Ist euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass es in unserer Umgebung kaum schuldige Menschen gibt, also dass eigentlich alle unschuldig sind? Wenn es um Schuld geht, dann sind es höchstens Menschen, die weit entfernt sind. So läuft das ja normalerweise.
Oder könntet ihr jetzt irgendeinen schuldigen Menschen direkt aus eurer Umgebung nennen, also einen bösen Menschen? Meistens fällt mir das auf, wenn in Medienberichten über schlimme Ereignisse berichtet wird. Sei es dann der Völkermord zwischen Hutus und Tutsis, der schon viele Jahre zurückliegt. Wenn du dann die Tutsis fragst: „Warum habt ihr denn die Hutus ermordet?“, sagen sie: „Ja, die haben angefangen.“ Und fragst du die Hutus, sagen sie: „Nein, die anderen haben angefangen.“ Hätten die das nicht gemacht, dann hätten wir das doch auch nicht getan.
Das muss gar nicht auf der Ebene eines Völkermordes sein. Das kann auch ganz normal so sein, wenn du im Betrieb bist. Der eine betrügt irgendwo, und dann sagt er: „Das muss ich ja auch tun. Wenn ich das nicht mache, kann ich nicht mit den anderen konkurrieren.“ Vielleicht kennt ihr das sogar aus Streitigkeiten in der Familie oder sogar unter Ehepartnern. Dann sagt der eine: „Warum hast du das so und so gemacht?“ Und selten kommt die Antwort: „Ja, ich bin schuldig.“ Solche Leute gibt es auch. Manchmal gibt es sogar Menschen, die sich die Schuld für alles anziehen. Das kann dann auch ein Problem sein.
Bei gesunden Menschen ist es meist eher so, dass sie sagen: „Na ja, das habe ich gemacht, weil du vorher das so gemacht hast. Hättest du das nicht getan...“ Und dann sagt der andere, lässt das nicht auf sich beruhen: „Na ja, aber ich habe das gemacht, weil ich gestresst war.“ Dann ist ein anderer schuld von außen. Oder: „Weil du schon vor fünf Jahren das gesagt und gemacht hast.“ Meistens sind wir intensiv dabei, uns möglichst schuldfrei zu erklären. Das fällt sehr schwer.
Wir merken das ja bei anderen häufig mehr als bei uns selbst. Hast du je einen Politiker erlebt oder den Chef einer Firma, der seine Firma bankrottgehen ließ und dann sagte: „Ich bin schuld, ich habe versagt“? Nein. Dann waren es die Banken, die schuld waren, oder die Politiker, oder die allgemeine Wirtschaftslage, oder die Vorgänger.
Oder ein Politiker: Wenn irgendetwas in der Politik schiefläuft, dann war garantiert die Vorgängerregierung schuld daran, dass es jetzt nicht gut läuft. Das geht immer so. Oder kannst du dich erinnern, dass irgendwo je ein Politiker freiwillig, selbst wenn man ihn dazu gedrängt hätte, eingestanden hätte, dass er einmal etwas falsch gemacht hat, dass er Schuld auf sich geladen hat?
Manchmal funktioniert das ja auch ganz gut, und vielleicht wollen wir das ja auch ganz gerne. Stell dir vor, du bist im Streit mit jemandem in der Gemeinde. Wahrscheinlich kommt das bei euch nicht vor, aber ich kann euch sagen: Es gibt Gemeinden, da gibt es auch Leute, die sich nicht ganz so gerne haben, sondern ein bisschen aus dem Weg gehen.
Dann setzt du dich mit deinen Freunden in der Gemeinde zusammen, und ihr seid euch meistens einig: „Ja, ist doch klar, die andere Partei, die andere Gruppe, die sind die Bösen, die sind schuld daran, dass das nicht richtig läuft, dass der Bau nicht vorankommt, dass bei der Evangelisation keiner zum Glauben kommt, dass die Musik schlecht ist oder was auch immer.“ Man weiß: Die anderen sind schuld.
Und das ist so eine Sache. Wenn du dann deine Freunde triffst und vielleicht sogar mal sagst: „Könnte es sein, dass wir auch etwas falsch machen?“, kommt meistens empört zurück: „Nein, wir sind doch wohl nicht schuld, das ist doch klar, das sind die anderen.“ Das funktioniert so auf dem Schulhof, manchmal in der Ehe, im Berufsleben oder in der Politik. Überall finden wir so etwas.
Also: Schuld sind ständig nur die anderen. Ich und meine Freunde sind eigentlich schuldlos. Egal, was passiert, fällt uns meistens sehr schnell etwas ein, das unsere Schuld mindert oder uns als vollkommen schuldlos dastehen lässt. Und das fühlt sich doch gut an, oder? Lebst du gut damit, ganz ohne Schuld zu sein?
Na ja, als Christ würde man das so nicht direkt ausdrücken. Wahrscheinlich hat der eine oder andere jetzt schon innerlich einen gewissen Widerspruch: „Das ist doch theologisch nicht ganz richtig.“ Nein, ich bin schon schuldig, ja. Aber meine Schulden liegen alle vor der Bekehrung, vor dreißig Jahren oder fünfzig Jahren oder noch länger. Damals war ich auch ein böser Mensch.
Manche Bekehrungsgeschichten laufen ja so ab: Jemand, der schon lange Christ ist, erzählt, wie böse er gewesen war, bevor er gläubig wurde. Aber nachdem er sich bekehrt hat, hörten die Sünden auf. Das klingt doch toll, oder? Aber ist das wirklich so? Sind wir tatsächlich nicht mehr schuldig?
Wenn wir nicht schuldig sind, müssen wir uns natürlich auch nicht um Vergebung bitten – weder bei anderen Menschen noch bei Gott. Und das tut ja immer weh. Ich weiß nicht, ob ihr das auch so empfindet: Wenn ich merke, dass ich doch etwas falsch gemacht habe, obwohl das ja eigentlich nicht möglich ist – wir machen ja immer alles richtig. Aber wenn mein Gewissen dann doch so hartnäckig zu mir sagt: „Michael, jetzt hast du etwas falsch gemacht“, bis ich dem folge und auch hingehe und sage: „Ja, es war falsch, bitte verzeih mir“, dann dauert das noch eine ganze Weile. Das fällt mir schwer.
Obwohl ich theoretisch weiß, dass ich eben nicht immer unschuldig bin, fällt es mir schwer, das auch zu benennen. Gott gegenüber vielleicht noch leichter, weil er es ja sowieso weiß. Sich bei Gott entschuldigen zu wollen, ist ja unsinnig, denn Gott weiß genau, was in unserem Herzen vorgeht und was wir wirklich falsch gemacht haben. Auf unsere Erklärungen und Entschuldigungen fällt er schon gar nicht rein.
Aber dann auch zu einem anderen Menschen hinzugehen – wann hast du das letzte Mal das getan? Und jetzt nicht nur so mit knirschenden Zähnen und so: „Na ja, bei der Sache bleibe ich, aber gut, der Ton war vielleicht nicht ganz in Ordnung.“ Das gibt es auch, kenne ich auch aus christlichen Gemeinden. Dann merken wir, hier ist null Schuldeinsicht. Meistens ist man dahin gedrängt worden: „Jetzt sagt doch endlich was und bringt das in Ordnung!“ Aber statt es ehrlich zu tun, entschuldigt man sich lediglich für die Form und bleibt beim Inhalt, obwohl der vielleicht auch falsch war.
Da merken wir: Wo ist da eigentlich das Problem? Wenn wir gerade als Christen doch eingestehen, dass wir prinzipiell vor Gott schuldig sind, weil wir begrenzte Menschen sind, weil Sünde in unserem Leben da ist, weil wir immer wieder verführt werden, falsche Dinge zu denken und zu tun. Wahrscheinlich sind die Sünden heute schon anders, die du tust, als diejenigen, die du getan hast, bevor du gläubig geworden bist.
Das lesen wir auch in der Bibel. Die Sünden des typischen ungläubigen Menschen sind meistens leicht zu erkennen. Das führt dazu, dass wir als Christen manchmal in der Gefahr stehen, uns über die Ungläubigen zu erheben, weil wir ihre Sünden hoffentlich nicht tun. Also, ich hoffe, dass bei euch Unzucht nicht so weit verbreitet ist, ebenso wenig Mord und Diebstahl. Ich hoffe nicht, dass ihr am Freitagabend in die Kneipe geht, um euch zu betrinken und danach zu schlagen. Ich hoffe, das ist nicht so.
Diese Sünden sind relativ leicht erkennbar. Aber wenn wir auf die Worte Jesu schauen, merken wir, dass das nicht einmal die schlimmsten Sünden sind. Die schlimmsten sind häufig verborgen, erscheinen vielleicht sogar nach außen hin fromm, richten aber dadurch umso mehr Schaden an.
Wenn dich jemand beschimpft, weißt du vielleicht: „Okay, hier läuft etwas falsch.“ Bei jemandem, der Diebstähle begeht, weißt du auch, dass das falsch ist – hoffentlich. Aber dann finden wir doch gerade, wie Jesus so häufig die Pharisäer kritisiert, die von außen aussehen wie schön weiß getünchte Gräber. Damit will er sagen: „Oh toll, heilige Leute!“ Aber innerlich sind sie voller Totengebeine.
Das ist wahrscheinlich eher die Gefahr, die uns als Christen trifft: Wir haben nicht so sehr Probleme mit den krassen Sünden, die sofort ins Auge fallen, sondern mit den Sünden, die schön verkleidet sind und manchmal sogar fromm wirken können. Die Pharisäer haben es sogar geschafft, mit Zitaten aus der Bibel Jesus anzugreifen oder die Leute zu unterdrücken. Ihre Hartherzigkeit anderen gegenüber, wie zum Beispiel der Ehebrecherin, zeigt uns, dass diese Hartherzigkeit viel schlimmer oder mindestens genauso schlimm war wie der Ehebruch der Frau. Aber nach außen sah es so heilig aus, wenn man mit dem Finger auf den anderen zeigen konnte: „Diese Ehebrecherin muss gesteinigt werden.“
Vielleicht haben sie sich innerlich schon die Hände gerieben und gedacht: „Oh, endlich mal wieder eine Steinigung! Wie die jetzt gleich wimmern wird und um Gnade schreien wird. Und ich bin so gerecht.“ Vielleicht tun Menschen das gerne. Warum waren bei öffentlichen Hinrichtungen früher immer so viele Menschen anwesend? Damit dieser Schrecken da ist: Einer wird hingerichtet, der es verdient hat, und ich bin so gerecht, dass ich nicht dazugehöre.
Da merken wir, da ist eine gewisse Herausforderung. Diese Herausforderung sollte darin bestehen, dass wir einerseits Schuld dort, wo wir mit Menschen sprechen, die noch keine Christen sind, nicht einfach wegreden. Es hilft nicht, wenn wir einem nichtgläubigen Menschen sagen: „Du bist doch ein netter Mensch!“ Das mag zwar dazu führen, dass du schneller Freunde gewinnst, aber wahrscheinlich hast du gelogen. Denn all die netten, ungläubigen Menschen in deiner Umgebung sind Sünder, sind schuldig aus Gottes Sicht.
Wenn du einmal ihre Maske abnimmst – die Maske der Wohlanständigkeit, die sie bei Facebook, Instagram oder im alltäglichen Umgang tragen – dann wirst du sehen: Hinter dieser Maske steckt bei jedem deiner Nachbarn und Arbeitskollegen eine Menge, ein riesiger Haufen von Schuld und Sünde.
Die Menschen sind nicht alle so lieb und nett, wie sie tun. Wäre das der Fall, würden wir in einer glücklichen Welt leben. Es gäbe keine Eltern, die ihre Kinder quälen, und keine Kinder, die ihre Eltern quälen. Es gäbe keine Kriminalität, keinen Diebstahl, keinen Mord, keine Schlägerei. Die Gefängnisse wären leer, und Richter sowie Rechtsanwälte wüssten nicht mehr, was sie tun sollten.
Aber das ist nicht der Fall. Es gibt Hunderttausende von Fällen, die auffallen. Die anderen bemerkt ja keiner. Und es sind nicht mehr nur die anderen – da kommen dann ja Leute auch und sagen: „Ja, der hat ja gar nicht so gewirkt.“ Die meisten Verbrecher wirken nicht so, dass man gleich denkt, was sie gerade tun.
Und die allermeisten, die sich aus Gottes Sicht sündigen, erwischt man ja nie. Sie landen nie vor einem irdischen Gericht. Es tut uns nicht gut, wenn wir einem nichtgläubigen Menschen vermitteln: „Du bist ein guter Mensch!“ Denn das ist biblisch gesehen falsch.
Aber es tut auch nicht gut, wenn wir irgendwann als Christen in diese Schiene kommen, den Eindruck zu haben, böse und schuldig seien eben nur die anderen. Und uns vielleicht sogar noch daran freuen, wie böse die anderen sind. Denn je schwärzer das Leben der anderen ist, desto mehr leuchtet unser kleines Licht, wo wir vielleicht ein bisschen besser sind – hoffentlich ein bisschen besser.
Mit der Frage „Wie gehen wir mit Schuld um?“ beschäftigen wir uns hier. Interessanterweise stellen sich die Jünger auch die Frage: „Wie gehen wir mit der Schuld der anderen um?“ Genau mit dieser Frage sind die Jünger zu Jesus gekommen. Sie fragten: „Was müssen wir denn jetzt tun?“
Die Jünger waren schon eine ganze Zeit lang mit Jesus unterwegs und kannten seine Antwort. Das heißt, wenn der andere an dir schuldig geworden ist, sollst du vergeben. Nun war die Frage der Jünger nur: „Na ja, aber wie oft denn?“ Also: Wenn immer wieder jemand kommt und etwas falsch macht, wie häufig muss ich dem anderen vergeben?
Jesus gibt darauf eine sehr eindrückliche und klare Antwort. Diese lesen wir im Matthäusevangelium Kapitel 18. Dort ist genau diese Szene beschrieben, in der die Jünger zu Jesus kommen und ihm diese Frage stellen: „Wie ist das denn mit der Schuld?“ Interessanterweise stellen sie nicht die Frage nach ihrer eigenen Schuld – das ist ja oft viel heikler – sondern sie fragen, wie es mit der Schuld der anderen ist, wenn die anderen etwas falsch gemacht haben.
Das ist eine berechtigte Frage, denn es ist ein Problem, wie wir mit der Schuld umgehen, die wir selbst aufgehäuft haben. Aber ebenso herausfordernd ist die Frage: Wie gehe ich mit der Schuld um, die andere angesammelt haben, besonders wenn sie sich mir gegenüber schlecht verhalten haben? Dann bin ich gefordert: Was mache ich an dieser Stelle?
Ich lese das einmal vor, Matthäus 18, ab Vers 21:
„Da trat Petrus zu Jesus und sprach: Herr, wie oft soll ich meinem Bruder vergeben, der gegen mich sündigt? Bis siebenmal?“
Für die Juden war die Zahl sieben eine heilige, vollkommene Zahl. Siebenmal zu vergeben war also schon eine große Herausforderung. Wenn ihr Menschen in eurer Umgebung habt, die euch wirklich nerven und immer wieder dasselbe falsch machen, merkt ihr schnell: Siebenmal zu vergeben ist schon ziemlich viel.
Stellt euch vor, ihr habt einen Nachbarn, der Probleme mit dem Einparken hat. Dann hört ihr plötzlich Krach – Autotür, neues Auto, Beule drin. Ihr sagt euch: „Ich bin Christ, ich vergebe.“ Und nächste Woche wieder Krach – Kotflügel, Vergebung. Macht das mal siebenmal! Da merkt ihr, euer Auto sieht nicht mehr so neu aus, und ihr spürt: Das ist eine immense Herausforderung.
Petrus fragt also: Soll ich siebenmal vergeben, wenn jemand immer wieder schuldig wird? Wahrscheinlich erwartet er, dass Jesus ihm zustimmt und sagt: „Genau, siebenmal, super.“ Aber Jesus antwortet anders. Es geht weiter:
Jesus sagte zu Petrus: „Ich sage dir nicht bis siebenmal, sondern bis siebzig mal siebenmal.“
Jetzt muss man erst einmal rechnen: Siebzig mal sieben, das sind 490 Mal. Ich vermute, Jesus meinte nicht, dass man tatsächlich eine Strichliste führt und jedes Vergehen zählt. Nach 490 Mal ist dein Auto wahrscheinlich schon längst ersetzt, oder du hast schon das zweite oder dritte.
Nehmen wir an, dein Ehepartner ärgert dich ständig, weil er das Fenster offen lässt, die Tür zuknallt, das Essen anbrennen lässt oder Ähnliches – 490 Mal! Was uns klar wird: Jesus will nicht, dass wir mit Strichlisten arbeiten. Er sagt: Jedes Mal sollst du vergeben! Und wenn jemand wiederkommt, vergib noch einmal!
Heißt das, dass man nachlässigen Menschen Tür und Tor öffnen soll, die sich nicht verändern wollen? Nein. Die Verantwortung des Vergebenden ist eine Sache, die Verantwortung des Schuldigen eine andere. Wenn du derjenige bist, an dem jemand schuldig geworden ist – etwa jemand ist in dein Auto gefahren, hat dich ungerecht beschuldigt, dir etwas versprochen und es nicht gehalten, oder ein Werkzeug kaputt zurückgegeben – dann bist du derjenige, dem vergeben werden soll.
Das sind zwei verschiedene Dinge. Manchmal kümmern wir uns mehr darum, was der andere hätte tun sollen, als darum, was Jesus von uns erwartet. Hier geht es nicht um die Herausforderung des Schuldigen, sondern um die des Vergebenden. Wenn du vergeben sollst, sollst du nicht versuchen, den anderen zu erziehen oder Bedingungen stellen. Du sollst bereit sein zu vergeben – und das nicht nur siebenmal, sondern immer wieder.
Da diese Lehre so theoretisch wirkt und Petrus ja auch selbst schuldig ist, erzählt Jesus ein eindrückliches, eigentlich auch ärgerliches Gleichnis. Viele kennen es wahrscheinlich, aber es lohnt sich, es noch einmal zu hören und darüber nachzudenken, was es bedeutet und wie es uns als Christen herausfordert – oder auch diejenigen, die noch keine Christen sind.
Jesus sagt in Vers 23:
„Darum gleicht das Reich der Himmel einem König, der mit seinen Knechten abrechnen wollte. Als er anfing abzurechnen, wurde einer vor ihm gebracht, der ihm zehntausend Talente schuldig war. Weil er aber nicht bezahlen konnte, befahl sein Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, zu verkaufen, um die Schuld zu begleichen.“
Der Knecht fiel vor dem König nieder, huldigte ihm und bat: „Herr, habe Geduld mit mir! So will ich dir alles bezahlen.“ Da erbarmte sich der Herr über diesen Knecht, gab ihn frei und erließ ihm alle seine Schuld.
Erst einmal: Das Gleichnis ist ja noch nicht zu Ende, denn ein ganz wichtiger Punkt kommt noch nachher.
Das, womit Jesus das Gleichnis beginnt, ist an der Stelle, wo er zu Petrus spricht – und damit auch zu uns –, wenn wir die Frage stellen: Wie soll ich mit den bösen Menschen umgehen, die mir etwas Böses getan haben? Zuerst lenkt Jesus den Blick darauf, und das ist hier in dem Gleichnis die Frage: Wer ist denn dieser Mensch, der jetzt zum König kommt?
Wahrscheinlich ist es den Bibellesern relativ schnell klar, dass hier eine Geschichte erzählt wird, wie sie damals in ähnlicher Weise theoretisch hätte vorkommen können. Im Prinzip ist es aber eine Geschichte zwischen Gott und Mensch: Gott ist im Bild des Königs dargestellt, und der Mensch ist derjenige, der Gott etwas schuldig ist, also Schuld vor Gott hat.
Schon in dem Bild, das Jesus hier aufgreift, mussten die Zuhörer Jesu den Atem anhalten. Damals hat man Geld nicht von einer Bank, sondern von reichen Privatpersonen geliehen – das war der Normalfall, denn Banken in unserem Sinne gab es damals noch nicht. Reiche Leute haben es normalerweise so gemacht wie heute: Wenn du einem anderen Geld gibst, willst du einen gewissen Gewinn, heute nennen wir das Zinsen. Damals war das einfach so: Du musstest eine etwas höhere Summe zurückzahlen, als du geliehen hast.
Hier war nun ein König, scheinbar ein sehr reicher, und er hatte immens viel Geld. Jetzt wollte er mit den Leuten abrechnen, um zu sagen: Wann kriege ich mein Geld zurück – natürlich mit Gewinn? Unter all den Leuten, die kamen, kam hier einer, auf den Jesus besonders Wert legt, weil er eine so immens große Summe geliehen hatte.
Wenn ihr in eurer Bibel nachschaut, seht ihr, dass der Begriff „Talent“ sowohl eine Gewichtseinheit sein kann – hier ist es eine Gewichtseinheit für Silber – als auch eine Geldeinheit. Das war damals praktisch dasselbe, denn der Wert des Geldes lag nicht darauf, was draufgedruckt war oder welche Zentralbank dafür garantierte, sondern der Wert des Geldes war im Material selbst: Gold, Silber oder, weniger wichtig, Kupfermünzen.
Dieser Mann war nun eine riesige Summe schuldig. Ich hatte das mal vor einiger Zeit ausgerechnet und bin auf über eine Milliarde Euro als Gegenwert gekommen. Kannst du dir vorstellen, eine Milliarde Euro schuldig zu sein? Nur um das vor Augen zu führen: Ihr wisst ja, was eine Million ist. Vielleicht denkt ihr jetzt, ich bin arm dran – vielleicht bin ich das auch. Für mich ist eine Million schon ziemlich viel. Und jetzt wisst ihr, eine Million mal tausend ist eine Milliarde.
Könntest du mit einer Million Schulden gut schlafen? Der eine oder andere tut das vielleicht. Für mich wären schon eine Million Schulden schwierig. Jetzt, wo die Zinsen langsam steigen, stell dir vor, du baust ein Haus mit einer Million Schulden – falls dir eine Bank das gibt. Wie hoch sind die Zinsen momentan? Rechnen wir mal mit rund fünf Prozent. Wer kann das im Kopf schnell rechnen? Fünf Prozent von einer Million – wie viel ist das? Wie viel? Fünfzigtausend, genau.
Würdet ihr das zahlen können? So einmal im Jahr fünfzigtausend – noch nicht die Tilgung, nur Zinsen? Falls ihr gerade dabei seid, ein Haus zu kaufen, rechnet das gut durch. Fünfzigtausend sind mehr, als ich verdiene. Das heißt, selbst wenn ich meinen ganzen Verdienst hingeben würde, könnte ich diese Zinsen nicht bezahlen – ohne Tilgung.
Und jetzt überlegt mal: Das Ganze mal tausend. Wer rechnet jetzt noch mal nach? Fünfzigtausend mal tausend sind fünfzig Millionen – nur an Zinsen! Kannst du da noch ruhig schlafen? Also, immens viel Geld hat er geliehen, wahrscheinlich nicht, um sich ein Haus zu bauen – für so viel Geld gab es damals keine Häuser, und heute auch nicht. Vermutlich wollte er das Geld investieren und hoffte, so viel Gewinn zu machen, dass er alles zurückzahlen kann und immer noch genügend übrig bleibt. Das Geschäft ist schiefgelaufen.
Vielleicht wollte er in Goldminen investieren oder in Bitcoins – falls es die damals schon gegeben hätte – und plötzlich halbieren oder vierteln sich die Werte oder sind gar nichts mehr wert. Vielleicht gab es damals Aktien, in eine boomende Firma, die dann plötzlich pleiteging – alles weg. Das gab es ja in den letzten Jahren öfter, wo Leute richtig viel verloren haben.
Auf jeden Fall muss er jetzt vor dem König stehen. Er bietet nicht einmal an: „Herr König, ich gebe dir die Hälfte.“ Nein, er hat scheinbar alles verzockt, alles weg, falsche Investition. Er weiß: Was ist jetzt? Wahrscheinlich hat er sich morgens von seiner Frau verabschiedet: „Schatz, wahrscheinlich komme ich ins Gefängnis, wenn ich das überlebe.“ Und die Frau zu Hause zittert und denkt: Was ist jetzt mit meinem Mann, mit der Familie, mit sonst irgendwas?
Jetzt steht er da vor dem König, und der König sagt: „Geld her!“ Er hat nichts, gar nichts. Dann sagt der König, was damals üblich war: Versklaven, Ehefrau versklaven, Kinder versklaven, Haus verkaufen. Wobei wir sehen müssen, das ist der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein. Überlegt mal, wie viel er wohl für einen Sklaven bekommen würde.
Damals war der Gegenwert eines guten Sklaven maximal etwa 20.000 Euro. Vielleicht überlegt jetzt der eine oder andere, sich Sklaven zu kaufen, zum Beispiel für den Garten oder Hausbau – also 20.000 Euro. Aber Sklaverei ist in Deutschland heute nicht erlaubt, also gibt es das nicht mehr. Damals war es so: Frau 20.000, Mann 20.000, Kinder 20.000 – wenn wir großzügig rechnen und er viele Kinder hatte, vielleicht 100. Und nehmen wir an, er hat eine tolle Villa, vielleicht zwei Millionen. Wie viel fehlt dann noch bis zu einer Milliarde? Noch ziemlich viel.
Wenn sie alles verkaufen oder versklaven würden, würde das dem König sein Geld nie zurückbringen – nicht mal die Zinsen für ein Jahr. Das war nur eine Aktion, um deutlich zu machen: „Ich lasse mir das Geld nicht aus der Tasche ziehen. Du bist schuldig, zumindest ein kleines bisschen.“ Die Schuld ist so immens, dass es lächerlich wirkt, dass der Geldleiher bittet: „Bitte, lass mich in Ruhe, ich werde dir alles zurückzahlen.“
Dass er das bittet, ist klar, aber wie viel Aussicht auf Erfolg gibt es da? Null! Jetzt würdest du zur Bank gehen und sagen: „Ich gebe euch alles zurück, die ganze Milliarde!“ Wie willst du das tun? Du hast kein Geld mehr und müsstest allein an Zinsen jedes Jahr 50 Millionen bezahlen. Wie bitte willst du das tun? Dafür hat er kein Konzept. Das heißt, seine Bitte ist aussichtslos, sein Leben ist gelaufen – das weiß er auch. Das Letzte, was ihm einfällt, ist, um Gnade zu bitten: „Bitte, Gnade!“
Und das, was in dieser Geschichte vollkommen unrealistisch ist und was wir wahrscheinlich so bisher noch nicht erlebt haben – ich zumindest nicht – ist, dass dieser König ihm all seine Schuld erlässt. Ich weiß nicht, wie hoch das bisher größte Geldgeschenk war, das du bekommen hast. Hat dir jemand schon mal tausend Euro, zehntausend oder hunderttausend geschenkt? Mir nicht, was wahrscheinlich normal ist.
Das hier ist wahrscheinlich nicht die Ausnahme, sondern etwas ganz Besonderes. Stell dir vor, jemand schenkt dir eine Milliarde. Im Grunde genommen war das so: Er war eine Milliarde schuldig, hätte sie nie bezahlen können, aber der König sagt: „Ich vergebe dir, du musst nicht ins Gefängnis, nicht versklavt werden, du bekommst dein ganzes Leben zurück.“
Da, wo Jesus diese Geschichte erzählt, ist sie für jeden Zuhörer vollkommen einsichtig: Wenn du so viel Geld schuldig bist und keine Möglichkeit hast zu bezahlen, ist dein Leben am Ende, und du kannst nichts dagegen tun. Jesus benutzt das hier als Bild, um zu sagen: So ist deine Stellung Gott gegenüber. Du bist Gott unendlich viel schuldig, und du kannst es nicht bezahlen.
Wenn wir von Sünde oder Schuld reden, meinen wir nicht nur, was wir moralisch falsch gemacht haben, sondern häufig auch das, was wir Gott nicht als Dank gegeben haben, der ihm eigentlich gebührt. Denn im Grunde genommen gehört Gott alles, was du bist. Wer hat deinen Körper geschaffen? Du selbst? Nein, Gott hat das gemacht.
Wer hat dir deine Eigenschaften gegeben, mit denen du Geld verdienen kannst und vor anderen brillierst? Gott hat dir das geschenkt. Wer hat dir die Güter anvertraut, die du besitzt – dein Haus, dein Auto und anderes? Du hast möglicherweise dafür gearbeitet, aber Gott hat dir die Möglichkeit gegeben, in einem reichen Land zu leben, wo du dir die Sachen erarbeiten kannst. Er hat dir körperliche Kraft und die richtige Stellung gegeben. Dafür gebührt Gott der Dank.
Eigentlich gehört ihm alles, was du besitzt, und eigentlich gehörst du ihm auch, weil er dich geschaffen hat. Allein da sind wir Gott schon etwas schuldig. Eigentlich sind wir ihm auch Gehorsam schuldig, wenn er sagt, das ist richtig und das ist falsch. Wenn wir bewusst, obwohl unser Gewissen uns mahnt, das tun, was Gott als falsch bezeichnet, dann sind wir Gott das Richtige schuldig.
Wir sind Gott die Wahrheit schuldig, wenn wir gelogen haben, und wir sind Gott den Dank schuldig für das, was er uns geschenkt hat – und bei vielen anderen Dingen. Wir sind Gott so viel schuldig, dass wir es eigentlich nie bezahlen können, weil wir mehr oder weniger mit leeren Händen dastehen.
Wie wolltest du deine Schuld Gott gegenüber begleichen? Das geht ja gar nicht. Du bist Gott gegenüber schuldig für das, was du falsch getan hast, obwohl du es besser hättest wissen können. Du bist Gott schuldig den Dank und die Anerkennung für das, was er dir geschenkt hat, dein Leben hindurch immer wieder.
So steht eigentlich jeder Mensch wie dieser Geldleiher, der das Geld geliehen hat, am Ende vor Gott und muss sagen: „Gott, ich sehe ein, ich bin dir so viel schuldig gewesen, ich habe so häufig versagt, ich habe nicht getan, was richtig gewesen wäre.“ Und dann sind wir genauso wie dieser Mann angewiesen auf die Gnade Gottes.
Manche wollen dann auch bei Gott bezahlen. Sie sagen: „Okay, jetzt mache ich ab jetzt alles richtig. Ich gehe regelmäßig in den Gottesdienst, ich bete einmal am Tag, ich spende für was weiß ich.“ Aber da merken wir, das ist genauso wie das Angebot dieses Mannes, der sagt: „Ja, ich werde dir alles zurückzahlen.“ Und da werde ich ein bisschen Geld verdienen, da Teller waschen. Du kommst ja nicht mehr für die Zinsen auf, du hättest nie zurückzahlen können.
Genau das ist der Punkt, wo Gott jeden von uns hinbringen will oder manche von uns ja auch schon hingebracht hat: Wir müssen erkennen, dass die Schuld Gott gegenüber so groß ist, dass wir sie nie zurückzahlen können. Und dass wir dann über unseren Stolz springen müssen – unser Stolz, der uns immer wieder sagt: „Ja, ich bin doch gar nicht schuldig“ – oder irgendwelche Entschuldigungen erfinden, warum wir nicht ehrlich waren oder etwas gestohlen oder jemanden unfreundlich und ungerecht behandelt haben.
Die Entschuldigungen fallen uns alle schnell ein, aber sie helfen hier nicht weiter. Die Schuld ist da. Wenn der Mann jetzt langsam herumdiskutieren würde und sagen: „Ja, Geld ist doch eigentlich nichts, und sowieso Eigentum ist Diebstahl“, wie es die Sozialisten im 19. Jahrhundert sagten, hätte das auch nicht weitergeführt. Da hätte der König gesagt: „Jetzt hör mal auf zu reden, das Geld her!“
Genauso ist es, wenn du vor Gott stehst: Alle Entschuldigungen helfen nicht. Egal, wer dich beeinflusst hat, etwas Böses zu tun – am Ende bist du verantwortlich für das, was du getan und gesagt hast. Und dafür musst du nicht erst Massenmörder sein. Allein die Lieblosigkeit gegenüber anderen Menschen reicht.
Oder wie wir es in der Bibel finden: Wenn du etwas Gutes weißt zu tun und es nicht tust, bist du schon schuldig. Wenn wir das durchgehen, stellen wir alle fest, dass wir wahrscheinlich jeden Tag schuldig werden. Diese Schuld können wir nicht zurückzahlen.
Wenn wir einmal das Richtige tun, ist die Schuld der Vergangenheit nicht aufgehoben oder zurückgezahlt. Dann haben wir nur keine neue Schuld auf uns geladen. Wenn ich einen kleinen Kredit zurückbezahle, ist der große, den ich noch habe, nicht zurückgezahlt. Genauso ist es, wenn du einmal die Wahrheit sagst: Die Lüge ist dadurch nicht wiedergutgemacht.
Diese Schuld muss vergeben werden – und zwar von einer höheren Instanz, als wir es können. Genau das ist der Grund, warum Jesus auf die Erde gekommen ist: Er sagt, er ist bereit, deine ganzen Schulden zu übernehmen und zu bezahlen.
Im Bild wäre das sogar noch etwas anderes, was im Gleichnis nicht direkt vorkommt: Dass jemand anders anstelle des Schuldners kommt und sagt: „Ich bezahle die Schuld dieses Mannes.“ Das steht nicht direkt im Gleichnis, aber bei Jesus ist es so. Wir sind schuldig, und Gott vergibt uns, weil Jesus dafür bezahlt. Jesus sagt: „Ich bin bereit, dafür zu zahlen.“
Darüber sollte sich jeder klar werden, jeder, der noch nicht Christ ist. Nicht Schuld wegleugnen, nicht sich damit zufriedengeben, genauso schlimm oder genauso gut wie alle anderen zu sein, sondern einzugestehen: Ich habe vor Menschen und vor Gott Schuld auf mich geladen. Diese Schuld verschwindet nicht, sondern muss vergeben werden.
Dann demütig zu Gott kommen und sagen: „Ich bin schuldig, bitte vergib mir, ich will Gnade, ich will nicht Gerechtigkeit.“ Gerechtigkeit würde Strafe bedeuten. Gnade bedeutet Vergebung. Genau das bietet Jesus hier an.
Wer auf Gerechtigkeit setzt, wird ewig von Gott verstoßen werden und in die Finsternis geworfen – das ist gerecht für die eigene Schuld. Aber wer Gnade bekommt, darf in die Ewigkeit zu Gott kommen, obwohl er es nicht verdient.
Genau das ist der erste Teil dieses Gleichnisses, den Jesus uns nahebringen will. Erkenne neu, wenn du Christ bist, wie sehr du von Gott beschenkt wurdest, indem er dir deine Sünden vergeben hat. Wenn du noch nicht so weit bist, bist du immer noch an der Stelle dieses Schuldners, der vor Gott steht und sagt: „Ich kann nicht bezahlen.“
Für dich ist die Herausforderung: Nimm die Gnade Gottes an. Das wäre so ähnlich, als wenn dieser Schuldner sagt: „Nein, König, ich kann das nicht annehmen, ich werde es zurückbezahlen.“ So sind manche heute. Manche sind so stolz, dass sie die Vergebung Gottes gar nicht annehmen wollen.
Wenn du so bist, vergiss es. Du wirst es nicht zurückzahlen können, egal wie sehr du dich anstrengst. Lass dich darauf ein, dass du Schuld eingestehst und um Gnade bittest – auch wenn es dir schwerfällt. Sage: „Gott, ich will deine Gnade, ich will Vergebung, weil ich es nicht wiedergutmachen kann. Ich kann nicht all die bösen oder falschen Worte, die ich je gesagt habe, rückgängig machen. Deshalb brauche ich Vergebung.“
Das ist eine tolle Sache. Jesus will uns mit diesem Gleichnis sagen: Das, was wir auf der Erde nicht finden – du wirst keinen finden, der dir eine Milliarde Schuld freiwillig erlässt. Nicht mal jemand, der dir hunderttausend erlässt, es sei denn, du meldest Insolvenz an.
Aber bei Gott ist das möglich. Wenn du Schuld eingestehst und um Vergebung bittest, wirst du Vergebung bekommen. Wenn du schon lange Christ bist, hast du dich vielleicht daran gewöhnt. Wenn du dich zu sehr daran gewöhnt hast, kann das dazu führen, dass du nicht mehr so dankbar bist.
Dann ist die Herausforderung dieses Gleichnisses: Sei neu dankbar. Führe dir deine Position als armer, verschuldeter Bettler vor diesem König neu vor Augen. Sei Gott neu dankbar dafür, dass er dir, obwohl du es nicht verdienst, Gnade anbietet und dir deine Schuld vergibt.
Denn gerade wenn wir diese Dankbarkeit nicht mehr haben, wenn wir nicht mehr sehen, was unsere Position ist, können wir sehr schnell falsch mit der Schuld anderer umgehen. Das war ja die eigentliche Frage des Petrus, und damit beschäftigt sich der weitere Verlauf dieses Gleichnisses.
Es bleibt nicht dabei, dass diesem Menschen, der so schuldig war, seine Schuld aus Gnade vergeben wurde. Das Gleichnis geht weiter, denn es zeigt die Reaktion dieses Mannes. Was macht er jetzt?
Eigentlich könnten wir uns vorstellen: Wenn ich die Geschichte erzählen würde, würde ich sagen, der kommt jubelnd aus dem Palast, umarmt jeden, der ihm begegnet, feiert mit seiner Familie und sagt: „Das Leben ist uns zurückgeschenkt worden, wir haben eine neue Chance.“ Dann trifft er jemanden, dem er schuldig war, und sagt: „Hey, du bist auch beschenkt worden, du kannst alles behalten, es ist nicht so schlimm.“
So könnte man sich das vorstellen, oder? Das wäre doch die normale Reaktion, würde ich sagen. Ich habe so etwas nicht im Detail erlebt, aber stell dir vor, jemand hat dir 20 Euro geschenkt. Und dann kommt dein Nachbar und sagt: „Übrigens, ich hatte doch von dir fünf Euro geliehen für Eier, und ich kann es im Moment nicht zurückzahlen.“ Was würdest du tun?
Zwanzigtausend Euro geschenkt bekommen und dann sagen: „Nein, fünf Euro nicht?“ Würdest du zur Polizei gehen? Hoffentlich nicht. Vielleicht ist das Ganze etwas übertrieben in der Geschichte. Aber genau so reagiert dieser Mann, der gerade so reich beschenkt worden ist, als der Herr sich erbarmte.
Wir lesen ab Vers 28: „Als aber dieser Knecht hinausging, fand er einen Mitknecht, der ihm hundert Denare schuldig war. Den ergriff er, würgte ihn und sprach: Bezahl, was du mir schuldig bist! Da warf sich ihm der Mitknecht zu Füßen und sprach: Habe Geduld mit mir, ich will dir alles bezahlen! Aber er wollte nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, damit er bezahlt, was er ihm schuldig war.“
Hier geht es weiter. Entweder hat der Mann das gar nicht begriffen, oder er ist so hartherzig. Hundert Denare waren im Vergleich zu der Summe, die er schuldig war, nichts. Bei einfachen Feldarbeitern rechnet man mit einem Denar als Tageslohn, also hundert Tageslöhne.
Das ist schon eine Menge Geld, aber nicht vergleichbar mit dem, was der andere schuldig war. Das wäre realistisch bezahlbar. Man müsste sogar sagen: Wie dumm bist du? Selbst wenn du das Geld zurückhaben willst, wenn du den ins Gefängnis wirfst, kann der nicht mehr arbeiten und dein Geld nicht zurückzahlen. Unsinnig.
Der Mann sagt nicht: „Bitte, zahl mir zurück!“ Sondern er würgte ihn – er nahm ihn am Hals und sagte: „Gib mir mein Geld!“ Also ein harter Kerl, unmittelbar nachdem ihm sein Leben geschenkt worden ist.
Unmittelbar, nachdem er eine Milliarde erlassen bekommen hat, geht er wegen einer viel geringeren Summe hin und würgt den anderen. Er hat kein Herz, kein Mitleid. Der andere bittet genauso wie er noch vor zehn Minuten gebeten hat: „Bitte, hilf mir, ich werde dir das Geld zurückzahlen!“ Er bittet nicht einmal um Erlass, sondern sagt, er will zurückzahlen – und hätte es gekonnt.
Der Knecht lässt sich nicht darauf ein, sondern wirft ihn ins Gefängnis, um das letzte Geld aus ihm herauszupressen – obwohl er gerade einem so gnädigen Herrn begegnet war.
Die Geschichte ist aber noch nicht zu Ende. Wir lesen weiter: „Als aber seine Mitknechte sahen, was geschehen war, wurden sie sehr betrübt und kamen und berichteten ihrem Herrn den ganzen Vorfall. Da ließ der Herr ihn kommen und sprach zu ihm: Du böser Knecht, jede ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest. Solltest du dir nicht auch gegenüber deinem Mitknecht erbarmen, wie ich mich über dich erbarmt habe?“
„Und voll Zorn übergab ihn sein Herr den Folterknechten, bis er alles bezahlt hätte, was er ihm schuldig war. So wird auch mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn ihr nicht jedem von Herzen seine Verfehlungen vergebt.“
Das war das Schlusswort Jesu als Deutung und Resümee der Geschichte. Die Geschichte nimmt uns mit auf eine starke Berg- und Talfahrt: Erst einmal ganz tief – so große Schuld, ich weiß nicht, wie ich damit zurechtkommen soll. Dann geht es richtig bergauf: Alles ist mir erlassen. Und dann kommt die falsche Reaktion – jetzt wieder: Du bist genau an derselben Stelle, wo du vorher warst, aber jetzt ist mit der Gnade Schluss.
Denn wenn hier steht, dass er so lange eingesperrt wird, bis er alles bezahlt hat, heißt das natürlich ewig – weil er es ja nie bezahlen kann. Das Geld wird er nie haben. Das ist ein Hinweis auf eine ewige Strafe.
Wir dürfen dieses Gleichnis nicht eins zu eins auf Gottes Handeln uns gegenüber umsetzen – glücklicherweise nicht. Denn in der Bibel finden wir, dass Gott auch treu ist, selbst wenn wir untreu sind. Wenn Gott uns vergibt, ist es nicht so, dass du gerettet bist, Jesus dir alles vergibt, und du dann einen Fehler machst und zack, in die Hölle kommst.
Es geht nicht so: Heute Himmel, morgen Hölle, immer wieder hin und her. Wenn Gott dir vergeben hat, hat er dir vergeben. Freuen wir uns darüber.
Wir müssen sehen, wo die Grenzen des Gleichnisses sind. Die Grenzen sind auch, dass dem König erst über das Fehlverhalten seines Knechtes berichtet werden muss. In Wirklichkeit weiß Gott ja alles, er braucht keine Zuträger. Auch das zeigt, dass es nicht genau dasselbe ist.
Wir merken auch, dass es hier um materielle Schuld geht, während es bei Gott um moralische Schuld geht. Das Gleichnis ist also nicht eins zu eins umzusetzen.
Trotzdem soll uns und dem Petrus damals und uns heute deutlich vor Augen gemalt werden – und das sollten wir nicht zu schnell beiseite schieben –, dass unser Verhalten anderen Menschen gegenüber, die an uns schuldig geworden sind, unmittelbare Auswirkungen auf unser Verhältnis zu ihnen und zu Gott hat.
Das steht nicht nur an dieser Stelle. Wenn ihr im Matthäusevangelium Kapitel 6 nachlest, wo Jesus das Vaterunser lehrt, steht direkt im Anschluss: „Und vergebt uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Dort wird die Verbindung zwischen unserer Vergebung und der Vergebung anderen gegenüber deutlich gemacht.
Direkt im Anschluss an das Vaterunser heißt es auch: „Und wenn ihr nicht vergebt, wird euch auch nicht vergeben werden.“ Das ist genau dasselbe, was Jesus hier nach dem Gleichnis sagt.
Das scheint also kein Missverständnis zu sein, sondern Jesus macht ganz deutlich, dass unser Verhalten gegenüber anderen Menschen, die an uns schuldig geworden sind, geistliche Auswirkungen hat – Auswirkungen auf unser Verhältnis zu Gott und natürlich auch auf unser Verhältnis zu anderen Menschen.
Und hier sind wir dann in der nächsten Folge herausgefordert. Wir sind nicht nur herausgefordert, weil du Gott gegenüber schuldig bist und Gnade und Vergebung brauchst – weil du derjenige bist, der schuldig geworden ist –, sondern auch, weil andere an dir schuldig geworden sind. Jetzt stellt sich die Frage: Wie gehst du damit um?
Viele von uns finden es schon peinlich, wenn überhaupt jemand kommt und Schuld eingesteht. Ich weiß nicht, ob du das auch kennst, wenn dann jemand zu dir kommt und sagt: „Ja, es tut mir leid.“ Manche reagieren dann schnell mit: „Ach, es ist doch nichts.“ Das ist auch keine gute Reaktion. Wenn es dem anderen leid tut, solltest du es ernst nehmen. Wahrscheinlich fiel es dem anderen schwer, sich zu überwinden. Du erniedrigst den anderen auch, wenn du es nicht ernst nimmst.
Wenn einer zu dir kommt und sagt: „Bitte verzeihe mir“, dann solltest du nicht sagen: „Ist doch nicht so schlimm, Schwamm drüber.“ Was sollst du eigentlich tun? Du sollst sagen: „Ja, ich vergebe dir.“ Dann kannst du ihn in die Arme nehmen, und alles wäre in Ordnung. Nimm es ernst, wenn jemand um Vergebung bittet, denn genau das sollte man tun. Wenn du das zurückweist, weil es dir peinlich ist, derjenige zu sein, der vergeben soll, dann wirst du eher dazu führen, dass er sich das nächste Mal nicht überwindet, um Entschuldigung zu bitten. Man sollte es ernst nehmen.
Manche sind so, dass sie die Bitte um Vergebung offen zurückweisen, manchmal weil sie Bedingungen stellen. Zum Beispiel: „Aber erst, wenn du dein Leben verändert hast“, oder „erst wenn du auf Knien vor mir liegst“, oder „erst dann vergebe ich dir.“ Hier merken wir, dass das in der Geschichte nicht drin ist. Die alleinige Voraussetzung ist, dass jemand seine Sünde oder Schuld eingesehen hat und, soweit wir es beurteilen können, ernsthaft um Verzeihung bittet. Das sollte uns dazu bringen, Vergebung zuzusprechen. Das sollten wir ernst nehmen.
Schuld wird nicht einfach vergeben, weil wir sie vergessen oder nicht ernst nehmen, sondern Schuld wird in der Bibel nur dann vergeben, wenn sie eingesehen und bekannt wird und wenn um Vergebung gebeten wird. Genauso ist es bei Gott. Bei Gott heißt es auch nicht: „Schwamm drüber.“ Wenn du zu Gott kommst und sagst: „Ich bin ein Sünder“, sagt Gott nicht: „Ach, du bist doch ein guter Mensch, komm, ist doch nicht so schlimm.“ Sondern Gott sagt: „Ja, genau, du bist ein Sünder. Gut, dass du es gesehen hast. Und jetzt: Bitte verzeihe mir.“ Ja, ich bin bereit.
Wie heißt es noch im ersten Johannesbrief Kapitel 1? „Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt von aller Ungerechtigkeit.“ Das heißt, wenn wir unsere Sünden bekennen. Das gilt hier nicht nur für Christen, denn der erste Johannesbrief ist definitiv für gläubige Christen geschrieben, nicht für Ungläubige. Also bedeutet das auch, wenn wir Christen sind, zu Gott zu kommen und ihn um Vergebung zu bitten, ist er bereit zu vergeben.
Wir sollten aber genauso auch zu anderen Menschen gehen, wenn wir an ihnen schuldig geworden sind, und sie um Verzeihung bitten. Hier geht es nicht darum, wie es uns Politiker vormachen, wenn sie sich entschuldigen. Das gibt es ja auch immer wieder. Sich zu entschuldigen bedeutet ja eigentlich nicht, dass man sich demütigen muss. Man hat quasi schon die Entschuldigung dabei, zum Beispiel: „Ich habe das nur getan, weil ich so einen cholerischen Charakter habe“ oder „weil die Geschäfte schlecht liefen.“ Das geht nicht.
Die biblische Entschuldigung ist so, dass du um Entschuldigung bittest, ohne dich selbst gleich zu entschuldigen oder Gründe zu suchen, warum das so laufen musste. Das heißt, du bist noch nicht bereit, einzusehen, dass du schuldig bist. Du willst noch gut reden. Nein, die Bibel will, dass du sagst: „Ich bin schuldig. Bitte verzeih mir. Das war falsch, was ich gemacht habe.“ Ohne ein „Aber“. Kein „Das war ja aus dem Grund“, „ich war gerade so aufgeregt“ oder „das und das“. Das alles dient nur dazu, der Demütigung zu entgehen, Schuld einzugestehen.
Diese Schuld ist einmal Gott gegenüber, aber auch anderen Menschen gegenüber. Wenn es euch so geht wie mir, dann fällt euch das schwer. Mir fällt es schwer, auf Leute zuzugehen und einfach nur zu sagen: „Bitte verzeih mir, ich habe falsch gehandelt.“ Bei mir kommen dann alle möglichen Entschuldigungen durch den Kopf, Erklärungen, die die Schuld kleiner machen. Vielleicht auch der Gedanke: „Warum ist der überhaupt so empfindlich? Warum hat er diese Worte auf die Goldwaage gelegt? Warum ist er jetzt so beleidigt? Ist der andere schuld?“ Also ich sage etwas Böses, und der andere ist schuld, weil er sich getroffen fühlt. Kennt ihr das auch?
Dann fühlt man sich ganz gut dabei, vielleicht sogar die andere „Mimose“, oder? Manche Kinder auf dem Schulhof machen das so: Sie mobben andere Kinder und sagen dann: „Der fand das auch lustig.“ Das ist auch eine Entschuldigung: „Es ist doch gar nicht so schlimm“ oder „das machen doch alle“ oder „was weiß ich“. Das ist alles kein biblischer Umgang mit Schuld.
Biblischer Umgang mit Schuld heißt nicht, nach Entschuldigungen zu suchen, sondern Schuld einzusehen, sie zu benennen und um Gnade zu bitten. Das fällt jedem Menschen schwer, glaube ich, zumindest mir. Denn das heißt, ich habe nichts in der Hand. Ich muss einfach dabei bleiben, dass ich schuldig bin. Ich bin angewiesen auf die Gnade des Anderen. Und wir wollen nicht gerne angewiesen sein auf andere Menschen. Wir wollen die Sache gerne selbst in der Hand haben, noch etwas tun können.
Aber genauso wie es Gott gegenüber ist, ist es manchmal auch anderen Menschen gegenüber so. Dann geht es nicht mehr um irgendwelche Entschuldigungen oder darum zu sagen: „Aber der hat das auch getan.“ Ja, vielleicht hat der andere etwas falsch gemacht und macht deine Schuld kleiner. Manchmal ist das bei Familienstreitigkeiten oder Streitigkeiten in der Gemeinde so, dass endlos danach gesucht wird: „Aber der hat das gemacht“, „und der hat das nicht getan“, „und der hat mir nicht die Hand gegeben“, „und der hat mich nicht eingeladen“, „der hat mir nicht zum Geburtstag gratuliert, deshalb ist er jetzt schuldig.“ Und wenn ich den schneide oder ihm böse bin, ist das dadurch gerechtfertigt.
Ich kenne manche ältere Menschen, zum Beispiel bei uns in der Nachbarschaft, die sind seit Jahrzehnten mit ihren Kindern zerstritten. Wenn ich ihnen dann den Ratschlag gebe: „Geh doch mal auf die Kinder zu“, sagen sie: „Nein, das geht nicht, die müssen zuerst kommen.“ Ja, genau. Und was wird dann kommen? Wahrscheinlich wird bis zu ihrem Tod nichts mehr passieren, weil die Kinder denken: „Die Eltern haben sich so blöd verhalten, die müssen zuerst kommen.“ Mit solch einer Auffassung wird Schuld nie ausgeräumt. Sie bleibt immer stehen oder wird sogar größer, weil du dich jeden Tag mehr darüber ärgerst, wie böse der andere ist. Je mehr du darüber nachdenkst, desto böser wird der andere – zumindest in deinem Denken.
Dann merken wir: All das spielt keine Rolle. Selbst wenn der andere schuld ist, bist du in erster Linie verantwortlich für deine Schuld Gott gegenüber und dem anderen gegenüber. Das ist die Herausforderung, wenn Gott dir das deutlich macht, wenn Gott in deinem Gewissen spricht oder du vielleicht heute Morgen denkst: „Eigentlich bin ich anderen Menschen gegenüber schuldig geworden, ich habe da Sachen falsch gemacht.“ Auch wenn du es gut gemeint hast, auch wenn dir nicht bewusst war, dass du den anderen verletzt hast.
Lass alle Entschuldigungen beiseite und überwinde dich. Bitte Gott darum, dass er dir die Kraft und Einsicht gibt, so demütig zu sein, einfach mal hinzugehen zu einem anderen – vielleicht in der Gemeinde, der Familie oder in der Nachbarschaft – ohne große Entschuldigung und einfach zu sagen: „Es tut mir leid, ich habe versagt, bitte verzeih mir.“ Das ist das Einzige, was biblisch ist und was Gott von uns erwartet.
Theoretisch weiß das doch jeder von euch. Theoretisch wisst ihr, dass ihr schuldig vor Gott seid und auch schuldig anderen Menschen gegenüber. Aber jetzt ist die Herausforderung, das auch konkret zu benennen, da, wo wir leider immer wieder schuldig werden. Auch da, wo wir uns Mühe geben und trotzdem schuldig werden, weil wir falsch reagieren oder Situationen falsch einschätzen. Dann den ersten Schritt zu gehen, ohne Entschuldigungen zu erfinden, und zu bitten: „Bitte verzeih mir!“ Dann kannst du darauf hoffen, dass Gott am Herzen des Anderen arbeitet.
Das ist nicht deine Sache. Wenn der andere an dir falsch gehandelt hat, muss Gott in seinem Herzen sorgen. Der andere muss das einsehen. Versuch nicht, das zu bewirken, sonst wirst du vielleicht noch schuldig daran.
Dann ist die nächste Herausforderung, an der der Mann im Gleichnis scheitert: Diese Herausforderung, den Leuten zu vergeben, die an dir schuldig geworden sind. Die Schuld ernst zu nehmen und Vergebung auszusprechen, ohne große Bedingungen oder Gegenleistungen zu fordern. Auch das kann herausfordernd sein, besonders bei Menschen, die an uns schuldig geworden sind und wo es richtig schmerzhaft war.
Bei manchen Dingen fällt mir das einfach. Aber ich kenne Leute, mit denen ich jahrelang zusammengearbeitet habe, die plötzlich böse Gerüchte über mich gestreut haben. Dann stehst du da, und Leute schauen dich komisch an oder meiden dich. Am Ende kommt heraus: „Oh, da war der liebe Bruder, von dem du dachtest, alles wäre in Ordnung.“ So etwas tut weh. Oder Streit mit dem Ehepartner oder den Kindern tut oft so weh, weil diese Menschen uns so nahe stehen.
Dann fällt es schwer zu sagen: „Ja, ich vergebe dir.“ Manche sagen auch: „Ja, ich vergebe, aber ich vergesse nicht.“ Gut, vergessen kann man nicht willentlich steuern. Aber zumindest, wenn der böse Gedanke kommt, musst du sagen: „Nein, halt, ich will da nicht mehr dran denken, weil ich ihm vergeben habe.“ Nicht an der Schuld festzuhalten, wenn man sie losgelassen hat, sondern Schuld wirklich zu vergeben.
Das fordert allerdings, dass der andere auch darum bittet. Du kannst jemandem keine Schuld vergeben, wenn er sie nicht einsieht. Das macht Gott ja auch nicht. Gott geht nicht mit einem Füllhorn durch die Welt und drängt jedem Vergebung auf. Da kommt ein Mensch und sagt: „Gott, ich will deine Vergebung nicht.“ Doch, ich vergebe dir.
Manche Christen meinen, es sei besonders gut, Leuten zu vergeben, die gar keine Vergebung wollen. Nein, das gibt es in der Bibel nicht. Wie lesen wir im ersten Johannesbrief: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht.“ Was bei Gott gilt, gilt auch zwischenmenschlich.
Wenn jemand bei dir schuldig ist, die Sünde aber nicht einsieht, kannst du diese Schuld Gott abgeben. Du kannst bereit sein zur Vergebung und darum bitten, dass der andere den richtigen Weg findet und Gott ihn segnet. Aber du kannst keinem anderen eine Schuld vergeben, wenn er sie nicht einsieht. Das geht bei Gott nicht, und bei Menschen auch nicht.
Du sollst dem anderen aber nicht schwerer machen und keine Bedingungen daran stellen. Du sollst bereit sein. Wenn der andere zu dir kommt, versuche nicht, ihm möglichst viele Hürden aufzubauen, sondern sei bereit, wie der Vater dem verlorenen Sohn gegenüber, der ihm schon entgegengeht. Der Vater zwingt seinen Sohn nicht zur Umkehr, aber der Sohn muss bereit sein. Dann ist der Vater bereit, ihn wieder in die Arme zu schließen.
Genauso ist es bei anderen Menschen und bei Gott. Gott wird dich nicht zwingen, dir die Sünde zu vergeben. Du kannst auch keinen anderen Menschen zwingen, Sünde einzusehen. Du kannst bei dir sehen, dass du Sünde einsiehst und um Vergebung bittest. Du kannst bereit sein zur Vergebung.
Manchmal kann die Verhärtung in deinem Herzen, die dich niederdrückt, so stark sein, gerade wenn Menschen an dir schuldig geworden sind. Das kann dir den Schlaf rauben, besonders bei schwerwiegenden Dingen und großen Enttäuschungen. Du kannst innerlich verletzt sein. Hier gilt es, diese Verletzungen zu Gott zu bringen, denn nur er kann heilen.
Wenn der andere es nicht einsieht, wirst du nicht innerlich verbittert. Du kannst dem anderen die Schuld nicht vergeben, die er nicht benennt. Aber du kannst dafür sorgen, dass dich diese Schuld nicht kaputtmacht. Du kannst den Schmerz und das Leiden Gott abgeben und ihn bitten, dein Herz weich und offen zu machen für Versöhnung.
Vielleicht kannst du sogar, wenn der andere schuld ist, den ersten Schritt machen, ohne große Vorwürfe. Lade den anderen einfach mal zum Kaffee oder Grillen ein und hoffe, dass Gott an seinem Herzen arbeitet, ohne ihm ständig mit der Nase daraufzustoßen.
Die Frage des Umgangs mit Schuld finden wir in der Bibel immer wieder. Sie spielt auch in unserem Leben eine große Rolle. Menschen ohne Gott wollen die Frage der Schuld oft verdrängen. Sie wollen nichts damit zu tun haben. Schuld sind immer die anderen. So versucht man, sich gegenseitig zu schützen und zu stützen: „Ich bin ein guter Mensch, du bist auch ein guter Mensch, und unsere Freunde sind gute Menschen. Die Bösen sind immer die anderen.“
Aber am Ende ist genau das, was Gott uns deutlich machen will: Nein, nicht die anderen, du bist derjenige, der schuldig ist. Dass der andere schuldig ist, stimmt auch, aber das hilft dir nicht. Du musst erst bei dir anfangen und an dir arbeiten. Das ist ein unangenehmes Thema, aber in der Bibel unumgänglich und in der Realität auch.
Wenn du älter wirst, weißt du: Ich bin schuldig geworden, und andere sind auch schuldig geworden. Die Frage des Petrus: „Wie oft muss ich vergeben?“ beantwortet Jesus mit: „Du musst immer vergeben, genauso wie Gott es tut.“ Wie oft vergibt Gott dir, wenn du ihn darum bittest?
Ich hatte vor kurzem ein seelsorgerliches Gespräch. Da kam das Problem auf, dass jemand immer wieder dieselbe Sünde begeht und dachte: „Gott kann mir nicht mehr vergeben.“ Manche leiden daran. Doch gilt: Wenn du ehrlich bereust, vergibt Gott dir auch beim hundertsten Mal. Heißt das, du sollst leichtfertig sündigen? Natürlich nicht. Aber manchmal klebt die Sünde an uns, und wir tun es immer wieder, obwohl wir es nicht wollen. Dann wissen wir, wenn wir ehrlich bereuen, können wir bei Gott Vergebung finden.
Das ist es, was Jesus dem Petrus sagt. Und genauso sollen wir reagieren: Wie Gott an dir gehandelt hat, so sollst du auch an Menschen handeln, die dir etwas schuldig sind oder dir Böses getan haben.
Das ist die Herausforderung heute Morgen. Entweder merkst du: Ich habe meine Schuld Gott gegenüber bisher verdrängt, ich habe sie nie wirklich bereut, ich habe Gott nie um Vergebung gebeten. Dann tu das. Das nennt die Bibel Christsein oder Bekehrung: Zu Gott kommen, umkehren, Schuld einsehen, statt sie wegzuerklären oder zu verdrängen, und Gott um Vergebung bitten. Er sagt: „Ich bin bereit, dir zu vergeben“, genauso wie der König in der Geschichte seinem Knecht vergeben hat.
Das fordert Demut Gott gegenüber. Ehrlich zu sich selbst zu sein und sich nicht ständig nur zu vergleichen und zu denken, die anderen seien böser als ich.
Die nächste Herausforderung ist, dass wir, wenn wir um Vergebung bitten, das nicht nur einmal tun, sondern als Christen immer wieder schuldig werden und um Vergebung bitten müssen. Was uns davon abhält – wie „Das tun andere doch auch nicht“ oder „Wie stehe ich denn da, wenn ich um Vergebung bitte?“ oder „Ich musste das ja so tun“ – sollten wir beiseitelegen.
Auch wenn du schon lange Christ bist, wirst du nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch immer wieder schuldig und musst um Vergebung bitten – Gott gegenüber und anderen Menschen gegenüber.
Bitte Gott darum, dir zu zeigen, wenn dein Gewissen dich schon schlägt, wo Schuld in deinem Leben ist und wo du anderen Menschen oder Gott um Verzeihung bitten musst, auch wenn du schon lange Christ bist und die Errettung hast.
Wenn das nicht deine Hauptbaustelle ist, dann ist sie vielleicht da, wo andere Menschen dich verletzt haben, wo sie dir gegenüber falsch gehandelt haben und du deshalb innerlich auf sie wütend bist. Wo du diesen Menschen ausweichst oder Ärger gegen ihn hast.
Geh richtig damit um, so wie Jesus es dir gegenüber getan hat. Sei bereit zur Vergebung. Und wenn jemand kommt, nimm es ernst. Stell keine neuen Bedingungen daran. Mach es dem anderen nicht besonders schwer, sondern sprich Vergebung aus. Das kann Beziehungen zu Gott und anderen Menschen reinigen.
Aber denk daran: Selbst wenn der andere nicht kommt, kannst du zu Gott kommen und all deinen Ärger und deine Verletzungen bei ihm abgeben. Sonst ziehen sie dich runter und von Gott weg. Du siehst die Gnade Gottes nicht mehr, weil du ständig an der Schuld festhältst, wo andere dir Böse getan, dich verletzt, benachteiligt oder ungerecht behandelt haben.
Komm zu Gott und bitte ihn, deine Verhärtung, Enttäuschung, Wut und deinen Ärger wegzunehmen. Vielleicht ist das der erste Schritt, dass es, obwohl du es dir kaum vorstellen kannst, wieder Versöhnung gibt mit den Menschen, bei denen viel falsch gelaufen ist.
Gott ist das große Vorbild. Er fordert von uns nichts, was er nicht selbst in viel größerer Weise bereit ist zu tun: echte Vergebung anzubieten.
Dazu möchte ich euch ermutigen: Nehmt das auf, geht dem nach und zieht die Konsequenzen für eure jetzige Lebenssituation.
Ich möchte an dieser Stelle gerne mit euch beten. Ihr dürft dazu aufstehen.
Herr Jesus, vielen Dank, dass du zu den Menschen damals und auch zu uns heute so bildlich, so plastisch, so anschaulich und so direkt sprichst. Danke für die Frage des Petrus, die du auf so besondere Weise beantwortest.
Danke, dass wir in dir jemanden haben, der uns Schuld vergibt, der nicht dauernd in der Wunde bohrt und keine großen Bedingungen stellt. Du vergibst uns, wenn wir bereit sind anzuerkennen, dass wir falsch gehandelt haben.
Ich danke dir für all diejenigen, die heute Morgen da sind und diese Vergebung schon in Anspruch genommen haben. Sie haben erfahren, wie gnädig und liebevoll du bist.
Ich möchte dich bitten, für all diejenigen, die heute Morgen da sind und diese Vergebung noch nicht erfahren haben. Hilf ihnen, ihren Stolz und ihre Selbstentschuldigungen zu überwinden. Zeige ihnen ihre Schuld deutlich und gib ihnen dann den Mut, ehrlich zu dir zu kommen, Schuld zu bekennen, um ebenfalls Vergebung zu erfahren.
Ich möchte dich bitten, dass du uns hilfst, auch wenn wir Christen sind, zu erkennen, wo wir anderen gegenüber schuldig sind. Hilf uns, über den Schatten unserer Selbstentschuldigung oder unserer Verbitterung hinwegzuspringen und andere um Vergebung zu bitten, wo wir Schuld auf uns geladen haben.
Gib uns die Kraft, den Mut und die Klarheit, nicht einfach Dinge zu verdrängen, sondern sie anzusprechen und zu erleben, wie andere uns vergeben können, wenn wir Schuld benennen. Lass uns da anders sein als die Welt, die dich nicht kennt.
Gib uns auch Einsicht und Kraft, wenn Menschen zu uns kommen, damit wir es ihnen nicht besonders schwer machen, sondern Vergebung aussprechen.
Und wenn Schuld da ist, wo andere Menschen schuldig geworden sind, nimm du diese Last von uns weg. Lass uns nicht in Verbitterung oder Verletzung bleiben, sondern heile die Wunden, die durch Sünde und falsches Verhalten aufgerissen worden sind.
Danke, dass wir in all diesen Dingen nicht alleine dastehen, sondern durch deinen Heiligen Geist geleitet das Richtige tun können – anders als Menschen, die dich nicht kennen.
Ich möchte dich bitten, dass du uns Weisheit gibst und uns erinnerst, wenn an irgendeiner Stelle Veränderung notwendig ist.
Amen.