Gott wird Mensch – Leben und Lehre des Mannes, der Retter und Richter ist, Weg, Wahrheit und Leben.
Episode 480: Der barmherzige Samariter, Teil 1
Einführung in das Gleichnis und die Ausgangsfrage
Kommen wir zu einem der bekanntesten Gleichnisse des Neuen Testaments: dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter.
In Lukas 10,25 heißt es: Und siehe, ein Gesetzesgelehrter stand auf, versuchte ihn und sprach: „Lehrer, was muss ich getan haben, um ewiges Leben zu erben?“
Zwei Dinge sind hier besonders interessant. Erstens: Die Tatsache, dass der Gesetzesgelehrte Jesus versucht. Die Frage wird also nicht gestellt, um von Jesus zu lernen, sondern um ihn zu diskreditieren.
Zweitens: Es geht dem Mann um das ewige Leben. Vielleicht hat er eine Prophetie wie in Daniel 12 im Hinterkopf, wo es heißt: „Viele von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden aufwachen. Die einen zum ewigen Leben und die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu. Und die Verständigen werden leuchten wie der Glanz der Himmelsfeste, und die, welche die vielen zur Gerechtigkeit gewiesen haben, leuchten wie die Sterne immer und ewig.“ (Daniel 12,2-3)
Dem Gesetzeslehrer geht es darum, das ewige Leben zu erben. Es geht ihm also um den endgültigen Zustand der von Gott Gesegneten.
Die Gegenfrage Jesu und die Antwort des Gesetzeslehrers
Hier ist ein Gesetzesgelehrter, der Jesus eine Frage stellt, um herauszufinden, ob Jesus auch die korrekte Antwort gibt.
Ich wiederhole die Frage noch einmal mit meinen Worten: Lehrer, welche guten Werke muss ich vorweisen können, um ganz sicher bei der Auferstehung zum ewigen Leben dabei zu sein?
Wie antwortet Jesus? Er stellt erst einmal eine Gegenfrage (Lukas 10,26):
Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du?
Spannend, oder? Jesus verweist den Mann auf das Gesetz, also auf das Alte Testament. Jesus will nicht irgendein Zitat von einem anderen Rabbi, sondern eine Schriftstelle. Er fragt: Was liest du? (Lukas 10,27)
Er aber antwortete und sprach: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.
Bei so einer Antwort kann man nur sagen: Sehr gut, der Mann hat Ahnung. Er zitiert eine Mischung aus 5. Mose 6,5 und 3. Mose 19,18.
Gott lieben und den Nächsten wie mich selbst – Hingabe an Gott und Liebe für meine Mitmenschen – das ist der Kern jedes Glaubenslebens. Dabei soll ich Gott mit meinem ganzen Menschen lieben: Herz, Seele, Kraft und Verstand. Und ich kann Gott nicht lieben, ohne auch die Menschen zu lieben, die Gott wichtig sind.
Der Kontext des Gesetzeslehrers und die jüdische Tradition
Achtung, der Gesetzeslehrer ist kein Freund Jesu und noch weniger einer seiner Jünger. Und doch antwortet er auf eine Weise, die gut zu Jesus passt. Woher hat er das?
Die Antwort lautet, dass das Judentum zur Zeit Jesu um diese Zusammenhänge wusste. So heißt es in einer vor Jesus entstandenen Pseudoepigraphenschrift mit dem Titel „Die Testamente der zwölf Patriarchen“:
Im Testament Dahns, Kapitel 5, Vers 3: „Liebt den Herrn in eurem ganzen Leben und einander mit wahrhaftigem Herzen.“
Im Testament Issachars, Kapitel 5, Vers 2: „Vielmehr liebt den Herrn und den Nächsten. Erbarmt euch des Armen und Schwachen.“
Versteht mich bitte nicht falsch: Diese Texte sind nicht Teil des biblischen Kanons, und ich will sie auch nicht auf eine Stufe mit der Bibel stellen. Ich will nur zeigen, dass die Antwort des Gesetzeslehrers gut ins Denken seiner Zeit passt.
Für die Juden zur Zeit Jesu war es durchaus logisch, dass es eine Verbindung zwischen der Liebe zu Gott und der Liebe zu denen gab, die nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind. Und Jesus sieht das auch so.
In Lukas 10,28 heißt es: „Er sprach aber zu ihm: Du hast recht geantwortet, tu dies, und du wirst leben.“
Ich finde die Antwort total interessant: „Tu dies, und du wirst leben.“ Wir hatten das ja schon öfter, dass Jesus nicht antwortet, wie wir das vielleicht getan hätten.
Glaube und Werke im Verhältnis – eine theologische Reflexion
Ich jedenfalls hätte auf die Frage nach dem ewigen Leben mit Paulus so geantwortet:
Apostelgeschichte 16,30-31:
Und er, das ist der Kerkermeister in Philippi, führte sie heraus und sprach: „Ihr Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“ Sie aber sprachen: „Glaube an den Herrn Jesus, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus.“
Ist das nicht die richtige Antwort – Glaube an den Herrn Jesus? Wie kann dann Jesus sagen: „Tu dies, und du wirst leben“? Es geht dem Gesetzeslehrer inhaltlich ja um ewiges Leben, also auch um Errettung.
Ist Errettung nicht durch Glauben ohne Werke? Wir tun gut daran, uns in diesem Zusammenhang immer wieder an Jakobus zu erinnern, der das Verhältnis von Glauben und Werken schön aufzeigt:
Jakobus 2,20-22:
Willst du aber erkennen, du eitler Mensch, dass der Glaube ohne die Werke nutzlos ist? Ist nicht Abraham, unser Vater, aus Werken gerechtfertigt worden, da er Isaak, seinen Sohn, auf den Opferaltar legte? Du siehst, dass der Glaube mit seinen Werken zusammenwirkte und der Glaube durch die Werke vollendet wurde.
Glaube als Vertrauen in Gott wird also durch die Werke vollendet. Es reicht eben nicht, dass ich nur behaupte, ein Gläubiger zu sein. Behaupteter Glaube rettet nicht, jedenfalls solange er sich nicht im Leben durch konkrete Werke als echt erweist. Ein Lippenbekenntnis ist nie genug.
Jakobus 2,26:
Denn wie der Leib ohne Geist tot ist, so ist auch der Glaube ohne Werke tot.
Lebendiger Glaube zeigt sich in guten Werken; es geht nicht anders. Und so kann man bei manchen Menschen an den Werken ablesen, dass sie rettenden Glauben haben. Rahab ist so ein Beispiel:
Jakobus 2,25:
Ist aber nicht ebenso auch Rahab, die Hure, aus Werken gerechtfertigt worden, da sie die Boten aufnahm und auf einem anderen Weg hinausließ?
Bei Rahab wird ihr Glaube durch ihr Verhalten sichtbar. Ich vermute, dass sie theologisch noch nicht wirklich viel über den Gott Israels wusste. Trotzdem wird sie durch ihre Werke gerechtfertigt.
Warum? Weil man an ihren Werken ablesen kann, dass sie Gott liebt – und die Kundschafter liebt sie auch.
Die zentrale Botschaft Jesu zur Liebe als Ausdruck des Glaubens
Wenn Jesus den Gesetzeslehrer auffordert, Gott und seinen Nächsten zu lieben, dann geht es ihm keineswegs um verdienstliche Werke.
Er nimmt vielmehr das, was der Gesetzeslehrer schätzt – das Alte Testament – und zeigt ihm, wie rettender Glaube gelebt wird.
Im Zentrum eines wirklichen Glaubenslebens steht die Liebe zu Gott und die Liebe zu unseren Mitmenschen.
Abschluss und praktische Anregungen
Was könntest du jetzt tun? Lies dir in Ruhe Jakobus 2,14 durch und versuche, die Argumentation nachzuvollziehen.
Das war's für heute. Wir sollen jeden Tag im Rahmen unseres Gebets Sünden bekennen. Wenn du dabei nachlässig geworden bist, fang wieder damit an.
Der Herr segne dich, erfahre seine Gnade und lebe in seinem Frieden. Amen.