Einleitung: Die Herausforderung der Scheinheiligkeit
Hast du dich schon einmal in einer Situation befunden, in der du ertappt wurdest – eine Situation, die so richtig peinlich war, dass du am liebsten im Erdboden versunken wärst oder geflüchtet wärst?
Über den Autor der Sherlock-Holmes-Geschichten, Sir Arthur Conan Doyle, wird erzählt, dass er einst zu seiner Zeit ein Telegramm an zwölf ganz bedeutende Männer in England geschickt haben soll. In diesem Telegramm stand nur eine kurze Nachricht: „Flee, alles ist aufgeflogen.“ Berichten zufolge sollen innerhalb der nächsten 24 Stunden alle zwölf angesehenen Männer das Land verlassen haben.
Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt, aber sie veranschaulicht etwas Wunderbares: Menschen können sehr gut darin sein, Dinge zu verbergen. Sie schaffen es oft so geschickt, dass sie in der Welt große Anerkennung finden. Das gilt leider oft auch für Christen.
Ich denke, viele von uns haben in den letzten Jahren so manche Geschichte von christlichen Leitern mitbekommen, die im Geheimen Dinge getan haben, die überhaupt nicht zu dem passten, was sie gelehrt und verkündigt haben. Wir haben von Bestürzung gehört, von sexuellen Verfehlungen. Zum Beispiel vom langjährigen Leiter von Willow Creek, Bill Hybels, oder vom Apologeten, den wahrscheinlich viele von uns sehr gerne gehört und gelesen haben, Ravi Zacharias. Auch in letzter Zeit gab es in der Hillsong-Bewegung einige Leiter, die auf diese Art und Weise gefallen sind und bei denen es offenbar geworden ist.
Nun, Scheinheiligkeit ist tatsächlich ein weit verbreitetes Phänomen. Scheinheiligkeit hat es schon immer gegeben, auch zur Zeit von Jesus. Das haben wir in den letzten Wochen im Rahmen unserer Predigtserie durch das Lukasevangelium gesehen.
In Lukas 20 wird Jesus dreimal mit Fragen konfrontiert. Teilweise wird uns sogar erklärt, mit welcher Herzenshaltung die Leute kamen. In Kapitel 20, Vers 20 heißt es: „Sie belauerten ihn und sandten Leute aus, die sich stellen sollten, als wären sie fromm.“ Sie stellten scheinheilige Fragen – Fragen, die nicht wirklich nach einer Antwort suchten, sondern mit denen sie Jesus eine Falle stellen wollten. Sie wollten ihn loswerden, ihn aus dem Weg räumen.
Aber Jesus ließ sich von keiner Falle locken. Er war all dem weit überlegen und gab Antworten, die dazu führten, dass seine Feinde verstummen mussten. Das haben wir letzte Woche am Ende unseres Predigttextes gesehen.
Zu Beginn unseres heutigen Predigttextes, ganz am Ende von Kapitel 20, sehen wir, dass Jesus nun den Spieß umdreht. Dort, wo alle verschwiegen – ja, alle schweigen mussten –, stellt nun Jesus eine Frage. Seine Frage ist nicht scheinheilig. Es ist keine Fangfrage. Ganz im Gegenteil: Seine Frage offenbart, wer er wirklich ist.
Sie soll den Menschen helfen, mehr zu verstehen über seine Identität als der Herr und Richter aller Dinge. Im weiteren Verlauf macht Jesus deutlich, dass er tatsächlich der Herr ist – der Herr, der alles durchschaut. Vor ihm kann man nichts verbergen, ihm kann man nichts vormachen.
Aber wir sehen dabei auch, dass er das wahrhaft Gute sieht, was dem Menschen oft verborgen bleibt. So möchte ich für uns beten, dass diese Predigt uns hilft, unser Leben immer mehr unter der guten Herrschaft des Herrn zu leben – unter der guten Herrschaft des Herrn und für den Herrn, der alles durchschaut.
Ich bete mit uns: Himmlischer Vater, wir wollen dir danken, dass dein Wort uns oft Zuspruch ist und manchmal auch Herausforderung – und das zu unserem Besten, denn wir brauchen beides. Wir brauchen Ermutigung und wir brauchen Ermahnung, wir brauchen Belehrung und Korrektur.
Danke, dass du uns so gut kennst, dass du uns ins Leben hineinsprechen kannst mit einer Tiefe und Klarheit, die uns selbst oft nicht vor Augen steht. So danke ich dir, dass du uns durch dein Wort herausforderst, damit wir immer mehr zu den Menschen werden, die du aus uns machen möchtest.
Wir bitten dich, dass du das nun tust, indem wir auf dein Wort hören und du durch deinen Geist an uns wirkst. Tu das zu deiner eigenen Ehre.
Das bitten wir durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.
Der Predigttext: Lukas 20,41 bis 21,4
Unser heutiger Predigttext findet sich in Lukas 20, ab Vers 41 bis Lukas 21, Vers 4.
Ich lese uns den Text:
Er, also Jesus, sprach aber zu ihnen: „Wieso sagen sie, der Christus sei Davids Sohn? Denn David selbst sagt im Psalmbuch: ‚Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setz dich zu meinen Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.‘ David nennt ihn also einen Herrn. Wie ist er dann sein Sohn?“
Als aber alles Volk zuhörte, sprach er zu seinen Jüngern:
„Hütet euch vor den Schriftgelehrten! Die es lieben, in langen Gewändern einherzugehen, sich gern grüßen lassen auf dem Markt und gern oben in den Synagogen und bei Tisch sitzen. Sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Diese werden ein umso härteres Urteil empfangen.“
Er blickte aber auf und sah, wie die Reichen ihre Opfer in den Gotteskasten legten. Er sah aber auch eine arme Witwe, die legte dort zwei Schärflein ein. Und er sprach:
„Wahrlich, ich sage euch, diese arme Witwe hat mehr als sie alle eingelegt. Denn diese alle haben etwas von ihrem Überfluss zu den Opfern eingelegt, sie aber hat von ihrer Armut alles eingelegt, was sie zum Leben hatte.“
Soweit Gottes Wort.
Abschnitt 1: Christus als der wahre Herr und König
Wir wollen diesen Predigttext in den drei Abschnitten betrachten, die hier ganz offensichtlich sind.
In den Versen 41 bis 44 aus Kapitel 20 sehen wir, dass Jesus sich selbst als den Christus und den Herrn über alle Dinge verkündet. In den Versen 45 bis 47 erkennen wir, dass der Herr die Scheinheiligkeit der Schriftgelehrten klar durchschaut. Er sieht sie tiefer als das, was die Menschen wahrnehmen. Genau dasselbe sehen wir dann auch in Kapitel 21 in den ersten vier Versen. Hier blickt Jesus hinter die äußere Fassade einer armen Witwe und erkennt ihr Herz, ihre wahre Frömmigkeit – auch wenn diese für die Menschen verborgen bleibt.
Diese Punkte wollen wir nacheinander betrachten und uns durch Gottes Wort herausfordern lassen.
Zunächst sehen wir, dass Christus der Herr ist. Er zitiert hier Psalm 110. Aus dem Parallelbericht im Matthäusevangelium wissen wir, wie diese ganze Geschichte anfängt, wie dieser Dialog beginnt: Jesus fragt die Pharisäer, die um ihn herumstehen, wessen Sohn der Christus sei. Sie antworten: der Sohn Davids. Jesus bestätigt das und spricht es hier an. Wieso sagen sie, der Christus sei der Sohn Davids? Damit sagt Jesus nicht, dass das nicht stimmt. Natürlich stimmt das, und das wird in der Schrift klar. Im 2. Samuel 7 lesen wir zum Beispiel die Verheißung eines Nachkommen Davids, der für alle Ewigkeit auf dem Thron Gottes sitzen wird.
Ja, der Christus ist der Sohn Davids. Aber die Sache ist komplizierter als nur das. Das sehen wir im weiteren Verlauf, denn Jesus wirft eine Frage auf: Wie passt die Aussage, dass der Christus der Sohn Davids ist, mit dem zusammen, was im Psalmbuch steht – konkret im Psalm 110? Wir haben diese Worte vorhin gehört: Dieser Psalm beginnt mit den Worten „Der Herr sprach zu meinem Herrn“.
Da tauchen zwei Herren auf, und David selbst schreibt diesen Psalm. Das sehen wir gleich am Anfang des Psalms, wir haben das gelesen, Andi hat das mitgelesen. Und das waren keine später hinzugefügten Überschriften, wie wir sie manchmal auch bei Psalmen finden. Nein, das waren die ersten Worte des Psalms selbst. Das war Teil der inspirierten Schrift.
König David hat diesen Psalm geschrieben und nennt erst den Herrn – und da steht wirklich Jahwe, das ist der Name Gottes. Dieser Jahwe, dieser Gott, dieser Herr spricht zu einem anderen Herrn, und da steht der andere Gottesname Adonai. Das heißt: Der Herr spricht zu meinem Herrn. Und „meinen“ ist Davids. Das heißt: Jahwe spricht zu meinem Herrn, sagt David.
Offensichtlich ist da ein Herr, der für alle Ewigkeit regiert. Das wird im weiteren Verlauf von Psalm 110 deutlich: ein ewiger Regent, der schon zur Zeit Davids sein Herr war. Zugleich sagt uns 2. Samuel 7, dass ein Nachkomme Davids dieser ewige Regent sein wird.
Wie kann das sein? Wie passt das zusammen? Wie kann jemand erst noch geboren werden als der Sohn Davids und schon zur Zeit Davids sein Herr gewesen sein? Für die menschliche Logik passt das erst einmal nicht zusammen.
Tatsächlich erleben wir das immer wieder in der Schrift. Da stoßen wir auf Aussagen, die wir mit unserem Verstand nicht zusammenkriegen, die uns widersprüchlich erscheinen. Das Problem liegt dabei nie bei den biblischen Aussagen, sondern bei uns, bei unserem begrenzten Verständnis.
Jesus hat jedoch den Durchblick. Er kennt die Lösungen zu diesen biblischen Geheimnissen, zu diesen scheinbaren Widersprüchen, die für ihn gar keine sind. Seine Lösung ist nicht die von manchen aktuellen Bibelwissenschaftlern, die Aussagen relativieren oder behaupten, dass David den Psalm gar nicht geschrieben habe, sondern jemand später.
Nein, Jesus achtet ganz genau auf das, was hier steht. Er bestätigt die Autorenschaft Davids und schaut genau auf die Worte. Dann erklärt er es. Jesus, der ewige Sohn Gottes, weiß um die absolute Zuverlässigkeit dieses Wortes Gottes. Durch sein Wort lehrt er uns, wer wahrhaft ist.
Schon das Alte Testament offenbart Jesus als den Christus, als den ewigen Herrn, der in diese Welt geboren wird. Jesus selbst war damals für die Menschen auch klar ein Nachkomme Davids. Er hatte durch das Gleichnis von den bösen Weingärtnern kurz zuvor deutlich gemacht, dass er tatsächlich der Sohn nicht nur Davids, sondern auch der Sohn Gottes ist.
Er war schon einige Zeit vorher von Petrus als der Christus bezeugt worden. Er macht deutlich, dass er der Sohn Davids, ja der Sohn Gottes ist, dass er der Christus tatsächlich auch der Herr ist – der Herr und König, dem schon der große König David die Ehre gab.
Diese Wahrheit hatten seine Feinde noch nicht erkannt. Die Schriftgelehrten, die eine so hohe Meinung von König David hatten, verachteten den Herrn Davids. Sie meinten, Jesu Autorität in Frage stellen zu können.
Und so stellt sich die Frage: Erkennst du Jesus als den Herrn an? Erkennst du Jesus als die höchste Autorität? Vertraust du ihm, dass er in göttlicher Weisheit dir das Wort Gottes öffnen kann, damit du ihn besser erkennen und dich selbst besser verstehen kannst?
Jesus ist der Herr – der Herr über alle Herren. Die Herrscher dieser Welt sind begrenzt. Das war damals so, und das ist heute so. Wir erleben aktuell, dass unseren Herrschern oft der Durchblick fehlt. Sie können nicht wissen, was die Zukunft bringt, und tun sich schwer, aktuelle Ereignisse richtig einzuordnen.
Deshalb tun wir gut daran, für unsere Obrigkeit zu beten, damit der Herr, der eine Herr, der wirklich den kompletten Durchblick hat, ihnen Weisheit gibt, uns gut zu regieren und weise Entscheidungen zu treffen.
Vor allem dürfen wir getrost sein: Über all diesen Herren in dieser Welt steht ein Herr, der ihnen weit überlegen ist, der den kompletten Durchblick hat und dem wir uns wirklich anvertrauen dürfen.
Abschnitt 2: Die Scheinheiligkeit der Schriftgelehrten entlarvt
Im nächsten Abschnitt sehen wir, dass Jesus wirklich der Herr ist, der alles durchschaut und den kompletten Durchblick hat. Das wird besonders in den Versen 45 bis 47 deutlich. Hier macht Jesus klar, dass er sich nicht durch Äußerlichkeiten täuschen lässt und die Scheinheiligkeit der Schriftgelehrten ganz genau erkennt.
So lesen wir ab Vers 45: „Als aber alles Volk zuhörte, sprach er zu seinen Jüngern: Hütet euch vor den Schriftgelehrten, die es lieben, in langen Gewändern hinherzugehen, sich gern grüßen lassen auf dem Markt und oben in den Synagogen und bei Tisch sitzen! Sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. Die werden ein umso härteres Urteil empfangen.“
Die Menschen lassen sich leicht beeindrucken. Das war damals so, und das ist heute noch so. Die Schriftgelehrten legten es darauf an, andere zu beeindrucken. Sie pflegten ihr Image durch Äußerlichkeiten: immer gut gekleidet, bei jeder Veranstaltung dabei, ihre Gebete lang und rhetorisch einwandfrei. Ich habe heute extra mal für euch eine Krawatte wieder umgebunden.
Das alles ist an sich nicht schlecht. Es spricht überhaupt nichts dagegen, sich gut anzuziehen, bei Veranstaltungen dabei zu sein oder lange zu beten. Das Problem ist nur, dass das alles nur eine fromme Show war. Sie zielte nur darauf ab, Menschen zu beeindrucken. Und das hat funktioniert. Die Menschen waren beeindruckt und verkannten dabei, dass diese Schriftgelehrten tatsächlich skrupellos waren.
Jesus verwendet hier sehr bildhafte Sprache, wenn er sagt, dass sie die Häuser von Witwen gefressen haben. Wir wissen, dass die Bibel oft bildhafte Sprache benutzt, auch wenn sie eine Wirklichkeit beschreibt. Nein, sie haben nicht wirklich Häuser gegessen. Es heißt, sie haben auf Kosten der Armen und Schwachen gelebt. Gerade diese Menschen wurden von niemandem ernst genommen, niemand achtete auf sie, und niemand glaubte ihren Klagen. Gerade auf deren Kosten haben die Schriftgelehrten gelebt. Das ist es, was Jesus meint, wenn er sagt, sie fressen die Häuser von Witwen.
Was die Schriftgelehrten damals getan haben, gibt es auch heute noch. Wir hören immer wieder von geistlichen Würdenträgern, die mit schlimmen Sünden davonkommen – was sich niemand vorstellen kann. Wir hören von Fällen sexueller Ausbeutung, von Machtmissbrauch und materieller Bereicherung. Geschehen durch Menschen, die eigentlich geistliche Vorbilder sein sollten. Und denen, denen Schaden zugefügt wird, glaubt keiner. Wer sind denn schon sie, die Armen und Schwachen?
Solche Scheinheiligen können Menschen täuschen, aber nicht den Herrn. Der Herr durchschaut sie und wird sie richten. Das wird besonders deutlich in Vers 47: „Die werden ein umso härteres Urteil empfangen.“ Der Herr warnt hier seine Jünger vor solchen Scheinheiligen.
Diese Warnung müssen wir auch hören. Es beginnt damit, dass wir auf uns selbst und aufeinander achten. Wenn wir Gerüchte hören, dass etwas Schlimmes geschehen ist, dass jemand seine Macht missbraucht hat, dass jemand – egal wer – etwas falsch gemacht hat, dann sollten wir den Klagen der Betroffenen zuhören.
Ich möchte das ganz persönlich sagen: Wir Pastoren und Älteste in dieser Gemeinde, aber auch andere Leiter und diejenigen, die vielleicht andere beeindrucken möchten und es vielleicht auch schaffen, verdienen keine Sonderbehandlung. Das ist die große Gefahr. Es ist immer der Anfang vom Ende bei all diesen Skandalen gewesen, dass Leute ihre Machtposition missbraucht haben und alle ihnen geglaubt haben, während die Opfer kein Gehör fanden.
Ganz im Gegenteil: Die, die leiten und vorangehen, sollten besonders streng beurteilt werden. Wir sollten einen besonders strengen Maßstab anlegen. Es kann nie darum gehen, ob jemand tolle Kompetenz hat. Im Reich Gottes zählt der Charakter viel mehr als die Kompetenz. Es geht nicht darum, ob jemand gut aussieht, überall dabei ist oder besonders beeindruckend redet oder betet. Es geht darum, ob er wirklich Gott dient und auf das Wohl anderer bedacht ist.
Wenn sich das gerade so anhört, als würde ich eine Predigt gegen mich selbst halten, dann ist das genau richtig. Habt ihr richtig gehört? Mir fallen diese Worte nicht leicht, denn ich weiß um die Tendenz in meinem eigenen Herzen, scheinheilig zu sein. Gerade deshalb sage ich das. Gerade deshalb predige ich das.
Ich weiß, dass diese Tendenz auch in den Herzen der anderen Leiter in dieser Gemeinde ist und wahrscheinlich auch in deinem. Lasst uns die warnenden Worte Jesu hören – die Warnung vor Scheinheiligkeit – und achtgeben aufeinander, damit wir uns gegenseitig zurechtweisen und helfen können, wenn es nötig ist.
Wir können den Schein aufrechterhalten und andere durch Äußerlichkeiten täuschen. Aber Jesus lässt sich nicht täuschen. Er ist der Herr, der eines Tages richten wird, vor dem wir uns verantworten müssen. Deshalb ist es schlichtweg dumm, scheinheilig zu leben.
Es ist viel besser, eigene Schwächen und Fehler einzugestehen – vielleicht sogar Glaubenszweifel – damit andere kommen und helfen können. Sie können für dich beten und dir helfen, diese Dinge zu überwinden und zu echter Frömmigkeit zu finden.
Deshalb spricht Jesus diese Worte.
Abschnitt 3: Wahre Frömmigkeit im Verborgenen erkannt
Und dann sehen wir schließlich in den ersten vier Versen von Kapitel 21, dass es dort eine Frau gibt, die überhaupt nicht beeindruckend ist und keine Chance zur Scheinheiligkeit hat. Jesus erkennt jedoch ihre wahre Frömmigkeit.
Ich lese uns noch einmal diese vier Verse:
Er blickte aber auf und sah, wie die Reichen ihre Opfer in den Gotteskasten einlegten. Er sah aber auch eine arme Witwe, die legte dort zwei Schärflein ein. Und er sprach: Wahrlich, ich sage euch, diese arme Witwe hat mehr als sie alle eingelegt; denn diese alle haben etwas von ihrem Überfluss zu den Opfern eingelegt, aber sie hat von ihrer Armut alles eingelegt, was sie zum Leben hatte. (Markus 12,41-44)
So wie Jesus hinter die Äußerlichkeit der Schriftgelehrten schaut und ihre Scheinheiligkeit erkennt, sieht er nun hinter die Lumpen der armen Witwe und erkennt ihr frommes Herz. Rein äußerlich betrachtet ist diese Witwe in keiner Weise beeindruckend, und ihr Opfer ist es auch nicht.
Die Reichen, die Jesus zuvor sieht, haben sicherlich deutlich mehr in den Opferkasten gelegt als die zwei Schärflein der Witwe. Wahrscheinlich saßen Leute drumherum und hörten, wie schwere Silbermünzen in den Kasten fielen: Bumm, bumm. Dann kommt die kleine, arme Witwe und wirft zwei Schärflein ein: Kling, kling. Völlig unbeeindruckend, keiner schaut überhaupt hin. Sie weiß, dass sie niemanden beeindrucken kann.
Aber Jesus bewertet ihr Opfer nicht in absoluten Werten, sondern relativ. Er erkennt, dass die Reichen nur einen Bruchteil ihres Reichtums eingeworfen haben, vielleicht sogar nur ihren Zehnten, vielleicht genau das, was gefordert war. Es ist keine Klage gegen die Reichen, sie geben nur einen Bruchteil. Jesus erkennt jedoch, dass die Witwe viel mehr gegeben hat als alle anderen, denn sie hat, wie es hier heißt, von ihrer Armut alles eingelegt, was sie zum Leben hatte.
Ganz ehrlich: Was mag diese arme Witwe dazu bewegt haben, alles zu geben? Sicher war es nicht ihr Wunsch, dafür bewundert zu werden. Wahrscheinlich war ihr das eher peinlich. Aber sie gab im Tempel alles, was sie hatte, weil sie Gott liebte. Vielleicht hatte sie gerade gesehen, wie ein Opfer gebracht wurde, stellvertretend für die Schuld von Sündern, und sie war dankbar für Gottes Gnade in ihrem Leben. So gab sie alles aus einem Herzen heraus, das Gott liebt.
Eine wahre Hingabe, die von der Welt unbemerkt bleibt, wird vom Herrn erkannt. Hingabe im Verborgenen offenbart eindeutiger ein Herz, das allein darauf bedacht ist, Gott wirklich zu dienen.
Wie ist das bei uns? Wie sieht es mit deiner Hingabe aus? Wie steht es um dein Herz? Ist dein Herz ungeteilt? Oder kennst du insgeheim den Wunsch, dass deine Frömmigkeit doch irgendwie auch von anderen wahrgenommen werden sollte? Frag dich, ob du vielleicht frustriert bist, wenn dein Dienst in der Gemeinde nicht richtig gewürdigt wird. Oder tust du Dinge, damit andere dich als besonders fromm wahrnehmen? Vielleicht öffentliche Gebete, die beeindrucken sollen? Vielleicht eine besondere Haltung beim Singen? Eine mehr für die Menschen als für Gott aufgesetzte Fröhlichkeit, die verbirgt, was im Herzen wirklich los ist?
Vielleicht kannst du die Liste fortführen mit Punkten, wo es in deinem Herzen Scheinheiligkeit gibt.
Die arme Witwe wurde von niemandem wahrgenommen, sie wurde übersehen. Vielleicht gehörte sie sogar zu den Witwen, die von den Schriftgelehrten ausgebeutet wurden und deren Klagen niemand hörte. Ihr kleines Opfer interessierte niemanden. Aber sie brachte ihre zwei Schärflein. Sie brachte sie nicht für die Menschen, sondern für Gott.
Wisst ihr, manchmal kann es ein Segen sein, wenn nicht alles gesehen wird. Manchmal kann es ein Segen sein, wenn das, was du für Gott tust, von niemandem wahrgenommen wird. Wenn du es dann trotzdem tust und gerne tust, weißt du, dass dein Herz wirklich dabei ist, dass du es wirklich für Gott tust.
So war das bei dieser Witwe. Jesus lobt diese ungeteilte Frömmigkeit, und er tut das ganz bewusst vor seinen Jüngern. Er lobt die Frömmigkeit der Witwe nicht, damit sie Anerkennung bekommt, sondern damit die Jünger ein Vorbild haben – damit wir ein Vorbild haben, dem wir nacheifern dürfen. Das Vorbild eines Menschen, der mit ungeteiltem Herzen Gott dient, mit allem, was er hat.
Aber allem Staunen über die Witwe zum Trotz möchte ich, dass wir eines nicht übersehen: Die Witwe ist im Tempel nicht die Person, die am meisten gibt. Sie gab alles, was sie zum Leben hatte. Doch dort im Tempel ist noch jemand, der noch mehr geben würde: der Herr selbst. Er gab nicht nur alles, was er zum Leben hatte, sondern sein Leben selbst.
Er ist der ewige Herr, der Herr Davids, als Sohn Davids in diese Welt geboren worden. Er ist gekommen, um sein Leben zu geben als Lösegeld für viele. Der ewige Sohn Gottes wurde Mensch, um an unserer Stelle das Opfer zu bringen, das wir alle brauchen, um im Gericht Gottes nicht verurteilt zu werden.
Denn ganz ehrlich: Dort im Tempel sind die Schriftgelehrten ja nicht die einzigen, die uns heute begegnen, oder? Wir sind doch nie anders. Wenn du meinst, du wärst ganz anders als die Schriftgelehrten und hättest keine Scheinheiligkeit in deinem Leben, dann möchte ich dir herzlich gratulieren, dich aber auch ermutigen, dich selbst noch einmal besser kennenzulernen.
Letzten Endes sind wir alle bestenfalls scheinheilig – bestenfalls. Auf jeden Fall aber sind wir alle Sünder. Das macht Gottes Wort ganz klar: Keiner von uns lebt aus sich heraus immer so, wie er sollte. Keiner lebt immer für den Herrn, keiner gibt ihm immer die Ehre. Wir alle rebellieren gegen seine gute Herrschaft, wir missachten immer wieder sein Wort und suchen immer wieder Anerkennung und Ehre für uns selbst.
Das war schon bei den allerersten Menschen so, und das ist bis heute bei uns allen so. Damit enthalten wir unserem Schöpfer, dem Herrn, die Ehre vor, die ihm gebührt. So hätten wir alle das Gericht Gottes verdient.
Die Schulden, die wir vor Gott haben, sind so hoch, dass wir sie nicht zahlen könnten. Wir sind bankrott vor Gott. Wir haben nicht einmal mehr zwei Schärflein, die wir noch einlegen könnten. Wir haben nichts zu bieten, wir kommen vor Gott bankrott.
Aber in seiner erstaunlichen Liebe und großen Gnade kommt Gott in Jesus Christus zu uns, um das Opfer zu bringen, das wir nicht bringen könnten. Denn der Sünde Sold ist der Tod, wie wir im Römerbrief lesen. Jesus gibt sein Leben, er stirbt den Tod, den wir verdient hätten. Er zahlt den Soll, sodass wir vor Gott bestehen können.
Jesus gibt sein Leben für uns und überwindet den Tod. Er weiß nicht nur, dass er der ewige Gott war vor aller Zeit, der Herr Davids, sondern dass er auch der ewige Herr ist für alle Ewigkeit – der lebendige Herr, dem wir dienen dürfen.
Also möchte ich dich noch einmal fragen: Ist er dein Herr? Ist er der Retter, den du brauchst? Hast du ihn so erkannt?
Scheinheilige Menschen brauchen einen Retter – einen Retter, der uns durchschaut und uns nicht verdammt, wenn wir zu ihm kommen. Letzten Endes sind wir alle nicht besser als jene angesehenen Leute in England zur Zeit von Arthur Conan Doyle, die, nachdem sie das Telegramm erhalten hatten, geflohen waren.
Wenn wir uns ehrlich selbst betrachten, müssen wir anerkennen, dass wir vor Gott nichts zu bieten haben und auf seine Gnade angewiesen sind. Wir können anderen Menschen und vielleicht sogar uns selbst etwas vormachen und versuchen, einander zu beeindrucken. Aber den Herrn wird das nicht beeindrucken, denn er sieht tiefer, er sieht, was in uns ist.
Gerade deshalb ist er gekommen – damit Scheinheilige heilig werden können. Das ist unsere einzige Hoffnung, das ist die frohe Botschaft, das Evangelium.
Wer zu Jesus kommt und ihm seine Scheinheiligkeit bekennt, offen eingesteht: „Ich habe nichts, was ich bringen kann, ich tue doch nur so. Unter all den feinen Klamotten steckt ein Sünder durch und durch.“ Wenn wir so zu ihm kommen, dürfen wir wissen: Er nimmt uns an und schenkt uns seinen Heiligen Geist, der anfängt, in uns zu wirken und sein Werk vollenden wird.
So dass wir eines Tages, wenn wir vor dem Gericht Gottes erscheinen, Gott in uns hineinschaut und sieht: Heilige Menschen, vollkommen reingewaschen durch das Blut Christi.
Bis dahin dürfen wir diese frohe Botschaft verkünden, indem wir der Welt nicht etwas vormachen, damit sie über uns staunt und wir Anerkennung bekommen, sondern indem wir offen eingestehen: Wir sind Bettler und Knechte, Diener des Herrn über alle Herren.
Das wünsche ich uns von Herzen.
Und ich möchte beten, dass der Herr uns bereit macht, so für ihn zu leben, dass wir uns ihm immer mehr hingeben.
Himmlischer Vater, danke für dein heiliges Wort, das uns heute herausgefordert hat. Wir danken dir, dass du dein Leben für uns gegeben hast, dass du unsere Schuld gezahlt hast, sodass wir, die wir so oft noch scheinheilig sind, durch dich heilig werden können.
Danke, dass du uns das nimmst, was nur Schein ist – all unsere Sünde – und uns gibst, was nicht in uns ist.
Danke, dass deine Gerechtigkeit uns zugerechnet wird, und danke, dass unsere Schuld von dir genommen wurde.
Danke, dass du dein Werk, das du in uns begonnen hast, vollenden wirst bis zu dem Tag, an dem du wiederkommst.
So bitten wir dich nun, unsere Leben zu nehmen und sie immer mehr umzugestalten, sodass wir immer mehr zu Menschen werden, die etwas von dir und deiner Heiligkeit widerspiegeln – in aller Demut und Dankbarkeit.
Amen.