Was sucht ihr? So fragte Jesus die Leute. Wollt ihr euch nur über einen Wanderprediger informieren, der in israelitischen Landen Furore macht und eine neue Religiosität verkündigt? Mit Information bin ich nicht zu fassen. Was sucht ihr? Wollt ihr nur mit einem Gesetzeslehrer diskutieren, der die Schultheologie in Frage stellt und ketzerische Lehren verbreitet? Für Diskussion stehe ich nicht bereit. Was sucht ihr? Wollt ihr euch gar nur an einem Wunderdoktor faszinieren, der Brot aus dem Ärmel schüttelt und Kaninchen aus dem Zylinder zaubert? An Faszination habe ich kein Interesse. Oder wollt ihr wirklich mit der Person zu tun bekommen, die Licht ins Dunkel, Wahrheit in die Lüge und Freude ins Leid bringt? Was sucht ihr? So fragte Jesus die Leute.
So fragt Jesus uns. Wollt ihr euch nur kirchlich informieren, so wie man sich politisch oder beruflich informiert? Aber mit Information ist das Wesentliche der Kirche nicht zu fassen. Was sucht ihr? Wollt ihr nur theologisch diskutieren, so wie man philosophisch oder weltanschaulich diskutiert? Aber mit Diskussion wird die Wahrheit nicht gefunden. Was sucht ihr? Wollt ihr euch gar nur geistlich faszinieren, so wie man sich musikalisch oder künstlerisch fasziniert? Aber mit Faszination hat der Glaube wenig gemein. Oder wollt ihr wirklich mit dem zu tun bekommen, der es im Dunkel des Zweifels und der Verzweiflung licht machen kann, weil er das Licht der Welt ist? Wollt ihr wirklich mit dem zu tun bekommen, der die Lügen und Verlogenheiten aufdecken kann, weil er die Wahrheit in Person ist? Wollt ihr wirklich mit dem zu tun bekommen, der Leid und Schmerz umkehren kann, weil er die Freude Gottes ist? Ersehnt ihr das wie der unbekannte Sänger vor 3000 Jahren? Im 119. Psalm sagt er: "Meine Augen sehnen sich nach dem Wort und sagen: Wann tröstest du mich? Wie lange soll dein Knecht noch warten? Erquicke mich nach deiner Gnade." Begehrt ihr das wie die Männer am Jordan? Einer von ihnen bekannte in einem Brief: "Ich möchte ja Jesus erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden. Ich vergesse was dahinten ist und strecke mich nach dem, das da vorne ist." Verlangt ihr das wie der Satiriker Malcolm Muggeridge? In seinen zeitkritischen Bekenntnissen schrieb er: "Jedesmal wenn ich Bach'sche Musik höre, wenn ich Dostojewski lese, wenn ich die Kathedrale von Chartre oder ein anderes Meisterwerk christlicher Kunst besuche, dann überfällt mich jenes leidenschaftliche Verlangen, an dem Leben dieses einzigartigen Herrn teilzuhaben."
Was wünscht ihr? Was wollt ihr? Was sucht ihr? Wenn ihr Jesus Christus sucht und nur Jesus Christus, dann seht auf die Hand des Johannes, dann geht an der Hand des Andreas, dann lebt mit der Hand des Petrus. Denn wer so sucht, wird finden.
1. Seht auf die Hand des Johannes, dieses Täufers am Rande der Wüste. Sie zeigt nicht auf den Vierfürsten Herodes, diesen gerissenen Fuchs von Galiläa, der sich mit List und Tücke an der Macht hält. Die johanneische Hand zeigt auch nicht auf den Landpfleger Pontius Pilatus, diesen unberechenbaren Löwen von Juda, der mit Schrecken und Gewalt seine Herrschaft ausübt. Und die Täuferhand zeigt erst recht nicht auf den Kaiser Tiberius, diesen nimmersatten Wolf von Rom, der sich immer mehr Völkerschaften unter den Nagel reißt. Diese ausgestreckte Hand zeigt überhaupt nicht auf die großen Tiere der Welt, die ja doch keine Geschichte, sondern nur Geschichten machen. Sie zeigt auf den Prediger Jesus von Nazareth, der sich voller Hingabe über Lahme und Blinde und Krüppel beugt: Sehet, das ist Gottes Lamm! Füchse töten, Wölfe reißen, Löwen schlagen, aber das Lamm wird gerissen, wird geschlagen, wird getötet. So aber trägt es die Sünde der Welt und so trägt es die Sünde meines Lebens. Ich muß jetzt den glühenden Zorn, der in mir beim Zeitungslesen oder Fernsehgucken hochsteigt, nicht mehr an meiner Frau und Kindern oder an meinen Mitarbeitern auslassen, sondern kann ihn auf das Lamm legen. Ich muß jetzt den gerechten Haß, der in mir wegen erlittenem Unrecht nagt und mich bis in den Tiefschlaf hinein verfolgt, nicht mehr bei mir behalten, sondern kann ihn auf das Lamm packen. Ich muß jetzt die dunkle Schuld, die in mir seit jener unbegreiflichen Stunde lastet und um sich greift wie ein böses Geschwür, nicht mehr mit mir herumtragen, sondern kann sie auf das Lamm binden. Es gibt überhaupt nichts mehr an Schwerem und Verzweiflungsvollem in meinem Leben, das auf dem Rücken dieses geduldigen Tieres keinen Platz mehr hätte. "Siehe, das ist Gottes Lamm, welches die Sünde hinwegträgt." Johannes ist zum Wegzeiger geworden. Sein ganzes Reden und Handeln stellte er selbstlos in diesen Dienst. Diese zeigende Hand ist unübersehbar. Der eine entdeckt sie im Werk eines Mathias Grünewald. Auf dem Isenheimer Altar deutet der überlange Zeigefinger auf den, der größer ist als Johannes und dem er nicht wert ist, seine Schuhriemen aufzumachen. Maler Mathis tut den Johannesdienst Der andere entdeckt sie im Werk eines Johann Sebastian Bach. Unvergesslich der Eingang zur Matthäuspassion mit seinem wehklagenden: Sehet ihn als wie ein Lamm! und darüber der Choral: 0 Lamm Gottes unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet. Bach weist auch mit dem Soli Deo Gloria, das er demütig und schlicht unter seine Kompositionen setzte, jedesmal von sich weg auf den, der ihm als Schmerzensmann begegnete. Und die Dritten entdecken die Hand des Johannes in der Handschrift eines Zeitgenossen, wie etwa in Muggeridges Bekenntnissen:' 'Irgendwo in Australien war ich bei einer Schafschur zugegen, wo auch ein Lamm getötet wurde. Der Anblick war für mich aufregend, das rote Blut auf der weichen, weißen Wolle. Da war es, das Opferlamm, Agnus Dei, Opfertod. Jemand stirbt, damit andere leben. Davon lebe ich." Es ist gleichgültig, wo wir diese johanneische Hand entdecken, in der Kunst, in der Musik, in der Literatur, nur dass wir sie entdecken und sie in ihrer richtungsgebenden Funktion ernstnehmen, darauf kommt es an. Wegweiser wollen nicht genossen und bestaunt, sondern ganz schlicht befolgt werden. Weil wir das Lamm finden müssen, den Lastträger, den Lebensbringer, den Christus als Herrn der Welt, deshalb seht auf die Hand des Johannes.
2</span>. Geht an der Hand des Andreas, dieses Nachfolgers aus dem Kreis des Täufers. Er ist der Spur nachgegangen und tatsächlich diesem Jesus begegnet. Ohne Eignungstest, ohne Glaubensprüfung, ohne Katechumnenunterricht wurde er angenommen und aufgenommen. Komm und sieh! so heißt die herzliche Einladung für jeden, der sein Leben auf ein neues Fundament stellen will. Um die zehnte Stunde, also nachmittags um 4 Uhr, sei dies gewesen. Andreas konnte also Zeit und Stunde seiner Begegnung angeben. Blaise Pascal konnte das auch. Auf einem Erinnerungsblatt, das er zwischen Tuch und Futter seines Rocks eingenäht hatte und immer mit sich herumtrug, stand unter dem Datum 23.November 1654 die Erfahrung einer realen Begegnung mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der nicht der Gott der Philosphen und der Weisen sei. Auch der 1955 verstorbene französische Dichter Paul Claudel konnte von einem Gottesdienst berichten: "Ich stand unter der Menge, nahe beim zweiten Pfeiler am Chorausgang, rechts auf der Seite der Sakristei. Da vollzog sich das Ereignis, das für mein ganzes Leben bestimmend sein sollte. In einem Nu wurde mein Herz ergriffen. Ich glaubte. Ich glaubte mit einer so mächtigen inneren Zustimmung, dass mein ganzes Sein geradezu gewaltsam emporgerissen wurde." Viele kennen solche präzisen Angaben nicht, ich auch nicht. Der Neuanfang kann sich ebenso gut allmählich und in Etappen verwirklichen. Aber einmal muß es doch zu diesem Augenblick kommen, wo wir mitten drin in einer Predigt, in einer Messe, in einer Bibellektüre diese einladende und werbende Stimme hören: Komm und sieh! und wo wir kommen und sehen. Wer aber Jesus sieht, sieht auch den Andern. Wer zu Jesus kommt, kommt auch zu seinem Nächsten. Wer Jesus findet, findet auch den Bruder. Es ist geradezu ein Qualitätsbeweis unseres Glaubens, ob wir auch andere zu diesem Glück verhelfen wollen. Wer nur angestaubtes Erb- und Traditionsgut mit sich herumschleppt, wird kein Verlangen in sich verspüren, auch noch andere damit zu belasten. Wer aber Feuer gefangen hat, wird andere anzünden. Wer Freude entdeckt hat, wird andere anstecken. Wer Liebe gefunden hat, wird andere lieben. "Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über." So ist es bei Andreas. Kaum hat er diesen Herrn ausgemacht, da macht er sich fort zu seinem Bruder. Und ihm teilt er nicht mit: Wir meinen diesen berühmten Jesus von Nazareth gefunden zu haben, oder: wir nehmen fest an, dass sich hinter diese Wanderprediger der Jesus verbirgt, oder: wir vermuten stark, dass sich jetzt die alttestamentliche Verheißung erfüllt hat. Mit Meinungen und Annahmen und Vermutungen lockt niemand einen Hund hinter dem Ofen hervor. Andreas sagt: Wir haben den Messias gefunden. Das ist keine abstoßende Selbstsicherheit, sondern die begehrenswerte Heilsgewißheit, die Johannes Calvin einmal so formulierte: "Nichts tröstet mächtiger als die Gewißheit, mitten im Elend von der Liebe Gottes umfangen zu werden." Dieses so wenig aufdringliche und drängerische Zeugnis, das aus einem liebevollen und taktvollen Herzen kommt, überzeugt und bringt den Mann in Bewegung. An der Hand seines Bruders findet Simon Petrus den Herrn. Andreas ist zum Wegführer geworden. Immer wieder tat er diesen Dienst. Seine führende Hand ist unübersehbar. Vielleicht bietet sie sich heute durch einen Besucher an, der an der Haustür zu einer Veranstaltung einlädt, vielleicht durch einen Kollegen, der am Arbeitsplatz von seinem Sonntag erzählt, vielleicht durch einen Freund, der sich immer wieder am Telefon meldet und bittet mitzukommen. Andreas will zum Leben helfen, deshalb geht an seiner Hand.
3. Lebt mit der Hand des Petrus, dieses Jüngers Jesu. Wohl hat sie diesem Herrn die Treue geschworen, aber immer wieder war dieser Schwur wie vergessen. Wir kennen seine mahnende Hand, die Jesus vom Kreuzweg abhalten wollte. Das widerfahre dir nur nicht! Wir kennen auch seine schlagende Hand, die in Gethsemane dem Kriegsknecht das Ohr abschlug und er hören mußte: Steck dein Schwert an seinen Ort! Wir kennen seine abwehrende Hand, die auf dem Gerichtshof die Wahrheit der Magd nicht hören wollte: Ich kenne den Menschen nicht. Und wir kennen seine resignierende Hand, die am See Genezareth Ostern nicht begreifen wollte: Laßt uns fischen gehen! Also keine andere Hand als wir sie auch haben: lieben wollen, aber immer wieder verletzend; bauen wollen, aber immer wieder zerstörend; helfen wollen, aber immer wieder quälend; halten wollen, aber immer wieder loslassend; unzuverlässig, treulos, schmutzig. Muß dieser Herr nicht auf unseren Handschlag verzichten? Aber Jesus sagt: Du bist Simon und trotzdem sollst du Kephas heißen. Du bist der Schwankende, trotzdem sollst du der Feste sein. Du bist der Versagende, trotzdem sollst du der Unbeugsame werden. Jesus sieht nicht nur den Fischer aus Galiläa, sondern auch den Felsenmann seiner Kirche. Jesus sieht nie allein, was wir sind, sondern auch, was wir werden können. In jedem steckt etwas Großes und Ungeahntes, wenn er sich nur in die Nähe dieses Herrn begibt. Als ein Besucher zu Michelangelo kam, der gerade an einem Felsblock meißelte, und ihn fragte, was er da tue, soll der Bildhauer geantwortet haben: Ich befreie den Engel, der in diesem Marmor gefangengehalten wird. Jesus kann in jedem Menschen den freisetzen, der zum Bau seines Reiches gebraucht wird. Und wer darunter leidet, dass er keinen Wert besitze, und wer darunter stöhnt, dass er zu nichts nütze sei, und wer darunter zerbricht, dass andere ihn abschieben und an die Wand drücken, der werde zum Wegbegleiter diese Petrus. Bei ihm können Sie lernen, dass Jesus jede ausgestreckte Hand in seine Hände nimmt und sagt: Niemand wird sie mir aus meiner Hand reißen. Lebensunwertes Leben gibt es bei Jesus nicht. Ob es aber wahr ist, wirklich wahr? Komm und sieh!
Amen