Einleitung: Die Herausforderung des Themas „Alternativlos Jesus“
So Blasmusik, die einem das Herz schmelzen lässt, gibt es ja selten. Aber das war's.
Das Thema heute, das ihr hier formuliert habt, ist eine ziemlich steile Behauptung, finde ich: Alternativlos Jesus – mehr als Jesus gibt es nicht. Ich behaupte einfach mal, dass dieses Thema und diese Behauptung in unserer Gesellschaft nicht mehrheitsfähig sind. Das ist kein großes Wunder. Das größere Problem ist, dass wahrscheinlich dieses Thema auch in unseren Kirchen nicht mehrheitsfähig ist. Und da liegt unser Problem.
Ich möchte dieses Thema anhand eines kompakten Wortes aus dem Römerbrief behandeln, Kapitel 8, Verse 31 und 32: "Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?"
Der Satz "der seinen eigenen Sohn verschont hat" klingt etwas nach der Abrahamsgeschichte. Bibelleser haben das im Ohr: Gott fordert von Abraham das Unaussprechliche, das Unerhörte, seinen Sohn Isaak, den verheißenden einzigen Sohn, zu opfern (1. Mose 22). Und dann heißt es in der Bibel: Nach dem langen Weg, als Gott ihm sozusagen selbst in den Arm fällt, sagt er: "Weil du solches getan hast und hast deinen einzigen Sohn nicht verschont, will ich dein Geschlecht segnen, und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast."
Gott hat dieses Opfer nicht vollziehen lassen, aber weil Abraham bereit war, nichts zu verschonen, wirst du gesegnet werden und ein Segen für alle Geschlechter, alle Völker auf Erden sein.
Die moderne Kritik am christlichen Glauben und auch an der Religion insgesamt hat sich festgebissen an dieser Geschichte. Es wird gesagt, das sei eine Zumutung. Ein solcher blinder Gehorsam, ein solch grausamer Gott, der angeblich von dem, der an ihn glaubt, erwartet, dass er das Liebste opfert, und als vorbildlich hinzustellen, dass der das dann auch bereit ist zu tun – das ist doch absolut unakzeptabel.
Und in unserem Wort, im Römerbrief Kapitel 8, klingt das an: Jetzt soll diese Geschichte auch noch ein Modell sein, ein Modell für die Liebe Gottes. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben.
Da konzentriert sich heute alles. Ich weiß nicht, ob das bei Ihnen eine Rolle spielt, ob Sie sich je diese Nöte innerlich bewegt haben, ob das in Ihren Gemeinschaften ein Thema ist, wenn Sie darüber sprechen. Aber jedenfalls, wenn Sie die Ohren und die Augen aufmachen in unserer Zeit und mitbekommen, was sonst so innerhalb der Kirchen, aber auch außerhalb, geredet wird, dann ist das der kritische Punkt: Was ist das für ein grausamer Gott? Hat Gott das nötig, dass sein eigener Sohn so blutig geopfert wird am Kreuz, um uns die Sünden vergeben zu können? Wenn Gott der Gnädige und Barmherzige ist, dann muss er uns doch so vergeben können. Wo liegt das Problem?
Wenn man das so sieht, ist das ja der Kern des Evangeliums. Paulus hat gesagt: "Ich wollte nichts anderes wissen als Jesus und den als den Gekreuzigten." Das ist also der Kern, der gekreuzigte Jesus.
Und wenn das der Kern ist, dann muss man doch ehrlich sagen, es gibt jede Menge Alternativen. Es gibt viele Alternativen auf dem Weltanschauungs- und Lebenshilfemarkt, und viele Zeitgenossen sagen: Gott, Glaube an Gott, gut, aber Jesus und das Kreuz und dieses Blutige und die Stellvertretung und das Sühneopfer – das bleibt mir bitte vom Hals, das brauchen wir nicht.
So beobachtet man erstaunt und erschrocken, dass zunehmend Religion auch über Glaube an Gott gepredigt wird, in der Jesus überhaupt nicht vorkommt. Das geht alles ohne Jesus.
Ich finde, wir sollten uns das, wenn wir hier solche fetten, steilen Thesen als Thema wählen, vergegenwärtigen: In welcher Welt leben wir? Auch in welcher Welt leben wir in unserer Kirche heute?
Weil dieses Thema so gewagt ist, darf ich sagen: Sie werden sich hoffentlich selber eine Antwort geben, ob Sie zu diesem Thema mit Überzeugung mitsprechen können und ob sich das entsprechend auch in Ihrem Leben spiegelt – Alternativlos Jesus, mehr als Jesus gibt es nicht.
Sie vermuten richtig, dass das Thema nicht angenommen hätte, wenn ich nicht dazu stehen würde. Es ist ja hier formuliert worden, aber ich durfte mich dazu verhalten. Ich hätte ja auch Nein sagen können.
Deshalb möchte ich gerne begründen, warum dieser Satz stimmt: Alternativlos Jesus – mehr als Jesus gibt es nicht.
Die erste Begründung heißt: Weil nur Jesus Stellvertretung für uns leisten kann. Nur er kann das. Das muss ich erklären.
Im Kapitel 3 im Römerbrief hat Paulus gesagt, was unser Problem ist. Wir haben viele Bedürfnisse. Leute suchen nach Sinn und nach Gemeinschaft und irgendwie, wie sie das Leben gelingen lassen. Wenn Gott dazu und Religion und Jesus dabei eine Hilfe ist, dann ist er natürlich willkommen – der Kunde ist König. Spirituelle Dinge sind heute sehr angesagt.
Paulus aber sagt: Ihr täuscht euch. Das Problem liegt nicht darin, ob der Mensch Sinn in seinem Leben hat oder ob er glücklicher ist. Es gibt natürlich viele Probleme, aber das ist nicht das Hauptproblem.
Das Hauptproblem ist, wir sind – so heißt es da – massiv alle Sünder und haben Mangel an Anerkennung bei Gott.
Nun spielt das für die meisten Leute überhaupt keine Rolle. Die juckt das gar nicht, was Gott über sie denkt. Sie wissen gar nicht, ob es ihn gibt und so. Aber Paulus sagt: Das ist das Grundproblem des Lebens. Wir haben Mangel an Anerkennung, Mangel an Herrlichkeit, an Ehre bei Gott.
Herrlichkeit Gottes ist ein ganz komplexer Begriff (Römer 3). Wir haben Mangel an Anerkennung bei Gott. Das ist ganz egal, was die Menschen umtreibt und was sie persönlich denken, welche Bedürfnisse sie haben und was sie gerade juckt oder nicht juckt. Das ist unser tatsächliches Problem.
Gott hat uns geschaffen. Er ist der Schöpfer. Da beißt keine Maus den Faden ab. Ob wir das glauben oder nicht, spielt keine Rolle. Er ist der Schöpfer, er hat das erste Wort gesprochen, er wird das letzte Wort sprechen.
Entscheidend ist, was er über uns denkt und ob er Ja sagt zu uns, ob wir Anerkennung bei ihm haben, Ehre bei Gott, Herrlichkeit Gottes.
Und weil wir getrennt sind von ihm, erklärt er dann – lesen Sie Römer 1 –, da begründet er das ausführlich: Er sagt, das ist unser Lebensproblem, wir sind von der Quelle des Lebens, von Gott, abgeschnitten.
Und dann sagt er, weil es unser Problem ist, hat Gott in Jesus uns eine Lösung geschenkt. Er hat geschenkweise, ohne Verdienst, dass wir zurechtkommen, sagt er, werden wir gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.
Da redet er von der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist, und er sagt dann, er hat diesen Jesus als Sühne in seinem Blut hingestellt und beweist damit seine Gerechtigkeit.
Da schafft er, dass wir zurechtkommen.
Diese kompakte Aussage, wo das Grundproblem liegt und wo die Lösung ist, dass wir mit Gott versöhnt werden, nimmt Paulus dann in Römer 8 noch einmal auf und sagt: Er hat seinen eigenen Sohn hingegeben für uns alle, für uns alle.
Wenn das das Zentrum des Evangeliums ist, was sagen wir dann zu der massiven Kritik, die heute daran geübt wird?
Ich möchte Ihnen zwei Gesichtspunkte nahebringen, von denen ich meine, dass sie wichtig sind, um zu verstehen, warum dieses Zentrum so wichtig ist.
Zuerst die Frage: Hat Gott das nötig, dass ein solches blutiges Opfer geschieht, damit er uns unsere Sünden vergeben kann?
Die Antwort darauf heißt: Da passiert kein Handel zwischen dem Vater und dem Sohn. Es ist nicht so, dass Gott befriedigt werden muss, damit er nun gnädig gestimmt ist.
Die Kernaussage der ganzen Bibel ist – Jesus sagt es: "Ich und der Vater sind eins." (Johannes 10), wo er von sich als dem guten Hirten spricht, der sein Leben für die Schafe gibt.
Ich und der Vater sind eins.
Das ist die Kernaussage in allen Aussagen von Jesus über sich selbst in den Evangelien.
Ich bitte Sie, lesen Sie das einmal gründlich im Zusammenhang. Er redet von sich immer als dem Menschensohn.
Und ich werde nicht müde zu sagen, dass Christen oft denken, das sei irgendwie so eine altmodische, umständliche Formulierung für Mensch.
Nein! Jeder Jude verstand das.
"Menschensohn" war ein klarer Ausdruck, der aus dem Propheten Daniel stammt, Kapitel 7, Verse 13 und 14, wo in der Vision vom Weltgericht Daniel sieht, wie Gott ihm die Augen öffnet.
Da heißt es: "Ich sah einen kommen wie eines Menschensohns mit den Wolken des Himmels, und dem übergibt Gott die Weltherrschaft ewig und damit das Weltgericht."
Jeder Jude verstand das.
"Menschensohn" muss man übersetzen mit Weltherr und Weltrichter.
"Menschensohn" ist kein Ausdruck für Menschlichkeit oder Niedrigkeit im Gegensatz zur Hoheitsaussage "Gottes Sohn". "Menschensohn" ist die höchste Aussage, die von Jesus gesagt wird.
Sie bedeutet, er ist der Weltherr und Weltrichter, und diesen Ausdruck gebraucht ausdrücklich Jesus selbst, wenn er von sich redet – 79 Mal in den vier Evangelien.
Die Situation ist erschütternd, weil viele Christen das überhaupt nicht wissen.
Das ist der Ausdruck, mit dem Jesus beschreibt, wer er ist.
Aber wenn wir nicht verstehen, was er sagt, wissen wir gar nicht, wer er ist.
Das war die ganze Provokation, deshalb regten sich die Leute auf, bis hin zu seinem Gericht.
Lesen Sie mal Matthäus 26: Er hat Gott gelästert, er hält sich für den Weltrichter, er sagt von sich, der Menschensohn wird sitzen zur Rechten der Kraft.
Und das Kernwort von Jesus in Markus 10, Vers 45 heißt: Der Menschensohn – achten Sie darauf! – Sie verstehen die Pointe des Satzes gar nicht, wenn Sie nicht wissen, dass der Weltrichter, der Menschensohn, nicht gekommen ist, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für die Vielen.
Das heißt, er sagt: Das ist die Pointe der Richter selbst.
Der Weltherr selbst wird Mensch in Jesus und geht an die Stelle der Verurteilten. Er gibt sein Leben als Lösegeld.
Im Gegensatz zu dem Unsinn, der pausenlos wiederholt wird und deshalb nicht richtiger wird, ist das nicht eine Erfindung von Paulus, der sich seinen Reim machen will, was das mit dem Kreuz bedeutet.
Sondern Jesus selbst hat das von sich gesagt, dass es seine Aufgabe ist, als der Weltrichter sein Leben hinzugeben zum Lösegeld.
Immer, wenn er sein Leiden angekündigt hat – dreimal in den Evangelien –, sagt er: Der Menschensohn wird übergeben in die Hände der Menschen, der Verantwortliche wird getötet werden und wird auferstehen.
Jesus selbst sagt das.
Es ist also am Kreuz kein Handel zwischen dem Vater und dem Sohn, dass der Sohn durch sein Opfer den Vater zufriedenstellt.
Nein, es heißt: Der Vater und Sohn sind eins.
Wer das nicht begreift, begreift nichts vom Geheimnis des Kreuzes.
Gott selbst, Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst.
So fasst Paulus dann 2. Korinther 5, Vers 19 das ganze Erlösungs- und Versöhnungsgeschehen zusammen: "Gott war in Christus."
Die Einheit des Vaters und des Sohnes ist nicht das Gegeneinander, nicht der Handel, die Einheit ist das Geheimnis des Kreuzes.
Das ist der erste Gesichtspunkt.
Wenn man den nicht versteht, wenn man die Selbstaussage in der ganzen Heiligen Schrift, diese Selbstaussage von Jesus nicht ernst nimmt, dann hat man nichts begriffen von der Wahrheit des Evangeliums.
Dann gibt es noch einen zweiten Gesichtspunkt, den ich Ihnen nahebringen will.
Kein Mensch kann dem anderen das Leben und Sterben abnehmen, selbst wenn er das aus Liebe wollte.
Wir können nicht in das Leben eines anderen Menschen hinein, obwohl die Liebe das manchmal möchte.
Eine Mutter und ein Vater möchten gerne dem sterbenden Kind, das in ihren Armen stirbt, diese tödliche Krankheit abnehmen.
Gerne wären Mutter und Vater bereit, diese Krankheit selbst zu erleiden und diesen Tod zu sterben, wenn sie damit bewirken könnten, dass dieses Kind, ihr geliebtes Kind, lebt.
Ja, wir möchten das.
Wir reden deshalb ja auch davon, dass wir uns mit jemandem identifizieren, das heißt eigentlich, derselbe werden.
Aber wir können es nicht.
Wir können versuchen, uns hineinzudenken, hineinzufühlen, so dicht wie möglich dran zu sein, aber wir können nicht derselbe werden.
Jeder lebt sein eigenes Leben und stirbt seinen eigenen Tod.
Das ist hart und brutal, und unsere Liebe ist da an der Grenze und ohnmächtig und kann diese Grenze nicht überschreiten.
Nur der Schöpfer selbst ist nicht hineingepresst und gefangen in der Todeszelle der Vergänglichkeit von Raum und Zeit.
Nur er kann sich im wörtlichen Sinne identifizieren.
Das geschieht, als er in Jesus Mensch wird – er zieht sich unser Leben an.
Hören Sie noch einmal, wie das Neue Testament beschreibt, was Versöhnung ist.
Das ist erschütternd dicht.
"Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu."
Wie geschieht das?
Dann heißt es in 2. Korinther 5,21, einem Satz, den Sie buchstabieren sollten, der so entsetzlich ist, dass man ihn kaum wagt auszusprechen:
"Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht."
Das heißt, Jesus wurde zur Sünde in Person.
Er wurde zur Lüge, zum Ehebruch, zum Mord, zur Raffgier, zur arroganten Selbstgerechtigkeit.
Und dann wird er so behandelt, wie Sünde behandelt wird: Sie wird vernichtet, er stirbt am Kreuz.
Gott hat den, der von keiner Sünde etwas wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch ihn Gerechtigkeit Gottes werden.
Totaler Tausch: Er wird unsere Sünde, und wir dürfen durch ihn Gerechtigkeit Gottes werden.
Das ist das tiefe Geheimnis, und Paulus bezeugt dieses Wunder, wenn er im Galaterbrief Kapitel 2 sagt: "Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich jetzt lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich gegeben hat, das lebe ich jetzt auf dieser Erde."
Das ist diese totale, totale Einheit.
Verstanden?
Mehr als Jesus gibt es nicht.
Die Reformatoren haben das in ihrem Bekenntnis der Reformation zusammengefasst: Allein Christus, allein Christus – das war der Grund.
Also das ist das Erste: Es ist, weil nur Jesus die Stellvertretung für uns leisten kann.
Es gibt noch eine zweite Begründung dafür, warum diese steile Behauptung "Mehr als Jesus gibt es nicht" stimmt: Weil der Begnadigung viele Geschenke folgen.
Das muss ich erklären: Weil der Begnadigung viele Geschenke folgen.
Paulus sagt: "Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?"
Gnade ist zuerst Begnadigung.
Begnadigung ist dieser Akt, dass ein rechtskräftig Verurteilter, der keine Möglichkeit mehr hat, sein Recht einzuklagen und freizukommen, trotzdem freigelassen wird.
Das ist geschenkt: Begnadigung.
So beginnt Römerbrief Kapitel 8 im ersten Satz: "So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind."
Das ist Begnadigung.
Vergebung der Sünden ist der Freispruch, das Geschenk des Freispruchs: Du bist nicht mehr verdammt, wie es eigentlich mit Recht geschehen müsste, wegen Jesus, weil du in Christus bist, der für dich gestorben ist.
Also die Begnadigung ist das Erste, das Größte und Wichtigste, und das ist die Grundlage unseres Lebens: der gekreuzigte Christus.
Aber jetzt überlegen wir, was passiert, wenn ein Strafentlassener freigelassen wird.
Der steht jetzt vor der Tür des Gefängnisses und darf in Freiheit gehen, ein neues Leben beginnen.
Dass er nicht mehr hinter Gittern sitzt, ist schon toll, aber das reicht nicht zum Leben.
Jetzt muss er ja ein neues Leben leben in Freiheit.
Und jeder von uns kennt diese Tatsache, die so schrecklich ist, dass die große Zahl der Strafentlassenen wieder rückfällig wird, obwohl sie sich alle wahnsinnig freuen, dass sie jetzt raus sind aus dem Knast.
Aber sie sind schneller wieder drin, als sie rausgekommen sind, weil sie in die alten Verhältnisse kommen.
Sie haben nicht die Kraft, das neue Leben zu gestalten.
Sie haben keine Sinnperspektive.
Sie haben die alten Freunde, die alten Beziehungen, die alten Gewohnheiten.
Und schneller sind sie wieder drin, als sie rausgekommen sind.
Also braucht es für die Freiheit nicht nur die Begnadigung.
Es braucht neue Perspektiven, neue Hoffnung, neue Kraft.
Und genau das beschreibt Paulus hier im achten Kapitel des Römerbriefes und auch darüber hinaus.
Er sagt, Jesus – hier sagt er – schenkt nicht nur die Begnadigung.
Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Jesus ist ein großes Geschenkpaket.
Und das Erste, was wir wahrnehmen und erfahren, ist die Begnadigung durch die Vergebung der Sünden.
Im Gericht Gottes sind wir frei.
Wir sind Kinder, wir sind nicht mehr Feinde Gottes.
Dann dürfen wir das Paket öffnen, und dann staunen wir, wie viel da drin ist, dass er uns mit dem gekreuzigten Jesus alles schenkt.
Ja, was ist alles?
Das Erste, was dazugehört, ist: Er schenkt sich selbst.
Denn der eine Gott – der Vater, der Sohn, der Heilige Geist – will in uns wohnen.
Das heißt, der Heilige Geist, Gott selbst, will in uns wohnen.
Wer den Geist Gottes treibt, der ist Gottes Kind, heißt es im gleichen Kapitel, Römer 8.
Und er sagt, dieser Geist Gottes wird zum Motor in uns.
Er wird zum Licht.
Er zeigt uns Jesus.
Er zeigt uns unsere Sünde.
Er gibt uns die Gewissheit.
Der Geist Gottes gibt uns eine Zeugenaussage, dass wir Gottes Kinder sind.
Er lenkt unseren Blick auf Jesus und sagt: Er ist für dich gestorben, du darfst das annehmen.
Begreifst du das?
Er schenkt die Gewissheit.
Mehr noch, er treibt uns innerlich an.
Er sagt, er ist nicht ein Geist der Sklaverei, sondern der Kindschaft, so dass wir beten möchten und können: "Lieber Vater, aber Papa." Das ist der Heilige Geist.
Und dann entfaltet Paulus das ja in seinen Briefen.
Der Heilige Geist kommt, und da Gott Liebe ist, ist die Frucht des Geistes Liebe.
Das ist in uns die treibende Kraft zum Leben.
Und im 1. Korintherbrief Kapitel 12 entfaltet er, dass er uns auch die Fülle von Begabungen, Charismen gibt.
Das hängt mit Gnade zusammen.
Charis ist die Gnade.
Charismen sind die Geschenke, die Gnadengaben, die verschiedenen Begabungen, die er uns gibt, über die natürlichen Begabungen hinaus, damit wir einander dienen können in den Gemeinden, aber auch in dieser Welt.
Das heißt, Gott selbst stattet uns aus mit seinen Gaben.
Der Heilige Geist, seine Frucht, seine Gaben sind da.
Also erstens die Begnadigung, zweitens der Heilige Geist mit seiner Frucht und seinen Gaben.
Und dann heißt es da in Kapitel 8 noch, dass wir Miterben der Herrlichkeit sind.
Das ist eine Wirkung des Heiligen Geistes.
Wir sind nicht nur Kinder, sondern Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.
Das heißt zudem, was er uns noch alles zusätzlich schenkt, gehört auch die ganze Zukunft der Herrlichkeit Gottes.
Der neue Himmel und die neue Erde – darüber müssen wir heute Nachmittag noch einmal spezieller sprechen.
Aber das gehört zudem.
Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Er schenkt uns eine Zukunft, die Auferstehung und die neue Welt, in der Gottes Gerechtigkeit wohnt und keine Tränen mehr sind – die zukünftige Herrlichkeit.
Und dann gehört dazu die Gemeinschaft des Leibes des Jesus Christus.
Das gehört auch zu den Geschenken.
Der bekannte Satz "Gott hat keine Einzelkinder" ist ja vertraut.
Wenn wir durch Jesus mit Gott versöhnt werden, werden wir von neuem geboren, wachen auf in der Familie Gottes.
Wir haben jetzt Verwandte, Gottes Familie.
Noch stärker ist das andere Bild: Wir werden Körperteile am Leib des Jesus Christus.
Das heißt, es ist nicht möglich, wie das die Leute heute in der modernen Religiosität sehr gerne sagen: Gott ja, Kirche nein.
Es gibt keine Zugehörigkeit zum lebendigen Gott durch Jesus ohne Zugehörigkeit zu einer organischen Gemeinschaft mit all denen, die diesem Jesus ihr Leben verdanken.
Es gibt keine Zugehörigkeit zu Christus ohne Zugehörigkeit zum Leib des Jesus Christus.
Irgendwelche Religiosität kann man für sich irgendwo ganz privat leben.
Das ist total egoistisch, und davon ist die Welt heute voll.
Viel von dem, was wir Christentum nennen, ist vollkommen zu dieser privaten Religiosität verkommen, die aber überhaupt nichts für das Leben bedeutet.
Es ist einfach ein Luxus.
Aber die Zugehörigkeit, versöhnt sein mit Gott durch Jesus, heißt immer auch versöhnt sein mit denen, die die Vergebung angenommen haben.
Und er sagt, das ist Gnade, das ist ein Geschenk.
Das heißt, ich bin nicht allein.
Ich bin auf andere angewiesen, und die anderen ergänzen mich.
Ich muss nicht alles können.
Ich muss nicht alles tun.
Ich muss mich nicht dauernd überfordern.
Ich muss mich auch nicht dauernd vergleichen und ich muss auch nicht dauernd neidisch sein, weil ich nicht kann, was andere können.
Sondern ich darf ich sein mit meiner begrenzten Besonderheit.
Ich darf meine Aufgabe erfüllen mit meinen Gaben und Begrenzungen im Leib des Jesus Christus und mich freuen an den vielen, vielen anderen, die da mitwirken, die mir das Leben stärken und mit denen zusammen ich im Leib des Jesus Christus einen Dienst in dieser Welt tun kann.
Was für ein riesiges Geschenk!
Sagen Sie mal, dieses Wort "Gemeinschaft" – die trägt.
Ich wünsche Ihnen sehr, dass das wahr ist.
Das ist die eigentliche Kernberufung.
Denn das war so nach der Reformation, als die Wahrheit des gekreuzigten Christus und der Gnade entdeckt wurde, der Begnadigung.
War das auch in den Zeiten danach ein Defizit, ein Defizit!
Man war in der Kirche gemeinsam, das war eine Institution, aber es fehlte diese gelebte Gemeinschaft, diese Familie Gottes.
Das war das Besondere des alten Pietismus mit Spener, Frank und Zinzendorf und dann der Erweckungsbewegung.
Sie sagten: Es gibt kein Christentum ohne Gemeinschaft, sagte Zinzendorf.
Das ist die Wahrheit.
Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Also die Begnadigung, der Heilige Geist, seine Frucht und seine Gaben, die zukünftige Herrlichkeit, die Gemeinschaft des Leibes des Jesus Christus sind vier.
Und als Fünftes, damit die fünf Finger der Hand auch voll sind: das tägliche Brot.
Natürlich, die tägliche Versorgung ist ein Geschenk der Gnade Gottes.
Und das ist in dem Paket von Jesus drin.
Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Das ist doch ein riesiges Geschenk, dass wir das auch haben dürfen: das Frühstück und das Mittagessen, die guten Gespräche und dass wir Arbeit haben, wenn wir sie haben.
Und alles, was wir zum Leben brauchen, ist Gnade Gottes.
Und dieser ganze Reichtum, sagt Paulus, ist gebunden an Jesus.
Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont.
Wie sollte er uns mit ihm, in ihm nicht alles schenken?
In diesem großen Geschenkpaket sind all diese Gaben drin.
Es geht also nicht um Jesus und was kann ich denn noch jetzt zusätzlich, reicht mir das?
Vergebung der Sünden, schön und gut, aber ich möchte auch noch die Erfahrung des Heiligen Geistes haben, ich möchte noch dies und noch jenes.
Es ist immer diese Jesus-plus-Theologie: Es reicht nicht, Jesus genügt nicht.
Aber wir müssen jetzt nein sagen.
Der Heilige Geist redet immer von Jesus.
Johannes 14,16: Er wird euch erinnern an das, was ich gesagt habe.
Er hat kein eigenes Programm.
Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist sind eins.
Die Sache der Dreieinigkeit Gottes ist keine weltferne, Kopfschmerzen erzeugende Theorie, sondern das Geheimnis, aus dem wir leben.
In Jesus sind all die Geschenke drin: von der Begnadigung über die Gnadengaben, die Frucht des Geistes, die Gemeinschaft, die zukünftige Herrlichkeit, die tägliche Versorgung – alles ist darin.
Mehr als Jesus gibt es nicht.
Unser ganzes Leben besteht ausschließlich darin, dass wir dieses Geschenk auspacken, dass wir tiefer graben in dieser Kiste, dass wir sagen: Ich kenne dich ja noch gar nicht, kenne ich dich eigentlich?
Deshalb sagt Paulus in Philipper 3, Vers 10: "Ich möchte ihn – der alte Paulus, gegen Ende seines Lebens, nicht der frisch Bekehrte – ich möchte ihn erkennen: Jesus, die Kraft seiner Auferstehung, die Teilhabe an seinen Leiden."
Das hört nicht auf.
Das hört nicht auf, ihn zu erkennen.
Mehr als Jesus gibt es nicht.
Aber seinen Reichtum in Anspruch zu nehmen, zu erkennen und dankbar davon zu leben – das ist das Große unseres Lebens.
Die Reformatoren – so viel ich wiederhole mich – haben dieses Bekenntnis zusammengefasst: Allein Christus, durch Gnade allein.
Und weil durch Gnade allein, weil alles geschenkt ist, entspricht dem, dass ich es empfange.
Ich kann es nicht erarbeiten, ich kann es nicht kaufen, ich kann es nicht machen, ich kann es nur empfangen.
Das heißt: durch Glauben allein.
Das ist dieses geballte Bekenntnis der Reformation: durch Christus allein, durch Gnade allein, durch Glauben allein.
Aber jetzt muss ich als Letztes doch noch sagen: Woher wissen wir das alles so genau?
Dadurch, dass ich das hier lauthals verkündige und mit Betonung vortrage, ist es ja noch nicht wahr.
Treten wir einen Schritt zurück!
Ich meine, hier in diesem Saal und beim Christustreff des Christusbundes erwartet ihr ja nicht anders, was man sagt.
Aber draußen in Stuttgart auf der Straße und schon zuhause bei euch im Büro, da wo werdet ihr das Gleiche erzählen können, und die Leute werden mit dem Kopf nicken?
Ich fürchte, ich weiß nicht, wo er lebt.
Ich sagte: Diese Thesen, die wir heute vertreten, sind nicht mehrheitsfähig in unserer Gesellschaft.
Das ist nicht überraschend.
Aber sie sind auch nicht mehrheitsfähig in unseren Kirchen.
Das ist unser Problem heute.
Und ich weiß nicht, wie glücklich ihr seid in eurer Gemeinschaft.
Es sollte auch euer Problem sein.
Dann glaubt nur ja nicht, dass ihr in eurer Gemeinschaft, in eurem persönlichen Christsein isoliert leben könntet von dem, was ringsherum passiert.
Es wird euch alle berühren, euch und eure Kinder.
Deshalb sollten wir schon wissen, in welcher Welt wir leben.
Und sollten wir nicht gedankenlos und nur gefühlsbetont unseren Glauben leben, sondern wissen:
Zeiten wie die unseren, in denen diese Kernaussagen des Evangeliums nicht mehr selbstverständlich bejaht und geschluckt werden, sind wunderbare Zeiten.
Weil sie uns nicht erlauben, gedankenlos im Trott der Tradition weiterzugehen – "Das war schon immer so" –, sondern weil man begründet leben muss.
Man wissen muss, worauf ich mich verlasse und warum das so ist und warum ich dazu stehe, dass Jesus alternativlos ist und dass es nicht mehr als Jesus gibt.
Deshalb frage ich als Letztes noch hier: Woher wissen wir so genau, dass Jesus diese überragende Bedeutung hat?
Und da sage ich drittens: Weil die Bibel Gottes Wort ist.
Die Bibel versteht sich selbst als die Urkunde der Offenbarung Gottes in Jesus.
Und Sie wissen, das wird heute massiv in Frage gestellt, auch und gerade in den Kirchen.
Und weil das in Frage gestellt wird, leidet der Glaube, leiden die Gemeinden und leidet die Verkündigung des Evangeliums heute an Schwindel.
Denn wir können es uns ja nicht selber sagen.
Wir können es uns nicht selbst aus den Fingern saugen, dass Jesus der Retter ist und dass er stellvertretend gehandelt hat und dass das alles wahr ist.
Das können wir uns nicht zusammenreimen.
Denn die Reime, die wir uns machen, passen alle nicht, auch wenn sie sich in unserem Bewusstsein schön reimen sollen.
Wieso aber ist die Bibel Gottes gültiges Wort?
Wir beobachten, wenn wir die Bibel lesen, dass Gott Menschen als seine Zeugen gebraucht.
66 Bücher des Alten und Neuen Testaments sind von Menschen geschrieben.
Gott gebraucht Menschen als seine Zeugen, und er gebraucht sie auf sehr unterschiedliche Weise.
Geschichtsschreiber, da sind Evangelisten.
Der Evangelist Lukas sagt, dass er als Redakteur gearbeitet hat, der anderes, was andere schon gesagt und geschrieben haben, gesammelt und geordnet hat – also wie typischerweise Redakteure arbeiten.
Gott braucht Briefschreiber, er braucht Liederdichter, er braucht Beter, er braucht Propheten.
Er hat ganz unterschiedliche Weisen, wie sein Wort zustande kommt.
Und wir haben überhaupt nicht das Recht, Gott vorzuschreiben, wie er sein gültiges Wort uns sagt.
Manche meinen ja, sie müssten sich da so eine Theorie machen, und nur wenn das so funktionierte, wie sie sich das vorstellen, dann wäre das Gotteswort.
Das ist natürlich völlig Quatsch.
Gott macht es, wie er es macht!
Die Forscher haben sich schon das Gefühl ausgerenkt vor Verzweiflung, um herauszufinden, wie er es macht.
Das meiste können wir nicht aufklären.
Ich habe Theologie studiert und weiß nicht, was ich alles für Quellen und Theorien studieren musste, wie die Evangelien zusammengesetzt wurden oder die ersten fünf Bücher Mose und welche Schichten es gibt.
Ich habe immer nur Fragezeichen in Büchern gemacht: Woher weiß er das? Woher weiß er das? Woher weiß er das?
Eine Vermutung nach der anderen.
Es könnte, es sollte aus diesem und jenem Grund so sein.
Alles nur Vermutungen.
Nichts Genaues weiß man.
Über den Entstehungsprozess lässt sich das meiste definitiv nicht aufklären.
Wenn jemand verkündet, die Wissenschaft habe festgestellt, dass Schokolade Schnaps enthält, warten Sie die nächste Publikation ab, in der das Gegenteil behauptet wird.
Wenn man alt genug wird, sieht man, wie die theologischen, die historischen Theorien an einem vorbeiwandern, wechselnd wie die Damenmoden – und die kommen ja auch alle paar Jahre wieder.
So ist das.
Ja, das ist unglaublich.
Gott gebraucht diese menschlichen Zeugen als die Dokumentatoren, die Urkunde seiner Offenbarung.
Und das Endergebnis zählt!
Das Endergebnis zählt!
Das ist erstaunlich.
Man mag sich darüber ärgern.
Die Muslime haben eine ganz andere Theorie, wie das mit ihrem Koran zustande gekommen ist.
Da wird alles menschlicher ausgeklammert, weil der Erzengel Gabriel hat Mohammed gepresst, und dann hat er das alles so reingekriegt.
Da war überhaupt nichts Menschliches beteiligt.
In der Bibel ist das ganz anders.
So macht Gott es.
Wir haben es nicht zu kritisieren.
Aber das Endergebnis ist Gottes gültiges, ewig gültiges Wort.
Maßstab für Glauben und Leben.
Die Voraussetzung ist, dass dieses Zeugnis, dass diese Schrift Offenbarungsurkunde Gottes ist.
Achten Sie mal darauf, wie der Sprachgebrauch ist.
Die Leute sagen heute: Das ist ein Glaubenszeugnis.
Das hört sich schon so pietistisch an, dass jeder in die Knie sinkt.
Ein Glaubenszeugnis ist, da hat irgendjemand Erfahrung gemacht und sagt jetzt seine Meinung, wie das zu deuten ist.
Das ist zwar nett und erbaulich, aber das hat für mich keinerlei verbindliche Bedeutung.
Dass die biblischen Schriften Glaubenszeugnisse, religiöse Zeugnisse sind, unterscheidet sich eben nicht von der Bhagavad Gita und vom Koran und wer weiß was anderem.
Dass es die Offenbarung Gottes ist, dass die Autoren der Bibel natürlich wie wir von der Gnade, Vergebung der Sünden leben und gerettet werden, aber sie gehören, anders als wir alle, auf die Seite der Offenbarung und sind unüberholbar die Apostel und Apostelschüler des Neuen Testaments, die Zeugen des Alten Testaments.
So ist die Bibel Maßstab für Glauben und Leben des persönlichen Christen.
Ich möchte Ihnen das mal persönlich deutlich machen.
Ich bin Pfarrer und wurde ordiniert als Pfarrer.
Alle Pfarrer, alle 22 Pfarrer der evangelischen Kirche in Deutschland haben ein Ordinationsgelübde abgelegt.
Ich habe es mir extra aufgeschrieben, weil ich es nicht auswendig kann, aber den Inhalt.
So hieß es da, so wurde mir im Gottesdienst gesagt:
"Dabei sollst du ernstlich beachten, dass es dem evangelischen Prediger nicht zusteht, eine andere Lehre zu verkündigen und auszubreiten als die, welche gegründet ist in Gottes lauterem und klarem Wort, wie es verfasst ist in der Heiligen Schrift, Alten und Neuen Testaments, unserer alleinigen Glaubensnorm, wie es bezeugt ist in den drei altkirchlichen Glaubensbekenntnissen sowie in den reformatorischen Bekenntnisschriften unserer Kirche."
So habe ich versprochen, wie alle anderen evangelischen Pfarrer in Deutschland, dass das und nur das Maßstab ist: die Bibel als das lauter gültige Wort Gottes, als Maßstab, alleiniger Maßstab für Glauben und Leben.
Nun könnte man sich darauf berufen und sagen: Haltet das doch bitte ein!
Nun kann man aber zweifeln, ob das in evangelischen Kirchen tatsächlich noch gilt.
Es gab anlässlich des Reformationsjubiläums, das 2017 gefeiert wurde, vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Grundlagentext mit dem Titel "Rechtfertigung und Freiheit – 500 Jahre Reformation".
Darin lesen wir – ich lese Ihnen das wörtlich vor und erkläre Ihnen nachher, warum ich Sie auch damit heute belästige:
"Seit dem 17. Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch erforscht.
Deshalb können sie nicht mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als Wort Gottes verstanden werden."
Das ist nicht eine Unterschiebung, ich beschimpfe hier niemanden.
Das ist vom Rat der EKD formuliert worden aus Anlass der Reformation.
Deshalb können sie nicht mehr so wie zur Zeit der Reformation als Gottes Wort verstanden werden.
Die Reformatoren waren grundsätzlich davon ausgegangen, Zitat:
'Die biblischen Texte sind wirklich von Gott selbst gegeben.'
Angesichts unterschiedlicher Versionen eines Textabschnittes oder der Entdeckung verschiedener Textschichten lässt sich diese Vorstellung so nicht mehr halten.
Damit aber ergibt sich die Frage, ob, wie und warum Sola Scriptura, also allein die Schrift, auch heute gelten kann."
So, und jetzt bin ich gespannt.
Das frage ich seit einigen Monaten, seitdem das erschienen ist, öffentlich:
Wann wird das öffentlich diskutiert?
Und wie wird diese Frage beantwortet, ob die Heilige Schrift allein Maß und Schaf für Glauben und Leben in Kirchen und persönlichem Leben ist?
Denn man versucht heute, so zu tun, als ob diese Frage nicht wichtig sei.
Da hören Sie zum Beispiel Folgendes:
"Ja, wir haben unterschiedliche Sichten.
Wir sehen das nicht mehr wie früher.
Aber wichtig sei, wie Luther es gesagt habe: 'Alles, was Christum treibet.'"
Das hört sich wieder so fromm an, dass man schon wieder in die Knie geht und sagt: Ja, das wollen wir.
Alternativlos Jesus.
Ja, das alles stimmt in der Bibel.
Aber was Christum treibet?
Ich will Ihnen mal sagen: Das ist Unsinn.
Das ist nämlich Unsinn.
Welchen Jesus Christus meinen Sie denn, wenn das nicht gültige Offenbarung Gottes ist?
Dann sucht sich nämlich jeder den Jesus raus, der ihm passt.
Dann wird erklärt, dass zum Beispiel das Schlüsselwort, das ich vorhin genannt habe, der Menschensohn, der gekommen ist, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen, ein Leben als Lösegeld für die Vielen zu geben, dann plötzlich gar nicht mehr das Wort von Jesus ist, sondern das hat die Gemeinde ihm angedichtet.
Und wenn Sie die Literatur der letzten zweihundert Jahre über Jesus lesen, hat sich jeder seinen eigenen Jesus gebastelt.
So kannst du das auch machen.
Es gibt dann keine verbindlichen Aussagen, wer Jesus ist.
Das heißt, wenn allein die Schrift nicht mehr gilt als Urkunde der Offenbarung, dann gilt auch nicht mehr allein Christus.
Und wenn allein Christus nicht mehr gilt, gilt nicht mehr allein die Gnade, weil das ja gar nicht sicher ist, dass das passiert ist.
Und auch nicht mehr allein der Glaube.
Das Ganze bricht zusammen.
Nun will ich Ihnen noch einen Hinweis geben:
Die moderne Wissenschaft arbeitet nach dem Grundsatz "als ob es Gott nicht gäbe" (et ideus non dareto).
Das ist auch völlig okay so.
Denn Gott ist nicht Gegenstand unter dem Mikroskop.
Er ist nicht etwas, was wir erforschen.
Das ist ganz gut.
Aber wenn die Theologie, also die Lehre von Gott, nach diesem Prinzip wissenschaftlich sein will, das heißt, dass sie immer sagt: Wir wissen ja gar nicht, ob Gott wirklich geredet und gehandelt hat, aber wir sehen das Glaubenszeugnis der Leute im Alten und Neuen Testament, das können wir untersuchen, dann ist das Ganze nur noch Soziologie, Psychologie und Religionswissenschaft.
Eine Theologie, die nicht von der Offenbarung Gottes ausgehen kann, schafft sich selber ab.
Das ist eigentlich völlig klar.
Das weiß jeder.
Jetzt muss ich Ihnen sagen, warum ich Sie zum Schluss mit so wenig erbaulichen Dingen hier belästige auf einer solchen wunderbaren Konferenz.
Das will ich Ihnen auch sagen:
Zu den Grundaussagen der Bibel gehört, dass die Botschaft des Evangeliums beurteilt wird von der Gemeinde des Jesus Christus, dem Priestertum aller Gläubigen.
Das ist nicht die Sache irgendeiner Kaste von Professoren und Pfarrern, von Klerikern, die sich anmaßen, uns zu Schulmeistern zu bevormunden.
Sondern alle, die Jesus nachfolgen, müssen mündige und urteilsfähige Christen sein, weil sie die Heilige Schrift studiert haben und von dort aus Wissen ein Urteil bilden.
Wir brauchen das.
Und wenn die Gemeinschaften nicht zu Clubs denkfauler und selbstgenügsamer Frömmler verkommen wollen, dann werden sie aufstehen und sich darum kümmern.
Sonst werden sie übermorgen in ihren eigenen Gemeinschaften genau dieses Problem haben.
Die Leiter der Gemeinschaftsverbände und die Leiter der Gemeinschaften haben in unserer Zeit für unsere Kirche eine gewaltige Verantwortung.
Vor einiger Zeit hieß es: Es sei Zeit zum Aufstehen.
Ich frage heute: Wann stehen wir endlich auf?
Herr, erbarme dich.
Danke dir, dass du alles in allem bist.
Dass du an unsere Stelle gegangen bist, das getan hast, das keiner tun konnte.
Uns versöhnt mit Gott.
Uns beschenkst mit dem Reichtum deiner Gnade in Gegenwart und Zukunft.
Uns dein heiliges Wort gibst, damit wir nicht in der Verwirrung unserer Zeit verlorengehen.
Erbarme dich über dein Volk.
Kritik an der Opfergeschichte und die Bedeutung für das Evangelium
Die moderne Kritik am christlichen Glauben und an der Religion insgesamt hat sich festgebissen an dieser Geschichte. Es wird gesagt, dass dies eine Zumutung sei. Ein solcher blinder Gehorsam, ein so grausamer Gott, der angeblich von dem, der an ihn glaubt, erwartet, dass er das Liebste opfert – und es dann auch noch als vorbildlich darstellt, dass dieser bereit ist, dies zu tun – das ist doch absolut unakzeptabel.
Im Römerbrief Kapitel 8 klingt das an. Diese Geschichte soll auch noch ein Modell sein, ein Modell für die Liebe Gottes. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben.
Heute konzentriert sich alles darauf. Ich weiß nicht, ob das bei Ihnen eine Rolle spielt, ob Sie sich je innerlich mit diesen Nöten beschäftigt haben oder ob das in Ihren Gemeinschaften ein Thema ist, wenn Sie darüber sprechen. Aber jedenfalls, wenn Sie die Ohren und Augen öffnen in unserer Zeit und mitbekommen, was sonst so innerhalb der Kirchen, aber auch außerhalb, geredet wird, dann ist das der kritische Punkt: Was ist das für ein grausamer Gott?
Hat Gott das nötig, dass sein eigener Sohn so blutig am Kreuz geopfert wird, um uns die Sünden vergeben zu können? Wenn Gott der Gnädige und Barmherzige ist, dann muss er uns doch auch so vergeben können. Oder wo liegt das Problem?
Der Kern des Evangeliums und die Herausforderung der Alternativlosigkeit Jesu
Wo liegt das Problem? Wenn man es so betrachtet, ist das ja der Kern des Evangeliums. Mir wurde vorhin gesagt, Paulus habe gesagt: „Ich wollte nichts anderes wissen als Jesus, und zwar Jesus als den Gekreuzigten.“ Das ist also der Kern – der gekreuzigte Jesus.
Wenn das der Kern ist, muss man ehrlich sagen, dass es viele Alternativen gibt. Es gibt zahlreiche Alternativen auf dem Weltanschauungs- und Lebenshilfemarkt. Viele Zeitgenossen sagen: „Gott, Glaube an Gott – gut, aber Jesus und das Kreuz, dieses Blutige, die Stellvertretung und das Sühneopfer, das bleibt mir bitte vom Hals. Das brauchen wir nicht.“
So beobachtet man erstaunt und erschrocken, dass zunehmend Religion auch über den Glauben an Gott gepredigt wird, ohne dass Jesus überhaupt vorkommt. Das funktioniert alles ohne Jesus.
Ich finde, wir sollten uns das vor Augen halten, wenn wir hier solche markanten, steilen Thesen als Thema wählen. Wir müssen uns bewusst machen, in welcher Welt wir leben – auch in welcher Welt wir heute in unserer Kirche leben.
Persönliche Herausforderung und Bekenntnis zur Alternativlosigkeit Jesu
Da dieses Thema so gewagt ist, darf ich Sie fragen: Sie werden sich hoffentlich selbst eine Antwort geben, ob Sie zu diesem Thema mit Überzeugung sprechen können und ob sich das auch in Ihrem Leben widerspiegelt.
Alternativlos – Jesus, mehr als Jesus gibt es nicht. Sie vermuten richtig, dass ich mich diesem Thema nur gestellt habe, weil ich dazu stehe. Es wurde hier formuliert, aber ich durfte mich dazu äußern. Ich hätte auch Nein sagen können.
Deshalb möchte ich gerne begründen, warum der Satz „Alternativlos – Jesus, mehr als Jesus gibt es nicht“ stimmt.
Begründung 1: Nur Jesus kann Stellvertretung leisten
Die erste Begründung lautet, dass nur Jesus Stellvertretung für uns leisten kann. Nur er ist dazu in der Lage. Das muss erklärt werden.
Im Kapitel 3 im Römerbrief hat Paulus beschrieben, was unser eigentliches Problem ist. Wir haben viele Bedürfnisse. Menschen suchen nach Sinn, nach Gemeinschaft und danach, wie sie ihr Leben gelingen lassen können. Wenn Gott, Religion und Jesus dabei eine Hilfe sind, dann sind sie natürlich willkommen. Der Kunde ist König, und spirituelle Dinge sind heute sehr angesagt.
Paulus aber sagt: Ihr täuscht euch. Das Problem liegt nicht darin, ob der Mensch Sinn in seinem Leben findet oder ob er mehr oder weniger glücklich ist. Es gibt natürlich viele Probleme, aber das ist nicht das Hauptproblem. Das Hauptproblem ist, dass wir – so heißt es dort – massiv alle Sünder sind und einen Mangel an Anerkennung bei Gott haben.
Für die meisten Menschen spielt das überhaupt keine Rolle. Es juckt sie nicht, was Gott über sie denkt. Sie wissen oft nicht einmal, ob es Gott überhaupt gibt. Paulus sagt jedoch, dass dies das Grundproblem des Lebens ist: Wir haben Mangel an Anerkennung, an Herrlichkeit und an Ehre bei Gott. Die Herrlichkeit Gottes ist ein komplexes Thema, das Paulus in Römer 3 behandelt. Kurz gesagt: Wir haben Mangel an Anerkennung bei Gott.
Das ist völlig unabhängig davon, was die Menschen umtreibt, was sie persönlich denken oder welche Bedürfnisse sie gerade haben. Das ist unser tatsächliches Problem. Gott hat uns geschaffen. Er ist der Schöpfer. Daran ändert auch nichts, ob wir das glauben oder nicht. Er hat das erste Wort gesprochen und wird das letzte Wort sprechen. Entscheidend ist, was er über uns denkt und ob er Ja zu uns sagt, ob wir Anerkennung, Ehre und Herrlichkeit bei ihm haben.
Weil wir von ihm getrennt sind, erklärt Paulus in Römer 1 ausführlich, dass dies unser Lebensproblem ist: Wir sind von der Quelle des Lebens, von Gott, abgeschnitten.
Da unser Problem die Trennung von Gott ist, hat Gott in Jesus eine Lösung geschenkt. Er hat uns diese Lösung geschenkt, ohne dass wir etwas verdienen. Paulus sagt, wir werden gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschieht. Er spricht von der Erlösung, die durch Jesus Christus geschehen ist.
Paulus sagt weiter, dass Gott Jesus als Sühne durch sein Blut hingestellt hat. Damit beweist er seine Gerechtigkeit. So schafft er es, dass wir mit Gott zurechtkommen.
Diese kompakte Aussage – wo das Grundproblem liegt und wo die Lösung ist, damit wir mit Gott versöhnt werden – greift Paulus in Römer 8 noch einmal auf. Dort sagt er, dass Gott seinen eigenen Sohn für uns alle hingegeben hat. Für uns alle.
Die Kritik am Kreuz und die Einheit von Vater und Sohn
Wenn das das Zentrum des Evangeliums ist, was sagen wir dann zu der massiven Kritik, die heute daran geübt wird? Ich möchte Ihnen zwei Gesichtspunkte nahebringen, von denen ich meine, dass sie wichtig sind, um zu verstehen, warum dieses Zentrum so bedeutend ist.
Zuerst stellt sich die Frage, ob Gott es nötig hat, dass ein solches blutiges Opfer geschieht, damit er uns unsere Sünden vergeben kann. Die Antwort darauf lautet: Es findet kein Handel zwischen dem Vater und dem Sohn statt. Es gibt keinen Gott, der befriedigt werden muss, damit er nun gnädig gestimmt ist. Die Kernaussage der ganzen Bibel ist: Jesus sagt es selbst, „Ich und der Vater sind eins“. Das sagt er in Johannes 10, wo er sich als den guten Hirten beschreibt, der sein Leben für die Schafe gibt: „Ich und der Vater sind eins“.
Diese Kernaussage zieht sich durch alle Aussagen von Jesus über sich selbst in den Evangelien. Ich bitte Sie, das einmal gründlich im Zusammenhang zu lesen. Jesus redet von sich immer als dem Menschensohn. Ich werde nicht müde zu sagen, dass viele Christen denken, das sei eine altmodische, umständliche Formulierung für „Mensch“. Nein, jeder Jude verstand das. „Menschensohn“ war ein klarer Ausdruck, der aus dem Propheten Daniel, Kapitel 7, Verse 13 und 14 stammt. Dort, in der Vision vom Weltgericht, sieht Daniel einen kommen „wie eines Menschensohns mit den Wolken des Himmels“. Gott übergibt ihm die Weltherrschaft auf ewig und damit das Weltgericht.
Jeder Jude verstand das. „Menschensohn“ muss man mit „Weltherr“ und „Weltrichter“ übersetzen. Es ist kein Ausdruck für einen einfachen Menschen oder eine niedere Stellung im Gegensatz zur Hoheitsaussage „Gottes Sohn“. „Menschensohn“ ist die höchste Aussage, die von Jesus gesagt wird. Sie bedeutet, dass er der Weltherr und Weltrichter ist. Diesen Ausdruck gebraucht Jesus ausdrücklich selbst, wenn er von sich redet – 79 Mal in den vier Evangelien.
Die Situation ist erschütternd, weil viele Christen das überhaupt nicht wissen. Das ist der Ausdruck, mit dem Jesus beschreibt, wer er ist. Wenn wir nicht verstehen, was er sagt, wissen wir gar nicht, wer er ist. Das war die ganze Provokation, weshalb sich die Leute aufregen, bis hin zu seinem Gericht. Lesen Sie einmal Matthäus 26: Jesus hat Gott gelästert, weil er sich für den Weltrichter hält. Er sagt von sich, der Menschensohn werde sitzen zur Rechten der Kraft.
Das Kernwort von Jesus in Markus 10, Vers 45 lautet: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für die Vielen.“ Achten Sie darauf: Sie verstehen die Pointe des Satzes gar nicht, wenn Sie nicht wissen, dass der Weltrichter, der Menschensohn, nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld zu geben.
Das heißt, Jesus sagt: Das ist die Pointe der Richter selbst. Der Weltherr selbst wird Mensch in Jesus und geht an die Stelle der Verurteilten. Er gibt sein Leben als Lösegeld. Im Gegensatz zu dem Unsinn, der pausenlos wiederholt wird und deshalb nicht richtiger wird, ist das keine Erfindung von Paulus, der sich seinen Reim machen will, was das Kreuz bedeutet. Jesus selbst hat gesagt, dass es seine Aufgabe ist, als der Weltrichter sein Leben als Lösegeld hinzugeben.
Immer wenn er sein Leiden ankündigt – dreimal in den Evangelien –, sagt er: Der Menschensohn wird übergeben in die Hände der Menschen, der Verantwortliche wird getötet werden und wird auferstehen. Jesus selbst sagt das. Es ist also am Kreuz kein Handel zwischen dem Vater und dem Sohn, bei dem der Sohn durch sein Opfer den Vater zufriedenstellt. Nein, es heißt: Der Vater und der Sohn sind eins.
Wer das nicht begreift, begreift nichts vom Geheimnis des Kreuzes. Gott selbst, Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst. So fasst Paulus in 2. Korinther 5,19 das ganze Erlösungs- und Versöhnungsgeschehen zusammen: „Gott war in Christus“.
Die Einheit des Vaters und des Sohnes ist kein Gegeneinander, kein Handel. Diese Einheit ist das Geheimnis des Kreuzes. Das ist der erste Gesichtspunkt. Wenn man ihn nicht versteht und nicht ernst nimmt – diese Selbstaussage in der ganzen Heiligen Schrift, diese Selbstaussage von Jesus –, dann hat man nichts begriffen von der Wahrheit des Evangeliums.
Begründung 2: Die Einzigartigkeit der Stellvertretung Jesu
Dann gibt es noch einen zweiten Gesichtspunkt, den ich Ihnen nahebringen möchte. Kein Mensch kann einem anderen das Leben und Sterben abnehmen, selbst wenn er es aus Liebe wollte. Wir können nicht in das Leben eines anderen Menschen eingreifen, selbst wenn die Liebe das manchmal möchte.
Eine Mutter und ein Vater möchten gerne dem sterbenden Kind, das in ihren Armen liegt, diese tödliche Krankheit abnehmen. Gerne wären sie bereit, diese Krankheit selbst zu erleiden und diesen Tod zu sterben, wenn sie damit bewirken könnten, dass dieses Kind, ihr geliebtes Kind, lebt. Ja, wir möchten das. Deshalb sprechen wir auch davon, dass wir uns mit jemandem identifizieren – das heißt eigentlich, derselbe werden.
Aber wir können es nicht. Wir können versuchen, uns hineinzudenken und hineinzufühlen, so dicht wie möglich dran zu sein, aber wir können nicht derselbe werden. Jeder lebt sein eigenes Leben und stirbt seinen eigenen Tod. Das ist hart und brutal. Unsere Liebe stößt da an eine Grenze, ist ohnmächtig und kann diese Grenze nicht überschreiten.
Nur der Schöpfer selbst ist nicht gefangen in der Todeszelle der Vergänglichkeit von Raum und Zeit. Nur er kann sich im wörtlichen Sinne identifizieren. Das geschieht, als er in Jesus Mensch wird – er zieht sich unser Leben an.
Hören Sie noch einmal, wie das Neue Testament beschreibt, was Versöhnung ist. Das ist erschütternd dicht: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und rechnete ihnen ihre Sünde nicht zu.
Wie geschieht das? In 2. Korinther 5,21 heißt es: Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht. Das ist ein Satz, den man buchstabieren sollte, weil er so entsetzlich ist, dass man ihn kaum wagt auszusprechen.
Jesus wurde zur Sünde in Person. Er wurde zur Lüge, zum Ehebruch, zum Mord, zur Raffgier, zur arroganten Selbstgerechtigkeit. Und dann wird er so behandelt, wie Sünde behandelt wird: Sie wird vernichtet, er stirbt am Kreuz.
Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch ihn Gerechtigkeit Gottes werden. Ein totaler Tausch: Er wird unsere Sünde, und wir dürfen durch ihn Gerechtigkeit Gottes werden.
Das ist das tiefe Geheimnis. Paulus bezeugt dieses Wunder, wenn er im Galaterbrief 2 sagt: Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Was ich jetzt lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich gegeben hat, das lebe ich jetzt auf dieser Erde.
Das ist diese totale Einheit. Verstehen Sie: Mehr als Jesus gibt es nicht. Die Reformatoren haben das in ihrem Bekenntnis der Reformation zusammengefasst: Allein Christus, allein Christus – das war der Grund.
Begründung 3: Die Fülle der Geschenke, die auf die Begnadigung folgen
Also, das ist das Erste: Nur Jesus kann die Stellvertretung für uns leisten. Es gibt noch eine zweite Begründung dafür, warum die steile Behauptung „Mehr als Jesus gibt es nicht“ stimmt. Denn der Begnadigung folgen viele Geschenke. Das muss ich erklären.
Paulus sagt, dass Gott seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Gnade ist zuerst Begnadigung. Begnadigung ist der Akt, bei dem ein rechtskräftig Verurteilter, der keine Möglichkeit mehr hat, sein Recht einzuklagen und freizukommen, trotzdem freigelassen wird. Das ist ein Geschenk.
So beginnt der Römerbrief in Kapitel 8 im ersten Satz: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Das ist Begnadigung. Die Vergebung der Sünden ist der Freispruch, das Geschenk des Freispruchs. Du bist nicht mehr verdammt, wie es eigentlich mit Recht geschehen müsste, wegen Jesus, weil du in Christus bist, der für dich gestorben ist.
Also ist die Begnadigung das Erste, das Größte und das Wichtigste. Sie ist die Grundlage unseres Lebens – der gekreuzigte Christus.
Aber jetzt überlegen wir, was passiert, wenn ein Strafentlassener freigelassen wird. Er steht vor der Tür des Gefängnisses und darf in Freiheit gehen, ein neues Leben beginnen. Dass er nicht mehr hinter Gittern sitzt, ist schon toll, aber das reicht nicht zum Leben.
Jetzt muss er ein neues Leben in Freiheit leben. Jeder von uns kennt diese Tatsache: Die große Zahl der Strafentlassenen wird wieder rückfällig, obwohl sie sich alle wahnsinnig freuen, dass sie jetzt raus sind aus dem Gefängnis. Doch sie sind schneller wieder drin, als sie rausgekommen sind, weil sie in die alten Verhältnisse zurückkehren.
Sie haben nicht die Kraft, das neue Leben zu gestalten. Sie haben keine Sinnperspektive, sondern die alten Freunde, die alten Beziehungen und die alten Gewohnheiten. Und schneller sind sie wieder drin, als sie rausgekommen sind.
Also braucht es für die Freiheit nicht nur die Begnadigung. Es braucht neue Perspektiven, neue Hoffnung und neue Kraft. Genau das beschreibt Paulus hier im achten Kapitel des Römerbriefes und auch darüber hinaus.
Er sagt: Jesus schenkt nicht nur die Begnadigung. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Jesus ist ein großes Geschenkpaket, und das Erste, was wir wahrnehmen und erfahren, ist die Begnadigung durch die Vergebung der Sünden.
Im Gericht Gottes sind wir frei, wir sind Kinder, wir sind nicht mehr Feinde Gottes. Dann dürfen wir das Paket öffnen und staunen, wie viel darin ist, dass er uns mit dem gekreuzigten Jesus alles schenkt.
Die Vielfalt der Gaben und die Gemeinschaft der Gläubigen
Ja, was gehört alles dazu?
Das Erste ist, dass Gott sich selbst schenkt. Der eine Gott – Vater, Sohn und Heiliger Geist – will in uns wohnen. Das heißt, der Heilige Geist, Gott selbst, will in uns wohnen. Im gleichen Kapitel heißt es in Römer 8: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“
Dieser Geist Gottes wird zum Motor in uns, er wird zum Licht. Er zeigt uns Jesus und unsere Sünde. Er gibt uns die Gewissheit, dass wir Gottes Kinder sind. Der Geist Gottes gibt uns eine Zeugenaussage darüber. Er lenkt unseren Blick auf Jesus und sagt: Er ist für dich gestorben, du darfst das annehmen. Verstehst du das? Er schenkt uns diese Gewissheit.
Mehr noch, er treibt uns innerlich an. Er ist nicht ein Geist der Sklaverei, sondern der Kindschaft, sodass wir beten möchten und können: „Lieber Vater“, oder auch „Papa“. Das ist der Heilige Geist.
Paulus entfaltet das in seinen Briefen weiter. Der Heilige Geist kommt, und da Gott Liebe ist, ist die Frucht des Geistes Liebe. Diese Liebe ist in uns die treibende Kraft zum Leben.
Im ersten Korintherbrief Kapitel 12 erklärt Paulus, dass der Heilige Geist uns auch die Fülle von Begabungen, den sogenannten Charismen, schenkt. Das hängt mit Gnade zusammen, denn „Charis“ bedeutet Gnade, und „Charismen“ sind die Geschenke, die Gnadengaben, die verschiedenen Begabungen, die er uns gibt – über die natürlichen Begabungen hinaus. So können wir einander dienen, sowohl in den Gemeinden als auch in der Welt. Das heißt, Gott selbst stattet uns mit seinen Gaben aus. Der Heilige Geist, seine Frucht und seine Gaben sind da.
Also erstens: die Begnadigung. Zweitens: der Heilige Geist mit seiner Frucht und seinen Gaben.
Dann heißt es in Römer 8 auch, dass wir Miterben der Herrlichkeit sind. Das ist eine Wirkung des Heiligen Geistes. Wir sind nicht nur Kinder Gottes, sondern auch Erben und Miterben Christi – wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm zur Herrlichkeit erhoben werden.
Das bedeutet, dass zu dem, was er uns schenkt, auch die ganze Zukunft der Herrlichkeit Gottes gehört. Der neue Himmel und die neue Erde – darüber müssen wir heute Nachmittag noch einmal speziell sprechen. Aber es gehört definitiv dazu.
Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Er schenkt uns eine Zukunft – die Auferstehung und die neue Welt, in der Gott in Gerechtigkeit wohnt und in der es keine Tränen mehr gibt. Das ist die zukünftige Herrlichkeit.
Dann gehört dazu auch die Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi. Das gehört ebenfalls zu den Geschenken. Der bekannte Satz „Gott hat keine Einzelkinder“ ist vielen vertraut. Wenn wir durch Jesus mit Gott versöhnt werden, werden wir von neuem geboren und erwachen in der Familie Gottes. Wir haben jetzt Verwandte, Gottes Familie.
Noch stärker ist das Bild, dass wir Körperteile am Leib Jesu Christi werden. Das heißt, es ist nicht möglich, wie es heute in der modernen Religiosität oft gesagt wird: „Gott ja, Kirche nein.“ Es gibt keine Zugehörigkeit zum lebendigen Gott durch Jesus ohne eine organische Gemeinschaft mit all denen, die Jesus ihr Leben verdanken.
Es gibt keine Zugehörigkeit zu Christus ohne Zugehörigkeit zum Leib Jesu Christi. Irgendwelche private Religiosität, die man für sich allein lebt, ist egoistisch. Davon ist die Welt heute voll. Viel von dem, was wir Christentum nennen, ist genau das: private Religiosität, die aber überhaupt nichts für das Leben bedeutet. Sie ist einfach ein Luxus.
Die Zugehörigkeit, versöhnt zu sein mit Gott durch Jesus, heißt immer auch, versöhnt zu sein mit denen, die die Vergebung angenommen haben. Und Paulus sagt, das ist Gnade, ein Geschenk.
Das heißt, ich bin nicht allein. Ich bin auf andere angewiesen, und die anderen ergänzen mich. Ich muss nicht alles können oder tun. Ich muss mich nicht dauernd überfordern, mich nicht ständig vergleichen und auch nicht neidisch sein, weil ich nicht kann, was andere können.
Ich darf ich selbst sein, mit meiner begrenzten Besonderheit. Ich darf meine Aufgabe erfüllen mit meinen Gaben und meiner Begrenzung im Leib Jesu Christi. Ich darf mich an den vielen anderen freuen, die mitwirken, die mir das Leben stärken. Zusammen können wir im Leib Jesu Christi einen Dienst in dieser Welt tun.
Was für ein riesiges Geschenk!
Dieses Wort „Gemeinschaft“ trägt. Ich wünsche euch sehr, dass das wahr ist. Das ist die eigentliche Kernberufung. Nach der Reformation, als die Wahrheit des gekreuzigten Christus und der Gnade entdeckt wurde – der Begnadigung –, war das auch in den Zeiten danach ein Defizit. Es war ein Defizit, dass man in der Kirche zwar gemeinsam war, als Institution, aber die gelebte Gemeinschaft, die Familie Gottes, fehlte.
Das war das Besondere des alten Pietismus, von Spener, Francke und Zinzendorf und dann der Erweckungsbewegung. Sie sagten: Es gibt kein Christentum ohne Gemeinschaft. Zinzendorf sagte: Das ist die Wahrheit.
Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Begründung 4: Das tägliche Brot als Geschenk der Gnade
Also die Begnadigung, der Heilige Geist, seine Frucht und seine Gaben, die zukünftige Herrlichkeit, die Gemeinschaft des Leibes Jesu Christi sind vier. Als Fünftes, damit die fünf Finger der Hand auch voll sind, kommt das tägliche Brot hinzu.
Natürlich ist die tägliche Versorgung ein Geschenk der Gnade Gottes. Und das ist in dem Paket von Jesus enthalten. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Das ist doch ein riesiges Geschenk, dass wir das auch haben dürfen: das Frühstück und das Mittagessen, die guten Gespräche und die Arbeit, wenn wir sie haben. Alles, was wir zum Leben brauchen, ist Gnade Gottes.
Dieser ganze Reichtum, sagt Paulus, ist gebunden an Jesus. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht gespart. Wie sollte er uns mit ihm, in ihm nicht alles schenken? In diesem großen Geschenkpaket sind all diese Gaben enthalten.
Es geht also nicht darum: Jesus – und was kann ich denn noch zusätzlich haben? Reicht mir das? Vergebung der Sünden – schön und gut, aber ich möchte auch noch die Erfahrung des Heiligen Geistes haben, ich möchte noch dies und noch jenes. Es ist immer diese Jesus-plus-Theologie: Es reicht nicht, Jesus genügt nicht, aber wir müssen jetzt noch mehr.
Nein! Der Heilige Geist redet immer von Jesus. Johannes 14,16: Er wird euch an das erinnern, was ich gesagt habe. Er hat kein eigenes Programm. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist sind eins.
Die Sache der Dreieinigkeit Gottes ist keine weltferne, kopfzerbrechende Theorie, sondern das Geheimnis, aus dem wir leben. In Jesus sind all die Geschenke enthalten: von der Begnadigung über die Gnadengaben, die Frucht des Geistes, die Gemeinschaft, die zukünftige Herrlichkeit bis hin zur täglichen Versorgung – alles ist darin.
Mehr als Jesus gibt es nicht. Unser ganzes Leben besteht ausschließlich darin, dass wir dieses Geschenk auspacken, dass wir tiefer graben in dieser Kiste und sagen: Ich kenne dich ja noch gar nicht. Kenne ich dich eigentlich?
Die lebenslange Erkenntnis Jesu und das reformatorische Bekenntnis
Deshalb sagt Paulus in Philipper 3,10: „Ich möchte ihn erkennen.“
Der alte Paulus, gegen Ende seines Lebens, nicht der frisch Bekehrte, sagt: „Ich möchte ihn erkennen, Jesus, die Kraft seiner Auferstehung, die Teilhabe an seinen Leiden.“
Das hört nicht auf, ihn zu erkennen. Mehr als Jesus gibt es nicht. Seinen Reichtum in Anspruch zu nehmen, ihn zu erkennen und dankbar davon zu leben – das ist das Große unseres Lebens.
Die Reformatoren, soweit ich mich erinnere, haben dieses Bekenntnis zusammengefasst mit „Christus allein, durch Gnade allein“.
Und weil es „durch Gnade allein“ ist, weil alles geschenkt ist, entspricht es dem, dass ich es empfange. Ich kann es nicht erarbeiten, ich kann es nicht kaufen, ich kann es nicht machen. Ich kann es nur empfangen, das heißt: durch Glauben allein.
Das ist das geballte Bekenntnis der Reformation: durch Christus allein, durch Gnade allein, durch Glauben allein.
Die Herausforderung der heutigen Gesellschaft und der Kirchen
Aber jetzt muss ich zum Schluss doch noch sagen: Woher wissen wir das alles so genau? Nur weil ich das hier laut und mit Nachdruck verkünde, wird es ja nicht automatisch wahr.
Treten wir einen Schritt zurück! Hier in diesem Saal und beim Christustreff des Christusbundes erwartet ihr ja nicht anderes, als das, was gesagt wird. Aber draußen auf der Straße in Stuttgart, oder schon zuhause bei euch im Büro – könnt ihr dort dasselbe erzählen und werden die Leute mit dem Kopf nicken?
Ich fürchte, ich weiß nicht, wo das möglich ist. Ich sagte: Diese Thesen, die wir heute vertreten, sind in unserer Gesellschaft nicht mehrheitsfähig. Das ist nicht überraschend. Aber sie sind auch in unseren Kirchen nicht mehrheitsfähig. Das ist unser Problem heute. Und ich weiß nicht, wie glücklich ihr in eurer Gemeinschaft seid. Es sollte aber auch euer Problem sein.
Glaubt nur ja nicht, dass ihr in eurer Gemeinschaft, in eurem persönlichen Christsein isoliert leben könnt von dem, was ringsherum passiert. Es wird euch alle berühren – euch und eure Kinder.
Deshalb sollten wir schon wissen, in welcher Welt wir leben. Wir sollten unseren Glauben nicht gedankenlos und nur gefühlsbetont leben, sondern wissen, was wir tun.
Zeiten wie die unseren, in denen die Kernaussagen des Evangeliums nicht mehr selbstverständlich bejaht und akzeptiert werden, sind wunderbare Zeiten. Denn sie erlauben es uns nicht, gedankenlos im Trott der Tradition weiterzumachen, nach dem Motto: „Das war schon immer so.“ Stattdessen müssen wir begründet leben. Wir müssen wissen, worauf wir uns verlassen und warum das so ist.
Wir müssen wissen, warum wir dazu stehen, dass Jesus alternativlos ist und dass es nichts gibt, was über ihn hinausgeht.
Die Autorität der Bibel als Grundlage des Glaubens
Deshalb frage ich zum Schluss noch einmal: Woher wissen wir so genau, dass Jesus diese überragende Bedeutung hat?
Drittens sage ich, weil die Bibel Gottes Wort ist. Die Bibel versteht sich selbst als die Urkunde der Offenbarung Gottes in Jesus. Das wird heute massiv in Frage gestellt, auch und gerade in den Kirchen.
Weil das in Frage gestellt wird, leidet der Glaube, leiden die Gemeinden und leidet die Verkündigung des Evangeliums heute an Schwindzucht. Wir können uns ja nicht selbst sagen, dass Jesus der Retter ist, dass er stellvertretend gehandelt hat und dass das alles wahr ist. Das können wir uns nicht einfach zusammenreimen. Die Reime, die wir uns machen, passen alle nicht, auch wenn sie in unserem Bewusstsein schön klingen sollen.
Wieso aber ist die Bibel Gottes gültiges Wort? Wenn wir die Bibel lesen, beobachten wir, dass Gott Menschen als seine Zeugen gebraucht. Die 66 Bücher des Alten und Neuen Testaments sind von Menschen geschrieben. Gott benutzt Menschen als seine Zeugen und zwar auf sehr unterschiedliche Weise.
Da sind Geschichtsschreiber, da sind Evangelisten. Der Evangelist Lukas sagt, dass er als Redakteur gearbeitet hat. Er hat anderes, was andere schon gesagt und geschrieben hatten, gesammelt und geordnet – so wie typische Redakteure arbeiten. Gott braucht Briefschreiber, Liederdichter, Beter und Propheten. Er hat ganz unterschiedliche Weisen, wie sein Wort zustande kommt.
Wir haben überhaupt nicht das Recht, Gott vorzuschreiben, wie er sein gültiges Wort zu uns sagt. Manche meinen, sie müssten sich da eine Theorie machen und nur wenn das so funktioniere, wie sie es sich vorstellen, wäre es Gottes Wort. Das ist natürlich völlig falsch. Gott macht es so, wie er es macht!
Forscher haben sich schon oft den Kopf zerbrochen, um herauszufinden, wie Gott es macht. Das meiste können wir nicht aufklären. Ich habe Theologie studiert und weiß, was für Quellen und Theorien ich studieren musste: wie die Evangelien zusammengesetzt wurden, wie die ersten fünf Bücher Mose entstanden sind, welche Schichten es gibt und so weiter. Dabei habe ich oft nur Fragezeichen in Büchern gemacht und mich gefragt: Woher weiß er das? Woher weiß er das? Woher weiß er das?
Es gibt viele Vermutungen, aber nichts Genaues weiß man. Über den Entstehungsprozess lässt sich das meiste definitiv nicht aufklären. Wenn jemand verkündet, die Wissenschaft habe festgestellt, dass Schokolade Schnaps enthält, warten Sie die nächste Publikation ab, die das Gegenteil behauptet. Wenn man alt genug wird, sieht man, wie theologische und historische Theorien an einem vorbeiziehen, wechselnd wie die Damenmoden – und die kommen ja auch alle paar Jahre wieder. So ist das.
Gott gebraucht diese menschlichen Zeugen als Dokumentatoren, als Urkunde seiner Offenbarung. Und das Endergebnis zählt! Das Endergebnis zählt! Das ist erstaunlich, auch wenn man sich darüber ärgern mag.
Muslime haben eine ganz andere Theorie, wie ihr Koran zustande gekommen ist. Dort wird alles menschliche ausgeklammert, weil der Erzengel Gabriel Mohammed gedrängt hat, und so kam alles direkt von Gott, ohne menschliche Beteiligung. In der Bibel ist das ganz anders. So macht Gott es, und wir haben es nicht zu kritisieren. Das Endergebnis ist Gottes gültiges, ewig gültiges Wort.
Die Bibel ist Maßstab für Glauben und Leben. Die Voraussetzung ist, dass dieses Zeugnis, diese Schrift, die Offenbarungsurkunde Gottes ist. Achten Sie mal auf den Sprachgebrauch: Heute sagt man oft, das sei ein Glaubenszeugnis. Das klingt schon so pietistisch, als ob jeder in die Knie sinken müsste.
Ein Glaubenszeugnis ist, wenn jemand Erfahrung gemacht hat und nun seine Meinung sagt, wie das zu deuten ist. Das ist zwar nett und erbaulich, aber für mich hat das keine verbindliche Bedeutung. Dass die biblischen Schriften Glaubenszeugnisse, religiöse Zeugnisse sind, unterscheidet sie nicht von der Bhagavad Gita, dem Koran oder anderen Schriften.
Dass sie die Offenbarung Gottes sind, unterscheidet sie. Die Autoren der Bibel leben natürlich wie wir von der Gnade und Vergebung der Sünden und werden gerettet. Aber anders als wir gehören sie auf die Seite der Offenbarung. Sie sind unüberholbar die Apostel und Apostelschüler des Neuen Testaments, die Zeugen des Alten Testaments. So ist die Bibel Maßstab für Glauben und Leben des persönlichen Christen.
Die Verpflichtung der Verkündigung und die Verantwortung der Gemeinde
Ich möchte Ihnen das einmal persönlich deutlich machen. Ich bin Pfarrer und wurde als solcher ordiniert. Alle 22 Pfarrer der evangelischen Kirche in Deutschland haben ein Ordinationsgelübde abgelegt.
Ich habe mir den Inhalt dieses Gelübdes extra aufgeschrieben, da ich es nicht auswendig kann. Im Gottesdienst wurde mir gesagt: Dabei sollst du ernstlich beachten, dass es dem evangelischen Prediger nicht zusteht, eine andere Lehre zu verkündigen und auszubreiten als die, welche gegründet ist in Gottes lauterem und klarem Wort, wie es verfasst ist in der Heiligen Schrift, Alten und Neuen Testaments, unserer alleinigen Glaubensnorm, wie es bezeugt ist in den drei altkirchlichen Glaubensbekenntnissen sowie in den reformatorischen Bekenntnisschriften unserer Kirche.
Das habe ich versprochen, wie alle anderen evangelischen Pfarrer in Deutschland, nämlich dass das Maßstab der Bibel als dem lauteren, gültigen Wort Gottes alleiniger Maßstab für Glauben und Leben ist.
Nun könnte man sich darauf berufen und sagen: „Haltet das doch bitte ein!“ Aber man kann zweifeln, ob das in evangelischen Kirchen tatsächlich noch gilt.
Anlässlich des Reformationsjubiläums, das 2017 gefeiert wurde, veröffentlichte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland einen Grundlagentext mit dem Titel „Rechtfertigung und Freiheit – 500 Jahre Reformation“. Darin lesen wir wörtlich: „Seit dem siebzehnten Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch erforscht. Deshalb können sie nicht mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als Wort Gottes verstanden werden.“
Das ist keine Unterstellung, ich beschimpfe hier niemanden. Diese Formulierung wurde von führenden Theologen beschlossen und vom Rat der EKD aus Anlass der Reformation formuliert.
Weiter heißt es: „Die Reformatoren waren ja grundsätzlich davon ausgegangen, dass die biblischen Texte wirklich von Gott selbst gegeben waren. Angesichts unterschiedlicher Versionen eines Textabschnittes oder der Entdeckung verschiedener Textschichten lässt sich diese Vorstellung so nicht mehr halten. Damit aber ergibt sich die Frage, ob, wie und warum Sola Scriptura, also allein die Schrift, auch heute gelten kann.“
Seit einigen Monaten frage ich mich nun öffentlich: Wann wird das in der Kirche diskutiert? Und wie wird diese Frage beantwortet, ob die Heilige Schrift allein Maß und Maßstab für Glauben und Leben in den Kirchen und im persönlichen Leben ist?
Denn heute versucht man, so zu tun, als ob diese Frage nicht wichtig sei. Zum Beispiel hört man: „Ja, wir haben unterschiedliche Sichtweisen. Wir sehen das nicht mehr so wie früher, aber wichtig sei, wie Luther gesagt hat: ‚Alles, was Christum treibet.‘“
Das klingt fromm und man möchte fast zustimmen. Doch ich sage Ihnen: Das ist Unsinn. Welchen Jesus Christus meinen Sie denn, wenn das nicht gültige Offenbarung Gottes ist? Dann sucht sich nämlich jeder den Jesus heraus, der ihm passt.
So wird zum Beispiel erklärt, dass das Schlüsselwort, das ich vorhin genannt habe – der Menschensohn ist gekommen, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen, ein Leben als Lösegeld für die Vielen zu geben – plötzlich gar nicht mehr das Wort von Jesus ist, sondern dass die Gemeinde es ihm angedichtet hat.
Wenn Sie die Literatur der letzten zweihundert Jahre über Jesus lesen, hat sich jeder seinen eigenen Jesus gebastelt. So kann man es auch machen. Es gibt dann keine verbindlichen Aussagen mehr darüber, wer Jesus ist.
Das heißt: Wenn die Schrift nicht mehr als alleinige Urkunde der Offenbarung gilt, dann gilt auch nicht mehr allein Christus. Und wenn allein Christus nicht mehr gilt, gilt nicht mehr allein die Gnade, weil dann nicht sicher ist, dass das alles tatsächlich geschehen ist. Und auch nicht mehr allein der Glaube. Das Ganze bricht zusammen.
Ich möchte Ihnen noch einen Hinweis geben: Die moderne Wissenschaft arbeitet nach dem Grundsatz „als ob es Gott nicht gäbe“ (et ideus non daretur). Das ist völlig in Ordnung, denn Gott ist nicht Gegenstand unter dem Mikroskop. Er ist nicht etwas, das wir erforschen können.
Das ist gut so. Aber wenn die Theologie, also die Lehre von Gott, nach diesem Prinzip wissenschaftlich sein will und sagt: „Wir wissen ja gar nicht, ob Gott wirklich geredet und gehandelt hat, aber wir sehen das Glaubenszeugnis der Leute im Alten und Neuen Testament, das können wir untersuchen“, dann wird das Ganze nur noch Soziologie, Psychologie und Religionswissenschaft.
Eine Theologie, die nicht von der Offenbarung Gottes ausgehen kann, schafft sich selbst ab. Das ist eigentlich völlig klar und das weiß jeder.
Nun will ich Ihnen sagen, warum ich Sie zum Schluss mit so wenig erbaulichen Dingen auf einer so wunderbaren Konferenz belästige.
Zu den Grundaussagen der Bibel gehört, dass die Botschaft des Evangeliums von der Gemeinde Jesu Christi beurteilt wird, dem Priestertum aller Gläubigen. Das ist nicht die Sache irgendeiner Kaste von Professoren und Pfarrern, von Klerikern, die sich anmaßen, uns zu Schulmeistern zu machen.
Sondern alle, die Jesus nachfolgen, müssen mündige und urteilsfähige Christen sein, weil sie die Heilige Schrift studiert haben und daraus ein Urteil bilden können. Wir brauchen das.
Wenn die Gemeinschaften nicht zu Clubs denkfauler und selbstgenügsamer Frömmler verkommen wollen, dann werden sie aufstehen und sich darum kümmern. Sonst werden sie übermorgen in ihren eigenen Gemeinschaften genau dieses Problem haben.
Die Leiter der Gemeinschaftsverbände und der Gemeinden tragen heute eine gewaltige Verantwortung für unsere Kirche.
Vor einiger Zeit hieß es: „Es sei Zeit zum Aufstehen.“ Ich frage heute: Wann stehen wir endlich auf?
Herr, erbarme dich! Danke dir, dass du alles in allem bist, dass du an unsere Stelle gegangen bist und das getan hast, was niemand sonst tun konnte. Du hast uns mit Gott versöhnt, uns beschenkt mit dem Reichtum deiner Gnade in Gegenwart und Zukunft.
Du gibst uns dein heiliges Wort, damit wir in der Verwirrung unserer Zeit nicht verloren gehen.
Erbarme dich über dein Volk!