Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Jörg Lackmann und Thomas Povileit. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zum theologischen Denken anregen.
„Fühlst du noch oder glaubst du schon?“ Diesen Satz hört man vor allem in konservativeren Gemeinden. Er soll ausdrücken, dass es in den Gottesdiensten nicht um Gefühle, sondern um das Wort geht. Nicht selten entsteht dadurch der Eindruck, dass Überchristen Gefühle für unwichtig halten.
Aber wie wichtig sind Gefühle wirklich für jemanden, der mit Jesus unterwegs ist? Lenken uns unsere Gefühle vielleicht sogar vom Wort ab? Unsere Welt wird immer gefühlsbetonter: „Ich muss mich gut fühlen“ ist heute ein sehr wichtiges Kriterium. Viele Menschen treffen ihre Entscheidungen danach, wie sie sich dabei fühlen und was sie tun.
Auch als Gemeinde sind wir natürlich Kinder unserer Zeit und werden von unserer Gesellschaft geprägt. Deshalb stellt sich die Frage: Wie wichtig sind Gefühle für uns als Christen, wenn wir uns mit ihnen beschäftigen? Wir haben doch das Wort, und das ist genug, oder? Thomas, was sagst du dazu?
Na ja, bei deiner Einleitung – zum Glück haben wir das Wort – schließt das ja nicht aus, dass wir uns auch Gedanken über Gefühle machen. Schließlich hat Gott ja auch Gefühle in uns hineingelegt.
Wir sind ja nicht die Ersten, Jörg, die sich hier über Gefühle Gedanken machen. Bereits 1746 hat Jonathan Edwards einen Klassiker dazu geschrieben. Der heißt auf Englisch „Religious Affections“, auf Deutsch „Sind religiöse Gefühle Anzeichen für den wahren Glauben“. Das ist der Titel des Buches.
Man kann es heute in gekürzter Form beim 3L Verlag kaufen. Dort wurde alles herausgekürzt, was schwierig zu verstehen ist oder sich auf Gefühle bezieht. Nein, nein, nein, nicht etwa, weil es Gefühle hat, sondern weil es für uns heute schwer verständlich ist – durch die fast dreihundert Jahre, die dazwischenliegen.
Sag uns doch mal, wer war eigentlich Jonathan Edwards? Und warum hat er so ein Buch geschrieben, das sich mit Gefühlen beschäftigt? Die Zeit war ja, glaube ich, nicht gerade gefühlsbetont, sondern eher vom Verstand geprägt – Aufklärung und so. Der Verstand hatte damals doch eine ziemlich hohe Position.
Jonathan Edwards war ein bedeutender Theologe. Wer schon Predigten von John Piper gehört hat, kennt den Namen Jonathan Edwards ganz sicher. Für mich persönlich zitiert Piper gefühlt alle fünfzehn Minuten Jonathan Edwards. Besonders bekannt und eindrücklich ist Edwards’ Predigt „Der Sünder in den Händen eines zornigen Gottes“. Beim Lesen spürt man fast, wie die Höllenflammen durch das Papier lodern.
Jonathan Edwards war Amerikaner und ein Gelehrter. Bereits mit fünf Jahren begann er, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch zu lernen – zu einer Zeit, als ich noch am Sandkasten spielte. Mit siebzehn schloss er sein Studium ab und wurde Hilfsprediger bei seinem Großvater. Das war in einer Gemeinde, die damals den Bund auf halbem Wege duldete. Das bedeutete, dass Menschen Gemeindemitglieder werden und ihre Kinder taufen lassen konnten, auch wenn sie nicht erkennbar Jesus nachfolgten – ein ganz normales Kirchenleben, wie wir es heute kennen.
Edwards war diese Praxis jedoch immer ein Dorn im Auge. Nach dem Tod seines Großvaters sah er die Chance, diese Praxis zu ändern. Am Ende führte das dazu, dass er als Pastor von der Gemeinde entlassen wurde, denn die Gemeinde wollte die Praxis nicht ändern. Man muss sich vorstellen: Er war 46 Jahre alt, hatte eine Frau und sieben unmündige Kinder, und keine Aussicht auf eine vernünftige Anstellung.
Deshalb ging Edwards auf einen missionarischen Außenposten. Dorthin wollte eh keiner gehen – so lautete das Motto. Dort lebten zwölf Weiße und 250 indianische Familien. Edwards wurde Pastor und Missionar für die Indianer und übte diesen Dienst relativ lange aus. Während dieser Zeit schrieb er immer wieder. So lernten auch andere Leute von ihm und seiner Denkweise. Damit prägte er auch die Gemeinden, die ihn als Pastor nicht wollten.
Vor allem seine Predigten haben die Zeit überdauert, weil Edwards sie wörtlich aufschrieb. Ich habe einmal gelesen, dass er ein Pastor war, dem man eigentlich nicht gut zuhören konnte. Er klebte an seinem Manuskript, schaute ständig darauf und las es vor. Heute hätten viele Menschen wahrscheinlich Mühe, ihm zuzuhören, denn seine Predigten waren buchstäbliche Vorlesungen. Dennoch hatte Edwards etwas zu sagen.
Nach neun Jahren auf dem missionarischen Außenposten entdeckten ihn Lehrer eines Bibelseminars. Sie beriefen Edwards als Präsident an das renommierte Seminar in Princeton. Leider starb Edwards nur einen Monat später, im Alter von 55 Jahren – also relativ jung.
Wichtig ist, dass Gott Edwards während einer großen Erweckungszeit gebraucht hat. Diese Zeit wird als „Great Awakening“ bezeichnet. Erweckungen sind Zeiten, in denen auffallend viele Menschen von ihrem geistlichen Schlaf aufwachen und zu Gott umkehren. Solche Zeiten hat es immer wieder in der Kirchengeschichte gegeben. Ich habe einmal von Irland gelesen, wo Menschen sogar während der Busfahrt zu Evangelisationen bekehrt wurden, weil sie nicht lange warten wollten. Es herrschte einfach eine erweckliche Stimmung, wie man sagt – der Geist wirkte.
In dieser Zeit brauchte Gott Jonathan Edwards. Wie du richtig gesagt hast, ging es der Kirche damals mehr um den Verstand als um die Gefühle. Edwards selbst war jemand, der sehr theologisch predigte und meistens den Verstand ansprach. Ihm war es aber auch wichtig, die Gefühle zu berühren. Vielleicht wurde ihm deshalb vorgeworfen, ein Schwärmer zu sein – ein damals gebräuchlicher Begriff für jemanden, der seinen Glaubensschwerpunkt auf Gefühle legte und so predigte. Diese Kritik war jedoch völlig überzogen.
Edwards antwortete seinen Kritikern, dass die Zuhörer nicht so sehr eine Veränderung ihres Kopfes brauchten, sondern vielmehr, dass ihr Herz angerührt werde. Sie hätten die Art von Predigten am bittersten nötig, die das am wahrscheinlichsten bewirken. Zusammengefasst bedeutet das, dass eine Predigt die Zuhörer nicht nur verstandesmäßig, sondern auch gefühlsmäßig berühren soll.
Die Erweckungszeit war, glaube ich, ziemlich euphorisch und gefühlsbetont, oder? Ich erinnere mich daran, dass es lautes Seufzen, Schreien und solche Gefühlsausbrüche gab. Die Biografie von ihm liegt irgendwo bei mir versteckt, ich weiß gar nicht mehr, wo genau, und ich kam bisher nicht dazu, sie zu lesen. Er hat das für sich selbst eingeordnet oder auch für die anderen. Er schien nicht dagegen gewesen zu sein.
Richtig, aber er hatte Fragen. Es waren wirklich auch Dinge dabei, die man vielleicht in unserer Gemeinde gar nicht so als vom Geist gewirkt sehen würde. Deshalb hat er dieses Buch geschrieben. Es ist im Grunde genommen ein Ergebnis seines theologischen Nachdenkens, insbesondere im Blick auf Gefühle.
Du hast jetzt das Buch über Gefühle gelesen. Ich glaube, du würdest dich selbst nicht unbedingt als gefühlsbetonten Menschen in den Top drei charakterisieren.
Nein, nicht unbedingt.
Was hast du für dich daraus mitgenommen? Warum wolltest du dem Thema tiefer nachgehen?
Ich fand es sehr nachdenkenswert, eben mal etwas über Gefühle zu lesen – gerade weil ich nicht der gefühlsbetonte Typ bin. Edwards hat das Buch gerade aus diesem Setting geschrieben, wie wir eben gesagt haben: Er wurde mit Gefühlen konfrontiert und hat versucht, das theologisch einzuordnen.
Was hast du konkret mitgenommen? Du hast mich gefragt.
Edwards sagt, als Menschen sind wir sehr träge, wenn es darum geht, bestimmte Dinge zu tun. Aber wenn Gefühle ins Spiel kommen, dann entsteht richtig Dynamik. Wenn wir von Liebe, Hass, Hoffnung oder Furcht bewegt werden, dann handeln wir sehr zeitnah und teilweise wirklich intensiv.
Wenn man diese Empfindungen wegnimmt, wäre die Welt tot und bewegungslos, sagt Edwards. Das finde ich spannend. Er ist ja eigentlich Lehrer und Theologe, aber diese Aussage überzeugt mich.
Ich erinnere mich an meine Bundeswehrzeit. Da ist jemand nach dem Antreten am Abend in den Zug gestiegen – ich habe meine Bundeswehrzeit in Ezoho gemacht, in der Nähe von Hamburg. Er ist nach Essen gefahren, hat seine Freundin getroffen und war morgens zum Antreten wieder da.
Also er hatte Ausgang?
Ja, er hatte Ausgang. Das war nicht ganz normal, aber zu der Zeit war das so. Da war natürlich das Gefühl der Liebe da oder was auch immer, aber das hat ihn angetrieben. Normalerweise würde man sagen, das ist nicht unbedingt vernünftig.
Edwards stellt in seinem Buch eine steile Behauptung auf. Er sagt, das Leben eines Menschen wird nicht tiefgreifend verändert, wenn nicht auch seine Empfindungen betroffen sind. Er zitiert Sprüche 8,13: „Die Furcht des Herrn bedeutet, das Böse zu hassen.“ Dieses Hassen ist eine ganz tiefe Empfindung.
Er sagt: Wenn ich Gott fürchte, dann werde ich das Böse sehr konkret hassen, weil ich weiß, dass Gott das Böse auch hasst. Das ist ein spannender Gedanke.
Die Problematik ist oft, wenn man über die Furcht des Herrn redet, wie in Sprüche 8, dass das ins Äußerliche abgleitet, ins Formale. Ich kann mir das damals gut vorstellen: garantiert mit Anzug oder, wie man es damals nannte, Rock und Frack, oder ganz klaren Vorgaben, wie etwas zu sein hat.
Dann spult man seine Programmpunkte ab, wie man Gott so fürchtet: Punkt eins, zwei, drei – das gab es damals auch schon. Aber wenn eine Empfindung dabei ist, wenn man das Böse wirklich hasst, dann hat man die Tiefe verstanden, dass Gott das verabscheut. Man macht das nicht nur äußerlich, weil man es in der Sonntagsschule gelernt oder von vorne gepredigt bekommen hat, dass das böse ist.
Das finde ich schon interessant.
Ich fand es sehr spannend, dass Edwards sagt: Wenn ich nicht gefühlsmäßig bewegt bin, dann bin ich unterm Strich nicht bewegt. Ich weiß nicht, ob man das so absolut sagen kann, da kann ja auch etwas anderes kommen. Aber ihm war wichtig, dass er sagt: Wenn mein Gefühl betroffen ist, dann bin ich betroffen. Das ist so ein bisschen die Aussage.
Redete er dann auch über biblische Aussagen, in denen von Gefühlen die Rede ist? In der Bibel gibt es ja öfter auch relativ gefühlsbetonte Teile. Nicht alles, aber immer wieder Passagen, in denen Gefühle stärker betont werden.
Ja, er widmet einen größeren Teil in seinem Buch dem Thema Gefühle in der Bibel. In diesem Abschnitt zeigt er anhand von Bibelversen, dass die Bibel oft von Trauer, Liebe, Hass und Niedergeschlagenheit spricht. Besonders deutlich wird das in den Psalmen, aber nicht nur dort. Es gibt auch Personen, bei denen wir merken, dass sie ihre Emotionen ausdrücken. Zum Beispiel König David, der vor Freude vor Gott tanzt. Eine Frau fand das nicht so toll, das ist richtig, aber David hat seine Emotionen gezeigt.
Oder der impulsive Petrus, der einfach mal auf dem Berg der Verklärung, vorlaut wie er ist, drauflosredet und sagt: „Herr, lass uns drei Hütten bauen.“ Die Bibel kommentiert dazu, dass er nicht genau wusste, was er sagen sollte, und deshalb einfach etwas gesagt hat. Ich habe das mal am Sonntag gepredigt und gesagt, dass Petrus einfach so gesprochen hat. Jemand kam danach auf mich zu und meinte, als Handwerker finde er es gut, dass Petrus etwas getan hat – dass er immer Hütten bauen wollte und nicht nur theoretisch geredet hat. Aber gut, wir sind hier bei Emotionen.
Paulus zum Beispiel, ein typisches Alphamännchen unter den Aposteln, den Gott beruft. Oder auch Johannes, sehr sensibel und einfühlsam – das sind Emotionen, die diese Personen ausdrücken. Das wäre sicher eine interessante Arbeit: die Personen der Bibel und ihre Gefühle zu untersuchen. Da würde sicher einiges zusammenkommen.
Ich fand es spannend, dass Edwards das so darstellt. Er zeigt anhand konkreter Bibelverse, wie oft die Bibel von Gefühlen spricht. Zum Beispiel: „Liebe Gott mit deiner ganzen Seele“ (5. Mose 6), oder „Freut euch und jubelt“ (Matthäus 5), oder „Zornglut hat mich ergriffen“ – das ist natürlich die ganz andere Seite. Auch Psalm 119: „Tränenströme fließen aus meinen Augen“ – da ist man richtig niedergeschlagen. Dann geht es wieder aufwärts: „Meine Lippen sollen jubeln, wenn ich Lob singe“ (Psalm 71) oder „Mit jauchzenden Lippen lobt dich mein Mund“ (Psalm 63).
Das zeigt Edwards, und er sagt: Ja, das stimmt, die Bibel redet oft von Gefühlen. Das übersieht man oft. Auch bei Jesus: Er weint am Grab des Lazarus und über Jerusalem. In Lukas 10 heißt es, dass er im Geist jubelt. Er freut sich so sehr, dass man gar nicht weiß, wohin mit dieser Freude.
Die Bibel redet also sehr oft von Gefühlen. Deshalb ist es gut, wenn wir – und das hat Edwards sehr gemacht – mit der Bibel in der Hand über Gefühle nachdenken. Das Gegensatzpaar, das ich auch durchaus kenne, zu sagen: „Hier ist der Verstand und da die Gefühle“, gibt es in der Bibel so nicht. Beides hat Gott geschaffen, beides ist wichtig. Und ich darf den Verstand nicht gegen die Gefühle ausspielen.
Wie ist es mit negativen Gefühlen? Du hast vorhin Zorn, Betroffenheit und Trauer erwähnt. Je nachdem, wie sie gefärbt sind, können sie manchmal blockieren.
Das stimmt, das kann in der Tat blockieren. Wenn ich dich zum Beispiel sehe und merke, dass schlechte Gefühle in mir aufsteigen, dann hindert mich das daran, offen oder unbefangen mit dir zu sprechen.
Aber solche Gefühle können auch eine Hilfe sein. Das sieht man oft nicht. Sie können mir helfen, mir einzugestehen, dass zwischen uns nicht alles in Ordnung ist. Das sollte mich eigentlich motivieren, ein Gespräch mit dir zu suchen, um unser Verhältnis zu klären.
In diesem Sinne sind meine negativen Gefühle unterm Strich positiv, weil sie mich zum Handeln zwingen. Wenn diese Gefühle nicht da wären, würde ich wahrscheinlich nicht handeln.
Wir sehen diesen Effekt zum Beispiel auch bei David, wenn er betet: „Als ich verschweigen wollte, verschmachteten meine Gebeine.“ Das bedeutet, als er seine Sünde zudecken wollte, brachten ihn seine schlechten Gefühle dazu, seine Sünde zu bekennen. Mehr dazu können wir im Psalm 32 nachlesen.
Das heißt: Gefühle können mich blockieren, aber sie können mir auch helfen, aus Blockaden herauszukommen.
Welchen Stellenwert sollen Gefühle haben? Manche haben damit Probleme, weil sie befürchten, von ihren Gefühlen zu sehr geleitet zu werden und dadurch alles entblößt zu sein. Sollen Gefühle eine Führungsrolle einnehmen? Wie sollte das sein?
Mir geht es zunächst darum, dass ich es erhellend fand zu erkennen, dass die Bibel sehr oft positiv von Gefühlen spricht. Ich komme eher aus einer Tradition, in der Gefühle oft negativ betrachtet werden. Die Bibel hingegen spricht häufig positiv von ihnen.
Natürlich gibt es auch die andere Seite: Wenn Gefühle zum Mittelpunkt werden, kann das problematisch sein. Zum Beispiel, wenn jemand sagt: „Ich kann heute Gott nicht anbeten, weil die Musik nicht passt.“ Das ist eine sehr gefühlsorientierte Haltung. Du hast von der Führungsrolle gesprochen. Das Gefühl kann unterstützen, darf aber nicht führen – das wäre deine These. Denn Gefühle sind sehr wechselhaft. Deshalb ist es wichtig, sich am Wort Gottes festzuhalten.
Es ist absolut richtig, sich am Wort Gottes zu orientieren. Das Vertrauen auf Gottes Wort ist wie eine Lokomotive, die meinen Lebenszug zieht. Meine Gefühle sind wie Waggons, die dieser Lokomotive folgen. Sie können wechselhaft und manipulierbar sein.
Wichtig ist auch zu wissen, dass nicht alle Gefühle vom Geist Gottes gewirkt sind. Das sehen wir in der Bibel. Israel erlebt zum Beispiel einen Überschwang an Gefühlen, als sie am Ufer des Roten Meeres stehen. Sie wissen, dass die toten Ägypter unten liegen, die sie zuvor ermorden wollten – alles scheint gut. Doch dieser Höhenflug der Gefühle hindert sie nicht daran, wenige Wochen später das Goldene Kalb zu bauen. Dabei waren sie sehr gefühlig, feierten ein Fest und tanzten, das man kilometerweit hören konnte.
Diese Gefühle haben sie am Roten Meer nicht bewahrt. Ein anderes Beispiel ist der Einzug Jesu in Jerusalem. Die Massen rufen ihm „Hosianna“ zu. Wenn man dabei war, hat das sicherlich noch Tage nachgewirkt. Doch dieselben Leute rufen wahrscheinlich wenige Tage später: „Ans Kreuz mit ihm!“ Obwohl sie vorher starke Gefühle hatten, prägten diese nicht nachhaltig ihre Beziehung zu Gott.
Spannend finde ich, was Edwards dazu sagt. Er weist darauf hin, dass der Teufel sogar Gottes Wort benutzen kann, um gute Gefühle in einem auszulösen. Er nimmt das Gleichnis vom Sämann: Die Leute hören das Wort Gottes mit großer Freude, die Gefühle sind da, aber sie bringen keine Frucht. Edwards’ These ist, dass der Teufel den Sünder durch gute Gefühle teilweise im Sünden-Schlaf hält.
Wenn Menschen im Gottesdienst tolle Gefühle haben, ist das kein Beweis dafür, dass sie wirklich gläubig sind. Edwards hat manche Erweckungen kritisch gesehen, weil dort zunächst große Gefühle vom Geist bewegt wurden, die mit der Zeit abklangen. Vielleicht blieben bei einigen nur noch Gefühlsaufwallungen. Diesen Zustand würde er als vom Teufel benutzt ansehen.
Er hat die Sache sehr differenziert betrachtet. Unterm Strich sagt er: Es ist gut, dass Gefühle da sind. Es soll nicht alles starr sein. Aber er zeigt auch deutlich, dass Gefühle problematisch sein können. Diese problematische Seite kann sogar vom Teufel benutzt werden.
Ich finde es ein spannender Gedanke, dass man in den Gottesdienst geht, dort gute Gefühle hat und denkt, das bringt mir etwas. Man fühlt sich seelisch aufgebaut. Doch Edwards zeigt an der Bibel, dass das nicht unbedingt bedeutet, dass man gläubig ist.
Das Gegenteil kann es aber auch nicht sein. Man sollte Gottesdienste nicht absichtlich so öde, inhaltsleer oder gefühlsarm gestalten, dass keiner mehr innerlich jauchzen kann. Doch die Frage ist, ob die Leute dann wirklich innerlich jauchzen.
Ich halte es für ganz wichtig, dass Gefühle nicht zum Mittelpunkt des Glaubens werden. Jesus muss der Mittelpunkt bleiben, nicht die Gefühle. Wie du am Anfang gesagt hast: Gefühle dürfen keine Führungsrolle haben.
Jetzt haben wir uns ein wenig damit beschäftigt, welches Gewicht Gefühle in diesem Zusammenhang haben. Jesus stand dabei praktisch im Mittelpunkt – das war die Schlussfolgerung.
Jesus hat, wenn ich das richtig verstehe, Gefühle als einen guten Teil von Gottes Schöpfung erkannt und geschätzt. Die Bibel spricht oft auch positiv von Gefühlen, wie du ja eben schon erwähnt hast.
Hat das auch Auswirkungen darauf gehabt, wie er seine Versammlung gestaltet hat, wie er Gottesdienst gemacht hat oder das Gemeindeleben geführt hat? Ehrlich gesagt kann ich das nicht wirklich beurteilen, weil im Buch nichts darüber geschrieben steht. Aber ich kann Rückschlüsse ziehen, ob sich dieses Bibelstudium auf sein Gemeindeleben ausgewirkt hat.
Zum Beispiel macht er an einem Beispiel deutlich – das fand ich auch spannend –, dass er sagt, Musik gibt es nur im Gottesdienst, weil wir dadurch gefühlsmäßig angesprochen werden sollen. Es gibt keine Musik, die keine Gefühle anspricht. Es ist einfach nicht wahr, wenn Leute sagen: „Wir machen Musik, aber uns sind Gefühle nicht wichtig.“
Ich zitiere mal Edwards: Er sagt, es gibt keinen Grund, warum wir mit Musik Gott anbeten sollten, wenn dadurch nicht unsere Empfindungen berührt werden. Das ist also seine These, und ich glaube, er hat recht. Es würde ja genügen, die Lieder einfach zu sprechen – das haben wir in Corona-Zeiten auch gemacht. Das war ein guter Praxistest.
Aber wir singen diese Lieder, und das spricht natürlich unsere Gefühle an. Unsere Gefühle können uns helfen, von Gott überwältigt zu sein und ihn anzubeten.
Edwards sagt zum Beispiel auch, man sollte alles stärken, das uns hilft, intensiver Gott gegenüber zu empfinden. Es kann nicht sein, dass Menschen im Blick auf weltliche Bezüge starke Empfindungen leben können, aber wenn es um den Glauben geht, so sehr gefühllos sind.
Gibt es für uns Christen irgendetwas Würdigeres, um darauf mit all unseren Empfindungen zu reagieren, als das, was uns im Evangelium Jesu Christi bekannt gemacht wird? Das ist also seine Frage. Man muss schon mal intensiver darüber nachdenken.
Das ist ein grundsätzliches Statement von Jonathan Edwards im Blick auf diese gefühlsbetonten Gottesdienste in der Erweckungszeit. Ich fand auch interessant, dass er sagt, es ist ein großer Fehler, Menschen dafür zu verurteilen, dass sie enthusiastisch sind, und zu unterstellen, dass ihre Empfindungen nur rührselig sind.
Und ich glaube, das ist ein Argument, das sich bis heute gehalten hat. Wenn ich merke, andere haben Freude an Gott und ich habe es nicht, dann sage ich: „Na ja, ob das wirklich Freude an Gott ist, das stelle ich mal sehr in Frage.“ Und wenn ich so etwas lese, denke ich: „Hey, das ist gar nicht so weit weg.“ 1700 noch irgendwas? Da ist er also sehr aktuell, was er hier gemacht hat.
Ich glaube, dieses Verurteilen von Christen, für die Gefühle wichtiger sind, hat sich leider hartnäckig gehalten. Es ist einfach so: Einige Leute sind gefühlsbetonter, andere nicht. Das ist weder besser noch schlechter, das ist anders.
Gott hat auch Gefühle in unser Leben hineingelegt – bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Ich habe nicht zweimal hier gerufen, als es um Gefühle ging, aber ich kann nachvollziehen, was Edwards sagt.
Mir hat auch jemand aus der Gemeinde geholfen, der sinngemäß zu mir gesagt hat: „Thomas, es kann doch nicht sein, dass jemand als Christ in ein Konzert gehen muss, um auch in seiner Seele angesprochen zu werden. Das muss doch gerade auch in einer Gemeinde möglich sein, dass man ganzheitlich angesprochen wird.“
Und dieser Christ ist dann von Gott auch noch begabt, um in der Gemeinde eine Atmosphäre zu schaffen – oft mit ganz einfachen Mitteln. Ein paar einfache Lichterketten zu Weihnachten, ein Holzkreuz am Karfreitag, Schwedenfeuer im Garten, einige andere geniale Dekorationseinfälle.
Dietzer, da wissen wir, wer gemeint ist.
Er hat auch schon eine Bilderausstellung über biblische Geschichte angeregt. Da konnten wir ehrlich gesagt am Anfang gar nicht viel mit anfangen: „Was soll denn das?“ Aber es war tatsächlich so, dass diese Kunst, diese Bilder, bei manchen Christen in der Gemeinde wirklich etwas bewirkt haben. Das hat sie angesprochen. Und dann kamen sogar noch Leute von außen, haben sich das angeschaut und ließen sich zu dieser Ausstellung einladen.
Man lernt also immer dazu.
Aber auch wenn ich im Alten Testament mit diesem Hintergrundwissen diese Texte lese, wie Gott Gottesdienst gestaltet, dann werden Gefühle stark angesprochen: die Gewänder der Priester, das Salböl, der Gesang, der Geruch, der den Tempel erfüllt hat. Das heißt, Gott hat einen Sinn für solche Dinge.
Jo, jo, jetzt aber – jetzt wird es heikel. Das haben wir heutzutage in den orthodoxen und katholischen Kirchen.
Ja, das ist richtig. Wir haben das ja nicht aus bestimmten Gründen.
Genau, genau. Und das ist für mich eine gewisse Spannung.
Also ich sage es dir ganz ehrlich: Wenn jemand sagt, das muss man haben, dann würde ich sagen, das ist für mich so ein Brimborium. Ja, das Wort ist entscheidend, das braucht man nicht so.
Aber wenn ich die Texte im Alten Testament lese, dann ist Gott genau das wichtig, was ich Brimborium nenne.
Die Frage ist, ob man es dann eins zu eins bei uns in der Gemeinde einführen müsste. Ja, das ist dann wirklich die spannende Frage.
Aber zumindest mal zu begreifen, dass Gott Gefühle wichtig sind, das war für mich hilfreich – auch in einer Gemeinde, auch in einem Gottesdienst.
Darüber diskutieren wir nachher noch einmal – Spezialthema.
Wir haben gerade über die Gewänder des Priesters, das Salböl und ähnliche Dinge gesprochen – Gerüche, die Gott damals eindeutig benutzt hat. Das ist ja keine Frage.
Im Tausendjährigen Reich, das in Sacharja 8,48 erwähnt wird, wird es diese Dinge wieder geben. Es ist also nicht so, dass das, was wir jetzt haben, die endgültige Form des Gottesdienstes ist. Wenn man im Hesekiel nachliest, sieht man, dass zumindest ein Teil dieser Dinge ein Revival erleben wird.
Auf jeden Fall, ja.
Ich denke, der Satz, den wir vorher formuliert haben – „Fühlst du noch oder glaubst du schon?“ – ist dadurch etwas klarer geworden. Ganz so biblisch kann das ja nicht sein, aber die Bibel zeigt schon, dass Gefühle dazugehören. Besonders in besonderen Zeiten, wie Erweckungszeiten, die ja immer auch außergewöhnlich sind, wird deutlich, dass Gefühle ein wichtiger, ja fast essenzieller Bestandteil sind.
Das Bild vom Glauben als Lokomotive und den Gefühlen als Waggons oder zusammengefasst in dem Gebot „Du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Verstand, deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele“ zeigt ja auch eine Einheit von allem. Es ist nicht so, dass das eine ohne das andere besteht.
Wie können Gefühle zusammenfassend unsere Beziehung zu Gott bereichern?
Auf jeden Fall helfen Gefühle dabei, meine Freude über Gott auszudrücken. Sie machen die Freude sichtbar, weil ich dabei etwas empfinde, wenn ich mich über Gott freue. Das kann mir helfen, Gott auf eine tiefere Art und Weise anzubeten. Gleichzeitig können Gefühle auch meine Trauer intensiver machen und mir helfen, Gottes Trost stärker zu erleben.
Wenn ich Gefühle zulasse, wird nicht nur mein Leben interessanter, sondern auch mein Glaube kann an Tiefe gewinnen. Vielleicht müssen wir wieder neu lernen, Gefühle in unserem Leben mehr Raum zu geben. Die Bibel lässt nämlich auch viel Platz für Gefühle.
Das war für mich ein Aha-Erlebnis, als ich dieses Buch gelesen habe. Wie viele Seiten hatte es ungefähr? Gute Frage, vielleicht zweihundertfünfzig oder so. Es war kein großes Buch mit fünfhundert Seiten.
Dieser Podcast stammt von der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Wir hoffen, ihr konntet einen Impuls mitnehmen, intensiver darauf zu achten, was die Bibel über Gefühle sagt. Beim nächsten Durchlesen könnt ihr einfach mal den Fokus darauf legen und vielleicht auch Gefühlen in eurem und unserem Leben mehr Raum geben.
Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen können, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns gerne unter podcast@efa-stuttgart.de.
Wir wünschen euch Gottes Segen und, wie wir es vorher gesagt haben, dass wir Gott mit Jauchzen loben werden.