und mit dem Herrn Jesus verbunden bleiben.
Die Bedeutung der Liebe als Grundlage des Glaubens
Ich habe hier schon einmal die Geschichte erzählt: Beim Weltgebetstag in der Heimat unserer Vorväter, in der auch unsere Mutter leben durfte, in Hülpen, hat die treue Pfarrfrau die Ordnung für den Weltgebetstag gebetet. Als dann mit verteilten Rollen gelesen wurde: „Herr, lass uns eintreten für Gerechtigkeit in der Welt, für den Frieden unter den Völkern, für die Bewahrung der Schöpfung“, hat es meine Mutter gereizt. Von ihr habe ich meist den Zwischenruf zu machen gehört: „Wir können jetzt doch noch nicht einmal daheim für den Frieden sorgen und für Gerechtigkeit. Beim Tun überschätzen wir uns immer. Was müssen wir tun?“
Lasst euch im Glauben festmachen, deshalb sagt der Herr Jesus: „Bleibet in meiner Liebe.“ Es gibt viele Befehle des Herrn Jesus. Ist Ihnen da schon einmal aufgefallen, wie oft der Herr Jesus Befehle gibt? Wenn Sie im Johannesevangelium anfangen, etwa beim Schöpfen in die Krüge oder wenn er einen Mann herbringt – immer wieder gibt er Befehle an Menschen. Besonders auffällig ist das im Matthäusevangelium, zum Beispiel: „Versöhne dich mit deinem Gegner, solange du auf dem Weg bist. Ihr sollt nicht im Streit leben und dann ins Heiligtum gehen. Eure Rede sei ja ja, nein nein.“ Viele Befehle.
Ein großes Wort des Herrn Jesus lautet: „Ihr liebt mich, wenn ihr meine Gebote haltet.“ Ein alter Mitchrist, 94 Jahre alt, hat mir vor wenigen Wochen geschrieben: „Dann liebe ich also Jesus nicht, ich kann seine Gebote nicht alle halten.“ Doch es ist beeindruckend, wie ein Mensch im Gewissen über das Wort Gottes bewegt wird. Liebe ich ihn – ist das eine emotionale Sache oder meine ich es wirklich ernst? „Ihr liebt mich, wenn ihr meine Gebote haltet.“ Herr Jesus, ich muss mich von dir ausschließen.
Da habe ich diesem Menschen zurückgeschrieben: Das Wichtigste aller Befehle steht in Johannes 15,9: „Bleibet in meiner Liebe!“ Und dazu wird uns im Johannesevangelium anschaulich gemacht, wie das mit der Liebe ist.
Johannes hatte eigentlich sein Evangelium schon abgeschlossen. Es ist geschrieben, dass er glaube, dass Jesus der Christus ist und dass man in ihm das Leben haben kann. Dann wollte er eigentlich einen Punkt machen und sagen: Das ist das Wichtigste. Doch dann wurde ihm klar, dass er doch noch eine Geschichte anfügen muss. Hier steht in Johannes 21, dass der Auferstandene seinem Petrus begegnet ist, am See Genezareth, den er verleugnet hatte.
Jetzt wäre eigentlich das in Kraft getreten, was der Herr Jesus klar gesagt hat: Wer mich verleugnet vor den Menschen, den werde auch ich verleugnen vor meinem himmlischen Vater. Wer gesagt hat, mit Jesus habe ich nichts zu tun, wer sich selbst verschworen hat: „Ich schwöre euch, ich will verdammt sein in der Hölle, wenn ich je mit Jesus was zu tun hatte“ – das ist Verleugnung. Ihr habt mit ihm nichts zu tun, nicht die Bohne. Da hätte Jesus sagen können: „Dann will auch ich verleugnen. Mit dir habe ich nichts zu tun, mit dir bin ich fertig.“ Ich kann schwindeln, solange du willst.
Stattdessen fragt Jesus Petrus: „Hast du mich lieb?“ Er hätte ja auch pädagogisch fragen können: „Tut es dir nicht leid, was passiert ist? Petrus, möchtest du mich wieder gut machen? Petrus, hast du mir nicht etwas zu sagen?“ Nichts davon. Bloß die Frage: „Hast du mich lieb?“ Dreimal: „Hast du mich lieb?“ Am Schluss sagt Petrus: „Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe.“
Vielleicht lese ich etwas hinein, aber ich höre aus dieser Antwort des Petrus heraus: „Ich dich lieb habe, Herr Jesus, ich kenne mich ja selber nicht mehr. Ich weiß gar nicht, ob das, was ich jetzt sage, echt ist, ob das verlässlich ist oder bloß emotional. Aber du kennst mich doch besser und weißt, ob das echt ist, was ich jetzt sage: Ich habe dich lieb.“ Das ist wahres Zutrauen zu Jesus, Bleiben in seiner Liebe.
Man sagt sogar: „Herr Jesus, das sind meine Eindrücke, meine Gefühle. Du musst selber beurteilen, was echt ist und was richtig ist.“ Geht es Ihnen manchmal auch so beim eigenen Beten, dass wir oft denken: „Ich weiß gar nicht, ob das, was ich Herrn Jesus vorbringe, berechtigt ist, ob ich mich nicht selbst täusche, ob die Bitte, die ich jetzt vorbringe, nicht dumm ist.“ „Herr, du weißt alle Dinge, entscheide du darüber.“ Das ist wahre Liebe, wenn man weiß: Herr Jesus, du kannst dich auch um mein Verleugnen noch annehmen.
„Sind wir untreu“, so heißt es einmal in einem Thessalonicherbrief, „so bleibt er treu; er kann sich selbst nicht verleugnen.“ Wahre Liebe bleibt in meiner Liebe. Es ist ja im Grunde genommen der gleiche Befehl, den der Herr Jesus gesagt hat: „Komm her zu mir, folge mir nach. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt…“ Kommt doch zu mir. Ich möchte gern Wohnung bei euch nehmen.
„Lasst mich doch bei eurem Leben Wohnung nehmen.“ Es sind doch gar keine Befehle, sondern Angebote des Herrn Jesus.
Liebe als Grundlage des christlichen Lebens und Nachfolge
Der Petrus hat das in seinem Brief aufgenommen: Ihr habt Jesus nicht gesehen und doch liebt ihr ihn. In 1. Petrus 2,3-4 finden sich auch Anweisungen, wie man seinen Fußstapfen nachfolgen soll. Petrus hat erkannt, dass der Nährboden für alles darin besteht, eingewurzelt zu sein in der Liebe des Herrn Jesus.
Vor den Fenstern meines Arbeitszimmers steht der schönste Kastanienbaum, den es in Korntal gibt. Frau Meier kann das bestätigen. Er ist tief eingewurzelt im Boden des Zepfers und im Garten. Jedes Jahr staune ich im Frühjahr, wenn die Blätter austreiben. Es ist zwar schade, dass hinter dem Kastanienbaum die Familie Zimmermann wohnt, die ebenfalls sehr mit der Nahhöhe verbunden ist. Wir können sie nicht mehr vom Fenster aus sehen, und sie sind auch nicht mehr bei uns, wenn wir aufstehen.
Doch jedes Jahr sind die wunderbaren Blätter und die Blüten um Pfingsten herum ein Geschenk. Diese herrlichen Kerzen, bis im Herbst die Früchte da sind – die Kinder kommen von allen Seiten und können es kaum erwarten, bis die Kastanien fallen.
Das Geheimnis liegt in den Wurzeln, die sich tief in unseren brüchigen Korntaler Boden eingesenkt haben. Dort, wo ständig das Grundwasser wegläuft, holen sie sich die Nahrung, damit der Baum blühen und Frucht bringen kann. So können auch wir in der Liebe des Herrn Jesus bleiben, wachsen und gedeihen. Bleibt in meiner Liebe!
Nun gilt auch, dass wir den Herrn Jesus liebhaben sollen, so wie Jesus Petrus gefragt hat: Hast du mich lieb? Gibt es eine Stelle in der Bibel, an der besonders Wert darauf gelegt wird, dass wir Jesus liebhaben sollen?
Gnade sei mit allen, die unseren Herrn Jesus unverrückt und unverbrüchlich liebhaben. Am Schluss des Epheserbriefs wird das betont, ebenso am Ende des ersten Korintherbriefs. Wer den Herrn Jesus nicht liebt, was geschieht mit ihm? Er wird verflucht, Anathema! Maranatha – unser Herr kommt.
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie hart diese Stelle ist? Wer unseren Herrn Jesus nicht liebt, der sei verflucht. Vielleicht kam dem Apostel Paulus diese Härte selbst ein wenig zu streng vor. Deshalb fügte er noch hinzu: Die Gnade des Herrn Jesus sei mit euch, meine Liebe sei mit euch allen in Christus Jesus.
Paulus wollte den Korinthern ganz deutlich machen, wie wichtig es ist, Jesus liebzuhaben. „Dich will ich lieben, dich will ich ehren, du meiner Seele Freude und Kron.“ So wollen wir singen von Jesus Christus: Sehr stolz König ehret, liebet, lobet ihn.
Das hat auch Philipp Friedrich Hiller gesagt, der in der Einleitung zu seinem Schatzkästlein mit beinahe siebenhundert Liedern schrieb: „Ich habe mich bemüht, Ausdrücke des Liebkosens zu vermeiden. Die Majestät unseres Herrn verbietet mir, zu innige Formulierungen zu finden.“ Er hat wahrscheinlich an Zinzendorf gedacht und an dessen sehr innige Liebesbeziehungen zu Jesus. Doch Hiller sprach auch davon: „Ehret, liebet, lobet ihn.“
Vor vielen Jahren schrieb mir einmal ein Gemeindeglied aus einer württembergischen Gemeinde: „Wir haben so einen furchtbaren Pfarrer. Können Sie nicht dafür sorgen, dass er wegkommt? Er hat in der letzten Predigt gesagt: ‚Wer Jesus nicht lieb hat, ist verflucht, Amen!‘ So einen Pfarrer können wir doch nicht bei uns behalten, der so brutal ist.“
Vielleicht habe ich zu schnell geantwortet. Bei seelsorgerlichen Briefen sollte man sie erst einmal liegen lassen und dann überlegen, wie man einem Menschen, der ungehalten ist, richtig antwortet. Ich schrieb: „Lesen Sie doch mal 1. Korinther 16, dort steht dasselbe. Sie haben einen Pfarrer, der Sie an die Bibel hält.“
Hätte ich mir mehr Zeit genommen, wäre mir klar geworden, dass das betreffende Gemeindeglied das so sieht wie bei den Kränen: Bei den Pfarrern auch – keiner hackt dem anderen Auge aus. Es wollte meinen Einwand nicht hören.
Lieber hätte ich geschrieben: „Ich verstehe, dass Sie erschrocken sind. Aber vielleicht würden Sie auch erschrecken, wenn Sie das Ende des ersten Korintherbriefs lesen.“ Paulus hatte ja nachgeschoben: „Meine Liebe ist mit euch allen“, damit der harte Satz richtig aufgefangen wird. Vielleicht wäre es auch gut gewesen, wenn der Herr Pfarrer das noch gesagt hätte.
So habe ich zu schnell geantwortet, auch wieder lieblos – um den Schreibtischwechsel loszuwerden.
Die Aufforderung zur Liebe und ihre wahre Bedeutung
Wie zeigt sich die Liebe zu Jesus, wenn der Apostel Paulus sagt, dass es so wichtig ist? Er sagt sogar: Verflucht ist, wer Jesus nicht liebt. Was erwartet denn der Herr Jesus von uns?
Es wird erzählt von einem großen Soldatenkönig, dem Vater von Alten Fritz, Friedrich dem Großen. Dieser König Friedrich Wilhelm von Preußen wurde gefürchtet. Als er einmal durch ein Dorf ging, sind die Kinder schreiend vor Angst ihm aus dem Weg gelaufen. Da ist er aus seiner Kutsche gesprungen, hat seinen Stock genommen und den Kindern nachgelaufen. Er hat geschrien: „Lieben sollt ihr mich!“ Mit puderrotem Gesicht rief er: „Lieben sollt ihr mich!“
So hat der Herr Jesus das nicht gemeint, dass er uns zürnend nachruft: „Ihr sollt mich lieb haben!“ Wie ist das Liebhaben denn gemeint?
Mir hat der Lehrer, der mir im Studium vielleicht am meisten mitgegeben hat, Helmut Thielicke, geholfen. Er hat uns einmal in einem kleinen Seminar gesagt: Schaut, warum die Berichterstatter von Jesus uns Geschichten erzählen, in denen so anschaulich wird, wie Jesus zu den Menschen in seiner Zuwendung war, wie er Menschen in ihrer Not gesehen hat. Diese Erzählungen in den Evangelien sollen das Geschehen lebendig machen.
Das, was im Singspruch gesagt wird, was im Volkslied heißt: „Das hat deine Schönheit gemacht“, hat mich zum Lieben gebracht mit großem Verlangen. Denn die Berichte der Evangelien sind dazu da, dass wir sagen: Herr Jesus, du bist toll, großartig, dass du bis heute so bist, wie du damals warst, wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du.
In den Bekenntnisschriften unserer Kirche hat Philipp Melanchthon immer wieder die Formulierung gebraucht, Jesus sei ein „Objectum amabile“, ein Gegenüber, das uns zur Liebe zu ihm erweckt und Liebe aufbrechen lässt.
Noch mehr hat mir geholfen, als ich das Buch von Ruth von Wedemeyer gelesen habe, die Lebensgeschichte des Herrn von Wedemeyer, ihres Vaters. Bonhoeffer hat sich kurz vor seiner Inhaftierung mit der Tochter aus dem Hause Wedemeyer, Maria Wedemeyer, verlobt. Ihr Vater, Herr Wedemeyer, ist im Krieg gefallen und hat diese Verlobung nicht mehr erlebt.
Als Ruth von Kleist ihm begegnet ist, haben die Geschwister gesagt: „Bei dir ist irgendwas jetzt passiert, du hast dich wahrscheinlich verliebt.“ Da hat er errötet und gesagt: „Ja, ich habe eine junge Frau getroffen.“ Die Geschwister fragten: „Wie sieht sie denn aus? Was macht sie beruflich? Wo kommt sie her? Was ist ihr Lebensweg?“ Er hat geschrieben: „Ich weiß nicht, was ihr Leben bisher geprägt hat. Ich weiß auch nicht, wie alt sie ist. Ich könnte euch nicht mal genau beschreiben, wie sie aussieht. Ich weiß bloß, dass ich sie heiraten werde.“
Da ist aufgegangen, was Liebe ist. Nicht an Details, weil sie so gut gekleidet war oder so vornehm gesprochen hat – sie war es. Ich kann nicht sagen: „Das hat deine Schönheit gemacht, mich zum Lieben gebracht mit großem Verlangen.“ Das ist Liebe.
Liebe ist das. Auf meinem Nachttisch liegt die Bibel, die meine Mutter nach dem Tod meines Vaters benutzt hat. Als ich mal zufällig das Versatzblatt aufgeschlagen habe, stand im Schluss ein Vers von Karl Georg: „Weil du mir fehlst, kann ich nicht leben.“
Auch in der Ehe gab es manche Spannungen. Ihre Eltern waren jeweils für sich geprägt. Aber das ist Liebe, die auch Witwer und Witwen kennen und kaum darüber sprechen können. Ich kann eigentlich gar nicht mehr leben ohne den Menschen, der zu mir gehört.
Wir wünschen Ihnen am Jubiläumstag, dass es bei Ihnen so ist: Wir gehören einfach zusammen.
Persönliche Erfahrungen mit Liebe und die Einladung Jesu
Reisedienste habe ich gemacht, auch mit Lausanne und ProChrist. Bereits vorher war ich in der Verantwortung des Jugendwerks und bin immer wieder nach Kassel gefahren, um an den Tagungen der EKD-Synode teilzunehmen.
Ich habe mich oft in der Gegend um Frankfurt aufgehalten. Anfangs dachte ich, es läge an der Höhenlage, denn Frankfurt liegt anders als Stuttgart. Wir wohnten auf den Höhen über Stuttgart. Trotzdem bekam ich Herzschmerzen.
Eines Tages sagte mein Freund Klaus Strittmatter zu mir: „Was ist denn los? Du bist ganz blass im Gesicht.“ Ich antwortete: „Es tut mir weh.“ Er fragte: „Ist das immer hier in der Gegend so?“ Ich erklärte: „Nur wenn wir in Richtung Kassel und Hannover fahren. Beim Zurückfahren schlägt mein Herz immer schneller.“ Jeder Kilometer, der mich von meiner Frau wegführte, verursachte Herzschmerzen. Und wenn es wieder näher zu ihr ging, schlug mein Herz doppelt so schnell. Das ist Liebe.
Auch wenn es unter Menschen, die geprägt sind, nicht immer Friede, Freundschaft und Eierkuchen gibt, gehören wir doch zusammen. Zu dieser Liebe lädt uns Herr Jesus ein.
Herr Jesus, ohne Dich möchte ich keinen Tag leben. Ohne Dich, woher kämen Kraft und Mut? Ohne Dich, wer würde meine Bürde tragen? Ohne Dich würden unser Glaube, Hoffen und Lieben zerstieben. Du bist der Herr, und das ist nicht von mir: Mein Glaube, mein Hoffen, meine Liebe – so bist Du.
Du hast Dich mir in einer unerklärlichen Liebe zugewandt, obwohl an mir noch nichts Liebenswertes ist. „So wie der Vater euch liebt, so liebe ich euch“, heißt es in Johannes 15. Der heilige, ewige Gott liebt uns, die Ungerechten und mit Sünden Befleckten, und will uns für die Ewigkeit retten. So liebe ich auch euch, sagt Jesus, voller Liebe. Ich möchte euch durchbringen zur Welt Gottes.
So hat es der Herr Jesus ausgedrückt: „Ihr sollt mich nicht lieben, damit ich endlich geliebt werde, sondern wer mich liebt, den wird der Vater lieben.“ Ich möchte euch zur Liebe einladen, damit die Liebe des Vaters euch umfängt.
Abschluss: Die Herrlichkeit der Liebe inmitten menschlicher Unvollkommenheit
Durchblicke im Zeitgeschehen
Lesen Sie einmal unsere evangelischen Gemeindeblätter, die kirchlichen Zeitschriften und die theologischen Fachzeitschriften. Welche Probleme dort alle behandelt werden! Doch Fehlanzeige, wenn es darum geht, was uns wirklich wichtig sein sollte.
Bleiben Sie in meiner Liebe! Über der armseligsten Gemeinde Jesu und über unserem unvollkommenen Christsein liegt die Herrlichkeit Gottes darin, dass die Liebe des Herrn Jesus uns umfängt.
In Israel war die Schechinah, der Glanz der Herrlichkeit, von großer Bedeutung. Man spürte, wie die Herrlichkeit aufbrannte.
Liebe Schwestern und Brüder, die Herrlichkeit ist über Ihnen, trotz allem, was Menschen an Ihrer Unvollkommenheit sehen. Und wenn Sie selbst in den Spiegel schauen und über Ihre eigene Unvollkommenheit erschrecken, so ist der unsichtbare Glanz über Ihrem Leben der, der mich liebt, der mich kennt und mich bei meinem Namen nennt: „Bleibet in meiner Liebe.“ Dazu hilf uns!
Du erbarmer, liebender Jesus, du König der Gerechtigkeit, du willst, dass wir ganz eng mit dir verbunden sind, vertrauensvoll.
Nun wähle ich das Beste und dringe in das Leben ein. Ich will in der Wahrheit feststehen und nicht verloren sein.
Treuer Heiland, Lebensfürst, halte mich, bis du kommen wirst! Amen.
