Erinnerung an die DDR und das Gefühl von Gemeinschaft
Ich weiß nicht, ob ihr euch schon einmal mit jemandem unterhalten habt, der in der DDR gelebt oder ist dort aufgewachsen. Es gibt sogar persönlich Leute hier, denen das passiert ist – je nachdem, wie alt sie 1989 waren.
Habt ihr schon einmal die Frage gestellt, ob sie sich die DDR zurückwünschen? Wir würden ziemlich unterschiedliche Antworten bekommen, je mehr Leute man fragt.
Es gibt natürlich Menschen, die sagen: auf gar keinen Fall. Was, glaube ich, am bedrückendsten war, war diese Einschränkung der Reisefreiheit. Viele hatten einfach den Eindruck, eingesperrt zu sein. Dazu kam das Gefühl, ständig überwacht und bespitzelt zu werden vom Staat.
Das war für viele, glaube ich, auch gegenwärtig – für manche mehr, für andere weniger. Vielleicht ist es für manche im Nachhinein noch ein bisschen gegenwärtiger geworden, als die ganzen Stasi-Akten irgendwann veröffentlicht wurden. Man hat dann mitbekommen, dass man vielleicht noch von anderen Leuten bespitzelt wurde, als man bis dahin gedacht hatte.
Aber es gibt auch Leute, die sich manches zurückwünschen. Vielleicht nicht mit genau diesem Vokabular, aber was am meisten bei solchen Aussagen kommt, ist etwas wie das Wort Solidargemeinschaft. Viele haben empfunden, dass der Zusammenhalt, der persönliche Zusammenhalt mit anderen, einfach viel größer war, als sie das in unserer westlichen kapitalistischen Gesellschaft später erlebt haben.
Viele sind hier in den Westen gekommen, um hier zu arbeiten, weil es nach der Wende mehr Jobs gab. Sie haben dabei so etwas wie Vereinsamung verspürt. Das hört man ganz oft, selbst von Leuten, die sagen: Ich würde nicht zurück in die DDR wollen.
Vielleicht ist das etwas ganz Natürliches. Gerade wenn man den Eindruck hat, dass ein gewisser Druck von außen da war – also, wie gesagt, diese staatliche Überwachung – dann schweißt das so ein bisschen zusammen zu einer Solidargemeinschaft gegen einen unterschwellig empfundenen gemeinsamen Gegner. Das ist immer etwas, was die Menschen ein Stück weit zusammenrücken lässt.
Es ist natürlich auch so, dass es keine Überflussgesellschaft war wie im Westen. Man hatte ganz bewusst oder auch unbewusst den Eindruck: Wir müssen zusammenhalten. Wenn ich jetzt jemandem helfe, bin ich vielleicht auf dessen Hilfe in drei Wochen angewiesen. Manche haben das bewusst gemacht, andere unbewusst.
Was dadurch entstanden ist, ist, glaube ich, bei vielen das Empfinden einer Gemeinschaft, die ein bisschen enger war, als man das hier im Westen oft empfindet. Eine Gemeinschaft mit seinen Nachbarn, Kollegen, in der Dorfgemeinschaft oder so.
Es ist natürlich unterschiedlich, auch hier. Aber so flächendeckend haben, glaube ich, viele Leute diesen Unterschied empfunden.
Rückblick auf den Epheserbrief und das Bild der Solidargemeinschaft
Ja, warum erzähle ich euch das? Wir sind im Epheserbrief und haben beim letzten Mal einen Abschnitt betrachtet, der damit endete, dass Paulus das Bild von einem einzigen Körper noch einmal entworfen hat. Ein Körper, zu dem alle dazugehören und in dem alle miteinander verwachsen sind. Vielleicht lässt sich dieses Bild mit dem Begriff Solidargemeinschaft beschreiben.
Wir werden sehen, dass in dem Abschnitt, den wir heute anschauen, dieses Thema wieder aufgegriffen und fortgesetzt wird – auch wenn wir das am Anfang vielleicht gar nicht vermuten würden.
Vielleicht noch einmal ganz kurz zurück zum letzten Abschnitt: Es war so viel, und es steckt noch so viel darin, dass ich es gerne noch einmal zusammenfassen möchte.
Kapitel 4 stellt einen Bruch im Epheserbrief dar – nicht im negativen Sinne, dass der Gedankengang völlig unterbrochen wird, sondern eher als Wendepunkt. Während wir in den Kapiteln 1 bis 3 von Paulus gezeigt bekommen haben, wer wir sind – und er hat ganz besonders die Christen aus den Nationen ermutigt und motiviert – hat er gezeigt, dass wir berufen sind, vor Gott zu stehen. Er hat verdeutlicht, dass wir auserwählt und zuvorbestimmt sind, Söhne und Töchter Gottes zu sein.
Paulus hat uns gezeigt, dass wir an allem, was Gott gehört, Anteil haben und seine Mitbesitzer sind. Er hat uns gewaltige Dimensionen eröffnet.
Und jetzt, in Kapitel 4, Vers 1, beginnt er damit zu sagen: „Und jetzt lebt würdig dieser himmlischen Berufung.“ Wenn wir diesen Satz auf uns wirken lassen – all das, was ich kurz aufgezählt habe, und alles, was wir gelesen und betrachtet haben, was die himmlische Berufung bedeutet, wer wir jetzt schon sind und wer wir in der Ewigkeit sein werden – dann ist das eine hohe Latte, über die wir wieder drüber müssen.
Aber erstaunlicherweise – oder bei näherem Nachdenken vielleicht gar nicht so erstaunlich – sagt Paulus, dass das Erste, was zu einem Leben gehört, das dieser himmlischen Berufung würdig ist, das ist, dass ihr wirklich lebt, dass ihr zusammengehört. Denn Gott hat euch zu einer Gemeinde zusammengestellt, an der die Engel und die unsichtbaren Mächte – Gute und Böse – die vielfältige Weisheit Gottes sehen sollen.
Das sind die Verse 1 bis 6 in Kapitel 4. Vielleicht als Stichwort oder Zusammenfassung noch einmal: Vers 3 fordert euch auf, euch zu bemühen, die Einheit des Geistes zu bewahren im Band des Friedens. Kämpft um Einheit, kämpft um Frieden miteinander!
Paulus sagt: Das ist das Allerwichtigste, was mir einfällt, wenn ich überlege, was zu unserer himmlischen Berufung passt. Das ist das Erste, was ich euch sagen möchte, wenn ihr mich fragt, was es eigentlich heißt, würdig zu leben, würdig unserer himmlischen Berufung zu leben – würdig dessen, dass wir Söhne und Töchter Gottes sind: Kämpft um Einheit, kämpft darum, Frieden miteinander zu haben, denn ihr gehört zusammen.
Die Gabe jedes Einzelnen und das Wachstum der Gemeinde
Im weiteren Verlauf des Abschnitts, den wir betrachtet haben, von Vers 7 bis 16, entsteht fast der Eindruck, dass Paulus zwar seinen roten Faden nicht verloren hat, aber dennoch einen Schritt zur Seite macht. Er versucht erneut, dieses Bild zu entfalten und auf das Bild vom einen Leib hinzuarbeiten.
In Vers 7 heißt es: Jedem Einzelnen von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maß der Gabe Christi. Paulus betont, dass es eine Gemeinschaft gibt, in der aber jeder Einzelne wichtig ist. Jeder hat von Gott eine gewisse Gabe erhalten, eine bestimmte Möglichkeit, in dieser Gemeinschaft mitzuwirken – sei es durch seine Fähigkeiten, seine Zeit oder seine Gaben.
In Vers 16 erklärt Paulus, dass durch das Maß jedes einzelnen Teils das Wachstum des Leibes bewirkt wird. Neben den begrenzten Möglichkeiten, die jeder von uns hat, sagt Paulus, dass wir eine große Gabe Gottes erhalten haben. Diese Gabe unterstützt uns dabei, fähig zu werden, mitzuwirken und reif zu werden – überhaupt ein positives Glied dieser Gemeinschaft zu sein. Paulus betont, dass uns so viel Hilfe gegeben wurde. Auch das versteht er als Gabe.
In den Versen 8 bis 12 sehen wir, dass diese Hilfe von Gott oft in Menschen besteht, die einen Auftrag an uns haben und von denen wir lernen können. Dazu gehören Apostel und Propheten, die die Grundlagen gelegt haben, Evangelisten, die Menschen zum Glauben führen – auch uns selbst zum Glauben geführt haben – sowie Hirten und Lehrer. Diese wirken entweder übergemeindlich, haben bedeutende Bücher geschrieben, die Generationen beeinflussen, oder sind in einer oder mehreren Gemeinden tätig, ganz gleich wie groß der Wirkungskreis ist.
Paulus sagt, dass Gott uns diese Menschen als Gaben gegeben hat, damit wir alles haben, was wir brauchen, um zu wachsen (Vers 12). Die Aufgabe der Hirten und Lehrer ist es besonders, uns zu reifen, erwachsene Menschen zu machen, die ihren Dienst und ihren Teil zum Werk beitragen können. Ein großes Ziel für Lehrer und Hirten ist es, Menschen zu helfen, erwachsen zu werden und ihren Beitrag für die Solidargemeinschaft zu leisten.
Dies geschieht immer noch zum Zweck der Auferbauung des Leibes Christi. Ihre Aufgabe ist es, indem sie Einzelne befähigen, letztlich den Leib, die Gemeinde Jesu, mit aufzubauen.
Einheit des Glaubens und das Ziel der Reife
In den Versen 13 bis 15 stellt Paulus uns noch einmal besonders vor Augen, was er mit reifen Menschen meint. Er beschreibt den Prozess, bis wir alle zur Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen. Diese Einheit ist die Grundlage für eine Gemeinde. Es geht darum, dass wir gemeinsam Überzeugungen haben – zumindest in den Punkten, die wichtig sind.
Das ist auch eine Aufgabe von Hirten und Lehrern: uns die Grundlagen zu vermitteln, damit wir auf dieser Grundlage eins sind. Ich habe gesagt, es geht um die wichtigen Dinge. Vielleicht ist es etwas Grundlegendes, dass wir uns einig sind, was wichtig ist. Vielleicht ist es manchmal das Wichtigste, dass wir uns als Gemeinde einig sind, welche die wichtigsten Dinge sind, die wir glauben.
Paulus spricht vom erwachsenen Mann, vom Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus. „Fülle“ war ein Wort, das Paulus oft verwendet hat. Ich weiß nicht, ob es sein Lieblingswort war, aber es war zu seiner Zeit wohl das Lieblingswort der Esoteriker. Ich habe den Eindruck, Paulus hat viel über dieses Wort nachgedacht. Er hat es zu seinem Wort gemacht und mit einem ganz anderen Inhalt gefüllt als die Esoteriker seiner Zeit.
In Kapitel 3 haben wir gesehen, dass wir, weil wir das Werk Gottes bestaunen, erfüllt werden zur ganzen Fülle Gottes. Dabei ist das Wort „Fülle“ sehr emotional gemeint – es drückt aus, dass wir wirklich erfüllt sind. Hier gebraucht Paulus das Wort wieder, aber diesmal nicht emotional. Hier hat es etwas mit Reife zu tun. Es geht darum, dass wir genau das werden, was Gott für uns geplant hat, was wir werden sollen: stabil, verwurzelt in der Wahrheit.
Dann kommen die Verse 15 und 16, in denen Paulus beschreibt, dass wir als Glieder in diesem Leib funktionieren. Wir sind so ausgerüstet, so geschult und erwachsen geworden – oder auf dem Weg dahin. Dabei tragen wir unseren Teil bei als Glieder, verbunden mit Gelenken und untereinander. Das ist das große Bild, das Paulus vor Augen hat.
Aufruf zum würdigen Leben und die Herausforderung der himmlischen Berufung
Und jetzt, endlich kommt er zurück zu dem, wo er hergekommen ist, und wandelt würdig.
Was heißt das noch, außer Einheit zu leben, Frieden zu suchen und um Frieden zu ringen? Was heißt es noch, würdig zu leben, unsere Berufung?
Eigentlich scheint es zunächst so, als würde Paulus eine sehr hohe Messlatte anlegen, über die wir springen müssen. Ich habe die Worte der Verantwortlichen in Ephesus im Ohr, als sie Kapitel 4, Verse 1 bis 6 vorgelesen haben: Paulus sagt da: „Würdig wandeln der himmlischen Berufung!“ Unsere Leute, Paulus, kommen aus den Heiden, du hast es doch selbst gesagt. Die ersten drei Kapitel zeigen, dass sie genug damit zu tun haben, würdig zu wandeln ihrer Bekehrung. Sie müssen sich ein bisschen von ihrer Umgebung unterscheiden und überhaupt erstmal als Christen leben. Das ist für sie schon Herausforderung genug. Legt die Latte nicht so hoch: würdig wandeln einer himmlischen Berufung.
Und genau auf dieser Ebene geht Paulus jetzt vorübergehend weiter. Kapitel 4, Vers 17: „Dies nun sage und bezeuge ich im Herrn, dass sie nicht leben, wie die Nationen leben, in Eitelkeit ihres Sinnes, mit verfinstertem Verstand, entfremdet vom Leben Gottes, wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, und wegen der Verhärtung ihres Herzens, sodass sie alle Empfindung verloren haben und sich selbst der Ausschweifung hingegeben haben, um alle Unreinheit mit Gier auszuüben.“
Paulus kennt die Gesellschaft und ihre Herausforderungen
Paulus kannte, wir haben darüber gesprochen, viele der einzelnen Geschwister, die zu dem Zeitpunkt in der Gemeinde waren, nicht gut persönlich – viele wahrscheinlich gar nicht, viele nur vom Sehen. Aber eins kannte er ganz genau, und das war die Gesellschaft, in der sie lebten. Er wusste ganz genau, wo sie lebten, und er wusste auch ganz genau, wo sie herkamen. Er hatte drei Jahre lang in ihrer Stadt gelebt.
Er kannte den Umgang miteinander. Er wusste, wie die Atmosphäre bei der Arbeit und auf dem Markt war. Er wusste, wie Menschen miteinander umgingen. Er wusste, dass die Leute, an die er schrieb, zum allergrößten Teil nicht aus einem christlichen Elternhaus kamen. Sie waren mitten in dieser Gesellschaft aufgewachsen. Ob ihr das glaubt oder nicht: Das Elternhaus prägt uns mehr, als wir uns selbst gegenüber eingestehen wollen. Sie kamen nicht aus einem gläubigen Elternhaus, sondern mitten aus dieser Gesellschaft.
Sie lebten in dieser Gesellschaft und hatten in dieser Gesellschaft gelebt, bevor sie sich bekehrt hatten. Auch als Christen mussten sie zu einem großen Teil weiterhin in dieser Gesellschaft leben. Paulus sagt: Ich kenne die Gesellschaft, ich weiß, wo ihr seid. Wenn wir uns am Ende dieses Abschnitts noch einmal anschauen, macht er dort zwei Aufzählungen – eine negative und eine positive. In Vers 31 spricht er von aller Bitterkeit. Für ihn war anscheinend ein Grundproblem der Gesellschaft, dass viele persönlich verletzt waren, dass viel Bitterkeit vorhanden war, die sich in Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung äußerte.
Er fordert: „Sei von euch weggetan alle Bitterkeit samt aller Bosheit.“ Das war sein Empfinden davon, wie man in dieser Gesellschaft miteinander umging. Aus persönlichen Verletzungen und Bitterkeiten heraus waren viele Menschen ein Stück weit boshaft. Das zeigte sich in der Art, wie man miteinander redete. Wut und Zorn – hier geht es nicht nur darum, innerlich zornig zu sein. Paulus findet das innerliche Zornigsein noch gar nicht so schlimm, wie wir gleich sehen werden. Entscheidend ist, dass es nach außen kommt: Geschrei, Lästerung, wirklich böses Reden.
Es gibt eine ähnliche Aufzählung im Kolosserbrief, und das Wort, das im Epheserbrief zusätzlich steht, ist „Geschrei“. Er hatte den Eindruck, dass es in Ephesus noch ein Stück rauer zuging als in kleineren Städten. Das war einfach eine Großstadt, eine Hafenstadt mit all der Atmosphäre, die dazugehörte. Er wusste, wo die Leute wohnten. Und er versuchte, sie zu motivieren, dass sie als Heidenchristen dazugehören und das volle Erbe haben.
Aber er wusste um das, was sie mit sich herumtrugen: ihre Erziehung, ihre Vergangenheit, die Gesellschaft, in der sie selbstverständlich aufgewachsen waren. Er kannte ihre Umstände genau. Darum sagt er und fasst es zusammen: Die Verse, die ich gerade vorgelesen habe, sind eigentlich eine Kurzfassung von Römer Kapitel 1, zweite Hälfte. Wenn ihr mal die Langfassung lesen wollt, könnt ihr Römer 1, die zweite Hälfte, lesen.
Paulus sagt: „Ich sage und bezeuge im Herrn betont, dass ihr von jetzt an nicht lebt wie die Nationen.“ In meinen Übersetzungen steht da ein Wort wie „Eitelkeit eures Sinnes“. Damit kann ich normalerweise gar nichts anfangen, es ist nicht mein Alltagsvokabular. Eigentlich heißt das Wort „leer“. Und es war für ihn ein Stichwort, mit dem er die Gesellschaft des ersten Jahrhunderts charakterisierte.
Alles, was sie tun, alles, was für sie Ziele sind, alles, wofür sie sich begeistern und engagieren – letzten Endes holen sie nichts davon. Irgendwann stehen sie alle mit leeren Händen da. Dieses Wort drückt das drastisch aus. Wir werden gleich noch sehen, dass er die Gesellschaft mit drastischen Worten beschreibt. Man könnte fast denken, das sei ein bisschen zu polemisch, zu dick aufgetragen. Aber wisst ihr, was er machen will? Er möchte ihnen wirklich die Augen öffnen dafür, wie die Gesellschaft in den Augen Gottes ist, um sie zu sensibilisieren.
Das, in was wir leben, ist oft so selbstverständlich, dass wir es gar nicht mehr spüren. Ich weiß nicht, wie du deine Umgebung, wie du diese Gesellschaft wahrnimmst. Er sagt: So nimmt Gott sie wahr, so nehme ich sie wahr. Wie nehmt ihr sie wahr – als Menschen, die so lange darin gelebt haben und jetzt immer noch darin zurechtkommen müssen? Ist für euch vieles schon normal geworden?
Wenn Paulus die Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts im Westen betrachtet hätte, glaube ich, hätte er sie nicht anders beschrieben. Wie würdest du eine Gesellschaft beschreiben, die von Materialismus und Vergnügen geprägt ist? Würde dir ein anderes Wort einfallen als leer oder hohl? Paulus ist damals in Ephesus schon dieses Wort eingefallen.
In Vers 18 heißt es: „Verfinstert am Verstand, entfremdet dem Leben Gottes wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist.“ Er sagt, das Leben, wie Gott es sich vorgestellt hat, war für sie und ist für euch einfach fremd – völlig fremd, unverständlich, nicht naheliegend.
Kapitel 2 haben wir gelesen: Sie waren entfremdet im Bürgerrecht Israels und Fremdlinge bezüglich der Bündnisse der Verheißung, ohne Hoffnung und ohne Gott in der Welt. Sie waren Gott entfremdet, sie waren nicht sein Volk. Aber hier sagt Paulus nicht nur, dass sie Gott entfremdet waren, sondern auch, dass das Leben, wie Gott es sich vorstellt, für euch etwas Fremdes war.
Im Kolosserbrief setzt er noch einen drauf und sagt, das hat auch etwas mit ihrer persönlichen Bosheit zu tun. Kolosser 1, Vers 21: „Und euch, die ihr einst entfremdet und Feinde wart nach der Gesinnung in den bösen Werken.“ Sie haben anders gelebt. Dieses Leben aus Gott war ihnen fremd. Sie wären nicht auf die Idee gekommen, so zu leben – ja, wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, wegen der Verhärtung ihres Herzens.
Hätten sie es wissen können? Lesen wir Römer 1. Paulus sagt, vieles hat seine Ursache darin, dass sie es nicht wissen wollten, dass sie ihr Herz verhärtet haben und es nicht wissen wollten.
Und jetzt geht es weiter, Vers 19: „Dass sie alle Empfindung verloren.“ Er sagt, diese Gesellschaft hat das Empfinden für die Ethik und die Moralvorstellung Gottes verloren. Sie sind unwissend, verfinstert, verhärtet, und sie wollen es nicht wissen. Das, was Gott eigentlich will, ist ihnen fremd, und sie haben jedes Empfinden verloren.
Dinge, die so selbstverständlich schrecklich sind, die so selbstverständlich zu nichts Gutem führen, wo man denken würde, das müsse man doch empfinden – er sagt, sie haben jede Empfindung verloren. Sie haben sich selbst der Ausschweifung hingegeben, ungezügelt. Das ist auch ein Wort, das Teile unserer Gesellschaft beschreibt: ungezügelt.
Ob das jetzt im Umgang mit dem anderen Geschlecht ist, im Umgang mit materiellen Besitztümern, für die wir sie verwenden, im Umgang mit Alkohol oder mit natürlichen Ressourcen – ungezügelt. Paulus nimmt zwei Worte, die er sehr oft benutzt: „Unreinheit“, meistens im Zusammenhang mit Sexualität und Moral. Er wird dieses Wort in Kapitel 5 so verwenden. Und dann sagt er „mit Gier“, was bei mir übersetzt ist, aber das ist das gleiche Wort wie „Habsucht“. Normalerweise verwendet er das für den Umgang mit materiellen Dingen, das unbedingte Mehrhabenwollen. Er wird dieses Wort in Kapitel 5 so verwenden.
Aber hier verbindet er diese zwei Worte mit einem „und“, und dann passt es plötzlich gar nicht mehr zusammen. Darum haben die Übersetzer hier beschlossen, „Gier“ hinzuschreiben statt „Habsucht“. Meine Übersetzung.
Er macht die Worte weiter. Er sagt, nicht nur falscher Gebrauch von Sexualität macht unrein. Auch Profilierungssucht macht unrein, auch das Habenwollen und dabei, ich sage jetzt mal ganz extrem, über Leichen gehen oder zumindest anderen ein bisschen schaden, macht unrein.
Und ich kann all das mit Habsucht, mit Gier ausüben. Ich will haben: Sex, Anerkennung, mehr Einkommen. Er macht diese Worte weit. Er sagt, so vieles in dieser Gesellschaft ist unrein. Man wird mit Gier, mit Habsucht, mit „Ich will haben“ ausgeübt.
Das ist eine sehr plakative Beschreibung der Gesellschaft. Aber er möchte, dass uns das klar wird, dass uns das aufstößt, dass es für uns nicht normal wird, so zu leben wie unsere Umgebung. Er möchte uns so ein bisschen aufrütteln.
Leer, fremd im Leben, wie Gott es sich vorstellt, ohne Empfindung für Gottes Moral, ungezügelt, unrein, gierig – das sind die Vokabeln, mit denen er unsere Umgebung beschreibt.
Leben als Ausdruck der Bekehrung und des neuen Menschen
Und jetzt komme ich zu dem, womit ich diesen Abschnitt eingeleitet habe: Leben wir würdig unserer Bekehrung, dass wir uns aus dieser Gesellschaft heraus zu Gott bekehrt haben?
Er sagt: „Ihr aber …“ und jetzt sagt er etwas ganz Interessantes. Ich hätte es nicht so formuliert, denn er hätte jetzt sagen können: „Ihr aber habt es nicht so beigebracht bekommen.“ Ihr habt etwas anderes beigebracht bekommen, wie man als Christ lebt, wie man als religiöser Mensch lebt. Ihr habt eine andere christliche Moral, andere christliche Wertvorstellungen und andere christliche Verhaltensweisen beigebracht bekommen, als dass ihr jetzt noch alles mitleben könntet, wie eure Gesellschaft es lebt.
Aber das schreibt er nicht, zumindest nicht im Original. Er schreibt: „Ihr habt den Christus nicht so gelernt.“ Hier steht auch nicht „kennengelernt“, sondern „gelernt“. Ihr habt nicht nur andere Verhaltensweisen beigebracht bekommen, sondern ihr habt eine Person beigebracht bekommen – wie er ist, wie er tickt, was er will und wie er sich verhält. Paulus personifiziert das. Er sagt, es ist nicht heidnischer Lebensstil gegen christlichen Lebensstil, sondern es ist heidnischer Lebensstil und Christus.
Wir leben anders, weil wir zu ihm gehören und weil wir zu ihm passen wollen – nicht, weil wir bessere Regeln und eine bessere Ethik haben. Das haben wir natürlich auch. Es leitet sich davon ab. Wenn man sagt: Wie habt ihr denn den Christus beigebracht bekommen? Wie ist er? Kapitel 4, Vers 13 haben wir es gelesen: „Bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens, zur Erkenntnis des Sohnes Gottes.“
„Das ist der Knackpunkt“, sagt er. Wisst ihr, wie Christus ist? Habt ihr das noch vor Augen? Wozu passt es und wozu passt es nicht? Dass ihr, was den früheren Lebenswandel betrifft, abgelegt habt den alten Menschen, der nach den betrügerischen Begierden verdorben wird.
Ihr müsst es einfach noch einmal sagen: Das sind Begierden, die euch da vorgestellt werden, die euch locken. Diese Begierden sind betrügerisch und sie werden euch letzten Endes zerstören, wenn ihr so lebt. Aber ihr habt euch bekehrt. Ihr habt gesagt: Ich möchte dieses alte Leben hinter mich lassen, ich möchte es ablegen wie alte Kleider.
Ich weiß nicht, wann ihr Kleider ablegt – nicht um zum Schlafen zu gehen, sondern so prinzipiell, wenn die Türe klopft. Manche machen das einfach, wenn sie erwachsen werden. Dann räumen sie irgendwann ihren Schrank aus mit all ihren Kinder- und Jugendkleidern, meistens weil die gar nicht mehr passen. Manchmal schmeißen wir Kleider weg, weil sie kaputt sind. Ohne meine Häute machen wir Löcher in die Kleider rein. Aber ihr meint jetzt schon klassisch: Auch die sind dann irgendwann mal richtig kaputt.
Manchmal tun wir Kleider weg, weil wir den Eindruck haben, sie passen nicht mehr zu uns. Der Stil passt nicht mehr zu uns, vielleicht hat sich unser Geschmack einfach verändert. Vielleicht hat sich auch unser sinnvoller Anstand verändert, keine Ahnung.
Paulus sagt: So ist das ganze Leben. Wie die Nation das Leben, wie ihr es früher gelebt habt, wie ihr es früher als selbstverständlich gelebt habt, wie Kleider, die ihr selbstverständlich angehabt habt. Bei der Bekehrung habt ihr gesagt: Das sind alte Kleider, die lege ich ab. Die passen nicht mehr zu mir, das ist nicht mehr mein Stil.
Da macht er so einen kleinen Zwischensatz: „Aber erneuert werdet in dem Geist eure Gesinnung.“ Ihr habt nicht nur äußerlich – das ist nicht nur äußerlich ein Lebensstil – ihr habt beschlossen, anders zu denken, nach anderen Maßstäben zu leben. Ihr habt wirklich eine Veränderung bei eurer Bekehrung oder kurz davor oder wie auch immer erlebt. Ihr habt eine Veränderung in eurer ganzen Einstellung, in eurem ganzen Denken erlebt.
Darum habt ihr dieses alte Leben irgendwann beschlossen abzulegen wie alte, unpassende Kleider. Und dann kommt ein schöner Satz: „Und angezogen habt den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist.“
Paulus sagt: Erinnert ihr euch noch? Lebt ihr das immer wieder? Ihr habt einen ganz, ganz neuen Menschen, einen ganz neuen Lebensstil angezogen, und er ist von Gott geschaffen. So neu ist er, gemacht von Gott. Und so gut passt er zu euch, als wäre er von Gott genau für euch gemacht – so wie die Eva genau für den Adam gemacht war.
Gott hat sich ein neues Leben für euch ausgedacht, neue Gewohnheiten, neue Einstellungen, neue Ziele, genau für euch gemacht. Wisst ihr noch, als ihr zum ersten Mal angefangen habt, in diesem neuen Leben mit Gott zu leben? Ich hoffe, ihr habt euch direkt wohlgefühlt, weil Gott hat dieses neue Leben für euch gemacht.
Wir hatten das Wort schon mal in Kapitel 2, Vers 10: „Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, damit wir in ihm wandeln sollen.“
Weil er sagt: So ist die Gesellschaft, so wart ihr früher. Ihr habt es abgelegt, ihr habt euch eine neue Einstellung zugelegt und ihr habt ein neues Leben angezogen, das von Gott geschaffen ist für euch – in Gerechtigkeit.
Wir denken meistens an materielle Dinge bei Gerechtigkeit. Oder meistens geht es vor Gericht um materielle Dinge. Und Heiligkeit? Wir würden spontan eher an Moral denken. Ein neues Leben, das von Gerechtigkeit und Heiligkeit geprägt ist – der Wahrheit.
Bei mir steht „wahrhaftiger Gerechtigkeit und Heiligkeit“, aber eigentlich ist es hier betont: Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit. Wir hatten das Wort schon mal gerade, ich habe es nicht richtig vorgelesen, Ende von Vers 21: „Wie die Wahrheit in dem Christus ist.“
Kapitel 5, Vers 6 steht: „Niemand verführe euch mit leeren Worten. Denn dieser Dinge wegen kommt der Zorn Gottes über die Söhne des Ungehorsams.“
Es waren Leute, die gesagt haben: Lebensstil ist nicht wichtig, du hast deine Fahrkarte im Himmel, es ist nicht wichtig, wie du als Christ lebst. Paulus sagt: Wie habt ihr Christus kennengelernt in Wahrheit? Was für einen Lebensstil will er von euch? Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Das ist die Wahrheit. Lebensstil ist wichtig, sagt Paulus. Lasst euch nichts erzählen: Lebensstil ist wichtig. Wandelt würdig eure Bekehrung, wandelt würdig eure himmlischen Berufungen.
Konkrete Beispiele für das neue Leben in der Gemeinschaft
Ja, Paulus hat relativ drastische Worte für die Gesellschaft gefunden, aber doch sehr allgemein, oder? Nicht so detailliert. Es war eine sehr plakative Beurteilung des gesellschaftlichen Lebens, unseres alten Lebens – fast noch plakativer unseres neuen Lebens. Er ist eher auf der Ebene der Prinzipien geblieben als auf der Ebene der Details.
Aber was heißt das alte Ausziehen? Was muss ich denn wegtun? Meine alten Lebensziele? Wahrscheinlich zum Teil. Meine Gewohnheiten? Ja. Computerspiele? Vielleicht schon. Zu viel Geld auf meinen Bankkonten? Ja, kann sein. Irgendwelche Pornos bestimmt. Was muss ich wegtun? Was muss ich ausziehen?
Paulus geht eigentlich davon aus, dass du das weißt, weil du Christus gelernt hast. Er geht davon aus, dass du weißt, was du ausziehen musst. Er geht sogar davon aus, dass du im Großen und Ganzen weißt, was du anziehen musst. Trotzdem hat er das Gefühl, dass er noch ein paar Details, ein paar Beispiele deutlich machen sollte. Und das kommt jetzt, ab Vers 25.
Und wie gesagt, das sind tatsächlich nur Beispiele. Aber eines ist überraschend: Nach der Einleitung hätte ich andere Beispiele genommen. Es ist nicht überraschend, dass ich nicht so denke wie Paulus, nein, aber es ist überraschend, dass er so denkt, wie er denkt. Denn wir würden sagen, wichtig ist, dass wir uns Gewohnheiten und Lebensstil aneignen, die ein gutes Zeugnis für unsere Umgebung sind, die zumindest unsere Umgebung nicht abstoßen.
Aber Paulus ist noch bei seinem Thema, auch wenn wir es fast aus den Augen verloren haben: bei dem Thema „Ihr seid eine Einheit, ihr gehört zusammen, wie geht ihr miteinander um?“ Das ist Ausdruck eures neuen Lebens, das ist Ausdruck eurer Bekehrung, das ist Ausdruck dessen, dass ihr anders lebt als die Gesellschaft, eure Familie, wer auch immer.
Wie geht ihr miteinander um? Nicht: Wie wirkt es nach außen? Das ist auch ein Thema in der Bibel, aber es ist nicht sein Thema hier. Und er ist plötzlich wieder mittendrin in Kapitel 4, Vers 16.
Mit was begründet er seinen ersten Punkt? „Deshalb, der ihr die Lüge abgelegt habt, redet Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten, denn wir sind Glieder voneinander.“ Sude, er wird uns nicht beibringen, dass wir Glieder mit unseren Kollegen sind. Glieder miteinander sind wir mit unseren Geschwistern. „Redet Wahrheit mit seinem Nächsten“ heißt hier für Paulus: Rede Wahrheit mit deinen Geschwistern. Denn sonst würde die Begründung „denn ihr seid Glieder voneinander“ überhaupt keinen Sinn machen.
Paulus denkt immer noch in der Gemeinde, innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Und ich glaube, er tut das, auch wenn er es nicht mehr so explizit sagt, auch in den anderen Punkten, die er hier aufzählt als Details, als Beispiel.
Wir fliegen da jetzt ein bisschen drüber. Vielleicht könnt ihr euch in den Hauskreisen noch ein bisschen mehr Gedanken machen als wir jetzt.
Es sind eigentlich drei Abschnitte, die ihr hier habt. Der erste Abschnitt ist: Redet Wahrheit und sündigt nicht im Zorn, fast 25 bis 27 oder 26. Der zweite Abschnitt ist eigentlich fast 28: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr.“ Sondern – und das ist spannend. Und der dritte Abschnitt ist: „Kein faules Wort gehe aus eurem Mund hervor, sondern …“
Und dazwischen fliegt er zwei Dinge ein. Das erste macht er gleich am Anfang, wenn es darum geht, Wahrheit mit dem anderen zu reden, und gibt nicht Raum dem Teufel. Und am Ende von seinen drei Beispielen sagt er: „Und betrübt nicht den Heiligen Geist.“ Mit wem arbeiten wir zusammen und wem geben wir Raum? Er sagt, das entscheidet sich an diesen Details.
Gebe ich Raum dem Teufel in der Gemeinschaft, um zu zerstören, um auseinanderzubringen? Oder gebe ich dem Heiligen Geist Raum? Gebe ich dem Teufel Raum und betrübe den Heiligen Geist? Paulus sagt, das entscheidet sich an diesen Details unseres Umgangs und des Umgangs vor allem miteinander.
Wahrheit sprechen und Zorn kontrollieren
Der erste Punkt ist: Redet Wahrheit miteinander. Heute haben wir das schnell abgehakt, oder? Klar, wir lügen nicht – das steht ja in den Zehn Geboten. Okay, das stimmt. Paulus denkt hier an die Zehn Gebote. Und er benutzt an dieser Stelle ein interessantes kleines Wort. Dieses Wort heißt „mit“.
Wir als Deutsche sind durch einen Ausdruck verführt, den wir im Deutschen haben: „Wir reden miteinander.“ Das heißt, wir sind in irgendeinem Kreis, und jeder redet etwas, und dann sagen wir, wir reden miteinander, oder? Wir lesen das automatisch so: „Wenn ihr miteinander redet, sagt die Wahrheit.“ Aber eigentlich ist „mit“ eine sehr unscharfe Beschreibung dessen, was wir da sagen. Denn eigentlich reden wir entweder zu jemandem oder über jemanden, wenn wir reden.
Der gewöhnliche Grieche würde wahrscheinlich nicht in diese Falle laufen, in die wir als Deutsche mit dem Ausdruck „miteinander reden“ geraten. Ich glaube, Paulus meint ein bisschen etwas anderes, als einfach nur miteinander zu reden und dabei die Wahrheit zu sagen. Er sagt: Redet Wahrheit miteinander. Das heißt, „miteinander“ würden wir im Deutschen wahrscheinlich am ehesten mit „füreinander“ übersetzen.
Wenn ihr redet, solange es sich irgendwie mit der Wahrheit vereinbaren lässt, seid füreinander. Solidarisiert euch miteinander, würden wir wahrscheinlich eher sagen, als nur „redet miteinander“. Sagt die Wahrheit, steht zur Wahrheit. Wenn es deinem Bruder oder deiner Schwester irgendwie nützt, verteidige sie, wenn es angebracht ist.
Ich meine, wir sind doch oft so: Wir finden irgendjemanden blöd, und er hat uns schon oft auf den Fuß getreten. Dann kriegt er irgendwann von jemandem eine auf den Deckel für etwas, wo wir wissen, dass er es in dem Fall eigentlich nicht verschuldet hat. Dann können wir sagen: Er hat es so oft verdient, gut, dass er es jetzt abgekriegt hat, okay? Aber „Wahrheit miteinander reden“ heißt, dass ich in dem Fall zu ihm stehe und sage: „Das ist nicht korrekt, das hat er nicht verdient. Das ist mein Bruder, wir sind Glieder voneinander, wir gehören zusammen, ich stelle mich zu ihm.“
Ich glaube, das ist das, was Paulus sagen möchte. Ihr seid verbunden als Glieder, nicht nur als Glieder beide an demselben Leib, sondern als Glieder miteinander, verbunden durch Gelenke. Solidarisiert euch, solange ihr nicht für den anderen lügen müsst. Sagt aktiv die Wahrheit, um eure Solidarität auszudrücken!
Und selbst wenn ihr zornig seid, selbst wenn euer Zorn berechtigt ist: Sündigt nicht, bleibt bei der Wahrheit, bleibt dabei, füreinander zu sein. Lasst die Sonne nicht untergehen über eurem Zorn. Das heißt nicht, dass ihr euch jeden Abend überlegen müsst, ob ihr dem anderen noch vergeben müsst, damit es nicht über die Nacht geht. Das heißt natürlich auch das, aber eigentlich heißt es: Lasst nicht zu, dass eure Sonne über dem anderen untergeht, dass euer Wohlwollen dem anderen gegenüber stirbt.
Ihr gehört zusammen, sagt er. Gebt nicht Raum dem Teufel. Ihr seid Glieder voneinander, seid füreinander. Redet füreinander, redet Wahrheit mit dem anderen, verbunden mit dem anderen.
Das ist der erste Punkt, wo Paulus Details macht.
Arbeit als Ausdruck der Solidarität
Der zweite Punkt, der mich wirklich herausfordert, ist Vers 28. Dort steht: Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr. Das ist einfach das Nachbargebot, verstanden? Wir sind immer noch bei den zehn Geboten. Wer gestohlen hat, soll nicht mehr stehlen.
Es scheint in Ephesus relativ verbreitet gewesen zu sein, dass man diesen Punkt extra erwähnt. Vermutlich gab es Leute in der Gemeinde, die früher gestohlen haben. So würde ich das zumindest schließen.
Man könnte den Satz hier beenden: Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr. Aber man kann ihn noch etwas weiterführen: „Sondern arbeite vielmehr und wirke mit seinen Händen das Gute.“ Also nicht mehr vom Stehlen leben, sondern arbeiten – möglichst mit einer positiven Arbeit.
Er soll mit seinen Händen das Gute wirken. Es gibt durchaus Arbeiten, die für Christen nicht ganz angemessen sind. Wenn wir schon sinnlose Dinge in unseren Berufen tun müssen, dann sollten wir wenigstens keine verwerflichen Arbeiten ausüben.
Doch dann kommt der eigentliche Hammer. Paulus sagt plötzlich, was seine Motivation ist, mehr zu arbeiten, als er unbedingt muss: Damit ihr dem Bedürftigen etwas zu geben habt, damit ihr etwas zu teilen habt mit dem, der nicht so viel Geld verdienen kann. Vielleicht mit dem, der gar nicht arbeiten kann, weil er krank ist oder keinen Job findet – aus welchen Gründen auch immer.
Auf diese Idee komme ich persönlich extrem selten! Wenn ich den Eindruck habe, ich verdiene zu viel – also zu viel für meinen Lebensstil – dann komme ich vielleicht noch auf die Idee, von dem, was ich zu viel habe, jemandem etwas abzugeben. Das passiert schon mal. Meistens ist es ehrlich gesagt eher meine Frau, die auf diese Idee kommt.
Aber auf die Idee zu kommen, mehr zu arbeiten, als ich muss, damit ich genug Geld habe, um jemand anderen zu unterstützen – diese Idee kommt mir selten.
Paulus sagt, das sollte eigentlich eure Motivation für die Arbeit sein. Nicht nur, weil ihr vorher gestohlen habt und etwas ausgleichen müsst. Das ist hier nicht der Hauptgedanke.
Der Hauptgedanke ist, genau wie bei der Wahrheit, mit dem anderen zu reden und für den anderen da zu sein, selbst wenn ich zornig bin: Wir gehören zusammen, wir sind eine Solidargemeinschaft.
Wenn einer aus irgendwelchen Gründen, die vernünftig und vertretbar sind – außer vielleicht extremer Faulheit oder dem Wunsch, sich durchzufressen – gerade bedürftig ist, dann sollten wir als Menschen, die zusammengehören, als ein Leib, als eine Sozialgemeinschaft, bereit sein, vielleicht ein bisschen mehr zu arbeiten, ein paar Überstunden zu machen, um ihn finanziell unterstützen zu können.
Und merkt ihr, Paulus ist hier mittendrin in Kapitel 4, Vers 16: Nach dem Maß eines jeden Einzelnen tragen wir bei. Es geht nicht nur um die geistliche Auferbauung des Leibes, sondern auch um die Festigung dieses Leibes miteinander im Zusammenleben. Beides gehört zusammen.
Ich finde das einen erstaunlichen Satz. Ihr könnt wirklich mal darüber nachdenken. Ich denke auch schon eine Weile darüber nach.
Worte als Mittel zur Erbauung und Gemeinschaft
So, und dann kommt das dritte Beispiel. Jetzt ist er wieder beim Reden, eben war er noch beim Arbeiten. Eigentlich hat er mit dem Reden angefangen. Er sagt: Es kommt nicht nur darauf an, die Wahrheit zu sagen, sondern die Wahrheit auch für den anderen zu sprechen, in Solidarität mit ihm.
Es gibt so viel, was wir mit unserem Reden bewirken und anrichten können. Kein faules Wort soll aus eurem Mund kommen, sondern nur das, was gut und zur notwendigen Erbauung dient, damit es dem Hörenden Gnade bringt.
Ja, es gibt so vieles, was wir sagen, das den anderen eher demotiviert, ihn vielleicht eher in die Welt hineinzieht, statt ihn aus der Welt herauszuführen. Worte, die entmutigen, die manchmal schaden und den Glauben in Frage stellen, weil wir leichtfertig unsere eigenen Zweifel hinausposaunen – auch gegenüber Menschen, die das nicht ertragen können.
So viele Dinge, die wir übereinander reden, schieben Keile in die Gemeinschaft. Es sind oft ganz leichte Bemerkungen, die moralisch nicht mehr ganz in Ordnung sind und das Bild Gottes verdunkeln, anstatt es zu erhellen. Paulus denkt an all diese Dinge, wenn er von faulen Worten spricht – Worte, die anstecken und schaden.
Das passiert so leicht, das geht fast von selbst. Da müssen wir uns gar nicht anstrengen. Wisst ihr, was anstrengend ist? Also für die meisten von uns – ich vielleicht nicht. Es ist viel anstrengender, sich zu überlegen: Was würde dem anderen wirklich guttun, wenn ich es ihm sage?
Denn es steht immer „sondern“: Sondern was irgend Gutes zur notwendigen Erbauung, damit es dem Hörenden Gnade bringe. Ich würde es so übersetzen: Damit es für den Hörenden ein Geschenk ist, denn Gnade ist ein Geschenk.
Es wäre spannend, sich zu überlegen: Wenn ich mich mit jemandem treffe, zum Beispiel hier im Gang, wenn wir uns unterhalten oder etwas zusammen unternehmen – könnte ich ihm etwas sagen, das ihm im Rückblick wie ein Geschenk erscheint?
Manchmal ist es eine Ermutigung, manchmal einfach ein Gedanke oder ein Perspektivwechsel. Manchmal ist es vielleicht sogar vorsichtige Kritik, die ein Geschenk sein kann.
Paulus sagt, das sind gute Beispiele für das neue Leben, das man anzieht: solidarisch sein in Wahrheit, auch für andere arbeiten und nicht nur für sich selbst. Sich überlegen, wie meine Worte ein Geschenk sein können, wenn vielleicht gerade meine materiellen Mittel kein Geschenk sein können.
Ganz einfache Beispiele, aber Paulus denkt immer an die Solidargemeinschaft. Alle Bitterkeit, Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung sollen von euch weggenommen werden, zusammen mit aller Bosheit.
Seid aber zueinander gütig und mitleidig, selbst wenn der andere schräg ist. Vielleicht hat er einen Grund dazu. Manchmal sollten wir ihm mehr mit Mitleid als mit Vorwürfen begegnen.
Seid einander vergebend. Ja, manchmal ist es nötig, so wie Gott in Christus euch vergeben hat. Wir haben selbst so viel Vergebung erfahren.
Nachahmung Gottes und das Leben in Liebe
Und jetzt, ganz am Ende – ich weiß, das ist schon das nächste Kapitel, aber ich glaube, es gehört noch zum Abschnitt – wechselt Paulus noch einmal die Perspektive. Er zeigt uns Gott:
Seid nun Nachahmer Gottes als geliebte Kinder. Nicht nur wandelt würdig eure Berufung, nicht nur anders als die Nation, sondern lebt so, wie es euren Genen, wie es eurer Familienzugehörigkeit entspricht. Vielleicht nicht nur so, wie in dem Vers, in dem steht: „Wie auch Gott uns vergeben hat.“
Hier macht Paulus weiter: Seid Nachahmer Gottes. Überlegt, wie Gott handelt, wie Gott den anderen sieht, wie Gott mit ihm umgeht. Wie viel Geduld, Güte, Mitleid und Vergebung er zeigt. Seid Nachahmer Gottes als seine geliebten Kinder.
Dann verändert er noch einmal leicht die Perspektive und zeigt uns Christus. Ganz am Schluss sagt er: Wandelt in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat.
Das ist schon ein starker Gegensatz zu der Gesellschaft, an die er schreibt – noch mehr als die vorherigen Beispiele. Er sagt: Es ist schwer, für andere zu leben. Findest du es schwer, mitleidig zu sein? Findest du es schwer, gütig zu sein? Findest du es manchmal schwer, dich mit Geschwistern zu solidarisieren?
Es ist schwer, sich zu überlegen, was man sagt, und was dem anderen gut oder nicht gut tut. Ist es schwer? Wandel in Liebe, wie auch Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat.
Christus hat sich hingegeben, sagt Paulus – und das steht hier nicht aus Versehen. Das ist eine Herausforderung. Als Darbringung und Schlachtopfer – bei mir steht das Komma an einer ungünstigen Stelle, ich weiß nicht, wie es in deiner Übersetzung ist – als Darbringung und Schlachtopfer für Gott hat Christus sich hingegeben zu einem duftenden Wohlgeruch.
Das ist das, was sich durch die ganze Geschichte zieht, sagt Paulus. Dieses Leben Jesu: Wenn du es dir anschaust, wenn du auf den Seiten liest, auf denen seine Geschichte beschrieben wird; wenn du liest von seiner Hingabe, von seinem Umgang mit Menschen; wenn du letzten Endes liest, wie er sich Gott als Schlachtopfer dargebracht hat – es zieht sich durch die Geschichte wie ein duftender Wohlgeruch, nicht nur für Gott, sondern für jeden, der es liest und darüber nachdenkt.
Ich glaube, Paulus schreibt das deswegen, weil er uns zeigen möchte, wie wir leben sollen. Und weil er uns sagen möchte: In gewisser Weise kann auch dein Leben ein Wohlgeruch werden, wenn Menschen deine Geschichte anschauen.
Ich meine jetzt nicht, dass die meisten von uns Bücher schreiben werden. Die Hingabe Christi ist ein duftender Wohlgeruch, nicht nur für Gott. Wenn du das lebst – anders als die Gesellschaft –, wenn du das alte Leben wirklich ablegst, wenn du deine Gesinnung wirklich änderst, wenn du dieses neue Leben anziehst, in diesem und vielen anderen Beispielen in Betay; wenn du eine Solidargemeinschaft von dir aus lebst; wenn du ein bisschen anfängst, dich hinzugeben – auch für deine Geschwister und letzten Endes natürlich für Gott –, dann kann dein Leben ein Wohlgeruch sein.
Und das ist schon eine große Motivation.
