Einführung: Vom Verstehen zum Tun im Römerbrief
Ja, Römer 12, vielleicht habe ich das schon zum Sonntag gesagt, vielleicht ist es das Kapitel, weswegen der Römerbrief geschrieben worden ist. Eine ganz mutige Behauptung, ich weiß, von daher ist es schon ein besonderer Abend.
Es ist auch eine Wende im Römerbrief. Bisher ging es hauptsächlich darum, dass man Dinge hört, über Dinge nachdenkt und Dinge versteht. Und jetzt geht es plötzlich darum, dass man Dinge tut.
Das mit dem Verstehen war im Römerbrief nicht immer ganz einfach. Ich weiß nicht, ob er sich noch an Römer 4 oder die zweite Hälfte von Römer 5 erinnert – oder an ein paar andere Kapitel. Es ist nicht immer leicht, Paulus zu verstehen. Ich meine, wir haben Petrus ein paar Mal gelesen, der gesagt hat, dass es echt schwierig ist zu verstehen, was Paulus schreibt.
Aber Römer 12 zu tun, ist wahrscheinlich schwieriger als Römer 1 bis 11 zu verstehen. Es ist auf jeden Fall eine Umstellung. Mal gucken, ob wir das hinkriegen.
Das Kapitel 12 gibt einen Überblick über sehr viele praktische Dinge, die zum allergrößten Teil nur angerissen werden. Das heißt, sie werden nicht wirklich ausführlich ausgeführt. Paulus führt dann zwei oder drei Dinge in Kapitel 13, 14 und 15 genauer aus. Aber hier reißt er Dinge an, zeigt Prinzipien und gibt Anstöße. Es ist an vielen Stellen eine Aufzählung von Dingen.
Von daher ist es schwierig, darüber zu reden. Man bräuchte wahrscheinlich – das wäre vielleicht eine Anregung – mal irgendwann fünf Hauskreise über Römer 12 zu machen und darüber zu reden, was es praktisch wirklich bedeutet, was da so steht und was angedeutet und angerissen ist.
Das Problem ist: In den bisherigen Kapiteln habe ich immer versucht, einen roten Faden durchzuziehen. Für meine Begriffe hat das meistens gereicht, auch wenn links und rechts das eine oder andere Detail liegen geblieben ist.
Ich meine, es ist wichtig, in den Kapiteln, wo es Paulus ums Verständnis geht, irgendwie seine Schlussfolgerung zu kapieren. Ob du jedes Argument verstehst, weswegen er auf die Schlussfolgerung kommt, ist manchmal nicht so entscheidend, wenn du die Schlussfolgerung verstanden hast.
Das ist in Römer 12 anders. Römer 12 erinnert mich an die Bergpredigt. Wer würde versuchen, an einem Abend über die Bergpredigt zu reden?
Okay, aber was ist das Thema? Thema ist: Nachdem wir Römer 1 bis 11 gelesen und verstanden haben – also die mutige Voraussetzung, dass wir irgendwie verstanden haben –, was ist die angemessene Reaktion? Was ist eigentlich das Thema? Was ist die angemessene Reaktion auf Römer 1 bis 11?
Ziel des Briefes: Priesterlicher Dienst und heilige Opfer
Ich möchte am Anfang mit euch zwei Verse aus Römer 15 lesen, in denen Paulus etwas darüber sagt, warum er diesen Brief geschrieben hat. Vielleicht bezieht er sich dabei auch nur auf die letzten Kapitel.
Römer 15,15: „Ich habe euch aber teilweise freimütiger geschrieben, um euch zu erinnern an die Gnade, die mir von Gott gegeben ist, um ein Diener Christi Jesu zu sein für die Nationen.“
Und jetzt kommt es, worum es ihm wirklich geht: „Priesterlich dienend an dem Evangelium Gottes, damit das Opfer der Nationen wohlgefällig werde, geheiligt durch den Heiligen Geist.“
Paulus sagt, dass er ein Ziel hat. Er sieht sich als Priester und möchte, dass Gott Opfer bekommt. Der Gott, an den er glaubt, soll die Verehrung und die Opfer erhalten, die ihm gebühren. Dabei meint er nicht die Opfer, die Israel im Tempel bringt, sondern das Opfer der Nationen. Diese Nationen durften nicht in den Tempel hinein, sie brachten etwas anderes dar. Paulus möchte, dass dieses Opfer der Nationen geheiligt wird, dass Menschen heilige Opfer für Gott werden.
Darum habe ich gesagt, dass vielleicht Römer 12 zumindest den Kern des Römerbriefs bildet – vor allem der erste Vers und alles, was daraus folgt. Denn hier geht es um Opfer, hier geht es um das, was Paulus so nett als vernünftigen Gottesdienst bezeichnet.
Ich lese einfach mal den ersten Vers von Kapitel 12 vor.
Das Verhältnis zu Gott: Ganzheitliche Hingabe als vernünftiger Gottesdienst
Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes – oder aufgrund der Erbarmungen Gottes –, aufgrund all dessen, was wir jetzt über die Erbarmungen Gottes verstanden haben, nämlich dass wir aus Gnade gerettet sind, wie Gott sich zu uns gewandt hat und was es für Gott bedeutet, uns zu retten.
Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmungen Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer. Das ist euer vernünftiger Gottesdienst.
Gott sagt: Schaut mal, ihr habt gelesen, Römer 3, ihr habt gelesen Römer 5, ihr habt gelesen Römer 6 bis 8, ihr habt die Geschichte und den Plan Gottes mit Israel in Römer 9 bis 11 gelesen, ihr habt das alles gelesen. Und er sagt: Was ist die vernünftige Reaktion? Er hat ja immer unsere Vernunft angesprochen. Es waren lauter Kapitel, die nicht hauptsächlich unsere Emotionen, sondern unsere Vernunft angesprochen haben. Er hat gesagt: Kapiert ihr das nicht? So ist es, und so ist es.
Und jetzt sagt er: Es gibt eine vernünftige Schlussfolgerung, eine logische Folge aus all dem. Wie soll ich Gott dienen? Wie soll ich Gottesdienst üben? Wie soll ich diesen Gott verehren, wenn ich das alles verstanden habe?
Lest noch einmal den Vers: „Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmung Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer, was euer vernünftiger Gottesdienst ist.“
Ich rede jetzt wahrscheinlich über diesen Vers und die umgebenden Verse. Was ist Gottesdienst? Ist Gottesdienst für mich nur der Sonntagmorgen von elf bis zwölf, wenn ich in irgendeiner Kirche oder Gemeinde bin und mir eine Predigt anhöre? Oder ist Gottesdienst, wenn man besonders schon um halb zehn kommt und dann nicht nur eine Stunde, sondern zweieinhalb Stunden verbringt? Natürlich ist Gottesdienst nicht nur einmal die Woche. Gottesdienst ist auch, wenn ich regelmäßig zwanzig Minuten stille Zeit mache.
Paulus sagt: Wenn wir die Erbarmungen Gottes wirklich verstanden haben, wenn wir wirklich verstanden haben, was es heißt, dass wir verloren waren und dass wir gerettet worden sind, dann ist unser vernünftiger Gottesdienst nicht, dass wir etwas für Gott tun, nicht, dass wir etwas von unserer Zeit für Gott übrig haben, nicht, dass wir etwas von unserer Kraft für Gott übrig haben.
Er sagt: Dann ist vernünftiger Gottesdienst, dass wir verstehen, dass wir Gott gehören – ganz mit unserer Zeit, unserer Kraft, unseren Plänen, unseren Wünschen, unseren Begabungen und unserem materiellen Besitz.
Nicht, dass wir etwas davon Gott opfern. Wir bringen ihm ein Opfer, wir bringen ihm den Zehnten, wir bringen ihm etwas von dem, was wir sind und was uns gehört. Denn Paulus sagt: Wenn ihr wirklich verstanden habt, was das Evangelium ist, dann ist die Schlussfolgerung, dass ihr mit allem, was ihr habt, Gott gehört, dass ihr ein ganzheitliches Opfer für Gott seid.
Wisst ihr, was dieser Vers sagt? Nicht nur als Theorie im Kopf. Ihr habt die gute Ideologie, die gute Religion im Kopf, ihr habt tolle philosophische Ideen. Sondern ganz bodenständig: Alles, was wir planen und tun und alles, was wir haben, sollen wir mit dem Bewusstsein leben, dass es Gott gebührt.
Nicht nur, dass es Gott rechtlich gehört, sondern dass es Gott gebührt, all das zu bekommen. Natürlich müssen wir in unseren Lebensumständen weiter leben und irgendwie zurechtkommen. Aber das ist das, was Paulus sagt, was wir im Kopf haben sollen.
Gott hat seinen Sohn für uns geopfert. Die einzig vernünftige Antwort ist, dass wir uns mit dem ganzen Rest unseres Lebens – nachdem wir das verstanden haben – Gott opfern. Das ist die einzig vernünftige Reaktion, das ist euer vernünftiger Gottesdienst.
Ich finde es interessant, dass Paulus sagt, es ist ein lebendiges Opfer. Schon im Alten Testament war es verboten, Menschenopfer darzubringen. Wenn Gott ein Gott wäre, der Menschenopfer fordert, dann wäre es ein angemessener Gottesdienst, sich ihm zu opfern.
Aber das neutestamentliche Opfer ist glücklicherweise ein lebendiges Opfer. Auch wenn es manchmal ein bisschen schwieriger ist, macht es es nicht plötzlich vorbei. Es ist nicht eine einmalige Tat, sich Gott zu opfern, sondern etwas, das man beständig versuchen muss zu leben und zu verwirklichen in dem, was wir denken und planen.
Wir gehören Gott. Er hat jedes Recht auf unser Leben. Das ist unser vernünftiger Gottesdienst.
Diese Frage stellt Paulus uns: Ist deine Beziehung zu Gott nur Religion? Gibst du Gott Almosen von deiner Zeit, von deinen Plänen? Oder ist dein Leben wirklich Hingabe?
Kannst du wirklich sagen wie Paulus: „Das Leben ist für mich Christus“? Das ist letzten Endes mit anderen Worten das, was er hier in Römer 12 sagt: Das Leben ist für mich Christus, das Leben ist für mich, für Gott zu leben.
In der Situation, in der er mich hineingestellt hat, in den sozialen Verhältnissen, in denen er mich hineingestellt hat, ist das Leben für mich, für Gott zu leben.
Das Leben ist für mich nicht mehr, um für mich selbst zu leben. Das Leben ist für mich nicht in erster Linie, um für andere zu leben. Das Leben ist für mich, um für Gott zu leben.
Paulus sagt: Das ist eine vernünftige Schlussfolgerung. Er fasst unser Verhältnis zu Gott sehr kurz zusammen.
Verschiedene Beziehungen: Grundlegende Einteilung des Kapitels
Dieses Kapitel lässt sich in verschiedene Beziehungsbereiche unterteilen. Vers 1 beschreibt unser Verhältnis zu Gott. Vers 2 behandelt das Verhältnis zur Welt, in der wir leben, also zu unserer Umwelt. Vers 3 bezieht sich auf unser Verhältnis zu uns selbst. Ab Vers 4 geht es dann um das Verhältnis zu anderen Menschen. Dabei liegt der Schwerpunkt zunächst auf dem Verhältnis zu anderen Gläubigen, also unserem Miteinander. Später wird das Verhältnis zu Menschen thematisiert, die uns eher feindlich gegenüberstehen.
Grundlegend beginnt Paulus jedoch mit dem Wichtigsten: Er sagt, dass all diese anderen Beziehungen aus unserem Verhältnis zu Gott entstehen. Vielleicht ist es manchmal an der Zeit, auf die Knie zu gehen und Gott zu sagen: Du hast ein Recht auf mein Leben, und ich möchte, dass dieses Leben dir gehört.
Einer der gläubigen anglikanischen Bischöfe, die es in der Geschichte immer wieder gab, hat das so praktiziert. Er kniete sich jeden Morgen an sein Bett, legte sich darüber und sagte: Dieses Bett ist der Altar, und ich bin das lebendige Opfer. Dieser Tag gehört dir. So begann er jeden Morgen mit dem Bekenntnis, dass sein Leben an diesem Tag ein Opfer auf Gottes Altar ist.
Er überließ Gott die Führung: Du bestimmst, wo es langgeht, du bist der Chef. Es geht nicht um meine Interessen, nicht um meine Verwirklichung, nicht um meine Pläne – du bist der Herr.
Hast du den Mut? Dann tue das ab und zu. Es ist wie in der Ehe: Manchmal muss man sich solche Dinge sagen, dass man sich liebt. Man kann nicht sagen: „Ich habe das vor einundzwanzig Jahren gesagt, das reicht für den Rest des Lebens.“ Abends ist es gut, solche Worte auszusprechen.
Das ist unser vernünftiger Gottesdienst.
Das Verhältnis zur Welt: Anders sein durch Erneuerung des Sinnes
Vers 2 behandelt das Verhältnis zu der Welt, in der wir leben. Es ist offensichtlich, dass das, was in Vers 1 beschrieben wird, nicht zu der Welt passt, in der wir leben. Diese Welt ist ganz anders. Das ist das Problem: Wir leben in dieser Welt und sind in ihr groß geworden.
Manche von uns stammen aus Familien, für die das, was hier beschrieben wird, völlig fremd ist. Wir sind ganz anders erzogen worden, für einen ganz anderen Lebensstil. Egal, wo wir hinkommen – im Kindergarten, in der Schule, in der Ausbildung oder im Beruf – es geht um ganz andere Ziele.
Wir stehen mittendrin. Wir haben nicht die Berufung, uns in Klöster zurückzuziehen, um nur noch mit Leuten zusammen zu sein, die genauso leben. Stattdessen sind wir mitten in der Gesellschaft und werden durch die Medien geprägt. Wir werden auf einen ganz anderen Lebensstil und andere Lebensziele gepolt. Von allem, was uns beeinflusst, werden wir auf andere Ziele ausgerichtet, bis es uns selbstverständlich erscheint, für unsere Selbstverwirklichung, unsere Bequemlichkeit, unsere Karriere oder unsere Kinder zu leben.
Das erscheint uns so normal, dass wir es normalerweise niemals in Frage stellen würden. Wenn wir es doch hinterfragen wollen, müssen wir das sehr bewusst tun, denn emotional erscheint uns das normal. Paulus sah das damals nicht anders.
In Vers 2 heißt es: "Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes, so dass ihr prüfen mögt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist." (Römer 12,2)
Er sagt, wenn ihr euer Leben für Gott leben wollt, müsst ihr euch ganz bewusst entscheiden, nicht so zu sein wie eure Umgebung. Das ist eine bewusste Entscheidung, denn es erfordert Kraft, anders zu sein. Gleichförmig zu sein wie alle anderen um uns herum, kostet wenig Kraft. Anders zu sein, erfordert Kraft.
Entschiedenheit, nicht alles mitzumachen, und entschieden Nein zu sagen – das ist oft ein Problem, besonders wenn man jung ist. Man ist automatisch in Gemeinschaften eingebunden und muss lernen, Nein zu sagen und Grenzen zu setzen. Das ist schwierig, denn wir sind soziale Wesen, harmoniebedürftig. Wir mögen es nicht, Nein zu sagen, niemanden vor den Kopf zu stoßen und nicht als unsozial zu gelten.
Wenn man älter wird, wird es subtiler, nicht alles mitzumachen. Es ist nicht mehr dieser direkte Gruppendruck: "Wir gehen jetzt irgendwohin und machen mit." Es ist mehr das, was über die Jahre unser Denken und Empfinden geprägt hat. Da ist es schwer, anders zu sein.
Das Wort "gleichförmig" in der alten Übersetzung enthält das Wort "Form". Das hat viele dazu verleitet, hauptsächlich an äußere Formen zu denken. Das heißt, sich in äußeren Dingen von der Umgebung zu unterscheiden.
Niemand würde das heute so übersetzen, aber oft ist das die automatische Vorstellung. Als die ersten Leute Radio hatten, galt Radio als ungeistlich; Christen hatten kein Radio. Als die ersten Leute Fernseher hatten, hatten Christen nur ein Radio. Wenn die ersten Frauen Röcke trugen, die die Knie zeigten, trugen christliche Frauen längere Röcke. Wenn die Röcke dann kürzer wurden, trugen christliche Frauen Röcke, die die Knie zeigten. Man macht ein bisschen andere Musik, die meist zwanzig Jahre älter ist als die Welt.
Das ist manchmal nicht verkehrt, und ich möchte nichts dagegen sagen. Aber ich glaube, das ist nicht der Kern des Verses. Der Kern ist nicht, sich äußerlich von der Umgebung zu unterscheiden. Manchmal ist das gut, aber die Wurzel liegt woanders.
Die Wurzel ist vielmehr das Wort "Muster". Ihr sollt ein anderes Verhaltensmuster haben, einen anderen Lebensstil, andere Ziele und Prioritäten als die Welt um euch herum. Natürlich haben die Leute, die auf das Äußere pochen, recht, wenn sie sagen, dass das Auswirkungen hat. Wenn ich einen anderen Lebensstil habe und als Frau nicht möchte, dass alle Männer hinter mir hergucken, werde ich mich auch anders kleiden. Das ist wahr.
Aber es ist wichtig, von der richtigen Seite zu denken. Paulus meint nicht hauptsächlich äußere Unterschiede, sondern eine andere innere Einstellung. Habt nicht das gleiche Lebensmuster wie eure Umgebung. Lernt das! Auch wenn bei eurer Arbeitsstelle 80 Prozent der Leute so ticken, ist es nicht selbstverständlich, für Karriere zu leben.
Es ist nicht selbstverständlich, als Frau für Karriere zu leben. Es ist genauso wenig selbstverständlich, die Kinder zum Mittelpunkt des Lebens zu machen. Es ist nicht selbstverständlich, den Lebensstil, den man in Deutschland hat, zu übernehmen – geschweige denn im Reich Gottes.
Paulus fordert uns auf, zu überlegen, wie die Welt um uns herum tickt, zu sehen, wo wir eigentlich mitmischen, weil wir so geprägt wurden, und uns die Mühe zu machen, diese Dinge zu überprüfen. Wir sollen fragen: Was bedeutet es eigentlich, ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer zu sein? Was heißt das für meine Lebensziele? Was heißt das für meinen Lebensstil? Wo bedeutet das automatisch, dass ich anders handeln muss als meine Umgebung?
Das steckt hier drin.
Dann folgt ein schöner Satz, der auch aus dem Philipperbrief stammen könnte: "Werdet verwandelt durch die Erneuerung eures Sinnes." Fangt an, neu zu denken, in neue Richtungen zu denken. Nehmt die Bibel an und überlegt: Wie denkt Gott eigentlich? Nicht: Wie ist es in Deutschland üblich? Nicht: Wie machen es meine Freunde? Sondern: Wie denkt Gott?
Dann werdet ihr prüfen können, was der gute, wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist. Prüft, was der Wille Gottes ist, macht euch diese Mühe!
Darum bete ich, dass eure Lieben mehr und mehr überströmen in aller Erkenntnis und Einsicht, damit ihr prüfen mögt, was der Wille Gottes ist (Philipper 1,11).
Ein paar Jahre später, im Gefängnis, hat Paulus dafür gebetet, dass sie genau das tun, was in Römer 12,2 steht. Nicht einfach sagen: "Ja, ich tue den Willen Gottes", wenn es so klar ist, dass ich nicht mehr daran vorbeikomme. Nein, sagt Paulus, setzt euch hin und prüft, was der Wille Gottes ist. Seid aktiv!
Sagt nicht: "Hauptsache, Gott sagt nichts zu mir, dann kann ich so weiterleben wie alle anderen oder wie es mir passt oder wie auch immer ich gestrickt bin." Prüft, was der Wille Gottes ist, und ändert euer Denken.
Was ist Teil unseres vernünftigen Gottesdienstes? Das ist eine Herausforderung. Mach das ab und zu! Überlege, wo du wirklich noch für andere Ziele lebst, andere Lebensmuster hast, einen anderen Lebensstil als deine Umgebung.
Setz dich ab und zu hin, um nachzudenken und werde erneuert. Lass dein Denken erneuern – das ist die Herausforderung von Römer 12,2.
Das Verhältnis zu uns selbst: Bodenständigkeit und realistische Selbsteinschätzung
Vers 3. Hier geht es ein Stück weit um unser Verhältnis zu uns selbst. Paulus sagt: „Durch die Gnade, die mir gegeben worden ist, jedem, der unter euch ist, ganz persönlich jedem, sage ich: Nicht höher zu denken, als sich zu denken gebührt, sondern so zu denken, dass er besonnen sei, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“
Dieser Vers wird unterschiedlich übersetzt. Ich habe zwei Worte weggelassen, die in den meisten Übersetzungen kursiv gesetzt sind. Dort steht oft „nicht höher von sich zu denken“. Das ist sicher nicht ganz falsch, aber die Wörter „von sich“ stehen im griechischen Text nicht. Daher ist es gut zu sagen: Wir sollen nicht so arrogant sein und denken, wir sind so toll, können alles und kommen alleine zurecht. Das steckt hier drin. Prinzipiell steht hier aber erst einmal „nicht höher zu denken, als sich zu denken gebührt“.
Das entspricht auch der Botschaft von Römer 12. Wenn wir weiterlesen, werden wir immer wieder an dieser Botschaft vorbeikommen. Paulus sagt: Leute, gebt euch Gott hin, ändert euer Denken und seid bodenständig. Ich möchte einfach dieses Wort verwenden: Seid bodenständig. Wer sagt, ihr haltet euch zu niedrig oder haltet euch für zu klug, der irrt. Ich weiß nicht, warum Paulus den Römern das geschrieben hat. Ich könnte mir vorstellen, warum es uns geschrieben ist.
Wir sind in unserem Denken oft sehr arrogant. Wir meinen immer, wir haben alles verstanden. Geh mal in irgendeine Kneipe, setz dich an einen Stammtisch. Jeder kann die Fußballnationalmannschaft besser trainieren als Jogi Löw, der da sitzt. Jeder kann die Finanzpolitik besser steuern als unser Finanzminister. Die Wirtschaftskrise, die Rentenreform – alles können wir besser. Wir wissen es immer persönlich am besten.
Und das gilt nicht nur für große Themen. Wir neigen einfach dazu, unser Denken, wie wir Dinge verstehen und einordnen, für den Weisheit letzten Schluss zu halten. Wenn wir es erfasst haben, empfinden wir es so: Ich habe es jetzt kapiert. Wenn diese Politiker das nicht kapieren, sind sie blöd. Das steckt ganz tief in uns drin.
Paulus sagt: In Bezug auf Gott ist das eine sehr gefährliche Haltung. Das ist, glaube ich, ein Aspekt, der hier drinsteckt. Gott redet. Und wenn du sagst, dass du dich Gott hingibst, musst du ab und zu einfach die Dinge tun, die Gott sagt, auch wenn du sie nicht verstehst.
Wir neigen dazu, nur die Dinge zu tun, die wir einsehen und nachvollziehen können. Wo wir genau wissen, warum Gott es so will und warum es sinnvoll ist – auch für unsere Beziehung, unser Leben und unsere Entwicklung. Das tun wir dann.
Aber dann kommen wir an Stellen vorbei, wo wir den Eindruck haben: Das sehe ich nicht ein. Passt nicht in unsere Zeit, ist mir eher ein Hindernis. Und wir kommen automatisch auch Gott gegenüber auf diese Spur: Ich bin zu einer Schlussfolgerung gekommen, und wie ich denke, stimmt sie.
Es ist gut, wenn wir versuchen, das, was Gott sagt, zu verstehen und nachzuvollziehen, warum er es sagt. Aber wenn es Punkte gibt, die wir lange Zeit nicht verstehen, meint Paulus hier wohl, dass wir uns nicht für zu klug halten sollen. Wir sollen nicht über das hinausdenken, was angemessen ist. Wir sollen nicht Dinge, die Gott gesagt hat, mit unserem Verstand wegrationalisieren.
Stattdessen sollen wir so demütig sein zu sagen: Ich kapiere es noch nicht. Aber eins kapiere ich: Gott will es offensichtlich, und darum tue ich es, weil es einfach da steht.
Ich glaube, deshalb verwende ich das Wort „bodenständig“. Das Dritte, was hier mitschwingt, hat viel damit zu tun, dass wir oft zu hoch von uns denken. Paulus sagt: Pass auf, dass das, was du an Zielen hast, nicht nur Träume sind.
Ich möchte Missionar in Afrika werden, aber bisher habe ich es noch nicht geschafft, mit irgendjemandem aus meiner Klasse über das Evangelium zu reden. Das ist auch „höher denken, als sich zu denken gebührt“.
Darum sagt Paulus hinterher: „Sondern jeder, wie Gott ihm das Maß des Glaubens zugeteilt hat.“ Das heißt auch, wie viel Glauben, wie viel Vertrauen zu Gott, wie viel Leben mit Gott ich in meiner aktuellen Situation habe.
Wenn ich nicht angefangen habe, Menschen zum Herrn zu führen, muss ich nicht davon träumen, irgendwo Missionar zu sein. Dann verliere ich den Boden unter den Füßen. Dann werde ich vielleicht Suaheli lernen und sonst irgendwelche Tropenkurse machen, aber ich habe nicht verstanden, mit Gott in meinem momentanen Alltag zu leben und ein Zeuge für ihn zu sein.
Das bezieht sich nicht nur auf das Missionarsein, sondern auf alle Gaben, die ich mir vorstelle. Wenn ich denke, ich rette Offenbach, aber bei niemandem anfange, habe ich zu hoch von mir gedacht.
Wenn ich mein Leben lang davon träume, Offenbach zu retten, aber bei niemandem anfange, dann hat dieses „zu hoch denken“ mich daran gehindert, bodenständig dem Herrn praktisch im Alltag zu dienen.
Das hat mit unserem Verhältnis zu uns selbst zu tun, mit unserer Selbsteinschätzung und unserem Realitätssinn. „Wie Gott einem jedes Maß des Glaubens zugeteilt hat.“
Ich bin nicht gegen große Ziele, versteh mich nicht falsch. Manchmal beleidigen wir Gott sogar, indem unsere Ziele zu klein sind. Aber auch wenn wir große Ziele haben, müssen wir mit kleinen Zielen anfangen, um irgendwann die großen erreichen zu können.
Seid bodenständig in eurem Verhältnis zu Gott. Seid hingegeben in eurem Verhältnis zur Welt. Habt den Mut, anders zu sein. Und in eurem Verhältnis zu euch selbst bleibt auf dem Boden.
Seid zufrieden mit kleinen Dingen, mit normalen Menschen in eurer Umgebung. Seid zufrieden mit konkreten Schritten auf euer Ziel zu. Hört auf, euch zu viel auf euch einzubilden und hört auf zu träumen.
Träume sind nicht dasselbe wie Ziele. Träume sind immer Wolken, echte Ziele fangen immer mit dem ersten Schritt an.
Denn ich sage: Durch die Gnade, die mir gegeben worden ist, jedem, der unter euch ist, sage ich: Nicht höher zu denken, als sich zu denken gebührt. Nun so zu denken, dass er besonnen sei, wie Gott einem jeden das Maß des Glaubens zugeteilt hat.
So, das war das Verhältnis zu Gott, das Verhältnis zu unserer sozialen Umgebung, das Verhältnis zu unserem eigenen Denken – wie soll ich sagen – unserer Selbsteinschätzung, unseren Lebenszielen und was auch immer da alles drinsteckt.
Verschiedene Gaben in der Gemeinde: Vielfalt und gegenseitige Abhängigkeit
Und dann nimmt er ein Beispiel für dieses Nicht-zu-hoch-Denken und erzählt, welche verschiedenen Dinge eigentlich notwendig sind in der Gemeinde, welche verschiedenen Gaben und Möglichkeiten es gibt.
Es ist so schön, wie er das mischt. Ich glaube, darum geht es hier auch. Hauptsächlich geht es darum, wie er das gemischt hat. Er kann das nur anreißen, denn es würde den heutigen Abend sprengen, diese Gaben ausführlich anzuschauen.
Ich möchte nur ganz kurz mit euch besprechen, warum diese Gaben hier stehen. Ich lese mal Vers 4 bis 8:
Denn ebenso, wie wir in einem Leib viele Glieder haben, und die Glieder nicht alle dieselbe Tätigkeit haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, einzeln aber Glieder voneinander. Da wir verschiedene Gnadengaben haben nach der uns verliehenen Gnade: Es sei Weissagung, so lasst uns weissagen nach dem Maß des Glaubens, es sei Dienst, so lasst uns bleiben im Dienst, es sei der, der da lehrt, in der Lehre, sei der, der da ermahnt, in der Ermahnung, der da gibt, mit Einfall, der vorsteht, mit Fleiß, der Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit.
Paulus sagt, ein Problem beim zu hoch Denken – und ich sage mal, zu hoch von uns Denken – ist, dass wir das Gefühl dafür verlieren, dass wir einander brauchen. Wir haben das Gefühl, wir könnten alles alleine schaffen. Vielleicht brauchen wir einander noch, um uns zu bremsen, damit wir nicht abheben, aber eigentlich, von unserem Charakter her, brauchen wir niemanden.
Vielleicht gibt es solche Leute, echte Pioniere, vielleicht war Paulus manchmal einer, der allein zurechtkommen musste. Aber das ist nicht der Standard. Normalerweise gibt es das so gut wie gar nicht. Paulus sagt, es sind so viele verschiedene Dinge, und wir sind ein Leib – wir brauchen einander.
Im Korintherbrief, Kapitel 12, erklärt er das noch viel ausführlicher: Kein Glied kann sagen, dass es die anderen Glieder nicht braucht. Es kann nicht sagen: „Ich bin das Auge, und Sehen ist so toll, ich brauche sonst nichts, alles Auge.“ Wir sagen es ja auch im Deutschen: „Ich bin ganz Ohr.“ Paulus sagt, es ist genau nicht so, wie es ist, sondern es gibt so verschiedene Dinge. Es gibt Dinge, mit denen man mehr im Vordergrund steht, und Dinge, mit denen man mehr im Hintergrund steht.
Ich habe die berechtigte Befürchtung, dass die, die mehr im Hintergrund stehen und treu sind, im Himmel vorne stehen werden. Die, die weissagen oder prophezeien – es ist dasselbe Wort. Im ersten Korintherbrief wird gesagt, dass das die Gabe ist, nach der wir streben sollen.
Wenn jemand nach der wichtigsten Gabe fragt: Die wichtigste Gabe ist natürlich die Liebe (1. Korinther 13), aber ansonsten ist die wichtigste Gabe Weissagen. Das heißt, irgendwie von Gott geführt immer das zu sagen, was gerade dran ist. Das ist eigentlich Weissagen oder Prophezeien: ein Empfinden dafür zu haben, welches Thema gerade dran ist.
Paulus sagt, manche Leute haben diese Gabe. Dann gibt es andere Leute, die dienen. Die haben einfach einen Blick für die praktischen Dinge. Sie stellen sich gar nicht hin und sagen, was gerade dran ist, und wer nicht zuhört, hat Pech, sondern sie sehen, was praktisch gerade dran ist, und sie machen es einfach. Sie sind vielleicht anderen ein Vorbild damit. Sie reden gar nicht viel und stehen nicht groß im Vordergrund. Beide sind genauso wichtig.
Es gibt Leute, die lehren. Das sind wieder Leute, die mehr reden, wie die ersten, die weissagen. Es gibt Leute, die ermahnen, die reden vielleicht auch.
Was macht der, der lehrt? Er lehrt den Leuten, was richtig und was falsch ist, und versucht, ihnen schwierige Dinge zu erklären. Ein guter Lehrer sagt den Leuten nicht nur, was richtig und falsch ist, sondern bringt ihnen etwas bei.
Man stelle sich eine Lehrerin in ihrer ersten Klasse vor, die den Kindern immer nur sagt, was richtig und falsch ist. Die Kinder können hinterher immer noch nicht lesen und schreiben. Ein guter Lehrer kann dir etwas beibringen, sodass du hinterher sagst: „Jetzt kann ich es.“
Manchmal steht ein Lehrer da und erklärt den Römerbrief. Manchmal versucht ein Lehrer, ein Studium zu erklären. Wenn die Leute es hinterher können, ist das gut, wenn nicht, dann nicht.
Dann gibt es Leute, die ermahnen oder ermuntern – das ist dasselbe Wort. Das ist ein bisschen persönlicher. Der Lehrer sagt, wie es richtig ist, und bringt einem bei, was man tun soll. Jemand, der ermahnt, ist ein bisschen persönlicher.
Manchmal muss man eine ganze Gruppe ermahnen, aber manchmal ist es auch etwas sehr Persönliches. Du siehst bei jemandem ganz persönlich: Vielleicht braucht er eine Ermunterung – das steckt auch im Wort – oder er ist irgendwo knapp am Ziel vorbei mit seiner Einstellung oder mit einer praktischen Handlung. Dann musst du ihn einfach ermahnen.
Das ist eine etwas andere Gabe als beim Lehrer, aber auch eine, bei der man redet.
Der Nächste ist der, der gibt. Wer mitteilt, steht da, aber das ist nicht das Wort für mitteilsam, ich erzähle euch mal was, sondern es ist jemand, der einfach etwas von seinem Besitz gibt. Da steht, der soll das mit Einfall tun. Er soll nicht denken: „Vielleicht kriege ich es zurück“ oder „Warum gebe ich so viel und die anderen so wenig?“ Sondern es ist jemand, der freigebig ist.
Schon der Herr Jesus hat gesagt, dass wir das nach Möglichkeit im Verborgenen tun sollen. Das heißt, dass keiner vorne steht und sagt: „Ich habe drei Euro gespendet. Wie viel spendet ihr? Wer spendet mehr? Hand hoch!“ Quatsch, das ist etwas, das im Verborgenen geschieht.
Es gibt Dinge, die in der Öffentlichkeit geschehen, aber es ist notwendig, dass Leute, die sich vollzeitlich für den Dienst des Herrn einsetzen, zum Beispiel etwas bekommen. Dass Arme in der Gemeinde, die gerade finanzielle Schwierigkeiten haben, etwas bekommen. Dass man Räume bezahlen kann – solche Gaben sind notwendig.
Vielleicht kommt es von jemandem, der nie vorne steht. Jemand, der vorsteht, soll das mit Fleiß tun.
Ich dachte mir: So viele Leute wollen vorne stehen, also vorstellen, führen, alle mir nach! Aber ich glaube, das ist hier nicht nur gemeint: „Alle mir nach!“ Ich glaube, mit Vorstehen ist gemeint, dass ich wirklich bereit bin, Verantwortung zu übernehmen.
Überleg mal: Da ist jemand, ein jüngerer Mensch oder jemand, der vielleicht mit bestimmten Lebenssituationen nicht gut zurechtkommt, und du sagst: „Ich übernehme wirklich Verantwortung für ihn.“ Das ist Vorstehen.
Ich finde das nicht so einfach. Ich meine, führen, solange alle folgen und ab und zu mal einer meckert, aber im Großen und Ganzen immer sagen: „Toll, dass du das machst!“ – das ist einfach.
Aber führen, wenn es wirklich schwierig wird – nicht nur durch Widerstand, sondern wenn die, die ich führen soll, in Schwierigkeiten sind, und ich wirklich Verantwortung für ihr Leben übernehmen soll, weil ich mich darauf eingelassen habe – das können nicht viele.
Und wir tun das mit unseren eigenen Kindern notgedrungen, manche mehr, manche weniger lang. Irgendwann, wenn die zu aufsässig sind, macht man auch irgendwie innerlich zu und sagt: „Okay, du kriegst bei mir noch dein Essen und dein Bett, aber ansonsten hörst du ja so und so nicht auf mich, dann tu, was du willst.“
Sich wirklich darauf einzulassen, voranzustehen – das ist eine Herausforderung.
Wer Barmherzigkeit übt mit Freudigkeit, zeigt Empathie, dieses Mitfühlen mit Menschen, ihnen helfen – nicht, weil man helfen muss oder mit ein paar Geldscheinen sein Gewissen beruhigen kann, sondern weil man wirklich mitfühlt.
Das sind oft Leute, die nicht im Vordergrund stehen.
Paulus sagt: So ist der Leib aufgebaut. Das sind nur ein paar Beispiele, wie unterschiedlich es ist. Die einen sieht man, die anderen nicht. Und du brauchst sie alle. Bild dir nicht zu viel auf dich und deine Gaben ein. Du brauchst die anderen.
Es gibt mindestens sechs Sachen in dieser Aufzählung, die du nicht gut kannst. Eine kannst du vielleicht gut, vielleicht gibt es sieben, die du nicht gut kannst. Du kannst noch etwas anderes, das sind nur Beispiele.
Denk nicht höher und denk nicht höher von dir, als es angebracht ist zu denken. Leb für Gott – das ist ein vernünftiger Gottesdienst.
Umgang miteinander: Liebe, Ehrlichkeit und gegenseitige Unterstützung
In den Versen 9 bis 21 geht es weiter um unseren Umgang miteinander und den Umgang mit Menschen. Wir werden diese Passage relativ kurz durchgehen. Einige Aspekte werden auf den Arbeitsblättern in den Hauskreisen ausführlicher behandelt.
Die Überschrift ist Vers 9, und schon hier zeigt sich ein interessanter Gegensatz. Zum einen steht da: „Die Liebe sei ungeheuchelt“, und auf der anderen Seite: „Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten.“
„Die Liebe sei ungeheuchelt“ – hier, denke ich, meint Paulus wirklich das Verhältnis unter Geschwistern. Wir werden später sehen, dass sich das auch noch auf Feinde bezieht, aber der Schwerpunkt liegt hier auf der ungeheuchelten Liebe unter Geschwistern.
Ich möchte nicht viel dazu sagen, aber ich glaube nicht, dass hier gemeint ist: Tu nicht so, als würdest du den anderen lieben, und in Wirklichkeit lehnst du ihn ab. Das ist nicht der Punkt von „ungeheuchelt“ hier. Vielmehr geht es darum, nicht so zu tun, als würdest du den anderen lieben, wenn er dir in Wirklichkeit egal ist. Und das ist schon relativ stark formuliert.
Ich glaube, dieser ganze Abschnitt fordert dazu auf, sich auf Beziehungen einzulassen. Es geht nicht darum, Distanz zu wahren und die eigene Sicherheit zu schützen. Das heißt nicht: Ich lasse jeden nur so nah an mich heran, dass er mir nicht wehtun kann. Wenn er mich enttäuscht, komme ich gut damit klar, weil ich ihn emotional nicht so nah an mich herangelassen habe, dass er mich wirklich verletzen kann. Kennt ihr das?
Ich glaube, genau darum geht es: Wir sollen den Mut haben, uns auf Beziehung einzulassen. Das ist gar nicht so einfach. Natürlich wird es umso schwieriger, wenn man sich auf eine oder mehrere Beziehungen eingelassen hat und dabei verletzt wurde. Aber genau darum geht es.
Das andere, was hier steht, ist: Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Einerseits sollen wir uns auf Beziehungen einlassen, andererseits dürfen wir dabei unsere Maßstäbe nicht verlieren. Wenn ich mich auf eine Beziehung eingelassen habe, muss ich trotzdem das Böse beim Namen nennen und das Gute als gut anerkennen.
Weißt du, wie viele Leute vieles absolut verurteilen würden – außer wenn es um ihren eigenen Familienkreis geht? Schau mal nach Sizilien, da erlebt man das im Extrem, oder in anderen südlichen Ländern. Wenn dort jemand wirklich aus der Gemeinde ausgeschlossen werden muss, steht meistens die ganze Großfamilie hinter der Person. Weil sie eine Beziehung haben, sind sie innerhalb dieses engen Kreises nicht mehr bereit, das Gute gut und das Böse böse zu nennen. Das gilt nur außerhalb dieses Kreises.
Bei uns ist das nicht anders, nur sind die Grenzen etwas anders. Wir leben nicht in so großen Clans, daher ist der Kreis, in dem wir so reagieren, meist kleiner. Aber genau diesen Spagat zu schaffen, ist die Herausforderung hier.
Ich habe es so oft gehört: Leute machen irgendetwas, entfernen sich vom Herrn, und wenn man sie darauf anspricht, sagen sie: „Du verstehst mich nicht.“ Ich frage mich manchmal, was das zu bedeuten hat. Ich kann doch etwas verstehen und es trotzdem nicht gut finden, oder?
Oft steckt hinter solchen Beziehungen das Gleiche: Wenn du mich verstehst, musst du auch akzeptieren, was ich tue. Paulus sagt jedoch: Nein, das ist nicht so. Ihr solltet euch auf Beziehungen einlassen, diese Beziehungen sollen eng sein, ihr sollt Leute an euch heranlassen.
Aber das heißt nicht, dass ihr eure Maßstäbe innerhalb dieses Beziehungskreises verlieren sollt. Ihr müsst es schaffen, dazu zu stehen – auch wenn es manchmal wehtut und die Harmonie stört. Und natürlich tut es mehr weh, wenn die Beziehung enger ist.
Praktische Aufforderungen zum Miteinander in der Gemeinde
Er sagt jetzt ein paar Punkte dazu, Vers zehn. Ich lese mal Vers zehn bis dreizehn, ja, ich lese noch ein Stück weiter – ich lese mal bis Vers sechzehn. Hier geht es schwerpunktmäßig um die Beziehung, die wir zueinander haben, besonders als Geschwister.
In der Bruderliebe seid herzlich zueinander, in Ehrerbietung einer dem anderen vorangehend, im Fleiß nicht säumig, also einfach fleißig, brennend im Geist dem Herrn dienend, in Hoffnung freut euch, und Trübsal haltet aus, im Gebet haltet an. An den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil, trachtet nach Gastfreundschaft, segnet die euch verfolgen, segnet und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden, seid gleichgesinnt gegeneinander, sinnt nicht auf hohe Dinge, sondern haltet euch zu den Niedrigen, seid nicht klug bei euch selbst.
Das sind so viele schwierige Punkte. In Bruderliebe seid herzlich zueinander, in Ehrerbietung einen anderen vorangehen. Hier ist nicht einfach gemeint, dass ihr euch immer mit Umarmung begrüßt oder älteren Leuten einen Handkuss gebt, wie in der Türkei. Es geht nicht um äußere Formen, sondern darum, dass ich den anderen wirklich wichtig nehme und ihm das auch zeige. Dass ich den anderen gut finde und nicht vergesse, was ich gut an ihm finde – auch wenn ich andere Dinge vielleicht nicht so gut finde – und dass ich den Mut habe, das zu sagen.
Fleißig, fast dreizehn: an den Bedürfnissen der Heiligen nehmt teil. Schaut, was eure Geschwister wirklich brauchen. Nach Gastfreundschaft trachtet! Hier steht das gleiche Wort wie „verfolgen“. Also die Gastfreundschaft sollen wir verfolgen, bis wir sie haben – die Gäste, Leute.
Es ist nett, wenn wir uns gegenseitig einladen. Es ist auch ganz wichtig, dass wir uns viel gegenseitig einladen, dass wir einfach miteinander umgehen und Zeit miteinander verbringen. Aber das ist nicht das, was hier gemeint ist. Hier geht es nicht um den Wettbewerb, wer den interessantesten Gast bei sich haben darf – den Missionar, der zu Besuch ist. Hier geht es nicht um die Gäste, mit denen ich gerne zusammen bin und in deren Licht ich mich sonnen kann.
Hier geht es darum, dass ich an den Bedürfnissen der Heiligen teilnehme. Hier geht es um Gastfreundschaft, die mich mehr kostet, als Leute einzuladen und Döner kaufen zu gehen. Hier geht es darum, dass jemand bei mir ist, der meine Zeit braucht, der vielleicht mein Essen braucht, der mein Bett braucht. Darum geht es hier bei Gastfreundschaft.
Nichts gegen uns gegenseitig einladen – ich finde es total schön und gerne war ich bei allen eingeladen. Ich bin auch froh, wenn ihr alle mal bei mir wart. Aber hier geht es um etwas anderes. Hier geht es darum, dass es Zeiten der Verfolgung gab und dass es bei bestimmten Leuten, deren Namen auf der Liste stand, gefährlich war, sie aufzunehmen. Hier geht es darum, dass Leute auf der Reise waren und dass es mir überhaupt nicht gepasst hat gerade. Ich meine, alle meine Kinder sind schon bei mir im Bett und ihr habt gar kein Zimmer frei. Und dann trotzdem zu sagen: Ich jage der Gastfreundschaft nach.
Vor Jahren habe ich einen jungen Mann getroffen, der war mit ungefähr 24 Jahren Ältester in einer großen Gemeinde von 120 Leuten, zusammen mit zwei alten Brüdern. Als ich eine Weile mit ihm zusammen war, wusste ich warum. Also der war 24, jung, verheiratet, hatte zu der Zeit wahrscheinlich zwei kleine Kinder. Es waren Ehepaare in der Gemeinde, mit denen sie Kontakt hatten, und die hatten Eheprobleme. Es wurde so schwierig, dass der Mann ausziehen musste. Der junge Älteste übte Gastfreundschaft, nahm ihn bei sich auf, aber sie hatten gar kein Zimmer. Dann hat er für drei Monate mit diesem Mann zusammen im Ehebett geschlafen, und die Frau schlief bei den Kindern. Das heißt, eine noch relativ junge Ehe war bereit, das Schlafzimmer drei Monate lang nicht miteinander zu teilen, weil sie den Eindruck hatten: Hier ist jemand, der es braucht.
Das ist Gastfreundschaft. Jagt der Gastfreundschaft nach! Je mehr wir in Situationen kommen, wo Menschen unser Bett und unser Essen brauchen, umso mehr.
Wisst ihr, das ist alles nicht einfach, es ist ein hoher Anspruch. Ich ermahne euch nun, Brüder, durch die Erbarmung Gottes, eure Leiber darzustellen als ein lebendiges, heiliges, gottwohlgefälliges Schlachtopfer, was euer vernünftiger Dienst ist.
Und hier, mittendrin in diesem Abschnitt, den wir gelesen haben – Vers neun bis sechzehn – stehen Vers elf und zwölf. Die haben gar nichts mit Anteilnehmen, Aneinander, Beziehungen, Gastfreundschaft und all diesen Dingen zu tun.
Da steht „brennend“ oder eigentlich, wenn man es wörtlich übersetzt – denn brennen ist im Neuen Testament meistens etwas, das auch mit Gericht zu tun hat – hier steht eigentlich ein Wort, das mehr „kochen“ heißt. Also es ist, als wärst du ein Topf, in dem die Suppe kocht. Kochend im Geist.
Und Paulus sagt: Du kannst es nicht anders tun, du kannst nicht so leben, einfach weil du ein sozialer Mensch bist. Du kannst es nur, wenn dein Geist wirklich von Gott angerührt ist, wenn du gepackt bist von dem, wie Gott ist, wenn du ihm ähnlich sein willst, wenn du seinen Dienst tun willst, wenn du deinen Leib als Opfer hingeben willst für ihn.
Nur dann kannst du so leben – kochend im Geist, dem Herrn dienend. Anders funktioniert das auf Dauer nicht. Du kannst es mal anfangen, aber du wirst es nicht durchhalten. Und ich glaube, das brauchen wir. Brauchen wir es, dass wir wieder anfangen, weniger zu schauen, was wir dabei haben oder wie es uns dabei geht, sondern kochend dem Geist zu sein, dem Herrn dienend.
Es hat etwas mit der Weckung zu tun. Ich glaube, wenn wir das machen, ab und zu mal Gott sagen, dass unser ganzes Leben ihm gehört, dann schaffen wir es auch so, mit seinen Leuten umzugehen – mehr zumindest.
In Hoffnung freut euch, in Trübsal haltet aus, im Gebet haltet an! Er sagt: Schaut mal in dieser ganzen Situation, wo es so schwierig ist, haltet euch an der Hoffnung fest, haltet die Trübsal durch, betet, dient mit kochendem Geist dem Herrn – und dann werdet ihr so eine Gemeinschaft.
So eine Gemeinschaft wie in Vers 16 steht: Seid gleichgesinnt, habt das gleiche Ziel, seht nicht auf hohe Dinge, haltet euch zu den Niedrigen, seid nicht klug bei euch selbst, seid bodenständig. Er sagt noch mal: Tut die Dinge, die im Alltag nötig sind, miteinander, als Team. Ihr braucht einander, seid gleichgesinnt, ihr könnt es nur als Team.
Werdet ein Team, macht eure Häuser auf, nehmt teil an den Bedürfnissen der Heiligen, seid herzlich zueinander – aber vor allem seid kochend im Geist.
Umgang mit Feinden: Überwindung des Bösen durch das Gute
Und dann kommt natürlich der Höhepunkt des restlichen Kapitels. Einen Vorgeschmack hatten wir bereits in Vers 14, wo Paulus sagt: Wenn ihr Gastfreundschaft übt – und das ist vielleicht wegen Verfolgung –, dann segnet ihr diejenigen, die euch verfolgen. Ihr segnet und flucht nicht.
Jetzt greift er das Thema wieder auf, in Vers 17. Er sagt: Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen. Wenn möglich, lebt mit allen Menschen in Frieden. Rächt euch nicht selbst, Geliebte. Sondern gebt Raum dem Zorn, denn es steht geschrieben: „Mein ist die Rache, ich will vergelten“, spricht der Herr.
Aber wenn dein Feind Hunger hat, speise ihn; wenn er dürstet, gib ihm zu trinken. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.
Habt ihr bemerkt, dass es in diesem Abschnitt um Gastfreundschaft geht? Hier geht es plötzlich um Gastfreundschaft gegenüber Feinden. Es steht hier: „Wenn dein Feind hungert, speise ihn, wenn er dürstet, gib ihm zu trinken.“ Gastfreundschaft ist hier also nicht Geschwistern gegenüber gemeint, sondern Menschen, die etwas gegen uns haben. Wir sollen für ihre Bedürfnisse da sein, wenn wir merken, sie brauchen etwas.
Und dann heißt es, du wirst feurige Kohlen auf ihr Haupt sammeln. Das ist ein doppeldeutiger Ausdruck. Ich meine, das primäre Ziel ist, dass ihr Gewissen anfängt zu brennen und sie sich ändern. Aber wenn sie das nicht tun, dann haben diese feurigen Kohlen eher mit dem Gericht zu tun, das auf sie wartet. Es ist irgendwie doppelsinnig, und ich glaube, es ist absichtlich so gemeint.
Der Abschnitt endet mit den Worten: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“ Der Abschnitt begann mit: „Verabscheut das Böse, haltet fest am Guten.“ Nenn das Böse Böse und das Gute Gut. Tut das Gute, lass das Böse sein. Und hier geht es einen Schritt weiter: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.“
Wann sind wir vom Bösen überwunden? Wenn wir anfangen, auf negative Dinge negativ zu reagieren, dann hat uns das Böse überwunden und auf seine Ebene gezogen. Paulus sagt: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.
Das ist übernatürlich. Oder, das ist Bergpredigt. Übrigens, ich glaube, Paulus hat sie gelesen. Ja, da gibt es noch viel Herausforderung, in den Hauskreisen weiter darüber zu reden.
Zusammenfassung und praktische Anregungen
Was ist unsere vernünftige Reaktion darauf, dass wir aus Gnade gerettet sind? In unserer Beziehung zu Gott bedeutet das eine völlige Hingabe. Wir sollten uns bewusst sein, dass unser Leben ihm gehört und es passend ist, ihm unser ganzes Leben auszuliefern.
In Zukunft sollten wir in unserer Umgebung den Mut haben, anders zu sein. Es ist wichtig, darüber nachzudenken, was das konkret für uns selbst bedeutet. Dabei sollten wir bodenständig bleiben, sowohl in unserem Denken als auch in unseren Zielen. Es ist notwendig, dass wir uns selbst hinterfragen – unser Denken und das, was wir automatisch für richtig halten.
In Bezug aufeinander sollten wir aktiv die Beziehung suchen. Wir müssen uns verletzlich machen, denn Gott hat uns miteinander verbunden.
Bezüglich unserer Feinde gilt: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern verabscheue das Böse.
Es gibt so viel zu lernen. Wenn ich mein Leben betrachte, was ich gelesen habe und was ich heute Abend dazu gesagt habe, sehe ich viele Baustellen. Doch viele Menschen denken nicht höher, als sie sich selbst zutrauen. Du wirst nicht alle Baustellen gleichzeitig lösen können. Nimm dir eine Baustelle vor.
Das ist auch der letzte Punkt am Arbeitsplatz: Bei all den praktischen Dingen such dir eine Sache aus, an der du arbeiten möchtest. Fang vorne an, beginne mit Punkt eins und zwei. Dann wählen wir ein praktisches Beispiel aus, das die Beziehung zu Menschen betrifft.
Okay, das war ein Überblick über Römer 12.
