Lieber Herr, immer wieder merken wir am Jahreswechsel, wie schnell auch die Zeit unseres Lebens vergeht. Du hältst unser Leben und unsere Zeit in deiner Hand.
Heute Abend wollen wir wieder hören, was dir wichtig ist. An diesem Tag haben wir so viel geredet, so viel gehört und so viel gelesen. Dennoch soll dein Reden für uns das Wichtigste sein.
Rede zu uns. Wir wollen hören, was du uns zu sagen hast. Amen.
Einführung in den Epheserbrief und das Thema der Einheit
Wir befinden uns im Epheserbrief, Kapitel 4, Verse 7 bis 16. Beim letzten Mal haben wir über die Einheit gesprochen, die Christen zusammenführt und verbindet. Dieses Thema wird nun fortgeführt.
Es geht also um die Gemeinde der Christusgläubigen. Der Brief ist an die Gemeinde von Ephesus gerichtet. In dieser Gemeinde hat Paulus die Erfahrung gemacht, dass sich die Bevölkerung gegen ihn wandte. Die Menschen hatten Sorge, ihr Einkommen durch die Goldschmiedekunst zu verlieren, und deshalb griffen sie Paulus an.
In dieser Stadt ist eine lebendige und aktive Gemeinde entstanden. Paulus möchte dieser Gemeinde nun noch einmal wichtige Dinge mitteilen. Besonders interessant ist, wie der Epheserbrief immer wieder betont, dass Christus die Mitte ist, der einzige Zugang zu Gott. Nur durch Jesus kann man zu Gott kommen und die Gaben Gottes empfangen.
Heute spricht Paulus über die Verschiedenartigkeit unserer Arten und Typen.
Verschiedenheit und Gnadengaben in der Gemeinde
Wir haben schon beim letzten Mal darüber gesprochen, dass wir nicht alle gleich sind. Der Satz „Alle Menschen sind gleich“ ist ein dummer Satz, der irgendwo in der Französischen Revolution erfunden wurde. Das stimmt einfach nicht. Es gibt große und kleine Menschen, dicke und dünne, junge und alte. Es ist nicht so, dass alle gleich sind, sondern Männer und Frauen haben die gleichen Rechte.
Man muss immer unterscheiden, sonst kommt Unsinn heraus. Jeder Mensch soll die gleiche Möglichkeit zur Entfaltung haben, dann wird es richtig.
Jedem von uns ist die Gnade gegeben, nach dem Maß der Gabe Christi. Deshalb heißt es, dass er aufgefahren ist zur Höhe, Gefangene mit sich geführt hat und den Menschen Gaben gegeben hat. Aber was bedeutet das, dass er aufgefahren ist? Das heißt auch, dass er hinabgefahren ist in die Tiefen der Erde.
Der hinabgefahren ist, ist derselbe, der auch aufgefahren ist über alle Himmel, damit er alles erfülle. Er hat einige als Apostel eingesetzt, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer, damit sie zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden.
Das Ziel ist, dass wir alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollendeten Mann, zum vollen Maß der Fülle Christi. So sollen wir nicht mehr unmündig sein und uns nicht mehr von jedem Wind einer Lehre bewegen oder umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen.
Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und in allen Stücken wachsen, zu dem hin, der das Haupt ist, Christus. Von ihm aus ist der ganze Leib zusammengefügt, und ein Glied hängt am anderen durch alle Gelenke. Dadurch unterstützt jedes Glied das andere nach dem Maß seiner Kraft und Macht, damit der Leib wächst und sich selbst in der Liebe auferbaut.
Die Herrschaft Christi über alle Bereiche
Fangen wir mit der schwierigsten Stelle an. Manchmal verliert man die Lust beim Bibellesen, wenn ein Zitat kommt, und man nicht genau weiß, was Paulus meint.
Diese Verse acht und neun stehen im Zusammenhang und machen ganz klar deutlich, dass hier die Erfüllung eines alttestamentlichen Psalmenwortes beschrieben wird. Was will das bedeuten? Es wird gesagt, dass es keine Welt gibt, egal wie unterschiedlich sie gestaltet ist, die nicht von Jesus mit seiner Herrschaft beherrscht wird. Er hat alle Bereiche durchdrungen.
In der damaligen Welt gab es die Vorstellung, dass es verschiedene Höhen oder Sphären gibt, in denen sich göttliche Geister verbergen. Paulus sagt jedoch: Nein, das ist alles von Christus in Besitz genommen. Er nimmt auch das Gegenteil auf und sagt, dass Jesus unten in den Tiefen seine Herrschaft angetreten hat.
Immer wieder wird behauptet, die Bibel hätte ein Dreistockwerksdenken. Das ist Unsinn. Die Bibel hat kein naturwissenschaftliches Bild von der Welt. Sie spricht vielmehr zu den Denkvorstellungen der damaligen Zeit. Wenn sie also davon ausgeht, dass es „da oben“ noch etwas gibt, ist das ganz egal. Christus hat es in Besitz genommen. Wenn sie meint, es gäbe eine Unterwelt mit dunklen Mächten, hat Christus auch diese in Besitz genommen. Er ist der Herr über die dunklen Mächte.
Er hat alles in seiner Gewalt – oben und unten. Für Paulus ist es gar nicht wichtig, wie wir uns das vorstellen. Auf jeden Fall hat Jesus überall seine Herrschaft ausgebreitet.
Die Vielfalt der Gaben als Ausdruck göttlicher Gnade
Nun sagt Paulus: Dieser mächtige Christus, von dem er bereits im ersten Kapitel gesprochen hat, herrscht mit aller Gewalt. Er hat seine Gaben ganz verschieden verteilt, und jeder von uns hat die Gabe der Gnade unterschiedlich erhalten. Das ist wichtig zu respektieren. Wir sind also ganz verschieden begabt.
Warum nennt Paulus die Gaben nicht einfach so, wie wir sie aus dem Gleichnis kennen, mit den Talenten? Diese Bezeichnung ist doch auch bei uns im Sprachgebrauch bereits eingebürgert. Der eine hat das Talent, schön zu malen, der andere hat das Talent, gut zu reden, und der Dritte kann Musik machen – das ist ein Talent. Paulus verwendet jedoch einen anderen Begriff, weil es ihm darum geht, dass alle Gaben, die Gott uns gibt, unverdiente Gaben sind. Es sind Gnadengaben, die uns gratis und unverdient gegeben wurden. Niemand hat sich diese Gaben erarbeitet, sondern sie sind von Gott anvertraut worden.
Dann ein erschütterndes Erlebnis: Manchmal weiß man ja nicht, wer von uns zu den Predigthörern gehört. Jemand hat mir eine Adresse vermittelt und gebeten, eine Kassette dorthin zu schicken. Es stellte sich heraus, dass es ein junger Mann war, ein Student in Hohenheim, der seit zehn Jahren gelähmt ist durch eine misslungene Hirnoperation. Seit drei Jahren kann er weder sehen, noch schreiben, noch reden. Und jetzt sitzt er dort.
Irgendjemand hat es vermittelt. Ich dachte zunächst, für die Leute ist das sicher ärgerlich, wenn jemand Kassetten ins Haus bringt. Doch sie haben aufgeschrieben, was es für sie bedeutet. Mir wurde bewusst: Warum hat Gott mir Gesundheit gegeben? Ein junger Mann, der irgendwo in Württemberg in einem Ort lebt, verlassen, nur noch von seiner Mutter betreut. Da hat Gott mir Gaben gegeben.
Jede Bewegung, die ich machen kann, ist ein unverdientes Gnadengeschenk. Jedes Durchatmen meiner Lunge ist ein Gnadengeschenk Gottes. Wir denken das oft gar nicht richtig durch in unserer Natürlichkeit: dass ich klar denken kann, dass ich meine Sinne noch gebrauchen kann. Lobe den Herrn all den Ehren – da steht so schön drin, dass wir all das tun können.
Aber es gibt dann auch noch die Gnadengaben, dass ich glauben darf, dass ich sein Wort verstehen darf, dass er mir etwas aufgeschlossen hat.
Umgang mit schwierigen Bibelstellen und Gaben in der Gemeinde
Es ist schon bedauerlich, dass Christen beim Bibellesen in den Hausbibelkreisen oft so gern Probleme sehen. Dann wird über sehr schwierige Dinge gesprochen. Es gibt manches in der Bibel, das werden wir wohl nie vollständig verstehen.
Ich weiß auch nicht, wie ich mir Gott vorstellen soll. Gottvater brauche ich mir nicht unbedingt vorzustellen; ich kann es nicht erklären. Es gibt viele Dinge, über die man diskutieren kann, aber das bringt oft nichts.
In den Hauskreisen sollte man vielmehr immer wieder das mitteilen, was Gott einem offenbart hat, wo man eine Erkenntnis bekommen hat oder welche Gabe einem gegeben wurde. Aus der Fülle Gottes können wir Menschen immer nur einen Bruchteil begreifen.
Das Interessante ist: Welche Gabe hat er mir gegeben? Gerade im Hauskreis sollten doch die Gaben zum Vorschein kommen, sodass jemand sagt: „Das ist mir deutlich geworden.“ Ich freue mich sehr, dass am Sonntag auch im Gottesdienst Doktor Fehring ein Wort sagen wird. Er übernimmt jetzt eine Chefarztstelle in Bad Segeberg. Er ist einer jener Leute aus dem offenen Abend, der sich als Erwachsener als Arzt hat taufen lassen und einiges mit Gott erlebt hat. Auch jetzt soll er einfach der Gemeinde mitteilen, was er erfahren hat.
Es ist oft schade, wenn immer nur ich rede und Gemeindeglieder nicht auch einmal erzählen, was sie erfüllt hat und was sie entdeckt haben, wo Gott ihnen etwas geschenkt hat. Wir dürfen uns daran mitfreuen.
Uns ist die Gnade gegeben nach dem Maß der Gabe Christi. Das ist auch in der Erkenntnis sehr verschieden. Das Maß, wie viel da hineingeht – so wie man Mehl oder Grieß in einem Maßbecher abfüllt – so hat Christus das Maß bestimmt.
Es ist wunderbar, wenn man erlebt, dass es Menschen gibt, denen Jesus das Maß des Glaubens so voll gegeben hat, dass sie mit großer Freude glauben. Man darf darum bitten: „Herr, gib mir mehr von deiner Gabe!“
Das wird nun mit den Kapiteln 8 und 9 zusammengesehen. Christus hat darum die ganze Welt in Besitz genommen, damit wir von seinen Gaben nehmen können. Das sind die ganz natürlichen Gaben und die geistlichen Gaben – auch die Gaben der Weisheit und der Erkenntnis.
Man braucht sich da gar nicht zu verstecken. Manchmal gibt es Leute, die sagen: „Aber die Weisheit doch!“ Denken Sie an Daniel, wie er von Gott mit Weisheit beschenkt wurde. Wir dürfen sogar noch weiser werden – noch weiser! Wir haben nie genug.
Die meisten Leute meinen, sie seien schon sehr klug. Das ist immer schade. Man sollte immer denken: „Ich weiß noch viel zu wenig, ich möchte noch weiser werden.“ Man möchte lernen und nicht meinen, mit dem, was man hat, könne man schon alles beurteilen.
Das ist in den Kapiteln 8 bis 9 beschrieben, und in Vers 10 heißt es, dass er alles in allen erfüllen will.
Die Vielfalt der Gnadengaben und Ämter in der Gemeinde
Und jetzt spricht Paulus über die Gaben. Liebe Freunde, heute ist das doch eine Diskussion in der Christenheit. Sie haben das auch schon oft gehört: Was sind die Gaben, die Gnadengaben? Um die geht es hier.
Was sind die Gnadengaben? Wir haben Gnadengaben im 1. Korinther 12 aufgezählt. Schlagen Sie noch einmal auf. Wir hatten es doch vor mehr Jahren in der Bibelstunde: 1. Korinther 12, Vers 4. Dort heißt es: „Es sind verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist.“
Dann werden die Gaben aufgezählt, zum Beispiel in Vers 8: Einem wird die Weisheit gegeben, einem anderen die Erkenntnis, einem anderen die Gabe, zu heilen, einem anderen, Wunder zu wirken, einem anderen die prophetische Rede – das ist die treffende, ins Herz zielende Rede – einem anderen die Gabe, die Geister zu unterscheiden, einem anderen mancherlei Zungenrede und einem anderen die Gabe, Zungen zu deuten. Das ist eine Liste von Gnadengaben.
Wir haben ja lange darüber gesprochen. Es ist nicht zulässig, eine einzelne Gnadengabe herauszugreifen und zu sagen, wer diese nicht hat, hat den Geist nicht.
Im Römerbrief, Kapitel 12, haben wir eine andere Zusammensetzung der Gaben. Wir können sie auch noch einmal aufschlagen: Römer 12. Dort heißt es in Vers 6: „Wir haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“
Dort wird erwähnt, dass die prophetische Rede gegeben ist, die Lehre, die Ermahnung, jemand, der der Gemeinde vorsteht, und jemand, der Barmherzigkeit übt.
Wir sehen, dass in der Gemeinde von Korinth – wenn ich es recht sehe – das einzige Mal ist, wo Paulus auch die Gabe der Zungenrede hier mit aufnimmt, nur damit wir es auch richtig gewichten in den biblischen Aussagen.
Im Epheserbrief spricht Paulus gar nicht von irgendwelchen besonderen Gaben, sondern nur von Ämtern in der Gemeinde. Und das ist doch auch interessant. Nur so sehen wir, dass es also auch in der Bibel vorkommt. Er spricht dort von Aposteln und Propheten, von Evangelisten, Hirten und Lehrern. Er nennt fünf Gnadengaben.
Ganz deutlich ist damit, dass es nicht auf diese Ämter eingeengt ist. Es gibt ganz verschiedene Gnadengaben. Die Frage ist: Welche Gabe hat er ihnen gegeben? Was ist ihr Auftrag?
Die Vielfalt der Gaben und ihre Bedeutung im Gemeindeleben
Wenn Sie mich fragen, würde ich sagen, es gibt unendlich viele Gnadengaben. Das ist etwas ganz Wunderbares.
Wenn jemand mit seiner Liebenswürdigkeit auf Menschen zugehen kann, gelingt das einem anderen einfach nicht. Bei manchen ist alles verknotet. Oder wenn jemand gerne Besuche macht und das auch wirklich so gestaltet, dass es eine Erquickung für die anderen ist – das sind alles Gnadengaben.
Wenn jemand die Fähigkeit hat, Menschen aufzurichten, ohne sie zu verärgern, sind das ebenfalls Gnadengaben. Auch die Gabe zu fotografieren kann man als Gnadengabe ansehen. Oder wenn jemand künstlerisch begabt ist und etwas Schönes gestaltet.
Wir leben doch von all denen, die in aller Hilfsbereitschaft immer wieder Dienste tun. Es wäre ganz furchtbar, wenn wir irgendwo meinen würden, ein Dienst sei weniger wert als ein anderer, nur weil er vielleicht nicht so aussieht wie der andere.
Das sind alles Gnadengaben, mit denen ich Gott diene. Ich habe Ihnen ja immer wieder deutlich gesagt, dass die oft verborgenen Dienste in der Gemeinde die wichtigsten sind. Dort geschieht am meisten, und dort wird auch am meisten Frucht sichtbar.
Ich bin auch dankbar für alle, die mit ihren Stimmen im Chor dienen. Es gibt so unendlich viele Dienste. Unsere Frau Link zum Beispiel springt jetzt so sehr in die Presse, weil sie das Reinigen übernimmt. Das kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Sie tut das meiste freiwillig und umsonst, in einem Winter, in dem 800 Leute sonntags das Haus betreten.
Hier war am Sonntagmittag eine Versammlung mit bald 300 Leuten, und alles war wieder geputzt. Das sind alles Dienste. Der ganze Dienst, dem Herrn zu dienen, könnte nicht laufen ohne sie. Es wird einmal in der Ewigkeit sichtbar werden, was der Herr durch diese stillen Dienste gewirkt hat.
Was Menschen in Missionswerken tun, die im Verborgenen still arbeiten, die Buchhaltung in Ordnung bringen und Sendungen organisieren, das ist wichtig. Ebenso die Geber, die alles mit ihren Gaben geben – alles sind Gaben Christi.
Und dass Menschen sagen: „Das hat mir der Herr gegeben, ich will mit diesen Gaben wuchern.“ Es wäre sicher verfehlt, wenn wir die Gaben nur so verstehen würden, als wollten wir für uns ein Feuerwerk abbrennen. So bringen wir uns dem Herrn als Opfer dar.
Die fünf Ämter in der Gemeinde und ihre Bedeutung
Aber jetzt wenden wir uns den fünf Ämtern zu, die Paulus herausgegriffen hat. Ich möchte nochmals betonen, dass es nicht nur auf diese fünf Ämter beschränkt ist, aber diese fünf sind dennoch interessant.
Apostel – kann man heute noch von Aposteln sprechen? Nein, das Apostelamt in seiner ursprünglichen Autorität kann es heute nicht mehr geben, weil die Gemeinde auf dem Grund der Apostel gebaut ist. Diese Apostel waren die Zeugen der Auferstehung.
Zur Zeit des Paulus sagt er, dass das Apostelamt seine Gnadengabe sei. Doch das Apostelamt wurde nie fortgesetzt, weil ein Apostel nicht nachgewählt werden kann. Zwar werden im Neuen Testament öfter Personen als Apostel bezeichnet, aber in einem doppelten Sinn. Es gibt Wortüberschneidungen, ähnlich wie bei dem Wort „Herr“, das sowohl einen Herrenanzug als auch Christus meinen kann.
So gibt es im Neuen Testament für „Apostel“ eine Doppelbedeutung: Einmal den einzigartigen Apostel im engsten Kreis und zum anderen im Sinne von „Apostoleien“ im Griechischen, was „Senden“ bedeutet – also der Gesandte Gottes, der Missionar.
Die Autorität des ursprünglichen Apostelamtes kann nicht ersetzt werden, denn die Gemeinde baut auf dem Fundament von Petrus, Johannes und Paulus. Ein neuer Apostel, der heute eine zusätzliche Lehre bringt, kann nicht kommen. Auf der Königstraße kam einmal ein junger Mann und sagte, man brauche noch das Thomas-Evangelium. Dieses sei bis 1870 verschollen gewesen und nun aufgetaucht, mit der Behauptung, Jesus sei ein Hindu gewesen.
Es gibt immer wieder Leute, die neue Lehren bringen und behaupten, nur mit ihnen habe man die Wahrheit – wie das Buch Mormon, das man einfach hinten anhängt. Uns geht es jedoch darum, auf dem Grund der Apostel zu stehen. So ist das biblische Zeugnis.
Von diesem Amt gibt es heute nur noch die Gesandten, die sich mit den Evangelisten überschneiden. Wir beobachten nämlich etwas Interessantes: Paulus zog sehr schnell weiter, nachdem er Gemeinden gegründet hatte. Ich habe es nie genau nachgerechnet, aber die längste Zeit, die Paulus in einer Gemeinde blieb, waren höchstens ein bis anderthalb Jahre – wahrscheinlich sogar weniger.
Paulus evangelisierte kurz und überließ die Gemeinde dann anderen. Nun müssen Sie darauf achten, dass offenbar die Gaben des Apostels und des Evangelisten nicht immer zusammenfallen. Wenn jemand heute die Gabe der evangelistischen Rede hat, besitzt er meist nicht die Gabe, Hirte zu sein. Das ist bedauerlich.
Ein Hirte oder Hirtenlehrer, den ich gern zusammenfassen würde, sind ganz andere Personen. Sie reißen nicht so auf wie ein Evangelist und bringen die Leute in Bewegung, sondern sie erklären geduldig Zusammenhänge und haben viel mehr seelsorgerliche Zeit. Das sind ganz andere Gaben.
Diese Gaben kommen nicht einfach zur Deckung. Es ist immer schade, dass man nie das ganze Feld abdecken kann – das wäre auch unmöglich. Andere müssen diese Lücken ergänzen und in diese Aufgaben hineintreten, weil Gott nicht allen alles gibt. Die Gemeinde braucht eine Vielfalt von Ämtern.
Ich war immer dankbar, wenn Gerhard Ellermann als Hirtenlehrer eingesprungen ist. Das Bild eines Hirten ist immer schön, und auch der lehrhafte Dienst ist wichtig, weil er eine ganz andere Art von Dienst verlangt.
Im Neuen Testament gibt es zum Beispiel einen Mann, der Paulus sehr gut ergänzte: Apollos. Er scheint ein solcher Hirtenlehrer gewesen zu sein. Kaum war die Gemeinde evangelisiert, kam Apollos und baute sie auf dem Grund des verkündigten Evangeliums weiter aus. Er setzte die Dienste ein und organisierte.
Es ist in der Gemeinde oft so, dass man sich im Kirchengemeinderat einen Kirchenpräsidenten wünscht, wie ihn die Schweizer Gemeinden haben. Jemand, der viele organisatorische Dinge übernimmt, die ich als Prediger gerne tue, aber auch die Dienste verteilt, Termine bewacht und nicht so sprunghaft ist.
Das sind alles Dinge, die Gott gibt, und man soll immer die Vielfalt beachten. Es ist ungünstig, wenn alles auf eine Person zuläuft. Das kann nicht gut sein und entspricht nicht dem neutestamentlichen Bild.
Es sollte so sein, dass wir überlegen: Was wird durch wen abgedeckt? Was müssen wir durch andere Ämter ergänzen? Wie können wir die Verantwortung verlagern, damit wirklich alle Gaben der Gemeinde zur Entfaltung kommen?
Wichtig ist, dass Paulus die Ämter unterscheidet und sie nebeneinanderstellt. Das finde ich heute Abend sehr befreiend und wichtig für uns. Die evangelistische Rede ist etwas anderes als der Hirtenlehrer.
Ein Beispiel: Ein Prediger auf dem Killesberg ist ein typischer Hirtenlehrer, kein Evangelist. Anton Schulte ist ein typischer Evangelist. Wer Wilhelm Busch kannte, weiß, dass er Menschen ansprechen konnte. Auch wenn man heute „Jesus unser Schicksal“ liest, merkt man, dass er oft wenig Geduld mit Menschen hatte. Das liegt daran, dass Gott einem eine Gabe gibt, aber nicht alle Gaben.
Es wäre auch unsinnig, wenn jemand alle Gaben hätte. Dann wären wir nicht auf Zusammenarbeit angewiesen. Das gibt es überhaupt nie. Wir müssen sehen, wie wir die Vielfalt der göttlichen Gaben zusammenbringen.
Der Hirte ist im Bild klar, der Lehrer auch. Der Prophet gehört natürlich auch dazu. Der Prophet ist jedoch nicht derjenige, der Neues ankündigt – das war nur bis zur Abfassung des Neuen Testaments so. Danach gibt es keine neuen Offenbarungen über die Schrift hinaus.
Das wäre widersinnig und kann nicht sein, wenn man die Schrift ernst nimmt. Propheten sind heute diejenigen, die das Wort ins Bewusstsein rufen und es so aktualisieren, dass es in die Zeit hinein spricht.
All diese Ämter sollen zusammenwirken, damit die Heiligen zum Werk des Dienstes zugerüstet werden. Die Heiligen sind die Gläubigen. Das Ganze, was wir tun, sollte ein Trainerdienst sein. Wir sollen helfen, dass ihre Gaben zur Entfaltung kommen, dass sie ihre verborgenen Gaben entdecken und einsetzen.
Das ist leider oft ein Bereich, in dem ich mich unbegabt fühle. Ich hoffe, dass andere an dieser Stelle weiterwirken. Ich freue mich immer, was in den Hauskreisen geschieht. Das ist etwas, was in einer Predigtgemeinde oft brachliegt. Dort hören die Leute gerne zu.
Aber es sollte so sein, dass die vielen Gaben auch bei den Zuhörern zur Entfaltung kommen und sich vielfältig auswirken, damit die Heiligen zum Dienst zugerüstet werden.
Ohne diese Entfaltung der vielen Gaben bleibt die Gemeinde arm. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden. Der Leib Christi wird erst dort wirksam, wo alle verschiedenen Kräfte zusammenwirken und ein ganzer Organismus der Gemeinde zur Entfaltung und Tätigkeit kommt.
Die Entdeckung und Nutzung der Gaben als Schatzquelle
Es gibt ein schönes Beispiel aus Amerika: Ein Farmer hat nach Öl gebohrt. Eine Ölfirma kam auf sein Farmgelände und begann zu bohren. Er hatte das Land vor Jahren für wenig Geld gekauft. Plötzlich wurde er über Nacht zum Millionär, weil auf seinem Feld Öl gefunden wurde.
Genauso geht es uns, wenn wir entdecken, welche Gaben Gott uns gegeben hat. Da ist eine Quelle, durch die wir gestärkt werden. Das kommt nicht von uns selbst. Was jemand gibt, kann er gar nicht aus sich selbst schöpfen. Es ist alles von Gott anvertraut. Deshalb ist kein Stolz oder eine Einbildung möglich. Es sind alles Gaben, die Gott schenkt. Aber dieser Schatz, diese Kraftquelle, muss entdeckt werden.
Ganz ähnlich steht es im ersten Petrusbrief, Kapitel 4, Vers 10: „Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, als gute Haushalter der mannigfaltigen Gnade Gottes.“ Leider gibt es im Deutschen kein gutes Wort für „Haushalter“. Im Englischen ist das besser: Dort ist „Steward“ ein Hauptbegriff, besonders bei den Amerikanern. Man hört das praktisch am ersten Abend, wenn man in einer amerikanischen Gemeinde ist. Sie benutzen das Wort „Steward“, das ist der Haushalter. Der Steward ist auch derjenige im Flugzeug, der dafür sorgt, dass alle Leute gut verpflegt werden.
Der Steward darf seinen Schrank nicht einfach zumachen, sondern fragt: „Wünschen Sie noch etwas? Ich habe nur dieses, und Sie bekommen das.“ Wenn jemand Hunger hat, holt er noch einmal etwas. Er versorgt seine Leute. Das nennen sie „Stewardship“, die Haushalterschaft. Sie fragen: „Wie gehst du eigentlich mit deinen Gaben um? Was hat dir Gott anvertraut?“ Diese Gaben musst du zur Wirkung und zur Entfaltung bringen.
Hier liegt ein großes Versäumnis, auch in unserer Gemeinde, vielleicht durch meine fehlenden Gaben oder durch meine Ungeschicklichkeit. Aber ich möchte heute ermutigen: Seien Sie nicht ein Christ, der sich nur bedienen lässt. Fragen Sie Gott, was er mit Ihren Gaben will und wie sie sich entfalten können.
Ich möchte auch immer wieder Mut machen, dass wir sonntags, etwa während des zweiten Gottesdienstes, Seminare zur Entfaltung der Gaben anbieten. Nicht nur zur Frage für Verheiratete, zu Eheseminaren oder Erziehungsthemen – das ist auch ein Teil davon. Sondern: Wie kann ich heute als Christ im Beruf leben? Wie kann ich heute mit meinen Möglichkeiten dienen? Wie kommen die Gaben zur Wirkung? Wie kann man im Alter Gott dienen?
Man darf nicht einfach sagen: „Jetzt bin ich alt.“ Gott gibt mir doch Gaben. Wie kann ich sie noch richtig einsetzen, damit sie wirken können? Ich will sie nicht verkümmern lassen.
Ziel der Gaben: Einheit und Reife in der Gemeinde
Nun, sagt doch, all das soll dazu dienen, dass wir zur Einheit des Glaubens gelangen. Dieses Ziel wird erst in der Ewigkeit vollständig erfüllt werden. Leider gibt es in dieser Welt nie eine vollkommene Einheit.
Mich hat es immer abgestoßen, die Bilder zu sehen, wie am 1. Mai in Ostberlin, wenn die Massen marschieren, oder in Moskau auf dem Roten Platz. Es wäre erschreckend, wenn das die christliche Einheit wäre. Alle marschieren auf ein Kommando. Das könnte der Antichrist vielleicht noch einmal hinbekommen. Aber wir wollen nicht in dieser äußeren Einheit mitmarschieren, sondern in der Einheit des Glaubens und in der Erkenntnis seines Sohnes.
Es ist schön, wenn man heute schon spüren darf: Wir sind eins in der Liebe zu Jesus, wir sind eins im Glauben an ihn. Vielleicht gehört der andere einer ganz anderen Kirche an, aber wir sind eins. Einmal, in der Ewigkeit, werden wir vor seinem Thron stehen und ihm Lieder singen. Dann wird es keine Trennung mehr geben.
Ich möchte aber schon in dieser Welt etwas vom vollendeten Mann, vom reifen Mann darstellen. Das bedeutet, erwachsen zu sein. Das heißt auch, dass all die verschiedenen Gaben hier schon vorhanden sind.
Es ist etwas Schönes, wenn man sieht, wie in einer Gemeinde sowohl die Erkenntnis als auch die Liebe da sind. Man merkt jetzt plötzlich, wie die Betonung auf einigen speziellen Gaben manchmal gar nicht richtig ist. Das geht so nicht. Das ist, meiner Meinung nach, immer wieder ein Irrweg.
Denn die Vielfalt der Gaben hilft allen, damit sich die anderen umso mehr entfalten können. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht durch unsere eigenen Gaben gerade die anderen in ihrer Entfaltung behindern.
Verschiedene Dienste und Ämter in der Gesellschaft und Gemeinde
Ich habe immer an meinem Vater bewundert, wie er gerne sein Staatsamt ausgeübt hat. Es war für ihn eine Freude, einfach in der Verwaltung zu arbeiten oder sich nach dem Krieg ins Parlament wählen zu lassen.
Ich möchte Abgeordneter sein. Es ist eine große Freude, dass der Leiter der theologischen Schule, ausgerechnet von Medellin, Doktor Ortiz, in das kolumbianische Parlament gewählt wurde. Dieses Parlament hat eine riesige, überwältigende Guerilla unter Linken.
Was bedeutet es, wenn ein evangelistisch gesinnter Mann, ein Theologe, plötzlich im Parlament sitzt und das Vertrauen der Bevölkerung von Medellin gewinnt? Möge es ihm gelingen, dort zu wirken und ein Zeugnis zu sein. Dabei geht es nicht darum, fromme Sprüche im Parlament zu erzählen – das ist nicht der Platz dafür, weder im Bundestag noch anderswo. Vielmehr soll er in Sachlichkeit die Nöte des Landes ansprechen und die Weisheit, die Gott ihm gibt, einbringen.
Das ist immer wieder schön zu sehen. Wir wollen keine politisierende Predigt auf der Kanzel, aber Menschen, die sich berufen fühlen und die Gaben haben, sollen dort hingehen und dieses Amt wahrnehmen.
Es gibt viele Ämter, auch die verschiedenen Ämter, die wir haben. Diese dürfen nicht gering geachtet werden. Aber was ist mit mir? Ich bin Kaufmann oder ich arbeite in der Verwaltung. Sagen Sie das nicht einfach so ab! Es sind viele Gelegenheiten, in denen Gott Ihnen zeigt, wie Sie mit seiner Schöpfung umgehen können. Sie wirken dort an Menschen, und das hat eine große Bedeutung.
Das ist die volle Entfaltung der Reife des Leibes Christi, die Vielfalt der Gemeinde in ihren verschiedenen Ausprägungen. So bleiben wir nicht mehr unmündig und lassen uns nicht mehr von jedem Wind einer Lehre treiben und umherwehen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit denen sie uns arglistig verführen (Epheser 4,14).
Warnung vor falschen Lehren und Umgang mit Meinungen
Es muss auch in der ersten Gemeinde eine Not gewesen sein, dass die Leute auf jede neue Nachricht und Lehre hereingefallen sind, die jemand verkündigt hat. Es gab ja auch noch nicht das geschriebene Neue Testament. Daher war es kein Wunder, dass kaum ein neuer Evangelist auftauchte, und die Menschen ihm Glauben schenkten.
Paulus hat sich mit vielen von ihnen auseinandergesetzt, weil sie offenbar alle auch die Autorität des Paulus untergraben wollten. Sie waren mehr Schauspieler, die nur leere Worte von sich gaben. Paulus sagt jedoch, dass es nicht auf die äußere Erscheinung ankommt, sondern auf die Wirkung des Geistes, die im Verborgenen wirkt.
Es ist schön, wenn eine Gemeinde diese Reife besitzt, dass sie sich untereinander ausspricht und gemeinsam überlegt: Wie beurteilen wir die Dinge? Wie siehst du die Dinge? Wie verhalten wir uns richtig? Wir wollen nicht abhängig sein von irgendwelchen Modemeinungen oder aktuellen Themen.
Es ist vielleicht auch einmal der richtige Moment, um zu sagen, wie ich betroffen bin. Zum Beispiel davon, wie Lothar de Maizière sein Amt verloren hat. Nicht, weil ich mir ein Urteil darüber anmaße, ob er schuldig oder unschuldig ist, sondern weil ich betroffen bin, wie solche Vorgänge heute in der Öffentlichkeit abgehandelt werden.
Es wurde geprüft und gefragt: War er irgendwo ein Informant? Ich weiß, dass die Oberkirchenrätin, die 40 Jahre in diesem totalitären System gearbeitet hat, natürlich hier und da Kontakte haben musste. Die Kernfrage für mich ist: Hat er jemanden verraten? Dann ist er schuldig. Oder hat er seine Kontakte nur benutzt, um bedrohten Menschen zu helfen? Diese Frage wurde überhaupt nicht diskutiert. Was hat er wirklich getan? Das ist die entscheidende Frage.
Für mich ist es nicht wichtig, ob jemand in der Partei im Dritten Reich war. Entscheidend ist: Was hat er gemacht? Hat er gejubelt oder hat er Menschen beigestanden und ihnen geholfen? Ich glaube, das ist das Tragische in unserem Volk: Wir schießen Menschen heute viel zu schnell in der Öffentlichkeit ab.
Das sind alles Dinge, bei denen wir auch untereinander sensibler werden müssen, wenn wir Vorgänge beurteilen. Wir brauchen jemanden, der uns immer wieder zur Sachlichkeit zurückholt. Die Medien verführen uns heute zur Leidenschaft, und so werden wir alle normiert, sodass das ganze deutsche Volk heute auf eine bestimmte Weise redet.
Ich kann mir vorstellen, dass wir wie die Palästinenser dem Hussein zujubeln, und wenn die Medien uns anders informieren, jubeln wir eben in die andere Richtung. Das sieht man immer wieder, wenn man die aufgepeitschten Massen in Teheran beobachtet. Wir sind sehr beeinflussbar durch solche Dinge.
Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht durch trügerische Meinungen hin- und herwerfen lassen, sondern dass wir eine eigene Meinung bilden – in wesentlichen Fragen unseres Lebens. Wir sollten nicht einfach nur das übernehmen, was gerade alle Welt sagt.
Wachstum im Glauben und in der Liebe
Und dann in allen Stücken zu dem hinwachsen, der das Haupt ist. Wachstum im Glauben – das ist jetzt auch noch ein wichtiger Punkt – bedeutet nicht, immer größer zu werden.
Früher habe ich mir das auch so vorgestellt: Wenn ich einmal wachse, dann werde ich immer besser, immer vollkommener, immer mitreißender. Das stimmt nicht. Vor ein paar Tagen habe ich ein Gemeindeblatt gelesen, in dem jemand schrieb – ich weiß nicht, wie oft das Wort vorkam –, es war richtig stark, was wir erlebt haben, war stark, und das war stark, und alles ist stark.
Was Paulus meint, ist: Wir werden immer abhängiger von Christus. Wir wachsen immer mehr zu Christus hin. Und es mag sogar sein, dass wir äußerlich immer ohnmächtiger werden, aber innerlich werden wir immer mehr bedürftig nach Christus.
David hat zum Beispiel gesagt: „Ich will immer schwächer werden, ich will niedriger werden“, als er die Bundeslade nach Jerusalem hereingeführt hat. Er wollte nicht größer sein.
Es ist ein ganz falsches Denken, wenn man meint, man müsse heute irgendwo vor der Welt imponierend auftreten. Ich will auf Christus hinwachsen. Christus soll in mir immer stärker zum Zug kommen, in all meinen Gedanken zum Sieg kommen, mich mehr durchdringen. Das ist Wachstum.
In Wort und Werk und allem Wesen sei Jesus und sonst nichts zu lesen. Darum gehören für uns auch das Kreuz und das Leiden zum Wachsen dazu, weil wir oft nur dadurch wachsen, dass uns der Herr Schweres auferlegt.
Und lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe – das ist so eine tolle Paulusformulierung. Wenn ich wahrhaftig bin, dann sage ich einem anderen ins Gesicht, was ich denke, mit ganz spitzer, scharfer Zunge. Dann sagt sie: „Sie sind der größte Esel, der über diese Welt gelaufen ist.“ Da bin ich wahrhaftig, aber nicht in der Liebe.
Wenn ich einem sage: „Das hast du falsch gemacht“, bin ich wahrhaftig, aber nicht in der Liebe. Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe – eigentlich hebt sich das auf. Und er meint nicht diese verkrampfte Liebe, sondern die, die den anderen wirklich sucht. Dass das in einer Gemeinde Platz haben muss – wahrhaftig in der Liebe.
Wir haben ja letztes Mal viel über den Umgang miteinander gesprochen, aber hier noch einmal: Und dann sagt er, von Christus aus wächst der ganze Leib zusammen, und einer hängt am anderen.
Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung in der Gemeinde
Ich möchte noch einmal wiederholen, was ich beim letzten Mal gesagt habe. Manchmal tut es mir weh, wenn Sie nicht verstehen, warum ich so darauf bestehe, dass wir unter anderem auch durch Grüßen auf andere zugehen müssen. Das ist wichtig, weil wir sonst gegenüber den anderen schuldig werden.
Im Gottesdienst ist es nicht in Ordnung, dass Ehepaare sich unterhalten. Das können Sie zu Hause tun, dort haben Sie genügend Zeit. Aber während des Gottesdienstes müssen Sie sich um die anderen kümmern. Ich verlange nicht, dass Sie sich getrennt setzen, aber Sie sollten darauf achten, wer in Ihrer Nähe Zuwendung braucht, gerade wenn wir schon die Unruhe im Gottesdienst verursachen.
Leider kann ich meinen Jugendlichen im Jugendkreis das nur schwer beibringen. Sie erzählen sich dort ihre neuesten Neuigkeiten. Doch oben auf der Empore sitzen immer einige junge Leute, die völlig einsam sind. Das ist sehr schwer. Diese Menschen werden nie in die Gemeinschaft aufgenommen, wenn wir uns nicht überwinden, einmal zu sagen: „Den kenne ich nicht, ich möchte einfach nett sein.“
Ich hoffe, dass daraus eine Brücke entsteht. Dann möchte ich sehen, wie ich dem anderen Menschen dienen kann. Es gibt viele Leute, denen wir nichts geben können. Es gibt auch Menschen, die uns ausnutzen wollen. Das spielt aber keine Rolle. Der ganze Leib Christi kann sich nur entfalten, wenn wir anderen die Möglichkeit geben, Kontakt zu finden. Das ist doch nur der erste Schritt.
Wir müssen auch überlegen, wen wir einmal einladen oder mitnehmen können. Wem können wir Raum geben? Familien mit kleinen Kindern können an Weihnachten oft niemanden einladen. Aber es gibt auch wieder Zeiten, in denen man sagt: „Doch, da hat mir Gott etwas vor die Füße gelegt.“ Dann feiern wir eben miteinander, weil das bei uns möglich ist und so weiter. Und das ist auf einmal schön, wenn der Leib Christi zusammenwächst.
Ich danke auch all denen, die die Wanderungen und andere Möglichkeiten nutzen. Aber es gibt noch viel zu tun, denn der Leib Christi wächst auch durch viele äußere Begegnungen zusammen. So können wir einander den Dienst der geistlichen Gemeinschaft erweisen.
Schlussbetrachtung zur Vielfalt der Gaben und Ämter
Ich glaube, es war ganz praktisch, dass wir gesehen haben, wie Paulus das sieht. Es steckt eine große Fülle darin. Ich wollte es an ein paar Stellen eigentlich ausführlicher machen, aber ich denke, es ist deutlich geworden, wie die Ämter und Gaben verschieden sind, wie die Gaben einander bedingen und wie das der Reichtum der Gemeinde ist.
Leider gab es in der Kirchengeschichte eine verhängnisvolle Entwicklung: Diese Ämter wurden zu Autoritäten, und das Amt mit großem „A“ wurde so stark, dass der andere, der Laie, hinauskatapultiert wurde. Wo steht das eigentlich in der Bibel, der Laie? Der Laie ist doch auch ein Geistlicher. Die Geistlichen sind doch die Laien; sie müssen auch die Gnadengaben des Geistes, also die Geistesgaben, haben. Wo sind die? Das ist eine völlig falsche und unsinnige Denkweise.
Plötzlich wurde die Konfession viel wichtiger. Wenn wir das nicht wirklich wieder zurückgewinnen und sagen, wir wollen keine Bilderstürmer sein, aber das Biblische doch behalten, nämlich dass die Gaben verschieden sind, dann unterscheiden wir nur nach Funktionen. Darf ich es im Fremden mal so sagen: Wir unterscheiden nach Funktionen. Der macht das. Es hat keinen Wert, wenn 400 Leute die Kasse machen wollen. Das muss ja einer machen. Das Amt, die Funktion, wird dafür abgestellt.
So gibt es Funktionen, die wir verteilen und sagen: Das sind die Leute, die berufen wir in ein Leitungsamt, und die berufen wir dorthin. Für Paulus war es nur wichtig, dass diese Ämter in ihren Funktionen möglichst harmonisch zusammenarbeiten. Das ist ein ganz rationaler Gesichtspunkt, und das ist fast ein moderner Begriff.
Es gibt nur die Frage, wie wir zweckmäßig Dinge organisieren können, damit sie reibungslos funktionieren. Einen Anspruch oder gar einen hierarchischen Anspruch, den einer von oben herab diktiert, finden wir bei Paulus nicht. Ich meine auch, dieser Anspruch sei weitgehend entbehrlich.
Denn sobald wir diese Ämter haben, entsteht sofort die konfessionelle Trennung. Dann kommt die Frage nach der Kirche auf, und plötzlich wird die Kirche in ihrer Heilsbedeutung betont, statt dass wir einander auch in einer Verschiedenartigkeit achten.
Es gibt Ämter, die gehören mehr zur Ortsgemeinde, und es gibt Ämter, die sind mehr übergreifend. Der Dienst des reisenden Evangelisten, wie ich ihn einmal nennen will, der von Ort zu Ort geht, ist ein übergemeindlicher Dienst. Der Hirtenlehrer hingegen bleibt mehr sesshaft an einem Ort und bringt die Gemeinde zum Wachsen und zum Aufbauen.
