Einführung in das Thema und Auswahl der Bibelstellen
Es freut mich, dass ihr heute Abend wiedergekommen seid und wir gemeinsam über die letzte Zeit nachdenken können – über das, was Gott uns in dieser Zeit zu sagen hat.
Ich möchte heute eine Stelle aus dem Alten Testament auswählen, und zwar aus den Propheten. Diese Stelle steht stellvertretend für viele andere, die wir finden können. Parallel dazu werde ich eine Stelle aus dem Neuen Testament betrachten.
Zuerst möchte ich mit euch zusammen in Hesekiel 37 aufschlagen.
Die Vision der toten Gebeine bei Hesekiel
Hesekiel 37 beginnt mit einer der wohl bekanntesten Szenen aus dem Buch Hesekiel. Neben der ausführlichen Beschreibung des Tempels, die wir eher in den letzten Kapiteln des Buches finden, geht es hier um die Darstellung eines toten Feldes mit toten Gebeinen, die plötzlich wieder lebendig werden.
Dies ist ein Bild, das der Prophet in der Zukunft sieht, nicht etwas, das zu seiner Zeit stattfindet. Es handelt sich auch nicht um ein Ereignis, das zu diesem Zeitpunkt real geschieht, sondern um eine prophetische Vision, die in die Zukunft hineinweist.
Wenn wir das vorhergehende Kapitel betrachten, geht es um das Volk Israel und zwar um die Wiedervereinigung des Volkes sowie um das Lebendigwerden Israels. Das ist der Hintergrund, der sich bereits in Kapitel 36 zeigt. Dort wird in einzelnen Prophetien beschrieben, dass das Volk Israel, nachdem es vertrieben wurde, wieder in sein Land zurückkehren wird.
Die prophetische Weissagung im Detail
Und das wird dann mit folgendem Beispiel aus Hesekiel 37, Vers 1, illustriert:
„Die Hand des Herrn kam über mich, und der Herr führte mich im Geist hinaus und ließ mich nieder mitten auf der Ebene, die voller Totengebeine war. Er führte mich ringsherum an ihnen vorüber, und siehe, es waren sehr viele auf der Ebene, und sie waren sehr dürr.
Da sprach er zu mir: Menschensohn, können diese Gebeine wieder lebendig werden? Ich antwortete: O Herr, du weißt es. Da sprach er zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorbenen Gebeine, hört das Wort des Herrn! So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: Seht, ich will Odem in euch kommen lassen, damit ihr lebendig werdet. Ich will euch Sehnen geben und Fleisch über euch wachsen lassen, euch mit Haut überziehen und Odem in euch geben, damit ihr lebendig werdet. Ihr werdet erkennen, dass ich der Herr bin.
Da weissagte ich, wie mir befohlen war. Als ich weissagte, entstand ein Geräusch, und siehe, eine Erschütterung. Die Gebeine rückten zusammen, ein Knochen zum anderen. Ich schaute hin, und siehe, sie bekamen Sehnen, und es wuchs Fleisch an ihnen. Es zog sich Haut darüber, aber noch war kein Odem in ihnen.
Da sprach er zu mir: Richte deine Weissagung an den Odem! Weissage, Menschensohn, und sprich zu dem Odem: So spricht Gott der Herr: Odem, komme über die vier Windrichtungen und hauche diese Getöteten an, damit sie lebendig werden! So weissagte ich, wie er mir befohlen hatte.
Da kam der Odem in sie, und sie wurden lebendig und stellten sich auf ihre Füße – ein sehr, sehr großes Heer.
Er sprach zu mir: Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, sie sagen: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnungen sind verloren, es ist aus mit uns. Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will eure Gräber öffnen und euch, mein Volk, aus euren Gräbern herausbringen. Ich will euch wieder in das Land Israel bringen. Ihr sollt erkennen, dass ich der Herr bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, heraufbringen werde. Ich werde meinen Geist in euch legen, und ihr sollt leben. Ich werde euch wieder in euer Land bringen, und ihr werdet erkennen, dass ich der Herr bin. Ich habe es gesagt, ich werde es auch tun, spricht der Herr.“
Dann geht es noch ein ganzes Stück weiter, aber ich will hier nur einen Ausschnitt von dem nehmen, was Hesekiel viel, viel weiter entfaltet und darüber beschreibt.
Das Bild der Wiederbelebung und seine Wirkung
Das Bild, das wir hier vorfinden, ist sehr beeindruckend. Es gibt einige große Künstler der Vergangenheit, die versucht haben, dieses Bild bildlich darzustellen. Wenn wir den Text lesen, ruft er geradezu dazu auf, sich das vorzustellen – so empfinde ich es zumindest.
Wahrscheinlich könnte sich jemand, der gewohnt ist, Horrorfilme zu sehen, das sehr plastisch vorstellen. Irgendwo ein Gemetzel, nur noch ein paar Knochen liegen herum, und plötzlich, wie bei einem Zombie, rutscht das Ganze zusammen und steht wieder aus seinem Grab auf. Das ist wirklich unheimlich.
Wenn wir das hier nicht nur lesen, sondern uns vorstellen, wir wären tatsächlich auf dem Feld und würden sehen, was Hesekiel sieht, dann muss das sehr, sehr unheimlich sein. Hier erleben wir ein noch größeres Wunder, als es häufig in der Bibel vorkommt. Oft finden wir Hinweise darauf, dass Gott Menschen, die gestorben sind, wieder lebendig werden lässt.
Das sehen wir bei den alttestamentlichen Propheten. Elija und Elisa können in der Kraft Gottes Menschen, die gestorben sind, wieder zum Leben zurückrufen oder Gott macht es durch sie. Auch bei Jesus finden wir das an mehreren Stellen, zum Beispiel bei der Tochter des Jairus oder bei Lazarus. Es gibt noch andere, denen Jesus begegnet und die er wieder lebendig werden lässt.
Auch bei den Aposteln finden wir das. Denken wir an den jungen Mann, der während der Predigt des Paulus aus dem Fenster fällt, tot ist und wieder zum Leben erweckt wird. Dass Menschen, die gestorben sind, wieder lebendig werden, finden wir also an verschiedenen Stellen in der Bibel.
Hier aber ist es noch viel weiter. Die Verwesung ist bereits sehr weit fortgeschritten, eigentlich schon abgeschlossen. Es sind nicht mehr die Menschen im Grab, sondern ihre Knochen liegen verstreut.
Worauf weist das hin? Später, wenn sich dieser Prozess umkehrt, geschieht genau das Gegenteil von dem, was bei der Verwesung passiert: Zuerst zerfällt das Fleisch, dann die Sehnen, und am Ende bleiben nur noch die Knochen übrig. Wenn nur die Knochen ohne Sehnen da sind, fallen sie auseinander, und man weiß nicht mehr genau, welcher Knochen zu wem gehört.
Hier sehen wir ein Feld voller toter Gebeine. Das Erste, was im Umkehrschluss geschieht, ist, dass die Gebeine wieder zusammenrücken. Das heißt, sie ordnen sich so, wie sie ursprünglich einmal waren, Knochen an Knochen.
Der Zerfallsprozess ist also so weit fortgeschritten, dass jeder normale Mensch ausschließen würde, dass hier noch einmal etwas Lebendiges entstehen kann. Wenn ein Körper noch relativ lebendig aussieht, obwohl er tot ist, kann man sich das vielleicht noch vorstellen, weil er äußerlich noch wie ein Mensch aussieht.
Hier ist es aber noch viel extremer.
Die Bedeutung des Bildes für das Volk Israel
Warum benutzt Gott dieses Bild? Weil er uns zeigen will – zunächst bezieht sich das Bild ja auf das Volk Israel. Das Volk Israel ist so tot, dass niemand mehr darauf kommen würde, dass es irgendwo wieder lebendig werden könnte. Dieses radikale Bild ist, glaube ich, für uns wichtig, damit wir es vor Augen haben.
Der Prophet spricht in eine Situation hinein, in der das Volk Israel in Gefangenschaft ist und nicht mehr im Land wohnt. In dieser Lage tritt Hesekiel auf und sagt: Ihr werdet wieder ein Volk werden. Man könnte sagen, die erste Erfüllung, die stattfindet, ist, dass das Volk Israel wieder nach Israel zurückkehrt, Jerusalem wieder aufbaut und sich dort niederlässt.
Das geschieht bis zur Zerstreuung Israels im Jahr 70 nach Christus. Darüber haben wir gestern nachgedacht. Danach gibt es im Jahr 130 nach Christus noch den Bar-Kochba-Aufstand. Ab diesem Zeitpunkt ist es den Juden sogar verboten, Jerusalem zu besuchen. Nach dem Bar-Kochba-Aufstand wird Jerusalem in Aelia Capitolina umbenannt – eine Stadt mit einem neuen Namen. Den Juden ist der Zutritt verboten, und die Stadt soll eine heidnische Stadt sein. Der Tempel steht sowieso schon lange nicht mehr.
Danach beginnt die vollständige Zerstreuung Israels, die viel radikaler und tiefgehender ist. Denn auch in der babylonischen Gefangenschaft war das Volk Israel als Volk noch irgendwie beieinander – nur nicht mehr im Land Israel. Sie waren relativ nah beieinander und konnten deshalb, als sie weggezogen waren, auch wieder zurückkehren.
Diese vollständige Zerstreuung, bei der man sagen würde, das Volk sei vollkommen tot, das kommt eigentlich erst im Jahr 130 nach Christus. Ich glaube, dass dieses Bild, das Gott hier benutzt hat, um Hesekiel etwas vor Augen zu führen, erst in dieser Situation wirklich zum Tragen kommt – nämlich dort, wo Israel so tot ist, dass niemand mehr auf die Idee käme, dass daraus noch etwas entsteht.
Stück für Stück geschieht genau das Gegenteil von dem Zerfall. Das Volk Israel wird zersplittert. Zur Geburt Jesu unter Herodes dem Großen war es noch ein einheitliches Reich. Bei seinen Nachfolgern, den Tetrarchen, war es schon in vier kleine Provinzen aufgeteilt. Nach dem Aufstand, also nach dem Untergang des Tempels, wird das Land nicht mehr von den Juden verwaltet, sondern nur noch als römische Provinz.
Nach 130 ist es kein Judenstaat mehr, weil die Juden nach dem großen Fall das Land verlassen müssen. In den folgenden Jahrhunderten, ja Jahrtausenden bis in die Neuzeit hinein, sind die Juden zerstreut in alle Winkel der Welt. Niemand hätte sich vorstellen können, dass sie je wieder zusammenkommen würden. Menschlich gesehen war das unmöglich.
Dann aber passiert das, was wir hier lesen: Stück für Stück, was vollkommen tot aussieht, gerät plötzlich in Bewegung. Man sieht nicht, warum oder wodurch. Die Knochen rücken zusammen, dann wachsen Sehnen daran, danach Fleisch, und am Ende entsteht die Haut – also der Körper. So entsteht die Leiche, die zwar noch nicht lebendig ist, aber genau so aussieht wie direkt nach dem Tod.
Wenn wir nun sehen, wie die Knochen zusammenrücken, was kann damit gemeint sein? Ich würde sagen, das ist der Anfang der zionistischen Bewegung im 19. Jahrhundert.
Die zionistische Bewegung als Erfüllung der Weissagung
Da hätte noch kein Mensch daran gedacht, dass das jemals passieren würde. Es waren eher vage Ideen, die einige Juden hatten – eine neue Heimstatt für das jüdische Volk, so nannte man das damals.
Dann fand der erste Zionistenkongress in Basel statt, bei dem das Programm aufgestellt wurde: „Wir wollen einen Judenstaat gründen.“ Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es die Balfour-Erklärung des britischen Außenministers. Er versuchte, die Juden für den Ersten Weltkrieg zu gewinnen und versprach ihnen, dass man sich dafür einsetzen würde, ihnen einen eigenen Staat zu schaffen.
In den Schreibtischunterlagen des britischen Kolonialministeriums war dafür Madagaskar vorgesehen. Dort lebten nur wenige Menschen, sodass man sich keinen großen Ärger oder Streit ausmalte. Man wollte Madagaskar zum Judenstaat machen. Zudem lag Madagaskar im britischen Einflussbereich, sodass man dachte, dies umsetzen zu können.
So wäre es beinahe dazu gekommen, dass das Volk Israel – oder besser gesagt die Juden – einen Staat erhielten, aber an einem ganz anderen Ort. Schließlich jedoch kümmerte sich der britische Staat mehr um andere Angelegenheiten, die Juden wurden uninteressant, und das Ganze fiel unter den Tisch – ebenso der Judenstaat Madagaskar.
Dann kam der Zweite Weltkrieg. Wieder wandte man sich an die Juden zur Unterstützung – allerdings nicht an die Juden in Deutschland, die verfolgt wurden, sondern an die Juden in den USA, Großbritannien, Australien, Kanada und Südafrika. Man forderte sie auf, die Briten zu unterstützen. Sie taten dies auch, und erneut wurde ihnen versprochen, dass sie ihren Staat bekommen würden.
Diesmal warteten sie nicht, bis der Krieg zu Ende war, sondern zogen schon währenddessen nach Israel ein. Wahrscheinlich kennen einige von euch den beeindruckenden Film und Roman, der dahintersteht: Exodus. Darin geht es um Auswandererschiffe, die nach Israel fahren, das zu dieser Zeit vor allem von arabischen Völkern besetzt war. Die Juden kauften sich einzelne Teile des Landes auf und bauten es unter Einsatz ihres Lebens wieder auf.
Im Norden, am Hule-See, gab es verseuchte Gebiete mit Malaria. Auch im See Genezareth war das Land weitgehend verödet. Stück für Stück wurde es wieder aufgebaut, bis 1948 schließlich der Staat Israel gegründet wurde.
Das geschah gegen alle politischen Gesetze, denn Israel hatte damals keine Unterstützung. Weder die Amerikaner noch die Briten setzten sich für Israel ein. Deutschland hätte es möglicherweise getan, aufgrund seines schlechten Gewissens, doch es war selbst noch mit der Gründung seines eigenen Staates und der Bewältigung der Kriegsfolgen beschäftigt. Israel war also weitgehend auf sich allein gestellt.
Wenn man das in Büchern liest, dann hört man, dass alle arabischen Staaten ringsherum erklärten, sie würden die Juden dort auslöschen. Trotzdem entstand dieser Staat. Ist das nicht genau das, was wir hier beschrieben haben? So plötzlich, als würde über Totengebeine wieder Fleisch wachsen, entsteht ein neuer Körper – nämlich der Körper des Volkes Israel.
Das ist vollkommen unvorstellbar und widerspricht allen Naturgesetzen, wie so etwas normalerweise geschehen sollte.
Das fehlende Leben im modernen Israel
Und nachdem das alles geschehen ist, lesen wir, dass nur noch der Atem fehlt, das heißt das Leben. Und da merken wir: Darauf warten wir bis heute noch.
Nicht, dass Israel als Land nicht lebendig wäre – ja, das ist es schon. Aber das, was noch fehlt, ist dieses Leben, wie Gott es im Alten Testament für sein Volk vorgesehen hat. Dass sie nämlich Gott dienen und ihm nachfolgen.
Der heutige Judenstaat ist ein säkularer Staat. Die meisten Juden in Israel sind genauso gottlos wie die meisten Deutschen. Dabei will ich nicht schlecht von ihnen reden. Aber geht man nach Tel Aviv, eine große Stadt in Israel, sieht man, dass die Jugendlichen abends nicht in die Synagoge gehen. Kaum ein Jude besucht dort die Synagoge; stattdessen gehen sie in die Disco.
Ehe und Scheidung gibt es dort ebenfalls in großem Maße. Man darf also keine Illusionen haben: Das Leben der Juden in Israel ist genauso weltlich wie hier in Deutschland.
Ich erinnere mich an eine Reise, die ich dort gemacht habe. Dabei fragte ich einen Juden, und er vertraute mir an, dass er am liebsten Schweinefleisch isst, weil es besser schmeckt. Das darf er seinem Nachbarn aber nicht sagen, weil der ihn sonst vielleicht bei einem Rabbi anschwärzt.