Einen wunderschönen guten Morgen Ihnen allen! Ich freue mich, unter Ihnen zu sein.
Tut mir leid, dass ich mich etwas verspätet habe. Ich unterschätze immer den Verkehr. Es gibt doch sehr viele Lkw auf dem Weg nach Eidlingen. Ich wundere mich immer, aber man hat das Gefühl, alle Lkw wollen an einem Donnerstagmorgen nach Eidlingen, und alle fahren vor mir her, ja? Dass mir da nicht so sehr das Herz stolpert! Oh ja, das schlägt hier immer ganz laut. Aber jetzt hoffe ich, dass Sie nicht allzu sehr gestört werden.
Sie haben den Jugo erwähnt, Schwester Barbara. In der Tat vielleicht ein Satz dazu: Wir stehen vor ganz neuen Herausforderungen, da wir von Jugendlichen überschwemmt werden. Das ist ja auch sehr schön, aber wir brauchen Platz. In Stuttgart gibt es keine größere Halle außer der Schleierhalle, die aber sehr, sehr viel kostet und nicht bezahlbar ist.
Jetzt haben wir ganz neue Maßnahmen ergriffen: Wir lassen alle Stühle unten im Parkett entfernen. So bekommen wir einfach noch mal tausend Leute mehr rein – mit Ordnungsmassnahmen und Einlasskarten, also kostenlosen Einlasskarten. Aber wir müssen in ganz neue Organisationsdimensionen vordringen, um das bewältigen zu können.
Es ist aber auch schön, ich will hier nicht klagen, auch wenn es viel Zeit und Mühe kostet.
Zur Liederhalle: Wir haben uns umgeschaut. Können wir auf den Killesberg gehen? Halle vier kostet 40 Mark, also 20 Euro pro Gottesdienst. Die Schleierhalle kostet schon 30 Mark pro Gottesdienst. Da haben wir dann doch freundlich gesagt: Vielen Dank für die Information, aber so viel Geld haben wir dann doch nicht. Wir bleiben in der Liederhalle.
Wir räumen alle Stühle im Parkett raus und haben noch den Mozart-Saal dazugemietet. Hoffentlich können wir jetzt alle unterbringen. Außerdem machen wir noch eine Live-Übertragung ins Internet, damit wirklich jeder, der will, teilhaben und teilnehmen kann.
Einführung und Gebet zum Predigttext
So, nun zum Vormittag und den Gleichnissen.
Bevor ich mit dem ersten Gleichnis beginne, möchte ich noch mit Ihnen beten.
Vielen Dank, lieber Herr Jesus Christus, dass du in Worten zu uns sprichst, die wir verstehen können. Danke für diese wunderbaren Bilder, die zeigen, wie dein Reich ist und wie es sein soll. Danke, dass wir mit dir leben dürfen und wie das Leben in Gemeinschaft mit dir aussehen kann. Wir sind dankbar, dass wir in diesen Bildern unser eigenes Leben gespiegelt sehen.
Herr, öffne uns heute Morgen dein Wort. Lass es zu uns sprechen und rede du selbst durch dieses Wort. Sei mitten unter uns, damit wir auf unserem Weg mit dir vorankommen. Möge dieser Vormittag ein Meilenstein auf unserem Weg in dein Reich sein.
In deinem Namen, Amen.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Einführung und Text
In dieser ersten Einheit soll es zunächst um das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gehen. Jesus hat viele provozierende Gleichnisse erzählt, die oft überraschende Pointen enthalten. Hartmut Schmidt hat bereits einiges zur Gleichnistheorie erläutert. Dabei gibt es in der wissenschaftlichen Forschung immer wieder große Streitfragen.
Jülicher meinte, dass nur ein Vergleichspunkt wichtig sei und alles andere lediglich Beiwerk, Ausschmückung oder zeitgeschichtliche Hintergründe darstelle. Mittlerweile wird jedoch gesagt, dass in diesen Gleichnissen viel mehr steckt. Sie enthalten zahlreiche Botschaften, die eine Übertragung nötig machen.
Das bedeutet nicht, dass wir die Gleichnisse allegorisch auslegen sollten, also jeden einzelnen Umstand automatisch als Botschaft interpretieren. Sicherlich ist vieles in den Gleichnissen Beiwerk, das wir nicht unmittelbar auslegen dürfen oder können. Dennoch sind mehr Punkte mit einer Botschaft verbunden als nur einer oder zwei.
Auch im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gibt es eine ganze Reihe von Zügen, die uns eine Botschaft vermitteln. Ich möchte mit Ihnen Matthäus 20, Verse 1 bis 16 lesen:
„Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.
Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg, ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin.
Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg!
Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den Letzten bis zu den Ersten.
Da kamen die um die elfte Stunde Eingestellten, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen, und auch sie empfingen, Entschuldigung, jeder seinen Silbergroschen.
Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm das, was dein ist, und geh.
Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will mit dem, was mein ist? Siehst du so scheel drein, weil ich so gütig bin?
So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.“ (Matthäus 20,1-16)
Hintergrundwissen zu Tageszeiten und Begrifflichkeiten
Nur noch einmal zur Orientierung über die Tageszeiten: Das sind ja andere Urzeitangaben, als wir sie gewohnt sind. Der jüdische Tag begann mit der Stundenzählung ab Sonnenaufgang.
Wann ist Sonnenaufgang? Nach rabbinischer Definition ist Sonnenaufgang der Zeitpunkt, an dem man einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden kann. Das ist natürlich typisch jüdisch – man brauchte eine genaue Definition. Man hielt den schwarzen und weißen Faden in die Dämmerung des Morgenlichts, und sobald man den Unterschied erkennen konnte, begann der Tag.
Diese Definition ist allerdings noch sehr ungenau. Man sagt heute etwa sechs Uhr morgens. Um einen ungefähren Anhaltspunkt für diese Tageszeitangaben zu haben, kann man also mit sechs Uhr morgens rechnen.
Die Ersten beginnen morgens um sechs Uhr mit der Arbeit im Weinberg beziehungsweise werden um sechs Uhr eingestellt. Die dritte Stunde ist dann um neun Uhr. Dies kennen Sie vom Kreuzigungsbericht: Der Zeitpunkt der Kreuzigung Jesu ist um neun Uhr morgens.
Dann geht es weiter zur sechsten Stunde, das heißt Mittagszeit, also zwölf Uhr. Die neunte Stunde ist um fünfzehn Uhr nachmittags, die Todesstunde Jesu. Die elfte Stunde ist um siebzehn Uhr. Um achtzehn Uhr war Schluss.
Die Letzten haben also gerade noch einmal eine Stunde lang Trauben geschnitten und dürfen dennoch denselben Lohn bekommen wie die, die zwölf Stunden von sechs bis sechs gearbeitet haben. Das ist der Hintergrund.
Zum Einstieg eine ganz bekannte Formel: „Denn das Himmelreich gleicht einem ...“ Das Himmelreich ist wie das Reich Gottes, so würde man es sagen. Matthäus ist ja der einzige Evangelist, der vom Himmelreich redet, genauer gesagt vom Reich der Himmel. Die anderen sprechen vom Reich Gottes.
Das Reich Gottes beginnt und ist wie ... Nun enthält eines der ganz wesentlichen Elemente dieser Reich-Gottes-Gleichnisse immer eine Zäsur, eine heilsgeschichtliche Zäsur. Diese ist nicht immer im Text deutlich erkennbar oder hervorgehoben, aber sie findet immer statt.
In diesem Gleichnis ist die Zäsur das Ende der Arbeit und der Beginn der Auszahlung. Diese Zäsur symbolisiert den Übergang von unserer Jetztzeit, in der das Reich Gottes noch verborgen und verhüllt ist, die aber schon angefangen hat und mitten unter uns ist, zu dem Zeitpunkt, an dem es offenbar werden wird – mit der Parusie, der Wiederkunft Jesu Christi.
Diese Zäsur gilt es immer zu erkennen und zu prüfen: Wo findet sie statt? In welchem Gleichnis? Hier, wie gesagt, ist sie still und verschwiegen verborgen. Der Übergang von der Arbeit zur Feierabendzeit markiert den Beginn der Lohnauszahlung.
Die Rolle der Tagelöhner im historischen Kontext
Dann möchte ich eine zweite Voraussetzung zu den Tagelöhnern nennen, bevor wir zum Wesentlichen kommen.
Was waren Tagelöhner? In Israel gab es verschiedene Kategorien von Arbeitskräften. Es gab Frohnarbeiter, die zum Teil aus fremden Ländern stammten. Fremdlinge wurden bei Kriegszügen als Kriegsgefangene mitgenommen. Sie waren sozusagen Sklaven, die keinen Lohn erhielten, aber versorgt werden mussten. Aus den mosaischen Gesetzen kennen Sie Gebote, die sicherstellen sollten, dass diese Fremdarbeiter, die einige Jahre als Sklaven arbeiten mussten, angemessen verpflegt und versorgt wurden. Vielleicht wurde ihnen sogar eine kleine Vermögensansammlung ermöglicht.
Dann gab es Knechte. Auch sie waren fest angestellt in einem landwirtschaftlichen Betrieb. Knechte wurden entlohnt, hatten aber eine feste Anstellung. Es gab also eine Arbeitgeberverpflichtung gegenüber diesen Knechten. Sie mussten sich nicht um ihre Arbeit sorgen, sondern hatten einen festen Lohn und eine sichere Stelle.
Und jetzt die dritte Kategorie: die Tagelöhner. Tagelöhner waren freie Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Man könnte sie heute vielleicht mit Zeitarbeitern vergleichen, allerdings waren sie sehr kurzfristig beschäftigt. Sie wurden oft nur für wenige Tage, manchmal einige Wochen, manchmal auch nur für einen Tag eingestellt.
Tagelöhner hatten feste Plätze, meist am Tor oder auf dem Marktplatz einer Stadt. Dort standen sie morgens zur Verfügung und signalisieren: „Ich kann angeheuert werden, ich suche Arbeit.“ Wer Arbeit brauchte, holte sich dort die Leute, die er benötigte.
Der Silbergroschen, genauer gesagt ein Denar, entsprach dem Tagelohn eines solchen Tagelöhners. Dieser Denar reichte gut für die Versorgung einer Familie an einem Tag. Es ist genau der Lohn, der in der Antike für die Versorgung einer Familie an einem Tag ausreichte.
Es ist immer schwierig, das in heutige Währungen umzurechnen. Wenn man einen Dinar als Tagelohn nimmt, stellt sich die Frage: Was ist heute ein Tagelohn? Das ist schwer zu sagen. Man kann ungefähr von 50 bis 100 Euro ausgehen, um sich vorzustellen, was ein Tagelöhner an einem Tag verdiente.
Die Botschaft des Gleichnisses und seine Grenzen
Und nun zu den Vergleichspunkten und den Pointen in diesem Gleichnis. Wir würden völlig in die Irre gehen, wenn wir in diesem Gleichnis eine Handlungsanleitung für wirtschaftliches Handeln suchen würden. Auch eine Anleitung für wirtschaftliches Handeln in der Kirche oder in christlichen Werken ist hier nicht zu finden.
Das wird spätestens dann deutlich, wenn man darüber nachdenkt, wie dieser Weinbergbesitzer am nächsten Tag dastehen würde. Würde man dieses Gleichnis weiterdenken, fände der Weinbergbesitzer am nächsten Tag um sechs Uhr morgens niemanden mehr. Dagegen stünden um siebzehn Uhr einige Schlange, um eingestellt zu werden.
Sie merken schon: Dieses Gleichnis hat eine Pointe, die im Grunde das ganze wirtschaftliche Denken auf den Kopf stellt. Die Pointe liegt gerade in der Umkehrung der Regeln. Im Recht Gottes ist es genau umgekehrt wie im wirtschaftlichen Leben. Dabei wird das wirtschaftliche Handeln nicht infrage gestellt, das natürlich jeden Arbeiter nach der Stundenzahl bezahlt, die er geleistet hat.
Ich habe drei Punkte, wie Sie es gehört haben, und möchte mit dem ersten beginnen: Dieses interessante Gleichnis enthält eine vielleicht nebensächliche Beobachtung, die für mich aber sehr wesentlich ist. Diese Beobachtung findet sich in allen Gleichnissen vom Reich Gottes und seinen Arbeitern, insbesondere in den Gleichnissen von Gutsherren, Hausbesitzern und Hausherren.
Da ist immer ein Punkt sehr wichtig: Wer nicht zur Arbeit kommt, der kommt nicht zum Weingärtner. Diese Beobachtung ist banal, aber für mich ganz wesentlich. In diesem Gleichnis, wie in den meisten anderen Gleichnissen, gibt es im Grunde nur zwei Kategorien von Menschen: einmal den Hausherrn, den Weinbergbesitzer – Gruppe eins oder Person eins, um es genauer zu sagen – und dann die Gruppe der Arbeiter. Es gibt keine dritte Gruppe.
Das ist vielleicht einer der wesentlichsten Unterschiede zu unserer heutigen Gemeindesituation. Hier haben wir den Hausherrn, also Gott beziehungsweise seinen Sohn Jesus Christus, die Kategorie der Arbeiter und außerdem die Kategorie der Zuschauer. Es gibt sehr viele Menschen, die heute nicht zum Dienst kommen. Ich möchte jetzt gar nicht über die Gründe spekulieren oder philosophieren. Nur diese Gruppe von Menschen taucht in diesen Gleichnissen nicht auf. Sie wird nicht definiert, auch ihre Gottesbeziehung wird nicht definiert.
Was hier verhandelt wird in all diesen Gleichnissen, ist das Verhältnis des Hausherrn zu den Arbeitern im Weinberg. Jünger zu sein heißt, Arbeiter zu sein. Das ist ein Wesenszug, der sich durch das ganze Neue Testament zieht – von den Haushaltergleichnissen bis hin zu Paulus und zum Missionsbefehl.
Adolf Schlatter, der große Tübinger Neutestamentler Anfang des 20. Jahrhunderts, hat es in einem seiner Kommentare sehr treffend auf den Punkt gebracht. Er sagte: Das Ziel der Gnade ist der Dienst.
Dieser Dienst kann sehr unterschiedlich aussehen, er kann sehr vielfältig sein. Er kann auch im Einsatz an der Schöpfung Gottes bestehen. Wichtig ist, dass wir das, was wir tun, als Dienst für Gott tun. Dass wir im weitesten Sinne Mitarbeiter Gottes sind und mitarbeiten – nicht deshalb, weil wir gebraucht werden, weil wir in Eidlingen darauf angewiesen sind, im Haus und beim Pfingstjugendreffen, weil wir im Jugendgottesdienst darauf angewiesen sind oder im Benghaus –, sondern weil es zum Wesen unseres Christseins gehört.
Unserem Christsein fehlt etwas, wenn es nicht zum Dienst kommt. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den ich immer versuche, auch in der Jugendarbeit deutlich zu machen. Es existiert ja die große Angst, ich könnte etwas verlieren, wenn ich mich einsetze. Ich könnte etwas verlieren, wenn ich meine Zeit, mein Geld oder anderes opfere.
Der Punkt ist aber: Gerade durch das Opfern meiner Zeit und meiner Kraft dringe ich zum Wesen meiner Jüngerschaft durch. Ein Christsein, das nicht in die Mitarbeiterschaft führt, das nicht zu einer Analogie mit diesen Arbeitern wird, bleibt in der Krise. Ein Christsein, das nicht zum Dienst kommt, bleibt in der Krise und wird zur Dauerkrise.
Wir sollten nicht von der Gemeinde her denken, nach dem Motto: Wir brauchen euch, und ohne euch läuft der Laden nicht, und wir können dichtmachen. Dadurch nötigen wir Menschen im Grunde, etwas zu tun, was nur uns wichtig ist.
Ich sage immer: Mitarbeit dient zuallererst euch selbst. Mitarbeit ist für den Christen wesentlich, vom Menschen her gedacht. Nicht von der Gemeinde her. Nicht, um jemanden zu überfordern, aber indem wir Menschen fordern – nicht überfordern –, bringen wir sie zum Dienst. Wir bringen sie zum Wesen ihrer Existenz.
Wer Menschen in die Mitarbeit bittet und sie zur Mitarbeit führt, bringt sie zum Eigentlichen ihres Wesens und ihrer Bestimmung. Das gilt übrigens auch für Kranke. Auch der Kranke ist ja nicht aus dem Dienst entlassen. Möglicherweise verändert sich die Form seines Dienstes. Aber es gehört zur Würde auch der Krankenschwester oder des kranken Bruders, dass er Mitarbeiter bleibt – sei es im Dienst des Gebets und der Fürbitte.
Christsein heißt, Mitarbeiter sein. Ich nenne das immer wieder als ganz wesentlichen Punkt unserer Gemeindearbeit, unserer Gemeinschaftsarbeit und überhaupt unserer Arbeit: Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen dienstlos Christen sind. Ein dienstloses Christsein ist ein Christsein in der Krise.
Dietrich Bonhoeffer hat es in seinem sehr interessanten Buch Gemeinsames Leben einmal so formuliert: Eine Gemeinde, die es zulässt, dass es ungenutzte Glieder in ihrer Mitte gibt, wird an ihnen zugrunde gehen. Eine Gemeinde, die es zulässt, dass es ungenutzte Glieder in ihrer Mitte gibt, wird an ihnen zugrunde gehen.
Die Bedeutung des Dienstes und der Mitarbeit im Glauben
Indem dieser Weinbergbesitzer, dieser Hausherr, diese Arbeiter anstellt, bringt er ihnen im Grunde die Sinnerfüllung ihres Lebens. Und dieser Tag, um den es hier geht, ist ja nicht nur ein singulärer Tag im Leben dieser Tagelöhner, sondern steht für den Tag unseres Lebens.
Indem sie eingestellt werden, kommen sie zur Erfüllung. Damit bin ich beim zweiten Punkt: Wer zur Arbeit kommt, der isst im Weinberg. Wer zur Arbeit kommt, ist im Weinberg. Dieses ganze Gleichnis erschließt sich eigentlich nur von diesem einen Punkt her. Die empörte Frage der Langzeitarbeiter läuft nur deshalb ins Leere, weil sie den Charakter der Arbeit im Weinberg völlig falsch einschätzen.
Sie haben nicht begriffen, was es heißt, in diesem Weinberg zu arbeiten, dort arbeiten zu dürfen, was bedeutet, im Dienst dieses – nicht irgendeines, sondern dieses – Weinbauern zu stehen und nicht im Dienst irgendeines anderen Arbeitgebers. Wir begreifen dieses Gleichnis nur, wenn wir dieses Bild des Weinbergs einmal näher betrachten.
Der Weinberg ist schon im Alten Testament eines der großen Bilder für Israel, zunächst für Israel und dann bei Jesus ein Bild für das Reich Gottes. Sie kennen das Weinberglied aus Jesaja, Jesaja 5,1-7, wo dieses überraschend ironische Lied gesungen wird – übrigens zur Melodie eines Leichenklageliedes. Es gab bestimmte Melodieformen, und bei einer Beerdigung wurden Leichenklagelieder gesungen. Die Melodie können wir heute nicht mehr nachzeichnen, sie dürfte uns aber sehr fremd gewesen sein.
Jesaja nimmt nun diese Melodie, diese Kulturform, diese Liedform des Leichenklageliedes auf und singt ein Lied von diesem Weingärtner, der alles tut, um einen phantastischen Weinberg zu kultivieren, und an diesem Weinberg scheitert. Der Weinberg bringt nicht seine Früchte.
Hier wird das Bild deutlich: Israel ist der Weinberg Gottes, und Gott hat alles getan, alles investiert, damit eigentlich wunderbare Weintrauben herauskommen. Doch es kommen nur Sauerampfer und schlechte Trauben heraus. Der Tübinger Wein muss in etwa so geschmeckt haben wie dieser Wein, den der Weinbauer da hat. Sie kennen das ja: Wenn man Tübinger Wein trinkt, muss man sich nachts immer wälzen, damit der Wein nicht an einer Stelle die Magenschleimhaut angreift. Deshalb sagt der Tübinger Wengerter immer seiner Frau, sie solle ihn nachts mal herumdrehen, damit der Wein an einer anderen Stelle wirkt. Und wenn es dann doch mal passiert, dass der Wein ein Loch in die Magenschleimhaut frisst, muss man Reutlinger Wein trinken, der das wieder heilt.
So in etwa muss das gewesen sein. Jetzt merken Sie auch, was wir Tübinger von den Reutlingern halten – es ist übrigens jemand aus Reutlingen da. Dieser Weinberg ist ein Bild für das Reich Gottes. Und von hier erschließt sich im Grunde das Ganze: Es ist ein Privileg, möglichst früh in diesem Weinberg sein zu dürfen, in der Nähe dieses Weinbauern, mit diesem Weinbauern zusammenarbeiten zu dürfen.
Dieses Privileg ist der entscheidende Unterschied zu den Arbeitern, die um fünf Uhr nachmittags, zur elften Stunde, eingestellt werden und im Grunde elf Stunden des Tages müßig gehen, sinnlos ihr Leben fristen. Genau dieses Privileg gilt es jetzt in der Auslegung dieses Gleichnisses herauszuarbeiten.
Das ist ja der entscheidende Knackpunkt. Sagen wir jetzt in der Jugendarbeit, dass der junge Mensch, der dieses Gleichnis liest und darüber nachdenkt, sagt: „Boah, cool, wenn ich um fünf komme, kriege ich die ganze himmlische Herrlichkeit und alles, was ich will, den Segen Gottes und alles voll auf dem Konto, aber elf Stunden kann ich machen, was ich will, habe ich Zeit, keine Maloche, kein Jugendkreisleiter, der irgendwas von mir will, kein Stress und so was.“
„Meine Güte, ist doch klar, da komme ich doch erst um fünf auf den Marktplatz, lasse mich noch anheuern, nehme alles mit und habe nachher keinen Ärger. Habe das Gleiche wie mein dusseliger Freund, der schon voll in die Mitarbeit einsteigt und die ganze Schönheit des Lebens nicht genießen kann. Da fragt er ja: Was bringt es mir, wenn ich um sechs Uhr morgens kommen soll?“
An dieser Stelle entscheidet sich, ob wir dieses Gleichnis jungen Menschen oder überhaupt Menschen nahebringen können oder nicht. Jetzt müssen wir uns hüten vor falschen Versprechungen und falschen Vergleichen.
Wir rutschen manchmal in unserer Verkündigung in eine Schwarz-Weiß-Zeichnung ab, dass wir sagen: „Oh, was bringt dir diese Welt? Was bringt dir das Geld und die Karriere, der Luxus, die tollen Reisen, die schnellen Autos, der rote Ferrari, die tollen Partys, die hübschen Frauen, die reichen Männer und was weiß ich? Was bringt dir das?“
„Guck doch mal dagegen an, was Gott dir gibt: die Freude und den Frieden.“ Und spätestens an dem Moment sagt jeder Jugendliche: „Friede, Freude, Eierkuchen“, weil er sagt, das sind völlig falsche Kategorien, die wir da nebeneinanderstellen. Wir machen das Geld und die Karriere, den Luxus und den Wohlstand, die tollen Reisen an sich schlecht.
Wir müssen eines immer wieder im Blick haben: Bei all diesen Vergleichen – Geld, Karriere, Luxus, Wohlstand, Reisen, schnelle Autos, tolle Partys – sind diese Dinge schön, sind gut. Ich freue mich, wenn ich etwas auf dem Konto habe, ich freue mich, wenn ich mir etwas leisten kann, ich freue mich über eine Reise, die ich machen kann und so weiter. Ich würde mir auch gerne einen Ferrari kaufen, wenn ich Geld hätte.
All diese Dinge sind nicht negativ. Sie werden erst dann negativ, wenn ich mein Herz daran hänge. Gleichzeitig darf ich diese Dinge nicht auf eine Ebene, auf eine Vergleichsebene stellen mit dem, was mir der Glaube an Jesus Christus bringt: Friede, Freude und so weiter, was in Galater 5,22 dann auch alles aufgezählt wird. All das ist nicht vergleichbar mit diesen irdischen Gütern.
Der Vergleichspunkt – und das ist entscheidend bei der Auslegung – muss ein anderer sein. Für einen Jugendlichen ist diese Alternative keine Alternative. Wenn er die Freude bei Gott mit seinem roten Ferrari vergleicht, sagt er: „Ich nehme den Ferrari, da habe ich etwas Handfestes.“ Anderes ist ein luftiger Begriff, der nur sehr wenig greifbar ist.
Sie merken, dass wir auch, wenn wir uns auf die Frage einlassen, „Was bringt es?“, ganz schnell ins Stottern kommen. Wenn wir vor einem Jugendkreis, aber nicht nur dort, auch in missionarischen Situationen mit Menschen von heute, die vor allem anderen Spaß wollen, uns auf diese Frage einlassen, haben wir schnell ein Problem. Denn wir müssen etwas erklären, was man in plastischen Begriffen gar nicht ausdrücken kann.
Dieses „Was bringt es?“ ergibt sich, weil wir uns von vornherein auf eine falsche Kategorie eingelassen haben. Die Frage ist ja nicht, „Was bringt mir das Reich Gottes?“, sondern der Punkt ist: Gott hat einen Anspruch auf mein Leben, weil er mich geschaffen hat. Die Frage ist, ob ich dem Ruf Gottes, der Bestimmung meines Lebens, nachkomme oder nicht.
Das ist zunächst einmal die richtige Kategorie. Dennoch wird uns diese Frage gestellt: „Was bringt es?“ Jetzt muss man aufpassen, dass man nicht in Plattitüden oder Schwarz-Weiß-Zeichnungen verfällt.
Denn auf der oberflächlichen Ebene haben die Fünf-Uhr-Arbeiter – also die, die zur elften Stunde eingestellt werden und nur eine Stunde arbeiten – das viel, viel bessere Geschäft gemacht. Das ist ein zweifelloser Punkt: Eine Stunde Arbeit und das Gleiche verdienen wie die, die zwölf Stunden arbeiten. Das ist eine prozentuale Mehrbezahlung von 1200 Prozent. Ich habe es jetzt nicht genau ausgerechnet, in Mathe war ich nie so der Leuchte. Sie können es mir mal rechnen, was Sie kriegen. Jedenfalls verdienen sie ungleich mehr im Verhältnis als diejenigen, die um sechs Uhr morgens oder bei Tagesanbruch eingestellt worden sind.
Die Vergleiche müssen auf einer anderen Ebene stattfinden. Es gilt im Grunde, diesen Tag der Fünf-Uhr-Tagelöhner in den Blick zu nehmen. Was unterscheidet den Sechs-Uhr-Arbeiter vom Fünf-Uhr-Abends-Arbeiter?
Der Sechs-Uhr-Arbeiter – und jetzt kommen wir auf eine tiefere Ebene, weil wir auf der oberflächlichen Ebene immer verlieren – der rote Ferrari ist allemal greifbar und attraktiver als die Freude im Reich Gottes, die ich niemandem an die Wand malen kann. Ich kann sie nur empfinden, wenn ich einsteige in ein Leben mit Jesus, mit all seinen Höhen und Tiefen. Erst dann wird mir deutlich, wie ich diese Freude erleben und erfahren kann.
Auf der oberflächlichen Ebene verlieren wir bei diesen Vergleichen immer. Es gilt vielmehr, diese Tage einmal etwas intensiver in den Blick zu nehmen.
Der Arbeiter, der um sechs Uhr morgens beginnt, weiß schon, dass dieser Tag seines Lebens – und es ist ja der Tag des Lebens – kein sinnloser sein wird. Er weiß, dass er heute am Abend einen Lohn empfangen wird, dass sich dieser Tag für ihn lohnen wird. Er weiß um sechs Uhr morgens, dass er gewollt ist, dass er gebraucht wird und dass er über den Lohn auch eine Anerkennung bekommt – nicht nur für seine Arbeit, sondern für sein Leben.
Er bekommt an diesem Tag das, was Menschen brauchen, was jeder Mensch braucht: die Anerkennung, das Gefühl, gebraucht zu sein, das Wissen, nicht sinnlos in diesen Tag hineinzuleben.
Der Punkt beim Fünf-Uhr-Arbeiter ist nicht, dass er elf Stunden Zeit hat, elf Stunden Party zu machen. Nein, er kann ja keine Party machen, weil er gar kein Geld hat. Der Punkt ist, dass er elf Stunden lang in der nervenzehrenden Ungewissheit lebt, ob dieser Tag – und wie gesagt, es ist der Tag seines Lebens – überhaupt noch einen Sinn bekommt oder ob er müßig geht, ob er sinnlos lebt an diesem Tag, ob er an diesem Tag noch einen Menschen trifft, der ihn braucht, der ihm Anerkennung gibt, ob er an diesem Tag noch etwas bekommt, um sein Leben und seine Familie über Wasser zu halten.
Diese beiden Kategorien von Arbeit und Vergleich kann man durchaus auch an der Erfahrung von Arbeitslosen heranziehen. Es mag Ausnahmen geben, aber die Erfahrung ist ja nicht, dass es ganz toll ist, wenn man viel Zeit hat, sondern dass es sehr zerstörerisch wirken kann, wenn man mit dem Gefühl leben muss: „Mich braucht niemand, mich will niemand, in dieser Gesellschaft ist kein Platz mehr für mich da.“
Das sind die beiden Elemente, die man herausarbeiten müsste. Deshalb: Wer zur Arbeit kommt, ist im Weinberg, ist in einem sinnerfüllten Raum, ist in einem Raum, wo er ganz genau weiß, dass er Anerkennung bekommt. Er ist gewollt und gebraucht, auch wenn es Mühe kostet – oh ja. Aber er weiß, dass dieser Tag ein gutes Ende nimmt, weil er seinen Lohn bekommt.
Die Herausforderung des Vergleichens in der Gottesbeziehung
Und schließlich, drittens: Wer zur Arbeit kommt, der kommt nicht zu kurz. Ein Denar, ein Silbergroschen, war ausgemacht – ein Denar, wie gesagt, ein guter Tageslohn, der zum Überleben einer Familie an einem Tag reicht. Und dieser eine Denar wird ausbezahlt, jedem. Keiner kommt zu kurz.
Das ist zunächst einmal die ganz oberflächliche Aussage: Keiner kommt zu kurz bei diesen Weinbauern. Wo liegt das Problem eigentlich?
Das Problem am Ende dieses Tages ist, dass es jetzt Zoff gibt, Ärger, Streik. Dieses Problem würde nicht auftreten, wenn die Auszahlung des Tageslohns geheim erfolgen würde. Wenn jeder eine verschlossene Kuvert, Tüte oder ein Säckchen bekäme und keiner wüsste, was der andere bekommt. Zwar wäre Neugierde da, es gäbe Getuschel, aber wenn es keiner vom anderen mitbekäme, hätten wir das Problem nicht.
Unsere Gottesbeziehung, unsere Beziehung zum Weinbergbesitzer, kommt immer erst dann in die Krise, wenn die Mitmensch-Beziehung mit unserer Gottesbeziehung verrechnet wird. Noch einmal: Unsere Gottesbeziehung kommt immer erst dann in die Krise, wenn wir unsere Mitmensch-Beziehung mit dieser Gottesbeziehung verrechnen.
Oder anders ausgedrückt: Die Ausgabe der Lohntüte wird nur deshalb zum Problem, weil die Art und Weise, wie der Lohn ausgegeben wird, das Vergleichen der Arbeiter ermöglicht. Und immer dann, wenn ich meine Gottesbeziehung im Vergleich mit Mitmenschen oder Mitchristen definiere, bekomme ich ein Problem. Denn es gibt immer Menschen, die bei diesem Gott besser wegkommen als ich. Andere haben mehr Gaben, mehr Erfolg, mehr Fähigkeiten, mehr Geld, mehr Glück oder mehr Erfüllung in ihrem Leben.
Immer wenn ich die Mitmensch-Beziehung in meine Gottesbeziehung hineinverrechne, bekomme ich ein Problem. Typischerweise brechen mir ja auch immer noch nicht Mitmenschen ein, die aus unserer Perspektive über uns stehen. Andere fallen bei unseren Vergleichen weg.
Das ist auch der Kernpunkt dieses Gleichnisses, wenn ich kurz auf die Geschichte vom Zöllner und Pharisäer im Tempel verweisen darf. Sie kennen diese Geschichte aus Lukas 18,14ff, wo beide im Tempel sind und beten. Der Zöllner steht hinten, schlägt sich an die Brust und sagt: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Der Pharisäer vorne denkt: „Ich bin nicht so wie dieser.“
Und da müssen wir jetzt aufpassen: Wo ist der Punkt in diesem Gleichnis? Wir gleiten ganz schnell in moralisierende Kategorien ab nach dem Motto: Der Zöllner ist ein armer Schwein, aus asozialer Kindheit, asozialem Milieu, wahrscheinlich früh auf die schiefe Bahn geraten, armer Kerl, der gar nichts dafür kann und jetzt zerknirscht vor Gott steht und um eine neue Chance bittet.
Vorsicht! Woher wissen wir das? Dieser Zöllner war ein Mafiagangster. Einer, der wirklich zerstörerisch und aussaugend an seinem Volk gewirkt hat, der nur nach sich gefragt hat. Das ist zunächst mal der Zöllner, Punkt.
Und aus dem Pharisäer machen wir ganz schnell den schleimerischen Heuchler, der genauso viel Dreck am Stecken hat wie dieser Zöllner, und machen ihn moralisch schlecht, so dass er kein Recht auf dieses Gebet hat. Nein! Pharisäer waren die moralisch angesehenste Instanz im antiken Israel. Sie lebten in der Regel ihren Glauben.
Jesus zitiert zwar auch die, die wirklich heucheln, aber Pharisäer waren die soziale Pumpe des antiken Israel. Sie gaben wirklich ihren Zehnten und waren beim Volk angesehen, weil das Volk sah, hier wird nicht nur geglaubt, sondern auch gehandelt.
Das Problem zwischen Pharisäer und Zöllner war nicht der Inhalt der Gebete. Der Zöllner hatte wirklich allen Grund zu sagen: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Er hatte von Gott auf der Handlungsebene, von der Moral her nichts zu erwarten.
Der Punkt ist auch nicht, dass der Pharisäer falsch gebetet hat. Er war vom moralischen Standpunkt her wirklich besser als dieser Zöllner.
Der Punkt in diesem Gleichnis, genau wie in dem mit den Weingärtnern, ist derselbe: Der Zöllner wagt sich in eine direkte Beziehung zu Gott hinein. Er wagt sich in diese Beziehung zu einem richtenden Gott, dessen Zorn ein verheerendes Feuer ist.
In diese Beziehung wagt er sich hinein, obwohl er genau weiß, dass er von seiner ethischen Verfassung her nichts zu erwarten hat. Dennoch bittet er schlicht um göttliches Erbarmen, um göttliche Gnade.
Nur dieser Punkt unterscheidet ihn vom Pharisäer. Der Inhalt der Gebete ist bei beiden korrekt. Der Pharisäer geht dieses Wagnis nicht ein, das Wagnis einer direkten Konfrontation mit Gott.
Stattdessen schaltet der Pharisäer sozusagen eine andere Person zwischen sich und Gott. Er nimmt den Zöllner als Vergleichsmaßstab, als dritte Instanz, zwischen sich und Gott.
So lenkt er sein Gottesverhältnis von vornherein in eine gut ausgetarnte, vorausberechnende Richtung. Im Vergleich mit dem Zöllner steht er allemal besser da.
Gott muss ihm ja gerecht sprechen, ihm ein besseres Urteil zuteilwerden lassen, da gibt es keine Frage. Indem er das Wagnis der direkten Konfrontation mit dem heiligen Gott, von der er nicht weiß, wie sie ausgeht – das ist das große Geheimnis der reformatorischen Entdeckung Luthers –, nicht eingeht, sondern sich auf den Vergleich mit dem Zöllner stützt.
Der Zöllner hingegen wagt sich in diese Gottesbeziehung und vertraut nur auf göttliches Erbarmen und Gnade.
Das ist das Problem. Nicht von der soteriologischen Frage der Rettung her, aber von der Frage der Belohnung, der Entlohnung, ist das hier dasselbe Problem.
Indem die Arbeiter, die um sechs Uhr morgens angefangen haben, ihren Lohn mit dem der Arbeiter um siebzehn Uhr abends vergleichen, gerät ihr Gottesverhältnis in die Krise. Sie können diesen Gott nicht mehr verstehen.
Viele Glaubens- und Lebensprobleme hängen genau damit zusammen, dass wir uns in unsere Gottesbeziehung nicht direkt hineinwagen, sondern immer noch die Kategorie des Mitmenschen oder Mitchristen dazwischenschalten.
Im Kontext dieses Gleichnisses entsteht so der Eindruck: Im Vergleich mit dem anderen komme ich vor Gott immer zu kurz.
Das Vergleichen mit Menschen, die jeder für sich ganz unvergleichlich sind – ebenso wie auch ich unvergleichlich bin –, wirft immer nur Fragen auf und gibt nie Antworten.
Das geht bis hin zur Theodizee-Frage: Warum ich und nicht die anderen? Warum ich so und die anderen nicht?
Mit diesen Fragen, die auf der Vergleichsebene mit anderen Menschen ablaufen, die immer unvergleichlich sind und mit denen ich mich überhaupt nicht vergleichen kann, komme ich nie weiter. Ich werde hier nie Antworten bekommen.
Nur im intimen Verhältnis zu Gott kann ich Wege in meine Zukunft finden. Nur in diesem direkten Gespräch, in dieser direkten Begegnung mit Gott kann ich einen Weg finden.
Wenn wir uns vergleichen, dann müssten wir uns ja immer ganz vergleichen. Das ist ein weiterer Punkt bei diesen Vergleichen.
Wir vergleichen uns mit anderen Menschen immer nur in einer ganz bestimmten Beziehung. Im Gleichnis ist es die Lohnebene: Die einen arbeiten eine Stunde, die anderen zwölf, und bekommen denselben Lohn.
Das ist nur eine Ebene der Existenz. Wenn wir uns vergleichen wollten, dann müssten wir uns immer total vergleichen. Würden wir tauschen, dann ganz.
Würden wir tauschen, dann müssten wir unser ganzes Leben tauschen. Will ich wirklich das Leben in der Sorge, der Ungewissheit und dem Selbstzweifel des siebzehn Uhr Arbeiters tauschen?
Wenn wir vergleichen, dann immer total. Wenn tauschen, dann ganz.
Das ist die große Illusion bei den Idolen, die in der Jugendphase eine gigantische Rolle spielen und sicherlich auch eine sehr wichtige Rolle haben.
Aber die Vergleiche gehen immer schief. Der Idolismus unserer Medien produziert das Gefühl: Ich komme zu kurz.
Denn ich vergleiche mich immer nur auf einer ganz bestimmten Ebene mit den Idolen, mit Fußballstars, Popstars und so weiter.
Dieses Gefühl ist zwar ein marktwirtschaftlich entscheidender Faktor, psychologisch aber ein verheerender Faktor, weil die Antwort immer dieselbe ist: Ich komme zu kurz.
Und das Evangelium aus diesem Gleichnis – und das Evangelium für unsere Zeit, ganz besonders im Blick auf junge Menschen – hat vor allem diesen einen Satz zum Inhalt:
Bei Gott komme ich nicht zu kurz.
Das ist eine der großen Botschaften: Bei Gott komme ich nicht zu kurz. Ich bekomme das, was ich brauche, den Tageslohn, der gut reicht, um mit einer Familie leben zu können.
Das, was ich brauche, bekomme ich. Ich komme nicht zu kurz. Bei diesem Herrn ist jeder dabei.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Jetzt haben wir neun Uhr siebenundfünfzig. Machen wir jetzt Pause oder noch Gespräch? Jetzt machen wir Pause, zwanzig Minuten. Dann machen wir am Beginn der nächsten Einheit eine Gesprächsphase, damit wir noch einmal auf dieses Gleichnis eingehen können, bevor wir zum nächsten kommen.
Also zwanzig nach zehn.