Nachahmer Christi

Konrad Eißler
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Kinder ahmen ihren Vater nach. Konrad Eißler ruft auf, Mimen Gottes zu werden, Nachahmer, die sorgfältig, wörtlich, akribisch genau seinen Willen erfassen und im Leben verwirklichen wollen. - Predigt aus der Ludwig-Hofacker-Kirche in Stuttgart


Ums Nachahmen geht es, liebe Gemeinde. Nachahmung gibt es in der Musik. Komponisten ahmen ein Thema nach. Imitation, sagen die Musiker und meinen jenes wichtige Mittel polyphoner Mehr­stimmigkeit. Oder Nachahmung gibt es im Recht. Techniker ahmen ein Produkt nach. Verletzung des Urheberrechts, sagen die Juristen und denken an Patentrecht oder Warenzeichenrecht.

Nachahmung aber gibt es vor allem in der Pädagogik. Kinder ahmen den Vater nach. Der eine ist Lehrer. Seine Kinder spielen Schule. Das Esszimmer wird zum Klassenzimmer umfunktioniert. Der Bub steht an der Wand und kritzelt mit Filzschreiber auf die neue Raufasertapete. Dann wird Mutters Fotoalbum als Klassen­heft verteilt und darin Schönschreiben geübt. Höhepunkt ist immer die Vesperpause mit Trampolinspringen auf dem Elternbett. Kinder ahmen ihren Vater nach. Der andere ist Arzt. Seine Kinder spielen Krankenhaus. In der Küche ist die Ambulanz eingerichtet. Die Tochter bittet jedes Familienglied zur Vorsorgeuntersuchung. Der Puls wird mit der Eieruhr gemessen und die Zunge mit dem Maro*) abgestrichen. Die Küchenwaage bricht bei der Gewichtskontrolle zusammen. Kinder ahmen ihren Vater nach. Der dritte ist Pfarrer. Die Kinder spielen Kirche. Das ganze Pfarrhaus wird zum Gotteshaus. Die Mutter darf Mesnerin spielen und die Hausglocke bedienen. Die Schwester wird Organistin und legt eine Disc auf. Der kleine Bruder tritt auf den Balkon und ruft auf die Straße: “Liebe Gemeinde”. Kinder ahmen ihren Vater nach. Das ist nötig, denn ohne Nachahmung gibt es kein geistiges Wachstum, keine psychische Entwicklung, keine menschliche Reifung. Kinder müssen ihren Vater nachahmen, wenn sie nicht geistig verkrüppeln wollen. Lehrerskinder, Doktorskinder, Pfarrerskinder, alle Kinder, auch Gottes Kinder. Dazu gehören die, die er in der Taufe angenommen hat, obwohl an ihrem Leben nicht viel Annehmbares ist. Dazu gehören die, die er in der Bekehrung aufgenommen hat, obwohl in ihrem Leben nicht viel Aufnehmbares liegt. Dazu gehören die, die er durch Taufe und Be­kehrung in seine Familie adoptiert hat. Diesen Kindern gilt: Ahmt ihn nach. Folgt seinem Beispiel. Werdet Mimen des Herrn. Nicht Pantomimen, die für zwei Stunden die Leute faszinieren. Nicht Schauspieler, die einen Abend lang die Leute unterhalt­en. Nicht Bühnendarsteller, die in eine andere Rolle schlüpfen und Frömmelei mimen. Fromme Schminke ist schrecklich. Mimen Gottes sind Nachahmer, die sorgfältig, wörtlich, akribisch genau seinen Willen erfassen und im Leben verwirklichen wollen. Kinder ahmen ihren Vater nach. Dazu nur drei Unterstreichungen aus der Fülle des Textes.

1. Sie ahmen ihren lieben Vater nach …

… und nicht die liebe Diana, so wie in der Weltstadt Ephesus. Sie war Stadtgöttin und funkelte als vom Himmel gefallene Kolossalfigur in purem Gold durch den marmorschweren Artemisiontempel, der zu den 7 Weltwundern der Antike zählte. Einfach eine goldige Frau, die die Männerwelt nur so blendete. Sie war Kultgöttin und trug mit ihren Kornähr­en auf dem Arm ihre Fruchtbarkeit zur Schau. Einfach eine anziehende Frau, die die Pilger nur so anzog. Sie war Liebesgöt­tin und verkörperte das dolce vita mit Wein und Weib. Einfach eine aufreizende Frau, die mit ihren reizenden Liebesdienerinnen in einen Rausch versetzte. Lieb ist die Diana von Ephesus, hieß der viel tausendstimmige Chorus jenes Besucherstromes, der sich jahraus, jahrein zum Tempel hinaufstaute und der bis heute nicht abgerissen ist. Auch wenn sie nicht mehr im Tempel funkelt, weil dieses Weltwunder längst in Staub und Asche liegt, so lächelt sie auf Illustrierten, auf Postern, auf Leinwänden, auf Bildschirmen. Wo dargestellt wird ohne Scham, dort ist Diana. Wo befriedigt wird ohne Gewissen, dort ist Diana. Wo geliebt wird ohne Liebe, dort ist Diana. Wo getrunken wird ohne Hemmung, dort ist Diana. Sie ist zur allgegenwärtigen Citykönigin geworden, die immer mehr in ihren Bann schlägt.

Und der Apostel mahnt, auch wenn er nur ein einsamer Rufer in der Wüste ist: Ahmt sie nicht nach. Versteht den Willen des Herrn. Sauft euch nicht voll. Spielt nicht mit dem Feuer. Hände weg von jeder Art der Unreinheit. Glaubt denen nicht, die meinen, vor der Ehe Erfahrungen sammeln zu müssen. Glaubt denen nicht, die meinen, ohne Ehe mit einem Lebenspartner glücklich zu werden. Glaubt denen nicht, die meinen, neben der Ehe ein größeres Glück zu finden. Diana blendet. Diana betrügt. Diana lügt, denn sie verbindet Liebe mit Lust, und das führt in die Last der Sünde. Unser Herr verbindet Liebe mit Opfer, und das führt zur Freude. Liebe zeigt sich gar nie am Lustgewinn, sondern an der Opfer­fähigkeit. Nur wer gibt, schenkt, opfert, der liebt auch. Unser Gott war hochgradig opferfähig. Er gab seinen Sohn, seinen einzigen Sohn.

Unvergesslich der alte Witwer in der Kernerstraße, den ich oft besuchte. Beim ersten Besuch, einem Geburtstagsbe­such, wollte er mich gar nicht hereinlassen. Als ich läutete, rief er: “Mir brauchet nichts”. Als ich durch die zugefallene Haustür rief: “Ich bin der Pfarrer und möchte ihnen zum Geburts­tag gratulieren”, brummte er: “Was sich die Landstreicher alles einfallen lassen.” Dann aber schlossen wir Freundschaft. Weil sein Gedächtnis nicht mehr so gut war, endete jeder Besuch mit dem Hinweis auf ein Bild in der Stube. Darauf sah man einen jungen Soldaten. “Der ist in Stalingrad geblieben. Herr Pfarrer, der war mein einziger.”

Es gibt keinen größeren Schmerz, als Eltern den einzigen Sohn zu nehmen. Gott hatte nur einen einzigen Sohn. Den gab er freiwillig. Kein Krieg hat ihn gezwungen. “So hat uns Gott geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab”. Liebe zeigt sich am Opfer. Ahmt ihn nach, dann wird Liebe wied­er mit Schönem und Edlem und Beglückenden zu tun haben. Folgt seinem Beispiel, dann wird Verliebtsein kein Rauschzustand, in dem man den andern ausplündert, sondern ein Wartestand, in dem sich jeder auf morgen freut. Werdet Mimen Gottes, dann wird Ehe keine Nomadenexistenz, wo man Zelte abreißt und weiterzigeunert, dann wird Ehe keine Bienenexistenz, wo man Honig saugt und von Blüte zu Blüte fliegt, dann wird Ehe kein Taubenschlag, sondern lebenslange Zweierschaft auf dem Weg zur Ewigkeit.

Kinder ahmen ihren lieben Herrn nach.

2. Sie ahmen ihren weisen Herrn nach …

… - nicht die weise Diana, so wie in der Kultstadt Ephesus. Sie kassierte als Stargöttin Millionen. Arme Schlucker und reiche Bonzen griffen tief in die Tasche, um einen Hauch dieses Glück zu erwischen. Weise und reich ist die Diana von Ephesus und nicht dumm und arm wie ein Flittchen aus dem Milieu. Das wussten alle, auch Meister Demetrius, der smarte Juwelier in der Stadt. Dieser schlaue Geschäftsmann sagte sich: Diese käufliche Diana muss auch verkäuflich sein. Dieser gewiefte Businessman sagte sich: Diese reiche Diana muss auch reich machen. Dieser gerissene Marketingstratege sagte sich: Mit der mache ich den schnellen Euro. So entstanden in seiner Werkstatt silberne Nachbildungen, Dianas en miniature. Weil ein Run nach diesem wunderwirkenden Markenartikel einsetzte, musste Mister Demetrius Werkstätten bauen, Leute anstel­len, Nachtschichten fahren. Die bescheidene Boutique mauserte sich zum großflächigen Shoppingcenter. Kauft das Glück, mag ein Texter als Werbespot auf Anzeigen und Schaufenster geschrieben haben, und die Leute kauften.

Aber der Apostel mahnt: Ahmt’s nicht nach. Versteht den Willen des Herrn. Das Glück ist nie käuflich. Vielmehr: Kauft die Zeit, genauer: Kauft die Zeit aus. Es gibt nämlich eine böse Zeit, kranke Zeit, galoppierende Zeitschwindsucht. All die sind von diesem Virus befallen, die sagen: S’pressiert. Wenn es morgens zur Schule geht: S’pressiert. Wenn es mittags zum Essen geht: S’pressiert. Wenn es abends ins Kino geht: S’pressiert. Eine 85-Jährige sagte mir: “Wenn i en mei Haus und mei Garta schau, Herr Pfarrer, i komm net rom.” Ernst Jünger, der messerscharfe Zeitdiagnostiker, bezeichnete diese Krankheit als Monotonie der Pausenlosigkeit. Aber alle Zeitpatienten sollen daran erinnert werden: “Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.” Im Jahre 0 wurde nicht nur der Kalender, sondern auch die Uhr neu gestellt. Die Winterzeit des Todes wurde abgeschafft und die Sommerzeit des Lebens end­gültig eingeführt. Jetzt kann es wieder nach dem Zeittakt des Schöpfers gehen. Weil er der Herr aller Zeiten ist, will er auch der Herr meiner Zeit werden. Kauft die Zeit aus heißt: Die Arbeitszeit darf mich nicht mehr zu Tode hetzen. Er erlaubt Atemübungen für die erstickte Seele. Die Urlaubszeit darf mich nicht mehr durch die Gegend jagen. Er gewährt Pausen für den inneren Menschen. Die Krankheitszeit darf mich nicht mehr verzweifeln lassen. Er will in der Stille mit mir reden. Die Lebenszeit darf mich nicht mehr ins Grübeln bringen. Er weiß wohl, ob 50 oder 70 oder 90 Jahre genug für mich sind. Immer schaue ich auf Gottes Uhr, deren Zifferblatt die Bibel ist und deren Zeiger von den Balken des Kreuzes gebildet werden. Damals begann sie zu laufen, als er sprach: Es werde Licht. 12 Uhr mittags war es, als Jesus geboren wurde. 15 Uhr war es, als Jesus schrie: Es ist vollbracht. Jetzt läuft sie auf die letzte Stunde zu. “Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk’ die Ewigkeit.” Mit dem Zeitmesser weiß ich: “Meine Zeit steht in deinen Händen.”

Kinder ahmen ihren weisen Herrn nach.

3. Sie ahmen ihren großen Vater nach …

… - und nicht die große Diana so wie in Ephesus. Dort war Alarm. Die Predigt des Paulus, Gott wohne nicht in Miniaturen, hatte durchschlagenden, sprich geschäftsschädigende Wirkung. Die Verkaufszahlen gingen drastisch zurück und die Verkaufsbücher bilanzierten ein Nullwachstum. Mister Demetrius blieb auf seinen Glücksbringern hocken. Aus war es mit Lohnzuschlag und vorbei war es mit gesicherten Arbeitsplätzen. Die Furcht vor der Arbeitslosigkeit ging um. Deshalb wurde eine Demo angezettelt. Alle rannten Richtung Theater. Die 25.000 Sitzplätze waren im Nu besetzt. Dann fing einer an zu schreien: “Groß ist die Diana der Epheser”. Andere fielen ein: “Groß ist die Diana der Epheser”. Schließlich tobte der ganze Hexenkessel und gröhlte zwei Stunden lang: “Groß ist die Diana der Epheser”. Kaum einer wusste warum. Kaum einer blickte durch. Kaum einer kannte den Grund des Heidenspektakels. Weil alle liefen, lief man mit. Weil alle schrien, schrie man mit. Weil alle beteten, betete man mit. “Groß ist die Diana.”

Der Sog der Masse ist ungebrochen. Weil alle rennen, rennt man mit. Weil alle heulen, heult man mit. Weil alle schimpfen, schimpft man mit. Weil alle überzeugt sind, dass alles erlaubt sei, erlaubt man sich auch alles. Und der Apostel mahnt, auch wenn seine Stimme im Orkan der Meinungsmacher und Medienapostel fast unt ergeht: Ahmt sie nicht nach. Versteht den Willen des Herrn. Heult nicht mit den Wölfen. Traut den Angepassten nicht. Auch um Jesus tobte dieser Hexenkessel. Weil alle riefen, rief man mit: “Kreuzige ihn”. Aber dieser Herr ging seinen Weg, so wie Paulus und viele seiner Nachfolger, verachtet, aber getrost in der Gemeinschaft derer, die nicht nachbeten: Groß ist die Diana, sondern mitsingen: “Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke.” “Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern”, mahnt der Apostel und, nicht zu vergessen: “Sagt Dank, sagt Gott Dank, sagt Gott Dank allezeit für alles.” Ludwig Hofacker, und wer anders könnte in der Ludwig-Hofacker-Kirche das Schlusswort bekommen, schrieb im Jahre 1825, also 27-jährig, drei Jahre vor seinem Tod: “Näher kann man wohl nicht an der Ewigkeit stehen als ich im härtesten Nervenfieber darangestanden. Aber wo bleibt nur der Dank, dass der Herr mich unfruchtbaren Baum länger stehen lässt? Ach mein Heiland, wo bleibt denn der Dank?”

Darf ich Sie fragen in Ihrem Dunkel, in Ihrer Krankheit, in Ihren Sorgen: “Wo bleibt denn der Dank?”

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]

*) umgangssprachlich für Teigschaber