Auf dem heutigen 15. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest hören wir als Predigttext gemeinsam mit allen Gemeinden hier in unserem Vaterland den kurzen Abschnitt aus Lukas 18.
Dort spricht Petrus: „Siehe, Herr Jesus, wir haben alles verlassen, was wir hatten, und sind dir nachgefolgt.“
Jesus antwortet ihnen: „Amen, wahrlich, ich sage euch, es gibt niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, der nicht vielfach wieder empfängt – in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“
Die Sehnsucht nach neuem geistlichem Aufbruch
Liebe Gemeinde,
das Volk Gottes lebt von Aufbrüchen. Man kann in der Kirchengeschichte beobachten, wie schnell neues Leben verkrustet. Der Geist Gottes scheint zu verdunsten, und übrig bleibt oft nur leere Tradition. Verdünnung und Routine sind der Normalfall in zweitausend Jahren Kirchengeschichte.
Immer wieder sehnen sich Menschen danach, dass es einen neuen Aufbruch gibt, dass Gott einen Ausbruch schenkt aus der Routine, aus dem Klein-Klein. So einen Aufbruch hat Petrus staunend erlebt.
Doch was ist da eigentlich passiert, dass wir es schaffen konnten, unsere Familie zu verlassen, unsere Häuser, unsere Arbeit und unsere Heimat? Oft wird es so verstanden, als hätte Petrus sich selbst auf die Schulter geklopft und gesagt: „Herr, wir haben alles verlassen.“ Nein, dem geht eine andere Geschichte voraus.
Ein reicher junger Mann kam zu Jesus und fragte: „Herr, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erlangen?“ Jesus antwortete: „Halte die Gebote!“ Der junge Mann sagte: „Das habe ich alles getan. Was fehlt noch?“ Jesus sagte: „Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach.“ Doch das schaffte er nicht. Er musste zurück zu seinem Hof, zu seinen Mitarbeitern und Aufgaben. Er konnte sich nicht einfach lösen. Er war kein Aussteiger.
Die Jünger fragten sich daraufhin, wie es möglich sein könne, dass ein Mensch selig werden kann, wenn selbst dieser nette junge Mann, der sich nach dem ewigen Leben sehnte, es nicht schafft. Jesus antwortete: „Bei den Menschen ist es wirklich unmöglich.“
Auch Aufbrüche sind unmöglich, egal wie sehr wir uns anstrengen oder Programme machen – sei es Gemeindewachstumsprogramme oder Erweckungsprogramme. Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich.
Die Erfahrung des Unmöglichen wird möglich
Das hat Petrus erlebt: dass er aus der Enge seines Lebens herausgezogen wird, mitten hinein in den Strom des Reiches Gottes. Dabei spielte Klugheit keine Rolle. Es wurde nicht taktisch abgewogen, ob dieser Entschluss weise ist oder etwas bringt. Nein, es war ein schlichtes Muss, denn er hatte Worte des ewigen Lebens.
Dietrich Bonhoeffer, der Lehrer unserer Kirche, der am Ende des Krieges noch hingerichtet wurde, hat 1938 in Finkenwalde staunend erlebt, was für ein Leben möglich ist. Zusammen mit jungen Vikaren der Bekennenden Kirche sah er, wie junge Menschen bereit waren, alle Sicherheiten hinter sich zu lassen. Keine finanzielle Absicherung, keine Garantie, jemals eine Anstellung zu finden.
Das war keine billige Gnade mehr, sondern echte Nachfolge, die ihren Preis hatte. Gleichzeitig gab es Gemeinschaft, Leben und Aufbruch. Es ging nicht darum, sich auszuruhen oder sich an eine Tradition anzuhängen, sondern einzutreten und mitzugehen.
Das ist bei Jesus möglich. Wir sehnen uns danach – ganz persönlich, aber auch für unsere Kirche – dass Gott noch einmal einen solchen Aufbruch schenkt.
Die doppelte Verheißung der Nachfolge
Aber nun ist es wichtig, dass wir darauf achten, was Jesus sagt.
Auf den staunenden Ausruf des Petrus: „Ja, wir haben alles, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt“, antwortete Jesus mit den Worten: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Niemand verlässt Häuser oder Brüder oder Schwestern, Mütter oder Eltern um des Reiches Gottes willen, der nicht vielfach wieder empfängt – in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.“
Also ein doppeltes Ja: Man hat seinen Preis. Man kann nicht mehr alles behalten. Unsere englischsprachigen Freunde sagen: „Nachfolge, Jesus sei costly“ – es kostet etwas, hat seinen Preis.
Das hat Augustinus erfahren, der ein anerkannter Gesellschaftslöwe war. Er konnte nicht mehr so weitermachen, konnte nicht mehr hoch angesehener Wissenschaftler sein. In der Nachfolge musste er das alles abstreifen. Er konnte nicht mehr alles behalten.
Das hat Franz von Assisi erlebt, als er den Reichtum seines Elternhauses hinter sich lassen musste. Das hat Martin Luther erlebt, als ihn die Kirche, die er doch so liebte, wie eine Mutter, hinauswarf.
Ich denke, wir haben es auch bei vielen Menschen erlebt, die uns zum Segen wurden. Bei der Einweihung des Kongresszentrums sprach mich ein Ulmer Mitbürger an und erzählte, wie ihm in Jugendtagen der große Seelsorger der Nachkriegszeit, Johannes Busch, zum Segen geworden sei.
Ich bin schon mehrfach darauf gestoßen, auch bei den Freiverantwortlichen der Wirtschaft und Forschung hier in Ulm. Immer wieder taucht der Name Johannes Busch auf. Er konnte nur kurz nach dem Krieg wirken, riss sich mit blutendem Herzen von seinen sechs mutterlosen Kindern los, um zu einzelnen Evangelisationen und seltsamen Gesprächen zu gehen. Er sagte: „Die Sache des Königs ist eilend. Das geht vor, noch vor meiner Familie.“
Und Gott hat ihn gesegnet, wie es wahrscheinlich wenige Menschen in unserem Jahrhundert geschafft haben, die so Impulse weitergeben konnten.
Denken wir an mein Leben: Was Doktor Alfred Zechnal für mich und für Hunderte von kommenden Pfarrern in Württemberg bedeutet hat. Er war eigentlich Besitzer des zukunftsträchtigsten Druckereibetriebs. Alles, was wir heute im Offsetdruck und Kopierverfahren haben, hatte er als Diplomingenieur entwickelt.
Aber er hat diesen zukunftsversprechenden Betrieb hart an den Ruin herangeführt, weil er sagte: „Viel wichtiger ist es, dass sich junge Menschen begegnen, dass Jesus durch mich etwas in diesen Begegnungen mit jungen Menschen weitergeben kann.“
Es kann durchaus sein, dass wir all das verlassen müssen, was uns wichtig ist, sogar Menschen, die durch enge Blutsbande mit uns verbunden sind, die uns plötzlich entfremdet werden – ehemalige Klassenkameraden –, um des Reiches Gottes willen.
Einer der Pioniere der evangelischen Jugendarbeit, auch der Nachkriegszeit, mit dem ich viel zusammenarbeiten durfte, hat gesagt: „Das darf doch nicht bloß in dem großen Gedicht heißen, sondern auch bei uns in der Christenheit: Was schert mich Weib, was schert mich Kind.“
Wir kirchlichen Mitarbeiter werden es wahrscheinlich über kurz oder lang ohnehin aus Geldknappheit praktizieren müssen. Aber hier ist etwas anderes gemeint: Dass das Leben des Reiches Gottes mich drängt, dass es Nummer eins wird – und dann kommt ganz lang gar nichts mehr.
Ja, Nachfolge hat ihren Preis. Aber das ist die zweite Auskunft Jesu.
Die Verheißung des vielfachen Empfangens
Die Lebensbilanz endet nicht mit einem Minus, nicht als Verlustgeschäft. Ihr werdet vielfach empfangen: Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker – mitten unter Verfolgungen in dieser Welt – und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
Vor wenigen Tagen hat der Tübinger Professor für Neues Testament, Doktor Otto Michel, seinen neunzigsten Geburtstag gefeiert. Er hat bewegend erzählt, wie das damals war, als junger Dozent in Halle, Dozent der Bekennenden Kirche, aller Sicherungen beraubt. Er war mit seiner jungen Familie und einem Minimal-Einkommen unterwegs. Wie das dann später im Dritten Reich in Tübingen war, hat er ebenfalls geschildert.
Aber dann hat er gesagt, in der etwas eigenartigen Sprechweise, die er hat: „Gott lässt sich nicht schenken, Gott lässt sich nicht schenken. Mein Leben ist nicht arm geworden.“ Ihr werdet vielfach empfangen, schon in dieser Welt und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
Wie hat Dietrich Bonhoeffer in seinem Tagebuch davon gekündet, wie reich sein Leben wurde – obwohl er ja in der Mitte des Lebens war und nicht zum Heiraten gekommen ist, wegen der vielen Einsätze, Verfolgungen und Einkerkerungen. Aber sein Leben war reich durch Menschen, die Gott an seine Seite gestellt hat.
Wir können das in der Gemeinde Jesu immer wieder erleben. Eines meiner Kinder hat in der früheren Gemeinde Schörndorf über eine Frau der Gemeinde gesagt: „Das ist für mich wie eine Mutter.“ Ja, in der Gemeinde Jesu ist gedacht, dass wir viele Mütter, Brüder und Schwestern haben – nicht bloß als Geschwätz, sondern mit dem Reichtum der Gemeinde Jesu.
Es gibt eine engste Verbundenheit und Lebenserfüllung, wie bei vielen Freizeiten und Begegnungen. Lebenserfüllung – Jesus kann das schenken. Das Leben, die Lebensbilanz endet nicht mit dem Minus. Und in der zukünftigen Welt gibt es das ewige Leben.
Die Hoffnung auf das ewige Leben
Als Dietrich Bonhoeffer in Flossenbürg zum Tode aufgerufen wurde, sagte er zu seinem Mitgefangenen John Payne: „Nun geht es zum Sterben, aber für mich zum ewigen Leben.“ Er beschrieb dies so, wie er es in einem Gedicht formuliert hatte: „heiter und gelassen erwartungsvoll.“
Als Johannes Busch im Sterben lag, nachdem er von einem Karnevalisten, der alkoholisiert war, überfahren worden war und ihm ein Bein abgenommen werden musste, geschah Folgendes: Im Krankenhaus in Cochem legte eine Krankenschwester eine Schallplatte mit einer Bachkantate auf. Am Schluss der Kantate heißt es: „So kommet vor sein Angesicht mit jauchzendem Springen.“ Daraufhin sagte Johannes Busch zu der Schwester: „Das kann man dann auch noch, auch wenn man bloß ein Bein hat.“ Neues Leben, ewiges Leben, mit jauchzendem Springen.
Es ist schon großartig, wenn wir hier in dieser Welt erfahren, dass uns Gott Schwestern und Brüder, Väter und Mütter an die Seite stellt. Doch es wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn der ewige Gott selbst uns grüßt und uns in die Arme nimmt mit den Worten: „Meine Tochter, mein Sohn.“
Es ist großartig, wenn wir hier in dieser Welt erleben, wie Gott uns durchhilft, tröstet und neue Kraft schenkt. Aber es wird noch einmal etwas ganz anderes sein, wenn unser Leib bis zur letzten Faser und unser Geist bis zu den letzten Schwingungen nach dem Vorbild Jesu geprägt wird – voll Gottesgegenwart, voll Heiligkeit, voll Vollkommenheit.
Das Leben soll nicht mit einer Minusbilanz enden.
Jesus als Vorbild der Nachfolge
Und das ist keine Schwärmerei, was Jesus hier sagt. Gleich im nächsten Vers weist er auf seinen eigenen Weg hin. Er ist uns auf diesem Weg vorausgegangen. Er hat das Vaterhaus ohne Gleichen verlassen, um uns zu Schwestern und Brüdern zu machen.
Als er in sein Leiden hineinging, das von allen verachtet werden sollte, sagte er: „Ihr lasst mich allein, aber der Vater ist bei mir. Er wird mich aus dem Tod herausholen und zu Ehren bringen. Alle Macht im Himmel und auf Erden. Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Wir sind als Christen nicht nur berufen, christlich zu leben, sondern in Gemeinschaft mit diesem Jesus Christus. Er hat das verlassen, was ihm lieb und wert und Heimat war, um erst recht all das zu erben, was der Vater hatte.
Gemeinschaft in der Berufung – Gemeinschaft der Berufung hin zu Jesus bedeutet, dass wir herausgeholt werden aus den Fragen: „Was muss ich mir eigentlich zumuten? Was darf ich mir gefallen lassen?“ Stattdessen werden wir gerne hineingerufen und hineingeholt in eine Nachfolge, die ihren Preis hat und zugleich ihren Lohn.
Die Einladung zur Nachfolge für jeden
Jetzt sollten wir nicht zu schnell sagen: „Kein Dr. Zechna, kein Bronhofer, kein Johannes Busch, erst recht bin ich nicht Jesus.“ Ich bin so froh, dass der Text anfängt mit den Worten: „Da sprach Petrus, dieser kleine Fischer vom See Genezareth, von dem die Sachverständigen Israels sagen, es sei ein ungelehrter Mann gewesen.“
Bei ihm hat Jesus das Wunder getan. Er hat erfahren, dass bei Gott alle Dinge möglich sind. Gott kann mich herausführen aus der Routine, in der ich denke, ich sei doch ganz nett christlich. Er kann mich noch einmal ganz neu hineinholen in das Feuer, in das Brennen eines Lebens mit dem lebendigen Gott. Auch bei uns ist das möglich.
Der Meister ist da, er ruft Sie, er ruft mich. Ein Freier ist da. Amen.
Lassen Sie uns singen vom Lied 53: „Jesus ist kommen.“ Nun springen wir zum zweiten Vers dieses großen Liedes vom Befreier Jesus.
Unser Gott, schaffe du, wirke du in unser Leben hinein, wirke den Aufbruch, der dir Großes zutraut. Du kannst doch Unmögliches möglich machen. Wir haben es erlebt und danken dir, dass du Unmögliches möglich gemacht hast in der furchtbaren Ost-West-Spannung.
Dem neuen Anfang, den du uns nach dem Zweiten Weltkrieg geschenkt hast. Mit Bangen haben wir es verfolgt über den Bürgerkrieg im Nahen Osten, dass du Unmögliches möglich machen kannst. Lass uns nicht so kleingläubig bleiben. Du vermagst doch mehr zu tun, als wir bitten oder verstehen.
Lass uns nicht nur äußerlich nach deinem Namen genannt sein, sondern wirke als Erlöser, als Befreier, als Neuschaffender bei uns. Schaffe in uns neues Leben, dass wir uns stets zu dir erheben, wenn uns der Mut entfallen will. Gieße aus auf uns den Geist.
Ab Unser Vater im Himmel: geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Gemeindliche Mitteilungen und Gebete
Vom Wochenlied 289 dürfen Sie sich bitte setzen. Wir wollen die erste und die letzte Strophe singen:
„Auf meinen lieben Gott traue ich in Angst und Not.“
Ich möchte bekannt geben: Vielen Dank für das Opfer des letzten Sonntags in Höhe von 635 Mark für den Kinderhort Kripp. Heute opfern wir für die Seniorenarbeit, besonders für den Besuchsdienst in den Altenheimen.
Heute um 11.15 Uhr findet ein Orgelkonzert statt. Sehr wichtig ist unter all dem, was sonst in den Münstermitteilungen angeboten wird, der Vortrag am Freitag: „Zu Jesus um“ und „Qumran – Wahrheit unter Verschluss“. Dieser Vortrag treibt viele Menschen um. Am Freitag hält Professor Berger einen Vortrag.
Am nächsten Samstag findet um 19 Uhr die Münstermotette statt.
Der Gustav-Adolf-Frauenkreis führt am Donnerstag seinen Jahresausflug durch. Dieser steht unter dem Thema „Auf den Spuren von Prenat Ziegs und Karl Kapff – Gründung des württembergischen Gustav-Adolf-Werkes“. Die Abfahrt ist am Donnerstag um 12:30 Uhr im Haus der Begegnung. Dazu sind noch einige Plätze frei. Die Anmeldung erfolgt bei meiner Frau in der Prälatur.
Das Kind Felix Benedikt Stemshorn aus der Bayerstraße 20 soll auf Wunsch der Eltern als Taufbewerber in unsere Kirche aufgenommen werden. Wir gedenken fürbittend dieses Kindes und wollen uns erhebend zur Fürbitte für die anderen Gemeindeglieder versammeln.
Kirchlich getraut wurden am vergangenen Samstag, also gestern, Sören Schwesig und Kathrin Notacker. Kirchlich getraut werden am kommenden Samstag Robert Stiegelmayr und Claudia Beate Strixner sowie Josef Krimmel und Susanne Krimmel, geborene Bittener.
Herr, wir bitten Dich für diese Paare, dass sie mit Dir leben und etwas sein können in Deiner Kraft, zur Ehre Deines Namens.
Kirchlich bestattet wurde aus unserer Gemeinde Herr Hans Georg Kreis aus der Christbadgasse 17. Er wurde 73 Jahre alt.
Herr, dazu bist du gestorben und wieder auferstanden, dass du über Lebende und Tote Herr seist. Gib uns deinen Frieden und lass uns in der Hand des Vaters geborgen sein, wenn du uns einmal rufst. Amen.
Verleihe uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unseren Seiten!