Einführung in die Leidensgeschichte Jesu
Wir haben ab Palmsonntag die Leidensgeschichte nach dem Matthäus-Evangelium gelesen. Schlagen Sie bitte jetzt Matthäus 27,31 auf.
Wir wollen auch hier weiterlesen. An Ostern und Ostermontag schließen wir dann diese zusammenhängende Reihe ab.
Die Kreuzigung und das Leiden Jesu
Und nachdem sie Jesus verspottet hatten, nahmen sie ihm den Mantel ab, zogen ihm seine Kleider wieder an und führten ihn weg, um ihn zu kreuzigen.
Als sie hinausgingen, trafen sie einen Mann aus Kyrene namens Simon. Diesen zwangen sie, sein Kreuz zu tragen.
Als sie an den Ort kamen, der Golgatha genannt wird – das bedeutet Schädelstätte –, gaben sie ihm Wein mit Galle vermischt zu trinken. Als Jesus davon kostete, wollte er nicht trinken.
Nachdem sie ihn gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Dann setzten sie sich und bewachten ihn.
Über seinem Kopf war seine Schuld angeschrieben: „Das ist Jesus, der König der Juden.“
Zwei Räuber wurden mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
Spott und Verhöhnung am Kreuz
Die aber vorübergingen, schmähten ihn, schüttelten ihre Köpfe und riefen: „Der du den Tempel abbrichst und ihn in drei Tagen wieder aufbaust, hilf dir selbst, wenn du Gottes Sohn bist, und steig vom Kreuz herab!“
Ebenso spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sagten: „Andern hat er geholfen, und kann sich selbst nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er vom Kreuz herab! Dann wollen wir ihm glauben. Er hat Gott vertraut; der soll ihn nun erlösen, wenn er Gefallen an ihm hat. Denn er hat gesagt: ‚Ich bin Gottes Sohn.‘“
Ebenso schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.
Die Finsternis und der Ruf Jesu am Kreuz
Von der sechsten Stunde an legte sich eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Um die neunte Stunde rief Jesus laut: „Eli, Eli, lama sabachtani?“ Das bedeutet: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Einige der Anwesenden, die das hörten, sagten: „Er ruft nach Elia.“ Gleichzeitig lief einer von ihnen hin, nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig, steckte ihn auf einen Stab und wollte Jesus damit zu trinken geben. Die anderen jedoch sagten: „Warte, wir wollen sehen, ob Elia kommt und ihm hilft.“
Im Judentum ist das eine Erwartung, die vielen bekannt ist. Bei jedem Pascha-Fest wird ein Platz freigehalten für Elia. Elia ist eine große erwartete Gestalt, auch heute noch im Judentum. Es wird allgemein davon gesprochen, dass Elia kommen wird, als der Helfer, der in dieser Situation eingreift.
Doch Jesus schrie noch einmal laut und verschied.
Die emotionale Belastung am Kreuz
Herr, mach uns dein Sterben als Steinsiek jetzt groß, Armin. Es ist eine unheimliche Szene, die sich da abspielt. Man hält es ja kaum aus, so lange unter einem Kreuz zu stehen und all das mitzuerleben. Ich weiß nicht, ob andere stärkere Nerven haben als ich.
Dass uns diese Szene Jahr für Jahr am Karfreitag zugemutet wird, ist besonders schwer zu ertragen. Noch schlimmer ist, was sich um dieses Kreuz herum abspielt. Es ist nicht nur so, dass Jesus in der Mitte qualvoll stirbt, sondern auch, dass einige ihren gemeinen Spott treiben. Lasst sie doch wenigstens jetzt in Ruhe! Wenn jemand stirbt, sollte er doch das Recht haben, in Würde und Anstand zu sterben.
Das ist doch gemein und bösartig. Es ist kein Wunder, dass an solch einem Tag unsere Gedanken leicht abschweifen und sich an dieser Sache festkrallen. Wir sagen uns: Man sollte heute über die Menschenwürde reden. Dass man so mit seinen Mitmenschen umgeht – nicht nur, dass man sie zu Unrecht als Unschuldige hinrichtet, sondern dass man sie auch noch so gemein und hinterhältig lästert und verspottet – das ist doch ein Grund, dass das heute einmal angeprangert wird.
Die Würde Jesu trotz Leid und Spott
Ich möchte heute über die Menschenwürde sprechen. Dabei lade ich Sie ein, mit mir gemeinsam einen Blick darauf zu werfen und das Thema zu prüfen. Es ist ein Thema, das besonders junge Menschen sehr bewegt: Wir müssen für die Menschenwürde eintreten und für den Menschen kämpfen.
Zunächst möchte ich betonen: Achten Sie genau darauf, die Menschenwürde und die Würde Jesu sind nicht zerstört. Es mag sein, dass man sich schnell erregt und sagt: „Das ist ja furchtbar, was da geschieht.“ Das stimmt, es geschieht tatsächlich Furchtbares. Diese Schmerzen sind kaum vorstellbar – das Festnageln der Hände, dieser Körper in seiner Todesqual. Man kann kaum ausdrücken, wie schrecklich diese Qual ist. Und dann kommt noch dieser grausame Spott hinzu.
Doch wir sollten fragen: Ist das der Mittelpunkt der Passionsgeschichte? Dass wir uns erregen und sagen: „Für die Menschenwürde müssen wir eintreten“? In der Passionsgeschichte geht es nicht um eine bloße Rührung der Gefühle. Sonst hätten die Evangelisten uns noch viel deutlicher darauf hingewiesen, was uns auch zum Weinen bringen könnte. Das ist jedoch nicht der Fall.
Achten Sie einmal darauf, wie dieser schwache, sterbende Jesus am Kreuz eine große Würde ausstrahlt. Ich denke, die Künstler haben das verstanden. Sie haben diesen Leib Jesu oft königlich dargestellt, selbst in der Todesstunde.
Aber was ist dann mit all den Schmähungen? All diese Schmähungen können die Würde Jesu nicht zerbrechen. Selbst in dem Moment, in dem alles, was irdischer Glanz eines Menschenlebens ist, zerbrochen ist, strahlt das Kreuz Jesu in großem Glanz.
Es ist gut, dass wir dieses Kreuz nehmen und darauf schauen, uns daran aufrichten. Dort wird uns etwas ganz anderes mitgeteilt als nur die Klage über die schlimmen Zustände der Welt. Es wird uns etwas verkündigt, das über das hinausgeht, was uns sonst zur Erregung bringt.
Die Reaktion der Menschen auf Jesus
Diese Menschen, die da lästern und schmähen – warum tun sie das? Das tut man doch nicht, das ist doch nicht fein. Keiner von uns würde über einen Schwachen spotten. Keiner von uns würde, wenn jemand am Boden liegt und krank ist, noch über ihn herfallen.
Warum fallen sie über Jesus her, Herr? Wissen Sie warum? Weil Jesus auch in seiner Schwäche, im Sterben, eine solche Größe ausstrahlt, dass sie sich von ihm lossagen müssen. Das ist eine Tatsache, der wir in die Augen schauen müssen: Jesus ist nie schwach. Jesus ist nie unansehnlich.
Er legt uns genau die Fragen vor. Die Leute, die um das Kreuz herumstehen, fühlen sich durch Jesus verunsichert. Sie kommen mit der ganzen Sache nicht zurecht. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, warum sie durch ihren Spott reagieren? Warum Jesus in unserer Welt so verachtet und verspottet wird?
Haben Sie einmal darüber nachgedacht, warum so viele Menschen, die vielleicht sogar den Namen Jesu über ihrem Leben tragen, abschätzig und geringschätzig über ihn reden? Weil sie das von sich weghalten wollen. Wenn Jesus sagt: „Du brauchst Frieden mit Gott, dein Leben ist nicht in Ordnung, du kannst nicht vor Gott stehen.“
Die tiefere Bedeutung des Kreuzes
An diesem Kreuz wird eine Sache verhandelt, die uns zutiefst beunruhigen muss. Es geht nicht um die Frage der Menschenwürde, für die wir eintreten und für die wir kämpfen, sondern darum, dass wir Menschen vor Gott keine Würde besitzen.
Vor Gott sind wir gescheiterte Existenzen. Im Gericht Gottes können wir unsere Schuld nicht beantworten. Beide, Schuld und Schweigen, müssen vergehen. Wir stehen mit unserem ganzen Unrecht da, alle miteinander. Auch wenn wir uns sonst stolz vergleichen und sagen: „Ich bin besser als der andere“, wird am Kreuz offenbart, wer wir wirklich sind.
Darum möchte ich Sie bitten, auf diese Würde Jesu zu achten. Nein, es ist nicht unwürdig am Kreuz. Bis zum Schluss hat Jesus daran festgehalten, dass die wichtigste Sache unseres Lebens die Versöhnung mit Gott ist. Er hat darum gebetet und beim Vater eingelegt: „Vater, vergib ihnen.“ Das hat ihn bis in die Todesstunde umgetrieben.
Wissen Sie das? Schieben Sie es nicht einfach so von sich weg oder legen Sie es beiseite. Dort hören Sie die große Beunruhigung Jesu. Das soll uns durch diese Passionsgeschichte wichtig werden.
Und Jesus selbst? Um ihn brauchen Sie nicht zu weinen und ihn nicht zu beklagen. Auch im Kreuz, im Frieden Gottes, steht über seinem ganzen Leiden: Er hat das Wohlgefallen des Vaters. Das Ja Gottes steht über seinem Weg.
Aber was ist mit uns? Die Beunruhigung von uns soll doch unter dem Kreuz geschehen.
Die zerstörte Menschenwürde und die Schuld der Menschen
Aber nun möchte ich etwas anderes sagen zur Menschenwürde, die heute so viele umtreibt und bewegt. Die Würde des Menschen ist zerstört – durch das, was sie an Jesus tun.
Kann man da noch alles Schöne und Große von den Menschen sagen? Wie viele Entdecker, Erfinder, Künstler und Gelehrte sind aus dem Menschengeschlecht hervorgegangen? Aber vor dem Kreuz Jesu? Sind sie alle schuldig?
An diese Schuld erinnert uns der Karfreitag. Es wäre genau verfehlt, den Karfreitag auf den Kopf zu stellen, wenn wir uns hier jetzt über die Unrechtsstaaten dieser Welt erregen oder über unsere eigene Schuld unter uns. Vielleicht wird es schon etwas schwer, wenn wir das lesen und denken: Da sind wir doch nicht vergleichbar mit diesen höhnischen und spöttischen Gestalten. Die sind uns doch gar nicht ähnlich.
Doch das war den Christen aller Generationen eigen: Beim Lesen der Passionsgeschichte haben sie schnell abgeschoben. Und das ist das Furchtbare an diesem Geschehen. Über Jahrhunderte hinweg haben Christen gesagt: Das haben die Juden getan. Dabei haben sie nicht begriffen, dass die Bibel sagen will: Das waren Leute, die das Gesetz Gottes kannten und danach lebten. Sogar fromme Leute werden am Kreuz ihrer Schuld überführt.
Die Bedeutung des Spottes und die Ablehnung Jesu
Und noch einmal möchte ich bei diesem Thema stehen bleiben. Es wird erst richtig deutlich, wie töricht unser Verhalten ist. Unser Reden ist oft nur eine Ausflucht, weil wir nichts von Jesus wollen.
Wenn Menschen sagen: „Anderen hat er geholfen“, dann geben sie damit zu, dass sie doch hätten wissen müssen, dass Jesus der Heiland und Helfer ist. Wissen Sie das auch? Aber ist er auch der Heiland Ihres Lebens? Das wollen diese Menschen von sich weghalten. Sie wissen, dass Jesus große Taten vollbracht hat, dass er sich der Aussätzigen annahm und voller Liebe war. Doch jetzt sagen sie das, ohne zu begreifen, dass Jesus sich selbst nicht helfen will, sondern sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hat, uns zu helfen. Genau das wollen sie verweigern.
Dieser Widerstand ist nichts anderes als ein Nein: „Ich lasse mir nicht helfen. Ich brauche niemanden.“ Und wie trotzig können wir das immer wieder rufen: „Ich, ich tue recht und scheue niemanden. Ich brauche nichts, ich werde mit meinem Leben selbst fertig.“ Das ist das laute „Ich brauche niemanden“ am Kreuz.
Sie sagen zu Jesus: „Du wirst mit deiner Sache fertig.“ Und sie leugnen bis zum Schluss, dass sie verloren sind. Am Kreuz Jesu können wir erkennen, dass wir vor Gott verlorene Menschen sind, wenn Jesus uns nicht alle Schuld wegnimmt und uns nicht mit Gott versöhnt. Bis zum Schluss spielen viele dieses Theater, das wir alle gut kennen: „Ich bin recht, ich brauche mir nichts vorzuwerfen. Sicher, keiner ist vollkommen, aber ich brauche kein Opferlamm für mich.“
Jesus hat so klar gesagt, wofür er gekommen ist. Doch sie haben es von sich weggeschoben. Man kann es bis zum Schluss weglegen und wegschieben.
Und doch müssen wir wissen: Die Menschenwürde ist am Kreuz dahin, auch wenn das heute ein Schlagwort unserer Zeit ist. Von der Menschenwürde wird viel gesprochen. Wir Christen wissen aber, dass wir vor Gott keine Würde haben, weil wir schuldig sind. Das bekennen wir am Karfreitag. Wer braucht Jesus, das Lamm Gottes, das für unsere Schuld stirbt? Anders bekommen wir keinen Zugang zu Gott.
Das ist eine bittere Tatsache in unserem Christenleben. Wir müssen unsere Kinder beim Lesen der Passionsgeschichte darauf aufmerksam machen: Pass auf vor den Menschen! Kein Tier ist so gemein, und kein Leben so gefährlich wie das Leben des Menschen. Die Bibel zeigt uns, dass wir nicht mehr von den Träumen über das Gute im Menschen ausgehen dürfen, sondern die Abgründe in unserem eigenen Herzen sehen müssen. Wir brauchen einen Heiland, der uns hilft. Da gibt es dann keine Würde mehr aus eigener Kraft.
Die wahre Menschenwürde durch Jesus Christus
Doch es gibt eine Würde. Mit diesem Gedanken möchte ich schließen: Es gibt eine Menschenwürde. Über das Sterben Jesu ist offenbar geworden, wer wir sind – sterbliche Menschen. Unser Leib zerbricht, unsere Kraft vergeht. Im Sterben bleibt nichts von uns übrig.
Der Triumph dieser Menschen bestand darin, dass sie sagen konnten: Goodbye. Jesus ist zwar nicht mehr hier, aber sie haben ihm vertraut. Ja, deshalb war es mehr. Darum hat Gott ihn auferweckt und ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist. Jesus hat gesagt: „Ich bin Gottes Sohn.“ Und er war der Sohn Gottes. Darum sitzt er zur Rechten Gottes.
Das ist für uns so wichtig. Wir wissen, dass eine tiefe Grenze des Glaubens dort verläuft, wo Menschen dies leugnen. Damit gehen sie an der Mitte des Evangeliums vorbei. Die große Freudenbotschaft lautet ja, dass uns Jesus nun eine Würde zusprechen kann – uns sterblichen Menschen. Nämlich, dass Gottes Wohlgefallen auf uns ruht, dass Gott uns liebt und zu sich zieht, weil Jesus unsere Schuld getragen hat.
Wenn wir heute das Abendmahl miteinander gefeiert und unsere Sünden vor Gott bekannt haben, dann bedeutet das, dass wir dieses alte Leben ablegen. Wir legen es hinunter in die Tiefe, wo Gottes Vergebung es zudeckt. Dort zieht niemand mehr an den alten Dingen. Ich freue mich nun nur noch darüber, dass ich Gott ganz und fest gehöre. Ich gehöre ihm so vollständig, wie es Jesus immer deutlich gemacht hat, wenn er zu den Kranken kam und ihnen die Hand auflegte.
Das war mehr als die Reparatur eines kranken Leibes. Jesus wollte klarmachen, dass Gottes Wohlgefallen auf dir ruht, dass Gott dich liebt und dich nicht loslässt. Eine größere Würde gibt es nicht. So sprach Jesus den Gescheiterten und Schuldigen zu, deren Leben voll von Unrecht und übler Tat war: Gott hat dich lieb.
Von diesem Karfreitagsgottesdienst sollen wir nicht anders weggehen, als mit dem Wissen, was Menschenwürde bedeutet. Sie ist nicht die Ehre und Anerkennung, die uns gezollt wird. Diese äußerliche Form menschlichen Übereinkommens nennen wir oft Menschenwürde. Doch wahre Menschenwürde ist, dass Gott seinen Sohn für uns sterben ließ und wir würdig werden, vor Gott zu treten.
Dann können wir auch durch diese Welt gehen – durch Schrecken, durch die Nacht dieser Welt, durch Einsamkeit, durch Hohn und Spott. Auch wenn sie uns niederschlagen, auch wenn unser irdisches Leben zerbricht und Leib und Seele verschmachten – wenn ich die Würde Gottes habe, meine Menschenwürde, dass ich Kind Gottes sein darf, dass Jesus, der Sohn Gottes, mich zu einem Kind und Eigentum Gottes macht, dann darf ich fröhlich sein.
Das hat er doch erworben, und das will er mir schenken. Das führt zu Karfreitag: Gott ist für mich und tritt für mich ein. Niemand kann mir diese Tatsache ausradieren oder ungeschehen machen. Das Kreuz Jesu steht fest für dich. Damit du das Leben hast und ein Leben lang im Glauben bewähren und festhalten kannst.
Bist du bereit, seinen Frieden anzunehmen?
Armin.
