0:00:00
0:18:13

Glaubensschule mit Abraham: Er wartet, wohnt, wagt. Denn Glaube ist Vertrauenssache. - Predigt zum Sonntag Reminiszere aus der Stiftskirche Stuttgart


Das Wissen hat es mit unserem Kopf zu tun. Und das Sehen hat es mit unseren Augen zu tun. Und das Hören hat es mit unseren Ohren zu tun. Und das Lieben hat es mit unseren Herzen zu tun. Und der Glaube? Der Glaube an Gott, der Glaube an Jesus Christus, der Glaube an den Heiligen Geist. Mit was hat es dieser Glaube zu tun, liebe Gemeinde?

Eine Antwort lautet: Glaube hat es mit unserer Gewohnheit zu tun. Schon der Großvater zog sich jeden Sonntag den schwarzen Sabbater und den weißen Stehkragen an, griff nach dem Goldschnittgesangbuch auf der Kredenz und rief: Kinder, auf gehts in d’Kirch! Auch die Eltern hielten sich daran und zogen jeden Sonntag los, um ihren Stammplatz auf der Empore, gleich neben der Orgel einzunehmen. So kamen die Söhne ohne große Überlegungen dazu, sonntags den Kirchgang einzuplanen. Sie kennen gar nichts anderes als das zu tun, was Eltern und Großeltern und Urgroßeltern auch schon getan haben. Wahrlich keine schlechte Gewohnheit von der Albert Schweizer, der Urwalddoktor einmal gesagt hat, dass sie ihn hauptsächlich auf den rechten Weg gebracht habe. Glaube ist Gewohnheitssache, lautet die eine Antwort.

Mit was hat es der Glaube zu tun? Eine zweite Antwort lautet: Glaube hat es mit unserem Geschmack zu tun. So wie es die einen ins Neckarstadion zieht, weil sie sportlich sind, oder so wie es die andern in die Liederhalle zieht, weil sie musikalisch sind, oder so wie es die dritten in die Staatsgalerie zieht, weil sie kunstgebildet sind, so zieht es eben einige in die Stiftskirche, weil sie religiös sind. Sie haben eine fromme Ader. Orgel, Gesang, Predigt ist nach ihrem Geschmack. “Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist” steht schon in der Bibel. Weil aber die Geschmäcker verschieden sind, können nicht alle auf diesen Geschmack kommen und deshalb ist in einer Stadt für jeden Geschmack etwas^geboten. Glaube ist Geschmackssache, lautet die zweite Antwort .

Mit was hat es der Glaube zu tun? Eine dritte Antwort lautet: Glaube hat es mit unserem Gefühl zu tun. Glaubende sind keine Salzstöcke. Die Botschaft lässt sie nicht kalt. Irgendetwas muss sie bewegen, wenigstens ein erhöhter Pulsschlag, oder ein warmes Gefühl am Brustbein, oder ein heiliger Schauer den Rücken hinunter. Ohne feeling kein Glaube, sagen die Jungen und wollen high in Jesus sein. Gefühle haben und Gefühle zeigen ist “in”. Glaube ist Gefühlssache, lautet die dritte Antwort.

Sicher gibt es noch viele Antworten, aber hören wir auf die Antwort des Apostels. In seinem Brief an römische Christen sagt er, Glaube ist keine alte Gewohnheit, er ist mehr. Glaube ist kein persönlicher Geschmack, er ist mehr. Glaube ist kein warmes Gefühl, er ist mehr. Glaube ist eine feste Zuversicht , eine klare Gewissheit, ein unbedingtes Vertrauen. Weil Gott uns so viel Vertrauen geschenkt hat, indem er uns seine ganze Welt anvertraut hat, indem er uns sein gutes Wort anvertraut hat, indem er uns seinen einzigen Sohn anvertraut hat, obwohl uns noch gar nie zu trauen war, deshalb können wir ihm unser grenzenloses Vertrauen schenken. Jesus ist der größte Vertrauensbeweis Gottes. Der stirbt lieber am Kreuz, als sein Vertrauen zu uns aufzukündigen. Um uns nicht zu verlassen, verlässt Gott seinen Sohn. Wenn einer vertrauenswürdig ist, dann er. Glaube ist viel mehr als eine Gewohnheits- oder Geschmacks- oder Gefühlssache. Glaube ist Vertrauenssache. Wie das konkret aussieht, soll an der Gestalt Abrahams durchbuchstabiert werden. Er wagt, er wohnt, er wartet.

1. Er wagt.

Gehen Sie mit mir nach Ur. Diese chaldäische Siedlung ist im irakischen Muggaja, hart an der Grenze zum Iran, durch umfangreiche Grabungen wieder freigelegt worden. Wahrlich eine sehenswerte, 1300 Meter lange Stadtanlage mit Tempel für Mondanbeter, Bazars für die Gewürzhändler, stattliche Häuser für die Bürger. Nein, kein Rastplatz für schmutzige Kameltreiber, sondern Wohnplatz für ordentliches Volk. In Ur ließ sich leben, gut leben, herrlich leben. Und Gott sagt zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland! Er sieht sich auf diesem Fleckchen Erde um. Hier bin ich zur Welt gekommen, hier verlebte ich meine Jugend, hier habe ich Wurzeln geschlagen. Das ist meine Heimat. Und Gott sagt zu Abraham: Geh aus deiner Verwandtschaft. Er sieht sich in der Nachbarschaft um. Hier wohnt meine Mutter, hier leben meine Geschwister, hier habe ich meine Neffen und Nichten. Das ist meine Sippschaft. Und Gott sagt zu Abraham: Geh aus deinem Haus. Er sieht sich in der Wohnung um. Hier stehen meine Möbel, hier feiern wir unsere Feste, hier ist der Mittelpunkt der Familie. Das ist mein Zuhause. Und Gott sagt zu Abraham: Geh! Man kann sich diese Zumutung Gottes nicht steil genug vorstellen. Das Vaterland ist ein unersetzliches Heimatland. Die Verwandtschaft ist durch keine andere Gemeinschaft zu ersetzen. Das Haus ist die Stätte des Glücks. Trotzdem ist Abraham gehorsam, wagt den Schritt, verlässt die Stadt und geht. Meister Ekkehart, der Mystiker des 13. Jahrhunderts, hat schon darauf hingewiesen, Glaube hat es mit Gelassenheit zu tun, mit Sich-loslassen und Sich-Gott-überlassen. Glaube hat es mit Verlassenheit zu tun, mit sich selbst zu verlassen, so wie man ein Haus verlässt und sich auf Gott zu verlassen. Glaube hat es immer mehr mit dem Lassen als mit dem Machen zu tun. Wir sind gerne Menschen, die etwas aus sich machen wollen. Wir sind gerne Schaffer, die etwas für sich schaffen wollen. Wir sind gerne Selfmademen, die sich gerne herausstellen wollen. Auch der Philosoph Sartre meint es: Der Mensch ist, was er aus sich macht. Wehe, wenn ich kein gutes Examen mache, wehe wenn ich keine gute Figur mache, wehe wenn ich keine gute 5000 Mark im Monat mache. Aber darauf kommt es doch gar nicht an. Gott will etwas aus uns machen, seine Kinder. Gott will etwas aus uns schaffen, seine Jünger. Gott will etwas an uns herausstellen, Godmademen, von ihm geschaffene Leute. Deshalb sagt er: Geh aus der Welt der großen Worte und gemeinen Sprüche, verlass dich auf mein Wort. Geh aus der Welt der großen Ängste und tiefen Furcht, verlass dich auf meine Liebe. Geh aus der Welt der großen Streitereien und schrecklichen Kriege, verlass dich auf meinen Frieden. Erich Fried, ein deutsch-jüdischer Schriftsteller, schreibt in einem Gedicht: Wenn ich mich festgelebt habe, muss ich mich lossterben. Wo haben Sie sich festgelebt? Wo müssen Sie sich lossterben? Wo ist Ihr Verlassen? Abraham wagt, denn Glaube ist Vertrauenssache.

2. Er wohnt.

Gehen Sie mit mir nach Kanaan. Was für ein Landstrich zwischen der Hafenstadt Sidon und der Palmenstadt Tamar. Im Norden der See Kinneret, später Genezareth genannt, in der Mitte die Jordanebene, im Süden das Tote Meer, östlich und westlich fruchtbare Felder und Auen, wirklich ein Land, in dem Milch und Honig fließt. Dort, nach langen Irrungen und Wirrungen, kommt Abraham der Ausländer auf Befehl mit seiner Familienkarawane an. Natürlich fängt er an zu bauen, so wie alle Einwanderer zu bauen beginnen. Aber was baut er? Einen Stall für das Vieh, eine Scheune für das Futter, einen Wohnraum für die Verwandtschaft, eine Stadt, einen Turm dazu und eine Mauer darum herum? Am liebsten würden wir heutzutage hören, Abraham habe eine Schule für die Analphabeten, ein Spital für die Leprakranken, ein Entwicklungszentrum für die Arbeitslosen gebaut. Stattdessen treibt er Heringe in den Boden, spannt Steile über den Platz und legt seine Teppiche darüber. Abraham baut ein Zelt. Abraham geht ins Zelt. Abraham wohnt im Zelt. Kein Quadratmeter Boden gehört ihm. Kein Stück Erde ist sein Eigentum. Kein Grundstück ist auf seinen Namen eingeschrieben. Abraham ist Zelter, Abraham ist Camper, Abraham ist Fremder, so wie es der auch ist, von dem Matthäus sagt, dass er ein Sohn Davids sei, des Sohnes Abrahams. Er liegt in Windeln an einer Futterstelle. Später sagt er von sich, dass die Füchse Gruben und die Vögel Nester haben, aber des Menschensohn nicht hat, wo er sein Haupt hinlege. Am Schluss nehmen sie ihm die Kleider weg und setzen ihn in einem geliehenen Grab bei. Über das Fremder sein, Camper sein, Zelter sein in dieser Welt, kommen wir nicht hinaus. Unser Haus, das wir mit viel Schweiß gebaut haben, ist Zelt, das wir einmal verlassen müssen. Unsere Wohnung, die wir mit viel Liebe eingerichtet haben, ist Zelt, das wir einmal hinter uns lassen müssen. Unser Leben, das wir mit viel Stolz präsentieren, ist Zelt, das wir einmal verlieren. “Ich weiß, dass ich meine Hütte, mein Zelt bald verlassen muss” weiß Petrus. Wissen wir das auch noch? Wo sind unter uns die fröhlichen Fremden, die in dieser Welt nicht mehr wollen als zwei Quadratmeter fürs Grab, weil sie außer Gott von keinem Glück wissen wollen? Wo sind unter uns die getrosten Camper, die in diesem Leben nicht mehr wünschen als ein Standplatz, weil sie sich bei Gott eine ewige Wohnung versprechen? Wo sind unter uns die zuversichtlichen Zelter, die auf dieser Erde nicht mehr beanspruchen als einen Mietvertrag auf Zeit, weil sie mit der Ewigkeit rechnen? Gerhard Tersteegen, der einfache Bandweber aus Mülheim an der Ruhr, bewies jene königliche Freiheit von Hab und Gut, als er gesungen hat: “Wer will, der trag’ sich tot, wir reisen abgeschieden, mit wenigem zufrieden, wir brauchen’s nur zur Not.” Abraham wohnt im Zelt, denn Glaube ist Vertrauenssache.

3. Er wartet.

Gehen Sie mit mir nach Gerar, geradewegs zwischen Kadesch und Schur, irgendwo im Südland. Im Schatten eine Baumes, abseits des hektischen Nomadenlebens, sitzt Abraham. Er ist alt geworden, sehr alt. Der 100. Geburtstag liegt weit zurück. Vielleicht nimmt sich einer Zeit, setzt sich neben ihn und hört dem Patriarchen zu. Ganz sicher wird er von früher erzählen. Alte Leute erzählen immer von früher. Er hat unendlich viel erlebt. Die Sache mit Lot und dem Untergang Sodoms, die Geburts des Isaak und die Opferung auf dem Morija, der Tod Saras und das Begräbnis in Machpela. Ein Endlosband von Bildern zieht an unserem Auge vorüber, wenn wir an die Vergangenheit denken. Aber Abraham bleibt nicht an der Vergangenheit hängen, sondern wendet sich der Zukunft zu. Abraham klebt nicht am Gestern, sondern streckt sich nach dem Morgen. Abraham hält nichts von Rückblick, sondern wagt den Vorblick. Er wartet auf den Tag, an dem er nicht mehr weiterreisen muss. Er wartet auf ein Dach, das nicht mehr eingerollt werden muss. Er wartet auf eine Stadt mit festen Fundamenten. Das Zelt ist nicht das Letzte, und die müden Glieder sind auch nicht das Letzte, und die schweren Gedanken sind auch nicht das Letzte. Das Beste kommt erst, die Stadt, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Jesus hat diese Hoffnung bestätigt. “In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt, ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?” Warum schauen wir immer zurück? Damals als Vater und Mutter noch lebte und ich eine fröhliche und unbeschwerte Kinderzeit hatte. Damals als die Kinder noch zuhause waren und mit lautem Jubel das Haus füllten? Damals als die Freunde zu Besuch kamen und strahlende Feste gefeiert wurden. Damals als die Krankheit noch nicht war und volle Kräfte zur Verfügung standen. Damals, als die Welt noch in Ordnung war, ja damals. Solche Erinnerungen machen heimwehkrank und lassen uns weinen. Aber Abraham weint nicht, sondern er wartet. Es kommt der Tag, an dem wir nicht mehr weiterziehen müssen. Es kommt die Stunde, an dem seine Stadt sichtbar wird. Es kommt der Augenblick, wo er in Herrlichkeit erscheint. Der Passionsweg ist nicht das Ende der Wege Gottes. Die Kreuzesgestalt des Christenlebens ist nicht der Schluss der Gedanken Gottes. Alle Schatten weichen im Morgenglanz der Ewigkeit, deshalb brauche ich mich meiner Vorfreude nicht zu schämen. Abraham wartet, wohnt, wagt, denn Glaube ist Vertrauenssache.

Amen