Einführung in den zweiten Schöpfungsbericht
Wir wollen heute Nachmittag das zweite Kapitel behandeln, das zweite Kapitel von 1. Mose, und zwar ab Vers 4.
Dies ist die Geschichte des Himmels und der Erde, wie sie erschaffen wurden. Es geschah an dem Tag, da Gott, der Herr, Erde und Himmel machte. Zu dieser Zeit gab es noch kein Gesträuch des Feldes auf der Erde und kein Kraut des Feldes war gesprossen. Denn Gott, der Herr, hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde, und kein Mensch war da, um den Erdboden zu bebauen.
Ein Dunst stieg von der Erde auf und befeuchtete die ganze Oberfläche des Erdbodens. Dann bildete Gott, der Herr, den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte ihm den Odem des Lebens in die Nase. So wurde der Mensch eine lebendige Seele.
Gott, der Herr, pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten. Dort setzte er den Menschen hin, den er gebildet hatte. Aus dem Erdboden ließ Gott, der Herr, allerlei Bäume wachsen, die lieblich anzusehen und gut zur Speise waren. In der Mitte des Gartens standen der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
Ein Strom floss aus Eden, um den Garten zu bewässern. Von dort teilte er sich in vier Flüsse. Der Name des ersten Flusses ist Pison. Er umfließt das ganze Land Havila, wo es Gold gibt. Das Gold dieses Landes ist besonders gut. Dort findet man auch den Bdellion und den Onyx-Stein.
Der Name des zweiten Flusses ist Gihon. Er umfließt das ganze Land Kusch. Der dritte Fluss heißt Hidekel. Er fließt durch Assyrien. Der vierte Fluss ist der Phrat.
Die Bestimmung und das Gebot für den Menschen
Und Gott, der Herr, nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, um ihn zu bebauen und zu bewahren.
Gott, der Herr, gebot dem Menschen und sprach: „Von jedem Baum des Gartens darfst du nach Belieben essen. Aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen. Denn an dem Tag, an dem du davon isst, wirst du gewisslich sterben.“
Die Erschaffung der Frau als Ergänzung des Menschen
Gott, der Herr, sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. Ich will ihm eine Hilfe machen, die seinem Wesen entspricht.
Und Gott, der Herr, bildete aus dem Erdboden alles Getier des Feldes und alle Vögel des Himmels. Dann brachte er sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde. Wie immer der Mensch ein lebendiges Wesen nennen würde, so sollte sein Name sein.
Der Mensch gab Namen allen Vieh, allen Vögeln des Himmels und allem Getier des Feldes. Doch für Adam fand er keine Hilfe, die seinesgleichen war.
Da ließ der Herr einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, und er schlief ein. Er nahm eine seiner Rippen und verschloss die Stelle mit Fleisch.
Gott, der Herr, baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, ein Weib. Er brachte sie zu dem Menschen. Der Mensch sprach: Dies ist nun Gebein von meinen Gebeinen und Fleisch von meinem Fleische. Sie soll Frau heißen.
Denn vom Mann ist sie genommen. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden ein Fleisch sein.
Und sie waren beide nackt, der Mensch und sein Weib, und sie schämten sich nicht.
Überblick über die Schöpfungsberichte und deren Bedeutung
Dieses Kapitel beginnt mit einer Art Überschrift, nämlich in Vers 4: „Dies ist die Geschichte des Himmels und der Erde.“
Hiermit beginnt ein zweiter Schöpfungsbericht, der sich bis Kapitel 4, Vers 26 erstreckt. In Kapitel 5, Vers 1, setzt der Schreiber erneut eine Überschrift, die im Hebräischen fast identisch lautet: „Dies ist das Buch von Adams Geschlechtern.“
Damit beginnt ein dritter Schöpfungsbericht, der mit dem Tag einsetzt, an dem Gott Adam schuf. Dieser dritte Bericht reicht bis Kapitel 6, Vers 8. Anschließend setzt der Schreiber erneut einen Titel: In Kapitel 6, Vers 9, heißt es „Dies ist die Geschichte Noas.“
Nun, wenn man zunächst von einem zweiten Schöpfungsbericht hört, denkt man oft an die törichten, unbegründeten und falschen Anwürfe gegen das Wort Gottes. Es wird behauptet, dass hier Berichte verschiedener Autoren vorliegen. Das ist jedoch keineswegs der Fall.
Der gleiche Schreiber, durch Gottes Geist inspiriert, beginnt noch einmal von vorne und beschreibt die Schöpfung aus einem anderen Blickwinkel und mit einer anderen Absicht. Es handelt sich also tatsächlich um einen zweiten Schöpfungsbericht, vom gleichen Autor.
Dieser zweite Bericht greift einiges auf, was bereits im ersten Bericht steht, und richtet besonders die Aufmerksamkeit auf die Krone der Schöpfung, nämlich den Menschen.
Der dritte Schöpfungsbericht, mit dem wir uns in diesen Tagen nicht befassen werden, bezieht sich ebenfalls auf die Erschaffung des Menschen. Er will zeigen, was aus dem Menschen wurde, den Gott in seinem Bild geschaffen hatte.
Der Mensch als Ebenbild Gottes und seine Bestimmung
Lassen wir das ganz kurz im Vorbeigehen noch mitnehmen, bevor wir zu Kapitel 2 zurückkehren.
Kapitel 5, Vers 1: Dies ist das Buch von Adams Geschlecht. An dem Tag, da Gott Adam schuf, machte er ihn im Gleichnis Gottes. Hier steht nicht „im Bild Gottes“, sondern „im Gleichnis Gottes“. Damit will der Schreiber sagen, dass Gott den Menschen so schuf, dass der Mensch gottgleich war. Gleich an Reinheit, gleich an Liebe, sittlich gleich. Auch in anderer Hinsicht war er gleich, indem er Verstand, Willen und schöpferische Fähigkeiten besaß. Er war gottgleich, aber vor allem sittlich gleich. Gott ist Liebe, Gott ist Licht, und so wurde der Mensch geschaffen.
Was wurde aus dem Menschen? Das zeigt uns dieser dritte Schöpfungsbericht. Am Ende verfällt er dem Tod. In Kapitel 5 steht acht- oder neunmal der Satz: „Und er starb.“ Es wird von jemandem berichtet, dass er lebte, so und so lange, Söhne und Töchter zeugte – und dann starb. Es klingt fast wie ein unerbittlich sich bewegendes Räderwerk, das in regelmäßigen Abständen „Schnapp“ macht: „Und er starb.“ Schon wieder wurde ein Lebensfaden abgeschnitten.
Das zeigt uns: Der Mensch, der zum Leben erschaffen wurde, verfiel einmal dem Tod. Das wurde aus ihm. Zweitens: Der Mensch, der Gott gleich erschaffen wurde, war nach einer Anzahl von Generationen so verderbt, so böse geworden, sittlich so verkommen, dass Gott ihn im Gericht austilgen musste.
Bedeutung des hebräischen Wortes Toledot und die Rolle des Menschen in der Schöpfung
Im zweiten Schöpfungsbericht steht die Überschrift: Dies ist die Geschichte des Himmels und der Erde.
Verzeiht mir, wenn ich euch mit einem hebräischen Wort belästige. Das Wort, das in jeder dieser von mir genannten Überschriften vorkommt, ist das hebräische Wort Toledot. Die Überschrift lautet also: Dies ist die Geschichte, ele Toledot, des Himmels und der Erde.
Das Wort Toledot bedeutet Werdungen, Hervorbringungen, eigentlich Geburten oder Zeugungen. Es stammt von dem Verb jalad, das zeugen oder gebären bedeutet. Toledot bezeichnet somit die Hervorbringungen von Himmel und Erde.
Der Schreiber will damit sagen: Folgendes ist das Ergebnis der Erschaffung von Himmel und Erde. Dort schuf Gott Himmel und Erde, warum? Um des Menschen Willen – um den Menschen in diese Schöpfung als Herrn über sie hineinzustellen.
Darum geht es in den Kapiteln zwei, drei und vier. Der Schreiber zeigt, wie der Mensch nach Gottes Gedanken gedacht war, was seine Aufgabe war, welchen Platz und welche Rolle er in der Schöpfung einnahm.
Er erklärt auch, warum der Mensch diesen Platz und diese Rolle nicht mehr innehatte. Das muss er erklären, denn in Kapitel drei steht der Sündenpfand.
Man kann diesen zweiten Schöpfungsbericht also in zwei Hälften aufteilen. Ich habe das auch so gemacht:
a) Erschaffung und Glück des Menschen – Kapitel zwei
b) Fall und Unglück des Menschen – Kapitel drei und vier
Die Liebe und Allmacht Gottes in der Schöpfung
In diesem Kapitel, das wir jetzt lesen, werden wir beeindruckt davon, wie Gott, der Herr und Schöpfer des Menschen, den Menschen in eine vollkommene Schöpfung hineinstellte. Er schuf den Menschen zum Glück, zur Glückseligkeit und zur Wonne. Die Schöpfungstaten Gottes und die Absichten, die Gott mit der Schöpfung des Menschen verfolgte, sind ein Ausdruck seiner göttlich vollkommenen Liebe.
Wenn wir dies mit Kapitel 1 vergleichen, fällt uns auf, dass wir dort von der Allmacht Gottes beeindruckt wurden. Im ersten Kapitel lesen wir immer wieder: "Gott sprach, und es ward." Seinem Wort und seinem Willen kann sich nichts widersetzen. Sein allmächtiges Wort und sein allmächtiger Wille sind unwiderstehlich.
So lesen wir das erste Kapitel und sind überwältigt von dem Eindruck der Allmacht Gottes, eines ewigen und unwiderstehlichen Schöpfers. Im zweiten Kapitel hingegen werden wir überwältigt vom Eindruck der Liebe dieses gleichen Gottes. Wie herrlich passen diese beiden Eigenschaften Gottes zusammen: Er ist allmächtig und zugleich von Liebe bewegt. Die Allmacht ist also mit Liebe verbunden.
Hätten wir nur Allmacht ohne Liebe, wäre das abgrundtiefer Schrecken und Terror. Versuchen wir uns das einmal vorzustellen: Ein allmächtiger Gott, der nicht Liebe wäre, könnte mit uns machen, was er wollte. Tatsächlich kann er mit uns machen, was er will. Wäre er nicht Liebe, könnten wir nur in Schrecken vor ihm erstarren.
Doch was wäre diese Liebe, wenn sie nicht mit Allmacht gepaart wäre? Dann bliebe sie bestenfalls ein romantischer Traum. Jetzt aber ist die Allmacht mit dieser Liebe verbunden. Das bedeutet, dass die Absichten der Liebe Gottes sich auch verwirklichen.
So ist unser Gott. Anbetung gebührt diesem Gott.
Die Aufgabe des Menschen und das Fehlen des Menschen in der Schöpfung
In den ersten drei Versen dieses Kapitels – genauer gesagt den Versen 4, 5 und 6 – wird uns etwas über die Aufgabe des Menschen gesagt. Noch nicht alles, aber der Verfasser formuliert und stellt es auf eine eigentümliche Weise dar, sodass wir erkennen, dass die Schöpfung für ihr Gedeihen auf den Menschen angewiesen ist.
Gott hat Himmel und Erde sowie die Erde besonders erschaffen und den Menschen so in diese Schöpfung hineingestellt, an diesen Platz gegeben und bestimmt verordnet, dass die Schöpfung ohne den Menschen nicht gedeihen kann. Das wird hier vom Schreiber sehr schön dargestellt, indem er zeigt, dass der Mensch fehlt. Der Mensch war noch nicht da, und dieses Fehlen macht uns bewusst, dass die Schöpfung ihn braucht.
So geht es uns allen: Wenn wir dringend einen Schreiber brauchen und suchen, merken wir erst, wie wichtig ein Schreiber wäre, weil er uns fehlt. Das, was fehlt, zeigt uns, wie bedeutsam es ist. Leider merken wir das oft auch erst an Geschwistern, wenn sie nicht mehr da sind und uns fehlen. Dann erkennen wir, wie wichtig sie waren.
Wenn Geschwister heimgegangen sind, wird uns oft erst bewusst, welchen Dienst sie getan haben und welche Lücke sie hinterlassen. Der Mensch fehlt, kein Mensch war da, um den Erdboden zu bebauen. Das zeigt uns die Wichtigkeit des Menschen.
Von zwei Dingen wird gesagt, dass sie fehlen: Gott, der Herr, hatte noch nicht regnen lassen, und kein Mensch war da. Im Vers 6 wird beschrieben, wie Gott das erste Fehlende bereitstellt: Ein Dunst stieg von der Erde auf und befeuchtete die ganze Oberfläche des Erdbodens.
Dann wird uns in Vers 7 beschrieben, wie Gott das zweite Fehlende bereitstellt: die Erschaffung des Menschen.
Der Wechsel des Gottesnamens und die Beziehung Gottes zum Menschen
Nun ist uns hier aufgefallen, dass im Gegensatz zu Kapitel 1, wo stets „Gott sprach“ und „Gott machte“ steht, in diesem Kapitel „Gott der Herr“ verwendet wird, hebräisch Yahweh Elohim.
Das ist kein Zufall. In diesem Kapitel wird gezeigt, wie Gott, der Schöpfer und Allmächtige, als Elohim in Beziehung zum Menschen tritt und den Menschen mit sich in Beziehung setzt. Er ist also der Gott, der den Menschen für sich erschaffen hat und Umgang mit ihm pflegt.
Das ist der Sinn des göttlichen Titels Yahweh, der Seiende, der Ewigseiende, der zu uns in Beziehung tritt. Darum erfolgt hier dieser Wechsel des Gottesnamens.
Die Erschaffung des Menschen als Verbindung von Materiellem und Geistigem
Im Vers sieben wird die Erschaffung des Menschen beschrieben. Je öfter man diese Kapitel liest, je länger man darüber nachdenkt und je mehr man nebenbei von verschiedenen Theorien über den Menschen hört – auch wenn sie einen nicht besonders interessieren –, desto mehr wird man von der Tiefe und Vollständigkeit der Aussage beeindruckt.
Hier wird in aller Kürze auf den Punkt gebracht, wer und was der Mensch wirklich ist und was ihn zum Menschen macht. Gott formte den Menschen aus Staub vom Erdboden. Dieser Staub ist ein materieller Teil. Dieses Materielle teilen wir mit den Tieren; da besteht kein Unterschied. Ob ein Reh über die Wiese springt oder ein Pferd einen Wagen zieht – Salomo sagt ebenfalls, dass der Mensch dem Vieh gleicht. Das stimmt natürlich, wenn man den Menschen nur auf seine Körperlichkeit, auf seinen Leib reduziert.
Diese Sicht, den Menschen auf seine materielle Seite zu beschränken, war lange Zeit verbreitet. Das Christentum hat uns von dieser unsäglichen Torheit befreit. Doch unsere Zeit ist längst wieder in diese Irrlehre zurückgefallen, die Gott als Schöpfer und den Menschen verkennt: Der Mensch sei einfach nur ein Stück Materie.
Einerseits sind wir leiblich und materiell, aber was den Menschen zum Menschen macht, ist die Tatsache – und das unterscheidet ihn vom Tier –, dass Gott seinen Odem in ihn hauchte. Die Tiere haben ebenfalls eine Seele, wie es in 1. Mose 1,30 heißt: „Alles Getier der Erde, alle Vögel des Himmels und alles, was sich auf der Erde regt, in welchem eine lebendige Seele ist.“ Tierisches Leben nennt die Bibel auch Seele. Doch Gott hauchte den Tieren nicht seinen Odem ein.
Deshalb hat das Tier nicht – wie der Mensch – eine lebendige Seele, die ihren Odem direkt von Gott empfängt. Das ist es, was den Menschen zum Menschen macht: seine Beziehung zu seinem Schöpfer. Der Mensch ist eine lebendige Seele, ein geistiges Wesen und dadurch in Beziehung zu Gott gesetzt. Das sind die beiden Seiten, die ihn ausmachen.
Die bescheidene Herkunft des Menschen und seine Würde
Nun, was unseren materiellen Teil betrifft, so ist er von recht bescheidener Herkunft. Im Buch Hiob steht ein schöner Ausspruch, den ich kürzlich gelesen habe. Elihu sagt dort zum Menschen: „Vom Tone abgekniffen bin auch ich.“ Gemeint ist: vom Ton, also vom Lehm, sind wir gemacht. Das ist unser materieller Teil.
Die Bibel will uns damit daran erinnern, dass wir körperlich sehr bescheiden geschaffen sind. Wir sollten uns nicht besonders weise dünken, wenn wir uns auf die Stärke unserer Muskeln, die Empfindsamkeit unseres Gaumens oder das Fassungsvermögen unseres Bauches rühmen. Viele Menschen tun das, sie rühmen sich dieser Dinge.
Doch unser Körper ist so bescheiden, dass wir uns dessen nicht rühmen sollten. Es ist vielmehr eine Schande, wenn wir den Leib oder den Bauch zu unserem Gott machen. Gott aber hat seinen Odem in uns gehaucht. Das bedeutet, dass wir unser wahres Menschsein von oben, von Gott her haben. Das macht uns zum Menschen.
Darum hat Gott den Menschen auch aufrecht erschaffen. Das ist der Grund, warum der Mensch als einziges Geschöpf aufrecht geht. Er wird dadurch beständig daran erinnert, wohin er sich orientieren soll – nach oben. Er ist dazu geschaffen, mit seinem Gott zu reden und sein Angesicht zu seinem Schöpfer zu erheben.
Solange der Mensch dies tut, geht er aufrecht und steht damit über der ganzen Schöpfung. So wurde er erschaffen: als freier Herr über die ganze Schöpfung, über alle Tiere.
Die Bedeutung des Odems Gottes für die Seele des Menschen
Gott hauchte seinen Odem in uns, damit unsere Seele nach ihm hauche. Das ist schön gesagt, nicht von mir, sondern von Matthew Hendry. Ich habe ihn gestern schon erwähnt. Er drückte es so schön in schönem elisabethanischen Englisch aus: Die Seele, die Gott in uns gehaucht hat, soll nach Gott hauchen.
Das macht den Menschen zu dem, was er ist. Wenn der Mensch seine Beziehung zu seinem Gott nicht kennt – und schlimmer noch, sie verwirft oder nicht haben will – dann wird er zum Tier. Das sagen viele Theologen und Autoren.
Psalm 49 bringt es auf den Punkt: Der Mensch, der in Ansehen steht und keine Einsicht hat, gleicht dem Vieh, das vertilgt wird. Er mag noch so geehrt sein als Mensch, doch wenn er keine Einsicht hat in Gott und seine göttliche Bestimmung, gleicht er dem Vieh, das vertilgt wird.
Leben als Beziehung und die Bedeutung des Todes
Der Mensch wurde, wie wir gestern schon gesagt haben, zum Leben erschaffen. Er wurde eine lebendige Seele, heißt es in Vers 7.
Was ist Leben? Wie könnte man Leben definieren? Man kann einige Merkmale nennen, die sich irgendwie zusammentragen lassen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Leben zu definieren.
Aufgrund von 1. Mose 2 habe ich versucht, Leben folgendermaßen zu umschreiben: Leben ist die Summe der Beziehungen, in die der Schöpfer uns gestellt hat. Leben ist eine Gesamtheit von Beziehungen, deren oberste und alle übrigen Beziehungen begründende die zu Gott ist.
Die Beziehung zum Schöpfer, dann die Beziehung zum Erdboden – also der Erdboden wurde erschaffen, aber auch die Beziehung, den Erdboden zu bebauen –, die Beziehung zur Umwelt, etwas allgemeiner gesagt, dann eine Beziehung zur Arbeit und Beschäftigung, die Beziehung zu den Tieren und schließlich die Beziehung zum Nächsten. Hier ist die Beziehung zur Frau und die Frage zum Mann, beziehungsweise die Beziehung des Mannes zur Frau, beschrieben.
Das ist Leben. Jede dieser Beziehungen war voll, reich und tief. Die Gesamtheit dieser Beziehungen vermehrte und potenzierte das Glück der Beziehung, die bereits in einer Beziehung wohnte, und machte so das Leben des Menschen zur unbegrenzten Wonne – reich, voll, tief, reine Wonne.
So schuf Gott den Menschen zu einer lebendigen Seele.
Wir werden auch Anlass haben, uns aufgrund dieser Erklärung zu fragen, was dann Tod bedeutet, wenn Leben eine Gesamtheit von von Gott geschaffenen Beziehungen ist, von Beziehungen, in die Gott den Menschen gesetzt hat.
Das also ist die Erschaffung des Menschen.
Die Heimat des Menschen: Der Garten Eden
Ein dritter Teil in diesem Kapitel, Verse 8 bis 14, behandelt die Heimat des Menschen: Ein Garten. Ein Garten ist eine kunstvoll geformte und angelegte Schöpfung. Wie herrlich dieser Garten gewesen sein muss, können wir uns kaum vorstellen.
Die Schöpfung war bereits vollkommen und noch nicht von der Sünde geprägt, wie es heute der Fall ist. Es gab vor dem Sündenfall keinen Laubfall, denn Laubfall bedeutet Tod und Verfall. Ebenso gab es keine Dispen, keine Stiche oder Bisse, die Schmerzen verursachen. Die Schöpfung war vollkommen und unaussprechlich schön, so wie sie war.
Und hier ist ein Garten – das heißt also eine besonders kunstvoll angelegte Schöpfung. Gott setzte den Menschen genau dorthin. Er schuf den Menschen mit besonderen Fähigkeiten und mit einer lebendigen Seele. Der Mensch besitzt alle Sinne, die das Leben voll und reich machen. Diese Sinne verbinden ihn mit seiner Umgebung, mit Gott und mit allem, was seine Sinne wahrnehmen.
Gott gab dem Menschen diese Sinne nicht, um ihn zu frustrieren, sondern um alle Sinne zu erfreuen. Das muss im Garten in einer Weise geschehen sein, die wir uns kaum vorstellen können. Wir sehen hier eine Umgebung, die reich ist an vollkommenen Formen und Farben. Alle Sträucher und Bäume waren lieblich anzusehen – in ihrer Gestalt, in ihren Farben und in ihrer Beschaffenheit. Eine Umgebung, die auch Adams Geschmack erfreute. Die Früchte waren köstlich als Speise.
Wir lesen außerdem, dass ein Strom aus dem Garten ausging. Daraus dürfen wir wohl schließen, dass es Adams Aufgabe gewesen wäre, die ganze Schöpfung zu einem Garten zu machen. Das heißt nicht, dass er Unkraut jäten oder Schädlinge bekämpfen musste – solche Dinge gab es vor dem Sündenfall nicht.
Was bedeutet es also, aus einer vollkommenen Schöpfung einen Gärtner zu machen? Es bedeutet, der vollkommenen Schöpfung den Stempel seiner schöpferischen Fähigkeit aufzudrücken. Das wäre Adams glückliche Aufgabe gewesen: den Strömen folgend, überall dort, wohin die Ströme ihr Wasser trugen, den Garten auszuweiten und so die ganze Schöpfung in einen Garten zu verwandeln.
Die geographische Realität des Gartens Eden
Und dann wird uns noch etwas sehr Wichtiges gesagt. Alles wirkt so großartig und herrlich, wenn wir es lesen, dass wir denken könnten: So etwas hat es in dieser Schöpfung nie gegeben.
Damit wir diesen Gedanken sofort verwerfen, wird uns gesagt, dass dieser Garten auf dieser Erde angelegt worden war. Es werden uns nämlich geographische Namen genannt, von denen wir zunächst denken, sie passen doch gar nicht in diesen Bericht – Assyrien, der Euphrat und ähnliche Orte. Doch genau das sollen diese Ortsbezeichnungen bewirken: Sie sollen uns daran erinnern, dass die Schöpfung, so wie sie jetzt aussieht, einmal ganz anders war.
Diese Schöpfung, das Paradies, war nie und ist keine Utopie. Man spricht ja von einer Utopie meistens, wenn man sich irgendein irdisches Paradies vorstellt, das eines Tages anbrechen möge – sei es die sozialistische Utopie, die Utopie der Hippies oder was auch immer. Das Wort Utopie stammt aus dem Griechischen „Utopia“ und bedeutet „Nicht-Örtlichkeit“. Darum ist es eine sehr treffende Bezeichnung für Utopien, denn sie haben keinen Ort in der wirklichen Welt.
Der Garten Eden ist keine Utopie, keine „Nicht-Örtlichkeit“. Sondern der Garten Eden war eine Örtlichkeit in dieser Schöpfung. Das gibt uns auch einen Begriff davon und erinnert uns immer wieder daran, welch unfassbaren Schaden die Sünde angerichtet hat. Wie furchtbar die Sünde sein muss – ja, wie furchtbar sie ist –, wenn die Welt, wie Gott sie schuf, der Garten, der in dieser Welt war, so herrlich war.
Wenn wir das vergleichen mit der Schöpfung der Erde, wie sie jetzt nach nunmehr sechstausend Jahren Geschichte des sündigen Menschen aussieht, wird uns das Ausmaß des Schadens deutlich.
Das Gebot Gottes und die Freiheit des Menschen
Dann die Verse fünfzehn bis siebzehn: War der Garten Eden eine Vorkehrung Gottes, um alle Sinne des Menschen zu beglücken, so haben wir hier eine Vorkehrung Gottes, die gegeben ist, um den Geist des Menschen auf ewig zu beglücken.
Die Verse handeln nämlich von diesem einen Verbot, das Gott dem Menschen gab. Ja, es ist wirklich so: Das war eine Vorkehrung Gottes, um den Geist des Menschen zu beglücken und den Menschen in dem, was ihn wirklich zum Menschen macht, zu erfreuen.
Wir denken ja meistens: „Ach, dieses Verbot, das ist irgendwie…“ Wieso der Spielverderber im Hintergrund? Da war doch alles so schön, dieses Paradies. „Dass er einfach bald kommt“, denken wir, „ja, wie passt das?“ Nun, wir denken und urteilen so, weil wir eben Sünder sind. Unser ganzes Urteilen ist durch die Sünde so verkehrt und zerrüttet worden, dass wir meinen, Abhängigkeit von Gott sei ein Joch.
Durch dieses eine Verbot, das Gott dem Menschen gab, nämlich von diesem einen Baum nicht zu essen, erinnerte Gott, der Schöpfer, den Menschen daran, dass er all dieses Glück, sein Leben und die Wonne des Lebens seinem Schöpfer verdankte, dass alles von ihm kam.
Und durch dieses eine Verbot wollte Gott, dass der Mensch nicht vergesse, von wem er alles hatte, und dass er in dankbarer, glücklicher Abhängigkeit und Unterwürfigkeit unter seinem Schöpfer verharre. Denn das machte das Glück des Menschen aus. Das war die Quelle alles seines Glücks.
Die symbolische Bedeutung der Bäume im Garten
Nun scheint es mir, dass mit diesen beiden Bäumen – dem Baum des Lebens und dem Baum der Erkenntnis – genau das ausgedrückt wird. Ich zitiere hier aus einer sehr alten Auslegung zum Ersten Mosebuch. Diese Auslegung stammt aus der Reformationszeit und ist etwa 400 bis 500 Jahre alt.
Ein Ausleger schreibt über das Erste Mosebuch Folgendes: Gott beabsichtigte, dass der Mensch, so oft er von der Frucht des Baumes des Lebens kostete, sich daran erinnern sollte, woher er sein Leben empfing. Dadurch sollte er anerkennen, dass er nicht aus eigener Kraft lebt, sondern ausschließlich durch Gottes Freundlichkeit. Das Leben ist kein in ihm selbst wohnendes Gut, sondern geht von Gott aus.
Der Mensch hat nur insofern wahres Leben, als er seinem Gott unterworfen ist. Daran wollte Gott ihn beständig erinnern – auch durch den Baum des Lebens und durch das Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen.
Ein älterer Ausleger muss das natürlich so sagen. Wenn ich euch jetzt neugierig gemacht habe: Johannes Calvin schrieb in seinem Kommentar zur Genesis dazu Folgendes.
Dieses eine Verbot oder Gebot – wir haben ja beides hier, in Vers 16: Gott, der Herr, gebot dem Menschen und sprach: „Von jedem Baum des Gartens darfst du nach Belieben essen. Vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aber darfst du nicht essen; denn an dem Tag, an dem du davon isst, wirst du gewisslich sterben.“
Durch dieses Gebot und Verbot wird uns deutlich, dass Gott den Menschen als ein freies Wesen geschaffen hat. Adam war frei.
Freiheit und ihre wahre Bedeutung
Worin bestand seine Freiheit? Was ist Freiheit?
Wir denken meistens, Freiheit bedeutet, dass man wählen kann zwischen Gut und Böse und auch das Böse tun kann. Nur wenn man das Böse tun kann, sei man frei. Ja, das ist schon eine Art Freiheit. Aber was ist die höchste Form der Freiheit?
Ist Gott frei? Ist der Herr Jesus freier? Gibt es jemanden, der freier ist als Gott? Gott kann nicht lügen, und Gott kann nicht sündigen. Bedeutet das, er sei nicht frei?
Freiheit muss also etwas anderes bedeuten als nur die Wahl zwischen Gut und Böse zu haben, also auch das Böse tun zu können. Freiheit im höchsten Sinn heißt, das Gute zu erkennen und das Gute zu tun. Das ist Freiheit.
Freiheit bedeutet, das Gute tun zu können, das wir tun sollen. Freiheit heißt, so leben zu können, wie wir leben sollen. In diesem Sinn war Adam vollkommen frei. Er hatte die Kraft, die Macht und die Fähigkeit, vollkommen nach Gottes Gedanken zu leben. Er war wahrhaft frei.
Seine Freiheit bestand auch darin, dass er die Fähigkeit hatte, nicht zu sündigen. Solche Freiheit haben wir nicht mehr. Seit dem Sündenfall sind wir nicht mehr frei. Wir sind seit dem Sündenfall Knechte, denn wir können nicht anders, als zu sündigen.
So ist der gefallene Mensch nicht frei. Erst der erneuerte Mensch, der erlöste und einst verhärtete Mensch, ist wieder frei. Aber wir werden dann in einem noch höheren Sinn frei sein, denn in der Herrlichkeit werden wir nicht mehr sündigen können.
Als verherrlichte, erlöste Menschen in Christus werden wir nicht mehr sündigen können. Das wird die herrliche Freiheit der Kinder Gottes ausmachen.
Das Große und Herrliche, das Gott uns bereitet hat, das Gott uns befiehlt, nicht nur zu erkennen und zu wollen, sondern auch tun zu können – das ist Freiheit.
Die Konsequenzen des Ungehorsams und die Bedeutung des Todes
Nun, Gott sagte: „Des Tages, da du davon isst.“ Adam war also frei, das Gute zu tun. Er war frei, nicht zu sündigen. Aber er hatte auch die Fähigkeit zu sündigen. Man kann es so ausdrücken: Er hatte das Vermögen, nicht zu sündigen.
Der Mensch kann nicht anders, als zu sündigen – der gefallene Mensch, der verherrlichte Mensch kann nicht mehr anders. Und Gott sagte: „Des Tages, da du davon isst, wirst du gewisslich sterben.“
Was ist denn Tod? Wenn Leben eine Gesamtheit oder die Gesamtheit jener Beziehungen ist, in die Gott den Menschen setzte, dann ist Tod das Auflösen dieser Beziehungen. Diese Beziehungen haben ihren Obersten und alle anderen Begründenden in Gott. Die Beziehung zu Gott wurde durch die Sünde vollständig abgebrochen.
Darum sagt das Neue Testament: Der Mensch sei tot in Sünden und Übertretungen. Das heißt, die Beziehung zu Gott besteht nicht mehr. Alle übrigen Beziehungen wurden durch diesen Bruch gestört, aber nicht aufgehoben.
Der Mensch steht noch in Beziehung zur Umwelt, zum Boden, zur Arbeit und zu seinem Nächsten. All diese Beziehungen sind noch da. Aber sie sind nicht mehr so, wie Gott sie ursprünglich gewollt und gefügt hat – als eine Quelle ungetrübten Glücks.
Wir wissen es selbst: Arbeit – wir sind dankbar, wenn wir Arbeit haben. Und wenn wir keine haben, dann merken wir, wie sehr sie uns fehlt. Dennoch ist Arbeit immer ein schweißtreibendes Geschäft, oft auch ein frustrierendes.
Beziehungen zur Umwelt – wir wissen es sehr gut. Beziehungen zwischen den Menschen, das, was Gott als die wundervollste, die glücklichste und die allerbeste Beziehung innerhalb der Schöpfung gedacht hat, ist zu der geworden, die den Menschen am meisten quält.
Was tun Menschen sich an? Leid – in ihren Herzen, in ihren Seelen, in ihrem Gemüt. Unermessliches Leid. Das ist Tod: das Auflösen dieser Beziehungen.
Das wäre die Folge der Sünde.
Die Vervollständigung des Menschen durch die Erschaffung der Frau
Dann die Verse 18 bis 25 in diesem Abschnitt. Ich habe diesem Teil die Überschrift gegeben: Die Vervollständigung des Menschen, von Vers 18 bis 25.
Es heißt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ Das zeigt uns Gottes Absicht, Gottes Vorsatz. Gottes Vorsatz war von Anfang an, den Menschen als Mann und Frau zu erschaffen. Er ist der große Adam, der große, ihn liebende Versorger.
Aber zuerst macht Gott Adam bewusst, was ihm fehlt. Darüber habe ich mich auch gewundert. Was ist der Mensch, dass Gott ihn so schuf und wollte, dass der Mensch auch wissend teilhaben sollte an dem, was Gott mit und an ihm tut? Er ist ja allmächtig, er könnte uns ja nach Belieben herumschieben.
So will Gott, dass Adam bewusst wird, dass es ihm nicht gut ist, allein zu sein, dass ihm jemand oder etwas fehlt. Das wird ihm gezeigt, indem Gott der Herr alle Tiere an ihm vorbeiführt. Und er gibt diesen Tieren Namen.
Nun, die Namensgebung, besonders im Alten Testament, macht das deutlich. Die Namensgebung hat immer etwas mit dem Wesen, dem Charakter des Benannten zu tun. Adam heißt Adam, weil er eben ein Adam ist, logisch.
Was bedeutet denn Adam? Erd-Boden, die Erdling. Es würde unserer Demut gar nicht schlecht tun, wenn wir uns Erdling nennen würden. Wir sind eben diesbezüglich bescheidener Herkunft: Erdling.
Dann gibt Adam nachher der Frau einen Namen. Das hängt auch damit zusammen, dass er erkennt, wer sie nun ist. Später gibt er ihr in Kapitel drei noch einen zweiten Namen, Chavar, wo er wiederum etwas erkennt, was mit der Frau zusammenhängt.
Also hat die Namensgebung etwas mit dem Wesen, dem Charakter des Benannten zu tun.
Gibt nun Adam allen Tieren einen Namen, dann heißt das, dass er wirklich eine solche Intelligenz, einen solchen Verstand hatte, dass er sogleich ein Tier erkannte, wenn er es sah. Er erkannte, welchen Platz, welchen Stellenwert und welche Bedeutung dieses Tier in der ganzen Ökonomie der Schöpfung hatte.
Er muss einen ungeheuren Verstand gehabt haben, eine Erkenntnis der Werke und Wege Gottes, des Schöpfers, in der Schöpfung. So geht das eine Tier nach dem anderen durch die Namensgebung, und Adam erkennt ganz genau, was das Besondere dieses und jenes Tieres ist.
Am Ende merkt er aber, dass nichts da ist, das so ist wie er. Ein Elefant, ein imposantes Tier – was mache ich mit dem Elefanten jeden Tag, spazieren gehen? Also merkt er, dass keines dieser geschaffenen Wesen ihm entsprach.
Dann sehen wir, wie Gott, nachdem er in Adam dieses Bewusstsein geweckt hat, ihm genau das gibt, was ihm fehlt.
Das ist eine schöne Sache: Wenn Gottes Geist so an uns wirkt, dass er in uns ein gottgewirktes Verlangen weckt, dann kann man sich darauf verlassen, dass Gott genau dieses Verlangen stillt.
So funktioniert auch Gebet – „funktioniert“ ist ein hässliches Wort –, aber so geschieht erhörtes Beten. Gott legt uns etwas aufs Herz, das ein wahres, echtes geistliches Bedürfnis ist. Etwas, das Gott tun will, etwas, das fehlt, etwas, das ausgeführt werden muss.
Wenn er es uns aufs Herz legt, können wir darauf vertrauen, dass er es erfüllen wird. Und er tut es auch.
Und zwar, indem er Adam in einen Tiefschlaf versenkt. „Gott, der Herr, ließ einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen.“
Das ist nun wirklich ein bewegendes Bild: Der allmächtige Gott, und da liegt der Mensch in einem Tiefschlaf. Gibt es etwas Wehrloseres als einen schlafenden Menschen?
Wir wissen das alle. Wir kennen ja Leute, die sehr furchtlos und energisch sind, wenn sie auf ihren beiden Beinen stehen und agieren. Und manchmal trifft man solche, die man so kennt, die sind immer schlafend, ganz schwach, wirklich wehrlos, hilflos.
So liegt er da, und wir könnten sagen, er ist einem allmächtigen Gott ausgeliefert. Und so sind wir doch in der Hand Gottes, und Gott hat nur Absichten der unfassbaren, unbegreiflichen Liebe mit uns.
Während Adam schläft und nichts kann, nichts vermag, gibt ihm Gott genau das, was er braucht. Aus seiner Seite nimmt er eine Rippe und baut daraus eine Frau und bringt sie zum Menschen.
Jetzt kommt wieder ein Geschöpf, nachdem er all diese Tiere gesehen hat. Also, endlich, sagt er. Das ist eigentlich der Sinn der hebräischen Ausdrucksweise: „Endlich jemand, der ist wie ich, gebeint von meinem Gebeinfleisch, von meinem Fleisch.“ Endlich.
Und er gibt ihr so einen Namen: Ja, Frau, Ischara. „Ki me i schlake Chahi“, das heißt: „Denn von Mann ist sie genommen.“
Das ist also die Erschaffung der Frau. Das, was im ersten Schöpfungsbericht nur mit einem Satz gesagt wird: „Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn, Mann und Frau schuf er sie.“
Hier wird ausführlich beschrieben, wie zuerst die Erschaffung des Mannes und dann die Erschaffung der Frau geschah.
Die literarische Methode und der Wert von Mann und Frau
Und jetzt darf ich auch etwas anmerken. Es ist wie bei einigen Tauchlücken, eine literarische Methode. Mose, durch Gottes Geist inspiriert, hat geschrieben. Zweimal in diesem Kapitel weist er auf etwas Fehlendes hin, oder nicht?
Schon im Vers 5 wird gesagt, dass kein Mensch da war, um den Erdboden zu bebauen. Das Fehlen des Menschen zeigt, wie wichtig der Mensch ist. Hier wird gezeigt, dass Adam jemandem fehlt, der Adam entspricht. Das Fehlende der Frau wird dargestellt, um ihre Bedeutung hervorzuheben.
Und dann noch etwas: Die Frau wurde zuletzt erschaffen. Bedeutet das, dass sie deswegen die Letzte ist? Der Mensch wurde ebenfalls zuletzt erschaffen. Wir haben die sechs Schöpfungstage, und der Mensch wird zuletzt erschaffen. Bedeutet das, dass der Mensch den geringsten Wert hat? Nein, das hebt seinen Wert hervor. Er wird als Krone der Schöpfung zuletzt erschaffen.
Die Frau wird nach dem Mann erschaffen, denn die Frau ist die Krone des Mannes. Stammt das von mir? Nein, das habe ich auch irgendwo abgekupfert. Wisst ihr von wem? Von Salomo. Salomo sagt das: Eine tugendhafte Frau ist die Krone des Mannes. Das steht im Buch der Sprüche, Kapitel 12, Vers 4.
Also hebt das den Wert der Frau hervor. Und wir merken, wie abermals durch das Urteil des sündigen Menschen, angesteckt von verkehrt denkenden Sündern, der Eindruck entsteht, Paulus sei ein Frauenhasser. Deshalb schreibt er solche Dinge, dass die Frau nach dem Mann erschaffen sei.
Wenn wir die Sache so sehen und verstehen, wie Gott es gemeint hat, urteilen wir ganz anders. Ich will jetzt noch einmal Matthew Henry zitieren. Das habe ich bei ihm abgeschrieben: „Sie wurde aus der Seite Adams erschaffen.“ Man lässt das manchmal in etwas anderen Variationen stehen, aber ich finde das sehr schön formuliert, so wie es dieser alte englische Bibelausleger sagt.
Die Frau ist seinesgleichen, aus Adams Seite genommen, nicht aus seinem Kopf, damit sie über ihm herrsche, nicht aus seinen Füßen, damit er sie mit Füßen trete. Sondern aus seiner Seite, um ihm gleich zu sein, unter seinem Arm, um von ihm beschützt zu werden, nahe seinem Herzen, um von ihm geliebt zu werden. Ein Teil von ihm, damit sie ihm alle Zeit nicht fehle.
Die Erschaffung der Frau — darum habe ich diesem Abschnitt ganz bewusst die Überschrift gegeben: Die Vollendung oder die Vervollkommnung des Menschen, füreinander erschaffen.
Wie groß das wirklich ist, begreifen wir, wenn wir ins Neue Testament kommen. Dort sagt uns der Apostel Paulus, dass Gott den Menschen, Mann und Frau, als ein Abbild seiner Gedanken schuf. Diese Gedanken hatte er von Ewigkeit her über Christus und seine Versammlung, über seinen Sohn und seine Rangordnung.
Das sind die Gedanken, die Gott, der Schöpfer, mit dem Menschen hatte. Das sind die Absichten, die er in seiner Schöpfung verfolgte. Das ist der herrliche, der strahlende Hintergrund, auf dem in Kapitel 3 die Geschichte des Sündenfalls beschrieben wird.
Und das macht uns erst richtig deutlich, wie schlimm und wie furchtbar diese Katastrophe war — die Sünde gegen Gott. Doch davon heute Abend.