Herzlich willkommen zum Podcast der EFH Stuttgart mit Thomas Powileit und Jörg Lackmann. Unser Podcast möchte zum praktischen Christsein herausfordern und zum theologischen Denken anregen.
Deutsche gelten als effizient, aber kalt. Ist das nur ein Vorurteil, oder steckt mehr dahinter? Wir diskutieren die Beobachtungen eines amerikanischen Missionars, der in Stuttgart tätig war. In vielen Begegnungen entdeckte er eine Not in Deutschland, die für ihn der Schlüssel zum Herzen der Deutschen war.
Jörg, gibt es so etwas überhaupt? So ist ja unser Podcast überschrieben, und du hast den Titel aus einem bestimmten Artikel übernommen. Aber gibt es wirklich einen Schlüssel, der zum Herzen aller Deutschen passt?
Ich weiß es nicht genau. Der Artikel heißt „Der Schlüssel zum Herzen der Deutschen“ und ist auf kfg.org zu finden, also bei der Konferenz für Gemeindegründung. Er stammt von Roger Pugh. Im Vorgespräch haben wir geklärt, dass du ihn auch kennst. Roger Pugh war von 1969 bis 1989 als Missionar in Deutschland, hauptsächlich in Stuttgart, tätig. In den Jahren danach war er oft als Gastredner zu Besuch.
Ich kenne ihn auch ziemlich gut. Ich war zwar nicht in seiner Gemeinde, aber in einer Schwesterngemeinde desselben Gemeindebundes. Er war auch der Deutschlandleiter der Mission. Ich kenne die Botschaft, die er sehr oft gehalten hat, unter dem Titel „Ungeliebte zu lieben“. So habe ich sie mir abgespeichert.
Beim letzten Mal hatten wir darüber gesprochen, wie wir in der Gemeinde Gemeinschaft fördern können, damit wir warmherziger und freundlicher werden. Dabei habe ich mir überlegt, was vielleicht Schwachpunkte bei uns sind. Und dann fiel mir dieser Artikel wieder ein – nach über dreißig Jahren.
Roger Pugh hat den Artikel vermutlich Ende der Achtziger oder Anfang der Neunziger geschrieben. In diesem Zeitraum habe ich ihn auch mehrfach über dieses Thema predigen hören. Es war ein Thema, das ihm sehr wichtig war und das er immer wieder ansprach.
Er kam damals darauf, weil er viel Seelsorgearbeit geleistet hat. Er war so ein Seelsorgetyp.
Ja, auf jeden Fall. Die meisten kennen ihn vor allem aus den Bereichen Ehe, Familie und Seelsorge. Ich kenne ihn eigentlich etwas anders, aber was ich von außen gehört habe, auch aus seinen Vorträgen, war er dort sehr engagiert. Er war ein liebevoller Mensch, dem die Menschen sehr am Herzen lagen und der seelsorgerlich tätig war.
Im Laufe der Jahre, nach etwa zehn Jahren Dienst, hatte er viele Begegnungen, vor allem mit zerrütteten Familien. Er sagte einmal: „Wir leben nicht im Urwald des Amazonas, aber wir leben im deutschen Urwald aus Zement, Asphalt und Backsteinen. Ein Urwald, in dem die Häuser außen sehr schön sind, aber drinnen in vielen Familien ein heilloses Durcheinander herrscht.“ Das war seine Erfahrung.
Als Amerikaner hatte er natürlich einen anderen Blick von außen. Ich erinnere mich, dass ich selbst einmal, als ich ein Missionsprojekt in Afrika besucht hatte, nach Deutschland zurückkam. Obwohl es nur ein paar Wochen waren, hatte ich einen Kulturschock. In Afrika, einem der ärmsten Länder der Welt, waren die Menschen arm, aber fröhlich. Ich war wirklich fröhlich.
Dann kam ich nach Deutschland zurück. Die Menschen hier waren alle gehetzt, mit grauen, blutleeren Gesichtern, ohne Freude. Dabei gab es hier Wohlstand ohne Ende. Das war schlimm und auch kalt im Vergleich. Solche Beobachtungen hat Roger Pugh gemacht – vor allem in der Seelsorge.
Er berichtet: „Ich lese jetzt einfach auch mal ein bisschen aus dem Artikel vor. An einem Sonntagnachmittag des Jahres 1980, er war zu diesem Zeitpunkt elf Jahre in Deutschland und acht Jahre in Stuttgart nach der Sprachschule, rief uns eine junge Frau an. Er nennt sie hier Elisabeth. Sie bat um Hilfe, weil sie sich das Leben nehmen wollte. Da sagte er: ‚Komm sofort zu uns!‘ Das hat sie dann auch gemacht.
Im Gespräch wurde deutlich, dass sie extrem unsicher und innerlich total verzweifelt war – logisch, deswegen ja ihre Selbstmordabsichten. Er weiß nicht warum, aber er fragte sie, ob ihr Vater ihr je gesagt hätte, dass er sie lieb habe. Sie antwortete mit einem zynischen Unterton: ‚Nein, natürlich nicht.‘
Er fragte weiter, ob ihr Vater ihrer Mutter in ihrem Beisein jemals Zuneigung gezeigt habe. Ob er gesagt habe, dass er sie liebe, ihre Hand gehalten, sie umarmt oder einen Kuss gegeben habe. Wieder war die Antwort: ‚Nein.‘
Das veranlasste ihn, wie gesagt, sehr viele Gespräche zu führen. Seitdem stellte er immer wieder dieselbe Frage – und hörte immer wieder dieselben Geschichten. Zum Beispiel eine Frau auf der Bibelschule. Er war ja auch oft in Bibelschulen unterwegs, das war in der deutschsprachigen Schweiz. Auch sie bat um ein Gespräch. Er stellte dieselben Fragen: ‚Hat dich dein Vater einmal umarmt? Hat er dir durch eine sanfte Berührung seine Liebe gezeigt?‘
Sie grub in ihrer Erinnerung und sagte, ja, ihre Mutter habe ihr einmal erzählt, dass ihr Vater sie als kleines Kind gehalten habe. Und es gab noch eine andere Gelegenheit: Sie war bei den Großeltern in einer anderen Stadt, hatte Besuch, und als sie mit dem Zug wieder zurückfuhr, holte er sie auf dem Bahnhof ab. Dann streckte er ihr die Arme entgegen und hob sie aus dem Zugabteil auf den Bahnsteig. Das war, soweit sie sich erinnern konnte, das einzige Mal, dass ihr Vater sie berührt hatte.
Sie sagte, das sei ein sehr schönes Erlebnis gewesen. Das ist ja wirklich krass. Wenn du das so erzählst – das ist seine Beobachtung –, dann fällt mir auch die Taufe des Herrn Jesus ein, wo Gott sagt: ‚Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.‘ Also Gott sagt zu seinem Sohn: ‚Ich habe dich lieb.‘ Und das fällt Vätern manchmal so schwer, das zum Sohn oder zur Tochter zu sagen, warum auch immer. Das war jetzt seine Entdeckung, die er gemacht hat.
Meinst du, das ist ein generelles Thema oder vor allem da, wo er unterwegs war, dass er das zufällig gesehen hat und vielleicht auch ein bisschen überinterpretiert?
Ja, das ist das, was wir diskutieren können. Ich habe mich daran erinnert, ich denke schon, dass das ein Thema ist, speziell auch für Deutsche. Da gehen wir vielleicht ein bisschen weiter, was er noch erlebt hat. Denn was ich mich erinnere, kommt dann in zwei Beispielen. Das ist zwar nicht alles, aber das ist, was mir hängen geblieben ist, wo ich dachte: ‚Oh, das scheint wirklich ein Problem zu sein, das nicht nur individuell ist, sondern die Deutschen, soweit man das sagen kann, mehr betrifft.‘ So würde ich das sehen.“
Er begann, diese Fragen in der Seelsorge zu stellen. 1980 gab es einen solchen Fall. Jetzt sind wir im Jahr 1985, fünf Jahre später. Er hatte einen Unterricht im Schwarzwald und sprach zum Thema Evangelisation. Warum genau, wusste er selbst nicht mehr. Es war nur eine Nebenbemerkung, die gar nicht geplant war. Doch er sagte: „Ich habe es noch nie öffentlich gesagt, aber darf ich es wagen, einige Beobachtungen über deutsche Familien weiterzugeben?“
Er berichtete, dass er als Gastarbeiter über sechzehn Jahre lang in Deutschland gedient hat. Dabei hat er mit Hunderten von Menschen gesprochen. In den Berichten von tausenden Stunden, in denen man ihn um Rat gefragt hatte, hörte er eine tragische Eintönigkeit in Bezug auf die Familiensituation heraus. Immer wieder das Gleiche: Die meisten Menschen haben weder die Worte „Ich liebe dich“ von ihren Vätern gehört, noch irgendeine Art von Zuneigung erfahren, sei es durch Umarmungen oder Küsse von ihren Vätern.
„Ich glaube, das ist ein nationales Problem, das große Auswirkungen auf unsere Diskussion über Evangelisation haben wird“, meinte er vor der Konferenz mit Pastoren und Mitarbeitern. „Wenn wir unseren Vätern und unseren Kindern nicht unsere echte Liebe zeigen können, wie können wir dann als Pastoren Gottes Liebe unseren Gemeinden und den verlorenen Menschen weitergeben?“ war seine Schlussfolgerung.
Das Interessante war die Reaktion darauf. Es war ja nicht geplant, doch dann begann es: Die nächsten zwei Stunden wurden wohl alle Planungen über den Haufen geworfen. Die Männer, die anwesend waren, erzählten einer nach dem anderen unter vielen Tränen ihre schmerzvollen Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugendzeit. Ein Pastor sagte zum Beispiel, er habe überhaupt keine Gefühle und könne sich nicht erinnern, jemals geweint zu haben. Die Seelsorge war sehr überwältigt von dem Schmerz, den sie da hörte.
Er erlebte das nicht nur in der Seelsorge, sondern auch hauptamtliche Mitarbeiter bestätigten ihm das genauso und sagten, es sei auch ihr Problem. Natürlich stellte er die Frage, wie man die Deutschen erreichen könne, denn es ging ja um Evangelisation. Es war ein Schlüsselerlebnis. Als er das erste Mal dort war, hatte ein amerikanischer Missionar gesagt: „Ich suche nach dem Schlüssel der Deutschen.“ Langsam meinte er, darauf zu kommen, was dieser Schlüssel sein könnte. Deshalb trägt dieser Artikel auch diesen Titel. Die Kreise haben sich dadurch geweitet.
Das ist sehr bewegend. Ich erinnere mich, dass ich ihm im Rahmen eines Gastbibelschulunterrichts zugehört habe. Damals war ich noch kein regulärer Schüler, sondern Gastschüler. Er sprach auch über diese Thematik, wenn ich mich richtig erinnere. Das fordert einen heraus, auch die eigene Geschichte zu reflektieren.
Bei meinem Vater war es so, dass er durchaus sehr emotional sein konnte. Wir kommen aus dem Osten, und wenn es um religiöse oder glaubensbezogene Dinge geht, ist man oft emotional. Aber er hat mir fast nie gesagt: „Ich habe dich lieb.“ Das habe ich eigentlich nie gehört. Einmal vielleicht, aber ich werde später noch einmal in einer passiven Formulierung darauf zurückkommen. Mir ist das auch bei den Beiträgen von Roger Pugh aufgefallen. Er hat da wirklich einen Punkt getroffen. Ich weiß nicht, ob es nur meine Generation betrifft oder auch die jetzige Generation. Das wäre eine spannende Frage. Auf jeden Fall trifft es unsere Generation und die vor uns.
Erzähle gerne weiter, was er noch für Entdeckungen gemacht hat.
Das Spannende war, dass er nach dem Schwarzwald wieder in den Heimatdienst in Amerika ging. Dann besuchte er Gemeinden und predigte überall „Loving the unloved“ – also die Ungeliebten zu lieben. Viele Menschen kamen danach auf ihn zu. Einer sagte zum Beispiel: „Du weißt gar nicht, was du heute Abend gesagt hast.“ Es war ein Amerikaner, der mit einer Frau aus der deutschsprachigen Schweiz verheiratet war. Er berichtete, dass seine Frau drei Wochen zuvor wegen Krebs operiert wurde. Und das war das erste Mal in ihrem Leben, dass ihr Vater sie umarmt hatte.
Als er diesen Zusammenhang erkannte, war ihm das eine große Hilfe. Es zeigte ihm, wie weit verbreitet dieses Problem in der deutschsprachigen Welt ist. Er berichtete auch über den typischen deutschen Vater. Das hat sich, denke ich, ein wenig geändert, aber ich relativiere das, bevor ich sage, was er damals beobachtet hat.
Er sagte, ein deutscher Vater liebe seine Kinder wirklich aufrichtig, aber er versuche immer wieder, sie mit negativen Vergleichen zu fördern. Nicht mit positiven Worten wie „Das machst du gut“, sondern der durchschnittliche deutsche Vater benutze viele negative Ausdrücke und könne seine Liebe nicht stark ausdrücken.
Er hatte den Eindruck, dass wir in Deutschland eine unverhältnismäßig hohe Zahl von eingefleischten Perfektionisten haben. Deshalb bat er in der Gemeinde darum, dass man mehr Liebe zeigen solle. Das sei eine Not, die er im größeren Rahmen erkannt habe.
Und wo sieht er die Ursachen für dieses Defizit, diese Haltung – wie immer man das nennen möchte?
Er berichtete damals, dass wir als Deutsche eine ungeliebte Nation sind, wegen Nazideutschland. Er konnte perfekt Deutsch sprechen, hatte zwar einen Akzent, doch als Ausländer hörte man nicht, dass es kein Dialekt war. Ansonsten sprach er ein einwandfreies Deutsch. In Frankreich, der Schweiz oder Holland erlebte er es jedoch, dass er sehr unhöflich behandelt wurde, wenn er auf Deutsch angesprochen wurde. Das war vor etwa vierzig Jahren. Ich glaube, inzwischen hat sich das gewandelt und ist nicht mehr so stark ausgeprägt.
Doch es gibt noch etwas anderes, und da sind wir jetzt an dem Punkt, den ich vierzig Jahre lang im Kopf behalten habe. Er sprach auch mit Menschen in seinem Heimatdienst. So kam zum Beispiel ein Mann namens Schwarzwalder auf ihn zu. Schwarzwalder – also ein deutschstämmiger Klavierbauer, vierte Generation in Amerika. Er konnte selbst kein Deutsch, erzählte ihm aber, dass er in seiner Botschaft seinen Vater so realistisch beschrieben habe, als hätte er ihn zehn Jahre lang gekannt. Und das nach vier Generationen, nicht nur vier Jahrzehnten.
Er war auch in Ungarn und hörte von einer deutschstämmigen Frau, die dort als Minderheit aufgewachsen ist, dieselbe Geschichte. Sie sagte, dass sie zum ersten Mal wirklich Freundlichkeit und Warmherzigkeit unter Ungarn erfahren habe, nicht unter Deutschen. Ähnliches hörte er aus Rumänien. Deutschstämmige, die seit Generationen dort lebten, meldeten ihm überall zurück, dass sie dasselbe Problem hätten: eine gewisse Kälte, eine fehlende Fähigkeit, Liebe wirklich warmherzig auszudrücken. Auch Minderheiten im Ausland, die seit Generationen aufwuchsen, berichteten dasselbe.
Das hat sich damals bei mir festgesetzt, und ich denke, dass er da schon einen wichtigen Punkt getroffen hat. Man kann diskutieren, was sich heute daraus entwickelt hat. Vielleicht hat sich einiges verändert.
Eine Geschichte muss ich noch erzählen, bei der ich weinen musste: In Stuttgart kam ein Mann zu ihm, der einen Termin hatte, und sagte, er habe die Worte „Ich habe dich lieb“ von seinem Vater nie gehört. Er habe auch nie Zuneigung von ihm gezeigt bekommen. Das einzige Mal, an das er sich erinnern könne, dass sein Vater seine Mutter berührt habe, war, als sie im Sarg lag und er seine Hand auf sie gelegt hatte. Da musste ich weinen.
Ein anderer Mann kam auf ihn zu und sagte: „Ich bin so aufgewachsen, preußisch-militärisch: Männer zeigen keine Gefühle, Männer weinen nicht, Männer sind hart wie Kruppstahl.“ Das war ein älterer Mann. Ich glaube, das relativiert sich heute ein wenig. Aber ich bin ja auch von dort hergekommen.
Wir wollen als Gemeinde warmherziger werden, mehr Gemeinschaft leben. Wenn man uns in der Welt vergleicht: Wenn du eine Party feiern willst, holst du vielleicht nicht unbedingt die Deutschen. Die Deutschen holst du, wenn du eine Brücke bauen willst und sie sicher sein soll. Dann wird ein deutscher Ingenieur geholt. Aber wenn du Warmherzigkeit oder andere Dinge suchst, gehst du eher nach Lateinamerika oder in die mediterrane Welt – nicht unbedingt nach Deutschland. Da ist, glaube ich, schon etwas Wahres dran.
Ihm war das wirklich sehr wichtig, basierend auf den tausenden Stunden in Seelsorgegesprächen, in denen er in die Not der Menschen hineingeschaut hat. Wir hatten es mit Selbstmord, Depressionen und anderen Problemen zu tun. Er hat es weltweit festgestellt – das ist jetzt mal seine Analyse.
Doch besonders bei Deutschstämmigen fiel ihm auf, dass man quasi dieses „Gen“ mitnimmt und so seine Kinder erzieht. Es gibt eine gewisse Unfähigkeit, Gefühle zu äußern, Liebe dem anderen deutlich zu zeigen oder Ähnliches.
Trotzdem – so wie ich Roger Pugh kenne, ist er, wie du vorhin sagtest, ein sehr freundlicher Mann, von dem man spürt, dass Liebe von ihm ausgeht. So habe ich ihn kennengelernt. Das war auch etwas, was er gerade bei dieser Thematik sehr stark betont hat: die Zentralität dieses Liebesgebotes.
Er ist natürlich nicht nur beim Negativen stehen geblieben, sondern hat sich gefragt: Was ist denn jetzt der Schlüssel? Und der Schlüssel ist Liebe – ganz einfach. Er hat dabei Matthäus 22 studiert, das Doppelgebot der Liebe, in dem gesagt wird, dass wir Gott lieben sollen und unseren Nächsten lieben sollen. Dabei hat er erkannt, dass wir eigentlich – er hat es so ausgedrückt – Knechte Gottes sind, die ihm ein Beispiel geben sollen, wie man Gott liebt und wie man Menschen liebt.
Unser Dienst, sei es als Pastor oder als Gläubige, besteht darin, anderen Menschen zu helfen, dass sie Gott lieben und den Nächsten lieben. Das kann man natürlich nur in Gottes Kraft tun. Ihm wurde dieses Liebesgebot besonders wichtig, denn in diesem Doppelgebot steht ja auch: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, mit deinem ganzen Denken, deiner ganzen Kraft, und deinen Nächsten wie dich selbst. Daran hängen alle Gesetze.
Das war für ihn sehr wichtig. Er sagte, die Gesetze sind natürlich wichtig, aber das ist das Zentrale an dem Ganzen. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Wenn du alles andere nicht hast, bringt es nichts. Er hat auch den ersten Korintherbrief Kapitel 13 zitiert. Dort steht: Wenn du Märtyrer bist, wenn du großzügig bist, wenn du die tollsten Gaben hast, und keine Liebe hast, bringt das alles nichts. Sechs Dinge werden dort genannt, die ohne Liebe nichts nützen.
Er hat das alles zusammengebracht und gesagt: Wenn das so eine große Not ist, die ich immer wieder auf der ganzen Welt bei Deutschstämmigen merke, und das das größte Gebot ist, dann muss man dieses größte Gebot vorleben, lehren und praktisch wirklich umsetzen.
Und da liegt natürlich das große Problem: Wie machst du das bei Leuten, die das nicht können? Das ist die spannende Frage. Wie gesagt, ich muss doch keinem Mexikaner erklären, dass er mich zur Begrüßung umarmt, mich gastfreundlich einlädt und mir etwas kocht.
Bei Deutschen ist das anders: „Guten Tag, Herr Ruh“, oder auch bei den Schweizern – die wollen wir gleich mit reinnehmen, die Schweizer, die zuhören. Bei Österreichern weiß ich gar nicht so genau, ob das auch so ist. Von Schweizern habe ich es jedenfalls gehört.
Er hat das natürlich gelehrt und gelebt. Also klar, er lebt das erst mal selbst vor, aber er hat es auch ganz klar gelehrt. Und dann sind Dinge passiert. Zum Beispiel in seiner Gemeinde: Eine Bibelschülerin – ich meine sogar, sie zu kennen, weil die Gemeinde nicht viele Bibelschüler hat, aber das ist nur für mich interessant – sie hat mal gesagt, dass ihr Vater ihr diese Liebe nie gezeigt hat. Sie hat es dann aber umgekehrt und ihm einfach herzliche Liebe gezeigt. Sie hat ihn umarmt und ihm gesagt, dass sie ihn liebt.
Das hat das Verhältnis total verändert, als sie diese Initiative ergriffen hat. Natürlich muss man sich da überwinden, weil das ja nicht in einem drinsteckt. Am Anfang kommt einem das total überzogen und verrückt vor. Man denkt: „Das geht nicht, das fühlt sich nicht richtig an.“
Er hat es dann immer mehr versucht, diesen Schlüssel, den er als den Schlüssel zu den Deutschen sah, denen er dienen wollte.
Ich lese jetzt mal einen Abschnitt vor, der beschreibt, was das praktisch bedeutet.
Ich wollte zuhören, ohne zu verurteilen, wenn jemand Sünde bekannte oder mit einer Sünde kämpfte, die ihn tief beschämte. Dabei wollte ich die Person zur wunderbaren Vergebung in Christus führen. Das bedeutete, während ich ihm die Hand gab, berührte ich seinen Arm oder klopfte ihm auf die Schulter. Dabei betete ich, um die Gelegenheit zu erhalten, ihn herzlich zu umarmen. Immer wieder schuf Gott so Möglichkeiten praktischer Liebe.
Harte Herzen wurden weich, und oft füllten sich ihre Augen mit Tränen. Tiefe Bande wuchsen zwischen uns. Eines Sonntags zum Beispiel, noch vor dem Gottesdienst, kam ein jung bekehrter Mann auf Roger zu. Dieser hatte ein sehr schwieriges Verhältnis zu seinem Vater. Gott hatte Roger in der Woche zuvor oft dahin geführt, für diesen jungen Mann zu beten, bevor der Sonntagmorgen kam.
Sie setzten sich zusammen. Roger kniete vor dem jungen Mann auf den Boden, sagte ihm, wie viel er für seinen Vater gebetet hatte, und fragte, wie die Dinge jetzt standen. Er sagte dem jungen Mann auch, dass er ihn liebt. Beim Abschied legte Roger bewusst die Hand auf dessen Schulter – zunächst nur auf die Schulter. Später erzählte der junge Mann, dass dies das wichtigste Ereignis seines Lebens gewesen sei: der Tag, an dem Roger ihm die Hand auf die Schulter legte und sagte: „Ich habe dich lieb.“
Das führte schließlich dazu, dass der junge Mann seinem Vater für all die Verletzungen vergeben konnte. Natürlich war das ein Prozess. Doch er konnte seine Liebe zum Vater in Worten und Berührungen ausdrücken. Man sieht hier, dass Roger seine Erfahrungen für einen größeren Kreis aufgeschrieben hat. Die Konferenz für Gemeindegründung hat den Artikel nicht umsonst nach 40 Jahren noch auf ihrem Server. Die meisten Artikel sind verschwunden, dieser ist noch da.
Ganz einfach: Er betete darum, eine Gelegenheit zu bekommen, jemanden zu umarmen oder einfach nur die Hand auf die Schulter zu legen. Das sind wirklich die absoluten Basics. Denn wenn jemand das nicht kann, muss man wirklich ganz von vorne anfangen. Einfach mal sagen: „Ich habe dich lieb.“ Das ist schon eine schwere Aussage. „Ich mag dich“ – so würden die Bayern sagen, denn sie sagen das auch nicht oft, sie mögen meist nur. Und das hat total viel verändert.
Eine kleine Sache, nur eine Berührung. Am Anfang ist eine Umarmung für manche zu viel, deswegen begann Roger mit der Hand auf der Schulter. Ich erinnere mich, dass Roger Pudis auch sehr stark betont hat: Wenn du so etwas nie erlebt hast, dann mach es selbst. Das war für mich persönlich eine Herausforderung. Ich habe es dann tatsächlich bei meinem Vater umgesetzt. Am Anfang fühlte es sich nicht gut an, sozusagen. Aber dahinter kommt eine Seele hervor, da reißt etwas auf.
Mein Vater konnte das von sich aus nicht so äußern. Ich erinnere mich, als er seine große Herz-OP hatte, dass er es passiv formulierte. Soweit ich weiß, waren mein Bruder und ich an seinem Bett, und er sagte: „Ich habe liebe Söhne.“ Er konnte nicht sagen: „Ich habe euch lieb.“ Im Nachhinein dachte ich, es war auch die Generation, die sehr viel Leid gesehen hat. Es hat sich eine Art Hornhaut auf der Seele gebildet.
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt, den du auch nennst: Auch wenn der andere – ob es nun mein Vater oder jemand anders ist – mir nicht mit Liebe entgegenkommt, ist es Gottes Gebot, es trotzdem zu tun. Das ist, glaube ich, sehr wichtig.
Lest den Artikel nach. Ich kürze ihn jetzt ein bisschen, weil wir sonst aus der Zeit laufen, wenn ich alles bringe. Immerhin sind es zehn Seiten. Vielleicht findet ihr auch eine Predigt dazu. Ich habe nicht danach gesucht, weil ich es versäumt habe, was ich im Kopf hatte. Vielleicht sollte man mal auf crossload.de.org nachsehen. Es könnte sein, dass dort etwas zu finden ist. Ich habe die Predigt wahrscheinlich sogar noch als Kassette irgendwo im Keller. Aber ich habe die Hauptsachen noch ziemlich im Kopf, auch nach all der Zeit.
Theologisch hat Roger auch Folgendes gesagt: Liebe ist nicht nur ein Gefühl. Wenn ich Gott liebe, bedeutet das auch Hingabe, Reinheit und Sündenvergebung. Wie kannst du Liebe geben? Erstmal lieben wir, sagt 1. Johannes 4,19, weil er uns zuerst geliebt hat. Gott liebt uns zuerst.
Er gab Bibelschülern zum Beispiel die Aufgabe, aufzuschreiben, was sie an Gott lieben. Meist war nach fünf Worten Schluss. Dann war die Aufgabe, dreißig oder mehr aufzuschreiben – einfach um das zu lernen. In der Bibel heißt es ja auch: Wem viel vergeben wurde, der liebt viel. Wenn man merkt, wie sehr Gott uns die Sünden vergeben hat, wird man dankbarer und fähiger dazu.
Roger sagte, das fühlt sich oft falsch an, so wie du es gerade gesagt hast. Aber es ist eben auch ein Gebot. Er war da ziemlich strikt. Er hörte oft Dinge wie: „Ich kann niemals zu ihm hingehen und mit ihm reden. Ich könnte niemals einfach an seine Tür klopfen und fragen, ob sie Zeit für mich hat. Ich finde es absonderlich, dem Nachbarn einen Teller Kekse als Willkommensgeschenk zu bringen. Die würden denken, ich will sie vergiften. Ich umarme niemanden. Ich habe niemals das Bedürfnis verspürt, jemanden zu umarmen, und ich werde jetzt auch nicht damit anfangen. So bin ich eben.“
Roger war strikt dagegen, dass man so bleiben müsse. Nein, weil es ein Gebot ist, nicht nur ein Gefühl. Wenn man Gehorsam lebt und vor der Liebe Gottes lebt, kann man das überwinden.
Das waren einige theologische Punkte zum Aufbau. Es ist schon eine Weile her, dass er das geschrieben hat, aber wir merken: Gottes Wort, daraus schöpft er ja, ist immer aktuell.
Er sagt: Mach’s einfach! Leg die Hand auf die Schulter, umarme die Leute und bete innerlich dafür.
Er hat noch die fünf Sprachen der Liebe, die er erweitert hat. Ich möchte diese nur ganz kurz anreißen, man kann sie auch nachlesen. Damals war das Konzept von Gary Chapman noch frisch. Heute gibt es, wie viele Bücher dazu? Zwei Dutzend, die alle gut sind, denke ich mal. Ich kenne ein Hauptbuch und noch ein zweites, in dem Liebe einfach praktisch gemacht wird.
Die Hauptthese von den fünf Sprachen der Liebe ist, dass jeder Liebe anders empfindet. Manche mögen zum Beispiel die Worte „Ich liebe dich“. Anderen sind diese Worte nicht egal, aber sie sagen: „Hilf mir beim Abwasch“ oder „Reparier mal das, was da unten kaputt ist“. Dann kannst du sagen, dass das für dich ein Zeichen der Liebe ist. Wenn du mir schmeichelst, aber nichts für mich tust, reagiere ich anders. Jeder reagiert anders.
Chapman sagt, es gibt verschiedene Sprachen der Liebe. Man muss herausfinden, welche Sprache der andere spricht, und dann entsprechend handeln. Berührung kann eine dieser Sprachen sein. Wenn jemand nicht so sehr die Sprache der Berührung spricht, würde ich es trotzdem machen, aber dezenter. Man muss dann nicht gleich voll umarmen und links und rechts küssen.
Ich habe beim letzten Mal dem Bruder Kass bei der Verabschiedung eine Umarmung vorgeschlagen. Das wurde von allen anderen Brüdern abgelehnt. Ich war der Einzige, der diese Idee hatte. Dabei ist das biblisch, es steht in der Bibel drin. Natürlich dränge ich das bei uns Deutschen nicht auf, habe ich auch noch nicht gemacht, ganz ehrlich. Aber es steht in der Bibel und ist schon interessant. Die Orientalen waren da, glaube ich, ein bisschen lockerer und barmherziger.
Die fünf Sprachen sind also: Worte, Taten, Berührung, Zeit, die man miteinander verbringt, und Geschenke. Das habe ich mitbekommen: In asiatischen Kulturen sind Geschenke total wichtig, bei uns eher nicht. Chapman hat noch zwei weitere Sprachen hinzugefügt: Vergebung – das hat Roger Pugh ergänzt – und Zucht. Das fand ich total interessant.
Er sagt, der Ausdruck von Liebe bewegt sich in einer Spanne von Zärtlichkeit bis Härte. Das bedeutet, man muss auch Leute ermahnen. Heute gibt es meiner Meinung nach eine Bewegung, bei der Liebe zwar ausgedrückt wird, aber man zur anderen Seite geht und gar nicht mehr ermahnen kann. Doch er sagt, beides ist notwendig. Ermahnen ist auch Liebe. Man kann Menschen nicht einfach machen lassen, was sie wollen, sondern muss sie auch korrigieren.
Bei Paulus war das Korrigieren, das auf den ersten Blick hart klingt, immer mit Tränen verbunden. Das ist das Geheimnis. Viele Menschen haben ein Defizit in sich, weil sie nie wirklich geliebt wurden. Sie sind dann total anders und lassen alles laufen. Ich denke, das ist letztlich nicht liebevoll. Man muss manchmal auch sagen: Hier gibt es eine Grenze, das ist falsch – aber immer mit einem liebenden Herzen.
Das war Chapman damals schon ganz wichtig. Ich glaube, er hat eine Entwicklung gesehen, die wir in den letzten Jahren sehr stark beobachten können. Das Pendel ist, glaube ich, zur anderen Seite ausgeschlagen. Ich denke, heute ist es besser, habe ich den Eindruck. Aber ich glaube, da steckt noch etwas in uns drin.
Deshalb wollte ich das als Diskussionsbeitrag in diesem Podcast bringen, damit man mal darüber nachdenkt: Ist das heute noch so? Empfinde ich das auch so? Ist das in meinem Leben? Denn klar, wie wir bei den Leitern gesagt haben: Wie willst du als Pastor Menschen zur Liebe hinführen, wenn du selbst dieses Defizit in dir hast? Als Hauskreisleiter, als Vater? Da darf aber Gott Vergebung schenken, da darf Gott auch Liebe schenken, damit wir frei werden und die ersten kleinen Schritte mit seiner Hilfe machen können.
Es geht darum, sehr bewusst zu sagen: Egal, was ich fühle, Gott will es, und deshalb möchte ich mich von ihm gebrauchen lassen. So, wie er es beschrieben hat. Ich glaube, diese Spannung zwischen „nicht sich selbst vergewaltigen“ – ich sage es mal so – was nicht geht, aber trotzdem den Schritt wagen, weil es nicht angenehm ist und schwierig sein kann, ist wichtig. Wenn etwas über Jahrhunderte tief in einer Kultur verwurzelt ist, ist es schwierig, das zu überwinden.
Deshalb war Chapman, glaube ich, sehr stark darin, das auch als Gebot zu sehen. Es gehört ein Stück weit zu unserer Kultur, und es gibt wenig Vorbilder. Aber man kann einfache Schritte machen. Er hat viel erlebt, wo Dinge aufgebrochen wurden, wo Vergebung kam und alles hochkam. Das haben wir ja an ein paar Beispielen gehört. Das fand ich sehr ermutigend.
Ich dachte, in dem Prozess, in dem wir gerade als Gemeinde sind, kann das ein kleiner Beitrag zum Nachdenken sein. Schön, Jörg, dass wir wieder neu darüber nachgedacht haben. Das war vielleicht auch ein gutes Schlusswort von dir.
Das war jetzt schon wieder der Podcast der evangelischen Freikirche Evangelium für alle in Stuttgart. Noch eine Frage: Wie war es bei dir? Hat dein Vater zu dir gesagt: „Ich habe dich lieb“? Da müsste ich nachdenken. Aber wenn manche Hörer das nicht sagen können, möchte ich sie wirklich motivieren, auch wenn es schwerfällt, doch mal damit anzufangen, es ihm zu sagen.
Mit dieser Herausforderung entlassen wir euch. Und ihr wisst ja: Wenn ihr Fragen habt, über die wir sprechen sollen, oder Anmerkungen zum Podcast, schreibt uns unter podcast@efa-stuttgart.de. Wir wünschen euch Gottes Segen. Liebt den anderen! Daran sieht man, dass du zu Jesus gehörst.