I. Die Hilfe zu einem gesunden Selbstbewusstsein
Jesus besuchte zum letzten Mal vor seiner Hinrichtung Kapernaum, die Ortschaft, wo er zu Hause war. Es war kurz vor dem Passahfest, also ungefähr. einen Monat bevor Jesus verurteilt und am Kreuz für unsere Schuld starb. Jedes Jahr wurde zu dieser Zeit, also vor dem Passahfest, die Tempelsteuer einzogen. Verpflichtet zur Abgabe der Tempelsteuer war jeder zwanzigjährige männliche Jude ganz gleich, ob er in Israel oder im Ausland lebte. Im Buch Nehemia finden wir eine Aufzeichnung, die uns Einblick in die Verwendung dieser Steuer gibt, man brauchte sie: für die geweihten Brote, die regelmässigen täglichen Speise- und Brandopfer, für die Opfer am Sabbat, am Neumondstag und an den anderen Festtagen, für die geweihten Gaben und für die Opfer, die die Schuld Israels wegnehmen sollen, und für alle Dienste am Tempel unseres Gottes. (Nehemia 10, 34)
Also, sie diente zur Aufrechterhaltung des Gottesdienstes. So wie wir Geld zusammenlegen, damit wir das Gemeindeleben finanzieren können. Es handelt sich hier übrigens nicht um den Zehnten. In Israel gab es verschiedene Abgaben, die man tätigen musste, die Tempelsteuer war einfach eine davon. In allen Ortschaften waren Leute unterwegs, die diese Steuer einzogen, natürlich auch in Kapernaum. Es war also ganz normal, dass diese Leute Petrus auf die Steuer angesprochen hatten: Es traten die Männer, die die Tempelsteuer einzogen, an Petrus heran und fragten: "Zahlt euer Meister eigentlich keine Tempelsteuer?" Matthäus 17, 24.
Petrus, dem diese Steuer natürlich bekannt war, musste nicht lange darüber nachdenken, sondern antwortete sofort: "Doch!" Matthäus 17, 25. Es war für ihn offenbar keine Frage, ob Jesus diese Steuer bezahlen wird. Jesus hatte mitbekommen, was sich eben abgespielt hatte. Bevor Petrus Jesus über diese Begegnung berichten konnte, fragte ihn Jesus: "Was meinst du, Simon, von wem erheben die Könige dieser Erde Zölle und Steuer? Von ihren eigenen Söhnen oder von den anderen Leuten?" Matthäus 17, 25. Auch die Antwort auf diese Frage fiel Petrus leicht, schliesslich wusste das jedes Kind: "Von den anderen Leuten." Matthäus 17, 26. Darauf erwiderte Jesus: "Also sind die Söhne davon befreit." Matthäus 17, 26. Trotzdem, soll sich Petrus dann aufmachen, um die Steuer zu Zahlen, denn, das hatte Jesus damit deutlich gemacht, war weder er, noch Petrus verpflichtet, diese Steuer zu zahlen. Jesus wollte Petrus aufzeigen, wie absurd es ist, dass sie Tempelsteuern bezahlen müssen. Jesus, als Sohn Gottes, müsste für den Palast seines Vaters eigentlich keine Steuern zahlen. Das wird nirgends so praktiziert. Als Jesus zwölf Jahre alt war, konnte Maria Jesus auf der Rückreise vom Passahfest nicht mehr finden. Sie suchte ihn verzweifelt und fand Jesus schliesslich im Tempel. Erschöpft sagte sie zu Jesus, warum er das ihnen angetan hätte, die Ängste und Verzweiflung, die sie durchmachen mussten. Jesus antwortete darauf: "Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?" Lukas 2, 49. Jesus war sich sehr wohl bewusst, wer er war und wohin er gehörte. Jedoch hatte Petrus das noch nicht wirklich begriffen. Eigentlich hätte Petrus auf die Frage, ob Jesus die Tempelsteuer bezahle, ganz anders reagieren können. Er hätte den Frager erstaunt anschauen können und fragen: Wieso soll Jesus Tempelsteuer bezahlen? Es war doch Petrus, der nicht lange vorher Jesus bezeugte: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!" Matthäus 16, 16. Später sah Petrus Jesus in seiner Herrlichkeit auf dem Berg der Verklärung und er hörte eine Stimme, die aus den Wolken kam und über Jesus bezeugte: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe." Matthäus 17, 5. So gesehen, war es gar nicht so selbstverständlich, dass Petrus den Leuten, die die Tempelsteuer eintrieben, sagte, Jesus würde die Steuer bezahlen. Hätte er begriffen, wer Jesus ist, hätte er den Leuten gesagt: Nein, wieso soll er die Tempelsteuer bezahlen, er ist der Sohn Gottes – wisst ihr das nicht?
Besonders interessant für uns ist, dass Jesus Petrus einbezieht. Jesus spricht hier in der Mehrzahl, von den Söhnen. Das ist sehr erstaunlich. Petrus müsste – so denke ich, meinte es Jesus – auch keine Tempelsteuer mehr entrichten. Das wird zusätzlich dadurch verdeutlicht, dass der Fisch die Steuer für beide hervorbringt. Jesus zeigt damit Petrus, wie ernst er seine Stellung nimmt. Wie ernst er es meinte, als er sagte: "Wer den Willen meines Vaters im Himmel tut, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter." Matthäus 12, 50. Petrus war sich offensichtlich noch nicht im Klaren, wer er eigentlich war. Er hatte sich nicht richtig wahrgenommen. Sein Selbstbewusstsein war gestört. Jesus hatte das nun zurechtgerückt. Jesus verhalf ihm zu einem gesunden Selbstbewusstsein. Das Problem, das Petrus hier hat, ist oft unser Problem. Wir haben ein gestörtes Selbstbewusstsein. Weil wir es nicht erfassen, was Jesus aus uns gemacht hat. Oder ich kann es noch etwas provokativer sagen: Weil wir nicht wirklich glauben, was Jesus aus uns gemacht hat. Wir leiden dann unter mangelndem Selbstbewusstsein. Johannes schrieb in seinem Brief: Seht doch, wie gross die Liebe ist, die uns der Vater erwiesen hat: Kinder Gottes dürfen wir uns nennen, und wir sind es tatsächlich! 1. Johannes 3, 1. Es ist so unfassbar, dass wir Kinder Gottes sind, wir wagen es kaum zu glauben.
Jesus verhalf Petrus durch diese Lektion, damit er realisieren konnte, wie ernst das mit der Gotteskindschaft gemeint ist. Ich bin überzeugt, dass wir uns nicht intensiv mit unserem Selbstwertgefühl beschäftigen müssen. Meistens suchen wir den Wert am falschen Ort, nämlich in uns selbst. Viel wichtiger ist ein gesundes Selbstbewusstsein, dass wir wissen, wer wir sind. Das gibt uns den Wert, den wir suchen. Was Gott aus mir gemacht hat, macht mich wertvoll. Johannes kann das nicht genug betonen: Ja, liebe Freunde, wir sind Gottes Kinder, wir sind es hier und heute. 1.Johannes 3, 2. Wenn wir wissen, wer wir sind und wohin wir gehören, dann sind wir in der Lage uns darüber zu freuen und wir sind in der Lage dafür zu leiden.
Bibelstellen zum Nachschlagen:2. Mose 30, 12-16; Nehemia 10, 33-34; Matthäus 5, 9; Matthäus 12, 49-50; Matthäus 16, 16; Matthäus 17, 5; Lukas 2, 49; 1. Johannes 3, 1-2
II. Der Verzicht auf eines der Privilegien
Nun gibt Jesus Petrus eine interessante Anweisung: "Damit wir ihnen aber keinen Anstoss geben, geh an den See und wirf die Angel aus." Matthäus 17, 27. Jesus verzichtete bewusst auf ein Privileg, das ihm eigentlich zustehen würde, denn er war nicht verpflichtet, diese Steuer zu bezahlen. Doch wollte er – wie er sagte – keinen Anstoss erregen. Das finde ich sehr beachtenswert. Hatten wir doch letzten Sonntag gesehen, wie die Jünger besorgt Jesus fragten: "Weisst Du, dass die Pharisäer an diesem Wort Anstoss genommen haben?" Matthäus 15, 12. Jesus wusste das und es machte ihm nichts aus, er nahm es in Kauf, dass sie an seinen Äusserungen Anstoss nahmen. Jesus ist ja bis heute für die meisten Menschen ein Anstoss. Sie ärgern sich über ihn, jedenfalls über den unveränderten Jesus, wie wir ihn in den Evangelien kennen lernen. Es ist unvermeidlich, dass man an Jesus Anstoss nimmt. Entweder lebt man mit Jesus, oder man zerbricht an ihm, wie Paulus dies aus dem Propheten Jesaja zitierte: "An dem Grundstein (Jesus), den ich in Zion lege, wird man sich stossen; er ist ein Fels, an dem man zu Fall kommen wird. Aber wer ihm vertraut, wird vor dem Verderben bewahrt werden." Römer 9, 33. Jesus war sich dessen bewusst, dass er für viele Menschen zum Anstoss wird und er wusste auch, dass er deshalb bald sterben wird. Warum sagte Jesus hier – in dieser Situation –, dass er keinen Anstoss erregen möchte? Jesus unterschied offensichtlich Situationen in denen einem nichts anderes übrig bleibt, als Anstoss zu erregen und Situationen, für die es sich nicht lohnt.
Bei der Tempelsteuer war Jesus der Meinung, dass es sich nicht lohnen würde. Es wäre eine unnötige Provokation gewesen, deswegen wollte er diese Provokation vermeiden. Denn wenn er diese Tempelsteuer bezahlte, obwohl er sie nicht bezahlen müsste, versündigt er sich nicht. Er kann freiwillig auf seine Privilegien verzichten. Niemand kommt dadurch zu Schaden und Gottes Ehre bleibt erhalten. Ganz anders verhält es sich bei der Situation, die wir letzten Sonntag miteinander betrachtet haben. Jesus musste diesen Leuten deutlich aufzeigen, wie sie Gottes Gebote mit Füssen traten und sie dadurch ein ganzes Volk in die Irre führten. Hier konnte Jesus nicht schweigen, um keinen Anstoss zu erregen. Hier musste die Wahrheit in aller Deutlichkeit gesagt werden, egal wer deswegen Anstoss nehmen wird. Doch bei der Tempelsteuer wollte Jesus nicht provozieren. Die Leute sollten sich nicht darüber ärgern, dass er die Tempelsteuer nicht zahlte. Damit sie nicht vor lauter Ärger das Wichtigste nicht mehr erkennen konnten, nämlich, dass er der Messias ist. Jesus wollte nicht, dass es deswegen Leute gibt, die meinten, er hätte sich gegen Gott versündigt und er würde zu Recht gekreuzigt. Die Leute, die die Tempelsteuer eintrieben, waren keine Gelehrte, die Jesus eine Falle stellen wollten. Sie machten einfach ihren Job. Jesus wollte ihnen keinen unnötigen Stolperstein legen. Er wollte keinen Anlass dazu geben, dass sie später wegen dieser Erfahrung nicht zu ihm finden würden.
Er wollte eine unnötige Provokation vermeiden. Das wird auch von uns gefordert und Jesus gab uns hier ein Beispiel dafür. Paulus sagte das so: Wenn es möglich ist und soweit es an euch liegt, lebt mit allen Menschen in Frieden. Römer 12, 18. Wenn es möglich ist. Es ist nicht immer möglich. Besonders schwierig wird es, wenn es um die Wahrheiten des Evangeliums geht, dann ist das nicht immer möglich. Dann werden wir oft als Störenfriede wahrgenommen. Menschen, die den scheinbaren Seelenfrieden der anderen stören. Aber soweit es an uns liegt, sollen wir mit den Menschen in Frieden leben. Wir sollen auch bereit sein, auf Privilegien zu verzichten, um den Frieden zu waren. Wir dürfen niemandem unnötige Hindernisse auf dem Weg zu Jesus legen. Wir sollen ganz bewusst auch auf Privilegien und Rechte, die uns zustehen, verzichten. Das fordert Paulus auch in ganz praktischen Dingen des Glaubenslebens, sogar für Situationen unter Gläubigen. Deshalb ist es am besten, du isst kein Fleisch und trinkst keinen Wein und vermeidest auch sonst alles, was deinen Bruder oder deine Schwester zu Fall bringen könnte. Römer 14, 21.
Aber Paulus lebt dieses Prinzip auch gegenüber den Nichtchristen, denn er schrieb: Wenn ich mit Juden zu tun habe, verhalte ich mich wie ein Jude, um die Juden zu gewinnen. Wenn ich mit denen zu tun habe, die dem Gesetz des Mose unterstehen, verhalte ich mich so, als wäre ich ebenfalls dem Gesetz des Mose unterstellt (obwohl das nicht mehr der Fall ist); denn ich möchte auch diese Menschen gewinnen. 1. Korinther 9, 20. Wenn ich mit Menschen zu tun habe, deren Gewissen empfindlich ist, verzichte ich auf meine Freiheit, weil ich auch diese Menschen gewinnen möchte. In jedem Fall nehme ich jede nur erdenkliche Rücksicht auf die, mit denen ich es gerade zu tun habe, um jedes Mal wenigsten einige zu retten. 1. Korinther 9, 22. Das alles tue ich wegen des Evangeliums; denn ich möchte an dem Segen teilhaben, den diese Botschaft bringt. 1. Korinther 9, 23.
Ich denke, dass dieser Anspruch an uns neu überdacht werden muss. Wir sind uns so daran gewohnt, das zu tun, was wir für richtig halten. Ob der andere damit zurecht kommt oder nicht, dass interessiert uns nicht. Hauptsache es stimmt für mich. Jesus lehrt uns aber etwas ganz anderes. Es gibt ein höheres Prinzip, als dass es für mich stimmen muss. Es gibt höhere Werte, als die Frage ob es für mich stimmt und ob ich darüber Frieden habe. Es geht darum, ob wir Gott dienen. Und das kann bedeuten, dass wir etwas, das wir tun könnten und das keine Sünde wäre, nicht tun, weil wir niemandem zum Anstoss werden wollen, damit das Evangelium nicht in Verruf kommt.
Also, Jesus schickte Petrus zum Angeln und meinte: "Nimm den ersten Fisch, den du fängst, und öffne ihm das Maul. Du wirst darin ein Vierdrachmenstück finden. Nimm es und bezahle damit die Tempelsteuer für mich und für dich!" Matthäus 17, 27. Ja, das war ein Wunder mehr. Leute die nicht glauben wollen, dass Gott solche Wunder tut, kamen auf die Idee, Petrus hätte den Fisch verkauft und mit dem Erlös die Tempelsteuer bezahlt. Aber so teure Fische gab es damals nicht. Die Tempelsteuer entsprach pro Person etwa 2 Tagelöhnen. Also, dieses Vierdrachmenstück entsprach 4 Tagelöhnen. Rechnen wir das von einem Monatslohn von 4'000.--, wären das immerhin Fr. 400.- pro Person, also ca. Fr. 800.- für beide. Jesus machte dadurch Petrus vollends sichtbar, wie frei er sich unter den Willen Israels beugt, wie machtvoll er auch in seiner Demut bleibt. Der Fisch muss ihm die Tempelsteuer bringen, die Israels verkehrter Sinn von ihm begehrt.
Bibelstellen zum Nachschlagen:Matthäus 11, 6; Matthäus 15, 12; Matthäus 18, 6; Johannes 6, 61; Römer 9, 33; Römer 12, 8; Römer 14, 13+21; 1. Korinther 1, 23; 1. Korinther 8, 13; 1. Korinther 9, 19-23; 1.Korinther 11, 29; 1. Petrus 2, 8
Schlussgedanke
Jesus hatte in dieser Begegnung mit Petrus zwei Dinge ganz deutlich gemacht. Er verhalf dem Petrus zu einem gesunden Selbstbewusstsein. Er zeigte ihm auch, dass er eine ganz besondere Stellung vor Gott hat. Aber er lehrte ihm auch, dass man unnötige Provokationen vermeiden sollte. Wenn man weiss, wer man ist und auf was man Anspruch hat, kann man auch verzichten.
Amen