I. Johannes 2,7-11 Von der Bruderliebe
Liebe Brüder, ich schreibe euch kein neues Gebot, sondern ein altes, das ihr von Anfang an habt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. Doch ich schreibe euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und auch in euch, weil die Finsternis vergeht und das wahre Licht schon scheint.
Wer sagt, er sei im Licht, aber hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und in ihm ist kein Anstoß. Wer seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis, und er weiß nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat.
Die Bedeutung des alten Gebots in der heutigen Zeit
Meine Lieben, ich schreibe euch nicht ein neues Gebot, sondern das alte Gebot, das ihr von Anfang an gehabt habt. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. Und doch schreibe ich euch ein neues Gebot. Das Wahre ist in ihm und in euch, denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt.
Wer sagt, er sei im Licht und hasst seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis. Wer seinen Bruder liebt, der bleibt im Licht, und durch ihn kommt niemand zu Fall. Wer aber seinen Bruder hasst, der ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis. Er weiß nicht, wo er hingeht, denn die Finsternis hat seine Augen verblendet.
Schön, wie Johannes dies einleitet. Achten Sie mal im Vers sieben darauf: Ich schreibe euch das alte Gebot.
Wir leben in einer Zeit, in der der Fortschritt so sehr auf den Fahnen steht, dass alles, was von gestern ist, nur noch ein langweiliges Gähnen hervorruft. Und von vorgestern – ach, das ist ja alles schlimm. Interessant: In Glaubensdingen ist das Alte nicht schlecht. Es hat ja weitreichende Konsequenzen.
In Glaubensdingen ist das Alte nicht schlecht. Mir war es in meinem eigenen Glaubensleben immer eine ganz große Hilfe, dass wir auch durch die Jahrhunderte in einer Verbindung stehen. Ich will gar nicht weiterkommen als zu dem Glauben meiner Großmutter oder meiner Voreltern.
Es gibt immer wieder Tendenzen in der Christenheit, dass Leute sagen: Aber in unseren Tagen kommen ganz neue Wellen. Ich las neulich in einem Prospekt, das sei also bis dahin in unserem Jahrhundert der Höhepunkt. Ich weiß nicht, ob Gott solche blöden Redeweisen mitmacht. Dass wirklich von Gott Geschenktes oft sehr still vonstattengeht.
Schon beim Namen unserer Kirche ist das wichtig, mit Ludwig Hofhacker, der so am Rande lebte, von Relingshausen wirkte und nur kurze Zeit lebte. Aber die Spuren waren so wichtig. Und ich will doch nicht anders leben als Ludwig Hofhacker. Vielleicht ist die Zeit ein wenig anders in der Ausdrucksweise, in der Form, aber der Sache doch nicht.
Das Evangelium wandelt sich doch nicht. Es kann doch nicht anders sein. Das Wort Gottes wird für uns ein wenig anders übersetzt, sodass wir sagen: Die Sprachformulierungen sind anders. Früher schrieb man Brot mit weichem T, heute schreibt man es mit T. Das Th ist auch weggefallen bei einigen Wörtern, und nur noch ein T ist da. Es gibt gewisse Modernisierungen, kleine Veränderungen der Schreibweise.
Aber ist das Evangelium in der Sache verändert? Wollen wir wirklich weiterkommen als die Reformatoren, die Väter der Christenheit, Augustin, Thomas von Aquin oder wer auch immer? Das alte Gebot – wir wollen doch in der Spur Abrahams, Isaaks und Jakobs bleiben.
Ich will mich jetzt nicht streiten über konservativ und fortschrittlich, aber im Glauben muss es doch wirklich so sein, dass wir in einer großen Linie, das heißt in der Kontinuität durch die Jahrhunderte, stehen. In der Gemeinde des Glaubens, in der Christusnachfolge gibt es keine neue Verkündigung.
Es ist ganz anders, ob junge Leute die Lieder ein wenig anders wählen. Aber das Evangelium kann sich nicht wandeln. Es gibt auch keine neue Bibel, die neu geschrieben wird für unsere Tage. Wir können das mit anderen Bildern und Beispielen auslegen, und es mag an unserer Zeit andere Fragestellungen geben. Da wird es andere Probleme geben, mit denen wir uns herumschlagen.
Und doch ist das Wort Gottes unwandelbar, auch das Gebot.
Die zentrale Botschaft der Liebe im Glauben
Und das Gebot hat für uns eine wichtige Bedeutung, weil es uns zeigt, was in unserem Leben Vorrang und Gewicht hat. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. Dennoch schreibe ich euch ein neues Gebot, das wahr ist in ihm und in euch. Denn die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt.
Er sagt also, ich werde euch das alte Gebot ganz neu aktualisieren und euch noch einmal zeigen, welche Bedeutung es für uns hat. Worum geht es in diesem uralten Gebot? Es geht um die Liebe.
Nun würde ich am liebsten mit Ihnen noch einmal Ihren Tag durchgehen. Bei manchen hängt schon am frühen Morgen, vor dem Frühstück, der Haussegen schief. Die Liebe ist durchs Fenster entwichen oder durch den Kamin entflogen. Manche haben sich in der Straßenbahn oder im Autoverkehr geärgert, und die Liebe war dahin. Dann im Geschäft, mit den Kollegen, ist es nicht besser.
Viele sagen: „Ich habe niemanden, der mich liebt.“ Wir merken die Lieblosigkeit unserer Welt am meisten daran, dass wir niemanden haben, der uns liebt. Wir sind sehr liebehungrig, nicht nur unsere Kinder, die sehr darunter leiden, nicht gemocht zu werden.
Ich rede mir oft den Mund fusselig, auch mit Ehegatten, wenn ich sage, dass das, woran man herummäkelt, gar keinen Wert hat. Und selbst wenn er noch so vehement schimpft: Nur mit Liebe kann man etwas erreichen. Liebe will ja nichts verändern, sie akzeptiert.
Das Einzige, was uns wirklich beeindruckt, ist Liebe. Darum hungern wir so sehr nach Liebe, nach irgendjemandem, der uns Anerkennung schenkt und uns versteht.
Es ist so schwierig zu lieben in einer Welt, in der so viel Hass herrscht und man einander so kalt vorbeigeht. Jetzt könnten wir auch in das bekannte Lied einstimmen und sagen: „Ach, die Welt ist so böse, niemand hat Liebe, und alle sind so materialistisch gesinnt.“
Wir könnten darüber reden, wie schwierig es ist, auch die Fronten zu durchbrechen. Dann könnten wir eine interessante Bibelstunde über die Krisengebiete der Welt halten: Wenn sich in Korea Studenten und Polizisten gegenüberstehen, wenn Tränengasbomben und Steine fliegen. Oder wir könnten von Südafrika erzählen.
Aber jetzt muss ich Ihnen sagen: In den Krisengebieten ist die Feindesliebe noch leicht. Es ist leichter, dass sich Iraker und Iraner lieben. Feindesliebe ist noch leichter als Bruderliebe. Das ist die Bruderliebe.
Deshalb spricht die Bibel von der Bruderliebe, nicht weil sie leichter ist, sondern weil sie schwerer ist. Einen zu lieben, der mir ganz nah auf die Zehen tritt, das ist schwierig.
Die Herausforderung und Bedeutung der Bruderliebe
Die Bruderliebe spielt im Neuen Testament eine so große Rolle, weil sie schwer ist und weil die meisten von uns sie gar nicht kennen. Ich habe heute noch einige Bücher herausgezogen, auch Beispielbücher, weil ich es Ihnen erzählen wollte. Dabei habe ich in einer großen Materialsammlung von Beispielgeschichten über die Liebe nachgeschaut. Dort findet man viele Geschichten über Nächstenliebe. Es sind tolle Geschichten dabei, wie sich im Krieg feindliche Soldaten um den Hals gefallen sind und sich geliebt haben.
Doch das Besondere ist die Liebe in einer Kirchengemeinde, in einem Hauskreis oder in einer Familie. Eheleute, die sich nicht mehr verstehen, können plötzlich wieder lieben. Das ist das Wunder, das Jesus schafft – das Näherkommen mit einem Menschen.
Vor einigen Jahren haben wir gerne das Büchlein von Hans Bürki weitergegeben, das von der Zweierschaft handelt. Manche von Ihnen haben es vielleicht noch. Hans Bürki sagt gleich am Anfang, dass viele im Glauben wenig entdecken, weil sie immer von den Nächsten in der Mehrzahl sprechen. Sie verstehen nicht, dass von ihnen eine lebendige Liebesbeziehung mit einem einzelnen Christen gefordert ist. Wenn diese Beziehung nicht gelingt, bleibt der ganze Glaube leer.
Jetzt verstehen Sie, was Johannes meint, wenn er sagt: Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint in dem Moment, in dem du beginnst, Liebe mit einem Menschen zu praktizieren. Diese Herausforderung begegnet uns immer wieder, auch wenn wir im Glauben oft allein sind und niemanden haben.
Wir haben lange überlegt, wo man jetzt ansetzen soll. Heute möchte ich Sie nur ein wenig anstoßen und darauf aufmerksam machen, warum bei Ihnen manches nicht richtig ins Leben umgesetzt wird. Unsere jungen Leute tun sich da etwas leichter. Für sie ist der Glaube nicht in erster Linie eine große Denksache. Für sie ist der Glaube zuerst erlebte Liebe. Gerade das ist für sie oft der Zugang.
Ich erinnere mich gut an die große Jesus-People-Bewegung in den Siebzigerjahren. Ich weiß noch, wie auf dem Klavier ein Zettel lag. Dort war eine große Gruppe junger Leute, die später in eine Sekte abgewandert sind. Wir haben ihnen damals Gastfreundschaft in unserem Gemeindehaus gegeben. Ich war tief beeindruckt, wie sie ein Papier hatten, auf dem sie den ganzen Abend nur über Liebe redeten – die Liebe Jesu, die Liebe Gottes, die in deinem Leben wieder Liebe werden muss.
Das war wirklich eine solche Bewegung. Einige von Ihnen waren damals dabei. Sie waren richtig ergriffen. Sie gingen hinaus auf die Straßen und nahmen sich aus Liebe den Elenden, den Ausgeflippten und den Rauschgiftsüchtigen an, weil die Liebe Jesu sie trieb.
Ich wünsche mir immer wieder, dass das bei uns auch so erlebt wird: dass Jesus uns konkret zu Menschen führt. Doch das beginnt zuerst mit dem Entdecken des Bruders. Bevor ich auf die Straße gehe, muss ich zuerst den Mitchristen neben mir lieben.
Ich sage das jetzt für die, die neu unter uns sind und vielleicht denken, ich halte hier eine Standpauke. Wir haben in unserer Gemeinde keinerlei Probleme mit der Liebe. Ich bin Ihnen sehr dankbar für die Harmonie und den Frieden.
Trotzdem weiß ich, dass viele hier die Bruderliebe in ihrer ganzen Tiefe noch nicht kennen. Viele kennen sie, und das ist etwas Großes. Einer hat vorhin so nett gesagt, wie ihm das fehlt, wenn er am Sonntag die anderen nicht trifft – wenn er unterwegs ist oder ein Hauskreis eine Wanderung macht und man sich wieder sieht und begegnet. Ein paar Worte miteinander zu reden, ist ein großes Gottesgeschenk.
Es ist ein Geschenk, den Bruder lieben zu können – mit all seinen Fehlern und Mängeln. Gerade bei der Bruderliebe ist das das Schwierige. Wir sind ja keine Heiligen, sondern sehr sündige Menschen.
Das kennen wir schon aus der Familie, wo man die elterlichen Macken und Kanten sowie ihre schlechten Seiten genau kennt. Dennoch wächst dort die Liebe. Auch in einer christlichen Gemeinde entfaltet sich der Glaube zuerst in einer ganz herzlichen Liebe. Diese Liebe nimmt den anderen so an, trägt ihn und zeigt sich in der wunderbaren Ausdrucksweise des Bruders – einer Blutsverbindung.
Im Wort „Bruder“ ist die Schwesterschaft genauso mit eingeschlossen. Es sind keine geschlechtlichen Begriffe, weil niemand an die Geschlechtlichkeit denkt, sondern an die Verbundenheit. Es geht um die ungeheure Zusammengehörigkeit von zwei wildfremden Menschen.
Ich habe gedacht, ich sollte Ihnen das immer wieder sagen, wie ich es erlebt habe und erlebe – bei den vielen Gästen, bei einem lieben Freund wie unserem Doktor Bill Taylor, der gerade bei uns ist, oder wenn wir durch die Welt reisen. Ob es nun Menschen sind, die eine wunderbare, geheimnisvolle Verbindung mit ganz wildfremden Menschen haben, zu denen man kommt, die man nie gesehen hat, von denen man weiß, dass man zusammengehört.
Genau so ist es auch hier. Vielleicht ist es dort leichter, wenn man weg ist. Dort sagt man: Wir haben ganz verschiedene Arten, es kann sogar sein, dass wir uns in die Haare kriegen und große Meinungsverschiedenheiten haben. Doch trotzdem lieben wir uns in Jesus, weil wir zusammengehören und spüren, wie er in unserem Leben gewirkt hat, unser Leben verändert und neu gemacht hat.
Die praktische Umsetzung von Liebe in der Gemeinde
Es ist jetzt ganz wichtig, diese Bruderschaft zu entdecken – dort, wo Sie zusammen sind. Der Hauskreis ist für uns nicht nur ein Ort, an dem man gemeinsam die Bibel liest. Es ist ein Platz, an dem ich diese Bruderschaft wirklich erfahre.
Heute Abend, wenn jemand neben Ihnen sitzt, ist es wunderbar, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, Schwestern und Brüder zu haben. Diese Gemeinschaft können Sie erst als stärkende Liebe erleben, wenn Sie sie auch wirklich brauchen.
Ich möchte Ihnen jetzt ganz einfach einen Tipp geben, wie das geht. Bei unseren Freunden in der Dritten Welt ist das oft ganz einfach zu erleben. Sie sind sehr empfindlich, wenn wir kommen und fragen: „Wo können wir euch helfen?“ Es ist erschütternd, wenn man das sieht – so wie wir es kürzlich in Burundi erlebt haben. Dort fehlt es am Nötigsten. Die Menschen haben keine Bibeln und keine Gesangbücher. Wenn wir dann fragen: „Wo dürfen wir euch helfen?“ verletzt das sie tief.
Warum? Weil sie ihr kostbares Geld, das sie bekommen, nicht als Hilfe empfinden wollen. Ich erinnere mich an einen jungen Geschäftsmann, Musa, in Nairobi. Er hatte dort eine wichtige Position und war vier Jahre als Geschäftsmann in Amerika. Den ganzen Abend wollte er nur mit mir darüber sprechen, wie Afrikaner uns helfen könnten. Aber nicht mit Geld, sagte er. Er meinte, sie würden gerne Missionare schicken, damit wir besser unter ihren Asylanten missionieren könnten.
Ich finde diesen Vorschlag gar nicht schlecht. Vielleicht sollte unsere Gemeinde das aufgreifen und sagen: Es wäre gut, wenn ein Afrikaner käme, der sich um die Ganesen kümmert. Wir schaffen das wegen der kulturellen Unterschiede nicht. Aber wenn man das versteht, tut es weh, nur Liebe anzunehmen wie ein Fürsorgeempfänger. Man will gebraucht werden, das wissen Sie. Und Sie wollen auch nicht ständig sagen: „Ich will mich beschenken lassen“ und keine Liebe erwidern dürfen.
Wenn Sie Liebe in der christlichen Gemeinde erleben wollen, müssen Sie dem anderen auch sagen: „Ich brauche dich.“ Ich erinnere mich noch gut an ein tiefes Erlebnis in unserer Sülgene-Gemeinde, als meine Frau damals todkrank war. Wir überlegten, ob wir das der Gemeinde mitteilen sollten, weil wir im Urlaub waren. Man ist dann oft so zurückhaltend und denkt: „Wir schweigen einfach und tragen das.“ Doch als wir sagten: „Wir brauchen eure Gebete“, öffnete das die Herzen der Gemeinde.
Nur so bekommen sie überhaupt die Möglichkeit, Liebe zu zeigen – wenn man einem anderen sagt: „Kannst du mir helfen? Ich brauche dich.“ Wenn Sie jemanden teilnehmen lassen und sagen: „Auf dem Heimweg, ich werde damit nicht fertig, du musst mir jetzt helfen“, verstehen sie das. Nicht durch ihr dauerndes gutgemeintes Helfen – das ist ja nicht schlecht –, sondern gerade hier in der Gemeinde ist es schön, wenn Sie einem anderen sagen: „Ich brauche dich auch in meinem Glaubensleben. Du kannst mir eine Hilfe sein.“ Das schließt die Liebe zusammen.
Das kennen Sie auch aus der Liebe zwischen Mutter und Kind, aus der Ehe und überall. So ist es auch in der christlichen Gemeinde. Eine Gemeinde wächst erst in der Liebe, wenn man sich das dauernd offen sagt.
Es wundert mich nicht, dass viele Leute gar nicht sagen, wenn sie ins Krankenhaus kommen, und später klagen: „Ihr habt mich nicht besucht.“ Das ist nicht schlimm, aber da wächst auch nichts. Liebe wächst dort, wo man einander braucht.
Die ganze Verbindung, die auch in unserer Gemeinde gewachsen ist, entstand dort, wo wir aufeinander angewiesen waren. Wo wir Krisen miteinander durchlitten haben. Wo wir nicht mehr wussten, wie es mit der Jugendarbeit weitergehen soll. Wo wir beim Umzug geholfen haben oder eine Wohnung gestrichen haben. Es war herrlich, wie uns das zusammengeschweißt hat – auch in Glaubensdingen.
Erst das gemeinsame Beten schafft Nähe. Wenn jemand dem anderen sagt: „Ich bin in einer Krise, seelisch leer. Hättest du einen Moment Zeit für mich?“ Das schafft Liebe, wenn der andere spürt: „Er braucht mich.“
Es ist auch schön, wenn wir Liebe weitergeben und helfen. Johannes sagt: In dem Augenblick vergeht die Finsternis, und das helle Licht scheint. Man wird erst zu jemandem, der im Glauben sehend wird, wenn man diese Liebe in sein Leben einlässt und praktiziert.
Wenn wir heute oft darüber sprechen, warum so viel Tod in unserem Glaubensleben ist, warum es so trocken ist und nicht lebendiger wird, liegt es daran, dass es nicht umgesetzt wird. Johannes ist ein praktischer Seelsorger und Evangelist, der es auf den Punkt bringt: Es geht um die Liebe.
Ich sage das bewusst, weil Sie heute vielleicht schon tüchtig gezankt haben. Das kann ich auch gut. Es gibt Dinge, auf die wir empfindlich reagieren, wo wir bitter werden und es kracht. Für uns Männer ist das auch mal ein harter Kampf. Doch das Wort heute Abend ist genau richtig.
Jetzt sollten wir überlegen, wie die Finsternis bei uns weichen kann. Das fängt damit an, für einen anderen zu beten, der uns in Not gebracht hat oder vielleicht sogar Unrecht getan hat und uns Schuld zugefügt hat. Das ist besonders schlimm. Aber genau dann will ein Christ sein, wie Jesus heute zu mir war. Gerade da braucht er unsere Liebe.
Und diese Liebe schließt uns als Gemeinde zusammen.
Die Überwindung von Lieblosigkeit in der Gemeinde
Nun darf ich Sie wieder an das Altbekannte erinnern, das wir so oft beim Bischof Festukiewentschere erlebt haben, mit seiner ostafrikanischen Erweckungsbewegung. Er hat uns immer wieder darauf hingewiesen, dass in der christlichen Gemeinde das Feuer des Glaubens am meisten durch Lieblosigkeit in der Gemeinde und durch ungutes Reden übereinander gehindert wird.
Das kann ja auch in einer Familie oder anderswo der Fall sein. In der ugandischen Erweckungsbewegung wurde sehr streng darauf geachtet. Ich habe dort nie erlebt, dass ein peinliches Sündenbekenntnis in der Öffentlichkeit gemacht wurde. Die Afrikaner haben da noch viel mehr Scheu als wir.
Es ist nicht gemeint, dass man Dinge, die nur vor Gott und dem Seelsorger bestimmt sind, öffentlich macht. Aber das, was in der Gemeinde geschieht, wird ausgesprochen. So sagen zum Beispiel Kinder vor den Eltern: „Mir ist es leid.“ Diese Spannung wird angesprochen. Sie wissen, wie befreiend das ist, auch in einer Ehe, wenn man offen ausspricht und sagt: „Heute Morgen, das war mir leid, wie der Tag begonnen hat. So soll es nicht mehr sein.“
Aus solchen Augenblicken entsteht die größte Liebe: vergebene Schuld, die ins Licht Gottes gebracht wird und in Liebe mündet. Und da scheint das Licht. Was ist das Licht? Es ist die Gegenwart Jesu. Plötzlich ist in diesem Licht alles da: Wärme, man kann sehen und leben. Das, was vorher in der kalten, frostigen Nacht so bekümmert hat und unheimlich war, ist weg. Es ist einfach weg.
Ich frage mich heute wieder, wie es sein könnte, dass unsere Hauskreise, Gemeinden und Gemeinschaften solche Stätten der Liebe sind, wo man sich lieb hat. Vorausgesetzt, man kennt Jesus und liebt auch sein Wort. Das wird nicht überall möglich sein. Aber dort, wo das gegeben ist, in den Gemeinschaften, wird das Ausstrahlung haben.
Beispiele gelebter Bruderliebe in der Geschichte
Ich habe mir heute Abend noch ein uraltes Büchlein herausgeholt. Es handelt vom schwäbischen Gemeinschaftsleben unserer alten pietistischen Versammlungen. Es ist beeindruckend, wenn man liest, wie die Menschen in Korntal und Umgebung ihre Gemeinschaft lebten. Auf der Schwäbischen Alb wurden sie sogar einmal vom Landjäger festgesetzt und über Nacht ins Gefängnis gebracht. Dabei war eine stillende Mutter, die nicht zu ihrem Säugling zurückkehren konnte. Trotz all dieser Widrigkeiten haben sie sich gegenseitig liebevoll unterstützt.
Oder nehmen wir Stuttgart: Dort gab es den Minister von Seckendorf, nach dem die Villa von Seckendorf benannt ist. Er fuhr immer im vierspännigen Staatswagen nach Fellbach in die Gemeinschaftsstunde. Für die Brüder war es einmal eine große Verlegenheit, als sie gerade den Text auslegten: Jakobus 2,2 – „So in eure Versammlung käme ein Mann mit einem güldenen Ringe und mit einem herrlichen Kleide.“ Seckendorf half ihnen schnell über diese Verlegenheit hinweg. Er bemerkte in brüderlicher, herzlicher Weise, es sei ganz richtig, dass gerade dieser Text zur Betrachtung vorliege. Da sie ihn oft als einen der Reichen ansahen, wolle er sich gern seiner Niedrigkeit rühmen.
Ein anderes Mal, als im Ministerium Besuch von einfachen Leuten kam, die in Lederhosen und mit Schnallenschuhen erschienen, sagte der Diener zunächst, er dürfe sie nicht hereinlassen, da es Leute von der Straße seien. Doch der Minister hörte das und kam hinzu. Er sagte zum Diener: „Das sind doch Brüder, die muss man einlassen.“ Einmal, als andere sagten: „Aber Sie sind doch der Herr Minister!“, antwortete er: „Die Exzellenz hängt an der Wand.“ Das war der Kleiderhaken, an dem er seinen Mantel aufhängte. Dort erlebte man Brüderschaft.
Solche Gemeinschaften können Sie überall studieren, wo Gott Erweckungen geschenkt hat. Bei der russischen Erweckung war es gleich am Anfang so. Lesen Sie es nach in den alten Büchlein, die noch in der Bibliothek der Großmutter vom Grafen Korff stehen. Das war eine Erweckung am Adelshof. Graf Bobinski und andere, die höchsten Flügeladjutanten des Zaren, wurden plötzlich alle Bibelchristen durch den Lord Radstock. Das ist ganz interessant: Ein Darbist, der dort mit einem Testamentchen in die großen Abendversammlungen der Petersburger Schlösser kam.
Das erste, was dort spöttisch bemerkt wurde, von denen, die von der Erwägung nicht berührt waren, war: „Beim Grafen Korff stinkt es nach Stallmist.“ Warum? Weil er den Stallknecht in den Salon geholt hatte und sie nebeneinander kniend gebetet hatten. Da war plötzlich Bruderliebe da.
Wenn man 1870 damals der russische Zar verstanden hätte, wie die sozialen Spannungen überwunden wurden! Wir können aus unserer württembergischen Geschichte so viel erzählen von der Liebe, die wir erfahren und erlebt haben – in unserem eigenen Leben, in unserer Kindheit, von Menschen, die uns das spüren ließen. Schon als Kinder wurden wir ernst genommen. Das ist das Licht, das jetzt scheint.
Wir wollen das nicht in einem seichten Sinn verstehen, als ob es nur auf die Liebe ankäme. Sie kennen doch solche Leute, die sagen, es gehe bloß um irgendeine Liebe, eine Schmusliebe aus dem Groschenroman. Es geht aber um diese Liebe, die sich ganz konkret an einem Menschen zeigt, mit dem ich verbunden bin – so wie in einer Gemeinschaft.
Für Außenstehende mag das merkwürdig sein: dieser Zusammenhalt der Christen. Ich habe das oft erlebt, selbst wenn es in den Zeitungen üble Angriffe gab. Die Bruderliebe war so spürbar, dass die Menschen wussten: Wir wissen genau, was los ist. Da ist Mitfühlen, Mitdenken und Mittragen.
Diese Liebe dürfen Sie auch hier in der Gemeinde erleben. Ich bitte Sie, nicht zu sagen: „Ich gehöre nicht dazu.“ Sie gehören dazu – und sogar in der Liebe gehören Sie dazu. Hier sollen Sie viele Menschen finden, die Ihnen nur Liebe schenken.
Wenn Sie das nicht wollen, ist das ganze Glaubensleben vergeblich. Dann kommen Sie nie weiter. Überall, wo Sie hingehen – in die Hahn’sche Gemeinschaft in der Paulinenstraße, an der Furtbachstraße, in der Süddeutschen Gemeinschaft in der Eugenstraße, in Hauskreisen und Gruppen – überall finden Sie Liebe, ungeheure Liebe.
Die Konsequenzen des Hasses und die Dringlichkeit der Liebe
Jetzt kommt das Problem, wenn einer doch im Hass bleibt (Vers 11). Wer aber seinen Bruder hasst – gibt es das denn wirklich? Gibt es da nicht noch eine ganze Menge anderer Schattierungen dazwischen? Es ist doch nicht so, dass man Liebe und Hass schwarz-weiß zeichnen kann. Es gibt doch auch noch Sympathie. Vielleicht mag ich den einen nicht so sehr wie den anderen. Aber Johannes sagt, es gibt das nicht. Es gibt entweder nur Liebe oder nur Hass.
Für unsere menschlichen Empfindungen gibt es viel mehr Abstufungen. Die meisten Menschen bewegen sich in der Grauzone. Sie sagen: Wenn ich in eine christliche Gemeinde gehe, möchte ich mich möglichst ein wenig absondern. Ich höre zu, aber das andere lasse ich mal außen vor und ziehe mich dann wieder in meine Umgebung zurück. Das können sie tun, aber sie verlieren dadurch sehr viel.
Johannes sagt, wer so handelt, hasst letztlich seinen Mitbruder oder seine Mitschwester. Denn damit vergeht er sich an ihm. Ich will es Ihnen mal sagen, weil wir als Bibelleser auch eine Verantwortung für unsere Gottesdienstgemeinde tragen. Ich weiß, wie viele Leute da sind, die gar keinen Bezug zum Glauben haben. Am Sonntag, wo ich das ein paarmal gesagt habe, da kamen unter der Empore vier, fünf Leute herein, die nicht einen Moment ihres Lebens dem Glauben gewidmet haben.
Es geht mir nicht darum, ein paar Witzchen zu machen, wie dass man seiner Frau noch mal einen Kuss gibt oder ähnliches. Darum geht es gar nicht. Sondern darum, dass man das irgendwo mal wirklich benutzen würde. Und da würde ich einen Luftsprung machen, wenn nur noch drei Menschen Liebe erfahren hätten durch dieses Grüßen hin und her. Und alle ihre Schüchternheiten, alles in Ehren.
Doch wenn man so handelt, vergeht man sich am Anderen. Man vergeht sich an dem Anderen, weil man ihn gar nicht sehen will und nicht merkt, dass der einen braucht – und man ihn auch selbst braucht. Sie können Ihr Christsein nicht solo leben. Sie können es nicht. Es hat noch nie jemand solo leben können. Entweder stirbt Ihr Glaube ab oder Sie erleben nichts darin.
Darum ist Gemeinschaft ein Geschenk. Ich freue mich auch, wenn ich höre, dass ein Hauskreis am Sonntag von Böhringen nach Lonsingen zieht, dass man dort Gemeinschaft hat und sie praktiziert. Dass am Sonntag und am nächsten Sonntag wieder eine Wanderung stattfindet, dass man sich trifft und einen Geburtstag miteinander feiert – das beglückt mich direkt.
Es freut mich, dass Menschen noch reden, wenn sie in der Straßenbahn nach Hause fahren. Dass man auf einer Freizeit jemanden mit einlädt, auch wenn man dafür einen Umweg fahren muss. Aber wenn man weiß, dass man jemanden mitnimmt, nicht nur, um ihn zu transportieren, sondern weil Gemeinschaft und Liebe daraus sichtbar werden. Das ist wunderschön, wenn man das merkt.
Johannes nimmt uns schon hart beim Wort, indem er sagt: Wer seinen Bruder hasst, ist in der Finsternis und wandelt in der Finsternis. Denn er weiß nicht, wohin er geht. Er weiß gar nicht, was er verliert, was er macht und tut. Die Kühle und Distanz ist für Johannes Hass. Nicht der blanke Hass, sondern so, dass man aneinander vorübergeht.
Er spricht hier gegen die damals verbreitete anthroposophische Lehre, gegen die Spekulationen der Gnosis. Er spricht gegen die damals im antiken Weltreich verbreitete Denkweise und sagt: Da, wo man sich liebt, ist das anders.
Sehen Sie noch einmal die Katakombenchristen, die allein durch ihre Liebe Zeugnis ablegten im Römischen Reich. Wir wissen ja aus der Apostelgeschichte, wie sie sich füreinander annahmen. Ich möchte den Hut ziehen vor jedem, der irgendwo noch Zeit findet, nach einem Kranken zu schauen.
Wenn man das wieder sieht, auch in unserer Gemeinde, wenn alte Leute oft über Tage hinweg niemanden sehen und dann ganz glücklich sind, dass sie so einen Notruf-Strick um den Hals haben, mit dem Roten Kreuz als Verbindung – was das in unserer kalten Welt bedeutet, jemanden zu haben, der einen liebt. Sie sagt irgendwo einen Anruf.
Mich haben oft Nichtchristen beschämt, die diese Liebe toll praktizieren. Wie soll das erst unter uns sein? Sie werden durch diese Liebe reich. Es nimmt gar nicht viel Zeit weg. Aber wir sind oft blind und merken nicht, wie einer neben uns nur ein Wort braucht.
Junge Leute, die um uns leben, Kinder, denen wir begegnen – das ist das Zeichen unseres Glaubens, das sichtbar werden soll. Auch im Neuen Testament kenne ich keine Solo-Christen. Wir könnten sie überall aufzählen: Paulus und Timotheus, Paulus und Barnabas, Paulus und Silas. Paulus hatte verschiedene Kombinationen.
Johannes und die Mutter Maria waren ganz unterschiedliche Kombinationen: mal Mann, mal Frau. Das waren Ehepaare, Freundespaare, zwei Frauen miteinander. Aber irgendwo muss es für Sie auch eine Beziehung geben, in der Sie mit einem Menschen eine lebendige, intensive Verbindung haben. Das bereichert Sie, das ist so schön.
Oder Sie haben mehrere, mit denen Sie Gemeinschaft erleben können. Das soll kein Gesetz sein, das Sie drückt oder belastet, sondern etwas, das Ihnen heute Abend hilft. Ich freue mich, wie es nach der Bibelstunde bei so vielen ist, wenn man nach Hause geht, in der Woche anruft und voneinander weiß.
Man spürt, man hat eine Heimat gefunden in dieser unwirtlichen Welt. Man braucht einander. Gerade dadurch strahlt das Licht. Das ist überwältigend, ein Zeugnis an die Welt: „Seht, wie sie einander so lieb haben!“
Ich möchte das nicht übertreiben, als wäre das spektakulär oder stünde morgen in den Schlagzeilen. Aber genau das fehlt unserer Welt: Liebe. So furchtbar schwer ist es, dass diese Welt Liebe heute nur noch in Selbstsucht kennt, in Ausbeutung der Frau in einer nie gekannten Art.
Das alles wird in einem üblen Sinn missbraucht. „Ein Mädchen lieben heißt mit einem Mädchen schlafen.“ Und da ist die Gemeinde wieder gefordert, Liebe zu geben in einer Welt, in der so viele Menschen nach wirklicher Liebe hungern und sie suchen.
Ich glaube nicht, dass jemand wirklich sagen kann: „Ich bin so allein, und niemand hat mich lieb.“ Das kann es nicht geben. Denn man darf den Schritt tun und dem anderen sagen: „Du, ich brauche dich.“ Wir brauchen einander, auch wenn man sich wehtut.
Es gibt keine Ehe, in der man sich nicht wehtut oder nicht leidet. Aber das Wunderbare ist, wenn man es in der Liebe erlebt und immer wieder klärt. Deshalb gibt es immer wieder Belastungen und Trübungen. Das ist nicht ausgeschlossen.
Das ist keine romantische, geheuchelte Liebe, sondern die echte Liebe, in der man miteinander lebt, aneinander leidet und sich doch so erkennt in der Gegenwart Jesu.
Ich hoffe, dass Ihnen das jetzt hilft, einiges neu zu sehen in Ihrem Leben, Neues zu entdecken und auch Dinge in Ordnung zu bringen, die heute Abend vielleicht noch geklärt werden müssen. Wo man Vergebung braucht, weil man sonst mit Recht nicht schlafen kann.
