Einführung in den Philippabrief und sein Verfasser
Wir wollen uns heute und auch in den nächsten Tagen mit dem Philipperbrief beschäftigen. Ich möchte euch bitten, ihn gleich einmal aufzuschlagen. Heute Morgen werden wir uns mit den ersten elf Versen beschäftigen.
Zuerst möchte ich euch jedoch eine kleine Einleitung zum Philipperbrief geben. Falls ich das nicht benötige, lege ich es mal ein bisschen beiseite.
Zum Philipperbrief: Vor welchem Hintergrund wurde er geschrieben? Wer sind die Empfänger? Und was ist der Inhalt des Briefes? Dazu zunächst ein paar allgemeine Anmerkungen.
Zuerst einmal ist Paulus der Verfasser dieses Briefes, was auch ganz offensichtlich ist. Schon im Gruß schreibt er: „Paulus und Timotheus, Knechte Christi Jesu, an die Heiligen in Christus Jesus in Philippi samt den Bischöfen und Diakonen.“ Hier wird klar vorgestellt, dass Paulus der Verfasser ist.
Paulus befindet sich zu diesem Zeitpunkt in Gefangenschaft, sehr wahrscheinlich in der Gefangenschaft, die auch in der Apostelgeschichte erwähnt wird, nämlich in Rom. Das lesen wir auch in Kapitel 1, Vers 19. Dort schreibt er: „Denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und euren Beistand, wie ich sehnlich warte und hoffe, dass ich in keinem Stück zu Schanden werde, sondern frei und offen, wie alle Zeit, so auch jetzt Christus verherrlicht werde.“
In Vers 21 heißt es dann nochmals: „Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn.“ Das ist für Paulus nicht nur ein Gedanke an Selbstmord oder Überdruss am Leben, sondern ein Ausdruck seiner Haltung. Er steht vor Gericht und weiß nicht genau, wie es ausgehen wird. Entweder könnte er hingerichtet werden mit dem Vorwurf, Unruhe im Römischen Reich gestiftet zu haben, oder er könnte auch wieder frei werden und dann das Evangelium weiterverbreiten. Das schreibt er später auch noch aus.
Das führt er auch in den folgenden Versen bis Vers 26 aus. Paulus ist zu dieser Zeit höchstwahrscheinlich in Rom gefangen. Er sieht dieses Leiden, in dem er sich befindet, als von Gott geschickt an. Das ist also für ihn kein Zufall, sondern Gott hat ihn in diese Situation hineingestellt.
Darauf werden wir später noch eingehen, zum Beispiel in Kapitel 1, Vers 7: „Wie es denn recht und billig ist, dass ich von euch allen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit der Gnade teilhabt an meiner Gefangenschaft.“ Hier erwähnt er die Gefangenschaft noch einmal extra und es sieht so aus, als ob er davon ausgeht, dass diese von Gott geschickt ist und nicht nur reiner Zufall.
In Kapitel 3, Vers 10 und 11 lesen wir das noch einmal: „Ihn möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tod gleichgestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten.“
Das heißt, die Gemeinschaft seiner Leiden will er vermutlich so ausdrücken: Gott hat ihn als würdig angesehen zu leiden. Jesus hat gelitten, und Paulus leidet auch. So wie Jesus sagt: „Mich haben sie verfolgt, euch werden sie verfolgen.“ Paulus hebt darauf ab und sagt, dieses Leiden, in dem ich mich befinde, ist kein Zeichen dafür, dass Gott mich vergessen hat. Es ist vielmehr eine notwendige Konsequenz, weil ich Jesus nachfolge.
Am Ende wird es so herauskommen, dass Gott triumphieren wird, egal wie es ausgeht. Ob Paulus umkommt oder befreit wird, Gott wird triumphieren.
Übrigens ist das auch eine wichtige Perspektive für uns, wenn wir in Leidenssituationen sind. Wir leben sicherlich in einer Generation, in der wir den Eindruck haben, Gott verherrlicht sich ausschließlich dadurch, dass er uns von Leid befreit – Krankheit beseitigt, finanzielle Probleme löst, Eheprobleme oder Probleme mit Kindern und Gesundheit beseitigt. Aber das ist nicht immer der Fall.
Manchmal verherrlicht sich Gott auch dadurch, dass er uns beisteht und den Menschen zeigt: Ich gebe demjenigen Kraft, auch im Leiden an mir festzuhalten und nicht nur in Frustration zu versinken.
Paulus vertraut hier ganz auf Gott, egal was herauskommt. Gott wird dadurch triumphieren.
Paulus und sein Netzwerk in Philippi
Er nennt in dem Brief an einigen Stellen auch einige seiner Mitarbeiter, die wir häufig vom Durchlesen kennen. Einige begegnen uns an anderen Stellen, andere werden nur im Philipperbrief genannt.
Wir bekommen hier einen festen Eindruck davon: Paulus ist Teamarbeiter. Er ist also nicht nur der Selfmade-Man, der Alleinunterhalter oder derjenige, der nur auf sich vertraut. Wir merken ganz stark, dass er eingebunden ist in ein Netzwerk. Das schreibt er ja auch ausführlich im 1. Korintherbrief, wo er sagt, dass jeder seine Gabe von Gott bekommen hat. Diese Gaben sind wie die Organe und Glieder am Leib eines Menschen. Er betont, dass die Hand nötig ist, das Auge notwendig, der Mund wichtig – alles ist notwendig.
Das drückt er hier auch ganz deutlich aus, indem er immer wieder auf bestimmte seiner Mitarbeiter zu sprechen kommt. In Philipper 1,1 nennt er Paulus und Timotheus. Hier stellt er seinen Mitarbeiter scheinbar gleichberechtigt neben sich. Er ist nicht nur der Chef, sondern Timotheus grüßt genauso, schreibt auch genauso und steht genauso dahinter.
Das erste Mal haben wir das schon in Philipper 1,14 und folgende. Dort schreibt er, dass seine Fesseln für Christus im ganzen Praetorium und bei allen anderen offenbar geworden sind. Er ist gefangen im Praetorium, ebenso bei der Wachabteilung im römischen Palast. Dann steht da, dass die meisten Brüder im Herrn durch seine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen haben. Offensichtlich sind hier einige andere Brüder, die er nicht namentlich erwähnt, bei ihm. Durch diese Zeit seiner Gefangenschaft und wie er das erträgt, wie Gott ihm im Leiden und in der Gefangenschaft beisteht, sind sie ermutigt worden. Auch diese erwähnt er hier.
Weiter schreibt er, dass einige zwar predigen, dass Christus aus Neid und Streitsucht, also aus unlauteren Motiven, gepredigt wird. Aber diese erwähnt er hier fast noch als Leute, die an demselben Strang ziehen.
In Philipper 2,25-30 werden noch ein paar Personen erwähnt. Paulus schreibt, dass er es für nötig angesehen hat, den Bruder Epaphroditus zu ihnen zu senden. Dieser ist sein Mitarbeiter und Mitstreiter, ihr Abgesandter und Helfer in seiner Not. Hier betont Paulus besonders den Epaphroditus.
In Philipper 4,10 werden dann noch weitere Personen erwähnt, die mithelfen, zunächst die Gemeinde in Philippi ganz allgemein. Dann nennt er auch zwei Frauen, die sich dort streiten: Euodia und Syntyche. Auf sie werden wir später noch zu sprechen kommen. Sie scheinen in der Gemeinde eine Rolle gespielt zu haben und waren offenbar auch Mitarbeiterinnen. Zwar im unguten Sinn, aber das heißt nicht, dass sie nicht auch positiv zur Gemeinde beigetragen haben.
Es ist allerdings schade. Wir werden später noch darauf eingehen: Von ihrem ganzen Leben bleibt das, was die Leute Jahrhunderte und Jahrtausende später immer noch im Kopf haben, dass sie sich mal gestritten haben. Das war alles. Was sie sonst noch gemacht haben – wie oft sie Kinderstunden gehalten, den Hauskreis besucht, Kuchen gebacken oder sonst etwas – das steht da nicht. Offenbar war dieser Streit so dominant oder so wichtig, dass Paulus es hier erwähnen musste und alles andere in den Hintergrund trat.
Das ist der Hintergrund: Paulus steht nicht alleine da. Er hat ein enges Beziehungsgeflecht zur Gemeinde in Philippi und gleichzeitig zu den Brüdern, die er erwähnt, die in Rom bei ihm sind, im Praetorium, während seiner Gefangenschaft.
Die Stadt Philippi: Strategische Bedeutung und Gründung
Philippi ist eine Stadt, die damals strategisch relativ wichtig war. Wenn ihr in eurem Bibelatlas nachschaut, findet ihr Philippi. Dort könnt ihr die Reise nach Rom verfolgen: Zuerst seht ihr Kleinasien, also das heutige Gebiet der Türkei, dann Griechenland und schließlich Italien. Wenn ihr in Griechenland in Richtung Schwarzes Meer schaut, findet ihr Philippi.
Philippi wird besonders in Apostelgeschichte 16 erwähnt. Paulus kommt dorthin, weil er des Nachts einen Traum oder eine Vision hat. Ein Mann aus Mazedonien sagt ihm: „Komm herüber und hilf uns.“ So überwindet Paulus die Grenze von Asien nach Europa. Für uns mag die Türkei oder Israel noch nicht wie Asien wirken, aber kulturell gesehen verläuft dort eine Grenze. Diese wird heute noch diskutiert, etwa im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt der Türkei: Gehört die Türkei nun zu Europa oder nicht? Der erste Schritt nach Europa führt also über Philippi.
Philippi spielt eine wichtige Rolle, auch wenn ihr das auf Karten nicht immer gut sehen könnt. Dort verläuft nämlich ein Gebirgszug, und ein Pass führt über die Berge. Deshalb liefen die meisten Handelsverbindungen von Asien nach Europa über Philippi. Heute kann das jemand noch erleben, der zum Beispiel nach Italien in den Urlaub fährt und dabei über die Alpen fährt – so wie wir es in diesem Jahr getan haben. Man merkt, wie steil es dort hochgeht. Ich habe mir oft gedacht: Wenn ich das zu Fuß gehen müsste, wären das vielleicht tausend oder zweitausend Meter über einen Pass. Meistens gibt es oben eine Station, an der man sich ausruhen kann. Früher lief der gesamte Verkehr darüber, doch es gab keine Tunnel durch die Berge. Deshalb war diese Stelle strategisch sehr wichtig.
Das zeigt sich auch an der Gründung der Stadt. Philipp von Mazedonien, der Vater von Alexander dem Großen, gründete die Stadt 368 v. Chr., um diese wichtige Stelle kontrollieren zu können. Später spielte Philippi immer wieder eine wichtige Rolle in verschiedenen Schlachten. Zum Beispiel besiegte Antonius dort seinen Widersacher Cassius. Die Einwohner von Philippi erhielten schnell das römische Bürgerrecht.
Das war eine Besonderheit, denn Rom war ursprünglich nur ein Stadtstaat. Wenn wir von den Römern sprechen, denken wir oft an ganz Italien, aber am Anfang war Rom nur die Stadt Rom. Es gab viele andere Reiche und Städte. Im Laufe der Jahrhunderte wurden immer mehr Städte in Italien unterworfen. Diese Städte waren aber nicht automatisch Römer. Sie mussten ein spezielles Bürgerrecht erhalten. Nur mit diesem Bürgerrecht hatten sie Wahlrecht, juristische Rechte und Steuerrechte – also einen Sonderstatus.
Je mehr sich das römische Reich ausdehnte, desto weniger genügte die Bevölkerung Roms, um alles zusammenzuhalten. Deshalb gründete man verschiedene Kolonien oder gab Städten eine besondere Stellung, wenn sie strategisch wichtig waren. Viele dieser Kolonien wurden mit Veteranen besiedelt – also ehemaligen Soldaten mit ihren Familien. Sie sollten eine Art Sicherheit bilden, falls es zu Aufständen oder Angriffen kam. Zwischen den Kolonien, die meist 20, 50 oder 100 Kilometer auseinanderlagen, gab es gute Straßen. So konnte eine Kolonie der anderen schnell zu Hilfe eilen.
Normalerweise waren diese kleinen Kolonien etwa 300 Soldaten mit ihren Familien. Sie sollten im Notfall zurückschlagen können. In größeren Städten war die Zahl noch höher. So müssen wir uns auch Philippi vorstellen. Dort gab es eine Gruppe von Römern, eine von Griechen, eine von Juden und eine von Sklaven. Die Römer fühlten sich dort als Elite. Sie waren stolz darauf, Römer zu sein und wollten Rom im Kleinen abbilden.
Das lesen wir auch in Apostelgeschichte 16, Vers 20: „Und führten sie den Stadtrichtern vor und sprachen: Diese Menschen bringen unsere Stadt in Aufruhr. Sie sind Juden und verkündigen Ordnungen, die wir weder annehmen noch einhalten dürfen, weil wir Römer sind.“ Das heißt, Paulus und seine Anhänger wurden vor die Stadtrichter geführt. Die Römer fühlten sich als Elite, weil sie ursprünglich zur römischen Armee gehörten und einen besonderen Status im römischen Reich hatten.
Paulus spricht diesen Stolz der Römer auch in Philippa 3, Vers 20 an. Dort schreibt er: „Unser Bürgerrecht aber ist im Himmel, woher wir auch erwarten den Heiland, den Herrn Jesus Christus.“ Er macht deutlich, dass das Bürgerrecht wichtig ist. Heute verstehen wir darunter meist die Staatsangehörigkeit, zum Beispiel die deutsche. Im Römischen Reich aber hatten nur wenige das römische Bürgerrecht. Die meisten waren Bürger zweiter Klasse.
Die Römer fühlten sich durch Paulus angegriffen. Er brachte ihre Ordnung durcheinander. Sie hatten eine strenge Einteilung: Wie läuft ein römischer Gottesdienst ab? Wie funktioniert das römische Staatswesen? Paulus störte ihre Bürokratie und öffentliche Ordnung. Deshalb sollte er schweigen. Das war der Vorwurf.
Hier zeigt sich, wie die Römer sich selbst verstanden. In der Gemeinde gab es offenbar auch Römer, die stolz darauf waren, Römer zu sein. Sie schauten möglicherweise auf diejenigen herab, die das römische Bürgerrecht nicht hatten. Paulus ermahnt sie, dass das Wichtigste nicht das römische Bürgerrecht ist, sondern die Zugehörigkeit zum Reich Gottes.
Die Gründung der Gemeinde in Philippi und die Missionsreise
Nun kommen wir wieder zurück. Paulus gründet diese Gemeinde in seiner zweiten Missionsreise. Das ist hier in Apostelgeschichte 16. Ich werde jetzt einmal, damit wir das alle gleichermassen im Kopf haben, Apostelgeschichte 16 vorlesen. Ihr könnt gerne mitlesen, dann haben wir alles im Kopf, was Paulus denkt, wenn er diesen Brief schreibt.
Natürlich hat er noch viel mehr erlebt, denn er ist monatelang in dieser Stadt, in dieser Gemeinde gewesen. Wir haben nur einen kleinen Ausschnitt, der uns hier repräsentativ vorgestellt wird. Aber das ist eben alles, was wir heute von dieser Reise wissen.
Er kam auch nach Derbe und Lystra. Dort war ein Jünger mit Namen Timotheus, der Sohn einer jüdischen Frau und gläubig war, und eines griechischen Vaters. Dieser hatte einen guten Ruf bei den Bürgern in Lystra und Ikonien. Paulus nahm ihn mit und beschnitt ihn wegen der Juden, die in jener Gegend waren, denn sie wussten alle, dass sein Vater ein Grieche war.
Als sie durch die Städte zogen, übergaben sie den Gemeinden die Beschlüsse, die von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem gefasst worden waren, damit sie sich daran hielten. Das haben wir ja gerade in Apostelgeschichte 15, das sogenannte Apostelkonzil, wo beschrieben wird, woran sich auch die Heidenchristen von den jüdischen Gesetzen halten sollen. Hier heißt es, sie sollen sich enthalten von Unzucht, vom Erstickten und vom Blut. Diese Beschlüsse wurden den Gemeinden hier mitgeteilt.
So wurden die Gemeinden im Glauben gefestigt und nahmen täglich an Zahl zu. Hier merken wir wieder: Evangelisation war Tagesgeschäft, nicht nur einmal im Jahr. Es war ganz normal, dass man über den Glauben sprach und täglich Leute dazu kamen.
Sie zogen durch Phrygien und das Land Galatien, das heißt, Paulus war noch in Asien, in der heutigen Türkei. Dort wurde ihnen vom Heiligen Geist verboten, das Wort in der Provinz Asien zu predigen. Provinz Asien bedeutet hier nicht der Kontinent Asien, sondern das Gebiet, das früher die römische Provinz Asia war.
Als sie bis nach Mysien gekommen waren, versuchten sie, nach Bithynien zu reisen, doch der Geist Jesu ließ es ihnen nicht zu. So zogen sie durch Mysien und kamen hinab nach Troas.
Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: Ein Mann aus Mazedonien stand da und sprach zu ihm: „Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.“ Mazedonien gehört zu Griechenland, im Norden Griechenlands, dort, wo wir später Philippi finden.
Als Paulus die Erscheinung gesehen hatte, suchten sie sogleich, nach Mazedonien zu reisen, im festen Glauben, dass Gott sie dorthin berufen hatte, um das Evangelium zu predigen.
Wir merken hier, Paulus ist nicht allein unterwegs. Er spricht in der Wir-Form, also in der Mehrzahl. Kurz vorher hat er Timotheus angeheuert, der bei ihm bleibt bis zum Ende seiner Reisen, soweit wir das aus der Apostelgeschichte wissen. Auch in den Timotheusbriefen wird deutlich, dass Timotheus derjenige ist, der am meisten nach Paulus’ Geschmack, Geist und Sinn handelt. Er ist also mit dabei.
Wir wissen auch, dass überall, wo von „mir“ die Rede ist, der Verfasser mit dabei ist. Das ist Lukas, der das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte geschrieben hat. Hier sind also mindestens diese drei Personen unterwegs: Paulus, Timotheus und Lukas. In den meisten Fällen hat Paulus selbst ausgesucht, woher er gereist ist. Hier merken wir, dass eine übernatürliche Wegweisung durch die Vision kam: „Komm rüber nach Mazedonien, komm nach Griechenland.“ Und das tut er dann auch.
Als sie die Erscheinung gesehen hatten, suchten sie also sogleich, nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass Gott sie dorthin berufen hatte, um den Menschen dort das Evangelium zu predigen. Sie fuhren von Troas ab und kamen geradewegs nach Samotrake, am nächsten Tag nach Neapolis und von dort nach Philippi.
Es scheint, dass sie sich in den ersten beiden Städten nur kurz aufgehalten haben. Irgendwie merkten sie, dass das noch nicht der Ort war, an dem sie mit dem Predigen anfangen sollten. Man könnte auch sagen, Paulus hat strategisch gedacht: Wenn ich dieses Gebiet erreichen will, suche ich mir eine Stadt aus, die besonders wichtig in der Region ist.
Ich habe ja gesagt, dass Philippi eine besonders strategisch wichtige Stelle war, weil es die römische Verwaltungshauptstadt war. Dort gab es auch noch Silberminen, die schon von den Phöniziern ausgebeutet worden waren. Philippi war eine wichtige Handelsstadt, auf der anderen Seite des Passes, also in Griechenland, von Asien nach Griechenland hinüber.
Deshalb überlegte Paulus, dass diese Stadt sich am besten eignet, um dort die erste Gemeinde zu gründen. Von dort aus kann auch das ganze Umfeld erreicht werden.
Philippi war eine Stadt im ersten Bezirk von Mazedonien, eine römische Kolonie, wie uns im Bibeltext noch erwähnt wird.
Sie blieben einige Tage in dieser Stadt. Am Sabbat gingen sie hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo sie dachten, dass man zu beten pflegte. Dort setzten sie sich und redeten mit den Frauen, die sich dort versammelten.
Das mit dem Beten an diesem Ort ist eine typische Strategie von Paulus. Er geht meistens dorthin, wo sich Juden treffen. Dort, wo sich im römischen Reich Juden versammelten, waren häufig auch fromme Heiden, die auf der Suche nach Gott waren. Der ganze römische Götterkult sagte ihnen nichts. Die Götterstatuen erkannten sie nicht als echte Götter an. Deshalb hielten sie sich zu den Juden, also diesen frommen Griechen und Römern.
Paulus suchte also einen Platz, an dem er diese Menschen erreichen konnte. Dass sie sich nicht in der Synagoge trafen, kann verschiedene Gründe haben. Erstens waren die Juden nicht verpflichtet, in der Synagoge Gottesdienst zu halten. Es kann auch sein, dass die Zahl der Männer in Philippi zu gering war und sie deshalb keinen offiziellen Synagogengottesdienst abhielten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten.
Auf jeden Fall gab es besondere Orte, an denen sich Juden trafen. Hier geht Paulus außerhalb der Stadt, dorthin, wo sich die Frauen treffen, und setzt sich zu ihnen.
Am Sabbat will er zuerst die Juden erreichen, weil hier schon viel Vorarbeit geleistet wurde. Diese Menschen wussten schon viel von der Bibel und vom verheißenden Messias. Deshalb wendet er sich zuerst an sie.
Die ersten Bekehrten in Philippi und die Vielfalt der Gemeinde
Und wie geht es dann weiter? Eine gottesfürchtige Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu. Hier merken wir: Juden sind da, aber eben nicht nur Juden. Diese Lydia war, soweit wir es vom Namen her wissen und auch dadurch, dass sie Geschäftsfrau war, sehr wahrscheinlich keine Jüdin. Sie hielt sich aber zum Judentum, weshalb auch erwähnt wird, dass sie eine gottesfürchtige Frau war. Also einfach eine Person, die zwar nicht jüdisch ist, aber auf der Suche nach Gott ist.
Paulus tat ihr das Herz auf, sodass sie darauf achtete, was von ihm geredet wurde. Als sie aber mit ihrem Haus getauft war, bat sie uns und sprach: „Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da.“ Und sie nötigte uns.
Sie kamen also dorthin. Sie hatten scheinbar noch nicht einmal eine Unterkunft. Sie waren ein paar Tage da, die Frau bekehrte sich, und diese Frau ist, wie wir ableiten können, vornehm. Sie gehört eher zur Oberschicht, wahrscheinlich griechischer Herkunft. Wir wissen es nicht ganz genau, es könnte theoretisch auch jüdisch sein. Auf jeden Fall war sie eine reiche Frau der Oberschicht, die sie einlud. Sie ist die erste Bekehrte in Europa, wenn wir das so sehen.
Was wir im Folgenden auch noch sehen werden, ist, dass Lukas hier Personen ganz unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Nationalitäten erwähnt, die zum Glauben kommen in Europa. Das ist für uns insofern wichtig in zweierlei Hinsicht: Einerseits können wir dadurch die Universalität der Botschaft Jesu erkennen. Die Botschaft Jesu richtet sich nicht nur an Juden, nicht nur an Arme, nicht nur an Reiche, nicht nur an Dumme, nicht nur an Kluge. Hier haben wir eher eine reiche Frau, die einen Status in der Gesellschaft hat. Und wir haben hier auch Frau und Mann, die beide eine Rolle in der Gemeinde spielen.
Erstens: Universalität der Botschaft Jesu. Das ist eine Herausforderung auch für uns und unsere Missionsarbeit oder unsere Gemeinden, dass wir uns eben nicht nur auf die Leute beschränken, die uns am ähnlichsten sind. In den meisten Gemeinden geschieht das sehr schnell. Warum? Weil wir am meisten die Leute verstehen, die so sind wie wir. Das bedeutet in den meisten Gemeinden Mittelstandsevangelisation. Das heißt: Leute, die ein Familienhäuschen irgendwo draußen haben oder zumindest eine Eigentumswohnung, die einen guten Job haben, ordentliche Familienverhältnisse, zu denen haben wir am ehesten einen Draht, die verstehen uns am besten.
Es gibt soziologische Untersuchungen. Vielleicht habt ihr das Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ gelesen. Vor ungefähr zehn Jahren kam es heraus. Professor Schulz aus Konstanz hat die verschiedenen Milieus in Deutschland beschrieben und ziemlich gut charakterisiert. Dieses Mittelstandsmilieu liest diese Zeitungen, fährt in bestimmte Urlaubsgebiete – na ja, nicht unbedingt nach Brake. Er unterscheidet dabei nicht zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern nach Lebensstil. Sie reden so, richten ihre Wohnung so ein. Ich finde das manchmal interessant, auch bei Wohnungseinrichtungen, wenn ich irgendwo zu Gast bin. In vielen Häusern, in die ich komme, kann man sofort erkennen, zu welchem Milieu die Bewohner gehören. Es sind immer wieder dieselben Sachen, bis hin dazu, wie das Haus angestrichen ist, wie die Wohnung aufgeteilt ist, welche Möbel da sind, welche Bilder hängen – alles ziemlich ähnlich. Da kann man sehr schnell dahintersteigen, weil wir ja normale Menschen sind.
Das, was uns hier mitgezeigt wird, macht das aber nicht zu stark. Seid auch offen für Leute, die total anders sind, denn das ist ja hinterher Bereicherung in der Gemeinde. Allerdings ist es auch Belastung in der Gemeinde. Wenn ihr Leute habt, die genauso sind wie ihr, vielleicht ist das langweiliger, das kann schon sein, aber es gibt meistens weniger Spannungen. Wenn ihr sagt, ich mag gerne klassische Musik, weil ihr aus dem Bildungsbürgertum stammt, dann sagen alle: „Ja, super, alles gut.“ Wenn ihr allerdings jemanden habt, der aus einer ganz anderen Schicht kommt und viel lieber Schlagermusik hört oder Volksmusik oder Rap, dann habt ihr schon ein Problem. Oder es gibt Unterschiede bei der Sprache im Gottesdienst, im Verhalten und so weiter – alles total anders.
Hier finden wir gerade, dass die erste Gemeinde nicht nur aus einer Schicht bestand, sondern aus ganz verschiedenen. Erstmal Oberschicht, dann kommt das Nächste: eine Sklavin. Also Oberschicht, reich, eigenes Haus – wir lesen ja „und ihr Haus“. Normalerweise heißt das nicht „und ihre Familie“, sondern „und ihre Sklaven und Angestellten“. In erster Linie könnte natürlich auch ein Mann mit dazu erwähnt werden. Da aber kein Mann genannt wird, könnte es durchaus sein, dass diese Frau ledig war und einfach eine Menge Angestellte hatte, die bei ihr wohnten.
Als Nächstes lesen wir in Vers 16, dass diese Frau eine Sklavin ist, die durch okkulten Einfluss die Zukunft vorhersagen oder Dinge erkennen kann, die sonst kein Mensch weiß: „Es geschah aber, dass wir zum Gebet gingen. Da begegnete uns eine Magd, die hatte einen Wahrsagegeist und brachte ihrem Herrn viel Gewinn ein mit ihrem Wahrsagen. Sie folgte Paulus und uns überall hin und schrie: ‚Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen.‘ Das tat sie viele Tage lang.“ Paulus war darüber so aufgebracht, dass er sich umwandte und zu dem Geist sprach: „Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfährst.“ Und der Geist fuhr zur selben Stunde aus.
Als aber ihre Herren sahen, dass damit ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war, ergriffen sie Paulus und Silas und schleppten sie auf den Markt vor die Oberen. Sie führten sie den Stadtrichtern vor und sprachen: „Diese Menschen bringen Aufruhr in unsere Stadt. Sie sind Juden und verkündigen Ordnungen, die wir weder annehmen noch einhalten dürfen, weil wir Römer sind.“ Das Volk wandte sich gegen sie, und die Stadtrichter ließen ihnen die Kleider herunterreißen und befahlen, sie mit Stöcken zu schlagen.
Hier sehen wir Dämonenaustreibung. Nebenher sehen wir, dass auch besessene Menschen manchmal ganz fromm reden können. Besessene Menschen lästern nicht unbedingt immer nur Gott. Das, was diese Magd sagt, ist wahr und sogar fromm. Ich weiß nicht, wie wir reagieren würden. Stellt euch vor, ihr steht irgendwo auf, zum Beispiel bei euch im Betrieb oder in der Nachbarschaft, und erzählt den Leuten von Gott. Dann kommt jemand, den ihr gar nicht kennt, und sagt: „Der ist von Gott geschickt, und das ist alles wahr. Glaubt ihm!“ Erstmal wäre ich wahrscheinlich froh über so jemanden, solche Unterstützung.
Paulus allerdings durchschaut das Ganze, merkt, dass hier ein Dämon dahintersteht. Obwohl das, was gesagt wird, richtig ist, ist es durch einen falschen Weg erreicht, nämlich durch dämonische Offenbarung, und das ist abzulehnen. Nicht nur das Ziel ist entscheidend, sondern auch der Weg dahin. Das gilt überall in unserem Leben. Nicht nur das, was fromm klingt, ist am Endergebnis entscheidend, sondern auch der Weg dorthin. Dämonische Offenbarung zur Verkündigung des Evangeliums ist nicht geeignet.
Genauso müssen wir uns heute fragen, ob auch andere Dinge zur Verkündigung des Evangeliums ungeeignet sind. Diese Frage müssen wir wahrscheinlich bejahen. Wir müssen genau untersuchen, welche Mittel wir nutzen können und welche vielleicht so verweltlicht oder okkult durchdrungen sind, dass wir sie selbst dann, wenn sie effektiv sind, nicht verwenden sollten.
Paulus handelt hier so. Von der Frau lesen wir nicht, ob sie später auch Mitglied der Gemeinde wurde. Allerdings gibt es hier einen Berührungspunkt: Das Evangelium wird verkündet, und eine Person aus einer ganz anderen Sozialschicht, nämlich eine Sklavin, ist beteiligt. Später lesen wir auch, dass in den Gemeinden, die Paulus gründet, Leute aus der Sklaverei Mitglieder waren.
Als Nächstes, ab Vers 23, lesen wir von einer ganz anderen Person, diesmal ein Mann. Bisher sind hier scheinbar nur Frauen, die zuhören. Jetzt ist es der Kerkermeister von Philippi. Die Geschichte kennen wir ja. Hier ist es ein römischer Bürger, also jemand mit Bürgerrecht, wahrscheinlich ein ehemaliger Soldat, der seinen Dienst beendet hat, ein Stück Land bekommen hat und jetzt die Aufgabe als Kerkermeister hat. Er gehörte zur römischen Oberschicht.
Also haben wir einerseits die griechische Oberschicht, die Purpurhändlerin. Purpur ist eine Farbe, meist rot, manchmal bläulichrot. Es ist eine sehr seltene Farbe, die man vom Purpurschneckenfärben kennt. Diese Frau musste genügend finanzielle Ressourcen haben, um damit handeln zu können. Das ist etwas anderes als Getreide oder Fisch zu verkaufen. Das war eine besonders edle Sache, also Oberschicht.
Dann haben wir die Sklavin, und dann den römischen Staatsbürger. Den würden wir mehr zur Mittelschicht zählen. Er hat eine gesicherte Stellung, ein gewisses Ansehen, gehört aber nicht unbedingt zur Oberschicht.
Wir lesen nämlich: „Nachdem man sie hart angeschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl den Aufsehern, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.“ In den Block legen – das war ein großes Holzstück mit vier Löchern: zwei für die Füße, zwei für die Arme. Man musste so stundenlang nach vorne gebeugt mit Armen und Füßen zusammen verharren. Das war unbequem, man konnte sich kaum bewegen und kaum schlafen. Mit der Zeit bekam man überall Schmerzen, aber das sollte so sein. Man war ziemlich sicher gefesselt und konnte sich kaum befreien.
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Die Gefangenen hörten sie. Scheinbar wurden nicht alle eingesperrt, sondern insbesondere die, die man als Anführer der Aufruhr identifiziert hatte – Paulus und Silas. Von Timotheus lesen wir nichts, obwohl er auch mit war, von Lukas auch nicht. Scheinbar ließ man sie frei, weil man sie als nicht so wichtig ansah.
Plötzlich geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Zugleich öffneten sich die Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. Als der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah, dass die Türen offenstanden, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten, denn er meinte, die Gefangenen seien entflohen.
Paulus aber rief laut: „Tu dir nichts an, denn wir sind alle hier.“ Da forderte der Aufseher ein Licht an, zündete es an, stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Er führte sie hinaus und sprach: „Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“
Nebenbei: Ihr habt vielleicht schon gehört, dass dieser Mann deshalb fast gestorben wäre. Er hätte auch sagen können: „Ich kann ja nichts dafür, das Erdbeben liegt nicht in meiner Gewalt, ich habe eine gute Entschuldigung.“ Das gab es in der römischen Armee aber nicht. Wenn du einen Gefangenen entkommen ließest, war deine Ehre dahin und die Todesstrafe sicher. Du musstest auf deine Leute aufpassen, egal was passierte. Man wollte verhindern, dass jemand eine Ausrede hatte, egal welche.
So wusste er, dass das sein Lebensende sein konnte. Lieber wollte er sich selbst töten, als einen schmachvollen Prozess ertragen. Er war verantwortlich für die Gefangenen, und sie waren weg. Er war später umso froher, dass sie doch noch da waren. Er merkte gleich, dass an diesen Personen etwas Besonderes sein musste. Deshalb auch die Frage: „Was muss ich tun, damit ich gerettet werde?“
Sie sprachen: „Glaube an den Herrn Jesus, so bist du und dein Haus selig.“ Sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Haus waren. Er nahm sie zu sich in derselben Stunde in der Nacht, wusch ihnen die Striemen und ließ sie und alle, die zu ihm gehörten, sogleich taufen.
Hier merken wir eine ganz effektive Evangelisation. Das ist nicht gemacht, sondern von Gott organisiert. Der Mann kommt zum Glauben und wird Mitglied dieser Gemeinde. Wir haben die Purpurhändlerin, möglicherweise die Sklavin, die dort erwähnt wird, und den Kerkermeister – Leute, die im täglichen Leben nie miteinander zu tun gehabt hätten, plötzlich alle in einer Gemeinde.
Wir merken auch, dass mit der Taufe nicht viel Zeit vergeudet wird. Jemand wird gläubig, wie wir es auch beim Kämmerer aus dem Morgenland lesen: „Was hindert mich, mich taufen zu lassen?“ Jetzt wird gleich getauft. Natürlich gab es keine Taufbecken oder Ähnliches. Man ging an öffentliche Flüsse, Gewässer oder Seen und taufte dort.
Aus der Didache, einer frühchristlichen Schrift, wissen wir, dass man später spezielle Regeln entwickelte. Es sollte nach Möglichkeit kaltes Wasser sein. Das sollte keine Badewanne sein, in der man sich wäscht, sondern man sollte erfrischt werden. Nach jüdischer Auffassung ist lebendiges Wasser fließendes Wasser, also Quellwasser, das frisch ist, nicht abgestanden. Deshalb wurde normalerweise in frischem Wasser getauft.
Nach Möglichkeit sollte morgens bei Sonnenaufgang getauft werden, so steht es in der Didache. Könnt ihr euch vorstellen, warum? Vielleicht, weil die Leute tagsüber arbeiten mussten. Vielleicht auch aus einem anderen Grund: Es hatte eine symbolische Bedeutung. Die Sonne geht auf, so beginnt etwas Neues in deinem Leben. Wie der neue Tag anfängt, so beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Jesus macht dich vollkommen neu.
In der Bibel wird Gott häufig mit Licht verglichen, das uns leuchtet, heller als die Sonne. So soll es hier auch sein: Das alte Leben ist vorbei, die Nacht ist vorbei, das neue Leben beginnt. Die Sonne geht auf in deinem Leben, Gott beginnt ein neues Leben in dir. Deshalb morgens, wenn die Sonne aufgeht.
Meistens wurden die Leute dreimal untergetaucht: auf den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist. Vorher sollten sie auch noch einmal abschwören – dem Teufel, wegen der okkulten Bindungen, die damals weit verbreitet waren –, der Sünde und dem alten Leben. Alles sollte neu anfangen, so ähnlich wie wir vorhin gesungen haben: „Das ist das Höchste meines Lebens.“ Alles nur auf Jesus und das Alte hinter sich lassen.
Ich finde das eine gute Sache. Das finden wir in der Bibel so nicht beschrieben, aber schon in der frühen Generation gab es diese Taufregeln. Die ließen sich taufen.
Übrigens wird hier auch gesagt, dass er sich taufen ließ und sein ganzes Haus. Dass sie sich nicht gegen ihren Willen taufen ließen, lesen wir daraus, dass in Vers 33 steht: „Und er nahm sie zu sich“, und in Vers 32, „er legte ihnen das Wort des Herrn aus und danach ließen sie sich taufen.“ Das heißt, sie ließen sich nicht taufen, weil ihr Herr gesagt hatte: „Jetzt müssen wir das machen“, sondern weil sie die Predigt gehört hatten und sich darauf entschieden.
Die Gastfreundschaft fällt hier auch gleich auf: Sie wurden eingeladen, bewirtet und bekamen Unterkunft.
Als es Tag wurde, sandten die Stadtrichter die Amtsdiener und ließen sagen: „Lasst diese Männer frei.“ Der Aufseher überbrachte Paulus diese Botschaft: „Die Stadtrichter haben gesandt, dass ihr frei sein sollt. Nun kommt heraus und geht hin in Frieden.“
Paulus aber sprach zu ihm: „Sie haben uns ohne Recht und Urteil öffentlich geschlagen, obwohl wir römische Staatsbürger sind, und ins Gefängnis geworfen. Nun sollen sie uns heimlich fortschicken? Nein, sie sollen selbst kommen und uns herausführen.“
Hier zeigt sich, dass Paulus sich nicht zufrieden gibt. Man könnte sagen: „Okay, sei doch zufrieden, jetzt bist du frei.“ Nein, in der Öffentlichkeit wurden sie als Verbrecher dargestellt, das war Unrecht, und dieses Unrecht sollte wieder gutgemacht werden.
Das hängt sicherlich nicht in erster Linie mit Paulus’ Stolz zusammen, der jetzt einfach Recht haben will. Es hängt mit der Verkündigung des Evangeliums zusammen. Wenn später in der Stadt bekannt wird: „Das ist ja nur ein Club von Verbrechern, die wurden öffentlich geschlagen, ins Gefängnis geworfen, das sind alles Verbrecher.“ Ich denke, Paulus will der Ehre des Evangeliums vorbeugen, damit die Leute nicht denken, hier sei alles schlecht und das seien nur Verbrecher.
Die Amtsdiener berichteten diese Worte den Stadtrichtern. Die fürchteten sich, als sie hörten, dass Paulus und Silas römische Bürger seien. Sie hatten gesagt, das seien Juden, und Juden durfte man eher ohne Prozess einsperren. Aber Römer, das war schwieriger.
Paulus war römischer Staatsbürger, aber auch Jude. Sie redeten mit den Stadtrichtern, führten Paulus und Silas heraus und baten sie, die Stadt zu verlassen.
Sie gingen aus dem Gefängnis, gingen zu Lydia, und als sie die Brüder gesehen und getröstet hatten, zogen sie fort. Dann kommen sie in Kapitel 17 nach Thessalonich.
Die Gemeinde in Philippi: Herausforderungen und Freundschaften
Das ist also der ganze Hintergrund, den Paulus im Kopf hat und den wir ebenfalls berücksichtigen müssen, wenn wir uns die Empfänger der Gemeinde vorstellen. Da sind Lydia mit ihren Angestellten, der Kerkermeister aus Philippi mit seinen Angestellten, möglicherweise Sylva und noch viele andere, die namentlich nicht erwähnt werden, aber in der Gemeinde sind.
Dieser Brief, den wir hier vor uns haben, ist auch ein Brief, bei dem wir davon ausgehen können, dass es in Philippi eine gewisse Verfolgung gegeben hat. Dass diese schon begonnen hatte, lesen wir in Apostelgeschichte 16. Dort waren es die Römer, die sagten, das sei alles nicht römisch und setzten Paulus und seine Begleiter gefangen. Wir lesen auch von Juden, die sich gegen Paulus gewandt haben, ebenfalls in Philippi. Dieser Widerstand scheint weitergegangen zu sein.
So, glaube ich, können wir das verstehen, wenn wir in Vers 7 lesen. Wir sind jetzt wieder im Philipperbrief, Philipper 1, Vers 7: „Wie es denn recht und billig ist, dass ich so von euch in allen Dingen denke, weil ich euch in meinem Herzen habe, die ihr alle mit mir an der Gnade teilhabt in meiner Gefangenschaft und am Verteidigen und Bekräftigen des Evangeliums.“
Dieses Teilhaben an meiner Gefangenschaft drückt sicherlich einerseits eine innere Verbundenheit aus. Wir lesen auch in den folgenden Kapiteln, dass die Gemeinde den Epaphroditus gesandt hat, der ebenfalls Mitglied der Gemeinde ist und Paulus trösten und ihm helfen soll. Dieses Anteilhaben kann aber auch bedeuten, dass Paulus in Gefangenschaft und Verfolgung ist und die Philippianer ebenfalls einen gewissen Druck erleiden. Später schreibt er, dass er auch Anteil am Leiden Jesu hat, so dass er leidet, aber auch wie Jesus lebt. Das kann bedeuten, dass auch die Gemeinde in Philippi unter einem gewissen Druck leidet.
Darüber hinaus gibt es eine enge Freundschaft, die ihn mit der Gemeinde verbindet – durch das, was er dort erlebt hat, durch diese Offenheit. Wir lesen das unter anderem in Kapitel 1, Vers 28: „Und euch in keinem Stück erschrecken lasst von den Widersachern, was ihnen ein Anzeichen der Verdammnis, euch aber der Seligkeit und das von Gott ist.“ Hier sagt er, ihr sollt euch nicht von den Widersachern einschüchtern lassen. Das zeigt uns, dass es in Philippi offenbar Widerstand gab.
Wir werden später noch untersuchen, was für Widerstände es gab. Sehr wahrscheinlich war dieser Widerstand durch Juden verursacht, sehr wahrscheinlich auch durch Irrlehrer innerhalb der Gemeinde. Es gab also Widerstand sowohl von außen als auch innerhalb der Gemeinde, während Paulus ebenfalls Widerstand erlebte.
Dann ist da noch die enge Freundschaft. Wir lesen das in Kapitel 4, Vers 16, zum Beispiel: „Denn auch nach Thessalonich habt ihr etwas gesandt für meinen Bedarf, einmal und dann noch einmal.“ Das bedeutet, die Gemeinde unterstützte Paulus finanziell oder mit Nahrungsmitteln.
Im 2. Korinther 11,9 lesen wir, dass Paulus sagt, er habe nie von den Korinthern etwas genommen. Damit will er ihnen sagen, dass er das Evangelium bei ihnen nicht für seinen eigenen Vorteil verkündigt hat. Stattdessen arbeitete er in Korinth als Zeltmacher, wie an anderen Stellen auch. In Philippi war das offenbar anders. Hier hat er von der Gemeinde etwas angenommen. Es war die einzige Gemeinde, von der er überhaupt eine Gabe angenommen hat, wie er im zweiten Korintherbrief erwähnt. Er bemerkte, dass diese Gabe vollkommen selbstlos war; die Gemeinde wollte ihn nicht bestechen und er drängte sie auch nicht dazu. Alles kam freiwillig.
Wir können uns überlegen, wie das zustande kam. Vielleicht hatte diese Gemeinde auch einen gewissen Überfluss. Wir lesen ja von einigen eher vornehmen oder wohlhabenden Leuten, die dort waren, unter anderem Lydia, die ich mehrfach erwähnt habe.
Wir lesen dann auch in Kapitel 4, Vers 1: „Also, meine lieben Brüder, nach denen ich mich sehne, meine Freunde, meine Freude und meine Krone, steht fest in dem Herrn, meine Liebe.“ Hier drückt Paulus eine besondere Herzlichkeit aus.
Diese Herzlichkeit finden wir übrigens auch schon in den Einleitungsworten des Briefes: „Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an die Heiligen in Christus Jesus in Philippi samt den Bischöfen und Diakonen.“ Wenn wir die Einleitungen anderer Briefe lesen, zum Beispiel den ersten Korintherbrief oder den Römerbrief, steht dort oft: „Paulus, berufen zum Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes, und Sostenes, unser Bruder.“ Im zweiten Korintherbrief heißt es: „Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, und Timotheus, unser Bruder, an die Gemeinde.“ Im Galaterbrief: „Paulus, ein Apostel, nicht von Menschen, auch nicht durch Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten.“ Im Epheserbrief: „Paulus, ein Apostel Christi Jesu durch den Willen Gottes, an die Heiligen in Ephesus, die Gläubigen in Christus Jesus.“
Und dann kommt der Philipperbrief: „Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an die Heiligen in Jesus Christus.“ Was fehlt hier? Was ist anders bei dieser Begrüßung? Paulus legitimiert sich nicht extra als Apostel, sondern stellt sich als Knecht zurück. In allen anderen Briefen erwähnt er seine Apostelschaft. Warum tut er das hier nicht?
Das soll, wie ich meine, seine Autorität festlegen. In den anderen Gemeinden schreibt er, dass er Apostel ist, um seine besondere Autorität für das, was er sagt, zu unterstreichen. Hier tut er das nicht. Warum?
Ich halte das für den Grund, dass er hier nicht lange argumentieren muss. Das tut er auch im gesamten Brief an keiner anderen Stelle. Er muss nicht sagen: „Gott hat mich eingesetzt, ihr müsst mir glauben, das ist wirklich von Gott.“ Warum? Weil hier offenbar eine ganz herzliche Verbindung besteht, gerade besonders zur Gemeinde in Philippi. Das waren nicht nur Menschen, die zum Glauben gekommen sind, sondern auch Freunde – menschlich gesehen, nicht nur geistlich.
Deshalb beginnt er diesen persönlichen Brief sofort, ohne zuerst ausführlich erklären zu müssen, dass er Apostel ist. Die anderen Gemeinden kannten ihn auch. Bei den Korinthern war er über Monate, bei den Galatern und Ephesern ebenso. Trotzdem musste er dort schreiben, dass er Apostel Jesu Christi sei, und dass seine Worte Autorität haben. Bei den Philippern ist das gerade nicht der Fall. Das drückt auch die Herzlichkeit und Freundschaft aus.
Gleichzeitig ist dieser Brief ein Dankesbrief. Ich habe ja gesagt, Paulus befindet sich in Gefangenschaft in Rom, etwa im Jahr 64 nach Christus. Wir können das nicht hundertprozentig sicher sagen, da kein Datum im Brief steht. Aber wenn wir die Chronologie der Apostelgeschichte durchgehen, kommen wir auf 64 nach Christus. Ich hatte erwähnt, dass 52 nach Christus die zweite Missionsreise stattfand, bei der Paulus zum ersten Mal in Philippi war. Nun sind zwölf Jahre vergangen.
Die Gemeinde ist gewachsen und hatte wahrscheinlich zwischendurch immer wieder Kontakt zu Paulus. Wir lesen ja auch, dass Epaphroditus gekommen ist, was auf einen lebendigen Kontakt zur Gemeinde hinweist. Und jetzt, zwölf Jahre später, besteht diese Freundschaft immer noch.
Paulus ist in Gefangenschaft. Einerseits drückt er seine Freude gegenüber der Gemeinde aus, andererseits ist es vor allem ein Dankesbrief. Das lesen wir in Kapitel 4, Vers 10: „Ich bin aber hocherfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden seid, für mich zu sorgen. Ihr wart zwar immer darauf bedacht, aber die Zeit hat es nicht zugelassen.“
Offenbar wart ihr durch all die zwölf Jahre hindurch stets darauf bedacht, ihm Gutes zu tun. Immer wieder habt ihr ihn versorgt mit dem, was er dringend brauchte. So sehen wir den Anlass: Er hat jetzt eine Gabe erhalten, Grüße von einem Mitarbeiter aus der Gemeinde. Hier bedankt er sich dafür.
Aber es ist nicht nur ein einfaches Dankeschön für das, was sie ihm gegeben haben, sondern es steckt noch viel mehr dahinter. Epaphroditus, der als Mitarbeiter erwähnt wird, will jetzt wieder zurück, scheinbar weil er Heimweh nach den Geschwistern in Philippi hat. Paulus schickt ihn zurück und bittet die Gemeinde, ihn herzlich aufzunehmen. Er will verhindern, dass sie ihn in Philippi als Drückeberger ansehen.
Jetzt haben sie ihn hingeschickt, damit er für Paulus sorgt, der in Gefangenschaft ist, in Ketten liegt und nicht sein Privathaus verlassen kann, weil er von Soldaten bewacht wird. Und nun kommt er einfach wieder zurück. Da versucht Paulus, für seine Interessen zu werben.
Es gibt verschiedene Streitpunkte innerhalb der Gemeinde. Ich habe ja gesagt, dass es von außen Verfolgung gab, ich habe mehrere Stellen genannt. Es scheint auch in der Gemeinde Auseinandersetzungen gegeben zu haben. Das lesen wir in Kapitel 4, Vers 2: „Euodia ermahne ich und Syntyche ermahne ich, dass sie eines Sinnes seien in dem Herrn.“ Dann geht es noch weiter: Wir erkennen deutlich, dass es Streit in der Gemeinde gibt.
Jetzt merken wir, dass die Urgemeinde nicht idealisiert werden darf. Sie war so wie die Gemeinden heute auch. Wenn jemand hierherkommt und sagt, in unserer Gemeinde gibt es Streit und Auseinandersetzungen, dann kann er sich sagen: „Dann bin ich in guter Gesellschaft, so war es auch in der Urgemeinde.“
Vielleicht kommen uns dadurch die Ratschläge, die Paulus hier gibt, noch näher. Wir merken, dass es nicht die Gemeinde war, in der nur heile Welt herrschte, sondern dass es Auseinandersetzungen gab – von außen Druck und von innen Streitigkeiten untereinander. Außerdem gab es auch Auseinandersetzungen um die Lehre, nämlich um Irrlehre.
Das merken wir in Kapitel 3, Vers 2: „Nehmt euch in Acht vor den Hunden! Nehmt euch in Acht vor den böswilligen Arbeitern! Nehmt euch in Acht vor der Zerschneidung!“ Das sind mehrere Dinge. „Hunde“ ist eine etwas beschimpfende Bezeichnung. „Böswillige Arbeiter“ meint nicht irgendwelche Handwerker, sondern solche, die in der Gemeinde tätig sind und böswillig handeln. Sie führen die Gemeinde in die Irre, und Paulus warnt davor.
„Zerschneidung“ sind diejenigen, die die Gemeinde spalten und zersplittern wollen. Zum Beispiel die Judenchristen, die sagten, nur wer beschnitten ist, dürfe Christ werden. Sie wollten die Gemeinde auseinanderreißen. Das waren diejenigen, die streng am Gesetz des Alten Testaments festhielten, im Gegensatz zu denen, die liberal und offen waren.
Hier gab es also Zersplitterung, Streit und Irrlehre. Auch das gab es damals in der Gemeinde in Philippi. Paulus muss die Gemeinde zurechtweisen und wandeln. Man könnte sagen, es gab einen Bruch.
Beginn der Auslegung: Vers 1 des Philippabriefes
Nun wollen wir systematisch beginnen, das heißt, Vers für Vers vorgehen. Allerdings werden wir heute vielleicht nur Vers 1 behandeln, denn sonst könnte es zu Streitigkeiten kommen, und das wollen wir vermeiden. Also bleiben wir bei Vers 1. Ich lese ihn jetzt einmal vor und teile noch ein paar Gedanken dazu mit euch. Morgen werden wir dann die nächsten Verse, zwei bis elf, besprechen.
Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an alle Heiligen in Christus Jesus in Philippi samt den Bischöfen und Diakonen.
Hier steckt schon eine ganze Menge drin. Zunächst möchte ich hervorheben, dass Paulus sich hier nicht nur selbst sieht. Ich habe das bereits erwähnt: Teamarbeit ist wichtig. In der Gemeinde sollten wir immer an die Menschen denken, mit denen wir zusammenarbeiten, und uns nicht nur auf uns selbst konzentrieren. Paulus nimmt hier Timotheus mit hinein – einen Gleichberechtigten neben sich, obwohl Timotheus eigentlich sein Schüler ist. Wir lesen ja, dass sie schon seit zwölf Jahren gemeinsam unterwegs sind. Timotheus’ erste Missionserfahrung war damals in Philippi. Man könnte sich immer daran erinnern: „Paul, Thimo, weißt du noch damals, als du ganz frisch gläubig warst und mit mir in Philippi gewesen bist?“ Paulus sieht also nicht nur sich selbst, sondern nimmt andere Gleichberechtigte mit in den Dienst.
Zweitens stellt er sich hier als Knecht Christi vor – und das gilt auch für Timotheus. Das heißt, Paulus möchte zeigen: „Knecht“ bedeutet in mehrfacher Hinsicht nicht einfach Angestellter, sondern das Wort „doulos“ heißt Sklave. Was bedeutet es, Sklave Jesu Christi zu sein? Was ist das Besondere an einem Sklaven?
Zum Ersten: Ein Sklave gehört nicht sich selbst. Das ist heute für uns kaum vorstellbar. Wenn wir Angestellte sind, dann gehören wir ja nicht der Firma, sondern haben lediglich unsere Arbeitskraft verkauft. Wir gehören aber uns selbst. Sklaven damals wurden durch Geld gekauft. Mit Leib, Leben, Eigentum und allem, was sie hatten, gehörten sie ihrem Besitzer. Paulus sagt hier: „Ich bin Sklave Jesu Christi.“ Was meint das? Ich bin durch Jesus Christus erkauft, wie wir im 1. Korinther 6,20 lesen: „Denn ihr seid teuer erkauft; darum preist Gott mit eurem Leib.“ Wodurch sind wir erkauft? Dadurch, dass Jesus, wie die Bibel sagt, das Lösegeld bezahlt hat. Jesus hat uns aus der Macht des Todes erkauft.
Noch etwas genauer: Wenn wir auf der Erde geboren werden, sind wir in Gottferne. Wir haben mit Gott nichts zu tun. Das merken wir daran, dass wir nicht automatisch fromm sind, wenn wir als Kinder geboren werden. Wir leben ganz natürlich in der Sünde. Keinem Kind muss man beibringen zu lügen, egoistisch zu sein oder zu streiten. Das lernen Kinder ganz automatisch. Wir haben das so intensiv gelernt, dass wir es bis heute noch können. Das ist unser natürlicher Zustand.
Paulus sagt: „Ihr seid Sklaven der Sünde.“ Und Sklaven der Sünde sind gleichzeitig Sklaven des Teufels. Ihr gehört zur Sache des Teufels, habt mit Gott nichts zu tun, denn bei Gott haben Streit, Lüge und Zwietracht keinen Platz. Jetzt kommt Jesus und sagt: „Ich kaufe euch frei.“ Ihr gehört dem Teufel, ich kaufe euch frei. Aber eure Seelen sind teuer, dafür muss mit Blut bezahlt werden. Jemand muss sterben. Jesus sagt: „Ich bin bereit, dafür zu sterben, diese Strafe auf mich zu nehmen.“ Weil er das bezahlt hat, sind wir frei. Aber weil wir gekauft sind, sind wir nicht selbstständig. Wir werden nicht bezahlt, sondern der, der uns gekauft hat, dem gehören wir.
Das meint Paulus hier, wenn er sagt: „Knecht Jesu Christi.“ Ich bin Eigentum Jesu Christi. Ich verfüge nicht über mich selbst, sondern er verfügt über mich. Das hat Paulus auch deutlich gemacht. Wir haben es ja in Apostelgeschichte 16 gelesen. Paulus plant, an einen bestimmten Ort zu gehen, aber der Heilige Geist wehrt ihn ab. Später führt ihn der Heilige Geist durch eine Vision nach Mazedonien. Das sind die Konsequenzen, wenn wir Jesus gehören: Wir sind nicht mehr Herren unseres eigenen Lebens. Wir können nicht sagen: „Ich entscheide, was ich will, und Gott spielt nebenher nur eine kleine Rolle.“ Paulus hat die Perspektive: „Ich gehöre Gott mit Haut und Haaren, mit allem. Er hat über mein Leben zu bestimmen.“ Das ist eine ganz andere Sichtweise als die allgemeine heutige Auffassung vom Glauben.
Heute überlegen viele: „Ich schaue mir alle Angebote an – was sagen Buddhisten, Hindus, Muslime, Christen? Dann entscheide ich mich.“ Der Mensch steht im Mittelpunkt. Innerhalb der Christen unterscheiden sie noch zwischen Freien Evangelischen, Baptisten, Mennoniten, Methodisten und wählen das aus, was ihnen am besten gefällt. Wenn ihnen etwas nicht passt, gehen sie eben woanders hin. Hier ist es anders. Die Frage ist nicht, was dir passt, sondern was Gott will und wohin er dich ruft. Wenn es Leiden bedeutet, dann musst du leiden – Leiden um Jesu Willen. Sklave zu sein heißt also unbedingt Gehorsam, keinen eigenen Willen zu haben.
Knecht Christi zu sein war im Alten Testament eine besondere Bezeichnung für die Propheten – diejenigen, die das Volk vor Gott geleitet und ganz im Dienst Gottes gestanden haben. Zum Beispiel lesen wir in Jeremia 7,25: „Ja, vor dem Tage an, da ich eure Väter aus Ägypten führte, bis auf diesen Tag habe ich immer wieder zu euch gesandt alle meine Knechte.“ Damit sind auch die Propheten gemeint, die Sklaven Gottes.
Ganz ähnlich finden wir das in Josua 1,2, wo Josua als Knecht Gottes bezeichnet wird, in Richter 2,8 oder Psalm 78,70, wo ebenfalls von Knechten Gottes die Rede ist. Paulus sagt also hier: Er ist Sklave, gehört sich nicht selbst und hat keinen eigenen Willen, sondern hat alles Gott unterstellt. Das ist eine Herausforderung für uns: Wie sehen wir uns in dem Dienst, den wir für Gott ausüben?
Das Zweite ist die Bezeichnung, die Paulus für die Gemeinde verwendet: Er nennt sie „Heilige“. Wahrscheinlich denken viele bei „Heilige“ nicht an Menschen, die immer mit einem Heiligenschein um den Kopf herumlaufen. Ich schaue gerne alte Kirchen an, habe das auch diesen Sommer in Italien getan – wunderbare, oft jahrhundertealte Kirchen. Ich war in einer Kirche, die 1500 Jahre alt ist. Das ist beeindruckend.
Die Christen damals wollten Gott durch prächtige Bauten loben. Besonders sind auch die Darstellungen von Paulus, Petrus, Jesus, Maria und anderen, die alle einen leuchtenden Heiligenkranz um den Kopf haben. Den haben wir hier nicht. Deshalb könnte man sagen: „Ihr seid nicht die Heiligen.“ Aber biblisch gesehen seid ihr es doch.
Heilig zu sein bedeutet hier, für Gott auserwählt und ausgesondert zu sein. Dieses „ausgesondert für Gott sein“ wird im Hebräischen „kadosch“ genannt. So wurden auch die Priester bezeichnet. Im 3. Mose 21,6 heißt es: „Die Priester sind heilig.“ Warum? Nicht wegen eines Heiligenscheins, sondern weil sie ausgesondert sind aus dem normalen Leben. Sie gehen nicht den gewöhnlichen Geschäften nach.
Im 3. Mose 27,30 wird erwähnt, dass der Zehnte ausgesondert ist. Warum? Es ist dasselbe Geld, aber es ist einem anderen Zweck zugeordnet – nicht den Lebensbedürfnissen, sondern nur Gott. Auch der Tempel, speziell das Allerheiligste, wird in 2. Mose 26,33 als heilig bezeichnet, weil es für den normalen Gebrauch ausgesondert ist. Dort wird nicht gegessen, geschlafen oder gearbeitet, sondern es dient allein der Ausrichtung auf Gott.
Israel ist in 2. Mose 19,6 heilig, weil es gegenüber allen anderen Völkern anders handeln soll – nicht nach normalen Gesetzen, sondern ganz für Gott da sein soll. Ebenso werden in Apostelgeschichte 9,13 und 9,32 die Christen als heilig angesehen, ganz für Gott ausgesondert.
Dieses „ganz für Gott ausgesondert sein“ stellt uns zur Frage: Wir bezeichnen uns als Heilige, aber verhalten wir uns auch wie Heilige? Ich habe gestern einen Artikel von Richard Forster erwähnt, in dem er schreibt, dass sich Christen in Amerika im Großen und Ganzen wie alle anderen verhalten. Da müssen wir sagen: Wir sind vielleicht Heilige, leben aber nicht so. Wenn wir wie Heilige leben, sollte man das an unserem Leben erkennen. Wir sind anders.
Wir sind nicht unterdrückt von der „Mind Machine“ unserer Gesellschaft, die uns vorschreibt, wie wir denken, was wir toll finden, wie wir uns kleiden sollen, wofür wir unsere Zeit und unser Geld verwenden. Wir sollen gerade nicht wie die Welt in vielen Bereichen sein. Die ersten Christen haben das deutlich gezeigt.
Wir lesen bei Tertullian, Anfang bis Mitte des zweiten Jahrhunderts, wie Christen lebten: Sie gingen nicht ins Theater, nicht in den Zirkus, parfümierten ihre Räume nicht. Die Frauen schmückten sich nicht wie alle anderen, legten nicht den Schwerpunkt auf das Äußere. Tertullian nennt für seine Zeit konkrete Dinge, an denen jeder erkennen konnte: Das ist ein Christ. Ich will keine neue Gesetzlichkeit aufbauen und sagen: „Das dürft ihr nicht, das dürft ihr nicht.“ Aber dieser Unterschied muss deutlich werden.
So wie beim Zehnten, beim Tempel, bei Israel und bei den Priestern – hier bei den Aposteln – müssen die Leute sofort sehen: Der redet nicht nur ein bisschen anders, weil er mal fromm ist und in die Kirche geht, sondern der lebt auch anders, weil er für Gott ausgesondert ist. Das meint alles das Heilige.
Paulus sagt nicht, die Heiligen seien aus sich selbst heilig, sondern sie sind heilig durch Jesus Christus, in Christus. „In Christus Jesus“ finden wir bei Paulus relativ häufig. Ich habe nachgesehen: In seinen Briefen erwähnt Paulus „in Christus“ 48 Mal und „in dem Herrn“ 50 Mal. Das zeigt, wie wichtig ihm das ist: Nicht aus euch heraus, sondern ihr müsst in Jesus sein.
Das attestiert Paulus hier den Christen von Philippi. Und das ist eine weitere Herausforderung für uns: Sind wir in Jesus? Nicht nur, dass ich an Jesus glaube oder ihn intellektuell für wahr halte, sondern lebe ich in Jesus? Das bedeutet viel.
Einige Ausleger der Kirchengeschichte haben das so verglichen: Ein Christ soll in Jesus sein wie ein Fisch im Wasser und ein Vogel in der Luft. Alles ist von Jesus umgeben, alles Denken, Handeln und Reden ist von Jesus durchdrungen. Das heißt „in Christus Jesus“ zu sein.
Das ist ein Zeichen ihrer Heiligkeit, und Paulus attestiert es hier den Christen von Philippi. Das ist eine Herausforderung für uns: Ist Jesus oder der Glaube nur eine intellektuelle Wahrheit, ein gefühlsmäßiges Erlebnis oder nur ein Teil des Lebens? Oder bin ich ganz von Jesus umschlossen, wie in einem Wasserbecken?
Die Taufe ist ein Symbol dafür: Ganz von Wasser umgeben, das alte Leben ist vorbei, ich bin ganz umschlossen von Gott und Jesus. So sollten wir auch in Jesus sein. Alles soll dadurch bestimmt werden.
Das klingt extrem – und das ist es auch. Aber es ist eine Zielvorstellung, die wir erreichen und anstreben sollen, auch wenn wir das im Alltag nicht immer realisieren.
Damit haben wir uns ein bisschen Gedanken über Vers 1 gemacht. Interessant wäre auch noch, die Rolle der Bischöfe und Diakone zu besprechen, die hier erwähnt werden. Das tue ich heute aber nicht mehr. Morgen können wir damit weitermachen.
Ich bete jetzt an dieser Stelle noch mit euch.