Einführung in das Jesajabuch und die heutige Lesung
Und nun schlagen wir, so Gott will, heute und im kommenden Dreivierteljahr das Buch Jesaja auf. Dort lesen wir die Kapitel 40 bis 55. Heute beginnen wir mit Jesaja 40,1-11.
Ich lese:
„Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott! Redet freundlich mit Jerusalem und verkündet ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist. Denn sie hat doppelte Strafe von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden empfangen.
Es ruft eine Stimme:
In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn für unseren Gott!
Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden. Was uneben ist, soll gerade gemacht werden, und was hügelig ist, soll eben werden.
Denn die Herrlichkeit des Herrn wird offenbar werden, und alles Fleisch wird es miteinander sehen, denn des Herrn Mund hat es geredet.
Es spricht eine Stimme: Predige!
Und ich fragte: Was soll ich predigen?
Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güter sind wie eine Blume auf dem Feld. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn des Herrn Odem weht. Ja, das Volk ist wie Gras! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Zion, du Freudenbote, besteige einen hohen Berg!
Jerusalem, du Freudenbote, erhebe deine Stimme mit Macht, erhebe sie und fürchte dich nicht!
Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott!
Siehe, da ist Gott der Herr, er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen.
Siehe, was er gewonnen hat, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.
Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte.
Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen.
Die Mutterschafe wird er führen.“
Äußerer und innerer Anlass für die Predigtreihe
Als Vorbemerkung möchte ich zwei Antworten auf die Frage geben: Warum gerade dieses Buch? Warum gerade diese Kapitel? Wie sind Sie darauf gekommen, das jetzt und heute zu besprechen?
Eine gute Frage. Für mich gibt es zwei Antworten.
Zum einen ist es ein äußerer Anlass. Ich habe festgestellt, dass genau vor 50 Jahren, im Herbst 1942, hier in dieser Schlosskirche Prälat Hartenstein eine Reihe von Vorträgen über diese Kapitel gehalten hat. Nach fünfzig Jahren trifft sich nun wieder eine Gemeinde, um diese Verse miteinander neu zu hören.
Damals war der Weg dunkel und wurde immer dunkler. 1942 herrschte in Russland ein schwerer Krieg, Stalingrad. Und hier, in dieser Kirche, war eine Gemeinde, die sich an diesem Wort aufrichtete. Unser Weg ist heute heller, und wir sind dankbar darüber und danken auch Gott.
Doch nicht wenige sehen keinen Weg mehr. Ich vergesse nicht das Referat von Propst Falcke, das wir am letzten Donnerstag im Erfurter Augustinerkloster gehört haben – jenem Kloster, in das Luther einst eingetreten ist. Wir waren dort als Pfarrer bei einem Jahreskonvent.
Propst Falke sagte als ersten Satz: „Wir sind hier in Erfurt nicht nur total orientierungslos, sondern meine Kolleginnen und Kollegen auch hoffnungslos.“ Viele sehen dort keinen Weg mehr. Viele sind es, die realistisch auch hier keinen Weg mehr sehen.
Wieder versammelt sich eine Gemeinde an diesem Ort. „Es ist mir ein großes Anliegen“, sagte Prälat Hartenstein nach einem schlechten Nachschrieb, der mir in die Hände gekommen ist, „dass wir doch nicht ohne geistliche Frucht in diesem Halbjahr aus der Begegnung mit Gottes Wort gehen.“
Das ist auch mein Anliegen und mein Wunsch: dass wir hier nicht fruchtlos oder gar hoffnungslos zusammenkommen, sondern dass etwas herauskommt. Und dass sich für Sie Ihre Mühen – das Aufmachen, das Herkommen und das Wieder-nach-Hause-Fahren – auch um Gottes Willen lohnt.
Das ist mein Wunsch und mein ständiges Gebet für Sie in diesem Dreivierteljahr.
Das ist der äußere Anlass. Aber es gibt auch einen inneren Anlass.
Wie eben erwähnt: Viele sehen keinen Weg mehr – vor allem auch in unserer eigenen Kirche. Sie werden unsicher gemacht. Man sagt: Hier in dieser Kirche sind wir auf dem Holzweg. Der einzige Ausweg sei der Schnellweg aus der Kirche hinaus in andere oder neue Gemeinden.
Wenn ich hierher komme, so fragen sich manche: Bin ich denn auf dem rechten Weg? Stehe ich noch auf festem Grund und Boden? Bin ich hier an dieser Stelle mit meinem Glauben überhaupt noch richtig?
Die Bedeutung des Jesajabuchs für den Glauben
Dieses Buch, liebe Freunde, zeigt das Fundament: Das reformatorische Zeugnis von der Gerechtigkeit Gottes ist im Grunde nur die Wiederentdeckung der Botschaft des Jesaja.
Was Martin Luther in der Enge seiner Zelle herausgefunden hat, als er dort dem lebendigen Gott begegnete, ist nichts anderes als das, was schon in diesem Buch geschrieben steht. Leider ist es bei uns heute nicht mehr so bekannt. Dieses Buch ist die Krone des Alten Testaments, wie der berühmte Magister Frey sagt. Haben Sie das gewusst? Dieses Buch ist die Krone des Alten Testaments.
Wer den evangelischen Glauben verstehen will, muss Luther verstehen. Wer Luther verstehen will, muss Paulus verstehen. Und wer Paulus verstehen will, muss Jesaja verstehen. Nur so verstehen wir wieder den Weg, den Grund und den Boden: sola scriptura, sola gratia, solus Christus – allein die Schrift, allein die Gnade, allein Jesus Christus.
Den Christusweg zu verstehen, ist der innere Anlass dieser Reihe. Viele sind davon umgetrieben, manche fragen sich, wo heute der Weg ist, weil sie in sich unsicher geworden sind über die nächsten Schritte.
Liebe Freunde, deshalb sind wir auf dieses Buch gestoßen, um uns noch einmal von einem ganz großen Propheten den Christusweg zeigen zu lassen – ja, den Christusweg, gezeigt im Alten Testament. Es ist das große Trost- und Friedensbuch. Wenn Sie nach Trost und Frieden fragen, dann blättern Sie in diesen Kapiteln. Dort finden Sie Trost, dort finden Sie Frieden.
Meine Gaben reichen bei weitem nicht aus, um das auszuschöpfen, was hier steht. So wie die Gaben eines Bergführers niemals ausreichen, um das Mont-Blanc-Massiv oder das Zugspitz-Plateau vollständig zu erklären. Er kann nur eines: Er kann seine Leute an die Hand oder ans Seil nehmen und mit ihnen ein paar Schritte hineingehen, um einen Berg zu besteigen und sie dann wieder hinauszuführen.
Nichts anderes kann ich. Ich kann dieses Gebirgsmassiv, diese Berge Gottes, nicht erklären. Ich kann nur eines – und darum erbitte ich für mich Kraft: dass ich Sie an der Hand nehme, dass ich Sie ans Seil nehme, dass ich mit Ihnen ein Stück in dieses Massiv hineingehe, um hier und dort einen Durchblick zu gewinnen.
Das ist der innere Anlass.
Der Absender: Jesaja als Prophet und Christuszeuge
Nun möchte ich Ihnen etwas zum Absender sagen, zur Adresse und zur Ouvertüre, nämlich zur Inhaltsangabe.
Zunächst zum Absender: Es handelt sich um einen Propheten, einen Propheten. Es ist unbedingt nötig, einmal einem Propheten des Alten Testaments begegnet zu sein. Vielleicht sind wir schon einem Zareus, einer Maria Magdalena oder einem Simeon begegnet, aber sind wir schon einmal in einem Text einem alttestamentlichen Propheten begegnet?
Jesus ist nicht wie ein Meteor vom Himmel gefallen. Gott hat vielmehr in einer wunderbaren Staffel der Zeugen durch die Jahrtausende hindurch dafür gesorgt, dass Propheten immer wieder von ihm zeugten. Siehe, dein König kommt zu dir. Paulus sagt in Epheser 2, dass die Gemeinde Jesu auf dem Grund der Apostel und Propheten erbaut ist. Im Hebräerbrief heißt es, Gott habe vor Zeiten durch die Propheten zu unseren Vätern geredet.
Ein Prophet ist nichts anderes als ein Christuszeuge. Er ist kein Wahrsager, kein Handleser, kein Sterngucker und kein Hellseher, sondern jemand, der auf dem Weg Christi weist. Heute wird oft von prophetischen Worten gesprochen, von Propheten, die uns geschenkt seien und Dinge sagen, die morgen oder übermorgen eintreten könnten. Mag sein, dass sie so sprechen, aber sie sind keine Propheten im biblischen Sinne.
Propheten tun nichts anderes, als den Christusweg zu zeigen und Christus großzumachen. Wer dies tut und kann, ist im letzten Grunde und Sinne ein Prophet. Das ist der älteste männliche Prophet. Er ist berufen, und das ist wichtig. Er hat diesen Beruf nicht selbst gewählt.
Wir denken an unsere Schüler der letzten Klasse, wenn jene Monate oder gar Jahre kommen, in denen sie sich fragen: Welchen Beruf soll ich wählen? Es ist unendlich schwierig bei dem breiten Angebot, das heute besteht. Man wählt einen Beruf, erlernt ihn, und wenn man ihn erlernt hat, merkt man oft: Da bin ich gar nicht zufrieden, ich sitze falsch, ich fange mal den nächsten an. So erzählte mir gestern Abend jemand, der jetzt 25 ist, schon einige Jahre im Beruf steht, dass er jetzt wieder Lehrling sei und vier Jahre einen völlig anderen Berufsweg eingeschlagen habe.
Liebe Freunde, dieser Mann und diese Männer haben sich nicht den Kopf zerbrochen, welchen Beruf sie wählen sollten. Einen Propheten kann man nicht werden; den Prophetenberuf kann man nicht wählen. Sie alle sind es nur durch Gottes Berufung geworden.
Die Verse 6 bis 8, die hier stehen, sind gleichsam ein Einschub, eine Geschichte über die Berufung dieses Mannes. Es spricht eine Stimme: "Prediger, predige!" Es ist ein Befehl. Gehorsam ist verlangt, wie vom Blitz getroffen und gefallen – Jesaja vor dem Altar, Amos von der Herde weg, Hesekiel. Diese Berufungsgewissheit haben sie ein Leben lang behalten und sich nie gefragt, ob sie auf dem falschen Dampfer sitzen. Sie sind dabei geblieben. Selbst ein Jona wurde wieder zurückgeholt und in diesen Beruf gestellt.
Sie sind berufen. Wohl dem, der eine Berufungsgewissheit auch in seinem Beruf hat. Sie sind berufen, sie sind gesandt. "Hier bin ich, sende mich." Sie sind Mund, Arm und Hand und Zeugen Gottes – nicht eigene Gedanken, sondern Gottes Wort.
Keiner der Propheten ist gleich wie der andere. Gott passt sich ihrem Charakter an. Man muss einmal die Propheten anschauen: Da ist ein königlicher Jesaja, ein königlicher Mann, da ist ein trotziger Amos, ein schwer leidender Jeremia und ein kühner Hesekiel. Bundartig ist die Gottesmannschaft bei den Propheten, so wie bunt und vielfältig auch die Gemeinde Jesu bis zu diesem Tag ist. Sie ist nie uniform.
Sie sind gesandt an Israel und die Heiden. Es ist Heilsgeschichte und Weltgeschichte zugleich. Es gibt eben nicht nur, wie heute manche meinen, eine Abraham-Isaac-Jakob-Geschichte. Es gibt nicht nur einen Abraham-Isaac-Jakob-Weg, der bis zu den heutigen Juden führt, sondern es gibt auch in der Bibel einen Weg Abraham-Hagar-Ismael bis zu den Palästinensern. Doch das gibt es eben.
Und beide Wege – Weltgeschichte und Heilsgeschichte – sind die Wege, zu denen sie gesandt sind. Sie sind gesandt, sie sind berufen, sie sind geprägt durch das Wort. Wir haben einmal gesagt: Man kann durch seine Landschaft geprägt sein, man kann durch seine Familie geprägt sein, man kann durch seinen Beruf geprägt sein. Diese Propheten aber waren allein geprägt durch das Wort.
Ein Priester war geprägt durch den Kult, er stand am Altar. Propheten stehen nicht vor dem Altar, sie standen oft gegen den Altar und den Tempel. Sie sind einzig und allein geprägt durch das Wort, nämlich Jesu Wort, das sie hinausrufen: "Siehe, dein König kommt zu dir."
Gott ist im Kommen, sagen sie. Das ist die Grundgleichung, die Grundmelodie: Gott ist im Kommen, und deshalb kehre um und kehre heim. Umkehr und Heimkehr sind das Grundthema der Propheten.
Sie sind gerichtet, ausgerichtet aufs Ziel. Sie sehen den, der da kommt. Propheten sind Adventsmenschen, die von einer Morgenwache zur nächsten warten – es kommt eine Wende. Im Morgenglanz der Ewigkeit ist ihr Standplatz ausgerichtet auf Gottes Herrlichkeit.
Damit stehen Propheten nicht hinter uns, sie stehen auch nicht vor uns, sie stehen nicht über uns. Sie stehen neben uns, Menschen, die auf den großen Tag warten.
Und zu diesen Wartenden und zu dieser wartenden Gemeinde will auch ich, sollen auch Sie gehören.
Die Adresse: Ein Volk in Not und Verbannung
Die Adresse dieser Kapitel ist klar: Absender ist der Prophet, die Adresse ein Volk in großer Not. Seit sechzig Jahren befindet sich Israel in der Verbannung, in der babylonischen Gefangenschaft. Das Volk ist ausgeliefert an die Behörden, abgeschnitten von der Heimat und vom gottesdienstlichen Leben.
Die Menschen sind ratlos, aussichtslos und hoffnungslos – ähnlich wie die Menschen in Erfurt. Sie sehen keinen Weg und keinen Plan. Am Horizont zeigt sich das Wetterleuchten neuer Kriege, das die Menschen hin und her wirft zwischen schwärmischer Hoffnung und letzter Verzweiflung.
Genau wie heute wirkt alles einfach trostlos und ausweglos.
Dreifacher Trost: Wendezeit, Bauzeit und Adventszeit
Deshalb und deshalb: Beginnt sofort! Und jetzt kommen wir zum Inhalt.
Tröstet, tröstet nicht nur einmal, sondern doppelt – tröstet, tröstet, mein Volk! Doppelt deshalb, weil damit die Stärke und der Drang Gottes ausgedrückt wird. Er sagt es doppelt, um zu zeigen: So sieht es in Gott aus. Er will es, er drängt sich auf, er will trösten.
Liebe Freunde, Trösten ist hier nicht im Sinne von Bemitleiden gemeint, so wie eine Mutter es tut. Das Kind ist hingefallen und weint schrecklich und heult. Dann nimmt die Mutter das Kind auf den Schoß und gibt ihm als Trösterchen ein Hanuta in den Mund, damit es wieder ruhig wird. So wird es mit Hanuta getröstet. Andere trösten mit Alkohol oder mit schönen Worten – das ist hier alles nicht gemeint.
Gott gibt kein Trösterchen, er verpasst kein Trostpflästerchen, er schenkt keine Vertröstungen. Er tröstet – das heißt genau: Er ermutigt, er richtet auf, er stärkt, er redet ins Herz.
Hier heißt es: Redet mit Jerusalem freundlich. So hat Luther übersetzt, und man hat es aus Ehrfurcht so stehen lassen. Aber eigentlich heißt es: Zum Herzen Jerusalems, redet! Nicht nur in die Ohren, nicht nur in die Köpfe, sondern ganz tief hinein. Er will Ihnen ganz tief trösten.
Wir haben dieses Wort immer so verstanden: Redet mit Jerusalem freundlich. Und Jerusalem ist ja der Begriff für die Gemeinde. Rede mit der Gemeinde freundlich.
Unvergesslich ist meine Mutter, auch eine bibelfeste Frau, die nicht so viel gesprochen hat. Als ich zu meiner ersten Stelle wegfuhr, meine Koffer gepackt hatte und meine erste Stelle damals in Urach, noch nicht Bad Urach genannt, angetreten habe, sagte sie mir beim Abschied: „Konrad, rede mit Jerusalem freundlich.“ Das heißt: Reg dich nicht auf, sei freundlich mit den Leuten. Das ist wichtig.
Man bringt es leider nicht immer fertig, und manchen müsste es gesagt werden: Rede doch auch freundlich mit der Gemeinde!
Aber das steht nicht in Jesaja 40. Dort heißt es nicht „redet freundlich“, sondern: Redet ihnen ins Herz hinein! Tröstet sie ganz tief und tröstet sie ganz innen. Und zwar tröstet aus einem dreifachen Grund, nämlich: Tröstet, weil Wendezeit ist.
Trostgrund 1: Tröstet, weil Wendezeit ist
So sagt er erstens: Tröstet, denn Wendezeit ist. Dies ist nicht astrologisch zu verstehen, wie man heute oft von einer Wendezeit spricht, sondern es ist hier ein theologischer Begriff.
Stellen Sie sich vor, in den letzten Wochen herrschte tagelang strahlend blauer Himmel, unendlich heiß. Und dann ziehen endlich Wolken auf, die immer dunkler und unheimlicher werden. Sie türmen sich über dem Horizont, und gleich wird ein heftiges Donnerwetter losbrechen. Wenn ein richtiges Gewitter über der Stadt niedergeht, duckt man sich. Man bekommt Angst, wenn die Blitze durch das Fenster zucken und das Zimmer erhellen.
Doch nach ein oder zwei Stunden kann es geschehen, dass das Gewitter aufhört. Der Himmel reißt auf und es strahlt wieder die Sonne vom Himmel. Genau das ist hier gemeint. Gott hat Wolken des Zornes kommen lassen, er hat Wolken des Zornes auftürmen lassen. Blitz und Donner sind über das Volk Israel herabgefahren. Sie haben es gespürt, so wie es auch über unser Volk herabgefahren ist und, wenn es nicht aufmerkt, wieder herabfahren wird.
Aber dann, auf einmal, reißen die Wolken auf und die Sonne flutet herein. Tröstet, tröstet mein Volk, weil Wendezeit ist. Weil sich etwas gewendet hat: vom Zorn zur Gnade, von der Schuld zur Bezahlung, von der Gefangenschaft zur Freiheit. Schon hier klingt jenes reformatorische Zeugnis an: Gnade für Zorn, Bezahlung für Schuld, Freiheit für Gefangene. Durch wen? Das erfahren wir später in Jesaja 53. Einer, der Gottesknecht, macht es möglich.
Von Anfang an ist klar, dass nicht nur die Heilgeschichte Israels gemeint ist, sondern die ganze Weltgeschichte. Sie erfährt eine Wende, die zum Ende hin zeigt.
Liebe Freunde, das heißt: Wer diese Botschaft aufnimmt, wird in jeder Zeit daran denken, dass es nicht die Endzeit oder etwas Ähnliches ist, sondern dass die Wendezeit angebrochen ist.
Wir erleben verschiedene Zeiten. Zum Beispiel die Jugendzeit – eine Zeit, in der man voller Kraft ist und das Leben stürmen will. Jeder junge Mensch soll es hören durch diesen Propheten: Deine Jugendzeit ist Wendezeit. Hin zum Ziel soll diese Wendezeit werden und bleiben.
Dann kommt die Hochzeit. Die Welt ist voller Musik. Wenn es so bliebe! Doch mitten in dieser schönsten und höchsten Zeit des Lebens sagt er: Auch die Hochzeit ist Wendezeit. Ihr jungen Ehepaare, denkt daran: Wende hin zum Ziel!
Dann kommt die Krankheitszeit. Freunde, auch die Krankheitszeit ist Wendezeit hin zum Ziel. Ihre Notzeit, ihre Abendzeit, ihre Sterbezeit – Wendezeit, sagt der Herr, Wendezeit! Es wird nicht dunkler, die Wolken reißen auf. Es geht zum Ziel. Der Morgenglanz der Ewigkeit wird uns umfangen.
Tröstet, tröstet mein Volk, weil Wendezeit ist!
Und das Zweite: Tröstet, tröstet, weil Bauzeit ist, Bauzeit!
Trostgrund 2: Tröstet, weil Bauzeit ist
Es kommen nämlich fragende und zweifelde Stimmen: Wer will denn kommen? Und wie will er denn kommen?
Sehen Sie, ich wohnte damals nach meiner wunderschönen Zeit in einem großartigen Pfarrhaus draußen in Hemmingen. Der Umzug geschah Gott sei Dank im Januar bei gefrorenem Boden. Denn wir mussten umziehen – von einem großen herrschaftlichen Pfarrhaus hinein in ein kleines, ärmliches, fast erbärmliches Fertighäuschen mitten im Neugau-Baugebiet. Dort gab es keine Straßen, keine Wege, nur Morast.
Der Boden war gefroren, sodass die Möbelwagen anfahren konnten. Aber dann kam der Februar, und wir standen im Dreck bis zum Halse. Als wir Freunde oder Bekannte einluden und sie fragten: „Wie finden wir euch denn?“, konnten wir eigentlich keine klare Antwort geben. Wir wohnten mitten im Dreck. „Kommt, wir holen euch dann schon irgendwie ab“, sagten wir.
Es war unmöglich, einen Weg zu finden, denn ein Weg war nicht da. Liebe Freunde, wir wohnen hier mitten im Dreck, mitten im Schmutz, mitten in einer Wüste ohne Weg und Bahn. Wer das nicht glaubt, der soll die Augen aufmachen. Wir leben mitten im Schmutz und Dreck.
Wie soll denn dieser Gott kommen? Wie soll er zu uns finden, zwischen ihm, seiner Herrlichkeit, und unserer Drecklandschaft? Es gibt nichts, wo er gehen könnte.
Für Belmarduk wurde damals eine Prozessionsstraße gebaut, auf der er am Neujahrstag auszog, um den Sieg über die Chaosgötter zu feiern. Für orientalische Weltherrscher wurden Prachtstraßen angelegt, auf denen sie sich aufmachten, um sich huldigen zu lassen. Für Mächtige gibt es Autobahnen.
So habe ich es zwischen Khartum und Omdurman im Sudan gesehen: Zwischen diesen zwei Städten in einem erbärmlich armen Land ist eine sechsspurige Autobahn angelegt worden. Damit kann der Herrscher von Khartum nach Omdurman fahren, um zu zeigen, welche Macht und Herrlichkeit er hat.
Aber zwischen uns und unserem Gott, zwischen Ihnen und Ihrem Gott, der doch im Tempel in Jerusalem zu Hause war, liegen nur Wüste, Steine, Felsen und Schluchten. Wir schaffen es nicht.
Und eine Stimme sagt: „Bereitet den Weg des Herrn!“ Und was er sagt, so geschieht es. Das Wirken ist Gottes Schaffen und seine Möglichkeit.
Es gibt keine topografischen Gegebenheiten, die ihn abhalten könnten, eine Straße mitten durch die Welt zu bauen. Wenn Menschen es geschafft haben, eine Autobahn quer durch unser Land zu bauen, wenn sie eine transsibirische Eisenbahn quer durch Asien gebaut haben, wenn sie eine Transamazonika quer durch den Urwald Südamerikas errichtet haben, dann ist es für Gott ein Klacks, eine Straße zwischen ihm und uns zu ebnen und zu schaffen.
Wenn jemand sagt: „Bei mir ist es in meinem Leben wie in einer Steppe, alles ausgetrocknet“, so wissen wir: Es kommt ein Weg. Und wenn ich zwischen Problemen lebe, die sich aufgetürmt haben wie Berge, so steht hier: Er wird Berge und Hügel erniedrigen.
Und wenn ich im tiefsten Land sitze, im tiefsten Loch, so sollen Täler erhöht werden. Und wenn ich weiß, bei mir ist so viel uneben, so viel hügelig, so viel holprig in meinem Leben, so heißt es: Es soll glatt werden, wo Unebenheit ist, soll gerade Straße sein.
Er kommt, nichts kann ihn aufhalten. Seid getrost! Tröstet, tröstet mein Volk, denn Bauzeit ist. Und zuletzt: Tröstet, denn Adventszeit ist!
Trostgrund 3: Tröstet, weil Adventszeit ist
Allen soll es gesagt werden, und damit sollen es auch alle hören. Steig auf einen Berg, keiner soll im Akustikschatten liegen. Wir haben Satelliten, steig auf einen Funkturm, würde man heute sagen, und sende diese Freudenbotschaft über Satelliten rund um die Welt.
Liebe Freunde, Freudenbotschaft heißt im Griechischen das Evangelium. Im Hebräischen trägt es mehr den Gedanken des Glättens in sich. Das Evangelium, die Freudenbotschaft, ist eine Botschaft, die wieder glatt macht. Sorgenfalten auf Gesichtern können wieder glatt werden, ängstliche Herzen können wieder beruhigt werden.
Das Evangelium ist ein Umschwung, ein Neuanfang. Siehe da, es steht dreimal: Er kommt. Auf diesem Weg, wo wir es nicht glaubten, durch Schmutz und Dreck hindurch, er kommt. So wie im Nebel eine Gestalt auftaucht, siehe da, er kommt auf uns zu.
Er sieht aus wie ein Schwerarbeiter, der mit gewaltigem Arm die Hindernisse beiseite räumt, siehe da. Nein, er sieht aus wie ein Lohnarbeiter, der das, was er erworben hat, bei sich trägt, siehe da. Und jetzt wird es ganz deutlich: Er sieht aus wie ein Hilfsarbeiter, genauer gesagt wie ein Hirte.
Kein Treiber, sondern Tröster, der Schafe auf seinen Armen trägt, mehr noch, im Bausch seines Gewandes birgt. Ich bin der gute Hirte, der auf euch auf diesem Weg zukommt.
Adventszeit, in der wir jetzt leben, ist immer Wartezeit. Deshalb ist sie einerseits so schwer, weil wir warten müssen, aber andererseits auch so schön, weil wir wissen, auf welches Ziel es zugeht.
Und deshalb am Schluss jenes vielbespottete Kinderlied, das mir lieb geworden ist. Es wurde aufgrund dieser Verse gedichtet: „Weil ich Jesus Schäflein bin, freue ich mich nur.“ Immerhin über einen guten Hirten, der mich wohl weiß zu behüten.
Und dann heißt es ja: „Denn nach diesen schweren Tagen werd ich endlich heimgetragen.“ Indes Hirtenarm und Schoss – Amen, ja, das Glück ist groß. Das ist Jesaja 40. Amen.