Gott baut Gemeinde - baut euch ein

Konrad Eißler
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Was meinen wir, wenn wir “Gemeinde” sagen? Gemeinde ist ein Haus, das Gott aus besonderem Baumaterial baut. Gott verwendet lebendige Steine, nämlich Menschen.


Liebe Gemeinde, was ist Gemeinde? Was bedeutet Gemeinde? Was meinen wir, wenn wir “Gemeinde” sagen?

Die Antworten sind sehr verschieden. Die Einen sagen: Gemeinde, das ist ein Baum, ein alter Baum. Seine Wurzeln reichen tief in die Geschichte hinunter. Aus dem 2000 alten Stamm sind viele Äste und Zweige hervorgegangen. In seinem Grün haben sich bunte und schräge Vögel eingenistet, die nach verschiedenen Kirchentonarten jubilieren. Zuweilen treibt der Baum tolle Blüten, aber mit seinen Früchten ist es nicht so weit her. Ob ihm auch das allgemeine Baumsterben zu schaffen macht? Noch aber lässt sich in seinem Schatten gut leb­en und vor allem genüsslich ruhen. Gemeinde, das ist ein Baum, sagen die Einen. Und die Andern sagen: Gemeinde, das ist eine Wiese, eine bunte Wiese. Margeriten und Schierlinge, Gänseblüm­chen und Brennnessel, Veilchen und Kletten gedeihen nebeneinan­der. “Lasst beides wachsen”, hat schon Jesus gemahnt. Und der gute Hirte hütet seine Herde drauf. Die schwarzen Schafe hat er nicht ausgemerzt. Die sturen Böcke hat er nicht ausgemustert. Die braven Lämmer hat er nicht bevorzugt. Buntscheckig, artverschieden, lustig gemischt ist seine internationale und interkonfessionelle Herde. Gemeinde, das ist eine Wiese, sagen die Andern. Und die Dritten sagen: Gemeinde, das ist ein Platz, ein großer Platz. So wie der städtische Marktplatz offen ist für jedermann, für Ei­lige und Bummler, für Einkäufer und Spaziergänger, für Straßenmusikanten und Feuerspucker, so ist dieser kirchliche Sammelplatz offen für alle, für Kirchgänger und Naturanbeter, für Engagierte und Randsiedler, für Begeisterte und Kritikaster. Ob einer nur durchläuft oder verweilt oder gar die umgestülpte Mütze vor sich aufstellt, ist sein Problem, denn der blaue Himmel wölbt sich über Gerechte und Ungerechte. Wer traut sich schon, aus diesem Treffpunkt für viele einen Parkplatz für wenige zu machen? Gemeinde, das ist ein Platz.

Aber der Apostel sagt etwas anderes, etwas ganz anderes. Gemeinde, das ist kein Baum und keine Wiese und kein Platz, sondern Gemeinde ist ein Haus. Gott pflanzt keinen Baum, pflegt keine Wiese, pflastert keinen Platz, sondern Gott baut ein Haus. Gemeinde ist Gemeindehaus. Und damit wir nicht sofort ans Landgasthaus oder Rathaus oder Schulhaus denken, fügt er hinzu, dass es ein geistliches Haus sei, also ein Haus aus besonderem Baumaterial. Dieser Bauherr verwendet nämlich keine gebrannten Steine. Der Ziegel ist nicht brauchbar. Er verwendet auch keine gegossenen Steine. Der Beton ist nicht brauchbar. Er verwendet erst recht keine gebrochenen Steine. Der Bims oder Marmor sind unbrauchbar. Gott verwendet lebendige Steine. Der Mensch ist gebraucht. Der Mensch ist gefragt. Der Mensch ist das Baumaterial seines Gemeindehauses. Darüber müss­en wir mehr wissen, wenn wir auch bauen wollen, hier oder drüben, im Schwabenland oder Lettland, in Europa oder Asien.

Gott verwendet lebendige Steine. Der Mensch ist das Baumaterial seines Gemeindehauses.

1. Der lebendige Stein ist ein Fundstein

Ich komme von der Schwäbischen Alb, die ich liebe. Schon vor 35 Jahren nannte ich meinen ersten Sohn Albrecht, das heißt: Genieße die Alb recht. August Lämmle hat nicht übertrieben, wenn er schrieb: “Nirgends in Deutschland ist eine bessere Heimat als auf der Schwäbischen Alb.” Gute Luft, stille Wege, schöne Aussichten, aber auch Stein, immer wieder Steine. Jedes Frühjahr neu wird mein Gärtlein zur Fundgrube von Fundsteinen. Deshalb ist dort oben mehr Stein- als Planzenkunde gefragt. In Sachen Steine bin ich also gut drauf. Der Fundstein ist von Natur aus tot, so wie nur ein Stein tot sein kann. Er ist von Natur aus hart, wie nur ein Stein hart sein kann. Und er ist von Natur aus wertlos, so wie nur ein Stein wertlos sein kann. Findlinge sind übrig, bis zu dem Tag, an dem einer auf dem Platz auftaucht, dem Steine nicht egal sind. Der sucht sich einen heraus und säubert ihn von allem Schmutz. Dann behaut er ihn mit kräftigen Schlägen und gibt ihm eine lebendige Struktur. Schließlich bringt er ihn auf das richtige Maß, das ihm angemessen ist. Der Fundstein ist nicht wiederzuerkennen, so wie der Mensch auch.

Liebe Freunde, Gottes Garten, diese Erde ist eine Fundgrube von Menschen. Deshalb ist dort vor allem Menschenkunde gefragt. In Sachen Mensch ist der Apostel gut drauf. Der Mensch ist von Natur aus tot, so wie nur ein Stein tot sein kann. Er ist von Natur aus hart, so wie nur ein Stein hart sein kann. Und er ist von Natur aus wertlos, so wie nur ein Stein wertlos sein kann. Der Mensch ist übrig, bis zu dem Tag, an dem einer auf der Erde auftaucht, dem Menschen nicht egal sind und sagt: Ich bin gekommen zu suchen und lebendig zu machen. Jesus sucht sich einen heraus und säubert ihn mit seinem eigenen Blut von allem Sündenschmutz, von Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid und übler Nachrede steht im Text. Warum verwechseln wir diesen Sammler immer wieder mit einem Schinder, der uns partout nicht in Ruhe lassen will? Dann behaut Jesus diesen Gefundenen mit kräftigen Schlägen und gibt ihm eine eigene, lebendige, unver­wechselbare Struktur. Warum verwechseln wir solche Krankheits­schläge, Familienkrisen, Berufsnöte immer wieder mit unverständ­lichen Schicksalsschlägen, die der liebe Gott nicht zulassen darf? Johannes Calvin sagt: “Es ist ja deine Hand, die mich schlägt.” Meine Niedergeschlagenheit, es ist ja deine Hand. Meine Betroffeenheit, es ist ja deine Hand. Meine Traurigkeit, es ist ja deine Hand, die mich schlägt. Schließlich bringt Jesus den Menschen, den er gesäubert und behauen hat, auf das Maß, das jedem maßlosen Menschen angemessen ist, nämlich das Maß des Kreuzes, seine unermessliche Barmherzigkeit in seinem Tod. Warum verwechseln wir dieses Holzkreuz immer wieder mit einem Holzstock, der uns schlagen und treiben will? Seine Maßnahmen in unserem Leben sind Maßnehmen am Kreuz, die jeden Menschen so bilden, dass er nicht wiederzuerkennen ist. Der lebendige Stein ist ein Fundstein.

Seine Maßnahmen in unserem Leben sind Maßnehmen am Kreuz, die jeden Menschen so bilden, dass er nicht wiederzuerkennen ist.

2. Der lebendige Stein wird zum Baustein

Manche Albwanderer, die an Sonn- oder Feiertagen vom Land heraufkommen, haben neben dem Rucksack auf dem Buckel einen Hammer in der Hand. Ihr Blick geht weniger hinaus über den Albtrauf als vielmehr hinunter in Steinbrüche und Höllenlöcher. Es sind Sammler, die Freude an einem schönen Gestein haben und zuhause in ihre Steinsammlung legen. Gott ist kein Albwanderer. Gott betätigt sich nicht als Steinsammler. Gott baut kein Lapidarium, sondern ein Gemeindehaus. Und dazu benützt er seine gesäuberten, behauenen und maßgenom­menen lebendigen Steine. Wie bei jedem Hausbau hat jeder Stein seine ganz bestimmte Funktion. Der gehört zur Mauer und schützt den Raum. Wenn der fehlen würde, hätte das Zimmer ein Loch. Der gehört zu den Stufen und bildet die Treppe. Wenn der fehlen würde, könnte niemand in den ersten Stock. Und der gehört zum Giebel und trägt den First. Wenn der fehlen würde, bräche das Dach herunter. Jeder noch so kleine Stein hat eine ganz große Bedeut­ung. Im Verbund mit andern wird er von andern getragen und trägt andere. So besteht das Haus Gottes aus vielen lebendigen, Bau­steinen. Jeder hat seine Funktion. Der gehört zur Jungschar und spielt die Klampfe. Wenn der fehlen würde, gäbe es einen miesen Gesang. Und der gehört zu den Missionsfreunden und gibt monat­lich den Zehnten. Wenn der fehlen würde, hätte die Spendenliste einen Aktivposten weniger. Der gehört zu den Betern und faltet die Hände. Wenn der fehlen würde, wäre der so wichtige Gebets­rücken viel kleiner. Jeder noch so kleine Mensch hat seine ganz große Bedeutung.

Vielleicht fühlen Sie sich gegenwärtig unter Wert verkauft. Vielleicht bedrückt Sie Ihre bescheidene Rolle im Geschäft. Vielleicht bedrängt Sie Ihr nutzloses Dasein im Heim. Vielleicht leiden Sie daran, dass Sie mit 25 oder 30 total übrig sind. Hören Sie, bei Gott sind Sie nie übrig. Bei Gott sind Sie nie nutzlos. Bei Gott sind Sie nie unter Wert verkauft. Er will Sie als lebendigen Baustein in sein Haus einfügen. Ohne Sie hat der Missionsbund ein Loch. Dabei werden Sie merken, dass Sie von andern getragen werden, die allesamt vom Grund- und Eck­stein Jesus Christus getragen sind. Und dabei werden Sie spüren, dass Sie andere tragen können und fähig werden, andere, auch Ge­meinden und Missionen, mitzutragen. Der lebendige Stein wird zum Baustein.

3. Der lebendige Stein bleibt ein Schmuckstein …

… auch wenn er jetzt zum Ensemble vieler Bausteine gehört. Erlauben Sie mir ein letztes Mal die Schwäbische Alb zu erwähnen. Sie hat ja nicht nur Felsen, Geröllhalden und Steinbrüche zu bieten, sondern auch Dörfer und Städtchen und Klöster, zum Beispiel Zwiefalten. Wenn Sie bei Ihrem nächsten Sonntagsausflug zum Bodensee nicht über die Autobahn, sondern über die Alb fahren, dann steigen Sie doch einmal dort aus und besichtigen das Benediktinerkloster. Dann schauen Sie sich einmal die Steine der ehrwürdigen Kirche aus dem 18. Jahrhundert genau an. Immer wieder werden Sie Steinmetzzeichen entdecken, mit denen einst der Meister sein Werk unverwechselbar gemacht hat. Der so gezeichnete Baustein ist damit nicht zum Baumaterial verkommen, sondern ein Schmuckstein geblieben.

Liebe Freunde, im Ensemble von Gottes Gemeindehaus verlieren wir nicht an Profil. Keiner wird zur fortlaufenden Nummer, zum gleichförmigen Brocken, zum völlig unbeachteten Bau­material, so wie es schon einmal in der Antike gewesen ist. Ganze Sklavenheere wurden verschlissen, als vor den Toren Kairos die Pharaonengräber als Pyramiden hochgezogen wurden. Der Apostel unterstreicht den unverlierbaren Wert des Einzelnen. So wichtig ist jeder, dass der Meister höchstpersönlich seine Leute mit dem Steinmetzzeichen unverwechselbar gemacht hat. Es sieht aus wie eine Krone. Petrus weiß um seine Bedeutung. Auserwählt seid ihr, das auserwählte Geschlecht. Königlich seid ihr, eine königliche Priesterschaft. Heilig seid ihr, das heilige Volk sein Eigentum. Auch im Laufe eines langen Lebens verwittert diese Krone nicht. Da mögen wir von Sorgen gezeichnet sein, die uns ins Gesicht geschrieben sind. Die Krone zeichnet stärker. Da mögen wir von Krankheiten gezeichnet sein, die uns ganz tief beugen. Die Krone zeichnet stärker. Da mögen wir vom Alter gezeichnet sein, das uns jede Lebenskraft gebrochen hat. Die Krone zeichnet stärker. Das Steinmetzzeichen Gottes bleibt unübersehbar: auserwählt, königlich, heilig. Das ist unser Schmuck. Das ist unsere Krone. Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.

Liebe Gemeinde: “Flaute auf dem Baumarkt”, hieß es gestern in der Zeitung. In der Bibel liest sich’s anders: Konjunktur auf Gottes Bau. Gott baut, deshalb baut euch ein. Amen.

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]