Ja, das Mittagessen war gut. Danke an diejenigen, die es zubereitet haben. Es war einfach zu viel, sodass man gar nicht alles probieren konnte.
Ich denke, ihr seid jetzt alle wieder aufnahmefähig. Sonst wäre diese Uhrzeit ja eine sehr große Herausforderung.
Oft denke ich daran, wenn ich im Westerwald in den Gemeinden bin. Dort gibt es sonntags in der Regel immer um halb drei eine Gemeindestunde. Für den Prediger ist das eine große Herausforderung, gegen herunterfallende Augen anzureden. Am liebsten würde man zu Beginn Streichhölzer verteilen, damit die Augen offen bleiben.
Ich werde mich bemühen, euch wachzuhalten.
Einführung in das Thema Seelsorge
Wie gesagt, heute Nachmittag behandeln wir das Thema Voraussetzungen für Seelsorger. Zudem wollen wir uns noch einmal zwei Bibelverse einprägen, besonders den aus Galater 6: „Einer trage des anderen Last, und so werdet ihr das Gesetz des Christus erfüllen.“
Ich denke, eine wichtige Frage ist, welche Voraussetzungen es gibt, um Seelsorger zu sein. Braucht man eine Schulung oder Ausbildung? In der Bibel finden wir darauf keine direkten Hinweise. Jesus hat keine Bibelschulen gegründet und keine Kurse abgehalten.
Die entscheidende Frage lautet: Wie können wir geistlich wachsen? Wenn in Galater 6, Vers 2 steht: „Einer trage des anderen Last“, dann ist damit gemeint, dass jeder Gläubige gefordert ist, dem anderen die Last zu tragen.
In der Welt sagt man: „Eine Hand wäscht die andere.“ Das ist etwas anderes. Wir sollen uns gegenseitig helfen, die Lasten zu tragen, damit diese verteilt werden. Dafür sind alle nötig.
Das heißt: Seelsorge ist eine Aufgabe für alle.
Unterschiedliche Verantwortungsbereiche in der Seelsorge
Auf der anderen Seite gibt es auch spezielle Aspekte. Zum Beispiel finden wir in 1. Timotheus 3, in Titus 1 und in 1. Timotheus 4 Hinweise, die sich an Älteste richten – also an diejenigen, die in den Gemeinden Verantwortung tragen. Dort werden viele Qualifikationen genannt, die für die Seelsorge wichtig sind.
Wenn wir Galater 6, Vers 1 betrachten, heißt es: „Ihr, die Geistlichen, bringt diejenigen zurecht, die Schwierigkeiten haben.“ Es scheint also zwei verschiedene Bereiche zu geben. Zum einen sind wirklich alle Gläubigen für alle anderen Gläubigen zuständig und sollen sich gegenseitig helfen. Zum anderen tragen manche Menschen in besonderer Weise Verantwortung und sind speziell für die Seelsorge verantwortlich.
Diese verantwortlichen Personen werden Hirten genannt. Der Hirtendienst ist im Neuen Testament eine Gnadengabe, eine besondere Gabe, die Gott gibt – ähnlich wie Lehrer, Evangelisten oder solche, die Barmherzigkeit üben. Es gibt verschiedene Gnadengaben, und alle Geschwister besitzen welche, aber nicht jeder hat alle.
Das zeigt sich auch in einer Gemeinde. Unter den verantwortlichen Brüdern gibt es solche, die eine Gabe zum Hirtendienst haben, und andere, die diese Gabe nicht besitzen, sondern eher verwaltend tätig sind.
Unterschiedliche Charaktere im Hirtendienst
Wenn ich an meine Jugend in Barmen zurückdenke, erinnere ich mich an einen alten Bruder, den alle als Hirten bezeichneten. Wir hatten einen anderen Bruder, der ebenfalls Verantwortung trug, doch viele Geschwister nannten ihn den „Schäferhund“. Man hatte den Eindruck, er biss die Geschwister ständig in die Beine.
Gut, in der Bibel lese ich nichts davon, dass Schäferhunde gebraucht werden. Aber es gibt tatsächlich Unterschiede in der Gemeinde. Einige „beißen“ die Geschwister in die Beine, andere sind wirklich Hirten.
Mein Hauptanliegen ist, uns dafür zu sensibilisieren, dass verantwortliche Brüder in den Gemeinden sich bewusst werden: Wir müssen zum Hirtendienst in den Gemeinden zurückkehren.
Ich sagte bereits während einer Mittagspause im Gespräch, dass es gerade in der heutigen Zeit in den übrigen freikirchlichen Gemeinden eine Tendenz gibt, die Seelsorge zu instrumentalisieren. Das heißt, man bildet Seelsorger aus, lässt sie Diplome erwerben und macht daraus einen Beruf.
Heute Vormittag lernte ich von BTS, der biblisch therapeutischen Seelsorge. Das ist eine Einrichtung, die Seelsorger ausbildet, die dann deutschlandweit zum Einsatz kommen. Sie haben Büros, halten Sprechstunden ab, und man geht dorthin und bezahlt dafür. Das ist jedoch nicht der biblische Weg.
Andere versuchen, ein Netzwerk von ehrenamtlichen Seelsorgern aufzubauen. Das ist auch gut gemeint, aber es entspricht nicht der biblischen Regel.
In der Bibel finden wir, dass Gott den Hirtendienst der örtlichen Gemeinde gegeben hat. Mein Anliegen ist, dass unsere Brüdergemeinden dafür wieder sensibel werden und wir gemeinsam dafür beten, dass in unseren Gemeinden wieder solche Brüder da sind, die den Hirtendienst auf ihr Herz nehmen.
Wenn es in einer Gemeinde solche Brüder nicht gibt – ich kenne euch nicht gut genug, um das beurteilen zu können – dann betet darum: Herr Jesus, bereite vor allem auch verantwortliche Brüder vor, die den Hirtendienst übernehmen.
Wie oft bekomme ich Anrufe von Geschwistern, die fragen: „Weißt du nicht jemanden, zu dem ich hingehen oder jemanden hinschicken kann?“ Und ich frage dann immer: „Habt ihr keine verantwortlichen Brüder in der Gemeinde?“ Die Antwort lautet oft: „Ja, aber ich wüsste nicht, zu wem ich gehen könnte.“
Vielleicht müssen wir uns dieses Bewusstsein wieder neu aneignen.
Vertrauen und Verschwiegenheit als Grundlage der Seelsorge
Natürlich ist es häufig so, dass ich, wenn ich ein Problem habe, darüber nachdenke, wem ich mich öffnen kann. Ich öffne mich nur jemandem, dem ich vertraue. Wenn ich aber Angst habe, dass, wenn ich das jemandem in der Gemeinde erzähle, es in null Komma nichts durch die ganze Gemeinde geht, dann halte ich mich zurück. Gemeindenachrichten verbreiten sich ja schneller als SMS. Man kann gar nicht so schnell denken, wie Gerüchte durch die Gemeinde gehen.
Das bedeutet, ich kann nur Seelsorge üben, wenn ich weiß – oder wenn die anderen Geschwister auch wissen –, dass die Person verschwiegen ist. Dass sie es für sich behält und mich hinterher nicht als den sieht, der dieses Problem hat. Ich glaube, dass das sehr wichtig ist und dass uns das wieder neu bewusst werden muss.
Wir brauchen in unseren Gemeinden Hirten. Ich kann das vielleicht mal so kurz sagen: Ich habe das schon in der Mittagspause erwähnt. Seit drei Jahren mache ich zusammen mit Bruder Roland Antholzer aus Kempten ein sogenanntes Hirtenseminar in Rehe. Dieses Jahr im Juni, für drei Tage. In der Regel bekomme ich Anrufe von Schwestern, die fragen, ob sie auch kommen können. Ich sage dann, das ist ein Hirtenseminar, und in meiner Bibel werden die Hirten als männliche Wesen beschrieben und nicht als Hirtinnen.
Ja, aber ich möchte auch Seelsorge machen, sagen sie dann. Ich antworte, dass ich darüber ein Seelsorgeseminar geschrieben hätte. Ich glaube, dass dieses Bewusstsein neu geweckt werden muss. Offensichtlich ist das in unseren Gemeinden noch nicht präsent. Wir haben wirklich in unseren Gemeinden einen Mangel an Hirten. Das ist in den letzten Jahrzehnten so geworden.
Wir haben uns in unseren Gemeinden darauf verlegt, vieles zu managen, aber die Seelsorge ist auf der Strecke geblieben. Deshalb wenden sich viele Geschwister anderen Dingen zu. Viele sind offen für Psychotherapie und auch für alle möglichen anderen Angebote. Ich weiß, es ist nicht einfach, in der eigenen Gemeinde Vertrauen zu fassen, weil man oft schlechte Erfahrungen gemacht hat. Vielleicht ist das bei euch ganz anders – ich hoffe es.
Aber Seelsorge bedeutet Verschwiegenheit. Wenn wir miteinander reden, dann muss das unter uns bleiben. Das stelle ich auch auf anderem Gebiet fest. Ich mache ja auch Eheseminare. Das ist interessant: Wenn ich in Rehe oder in Besenfeld oder anderswo ein Eheseminar anbiete, sind in der Regel keine Geschwister aus den Brüdergemeinden dabei. Auf diese Seminare kommen Geschwister aus der Freien Willigen Gemeinde (FWG), von den Baptisten und aus allen möglichen anderen Kreisen.
Unsere Geschwister gehen auf Eheseminare von anderen. Woran liegt das? Das ist aus dem gleichen Grund. Vielleicht beobachtet ihr das auch: Ihr habt hier eine Bücherstube. Bücher über Eheprobleme werden von den eigenen Geschwistern nicht in der eigenen Bücherstube oder hier an der Bücherwand gekauft. Warum? Weil man Angst hat, dass, wenn man angesprochen wird, die Frage kommt: „Hast du Probleme?“ Wir trauen uns nicht.
Ich möchte wecken, dass wir wieder vertraut werden miteinander. Dafür sind wir doch in der Gemeinde zusammen.
Beispiel eines vertrauensvollen Miteinanders in der Gemeinde
Ich sagte beim Spazierengehen schon auf dem Weg, dass ich im Januar bei uns etwas Wunderschönes erlebt habe. Ich muss euch das erzählen, weil mich das sehr bewegt hat.
Wir haben bei uns ein Hauskreis-Projekt, bei dem wir alle Geschwister in verschiedene Hauskreise aufgeteilt haben. Die, die diese Hauskreise leiten, sind die sogenannten Hauskreisleiter. Manche haben noch einen Gehilfen an ihrer Seite, von dem wir hoffen, dass er irgendwann ebenfalls Hauskreisleiter wird. Denn wir denken, wenn die Gemeinde weiter wächst, brauchen wir weitere Hauskreise.
Das ist also ein Kreis von ungefähr sechzehn Brüdern im Augenblick. Wir treffen uns alle acht Wochen, um uns miteinander auszutauschen, wie es in den Hauskreisen läuft, und auch um die weiteren Lektionen auszuarbeiten. Wir gehen also gleichmäßig vor in diesen Hauskreisen und nehmen alle zur gleichen Zeit das Gleiche durch. So kann man, egal in welchem Hauskreis man ist, mit jedem in der Gemeinde über das sprechen, was man gerade im Hauskreis durchgenommen hat.
Im Januar saßen wir zusammen als Hauskreisleiter, und einer hielt eine kurze Andacht. Dabei sagte er, dass er sich eigentlich sehr wünsche, dass wir hier als Mitarbeiter vertrauensvoll miteinander umgehen und füreinander beten. Eigentlich müsste das doch unter uns möglich sein. Er wollte einfach mal anfangen und sagte, wo er sein Problem habe. Vielleicht könnten wir gleich bei der Gebetsgemeinschaft dafür beten. Er nannte, dass er im Augenblick Probleme mit seinem Chef hatte.
Danach war es einen Augenblick still, und dann sagte ein anderer: „Tja, wenn Karsten so ehrlich und offen war, dann will ich es auch wagen.“ Er nannte sein Problem. Dann der dritte, dann der vierte. Schließlich haben alle sechzehn Brüder freimütig gesagt, was bei ihnen ein Problem ist.
An dem Abend haben wir dann nichts anderes getan, als auf die Knie zu gehen und füreinander zu beten. Ich muss sagen, das war eines der schönsten Erlebnisse, die ich in den letzten Jahren gehabt habe. Ich bin nach Hause gegangen und habe zu meiner Frau gesagt: „Schatz, das war wirklich Gemeinde – einer trägt des anderen Last.“ Sich wirklich zu öffnen und zu sagen: „Weißt du, ich habe da ein Problem, betest du mit?“ – das ist es, wonach man sich in der Gemeinde sehnt, oder?
Das setzt aber voraus, dass ich es wage, mich zu öffnen. Nicht so zu tun, als ob ich alles wüsste, alles könnte und oben drüber stünde. Natürlich plädiere ich nicht dafür, dass man sich hier vorne hinstellt und alle seine Probleme auswälzt. Aber in einem Kreis miteinander sollte es möglich sein, gerade dort, wo Mitarbeiter und Verantwortliche zusammen sind, füreinander zu beten – und nicht nur für Krankheiten.
Das ist eigentlich das, was wir brauchen: Seelsorge. Dass wir uns öffnen, Vertrauen zueinander fassen und wirklich füreinander beten. Dabei gibt es nicht gleich jemanden, der eine Lösung hat. Aber wir gehen gemeinsam auf die Knie, legen unsere Probleme dem Herrn Jesus vor, und dort sind sie am besten aufgehoben.
Ich habe gemerkt: An diesem Punkt wächst eine Gemeinde zusammen. Man spürt plötzlich, wir stehen füreinander ein, wir sind eine Mannschaft – und dann geht es vorwärts.
Ich komme durch viele Gemeinden und merke, dass dies eigentlich die Sehnsucht der jungen Brüder ist. Sie suchen eine Gemeinde, in der eine zusammengeschweißte Mannschaft ist. Eine Mannschaft, die sich gegenseitig auch ihre Schwächen anvertrauen kann, füreinander eintritt und betet. Dort haben alle Irrlehren keine Chance. Dort wird eine Gemeinde gesund. Und nur eine gesunde Gemeinde wächst.
Heute redet man oft von Gemeindewachstum und versucht, Methoden dafür zu finden. Aber das ist es nicht. Schauen wir in die Natur: Was wächst, ist etwas Gesundes. Und eine gesunde Gemeinde wächst.
Persönliche Voraussetzungen für Seelsorger
Deshalb ist es sehr wichtig, darüber nachzudenken, was die Voraussetzung für Seelsorger und für die Geschwister in der Gemeinde ist.
Als ersten Punkt möchte ich nennen: Wenn jemand wirklich als Seelsorger in der Gemeinde tätig sein möchte und sich dazu berufen fühlt, dann ist das oft nicht so, dass er sagt: „Ich möchte jetzt Seelsorge machen.“ In unseren Gemeinden ist es meistens so, dass man, wenn man nicht aufpasst, mit allem betraut wird. So war es auch bei mir. Man wächst in der Gemeinde hinein: Man hat Sonntagsschularbeit gemacht, Jugendarbeit, plötzlich ist man in der Verkündigung aktiv, und dann heißt es: „Eva, kannst du das noch machen? Und das noch?“ So wächst man nach und nach in die Verantwortung hinein.
Die Voraussetzung, um wirklich seelsorgerisch tätig zu sein, ist zunächst eine echte, gründliche Bekehrung. Das klingt vielleicht doppelt gemoppelt: Ist nicht jede Bekehrung auch gründlich oder echt? Was meine ich damit? Für mich ist eine Bekehrung nur dann eine Bekehrung, wenn sie echt und authentisch ist. Herr Uwe hat es eben auf der Wanderung gesagt: Lernen bedeutet Verhaltensveränderung. Das heißt, wenn sich ein Mensch bekehrt, muss das Auswirkungen auf sein Leben haben.
Die Frage ist: Was hat sich seit deiner Bekehrung verändert? Ich habe euch gesagt, ich habe mich als Kind bekehrt, mit neun Jahren. Vorher war ich einigermaßen artig, und danach auch. Da hat sich nicht viel verändert. Ich kann also nicht sagen, dass das eine echte Bekehrung war, obwohl ich glaube, dass es meine Bekehrung war.
Wo sich bei mir wirklich etwas verändert hat, war mit siebzehn, während meiner Lehre. Ich merkte, dass die Arbeitskollegen jeden Freitag stockbesoffen waren. Sie ließen die Druckmaschine leer durchlaufen, weil sie sie nicht mehr kontrollieren konnten, und mussten sich an der Maschine festhalten. Aber die Maschine musste ja laufen. Wenn der Chef am Freitagnachmittag durchging, musste er wenigstens sehen, dass die Maschinen liefen – glücklicherweise war er kurzsichtig. Die Abteilungsleiter wussten sowieso, dass nichts mehr produziert wurde.
Da stand ich als Lehrling da und fragte mich: „Seufzt du mit? Hey, ihr seid doch nicht so eine Memme, oder?“, sagte Plattus, „Bist du frommer als der Papst?“ Da habe ich mir gesagt: „Nein, Schluss. Ich möchte so leben, wie der Herr Jesus es möchte.“ Im Grunde wurde damit festgemacht, was ich mit neun Jahren bekannt hatte: Bekehrung muss mein Leben verändern.
Deshalb die Frage: Was hat sich seit deiner Bekehrung verändert? Es ist wichtig, dass die Menschen in deiner Umgebung merken, dass du anders geworden bist. Das bedeutet, authentisch zu leben, offen und transparent zu sein.
Nichts ist frustrierender für einen Jugendleiter – und ich war 20 Jahre Jugendleiter in Barmen –, als wenn Jugendliche kommen und sagen: „Weißt du, mein Papa ist zuhause anders als in der Gemeinde.“ Das fromme Gesicht setzt erst an der Straßenecke vor der Gemeinde auf. Da ist es nicht verwunderlich, wenn solche Jugendlichen später nicht mehr in die Gemeinde gehen. Denn das ist kein authentisches Leben.
Weitere wichtige Eigenschaften für Seelsorger
Eine gründliche Bekehrung. Zweitens: Du musst ein Beter sein. Betest du? Ja, sagst du, vor dem Essen, oder? Ich hoffe es. Dabei gibt es ja auch Streitfragen, ob man erst ab einem Wert von drei Euro fünfzig beten muss oder auch schon bei der kleinen Pommes. Manche meinen, erst ab einer gewissen Größenordnung des Tellers müsse man beten. Nein, bist du ein Beter?
Mir imponiert, wie Paulus gebetet hat. Im Philipperbrief Kapitel 1 heißt es: „Ich bete alle Zeit für alle von euch.“ Du kannst sagen: Sei froh, dass eure Gemeinde hier nicht so groß ist wie unsere. Je größer eine Gemeinde ist, desto mehr Zeit brauchst du, oder?
Als ich damals heiratete, hat Helmut Tillmanns die Traurede bei uns gehalten. Er kam uns dann besuchen, wir waren ins Gemeindehaus gezogen, und wir waren Hausmeister. Da sagte er: „Eberhard, du hast ein besonderes Vorrecht, du bist jetzt Hausmeister, du darfst den Dreck der Heiligen kehren.“ Er erzählte mir, dass sein Vater auch Hausmeister in der Gemeinde gewesen sei. Er erzählte mir etwas, das mich sehr beeindruckt hat und das ich nicht vergessen habe.
Er sagte: „Wenn ich als Kind aus der Schule nach Hause kam und durch den Gemeindesaal ging, sah ich meinen Vater häufig vor verschiedenen Stühlen in der Gemeinde knien und beten.“ Ich muss sagen, das hat mich beeindruckt. Ich habe das nicht im Gemeindesaal getan, vor den einzelnen Stühlen, aber in Gedanken schon.
Wir reden lieber über die Geschwister, als dass wir für sie beten. Wenn wir für die Geschwister beten, bekommen wir auch ein Herz für sie. Wenn du mit einem der Geschwister nicht richtig klarkommst, dann bete für ihn. Nicht, damit er sich verändert, sondern bete einfach. Dann wird sich dein Herz verändern.
Beten bedeutet nicht diese „Aldi-Gebete“, die jeder kennt: „Herr Jesus, segne all die Kranken, segne all die Missionare.“ Das sind so kollektive Aldi-Gebete. Stattdessen nenne die Namen. Du wirst merken: Über den einen weißt du vielleicht noch gar nicht so viel. Was hat er überhaupt für ein Problem? Wofür kann ich beten?
Ich habe vor sieben Jahren etwas in unserer Gemeinde angefangen, und ich möchte das euch einfach mal als Anregung mitgeben. Ich habe angefangen, jedem der Geschwister zu seinem Geburtstag eine Karte zu schreiben, angefangen vom Teeniealter bis zum Ende. Das sind bei uns ungefähr 250 Karten im Jahr.
Einer hat mal gefragt: „Warum machst du nie einen Vordruck und stempelst hinten einen Stempel drauf? Dann ist die Sache erledigt.“ Nein, ich habe festgestellt: Seit ich das tue, wachsen mir die Geschwister ans Herz, weil ich mich mit jeder Karte zumindest einmal im Jahr mit jedem der Geschwister beschäftige. Ich überlege, was er jetzt braucht, was ich ihm wünschen kann, welchen Bibelvers ich ihm geben kann. Plötzlich merke ich, dass auch die Teenies mich wahrnehmen. Ich bin nicht mehr der alte Grufti, sondern bekomme zu hören: „Danke, dass du mir geschrieben hast, das hat mich gefreut.“ Plötzlich hast du ein völlig anderes Verhältnis, auch zu den jungen Geschwistern.
Morgen lassen sich bei uns sieben Geschwister taufen. Leider bin ich nicht dabei, ich bin in Opladen. Aber da passiert es. Ich weiß nicht, wie das bei euch ist. Ich habe am letzten Donnerstag die Namen der Geschwister genannt, die sich taufen lassen. Da sagte ein alter Bruder: „Kenne ich alle nicht.“ Ich habe gedacht: Schade, schade. Da merkt man, dass einer überhaupt nicht bei den Geschwistern dran ist, oder?
Gemeinde ist schon Arbeit, und Seelsorge ist schon Arbeit, manchmal ganz einfache, praktische Arbeit. Aber wenn ich Karten schreibe, dann bete ich auch für sie. Es ist wichtig, dass wir ein Vertrauensverhältnis zu den Geschwistern bekommen.
Vielleicht sagt einer von euch: „Ja, das wäre eine Aufgabe für mich.“ Dazu brauchst du nicht predigen können. Das kannst du sogar machen, wenn du krank bist. Das ist eine Aufgabe. Wenn du meinst, das ist aber teuer, 55 Cent pro Brief, na ja, dann tust du das ein bisschen weniger in den Beutel, oder? Darüber wirst du auch hinwegkommen. Das ist dann sozusagen der kleine Dienstweg, weil du nicht zur Gemeindeleitung gehen musst und sagen: „Brauche ich das Porto wieder?“ Aber einfach nur als Anregung: Sei ein Beter für die Geschwister.
Sei ein Bibelleser. Wenn du anderen helfen willst, musst du deine Bibel kennen. Du brauchst nicht die Psychologen gelesen zu haben, du brauchst keine großen Lehrbücher gelesen zu haben, sondern lies deine Bibel – immer wieder neu. Ich kann nur sagen: Je älter man wird, desto interessanter wird die Bibel.
Ich kann so etwas nicht verstehen. Ein alter Bruder hat mir einmal gesagt: „Je älter man ist, desto weniger braucht man in der Bibel zu lesen, man kennt ja alles.“ Ich habe gedacht: Das darf nicht wahr sein, oder? Ich war nur froh, dass nicht viele junge Geschwister dabei waren, die das gehört hätten.
Sei ein Bibelleser! Wie willst du sonst dem anderen helfen? Du brauchst selbst Wachstum im Glauben.
Vielleicht ist es gut für dich, einmal Rückschau zu halten. Das kann man an Silvester tun, an seinem Geburtstag oder an anderen Jahrestagen, um zu überlegen: An welchem Punkt bin ich im letzten Jahr gewachsen? Oder ist bei mir alles beim Alten geblieben? Habe ich mich im letzten Jahr irgendwo verändert?
Ich finde nichts Schrecklicheres, als wenn jemand sagt: „Du bist immer noch der Alte.“ Schrecklich, oder? Ich finde es eigentlich ein Kompliment, wenn jemand sagt: „Du hast dich total verändert.“ Ich hoffe zum Positiven.
Das heißt: Wachse im Glauben! Zum anderen: Ich muss an der Basis sein, ich muss bei den Geschwistern sein. Ich muss wissen, was sie bewegt. Und das geht nicht einfach nur so „Tach, tach“, sondern ich muss mir Zeit nehmen, um zu überlegen: Was für ein Problem hast du denn? Was macht dir Schwierigkeiten?
An der Basis sein heißt auch, bei den jungen Leuten zu sein. Ich muss sagen, da bin ich schon sehr froh. Durch unsere Teestube des Jadwede bin ich doch verhältnismäßig jung geblieben. Ich finde es interessant, wenn die Jungs von der Gefährdetenhilfe sonntags morgens sagen: „Ebi, bist du auch heute Abend da?“ Ich sage: „Ich bin doch zu alt.“ Nein, du gehörst dazu.
Und wenn sie es besonders gut meinen, dann holen sie mir sogar noch einen Stuhl mit Lehne, damit ich nicht auf dem Hocker sitzen muss. Daran merke ich, dass ich älter werde. Aber ich bin eigentlich froh darüber, dass sie etwas merken und dass sie es gern haben, wenn man dabei ist.
Das ist schon komisch: Wenn ich in Ungarn dabei bin, bin ich der alte Knacker in so einer Truppe. Aber es ist einfach schön, man bleibt jung, wenn man an der Basis dabei ist.
Verbindung zwischen Jung und Alt in der Gemeinde
Auch eine Sache, über die ich mich gefreut habe: Voriges Jahr – nein, es ist schon zwei Jahre her – kamen die Teenies mit der Frage, wie eigentlich die Gemeinde geleitet wird. Sie würden ganz gerne mal die Ältesten der Gemeinde bei uns im Teeniekreis kennenlernen.
Also sind wir an einem Abend zu ihnen gegangen. Sie hatten extra für uns Pizza gebacken. Beim gemeinsamen Essen haben sie uns gefragt, wie es damals gewesen ist, als wir selbst Teenies waren, und wie wir überhaupt dazu gekommen sind, Älteste zu werden.
Das fanden sie sehr interessant, denn einige von ihnen sind in der sogenannten 68er-Generation groß geworden und hatten damals ziemlich quer im Stall gestanden. Umso erstaunlicher war es für sie, dass wir die Kurve tatsächlich gekriegt hatten.
Nachdem der Abend vorbei war, sagten die Teenies: „Jetzt, wo ihr bei uns im Teeniekreis die Ältesten wart, dürfen wir Teenies auch mal zu euch in den Ältestenkreis kommen?“ Wir haben gesagt: Ja, das dürft ihr. Ihr werdet wahrscheinlich Verständnis dafür haben, dass wir nicht gerade dann, wenn ihr kommt, sehr schwierige Fragen besprechen werden. Aber ihr seid herzlich eingeladen.
Tatsächlich waren dann, glaube ich, 14 oder 15 Teenies bei der nächsten Ältestenstunde dabei. Wir haben ihnen gesagt: „Wir haben gesehen, wie das bei euch läuft, und jetzt seht ihr, wie das bei uns läuft.“
Das Erste, was wir machen, ist, dass wir zusammen auf die Knie gehen und für die Gemeinde beten. So haben sie mitbekommen, wie wir für die Gemeinde beten. Viele der jungen Leute wissen ja gar nicht mehr, wie man kniet.
Anschließend haben wir mit ihnen überlegt, welche nächste missionarische Aktion wir starten könnten und ob sie sich vorstellen können, mitzuarbeiten, wenn wir zum Beispiel den Young Mobit Treff einladen.
Das war eine super Sache. Es wurde ihre Sache. Sie haben mitentschieden und die Aktion auch durchgezogen. Ich glaube, das ist gut, denn dadurch bleibt man an der Basis und hält Kontakt zu den jungen Leuten.
Alte und Junge in der Gemeinde gehören zusammen. Das zeigt sich auch daran, dass wir sehr fortschrittlich sind und sogar das rote Liederbuch haben. Das ist schon interessant: Wir singen aus beiden Liederbüchern, ohne Konkurrenz zu haben. Die Alten schlagen Lieder aus dem roten Buch vor, und die Jungen schlagen aus dem blauen Buch vor.
Auch nicht schlecht, oder? Und das funktioniert. Dabei muss man nicht ständig überlegen – man ist einfach an der Basis.
Heiligung und Barmherzigkeit als Grundlage für Seelsorge
Wir brauchen in unserem Leben, wenn wir Seelsorge üben wollen, ein Heiligungsleben. Das heißt, ich muss diszipliniert in der Nachfolge leben. Darüber wird selten gepredigt, oder?
Oft begnügen sich Menschen mit dem, was vorhanden ist. Gleichzeitig wünschen sie sich ein größeres Auto oder, naja, ein intensiveres Heiligungsleben.
Für mich selbst ist Disziplin wichtig. Ich glaube, das beeindruckt auch junge Leute. Sie merken, wenn die Verantwortlichen in der Gemeinde wirklich diszipliniert leben. Diese leben nicht im Überfluss, sondern stellen den Herrn an die erste Stelle.
Wir brauchen Barmherzigkeit – nicht zuerst Barmherzigkeit mit uns selbst, sondern Barmherzigkeit mit anderen. Wenn ich gegenüber mir selbst diszipliniert bin und von mir alles fordere, muss ich mit anderen barmherzig sein.
Ich erlebe, wie barmherzig Gott mit mir ist, und bin dankbar dafür. Ohne die Barmherzigkeit Gottes wäre bei mir Hopfen und Malz verloren.
Gegenüber anderen will ich barmherzig sein. Das heißt nicht, dass ich Sünde dulde, sondern dass ich Sünde nicht verteufle. Vielmehr versuche ich, den anderen zu retten und ihm herauszuhelfen.
Rettersinn und geistliche Leitung
Ich brauche Rettersinn. Ich habe euch heute Morgen schon gefragt: Haben wir noch Rettersinn für die Leute da draußen? Seelsorge hört nicht vor der Gemeindetür auf. Seelsorge bedeutet auch, die Verlorenen in deiner Umgebung zu retten – in deiner Schulklasse, an deinem Arbeitsplatz, deine Nachbarn, der Postbote.
Rettersinn – brennt dir das noch auf dem Herzen? Wisst ihr, mein Leben hat sich total verändert durch die Einsätze mit dem mobilen Treffpunkt. Früher wurde ich auch so erzogen: Gemeinde ist die heile Welt auf dieser Welt, da gehörst du rein, und was draußen passiert, interessiert dich nicht.
Doch mit den Einsätzen in der Stadt, in der City, werde ich nie vergessen, wie ich das erste Mal mit so einem Obdachlosen gesprochen habe. Er hat mich dann in den Arm genommen. Ich dachte, ich stinke noch drei Wochen später danach. Aber das hat mein Leben verändert. Plötzlich sind diese Menschen mir ans Herz gewachsen. Sie tun mir leid. Es ist mir ein Anliegen, dass wir das Evangelium weitersagen.
Ich hätte mir nie vorstellen können, mal in den Knast zu gehen. Vor 35 Jahren hat mich ein alter Bruder mal gefragt: „Eberhard, gehst du mit mir in den Knast?“ Ich habe gesagt: „Lass mich in Ruh, das ist nicht meine Welt.“ Natürlich ist das auch heute nicht meine Welt. Ich bin dort nur als Besucher. Bis jetzt bin ich immer wieder rausgekommen, obwohl sie mich einmal vergessen haben.
Aber Rettersinn, Rettersinn! Die Leute brauchen Jesus, sie gehen ohne ihn verloren. Ich brauche die Leitung des Heiligen Geistes. Manchmal wundert man sich selbst bei Gesprächen, wie Jesus einen durch seinen Geist leitet und auf Dinge aufmerksam macht, auf die man selbst nie gekommen wäre. Ich bin dankbar, dass man in dieser Abhängigkeit von ihm sein kann.
Ich sagte schon: Innerlich bewegt zu sein über die Menschen in unserer Umgebung. Das heißt aber auch, Mut zu haben, die Wahrheit zu sagen. Ich muss dem anderen nicht Honig ums Maul schmieren. Es ist wichtig, dem anderen deutlich zu sagen: Das, was du da tust, was du da denkst, ist Sünde.
Heutzutage spricht kaum noch jemand von Sünde, oder? Nur noch von Flensburg, ja? Verkehrssünder oder Diätsünder – die gibt es auch noch, wenn man ein Stück Sahnetorte zu viel gegessen hat. Aber sonst: Sünde, ein veralteter Begriff. Wir müssen Mut zur Wahrheit haben, auch wenn man heute diffamiert wird, wenn man sagt, Hurerei ist Sünde oder Homosexualität ist Sünde.
Ich könnte das ja hinterher aus der Kassette rausschneiden, falls das veröffentlicht wird. Aber so ist es nun mal, oder? Man darf es heute doch nicht mehr sagen, aber die Bibel sagt es: Geiz ist Sünde, nicht „geil“. Habsucht ist Sünde. Wir müssen die Dinge wieder beim Namen nennen und durchaus auch in einer Gemeinde einem Bruder oder einer Schwester sagen: So, wie du lebst, das ist Sünde.
Es kann durchaus sein, dass derjenige oder diejenige dann die Gemeinde verlässt. Mut zur Wahrheit! Wie sollen wir uns sonst korrigieren, wenn wir nicht nach der Schrift die Wahrheit aufzeigen? Aber wir müssen selbst auch bereit sein, uns die Wahrheit sagen zu lassen.
Wir haben uns zum Beispiel als Verantwortliche in der Gemeinde in unserem Kreis gesagt: Wir wollen uns gegenseitig sagen, wenn wir falsch liegen. Wir wollen bereit sein, aufeinander zu hören und nicht eingeschnappt sein.
Wenn der eine sagt: „Deine Predigt am Sonntag, die war aber nicht das Gelbe vom Ei, war zwar eine Osterpredigt, aber das war es nicht“, dann müssen wir trotzdem wissen, dass der andere es ehrlich meint. Dann war es wahrscheinlich nicht richtig. Ich bin dankbar für solche Brüder, von denen ich weiß, sie wollen mir nicht an die Karre fahren, sondern mir helfen.
Mut zur Wahrheit heißt aber auch, dass wir Zeit füreinander brauchen. Und das ist, glaube ich, heute eines der größten Probleme, oder? Wir haben alle keine Zeit. Dabei haben wir alle 24 Stunden. Wir haben alle die gleiche Uhr. Trotzdem ist es so: Je älter man wird, desto weniger Zeit hat man, oder?
Deswegen nennt man uns Rentner ja auch nicht „Rentner“, sondern „Rentiere“. Aber wir haben keine Zeit mehr, Zeit zu haben. Das heißt: Wo setze ich die Prioritäten? Wofür habe ich Zeit? Zeit für die Geschwister, um zuhören zu können und nicht dem anderen ins Wort zu fallen, damit er meine Meinung hört.
Du hast gesagt, das wäre ein Problem. Und das haben wir auch, glaube ich. Die meisten haben das Problem, dass sie lieber reden als zuhören. Mich wundert, wie sehr der Herr Jesus zugehört hat, obwohl er das Beste zu sagen hatte, was es überhaupt gab. Er ist anderen nie ins Wort gefallen. Er hat nicht gesagt: „Jetzt halt mal deinen Mund.“ Jesus hat zugehört. Das ist schon wichtig.
Aber auch die andere Seite: Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber damit habe ich manchmal ein Problem. Da stehst du im Eingang der Gemeinde, versuchst alle Geschwister zu begrüßen, im Blick zu haben, Kontakt zu halten usw. Dann kommt einer und sagt: „Darf ich mal eben mit dir sprechen?“ Du sagst: „Okay.“
Während er mit dir spricht, schauen deine Augen herum und beobachten die anderen Geschwister. Wen hast du noch vergessen? Auf wen müsstest du gleich noch zugehen? Und er sagt dir etwas. Plötzlich sagt er zu mir: „Hörst du mir eigentlich zu?“ Ich muss sagen, da hat er mich wirklich auf dem falschen Fuß erwischt.
Wie leicht geschieht das! Unsere Kinder kennen das auch, oder? Sie sagen uns etwas, und dann wiederholen sie es. „Mama, hörst du überhaupt zu?“ Es läuft bei uns vorbei wie eine Geräuschkulisse, oder?
Andersherum natürlich auch: Viele Kinder sind muttertaub – und oft in der Gemeinde auch. Je nachdem, welcher Bruder aufsteht, klappen die Ohren schon zu.
Zuhören können ist eine Voraussetzung für Seelsorge – und schweigen können. Doch das ist, glaube ich, das Schwierigste. Gott hat uns zwei Ohren gegeben, aber nur einen Mund. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir lernen, zu schweigen.
Gottes Wort macht uns das in 2. Timotheus 2 deutlich. Paulus sagt zu Timotheus: Sei ein Vorbild der Gläubigen. Das heißt, ich kann nur einem anderen raten, was ich selbst lebe. Ich kann nicht sagen: „Hör auf zu trinken! Prost!“ Ich kann nicht sagen: „Hör auf zu rauchen!“, wenn ich selbst rauche.
Das wissen Eltern auch: Sie können nicht sagen, „du bist noch nicht so alt“. Wenn du möchtest, dass deine Kinder das tun, was du ihnen rätst, musst du es ihnen vorleben.
Sei ein Vorbild der Gläubigen und sei ein Zeugnis für die Ungläubigen. Oder ist dein Leben lauter als das, was du sagst? Es gibt ein chinesisches Sprichwort: „Ich verstehe dich nicht, dein Leben ist lauter als das, was du mir sagst.“
Ich glaube, auch das ist eine Gefahr.
Herausforderungen und Belastungen in der Seelsorge
Ja, Seelsorge zu üben kann frustrierend sein. Man kümmert sich vielleicht jahrelang um jemanden, und es zeigt sich kein Fortschritt. Dann fragt man sich vielleicht: Was bringt das alles? Vielleicht hört man sogar auf, verschwiegen zu sein, und redet in Gegenwart anderer schlecht über diese Person.
Auf der einen Seite kann Seelsorge wirklich sehr frustrierend sein. Wie steht es dabei mit der Verschwiegenheit? Und wo kann ich selbst abladen?
Vor einigen Jahren rief mich ein bekannter Evangelist an und sagte: „Eberhard, ich brauche mal dein Ohr. All das, was ich in der Seelsorge höre, kann ich nicht alles meiner Frau erzählen, und ich muss es einfach loswerden. Bitte häng dein anderes Ohr über einen großen Papierkorb. Du brauchst überhaupt nicht zuzuhören, aber ich muss es dir jetzt einfach mal sagen.“ Dann hat er mir seinen ganzen Frust durchs Telefon erzählt. Ich weiß auch nicht mehr, was genau er gesagt hat – alles ist in dem Papierkorb gelandet.
Wo kann ich selbst abladen? Ich habe meinen Vater mal danach gefragt. Er war im Reisedienst und hat viele Geschwister besucht. Ich sagte zu ihm: „Vater, wie schaffst du das eigentlich, wenn du durch die Gemeinden gehst und die einzelnen Geschwister besuchst? Du hörst doch nur den Schrott. Alle Geschwister beschweren sich, erzählen, wie schrecklich alles ist, und mit wem sie alles Probleme haben. Das muss doch fürchterlich sein, oder?“
Er antwortete: „Junge, wenn du nicht lernst, das alles jeden Tag beim Herrn Jesus abzugeben, machst du dich kaputt. Du musst alles, was du hörst, beim Herrn Jesus abgeben, sonst gehst du selbst daran kaputt.“
Wisst ihr, wenn man durch Gefängnisse geht, hört man so viel Schrott. Ich war zwei Jahre nach Gelsenkirchen in der sogenannten Munkelstraße, dem psychologischen Knast. Dort hat jeder Inhaftierte seinen Psychologen. Ich habe mich oft gefragt, wer da eigentlich wen therapiert. Die Inhaftierten wussten genau, was sie dem Psychologen erzählen mussten, damit dieser sein Erfolgserlebnis für die Woche hatte. Er musste ja immer etwas notieren und zum Schreiben haben. Die Inhaftierten erfanden Geschichten, und der Psychologe freute sich riesig.
Dort saßen in der Regel Jungs, meist Sexualstraftäter. Wenn man da rauskommt, hat man einen Kopf wie einen Mülleimer, oder? Ich bin dankbar, dass der Weg von Gelsenkirchen nach Wuppertal ungefähr eine Stunde dauert, vor allem, wenn man zwischendurch auf dem Autobahnrastplatz anhält.
Ich muss sagen, ich habe dann immer symbolisch neben einem großen Container Platz genommen, mein Auto neben einem großen Müllcontainer geparkt und gesagt: „Herr Jesus, mach jetzt wieder Hausputz. Nimm all den Schrott aus meinem Kopf raus. Herr Jesus, bitte alles da rein, alles da rein, weg.“
Ich kann den Schrott doch nicht mit nach Hause nehmen und meiner Frau erzählen, oder? Entweder gehe ich daran kaputt oder meine Frau. Herr Jesus, übernimm!
Das ist wichtig: Ich muss selbst abladen können bei meinem Jesus, sonst gehe ich kaputt daran. Ich muss wissen, wie ich selbst mit Schwierigkeiten fertig werde. Habe ich jemanden, mit dem ich mich austauschen kann?
Ich bin dankbar, dass ich meine Frau habe. Sie ist eine sehr geduldige Zuhörerin. Wir können gemeinsam beten und die Sache vor den Herrn bringen. In der Regel frage ich nach einem seelsorgerlichen Gespräch die Person: „Hast du etwas dagegen, wenn ich das meiner Frau erzähle, damit wir gemeinsam für dich beten können?“
So haben wir eine lange Gebetsliste, die immer weiter wächst. Aber ich denke, irgendwann, wenn wir im Himmel sind, hört das auf. Dann werden wir nur noch loben und danken.
Selbstfürsorge und geistliches Wachstum der Seelsorger
Ja, und wie bleibe ich selbst bewahrt? Wie wachse ich im Glauben? Das sind sehr wichtige Fragen für jemanden, der Seelsorge übt.
Wie oft ist es so, dass diejenigen, die Verantwortung tragen oder Seelsorge leisten, immer nur geben und geben, bis plötzlich nichts mehr da ist? Dann kommt das Burnout.
Wie kann ich selbst wachsen? Ich bin dankbar für meine Brüder zu Hause. Sie haben mir gesagt: „Eberhard, zu Beginn jedes Jahres möchten wir deinen Terminkalender haben.“ Ich musste ihnen versprechen, dass ich nicht öfter als jedes dritte Wochenende von zu Hause weg bin.
Sie haben mir gesagt: „Sonst kannst du den Ältestendienst nicht mehr ausüben, dann bist du nur noch zu Besuch bei uns. Wenn du weiterhin Ältestendienst bei uns tun willst, darfst du nicht öfter als jedes dritte Wochenende weg sein.“
Wir haben uns darauf geeinigt, dass im Frühjahr und Herbst die Termine etwas gedrängter sind. Dafür bin ich im Sommer, wenn die anderen im Urlaub sind, zu Hause. Ich achte darauf, möglichst viel zu Hause zu sein.
Das heißt aber auch – und sie haben mir gesagt: „Eberhard, wenn du zu Hause bist, musst du nicht predigen. Du brauchst auch eine Zeit, in der du zuhören kannst. Denn sonst kommst du in andere Gemeinden und musst immer nur predigen. Wo hörst du denn mal zu?“
Deshalb bin ich sehr dankbar für meine Brüder, die gesagt haben: „Wir wünschen, dass du zu Hause in der Gemeinde bist. Wir erwarten nicht, dass du dann einen Dienst tust. Wenn du kannst, sind wir dankbar, aber wir wünschen vor allem, dass du da bist.“ Dafür bin ich sehr dankbar.
Auch bin ich dankbar, dass sie für mich beten, wenn ich unterwegs bin, damit ich im Glauben wachse. Ich kann nämlich jemanden nur so weit führen, wie ich selbst bin. Ich kann niemanden weiterführen, als ich selbst im Glauben bin.
Das ist Erziehung, oder? Eltern können ihre Kinder auch nur so weit bringen, wie sie selbst sind. Das gilt auch für Seelsorger. Wenn du mit einem Problem zu kämpfen hast und jemand kommt zu dir und schildert dasselbe Problem, denkst du im Stillen: „Eigentlich müsste ich selbst erst jemanden um Rat fragen.“ Dann kannst du diesem anderen nicht konsequent einen Rat geben, weil du weißt, dass du dich selbst ändern müsstest.
Das heißt: Du kannst einen anderen nur so weit führen, wie du selbst bist. Aber auf der anderen Seite gibt es auch Freude. Gott belohnt alle Mühe. Wir erleben seine Hilfe und das Wirken des Herrn Jesus an anderen Menschen. Und wir selbst wachsen dabei mit.
Ich muss sagen, es ist eine große Freude, wenn man bei Geschwistern merkt, dass sie geistlich wachsen. Ich bin heute dankbar, dass meine Mitältesten in der Gemeinde früher alle bei mir in der Jugendstunde waren. Das war die Generation von 1968.
Wir haben damals hart miteinander gekämpft und standen in der Jugend oft gegeneinander. Einer hat mich gefragt: „Was muss ich noch tun, um bei mir meinen Kopf durchzusetzen?“ Ich sagte: „Renn dir den Kopf an der Wand ein.“
Später kam er zu mir und sagte: „Eberhard, verzeih mir, es war gut, dass du klare Ansagen gemacht hast.“ Heute sind diese Brüder diejenigen, die die Verantwortung in der Gemeinde tragen. Ich bin dankbar, dass der Herr sie geführt hat und dass es sich gelohnt hat, zu kämpfen. Das macht auch mir Mut.
Ich habe euch von Roland erzählt, dem Western-Typ. Er hat geheiratet und drei Kinder. Vor zwei Jahren war ich in einer süddeutschen Stadt. Er macht dort mit seiner Frau und einem anderen Ehepaar eine Gefährdetenhilfenarbeit im Hunsrück.
Vor ein paar Jahren war ich in einer Gemeinde in Süddeutschland. Nach meinem Vortrag kam ein junger Mann auf mich zu und sagte: „Ich wollte mich vorstellen, ich bin dein Enkel.“ Ich fragte: „Wie das?“ Er antwortete: „Roland ist bei dir zum Glauben gekommen, und ich bin bei Roland zum Glauben gekommen. Also bin ich dein Enkel.“
Solche Enkel habe ich gern. Das macht Freude zu sehen, dass der Herr nicht nur an einem wirkt, sondern dass sein Wirken weitergegeben wird. Gibt es etwas Schöneres? Die Freude am Herrn ist unsere Stärke.
Damit möchte ich erst einmal Schluss machen. Wir machen jetzt eine Pause. Ich habe drüben schon leckeren Kaffee und Kuchen gesehen. Ich wünsche euch guten Appetit. Vielleicht kann Thomas noch für die Gaben danken. Danach machen wir weiter.
Du sagst eine Uhrzeit, wann wir uns wieder treffen.