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Leiden um Jesu Willen

14.03.19761. Petrus 4,12-19

Einführung in das Thema des Leidens in der Gemeinde

Wir haben in den letzten Jahren diesen Brauch nicht übernommen, am Sonntag Reminiscere der leidenden Gemeinde und dem leidenden Teil des Leibes Christi zu gedenken.

In diesem Jahr habe ich es nun in unserer Predigtreihe eingeplant. Ich habe einen Text aus dem ersten Petrusbrief gewählt. Dabei hatte ich Sorge, dass es ein Reden über etwas wird und nicht ein Reden, das unser Herz trifft. Wir wollen Gott bitten, dass er auch durch dieses Wort zu uns spricht.

 1. Petrus 4,12-19:
Ihr Lieben, lasst euch nicht befremden von der Hitze, die euch widerfährt, dass ihr versucht werdet. Meint nicht, es widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet. So werdet ihr auch zur Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben.

Selig seid ihr, wenn ihr um des Namens Christi willen geschmäht werdet. Denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch!

Niemand unter euch soll leiden als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder als jemand, der sich in ein fremdes Amt einmischt. Wenn aber jemand als Christ leidet, so schäme er sich nicht, sondern ehre Gott mit diesem Namen!

Denn es ist Zeit, dass das Gericht anfange am Hause Gottes. Wenn aber zuerst an uns, was wird das Ende sein für die, die dem Evangelium Gottes nicht glauben?

Und wenn der Gerechte kaum gerettet wird, wo wird dann der Gottlose und Sünder erscheinen? Darum sollen die, welche nach Gottes Willen leiden, ihre Seelen dem treuen Schöpfer in guten Werken anvertrauen.

Herr, übe uns auch in deine Passion ein! Amen!

Die Herausforderung des christlichen Lebens in der heutigen Gesellschaft

Liebe Gemeinde,

an jedem Sonntagmorgen empfinde ich ein Missverhältnis, wenn man durch die stillen Straßen unserer Stadt geht oder fährt. Einige wenige nutzen das große Vorrecht eines freien Sonntags, der vom Staat für den sonntäglichen Gottesdienst geschützt ist. Gleichzeitig muss eine Vielzahl von Menschen nach der Pfeife der wenig Interessierten tanzen.

Vor einigen Jahren gab es erregte Diskussionen darüber, ob es sich dabei nicht doch um Vorrechte der Christen handelt, die auf dem Rücken des Staates versuchen, ihre Macht in unserer Welt durchzusetzen. Es ist eigentlich merkwürdig, dass dieses Thema wieder verstummt ist.

Im Jahr 380 hat Kaiser Theodosius das Christentum zur alleinberechtigten Staatsreligion erhoben. Von diesem Zeitpunkt an hatte das Christentum in dieser großen Machtstellung Einfluss auf das damalige Kaiserreich und alle nachfolgenden Kaiserreiche. Diese Reiche sind längst vergangen, doch merkwürdigerweise blieb dieses Gesetz und dieser Beschluss mehr oder weniger bis heute in unserem Abendland gültig.

Theodosius hat mit dieser Entscheidung letztlich nur die Pläne Konstantins vollendet. Dessen Gedanke war es, eine morsche und faule Gesellschaft – so wie damals das zerfallende römische Reich – durch die neue Kraft des christlichen Glaubens wiederzubeleben.

Hier liegt der wesentliche Punkt: Es waren gar nicht die wirklichen Christen, die den Staat angefleht hätten und gesagt hätten: „Gebt uns Macht!“ Wir dürfen das heute offen aussprechen und haben den Mut, diese Diskussionen auch außerhalb der Kirche zu führen. Wir bitten den Staat nicht um Machtmittel – das braucht das Evangelium nicht.

Es war vielmehr der Staat, der die Kraft des Evangeliums für seine Gesellschaft nutzbar machen wollte. Trotzdem meine ich, wir müssen heute darüber reden und den Mut haben, uns von diesem Bild Konstantins und Theodosius zu trennen.

Ich merke, wie über unserer Christenheit diese große Aufgabe lastet, als ob wir noch einmal die ganze Welt mit Christentum durchtränken könnten. Über jedem Mitarbeiter der Gemeinde Jesu steht diese große Aufgabe. Doch wir wollen uns davon freimachen.

Das ist nicht der Weg Jesu, auf dem er sein Volk führt. Eine Last, die uns so schwer wird, dürfen wir auch ablegen.

Die Befremdlichkeit eines Lebens mit Jesus

Mein erster Punkt: Ein Leben mit Jesus bleibt befremdlich.

Es ist mein ganzes Bemühen, in meinem Dienst als Pfarrer mit allen Leuten auszukommen und es allen recht zu machen. Sicher wollen Sie das auch. Christen wollen das, Kirchenleitungen wollen das, und deshalb versucht man zu taktieren, diplomatisch zu handeln, vorsichtig zu sein und niemandem zu nahezutreten. Wenn man etwas sagt, dann mit großer Vorsicht, damit niemand etwas missversteht oder beleidigt reagiert.

Aber geht das überhaupt? Sollten wir uns hier nicht mutiger zeigen und sagen: Auch wenn ein paar Menschen hochfahren, lässt sich das gar nicht vermeiden. Es sollte nur an den wichtigsten Punkten geschehen.

Ich denke zurück an eine Zeit, als ich wie Kach in einer württembergischen Kleinstadt war. Eines Morgens kam eine Nachbarin, eine Bäuerin und treue Besucherin des Gottesdienstes, aufgeregt gerannt. Sie rief: „Kommen Sie schnell herunter, helfen Sie mir!“ Ich dachte, jemand sei vom Heuboden gefallen oder es sei etwas anderes Schlimmes passiert. Doch dann sagte sie: „Mein Sohn spinnt.“ Das war der Otto, mit dem ich im Jugendkreis eng befreundet war. Ich fragte, was los sei, ob er einen Nervenzusammenbruch habe oder Ähnliches. Sie antwortete, er sei heute Morgen eine halbe Stunde früher aufgestanden und lese in seiner Bibel. Und sie bat mich, ihm zu helfen, damit er wieder aufhört.

Das geschah in einer Gemeinde, in der niemand ein Ärgernis daran nahm, dass in der Erntezeit kein Mann am Sonntag zum Gottesdienst kam, weil man sonntags arbeiten musste. In einem Ort, in dem die letzten Reste eines christlichen Glaubenslebens in den Familien nahezu ausgestorben waren.

Wenn jemand mit Jesus lebt, wird das befremdlich für seine Umgebung sein. Menschen werden aufhorchen. Wenn wir an die Erweckungszeiten zurückdenken, dann war es immer so, dass das wiederentdeckte Leben mit Jesus für andere Mitchristen befremdlich war.

Fährt man mit der Autobahn die Siegerlandlinie entlang, kommt man an Freudenberg vorbei. Dann denke ich immer an Tilman Siebel. Er war 1822 Gerbermeister in Wuppertal und erlebte das neue Glaubensleben von Krummacher mit. Neben dem Gottesdienst hielt er am Nachmittag zusätzliche biblische Erbauungsversammlungen in seiner Wohnung ab. Viele Leute kamen dazu.

Das bewog manche, beim König in Arnsberg eine Beschwerde einzureichen. Der König veranlasste, dass der Bürgermeister Aufsicht über diese Versammlungen übt. Der Bürgermeister schickte seinen Schutzmann, der abends oder sonntagmittags vor dem Haus sitzen sollte, möglichst unauffällig, um mitzuhören, was da Unheimliches vor sich ging. Im Sommer, wenn die Fenster offen waren, konnte man so mithören.

Der Bürgermeister war erschrocken, als sein Schutzmann eines Tages anfing mitzusingen: „Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert bin.“ Daraufhin ging er selbst los, um die Versammlung zu überwachen.

Lesen Sie einmal in den großen Protokollbüchern unserer Kirchenleitung, die zur Zeit der Erweckung des Pietismus angelegt wurden. Die gesamte staatliche Obrigkeit war bemüht, dieser ungeheuren und merkwürdigen Bewegung Herr zu werden.

Wir wollen heute nicht so tun, als ob Aufbrüche in der Gemeinde Jesu ohne Widerstand möglich wären. Merkwürdigerweise wurden diese Widerstände sogar im Namen Jesu geäußert – nicht unter Berufung auf biblische Maßstäbe, wie man falsche Lehre prüfen sollte, sondern aus Gefühlen heraus: „Wir sind doch auch christlich.“

Ein Leben mit Jesus bleibt befremdlich. Und ich meine, genau das ist der Punkt, der uns heute angeht. Wenn wir meinen, unseren Glauben mit Jesus leben zu können, indem wir unsere Mitchristen kopieren und nachmachen, dann liegen wir falsch. In unserer Stadt wird es so sein, dass wir Fremdkörper bleiben müssen und nur wenige uns verstehen können.

Mir fällt das schwer. Ich bin in Stuttgart aufgewachsen, liebe diese Stadt und freue mich auf die Blüte, wenn die Hänge wieder in ihren Farben leuchten und unsere geschäftige Stadt mit ihrer schwäbischen Gemütlichkeit erstrahlt. Trotzdem sind wir Fremdkörper.

Wir sind Fremdkörper, weil wir unter einem anderen Wort stehen – dem Wort Gottes, das für uns alleinige Autorität sein kann. Weil wir unser Leben allein von diesem Wort bestimmen lassen, werden andere den Kopf schütteln. Sie werden viele unserer Entscheidungen nicht verstehen und fragen: „Warum? Wieso?“

Petrus spricht davon, dass das eine Hitze sei – ein Läuterungsfeuer, wie es Goldschmiede benutzen, um reines Gold herauszubringen. Er sagt, all diese Schwierigkeiten, die immer wieder entstehen in der Frage nach der Stellung des Christen in der Welt, seien gut und dienten dazu, unseren Glauben zu festigen.

Wie viel Not haben Christen im täglichen Leben, im Beruf, im Gespräch mit anderen Menschen, die sagen: „Stell dich doch uns gleich!“ Und sie müssen antworten: „Ich muss dir hier ein Fremder sein. Ich kann mich dem nicht gleichstellen. Ich stehe unter einer Hörenweisung und einem Hörgebot.“

Ein Christ bleibt ein Fremdkörper. Lasst euch die Hitze nicht befremden oder als etwas Seltsames erscheinen.

Wir Christen – und das betonen gerade der Hebräerbrief und der erste Petrusbrief sehr stark – sind in dieser Welt Fremdkörper und bleiben es.

Die Unterscheidung von berechtigtem und unberechtigtem Leiden

Ich möchte Ihnen auch von anderen Christen in dieser Welt berichten, weil es uns hilft, das besser zu verstehen.

Beim Petrus wird Wert darauf gelegt, dass wir darauf achten, nicht wegen anderer Dinge belangt zu werden. Es wird immer so sein, dass wir in Gefahr stehen, das zu verwechseln. Wenn uns Menschen angreifen wegen unserer brutalen oder lieblosen Art, meinen wir oft, das sei Leiden um Jesu willen. Das müssen wir trennen.

Petrus spricht von Leiden, die wir haben und die berechtigt sind, weil wir Sünde getan oder Unrecht begangen haben. Aber hier geht es um etwas völlig anderes: das Leiden um Jesu willen. Wir wissen jedoch, dass auch dieses Leiden verfälscht wird. Lassen Sie sich da nicht irreführen.

Es ist noch nie in der Weltgeschichte vorgekommen, dass Christen deutlich gebrandmarkt wurden wegen ihres Bekenntnisses. Nie! Wenn Sie regelmäßig die Zeitschrift der russischen Botschaft in Bad Godesberg „Sowjetunion heute“ lesen würden, hätten Sie dort erfahren können, was heute im Zeichen der Entspannung über Georg Wiens verbreitet wird.

Die Argumentation der Botschaft von Bad Godesberg lautet: Sie kennen ja diesen Kirchenführer, der zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die Begründung der russischen Botschaft lautet, er habe Spenden der Gemeindeglieder angenommen. Ja, was sollte er denn tun, wenn er keinen Beruf mehr hat? Und diese Spenden hat er nicht versteuert.

Wie hätte er die denn versteuern sollen? Er kann sie gar nicht versteuern, denn jede diakonische Liebestätigkeit der Gemeinde ist durch ein Staatsgesetz von 1929 verboten. Also ist er wegen eines üblen Steuerdelikts in Haft.

Obwohl im Prozess von dieser Sache überhaupt nicht gesprochen wurde. Im Prozess wurde nur von der Kindererziehung gesprochen: Er hatte ein Brautpaar bei der Trauung aufgerufen, ihre Kinder im Gehorsam Jesu zu erziehen. Und seit Juni 1975 gibt es in der Sowjetunion ein Gesetz, das selbst den Eltern das nicht mehr erlaubt.

Verstehen Sie, das wird sogar verfälscht. Es werden alle möglichen Gründe angegeben.

Ich hatte Gelegenheit, mit einem hohen Funktionär hier, der auf einer staatlichen Reise durch Westdeutschland war, in einem direkten Gespräch die Verhältnisse in jenem Ostblockland anzusprechen. Ich habe ihm zwei leidende Christen genannt: Einer war in Haft, der andere nicht.

Dann ist er aufgebraust und hat gesagt: „Was interessieren Sie sich für diesen Mann? Das ist ein Verbrecher. Ich habe seine Unterlagen.“ Er war gerade derjenige, der sich dafür eingesetzt hat, dass Christen das marxistische Gesellschaftssystem unterstützen sollen. Aber er hatte den Mut zu sagen: Nur wiedergeborene Menschen können letztlich die neue Welt schaffen.

Deshalb müssen Marxisten endlich einsehen, dass sie mit Atheismus nicht mehr weiterkommen, wenn sie eine gerechte Welt wollen, sondern dass sie sich dem Anspruch Jesu öffnen müssten.

Das war der Grund, warum ein Mann plötzlich hier als Verbrecher beschimpft wird.

Seien Sie vorsichtig, wenn Sie in Zeitschriften und Blättern lesen, dass Angriffe gegen die oder jene Christen gemacht werden. Prüfen Sie genau, ob das nicht nur Verleumdungen sind.

Es gibt auch in unserer satten Welt Menschen, die angegriffen werden, weil sie um Jesu willen dies oder jenes tun mussten, weil sie in ihrem Gewissen gebunden waren.

Leonhard Reimer ist vor fünf Jahren im Arbeitslager in Duschanbe in Tadschikistan verurteilt worden, weil er in einer Versammlung die Eltern aufgerufen hatte: „Kinder sind eine Gabe Gottes. Wenn dies doch alle Eltern erkennen möchten!“

Aber mit dem Geschenk ist auch eine gewisse Verantwortung verbunden, nämlich die, die von Gott anvertrauten Kinder für die Ewigkeit zu erziehen. Da hat einer ein Verbrechen begangen: Er hat sie der marxistischen Gesellschaft entrissen und einem nebulosen Gott unterstellt.

Ich bin davon überzeugt: Wenn Sie heute in einer westlichen Freiheit Ihren Glauben unangefochten leben, werden Sie plötzlich den Anspruch Ihrer Gesellschaft erleben, der sagt: „Das geht gar nicht, dass sich hier einer außerhalb unserer Gesellschaft stellt. Das geht gar nicht, dass einer sich anders entscheidet.“

Sie werden merken, wie das sein wird, wenn eine konsequente Nachfolge Jesu gelebt wird.

Wir sind Fremde in der Welt, und wir müssen Mut dazu haben. Es sollte uns umtreiben, wie wir dem Wort Gottes gehorsam sein können und nicht, wie wir möglichst unangefochten in die Welt hineinpassen.

Die fortdauernde Passion Jesu und ihre Bedeutung für Christen

Zweitens: Die Passion Jesu dauert fort.

Ja, das klingt merkwürdig. Die Passion Jesu dauert fort. Eigentlich ist sie doch mit der Auferweckung Jesu abgeschlossen. Seine Passion ist zu Ende, und seit seinem Ostersieg müsste es doch möglich sein, in dieser Welt eine neue Welt in der Kraft Jesu aufzubauen.

Ich wollte das, und mein ganzes Bemühen und meine Kraft gilt diesem Auftrag: in dieser Welt das Reich Gottes auszubreiten. Aber ich bin dankbar, dass mich leidende Christen immer wieder auf den Boden zurückholen und sagen: Täusche dich nicht.

Ich wünschte mir, wir könnten in Stuttgart eine Welt von Recht und Gerechtigkeit im Sinne Jesu aufrichten – so, wie es die mittelalterlichen Kaiser sich gewünscht haben, ein christliches Abendland. Nur haben sie vergessen, dass in dieser Welt der Teufel los ist und mit aller Macht herrscht. Wenn er nicht von außen als Gegner kommt, dann kommt er am liebsten aus den eigenen Reihen.

Und was ist in dieser mittelalterlichen Kirche des christlichen Abendlands für teuflisches Geschehen unter dem Vorzeichen Christi? Deshalb ist das ein Trugbild. Ich habe Sorge, ob nicht hinter mancher politischen Aktivität der Kirche auch heute immer wieder dieses Trugbild steht: die Kirche, die in allen Fragen mitreden kann, die für alle Fragen das lösende Rezept hat, die für alle Fragen das weisende Wort hat.

Es wird so sein, dass Christen sich in der Politik betätigen und dass Christen im Gehorsam Jesu dort tätig sind. Aber das ist ein Unterschied.

Ich sagte nun: Die Passion Jesu dauert fort. Hier sagt Petrus in seinem Brief: Denkt daran, dass auch Jesus gelitten hat. Er stellt das Leiden der ersten Christen, die schon gleich am Anfang nach ihrer Glaubensentscheidung ins Martyrium geführt wurden, in den Zusammenhang mit der Passion Jesu.

Uns ist oft gar nicht bewusst, dass mit der Auferweckung Jesu die Leidenszeit nicht aufgehört hat. Jesus leidet bis zu seiner Wiederkunft weiterhin in dieser Welt, und mit ihm sein Volk.

Haben wir nicht manches Mal in unserem Leben um des Friedens, um der Anerkennung und um des Wohllebens willen diese Passion verleugnet und sind den bequemen Weg gegangen? Wenn wir mit Jesus gezogen wären, dann wären wir auf der Seite der Abgedrängten gestanden. Als die, die man als ewige Neinsager beschimpft, die nicht immer mitmachen können.

Denken Sie noch einmal über die Passion Jesu nach. Wie sehr hat Judas darunter gelitten, dass Jesus nicht die Chance ergreift und mit den Pharisäern zusammenarbeitet und die offenen Türen in der Welt benutzt. Warum geht Jesus aufs Kreuz zu? Warum bringt er immer wieder die eine Sache der unerledigten Schuld und der Versöhnung zur Sprache? Kann man das nicht ausklammern?

Für uns heute als Christenheit wird es eine Versuchung sein zu sagen: Kann man unseren Auftrag als Christen nicht so darstellen, dass man nicht dauernd von Kreuz und Sünderat spricht? Das will heute eben keiner hören. Aber dann können wir doch das Positive in diese Welt einbringen und unseren Beitrag leisten.

Das können wir nicht, liebe Freunde.

Paulus hat unter Tränen davon gesprochen. Er schreibt: Ich sage das unter Tränen. Es gibt Leute in der Gemeinde, die suchen nur das Bauchchristentum. Sie wollen ein Christentum, das den Menschen die Nöte wegnimmt, das heilt und hilft. Aber sie sind Feinde des Kreuzes Christi.

Sie verschweigen, dass zwischen Gott und der Welt eine Kluft liegt und dass nur die Versöhnung Jesu diese Kluft überwindet.

Wir können heute keinen Dienst in der Welt tun, doch wir können – so wie unsere Schwester Else oder wer es sonst ist – durch die Häuser gehen und Kranke pflegen. So wie unsere Ärzte draußen in aller Welt Not lindern können.

Aber letztlich wird Not erst dort gelindert sein, auch im Krankenpflegedienst, auch im Waisenhaus oder wo es sonst ist, wenn ein Mensch neu geworden ist durch die Wiedergeburt, die Jesus in ihm wirkt.

Vorher wird unser Beitrag in der Welt ein schlichter Zeichenbeitrag sein. Wir werden uns viel davon versprechen, wenn wir in der Publizistik oder in der Öffentlichkeit unser Wort geben. Aber das wird es nicht sein.

Selbst die christliche Diakonie steht genauso ratlos vor einer Welt, die unter der Macht der Finsternis liegt, wie wir alle.

Erst dort wird es neu, wo Jesus diese Kluft aufhebt in seinem Kreuzesieg, wo er Schuld überwindet und uns in seine Nähe bringt.

Deshalb dauert die Passion Jesu sofort dort fort, wo das Kreuz verdrängt wird.

Unsere Aufgabe kann nur sein, heute mutig diesen Weg der Passion zu gehen, wo er in unserer Welt gefordert ist.

Wenn jemand leidet, so leide er zur Ehre Gottes. Leidest du als Christ, so schäme dich nicht, sondern diene Gott mit deinem Namen.

Jesus sagt: Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen. Selig, glücklich, gepriesene Leute seid ihr, wenn ihr Widerspruch von dieser Welt erfahrt.

Uns ist viel daran gelegen, verstanden zu werden. Aber wenn wir am entscheidenden Punkt angelangt sind, dann kann es nur Widerspruch oder Nachfolge geben.

Keine unverbindliche Kompromisshaltung mehr!

Das Geschenk des Leidens und die Kraft des Geistes

Und auch der letzte Punkt, der mir wichtig ist: das Geschenk des Leidens, das Geschenk des Leidens!

Schleiermacher hat auf dem Höhepunkt des Kulturprotestantismus im letzten Jahrhundert gesagt: Jetzt liegen die Zeiten der Verfolgung um Jesu Willen endgültig hinter uns. Er war so glücklich, dass man im letzten Jahrhundert das Christentum durchdrängt hat mit Geisteswissenschaft, mit Theater, mit Welt und mit allen Dingen.

Er hat jedoch nicht erkannt, dass der Weg der Gemeinde Jesu weiterlief und dass die größten Verfolgungen in diesem zwanzigsten Jahrhundert noch kamen. Und das, was wir gegenwärtig erleben, ist wahrscheinlich nur ein kleiner Teil. Wir wissen, dass auch die Leiden noch nicht zu Ende sind in diesem Jahrhundert.

Aber dann wollen wir merken: Die Leidenden, die wir so gern verschweigen, die sind für uns die entscheidenden Zeugen. Für uns sind eigentlich sonst immer Leute imponierend, die groß in einer öffentlichen Ausstrahlung und in einer weiten Wirksamkeit als Christen tätig sind. Die imponieren uns heute in unserer freien Welt.

Doch hier im Wort Gottes werden uns Leute vorgestellt, die abgedrängt, totgeschwiegen und unterdrückt waren, die sogar verunglimpft wurden. Warum denn? In dieser menschlichen Ohnmacht, zu der sie verdammt sind, wirkt in ihnen dieses Geheimnis, dass der Geist Jesu auf ihnen ruht. Der Geist Jesu, der in den Bedrängten redet: "Sorgt euch nicht, was ihr reden sollt und wie ihr reden sollt, wenn ihr zur Verantwortung gezogen werdet. Eures Vaters Geist ist der in euch redet."

Und dieser Geist, der ein Geist der Herrlichkeit ist, ruht auf ihnen. Deshalb klage ich nie über die leidenden Christen. Ich finde in ihren Berichten dieses mutmachende Zeugnis darin, dass man mit hineingenommen wird, wie sie am Rande ihrer Kraft stehen und doch mutiger im Glauben sind als wir. Sie haben keinen Einfluss mehr, und doch öffnet ihnen Gott die Türen.

Man kann gegenwärtig sogar in den Gebieten der Verfolgung von einer Erweckung ohnegleichen reden. Sie werden beschimpft mit allen möglichen Vorwänden, und die entscheidenden Sachen, wegen denen sie angeklagt sind, werden verschwiegen. Trotzdem wissen die Menschen, worum es geht.

Ich darf Ihnen noch aus einem Prozess des Christen Jakob Pawlow in Taldikorgan in Kasachstan lesen. Er sagte in seinem Schlusswort an das Gericht in diesem Jahr:

"Beschämend ist zu sagen, dass man Gläubige deshalb verfolgt, weil sie als Zeugen für den lebendigen Gott auftreten. So werden gegen uns solche Anklagen fabriziert, die wir nach dem Geist unserer Überzeugung gar nicht tun dürfen. Wir dürfen keine lügnerischen Erfindungen verbreiten, weil Lüge Sünde ist. Und wenn wir von irgendetwas reden, dann reden wir von Dingen, die alle Leute sehen. Wir dürfen niemanden gewaltsam zum Glauben zwingen, auch keine Kinder. Wir legen nur von Gott Zeugnis ab. Den Weg aber müssen sie, die Kinder, selbst wählen, wenn sie erwachsen sind.

Ihr wisst es sehr genau, dass unsere Kinder, wenn sie den Weg des Glaubens gehen, nicht wegen Diebstahl verurteilt würden, nicht wegen Vergewaltigung oder Landstreicherei. Ihr wisst, dass kein praktischer Schaden dadurch entsteht, dass der Mensch an Gott glaubt. Dennoch regt es euch auf, dass die heranwachsende Generation auch an Gott glauben wird. Hier ist der wahre Grund, weshalb ihr uns verurteilt."

Und diesem Widerspruch weichen Sie nicht aus.

Ermutigung und Gebet für die leidende Gemeinde und die Nachfolge

Wir wollen daran denken, dass über dieser schwachen und ohnmächtigen Gemeinde der Sieg Jesu liegt. Ich sorge mich um unsere Gemeinde in der Freiheit, um unsere satte, reiche Gemeinde, die im Begriff ist, den großen Schatz zu verlieren: ihr Zeugnis vom lebendigen Herrn Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen.

Wenn wir mit der Gemeinde der Bedrängnis zusammenkommen, dann reden wir mit ihnen darüber. Wir rufen sie auf und sagen: Betet ihr für uns? Wir haben eure Gebete noch nötiger als ihr unsere. Ich weiß, dass viele für uns beten. Ich darf sie auch jetzt nur daran erinnern an einen Bericht, den ich eben bekommen habe, von der Christenheit in Kambodscha.

Diese umfasst nur sechstausend Glieder, also 0,01 Prozent der Bevölkerung. Dort schreibt ein Amerikaner, Don Cormark, der dort gearbeitet hat: Ich zweifle nicht daran, dass diese Zahl in Gottes Händen eine mächtige Armee darstellt. Trotzdem ist es eine ernüchternde Tatsache: Die spärlichen Nachrichten, die wir aus dem befreiten Kambodscha jetzt vernehmen, rauben uns den Atem.

Das neue Regime ist strenger und brutaler, als es die pessimistischen und auch realistischen Voraussagen vermuten ließen. Sogar die letzten Pläne der leitenden Brüder der Kirche, sich im Untergrund zu formieren, sind kaum verwirklicht worden. Die kambodschanischen Gläubigen sind jetzt sehr wahrscheinlich über das ganze Land zerstreut, getrennt von ihren Familien und Mitgläubigen, getrennt von ihren Gemeinden und abgeschnitten von Kontakten zu Christen im Ausland.

Sie sind ohne Literatur und wie ihre übrigen Volksgenossen strikten Kontrollen, Entbehrungen und erbarmungsloser Propaganda unterworfen. Der christliche Glaube und die Bibel werden zusammen mit der korrupten westlichen Kultur in einen Topf geworfen – in Anführungszeichen – und bekämpft, damit die neue revolutionäre Ordnung eingerichtet werden kann.

Wie leicht können wir diese kleine Herde vergessen, diese kleine Kirche, erwählt vor Zeiten, herausgerufen und gerecht gemacht, von Gott geliebt, gehegt und aufgebaut – trotz Bedrängnis und Verfolgung, trotz Gottlosigkeit der unrechtmäßigen Machthaber. Sie will Christus vollkommen, herrlicher und fleckenlos darstellen an jenem Tag, an dem kein Krieg, kein Hunger, kein Schmerz und keine Trennung mehr sein wird.

Brüder und Schwestern, lasst euch hineinnehmen in Gottes Absichten und Pläne für Kambodscha. Ich könnte Ihnen von Äthiopien lesen, von Versammlungen, die unter dem Druck junger Maoisten aufgelöst werden mussten. Ich könnte Ihnen von Schwierigkeiten in Mosambik berichten. Ich könnte Ihnen von einem Flughafentechniker in Casablanca erzählen, der mit einem Arbeitskollegen über Jesus redete und ihm schließlich eine Bibel schenkte. Dafür wanderte er ein halbes Jahr ins Gefängnis, weil es im Islam nicht möglich ist, Propaganda für das Evangelium zu machen.

Und nun fragen Sie: Was sind das für arme Leute? Das sind keine armen Leute. Das ist das Glück unseres Lebens, dass unser Herr uns in dieser Welt als Fremde hineinstellt, dass wir uns abheben sollten, dass unser Leben ein Kontrast sein sollte. Wir haben eine Hoffnung, nicht für diese vergehende Welt zu arbeiten, sondern Zeugen der kommenden Welt Gottes zu sein. Vergessen Sie diesen Auftrag nicht.

Und wenn Sie ganz allein stehen, wenn Sie angefochten und leidend sind, dann wissen Sie: Jesus will Ihnen den Geist der Herrlichkeit geben. Seien Sie nur mutig und kühn und wagen Sie das Größte für seine Sache. Amen.

Schlussgebet um Kraft und Treue in der Nachfolge

Herr Jesus Christus, du hast diesen Widerspruch ausgehalten, und Hass hat dich getroffen. Du warst der große Fremdkörper in dieser Welt, und darum wurdest du ausgestoßen und ans Kreuz gehängt.

Herr, wir wollen oft auf Kosten deines Evangeliums Kompromisse mit der Welt eingehen. Wir wollen dein eindeutiges Wort in ein zweideutiges umändern. Herr, vergib uns das. Vergib uns auch, wo wir dem Leiden um deines Willens ausgewichen sind, wo wir in zweideutige Dinge hineingeschlüpft sind, nur weil wir den eindeutigen Weg von dir verlassen haben.

Herr, wir danken dir für dein Wort, das uns sagt, dass Leiden Läuterung bedeutet und uns zum Wesentlichen führt. Wir wollen ein Ja sagen zur Passionsgemeinschaft mit dir. Ja, auch die Widerstände und Schwierigkeiten mit dir ertragen, die du uns in den Weg legst.

Wir bitten dich jetzt auch für die Brüder und Schwestern, die im Leiden sind, für die Christen und Gemeinden, die durch dieses Feuer hindurchgehen müssen, die einsam und allein sind. Doch bei ihnen bist du mit deinem Geist der Herrlichkeit. Richte sie auf und gib ihnen das mutige Zeugnis.

Du kannst auch durch verschlossene Türen hindurchbrechen. Du kannst an den Verfolgern dieses Zeugnisses so wirken lassen, dass sie zum lebendigen Glauben an dich kommen. Gib den Bedrängten das Herz voller Liebe, wie du Liebe hattest. Denn Liebe und Vergeben sind das einzige Zeugnis, das wir in der Bedrängnis geben können.

Wir bitten dich auch für die in unserer Mitte, die besonders leiden müssen, die durch schwere Zeiten in deiner Nachfolge gehen, die ganz besonders angefochten sind. Du möchtest sie in dieser Leidenszeit zum lebendigen, echten Glauben weiterführen, zu einer neuen Begegnung mit dir, Herr.

Lass auch unser Wort, das wir ihnen sagen, dazu dienen, dass sie im Glauben befestigt und gestärkt werden.

Herr, so sendest du uns in die Welt. Wir danken dir, dass wir in deinem Namen und im Wissen, dass du bei uns bist, hingehen dürfen und deine starke Hand uns hält.