Dankbarkeit für Gemeinschaft und Gottes Wirken
Guten Morgen, es ist ein unbeschreibliches Vorrecht, mit euch zusammen zu sein. Ich bin sehr dankbar für die vielen erbaulichen und guten Gespräche, die ich mit so vielen von euch führen durfte.
Es ist schade, dass es nicht gereicht hat, mit allen Einzelgespräche zu führen, um zu hören, wie Gott in eurem Leben wirkt und was er in eurem Dienst tut. Mein Gebet ist, dass diese Stunden und Begegnungen, die wir in den letzten Tagen miteinander hatten, zum Segen und zur Erbauung gereicht haben. Wenn das so ist, dann ist es pur und rein die Gnade Gottes – nichts anderes.
Es ist nicht unser Verdienst, auch nicht mein Verdienst. Ein paar Mal wurde etwas über meine Sprache gesagt. Mit 19 Jahren kam ich nach Deutschland, völlig ohne Deutschkenntnisse. Ich frage mich selbst, denn ich höre viele Deutsche, die in die USA auswandern. Nach ein oder zwei Jahren ist ihr Deutsch vom Englischen gefärbt. Ebenso höre ich manche, die hierher kommen. Warum es nach einem Jahr der Dominanz aus dem „Schrank geholt“ und benutzt werden kann, finde ich interessant.
Ich frage mich, warum das so ist, und habe dafür keine andere Erklärung als: Es ist der Herr. Ich kann absolut nichts dafür auf mein Konto nehmen. Das ist etwas, was der Herr getan hat. Er hat uns allen unterschiedliche Gaben gegeben, und wir dürfen und müssen diese Gaben für ihn einsetzen.
Ich habe in meinem Dienst genügend Fehler gemacht, um oft Dinge zu ruinieren. Die Tatsache, dass der Herr so gnädig war und ist, uns aus diesen Fehlern wiederholt herauszuholen und uns dabei lernen zu lassen, ist große Gnade. Wir dürfen diese Lektionen dann auch anderen weitergeben, was ebenfalls ein großes Geschenk ist.
Leiterschaft: Prinzipien und persönliche Erfahrungen
Ich möchte heute Morgen in dieser ersten Stunde etwas zur Anleitung von Leitenden sprechen. Dabei geht es um ein Prinzip, eine Praxis und eine Sichtweise, die ich vor Jahren gelernt habe. Dieses Prinzip war für mich ein Wendepunkt im Leben und prägt mich bis heute. Ich hoffe, es wird auch für alle anderen wirksam und hilfreich sein.
Wenn wir junge, angehende Leitende haben – Frauen für die Frauenarbeit oder Männer für verschiedene Leitungsaufgaben in der Gemeinde – ist es wichtig, die Glaubwürdigkeit der Person genau zu prüfen und daran zu arbeiten. Gestern Abend haben wir in einem kurzen Gespräch mit Eberhard versucht, das deutlich zu machen. Mir wurde klar, wie jung er war, als er in der Gemeinde zu dienen begann – unter fünfundzwanzig Jahren. Dabei geht es um die Darstellung einer geistlichen, glaubwürdigen Reife: Reife im Wort und Reife im Herrn. Diese Reife sollte auch örtlich sichtbar sein.
Es gibt ein Prinzip der Leiterschaft, das ich von Chuck Swindoll, Charles Swindoll, in einem kleinen Büchlein gelernt habe. Es heißt „Leadership“ (Leiterschaft). Dieses Büchlein bekamen wir als Geschenk für eine Spende, die wir gegeben hatten. Ich wusste gar nicht, dass solche Geschenke vergeben werden. Als wir wieder in die Staaten kamen, wurde uns gesagt: „Hier ist euer Geschenk.“ Wir hatten nicht damit gerechnet, so etwas zu erhalten. Ich las das Büchlein und verschlang es regelrecht. Es war eine kurze, aber einprägsame Lektion.
Besonders prägend war seine Definition von Leiterschaft. Am Anfang sagt er: „Ich definiere Leiterschaft mit einem Wort: Einfluss.“ Ein paar Sätze später fügt er hinzu: „Erlaube mir, ein zweites Wort hinzuzufügen: inspirierender Einfluss.“ Diese beiden Wörter fassen zusammen, was geschehen soll, wenn ein Leiter irgendwo ist.
Ich stelle mir oft im Herzen die Frage, wenn es um eine Situation geht, in der ich eventuell die Leitung habe oder gebeten werde, sie zu übernehmen: Wie würde es aussehen, wenn ich hier Einfluss ausübe? Inspirierender Einfluss? Wie könnte das in mir aussehen? Was könnte ich tun, um zu inspirieren, andere zu motivieren und anzuspornen?
Oft denkt die Welt anders darüber. Mein Onkel, der nicht gläubig war, fragte mich, als ich die Leitung unseres europäischen Teams übernahm: „Wie fühlt es sich an, oben zu sein?“ Mein Bild von Leitung ist jedoch völlig anders. Es ist nicht eine Pyramide, bei der man oben sitzt und auf andere herunterschaut, sondern eine umgekehrte Pyramide mit der Spitze nach unten. Der Leiter steht unten und trägt und versorgt viele Menschen.
Wir sind solche, die versuchen, andere anzuspornen, zu glauben und gute Werke zu tun, wie es in Hebräer 10 beschrieben wird. Diese Definition prägt mich sehr.
Die verlorene Kunst des Jüngermachens
Durch das Lesen eines Buches, das von der KfG von Wilfried übersetzt wurde, wurde mir vor einigen Jahren etwas sehr Wichtiges bewusst. Ich habe es damals erwähnt: „Verkauf ein Hemd und kauf dir das Buch.“ Es ist so bedeutsam – die verlorene Kunst der Leiter, des Jüngermachens. Die verlorene Kunst des Jüngermachens habe ich wohl richtig übersetzt: The Lost Art of Discipleship von Leroy Ames.
Leroy Ames kam aus den Navigatoren nach Deutschland. Als wir hier dienten, besuchte er eine der Konferenzen für englischsprachige Diener am Wort im deutschsprachigen Raum, die Intermissions Conference. Ich hörte seine Vorträge, aber ich muss zugeben, dass vieles zum einen Ohr rein und zum anderen wieder rausging. Ich erkannte damals nicht die Tragweite und Wichtigkeit dessen, was er sagte.
Später, nachdem ich gescheitert war, Jünger zu machen und Leiter auszubilden, bekam ich dieses Buch in die Hand. Ich las es und verschlang es regelrecht. Es gibt eine Illustration in dem Buch, die eigentlich nicht mit meinem Namen versehen ist, aber sie passt so gut zu meiner Situation, dass sie von mir sein könnte. Mein Name könnte dort stehen.
Die Illustration handelt von einem älteren Mann, der von seinem Dienst in einem Missionsland zurückkehrte. Welches Land es war, steht nicht dabei. Er war dort dreißig Jahre tätig und hatte eine kleine Gruppe von Leuten versammelt, die Sonntag für Sonntag seine Predigten gehört hatten. Vielleicht 20 oder 25 Personen.
In den ersten Jahren seines Dienstes kam ein jüngerer Missionar hinzu, der aus der Sicht des älteren Missionars alles falsch machte. Der jüngere Missionar begab sich in Jüngerschaft und veranstaltete keine Sonntagsgottesdienste, zu denen er Leute einlud. Stattdessen handelte er multiplikativ, nach der Art der Navigatoren.
Die Navigatoren hatten ihre Arbeit gegründet, um amerikanische Matrosen, Seeleute in der Marine auf den Schiffen, zur Multiplikation zu bringen. Diese Matrosen kamen zum Glauben, arbeiteten mit Arbeitsheften und wurden tief im Glauben eingeführt. Nach sechs Monaten Dienst kehrten sie zurück, reif und gestärkt im Glauben. Diese Leute kamen dann in die Gemeinden zurück und fragten: „Wo ist hier die Jüngerschaft?“
Jüngerschaft war in amerikanischen Gemeinden Anfang der 1950er Jahre kaum ein Thema. Als wir Ende 1969 nach Europa gingen, hörte man den Begriff zwar in Gemeindekreisen, aber nicht intensiv.
Meine Umstellung begann 1980. Wir waren elf Jahre in Deutschland, als ich mit Jüngerschaft startete und das Buch von Leroy Ames las. Leroy Ames beschreibt in seinem Buch diese beiden Missionare. Er sitzt dem älteren Missionar gegenüber, der am Ende seines Dienstes steht und kopfschüttelnd berichtet: „Ich war fünfundzwanzig oder dreißig Jahre hier und habe fast nichts von meinem Dienst übrig.“
Es gibt nur ein Häuflein von Menschen, die ihm zugehört haben, während er predigte. Aber niemand war bereit, selbst zu predigen. Sie waren passive Zuhörer – und das sind die meisten Leute in den meisten Gottesdiensten. Die Gemeinde Jesu weltweit wird durch die Art, wie wir Gemeinde gestalten, zu Passivität erzogen. Und das ist ein Hauptproblem.
Das allgemeine Priestertum und die Herausforderung der Passivität
Die Gemeindemitglieder oder Gemeindeglieder entdecken nicht nur ihre eigenen Gaben, sondern auch die Geistesgaben aller Glieder. Luther entdeckte das allgemeine Priestertum aller Gläubigen.
Wenn man fragt, was die Bedeutung dieses allgemeinen Priestertums aller Gläubigen ist, kommt meist schnell die Antwort: „Sie haben direkten Zugang zu Gott.“ Wir müssen nicht über einen Priester gehen. Das ist die eine Hälfte, und es ist eine gute Hälfte.
Die andere Hälfte ist jedoch, dass wir direkten Zugang zum Dienst haben. Die Priester dienten dem Volk, sie dienten vor Gott und für das Volk. So haben alle Christen Zugang zum Dienst.
Doch die meisten Gemeinden werden geleitet – ich sage meist mehr als 50 Prozent – von wenigen Personen. Ich beobachte das besonders in den Vereinigten Staaten: Dort kann ein Team von 50, 70 oder vielleicht sogar 100 Leuten die Leitung übernehmen. Entschuldigung, wenn ich das so sage, aber diese wenigen können die Show für zwei Personen abziehen. Und 1800 Leute haben nichts zu tun, außer zuzuschauen.
Ein Pastor berichtete einmal in meinem Beisein, wie er einer Frau gesagt hat: „Deine Aufgabe als Mitglied ist es, zuzuhören, dich zu unterordnen, den Ältesten zu folgen und zu spenden.“ Ich wurde fast krank, als ich das hörte. Was? Nein! Das allgemeine Priestertum aller Gläubigen bedeutet, dass alle von uns Gaben haben, alle von uns Aufgaben besitzen und alle teilnehmen dürfen.
Ein älterer Missionar sagte: „Ich sehe zum Schluss meines Dienstes, dass ich vieles verkehrt gemacht habe.“ Er beschuldigte einen jungen Missionar, dem er oft gesagt hatte: „Du machst es verkehrt.“
Doch wenn er zurückblickt und sieht, wie dieser junge Missionar Jünger gemacht und angeleitet hat, erkennt er etwas anderes: An der Universität gibt es einen Christen, den der junge Missionar zum Glauben geführt hat. Dieser leitet eine Gruppe mit vierzig oder fünfzig Studenten. Hier drüben ist noch einer, den er ebenfalls zum Glauben geführt hat. Durchgehend durch die ganze Gruppe sind sie zerstreut im Land, und sie alle machen Jünger – alle!
Sie sind befähigt und angeleitet worden, Jünger zu machen. Dieser ältere Missionar war sehr geknickt.
Die Freude an geistlicher Reproduktion
Früher, im gleichen Kapitel, spricht Leroy Imes über eine Illustration. Er unterhält sich mit einem Missionar und fragt ihn, was das Schönste im Dienst sei. Der Missionar antwortet: „Oh, das ist ja klar, jemanden zu Jesus Christus zu führen.“
Imes entgegnet: „Ja, das ist schön. Könnte es aber sein, dass es noch etwas Schöneres gibt?“ Er überlegt lange, findet keine Antwort und sagt schließlich: „Könnte es nicht noch schöner sein, wenn derjenige, den du zu Jesus geführt hast, selbst jemanden zu Jesus führt und anleitet? Wenn dieser wiederum andere zu Jesus führt und anleitet? Zu sehen, dass das Kind, das durch dich zum Glauben kam, heranwächst und auch andere zu Jüngern macht.“
Er fährt fort: „Ich muss bekennen, meine größte Freude ist nicht die Arbeit, die ich selbst tue. Meine größte Freude ist es zu sehen, dass die, die ich anleiten durfte, viele davon weit besser machen, als ich es kann. Preis den Herrn!“
Es ist wichtig, dass wir die Freude haben, zu sehen, wie die Kinder heranwachsen und dasselbe tun. Wir haben drei Söhne und eine Tochter. Es ist eine große Freude, die leiblichen Kinder zu beobachten und zu sehen, wie sie ihr Leben mit Jesus gestalten. Das habe ich in den letzten Tagen mehrfach betont.
Doch nicht nur die leiblichen Kinder bereiten Freude, sondern auch die geistlichen Kinder, die ich anleiten durfte. Immer wieder gebe ich ihnen einen neuen Anstoß. Sie rufen an – manchmal unverhofft und unerwartet, etwa Samstagabend um zehn Uhr oder Dienstagnachmittag um vier Uhr. Dann läutet mein Telefon: „Hallo Roger!“ Es folgt ein Gespräch, oft von weit her aus dem Land.
Sie sagen: „Ich stecke irgendwo fest, hänge in einem Problem, ich komme nicht weiter. Kannst du mir einen Rat geben?“ Diese Gespräche sind immer wieder eine Gelegenheit, sie weiter anzustupsen, damit sie in ihrem Dienst reproduktiv bleiben.
Ruinieren für das Richtige: Gebet und Gemeindegründung
Nun, ich unterrichte die Gebetsklasse, und zu Beginn des Semesters sage ich: Es ist mein Ziel, euch in diesem Semester zu ruinieren. Die Studenten schauen mich dann alle an und denken: „Zu ruinieren?“
Die meisten dieser Studenten sind ledig. Nachdem sie mich mit Stirnrunzeln ansehen, erkläre ich, was ich damit meine. Ich sage: Mein Ziel ist, euch so zu ruinieren, dass ihr niemals im Leben eine romantische Beziehung mit einer Person eingeht, die nicht betet. Ich möchte euch absolut ruinieren für eine gebetslose Beziehung. Ihr sollt nicht auf die Idee kommen, einen Mann oder eine Frau zu heiraten, der oder die nicht betet und Jesu Namen anruft.
Ich unterrichte auch einen Kurs über Prinzipien der Gemeindegründung – „New Testament Church Planting Principles“. Am Anfang dieses Kurses sage ich ebenfalls: Es ist mein Ziel, euch zu ruinieren. Es ist mein Ziel, euch für das Zuschauerchristentum zu ruinieren. Ihr sollt niemals zufrieden sein mit Zuschauerchristentum. Dieser Kurs soll dazu dienen, dass in eurem Herzen das Gedankengut der Reproduktion so groß wird, dass ihr nie wieder zufrieden sein werdet, bis ihr an dem Punkt seid, an dem Reproduktion geschehen kann.
Immer wieder bekomme ich Anrufe und Briefe von Menschen, die sagen: „Endlich, Roger, ich habe eine Gemeinde gefunden, in der Reproduktion praktiziert wird.“ Dabei möchte ich anmerken: Es ist leicht, unvollständige, unkomplette und imperfekte Gemeinden zu hassen. In den USA sieht man in der Richtung der Emergent Church sehr viel Abneigung, sogar fast Hass, der gegen die herkömmliche Gemeinde, auch gegen passive Gemeinden, geäußert wird.
Oft ist dabei eine Arroganz spürbar: „Wir machen es richtig!“ Doch wenn man behauptet, „Wir machen es richtig“, ist das ebenfalls Arroganz. Und ich möchte, dass wir diesen Satz nie vergessen: Wir dürfen nie hassen, was Jesus liebt.
Demut und inspirierender Einfluss in der Gemeinde
Und Jesus liebt jede einzelne örtliche Gemeinde, die ihm gehört. Er liebt sie alle – auch die Imperfekten, die Unvollständigen und die Unvollkommenen.
Er liebt jede Ehe. Und wie viele Ehen sind perfekt? Kirchlich gesehen nur wenige, aber er liebt sie alle. Deshalb dürfen wir niemals hassen, was Jesus liebt.
Wenn es also eine unvollständige Gemeinde gibt, sage ich das auch den Bibelschülern: Werde nicht arrogant und denke, du wüsstest alles über geistliche Reproduktion. Geh nicht nach Hause und halte ihnen eine Standpauke. Nein, auf keinen Fall!
Stattdessen beginne in Demut zu lernen und andere zu Jüngern zu machen – dort, wo du in der Gemeinde bist. Komm nicht von oben herab und schaue nicht arrogant auf andere herab. Denn das ist kein inspirierender Einfluss.
Inspirierender Einfluss bedeutet, dass wir bereit sind, andere zu begleiten.
Leiterschaft nach Apostelgeschichte 20
An dieser Stelle möchte ich auf eine Bibelstelle in der Apostelgeschichte hinweisen. In meinem Lieblingsabschnitt, der übrigens auf der CD zu finden ist, handelt es sich um Apostelgeschichte 20, bis Vers 38. Dies ist die letzte Rede von Paulus an die Gemeindeältesten in Ephesus.
Es ist die bedeutendste neutestamentliche Rede über Leiterschaft. Man könnte einige dieser Prinzipien aus verschiedenen Stellen von Paulus an anderen Orten zusammenlesen, aber hier sind sie geballt. Ich habe 22 Prinzipien der Leiterschaft entdeckt. Diese sind auf der CD in einer Liste zu finden.
Gestern Abend durfte ich weiter dienen. Es gab vier Vorträge hier, und gestern Abend hielt ich einen Vortrag von drei Stunden. In der Vorbereitung dafür dachte ich, wir könnten vielleicht durch Apostelgeschichte 20 gehen. Das haben wir jedoch nicht getan, wir waren in 1. Timotheus 6. Trotzdem habe ich ein Arbeitsblatt für Apostelgeschichte 20 vorbereitet, das ich euch allen geben möchte.
Es ist eine große Arbeit wert, diesen Abschnitt gründlich zu durchforsten und Prinzipien des Dienstes zu entdecken. In meiner Klasse „Theologie des Missionsdienstes“ ist die Aufgabe, diesen Abschnitt zu durchkämmen und mindestens 15 Prinzipien zu finden. Ich habe inzwischen 22 entdeckt, manche kommen auf fünf oder sechs. Ich denke, wenn man genau hinschaut, fallen sie einem förmlich entgegen.
Ich möchte uns einige Prinzipien aus Vers 31 zeigen: „Darum wacht und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufgehört habe, jeden Einzelnen unter Tränen zu ermahnen.“ Paulus erinnert an sein Vorbild. Unser Dienst muss vorbildhaft sein. Er sagt: „Denkt daran“, „Erinnert euch daran.“ In Vers 18 sagt er: „Ihr wisst...“, und in Vers 34: „Ihr wisst ja selbst, dass diese Hände für meine Dürfnisse gesorgt haben.“ Paulus lebte vorbildlich. Deshalb konnte er sagen: „Denkt daran, erinnert euch an mein Vorbild, ich habe es euch vorgelebt.“ Das ist geistliche Leiterschaft: vorleben, nicht die Schafe treiben. Das haben wir im Gespräch über die Bilder gesagt – nicht die Schafe treiben, sondern mit Vorbild vorangehen, Vorbilder der Herde sein.
„Denkt daran, wacht!“ Das heißt, in dem Dienst, den wir in der Gemeinde tun, müssen wir wachsame Augen haben. Niemals Däumchen drehen, sondern immer wachsam sein. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht schlafen dürfen. Wir gehen gerne schlafen, und es ist gut zu wissen, dass er die Gemeinde viel besser verwalten kann als wir – während der acht oder neun Stunden unseres Schlafs oder auch sechs Stunden, wie es eben ist.
Am Anfang meines Dienstes habe ich das kaum gemerkt und habe nachts viel gegrübelt. Doch ich durfte lernen: Er ist souverän, er ist total fähig, und ich kann schlafen gehen. Im hohen Alter lege ich mich schlafen, selbst wenn die Gemeindeprobleme weit über dem Kopf wachsen. Ich sage dann: „Okay Herr, trotzdem bist du Herr, es ist deine Gemeinde, ich gehe schlafen.“
Wacht, aber nicht 24 Stunden am Tag wachsam sein in unserem Dienst. Paulus war intensiv in seinem Dienst – Tag und Nacht. Das heißt tagsüber und auch abends bei den Leuten.
Gestern Abend fragte ich: „Wie lange sollen wir weitermachen?“ Wir fingen um halb acht an, sie kamen um halb acht. Ich fragte: „Wie lange soll es gehen?“ Die Antwort war: „So lange du willst.“ Als wir eine kurze Pause machten, kamen wir zurück, und ich fragte erneut: „Wann sollen wir aufhören?“ Jemand sagte: „Wenn jemand aus dem Fenster fällt.“ Dabei stellten wir fest, das Fenster war nicht sehr hoch, und niemand würde dabei sterben. Ich fragte, ob jemand die Gabe der Heilung habe, damit er den Fall überleben könne. Das war jedoch nicht der Fall. Wir blieben nicht bis Mitternacht.
Paulus aber diente intensiv. Es ist ein Unterschied, denn wir wissen, er hatte keine Frau. Es ist anders, wenn man verheiratet ist. Wir dürfen in unserer Intensität unsere Familie nicht vernachlässigen. Erstens sind wir mit unserer Frau verheiratet, und dann haben wir uns um die Frau Jesu in der Reihenfolge zu kümmern. Wir haben zuerst die Frau bekommen.
Viele meinen, die Familie kommt hinten dran, weil sie für Jesus und seine Sache da sind. Doch es ist ganz umgekehrt. Wir lesen gestern, dass ein Leiter seinem eigenen Haus wohl vorstehen muss. Wer sein eigenes Haus nicht leiten kann, ist nicht qualifiziert, in der Gemeinde Jesu Leitung zu übernehmen. Er leitet im kleineren Format die kleine Gemeinde der Familie. Aufgrund dieser Leitung ist er qualifiziert, die größere Gemeinde Jesu zu leiten.
Das heißt, ein Diener darf nie sagen: „Okay, ich diene intensiv Tag und Nacht und vernachlässige dabei die Familie.“ Paulus’ Dienst war drei Jahre lang ein Dienst der Treue. Ein weiteres Dienstprinzip ist ein Dienst des Mitleidens. Wie sich die Sprache wandelt: Nach unserem Umzug in diesen Jahren werden englische Wörter oft verdeutscht. Ich finde das interessant. Man benutzt das englische Wort „involved“. Das deutsche Wort ist auch gut: total engagiert im Leben von anderen.
Paulus war Tag und Nacht mit Tränen bei den Menschen. Worüber weinte Paulus? Über die Nöte der Leute, dass sie in Sünde gefallen waren. Er weinte mit den Weinenden. Tag und Nacht, mit Tränen. Durch diese Tränen erfuhren die Empfänger die Tiefe seiner Liebe.
Tag und Nacht, jeden Einzelnen – das heißt, sein Dienst war persönlich. Er diente nicht nur für die Masse, sondern kümmerte sich um die Einzelnen.
Persönliche Anteilnahme und konfrontative Ermahnung
Ich habe einmal in Frankreich eine Schulung gemacht. Es waren einige Studenten da, und am Anfang des Tages bemerkte ich hinten links ein Mädchen mit einem traurigen Gesichtsausdruck. Ich begann innerlich für sie zu beten. Ich dachte, vielleicht gibt der Herr mir im Laufe des Tages die Möglichkeit, ihr mitzuteilen, dass ich das gesehen habe. Doch es ergab sich keine Gelegenheit.
Später, gegen 22 Uhr, als ich ins Bett gehen wollte, lief ich durch eine Tür – und wer kam mir entgegen? Dieses Mädchen. Wir trafen uns im Türrahmen. Ich sagte zu ihr: „Du, ich habe heute Morgen an deinen Augen und deinem Gesicht gesehen, dass du mit etwas kämpfst. Ich habe den Tag über für dich gebetet.“ Daraufhin brach sie sofort in Tränen aus. Einige von uns sprachen bis halb zwei morgens mit ihr. Sie hatte große innere Kämpfe, Tag und Nacht, begleitet von Tränen.
Es ist berührend, zu sehen, wie andere kämpfen, ihre Schmerzen mitzuerleben und mitzugehen. Wenn sie weinen, weinen wir mit. Durch unsere emotionale Beteiligung an ihren Gefühlen und ihrem Leiden merken sie, wie sehr wir sie lieben. So ermahnt er jeden Einzelnen unter Tränen. Sein Dienst war oft konfrontativ.
Ich lernte in Deutschland, wie man konfrontiert. In den Jahren habe ich sehr viel gelernt, und ich bin stark geprägt und geprägt von dieser Zeit. Oft werde ich an unserer Schule gebeten, die Konfrontation zu übernehmen, weil ich dafür bekannt bin, bereit zu sein, eine Sache beim Namen zu nennen. Das habe ich von euch gelernt, und wir dürfen auch von Paulus lernen.
Ich hoffe, dass ich inzwischen manchen vielleicht etwas härteren Geschwistern helfen konnte, die Konfrontation nicht zu hart zu gestalten. Konfrontativ ja, aber je heftiger die Worte und je schwerer die Aussage sind, umso sanfter versuche ich zu sprechen. Bei einer schweren Konfrontation versuche ich auch, langsamer und leiser zu reden.
Wenn ich die Möglichkeit habe, mich zu bewegen und nicht auf einem Stuhl sitze, trete ich bewusst vielleicht einen halben oder ganzen Schritt zurück. Ich rede sehr konfrontativ, aber ich möchte nicht, dass jemand denkt, ich komme und schlage ihn. Deshalb trete ich zurück, spreche langsamer und leiser. Denn die Worte selbst sind oft schon ein Schlaghammer. Ich muss nicht laut sprechen.
Paulus sprach konfrontativ, und dabei liefen ihm die Tränen. Einmal sagte jemand zu mir in Stuttgart: „Roger, ich habe die Schnauze voll. Ich habe es mit Jesus versucht, aber ich habe die Schnauze voll. Ich gehe weg von Jesus und vom Glauben.“ Sie drehte sich um, ich war auf der anderen Seite meines Schreibtisches. Sie kam in mein Büro, kehrte um und ging weg. Ich konnte mir nicht helfen, ich fing an zu schluchzen und zu weinen.
Sie blieb in der Tür stehen. Nach wenigen Minuten, in denen ich nicht aufhörte zu weinen, kam sie zurück auf die andere Seite meines Schreibtisches. Sie sagte: „Ich wusste nicht, dass ich dir so viel bedeute.“ Ich antwortete: „Du bedeutest Jesus viel. Es geht um dein ewiges Leben, um deine Zukunft. Du kannst dein Leben, den Wandel und alles, was du mit Jesus erlebt hast, nicht einfach wegwerfen. Ich appelliere an dich: Tu das nicht.“
Ich bin so dankbar, dass sie heute mit einem Mann Gottes verheiratet ist und eine wunderbare geistliche Familie im Herrn gegründet hat. Wir sind eng befreundet. Ich danke dem Herrn sehr, dass er ihr Leben gerettet hat von dem Gedanken, wegzugehen von Jesus.
Die Tränen habe ich nicht produziert, sie kamen von selbst. Oft erlebe ich das in einer Verkündigung, so wie hier. Dann kommen plötzlich diese Gedanken. Ich möchte sie fast unterdrücken, aber sie kommen, und ich kann sie nicht bremsen. Diese Empfindungen kommen einfach.
Paulus war total engagiert darin, andere zu Jesus zu führen. Von ihm lernte ich ein Leitungsprinzip, ebenfalls im Jahr 1985. Jeder, der mich kennt, hat das zu spüren bekommen, denn ich lebe so und bin von diesem Prinzip geprägt und gestempelt. Ich will mich nie zurückverändern zu dem, was vorher war.
Die Kraft der gegenseitigen Ermahnung nach Römer 15
Und ich möchte uns in den kommenden Minuten in dieses Leitungsprinzip hineinführen, und zwar anhand des Römerbriefs, Kapitel 15.
Es war meine normale Bibellese, als ich an diesem Tag auf Vers 14 stieß. Lesen wir ab Vers 13:
„Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und mit Frieden im Glauben, dass ihr überströmt in der Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.“
Ich selbst aber – „Meine Brüder, ich habe die feste Überzeugung von euch, dass auch ihr selbst voll Gütigkeit seid, erfüllt mit aller Erkenntnis und fähig, einander zu ermahnen.“
Ich gewann diese Bibelstelle lieb durch das Buch „Befreiende Seelsorge“ von J. Adams. Er leitet eigentlich seine ganze neuthetische Seelsorgepraxis von diesem Vers ab. Er sagt: „Ihr seid alle erfüllt und fähig, einander zu ermahnen.“ Das Wort „ermahnen“ ist „neuthetos“, und das neuthetische Counseling ist von diesem griechischen Wort abgeleitet.
Jeder Christ ist bewohnt vom Heiligen Geist. 1973 las ich das Buch, gewann diesen Vers und dieses Prinzip lieb und dankte dem Herrn dafür. Zwölf Jahre später, 1985, lese ich denselben Vers erneut, und die Unendlichkeit, die Endlosigkeit dieses herrlichen Buches wurde an diesem Tag wieder neu in meinem Leben offenbar.
Ich überlege – entschuldigt, wenn ich hier ein bisschen Griechisch beibringe – die griechische Sprache gebraucht das Wort „ich“ nicht unbedingt. Im Deutschen müssen wir es davor setzen, im Griechischen wurde es verstanden und in diesem Zusammenhang gebraucht. Paulus setzt das Wort „ich“ dazu, und zwar mit Betonung. Er nimmt es als Hammer und schlägt damit auf die Kanzel, um zu sagen: „Ich selbst!“ Er betont es, um zu zeigen, wie sehr er das sagen will.
„Meine Brüder, ich habe die feste Überzeugung von euch, dass auch ihr selbst ...“ Noch einmal macht er das „ich“ deutlich. Er sagt: „Ich habe diese feste Überzeugung von euch Römern, dass ihr voll Gütigkeit seid, voller Erkenntnis und fähig, einander zu ermahnen – voll, voll und fähig!“
Und ich sitze da in meiner stillen Zeit und überlege: Wie hätte sich das angefühlt, als Römer von Paulus diese Aussage zu lesen? „Ich habe die Überzeugung davon, ihr seid voll, voll und fähig.“ Paulus hält das von uns – das fühlt sich ziemlich gut an, denke ich mir.
Nun überlegen wir, was er sagt: Ihr seid voll Gütigkeit. Woher haben sie diese Gütigkeit? Von Gott, natürlich. Ihr seid erfüllt mit Erkenntnis. Woher haben sie die Erkenntnis? Von Gott, natürlich. Und sie sind fähig, geistlich einander zu ermahnen. Woher haben sie diese geistliche Fähigkeit? Von Gott.
Mit meinen Worten: Paulus schaut die Römer an und sagt, Gott ist am Werk in euch. Welche Ansicht, welcher Gedankengang! Das kochte in mir. Also saß ich zehn Minuten lang da und dachte nach. Ich wurde ganz erfüllt mit Freude und dachte: Wow, was für eine Auswirkung muss das auf die Römer gehabt haben!
Nun, die Bibel ist ein altes Buch. Und wer denkt, er habe etwas Neues in diesem alten Buch entdeckt, der sollte vorsichtig sein. Denn es gibt Tausende, ja Milliarden von Christen, die dieses Buch gelesen und durchgekämmt haben. Wenn wir mit einer ganz neuen Idee kommen, muss sie sehr, sehr langsam durchdacht werden.
Da dachte ich: Hm, aber wenn Paulus es hier gesagt hat, könnte es sein, dass er es woanders auch gesagt hat? In den nächsten 48 Stunden las ich alle anderen Bücher des Neuen Testaments durch – alle – und suchte, ob Paulus das nicht irgendwo anders gesagt hatte, eventuell auch in den anderen Briefen des Neuen Testaments.
Und tatsächlich fand ich in jedem Buch Dinge, die ich bis dahin überlesen hatte. Ein Beispiel kennen wir alle:
„Ich bin fest davon überzeugt, dass der, der das gute Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Christi.“ (Philipper 1,6)
Das ist ein klassisches Beispiel für Paulus’ Denken über die Philipper. Gott hat ein Werk in euch angefangen, und er hat es nicht nur angefangen, er wird es vollenden.
Ermutigung und Vertrauen in den Dienst der Gemeinde
Ich sitze an einem Tag in einem Gespräch mit einem Dozenten, und er klagt und jammert über die Studenten. Diese Studenten, sie seien unvollständig, so unvollständig, jammert er.
Ich sage: Ich habe Gott, und Gott wirkt in ihnen.
„Ah, ich sehe kein Anzeichen davon.“ Puh, wow, ein Dozent zu sein! Und so über die Studenten zu denken, ist natürlich wenig motivierend, nicht wahr? Und sie spüren das natürlich, wenn man von oben herabkommt und sagt: „Aus euch wird nichts!“ Das hat er einmal gesagt: „Aus denen wird nichts!“
Ich sagte: Du liegst total falsch, mein lieber Bruder!
Nun, Paulus hat das nicht nur hier gesagt. Ich möchte uns zu einigen anderen Stellen führen. Eine Lieblingsstelle von mir diesbezüglich ist 2. Korinther 7. Ich sagte, es ist überall, aber hier in 2. Korinther 7, dass ich 2. Korinther aufschlage und nicht 1.
Entschuldigung, 2. Korinther 7, Vers 2: „Gebt uns Raum in euren Herzen! Wir haben niemandem Unrecht getan, niemandem geschädigt, niemandem übervorteilt.“
Ich erwähne das nicht, um zu verurteilen, denn ich habe vorhin gesagt, dass ihr in unseren Herzen seid. Was sagt er damit? Wir haben euch lieb, wir haben euch ins Herz geschlossen.
„So dass wir mit euch sterben und mit euch leben“, eine totale Identifikation mit den Korinthern.
Ich bin sehr freimütig euch gegenüber, und hier kommt ein Knaller: Ich rühme viel von euch. Was? Ich rühme viel von euch, ich bin mit Trost erfüllt, ich fließe über von Freude bei all unserer Bedrängnis.
Geschwister, das ist Korinth, der erste Brief, ein Katalog von Gemeindeproblemen. Und hier im zweiten Brief sagt er: „Wo ich hinkomme, rede ich positiv über euch.“
Hinter dem Rücken schlecht reden, tratschen, Gossip – beide Sprachen, die ich fließend kenne, haben ein Wort dafür. Aber für „positiv hinter dem Rücken reden“ gibt es kein einziges Wort. Man muss die ganze Phrase benutzen, um es zu beschreiben. Und ich denke, es wird so wenig getan. Das wäre schön, man erfände ein Wort dafür, dann hätten wir weniger Mühe mit der Ausdrucksweise hier.
Paulus redet positiv hinter dem Rücken – da blieb ich längere Zeit hängen, als ich hier in 2. Korinther 7 las.
Aber schau mal, Vers 13: „Deswegen sind wir getröstet worden in eurem Trost, wir haben uns noch vielmehr über die Freude des Titus gefreut, denn sein Geist ist von euch allen erquickt worden, denn wenn ich euch ihm gegenüber gerühmt habe, bin ich damit nicht zu Schanden geworden. Sondern wie wir euch gegenüber stets die Wahrheit gesprochen haben, ist auch unser Rühmen dem Titus gegenüber wahr geworden, und sein Herz ist jetzt euch noch viel mehr zugetan, da er sich an den Gehorsam von euch allen erinnert, wie ihr ihn mit Furcht und Zittern aufgenommen habt. Ich freue mich nun, dass ich mich in allem auf euch verlassen kann.“
Ich möchte die Situation etwa so schildern: Hier ist Paulus mit Titus, und Paulus sagt zu Titus: „Geh zu den Korinthern, und wenn du dort hinkommst, wirst du wie ein König behandelt.“
Titus geht tatsächlich zu den Korinthern, wird wie ein König behandelt, kommt zurück und berichtet es Paulus.
Paulus sagt: „Wie du gesagt hast, haben sie mich behandelt wie ein König.“
Er ist zu euch gegangen, ihr habt ihn behandelt wie ein König, er kommt zurück und berichtet mir, ihr habt ihn behandelt wie ein König.
Was macht Paulus? Positiv hinter dem Rücken reden.
Das ist nicht Schmeichelei. Schmeichelei ist Sünde. Schmeichelei stellt sich selbst in den Vordergrund, nicht das Wohl des Anderen.
Hier will Paulus ermutigen: Gott ist am Werk in euch. Ich habe es Titus gesagt, Titus hat es erfahren, Titus hat es berichtet, ich berichte von dem Bericht Titus an euch, um noch einmal Rückmeldung zu geben: Macht weiter so!
Das haute mich um.
Und dann der letzte Satz in dem Kapitel. Da blieb ich lange Zeit hängen und stellte mir die Frage.
Dieses habe ich entdeckt: Fünfundachtzig, die Gemeindespaltung war achtzig. Ich gewann oft einen schwarzseherischen Blick, durch die Gemeindespaltung negativ auf Menschen zu schauen und oft negativ auf die Familie.
Und dann sehe ich diesen Text und frage mich: Wann habe ich Nancy das letzte Mal gesagt: „Schatz, ich freue mich, dass ich mich in allem auf dich verlassen kann.“ Wann habe ich meinen Kindern das gesagt: „Ich freue mich, dass ich mich in allem auf dich verlassen kann.“
Wie wirken solche Worte? Von einem Vater zum Kind – gewaltig!
Mein Vater war nicht einer, der so oft Dinge mitgeteilt hat. Ich habe eine Prüfung zweimal nicht bestanden, ein drittes Mal habe ich die Prüfung gemacht, über eine Zeitspanne von sechs Monaten. Mein Vater war Postamtsleiter, und jeden Tag früh morgens bin ich zum Postamt gelaufen.
Er hat ein Bündel aufgemacht, immer geguckt, ob ein Brief aus Seattle gekommen wäre – nicht gekommen. Und dann kam eine Postkarte, er hat sie gefunden, er hat sie mir ausgehändigt. Ich habe sie.
Ihr merkt, da war ich dreizehn, und jetzt mit siebenundsechzig kommen die Empfindungen hoch, wie er mir die Karte händigte: „Prüfung bestanden.“
Mein Vater tritt aus dem Postamtraum in den Foyer, nimmt meine Hand und sagt: „Roger, ich bin sehr stolz auf dich.“
Bis heute noch treibt mich das an, dass mein Vater mir das mitgeteilt hat.
Hier ist Paulus: „Auf euch Korinther ist Verlass.“ Ist das nicht gewaltig, ermutigend?
Nun, es gibt solche Stellen an anderen Stellen im zweiten Korintherbrief, aber schlagen wir den zweiten Thessalonicherbrief auf.
2. Thessalonicher 1: „Wir sind es Gott schuldig, allezeit für euch zu danken.“
Wie fühlt sich das an? Hier ist Paulus, und er dankt für die Thessalonicher.
„Wir sind es Gott schuldig, Gott allezeit für euch zu danken, Brüder, wie es sich geziemt. Es ist gegeben, es ist korrekt, dass wir so sind, dass wir so danken, deswegen aus diesem Grund, weil euer Glaube über die Maßen wächst, Gott ist am Werk in euch. Und die Liebe eines jeden Einzelnen von euch nimmt zu allen gegenüber zu, Gott ist mächtig am Werk in euch.“
Glaube und Liebe sind beide unter euch zu sehen, so dass wir selbst uns im Hinblick auf euch rühmen in den Gemeinden Gottes wegen eures standhaften Ausharrens und eurer Glaubenstreue in allen euren Verfolgungen und Bedrängnissen, die ihr zu ertragen habt. Das sind gewaltige Worte!
Paulus hört von der Treue der Thessalonicher in Verfolgung und rühmt sie.
Stellen wir uns mal vor: Du bist in einer Gemeinde, du kommst in diese Stadt, du bist Geschäftsmann unterwegs. Ihr trefft euch dort im Aldi zu Mittag, und beim Einkaufen triffst du dich dort mit einem Geschäftsmann vom Ort. Er sagt: „Ha! Der Paulus ist hier heute in der Stadt. Wir treffen uns heute um 18 Uhr bei Andronikus in der Wohnung.“
Deine Geschäftstätigkeit nimmt dich gefangen bis 20 Uhr, aber es ist ja kein Problem, die Predigt ist erst im Anlauf mit 20 Uhr, und du kommst etwas später.
Du kommst rein. Da ist kein Platz im Wohnzimmer, kein Platz in den Gängen, kein Platz im Schlafzimmer. Du findest einen Platz in der Küche.
Du kommst durch die Hintertür in die Küche und setzt dich auf den letzten Platz. Paulus ist voll mitten in der Predigt.
Er beginnt zu verkündigen und erzählt von Verfolgung.
Er sagt: „Geschwister, jetzt möchte ich euch etwas sagen von Geschwistern im Glauben, die treu sind in Verfolgung.“
Er beginnt von deiner Gemeinde in Thessalonich zu erzählen, erzählt von Leuten, die du kennst.
Und so waren sie standhaft, die Verfolgung nahm überhand, und sie blieben fest.
Was für treue Leute sind das? Das ist ja deine Gemeinde!
Boah, dein Herz sprudelt vor Freude.
Gegen Mitternacht kommt die Predigt zu Ende, alle stehen auf, und du quengelst dich durch die Menge und kommst zu Paulus.
Du umarmst ihn: „Paulus, du hast über meine Gemeinde gesprochen! Preis den Herrn, was Gott tut in der Gemeinde, das hat mich total ermutigt. Danke schön, danke für die Ermutigung!“
Brennen wir die Münze um: Paulus hätte deine Gemeinde in Thessalonich als Illustration für Gemeindeprobleme genommen. Er hätte einiges erzählt.
Gegen Mitternacht beendet er seine Rede.
Nun, wenn du ein schüchterner Typ bist, bekommst du wahrscheinlich heimlich, still und leise aus der Hintertür heraus und hoffst, dass dich niemand bemerkt hat, als dort von Thessalonich die Rede war.
Wenn du ein aggressiverer Typ bist, gehst du wahrscheinlich mit geballter Faust ins Wohnzimmer und suchst diesen Paulus, um ihm eine zu verpassen.
Paulus hat natürlich korrektiv gesprochen.
Aber wir haben es eben vorhin gelesen: In Apostelgeschichte 20,31 hat er jeden Einzelnen unter Tränen von Angesicht zu Angesicht korrigiert, gerügt, ermahnt und auch ermutigt.
Aber wo er nur konnte, gab er Ermutigung weiter.
Paulus’ Entwicklung und die Bedeutung von Barnabas
Ich habe viele weitere Bibelstellen. Vielleicht gebe ich euch die Liste noch, das tue ich zusätzlich auf dem Stick. Ich habe einen Stick zurückbekommen und werde die Liste nochmals darauf speichern.
Ich habe mich gefragt: War Paulus am Anfang wirklich so? Wenn man ein bisschen genauer hinschaut, merkt man, dass Paulus, wenn jemand einen Nebentritt machte, sofort sagte, das sei falsch. Er war ein Eiferer für das Richtige. Wie hat er das wohl gelernt?
Dann erinnerte ich mich an Apostelgeschichte 9. Schlagen wir Apostelgeschichte 9 auf. Hier wird beschrieben, wie Paulus zum Glauben kommt. Danach geht er für drei Jahre nach Arabien, wie es im Galaterbrief 1 steht. Anschließend kehrt er nach Damaskus zurück. Er predigt dort feurig und wird schließlich abgeseilt. Danach ist er unterwegs nach Jerusalem.
Man sagt: Du bist von Jerusalem. Es wurde behauptet, Paulus sei wiedergeboren. Das wurde aber abgelehnt mit den Worten: Quatsch, so etwas gibt es nicht, so etwas kann nicht geschehen. Paulus ist sogar unterwegs zu uns. Das glauben wir nicht.
Als Paulus in Jerusalem ankommt, ist die Stimmung ihm gegenüber absolut blockierend. In Apostelgeschichte 9,26 heißt es: „Als nun Saulus nach Jerusalem kam, versuchte er sich den Jüngern anzuschließen. Aber sie fürchteten ihn alle, weil sie nicht glaubten, dass er ein Jünger sei, weil sie nicht glaubten, Gott könnte so etwas in ihm tun.“
Doch dann kommt Barnabas ins Spiel. Barnabas – das sind zwei wunderbare Worte. Durch diese zwei Wörter können wir sagen, dass wir alle Bücher des Paulus im Neuen Testament haben. Barnabas aber nahm ihn auf, führte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen, wie Paulus auf dem Weg den Herrn gesehen habe und dass der Herr zu ihm gesprochen habe. Außerdem berichtete er, wie Paulus in Damaskus freimütig im Namen Jesu gepredigt habe.
Ich stelle mir das so vor: Hier ist Barnabas, dort Paulus. Barnabas hält Paulus am Ärmel und sagt: „Geschwister, Brüder, das ist ein Echter, er ist wiedergeboren, er ist einer von uns.“ Das Vertrauen, das Barnabas von der Gemeinde genoss, gab er an Paulus weiter.
Ich denke, Paulus hat dabei etwas Gewaltiges gelernt. Meine Beschreibung davon, was Paulus bei der Gemeinde in Jerusalem machte, war: Er hat die Gemeinde in Jerusalem vergewaltigt. Doch der Herr der Gemeinde kam zu ihm im Gefängnis, rettete ihn und holte ihn wieder heraus. Wenn Paulus dann heimkommt, sagt der Herr der Gemeinde, der Ehemann der Gemeinde, zu ihm: „Ich habe Dienst für dich in meinem Haus mit meiner Braut.“
Ich glaube, Paulus kam nie aus dem Gedanken heraus, überwältigt zu sein von der Gnade. Er erhielt hier die rechte Hand der Gemeinschaft von den Geschwistern in Jerusalem. Von Leuten, deren Familien er vielleicht geschädigt oder getötet hatte. Und jetzt wird er von der Gemeinde in Jerusalem umarmt.
Ich denke, Paulus sagte sich: Das kann ich auch tun. Was ich von Barnabas gelernt habe, das kann ich ab jetzt tun.
Freude am Werk Gottes in der Schöpfung und im Menschen
Ich freue mich über das Werk Gottes, wo ich es auch immer finde – zum Beispiel in den Schweizer Bergen. Diese hat Gott erschaffen.
Neulich habe ich einem Schweizer gesagt: Wisst ihr, woher die Schweizer Berge kommen? Schweizer sind sehr wohlhabend, nicht wahr? Sie kauften immer wieder Grundstücke, wussten nicht, wohin damit, und haben sie einfach aufgestapelt.
Ich stehe am Ufer des Ozeans und sage: Mein Gott hat das getan. Ich schaue den Grand Canyon an und sage: Mein Gott hat das getan. Ich sehe die Geburt eines Kindes und sage: Mein Gott hat das getan. Und ich schaue euch an und sage: Mein Gott hat das getan.
Überall, wo ich Gottes Werk entdecke, freue ich mich darüber. Das ist hier nichts Amerikanisches, es hat nichts mit Positivismus zu tun, sondern mit Gottvertrauen. Er hat das gute Werk angefangen, und das Begonnene wird er nicht irgendwo als Stückwerk liegenlassen. Er wird es vervollständigen.
Geschwister, das darf uns Mut machen: Er hat seine Gemeinde in Europa begonnen, sein Werk in euch begonnen, und dieses Werk wird er auf jeden Fall hundertprozentig vollenden. Halleluja! Er wird es tun – auch in unseren Kindern.
Ich habe in den letzten Tagen mit manchen gesprochen, deren Kinder auf Abwege geraten sind. Wir beten für sie und ringen im Gebet um die Kinder und Enkelkinder. Auch für solche, die einmal bekannt haben, den Weg mit Jesus zu gehen, und heute straucheln, beten wir: Herr, hole sie zurück.
Mein eigener leiblicher Bruder war 15 Jahre lang tief in der Sünde gefangen. Ich möchte gar nicht immer wissen, was er in diesen Jahren getan hat. Wir rangen ständig im Gebet für ihn. Der Herr ruinierte ihn finanziell, um ihn zurückzubringen. Ich preise den Herrn für diesen finanziellen Ruin und bin dankbar dafür – er auch.
Geschwister, das hat massive Auswirkungen auf Ehe, Kindererziehung und Leidenschaft. Wenn ich Menschen gegenüberstehe, ist mein erster Gedanke: Wenn sie noch nicht Christen sind, hoffe ich, dass sie bald Christen werden. Und wenn sie Christen sind, weiß ich, dass der Geist Gottes etwas in ihnen begonnen hat, was er vollenden wird.
In ihnen wohnt der Geist Gottes, und er ist ein Teamarbeiter in ihnen. Wir können zusammenarbeiten, um ihnen zu helfen, vorwärts zu kommen.
Und wenn sie jung sind – hier waren ein paar Babys –, ich saß am Frühstückstisch mit ein paar Babys. Wisst ihr, die Babys machen noch die Hose voll. Das ist nicht unbedingt bequem. Geistliche Babys machen das Gleiche. Aber sie wachsen zu seinem Ziel – preist den Herrn!
Diese Leiterschaftseinstellung hat mich total verändert. Sie prägt mich, ohne amerikanischen Positivismus, der krank ist. Amerikanischer Positivismus übersieht alles und will alles übertünchen. Das ist hier nicht der Fall.
Es geht darum, zu sehen, wo Gott am Werk ist, wo eine Flamme brennt, und ein bisschen mehr Feuer dazuzugeben. Hilf mit, dass noch mehr geschieht. Gib Worte der Ermutigung, gib einen Stups, um jemanden zu Jesus zu führen, damit es weitergeht, vorwärts und aufwärts.
Dabei haben wir totale Entlastung, denn was er tut, ist ja seine Sache. Wir sind Handlanger in diesem Dienst – Ermutiger, Inspirierende, die auf positive Weise Einfluss nehmen.
Möge der Herr uns helfen, das auszuleben.
Gebet um Führung und Ermutigung
Aber ich bitte, dass wir uns zum Gebet erheben.
Vater im Himmel, die Sache der Leiterschaft betrifft uns alle. Alle von uns sind Leiter, sowohl die Männer als auch die Frauen. Wir haben Einfluss auf andere – sei es in der Gemeinde, in der Familie oder wo auch immer.
Du möchtest, dass wir diesen positiven, inspirierenden Einfluss ausüben. Aber nicht durch menschliche Methoden oder Schmeichelei, sondern, Herr, aus wahrhaftigem Herzen.
Wir halten Ausschau nach deinem Werk. Wenn wir es hören, sollen wir es dem Anderen melden. Es ist wunderbar zu sehen, wie Gott in dir wirkt.
Herr, hilf uns, dass wir Ausschau halten und es auch anderen sagen – dir zur Ehre. Wir danken dir dafür. Amen.
Blick auf das Positive im Anderen
Bevor ihr euch setzt, habe ich noch etwas vergessen.
Mein Vater hat in meiner Jugend einmal etwas getan: Er brachte ein großes Stück Papier in die Sonntagsschule. Es war sehr groß – etwa zwei bis drei Meter lang und dreiviertel Meter breit. Er hielt es hoch und fragte uns: „Was seht ihr?“
Einer von uns schlauen Jungs in der hintersten Reihe antwortete: „Wir sehen einen schwarzen Punkt.“
Mein Vater fragte daraufhin: „Sieht niemand das weiße Blatt?“
Wir neigen alle dazu, uns auf den schwarzen Punkt bei anderen zu fixieren. Das weiße Blatt – also das Wirken Gottes im anderen – übersehen wir oft. Das ist ein menschlicher Hang von uns allen.
Meine Bitte ist, dass wir uns auf das weiße Blatt konzentrieren.
