Im Jahr 62 nach Christus sitzt Paulus in einer Gefängniszelle, wahrscheinlich in Rom, und er schreibt den Philipperbrief. Gestern haben wir mit dem Einstieg in dieses Buch begonnen. Heute möchte ich dort anknüpfen, wo wir gestern aufgehört haben – tatsächlich, du hast völlig recht, es geht in Vers 9 weiter.
Ich möchte aber vorher noch einmal einen Schritt zurückgehen. Es ist mir wichtig, euch den Hauptgedanken zu zeigen, der ganz am Anfang des Philipperbriefs von Paulus ausgesprochen wird. Wenn ihr euch hier in der Übersicht die Überschriften noch einmal anschaut, dann war der Philipperbrief am Anfang in den ersten zwei Versen der Gruß.
Dann folgt in Kapitel 1, Verse 3 bis 11 der Abschnitt, in dem wir uns jetzt mittendrin befinden. Die Überschrift dieses Blocks lautet „Dank und freudige Fürbitte“. Gleich zu Beginn steht die Überschrift „Dank aus vollem Herzen“. Bei mir steht es ein wenig anders: „Begeisterung aus vollem Herzen“. Mir ist wichtig, dass wir den Gedanken, der dahintersteckt, tief verstehen.
Die zentrale Bedeutung der Liebe in der Gemeinde
Eine Gemeinde lebt im innersten Kern davon, dass die Geschwister, die zu dieser Gemeinde gehören, sich lieb haben. Das klingt zunächst wie eine große Plattheit. Ja, es ist doch klar: Wir sollen einander lieb haben. Trotzdem glaube ich, dass, wenn wir Gemeinde versuchen, also auf einen inneren Kern einzudampfen, die entscheidende Frage lautet: Wann funktioniert Gemeinde? Wann sind wir mit dem, was wir in der Gemeinde erleben, wirklich zufrieden? Wann kann Gemeinde auch als Team möglichst gut funktionieren?
Im allerinnersten Kern steckt das Thema Liebe. Wenn wir alle an irgendeiner Stelle im Leben wirklich Probleme haben – ob wir uns das eingestehen wollen oder nicht – dann ist es genau an dieser Stelle. Wir kommen in die Gemeinde hinein als Krüppel, als Menschen, die eine Vorstellung von Liebe haben, die wir am besten erst einmal beerdigen, in dem Moment, in dem wir in die Gemeinde eintreten. Dann richten wir uns ganz neu aus auf das, was eigentlich Liebe ist, und lernen Stück für Stück, wirklich ein Leben lang, zu lieben.
Eine Gefahr – und das gilt auch für eine Bibelwoche – besteht darin, dass wir unser Christsein und die Qualität unseres Christseins an der Menge von Wissen festmachen, die wir im Kopf haben. Natürlich hat eine Bibelwoche keine Gefahr an sich, aber wenn man ein wenig darüber nachdenkt, wo eine Bibelwoche uns in die falsche Richtung führen könnte, dann genau an diesem Punkt.
Dann kommt Paulus und sagt: „Nee, Freunde, passt auf, darauf kommt es erst in zweiter Linie an.“ Ja, du darfst etwas wissen, und ja, du darfst kluge Entscheidungen fällen. Aber im inneren Kern geht es um Liebe. Die entscheidende Frage lautet: Wann liebe ich denn den anderen?
Liebe als Herausforderung im zwischenmenschlichen Umgang
Jetzt komme ich aus Spandau. Was zeichnet den typischen Spandauer aus? Wisst ihr, die Spandauer – ich bin zwar noch nicht so viel in der Welt herumgekommen, aber es scheint mir der einzige Menschenschlag zu sein, bei dem du auf dem Weihnachtsmarkt ein T-Shirt kaufen kannst, auf dem steht: „Mehr als ein Spandauer kann ein Mensch nicht werden.“
Das ist ein Stückchen bezeichnend für diesen Menschenschlag. So nach dem Motto: „Hier stehe ich, bin eh der Beste.“ Und wenn der andere einem ein bisschen weniger passt, dann sagt man ihm das halt.
Daran merkt man auch das generell Berlinerische im Umgang miteinander. Es ist so, dass man jemandem mal einen flotten Spruch gibt. Wenn du etwas auf der Zunge hast, mit dem du einen Witz machen kannst, dann fällt es einem Berliner unglaublich schwer, das einfach runterschlucken und sagen zu können: „Nee, der passt jetzt nicht.“
Das heißt, wir sind zumindest hier im Berliner Raum so geprägt. Ihr seid ja ein bisschen außerhalb, aber vielleicht kennt ihr das Problem: Wir sind es eigentlich gewohnt, im Umgang miteinander eher ruppig zu sein. Mal ein Scherz hier, mal eine verbale Keule da – das ist schon okay. Man weiß ja, wie man es nehmen muss.
Das Problem ist aber, dass man nicht immer weiß, wie man es nehmen soll. Und das Problem ist, dass wir diese Haltung, dieses Grobe, dieses Ruppige in die Gemeinde mit hineinnehmen. Dabei ist Liebe eigentlich etwas anderes. Liebe fängt da an und wird da stark, wo ich anfange, mich an dem anderen zu freuen.
Nochmal: Liebe braucht die Freude am anderen. Ich erlebe jemanden in der Gemeinde – und jetzt nehme ich mal nicht meinen Buddy, also meinen besten Freund, mit dem ich sowieso kann, sondern ich nehme mal den, mit dem ich nicht so gut kann.
Liebe heißt, dass ich mir in der Gemeinde ganz bewusst Gedanken mache: Was hat der andere eigentlich an sich? Was ist er für ein Typ? Worüber kann ich mich bei dem anderen freuen? Worüber kann ich bei dem anderen dankbar sein?
Die Herausforderung, den anderen mit seinen Macken zu lieben
Ich erlebe das immer wieder, gerade bei meinen etwas rebellischen, jungen Spandauer Geschwistern, dass sie mir ständig sagen, wo der andere einen Fehler macht, was der andere machen müsste und warum er es so nicht macht. Da weiß man immer, was der andere falsch macht.
Mir liegt so auf der Zunge die Bitte: „Weißt du, jetzt hast du mir fünfmal gesagt, was der andere alles falsch macht. Jetzt sag doch mal drei gute Sachen über ihn.“ Und das Lustige ist, wenn ich das sage, dann stoppt das Gespräch. Dann muss man nachdenken: Was kann ich denn jetzt Gutes über den anderen sagen?
Paulus geht hier in seiner Begeisterung in den ersten acht Versen über die Philipper einen Schritt weiter. Das, womit er den Brief beginnt, ist Dankbarkeit. Paulus ist jemand, der so genau auf den anderen schaut, dass er danken kann.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir diesen Blick schon alle haben – einen Blick, der auf den Bruder und die Schwester schaut, gerade dort, wo einer mir nicht liegt. Wo er nicht meine Art repräsentiert. Also zum Beispiel: Ich bin der Pünktliche und er kommt immer zu spät. Ich mag ein bisschen härtere Musik, und der andere ist ein Klassikfreak. Oder ich mag es eher chaotisch, wir brauchen nicht alles geregelt, und dann kommt jemand und sagt: „Bitte schöne Tagesordnung, und dann eins, zwei, drei, vier, fünf möglichst durch.“
Wir sind extrem unterschiedlich. Die Frage ist: Habe ich gelernt, diese Äußerlichkeiten beiseitezuschieben und auf den Menschen zu schauen? Auf Dinge, wie Paulus das hier zum Beispiel macht, wenn er sagt: „Hey, das sind Mitarbeiter am Evangelium geworden.“
Habe ich begriffen, dass wir als Gemeinde wie ein Zoo sind? Du gehst in den Zoo und erwartest nicht nur Giraffen zu sehen. Da sind auch Löwen, Lamas und sogar Tiere, die du nie siehst, weil sie im Aquarium sind, und du kannst nur von unten reinschauen. So ist Gemeinde: Wir sind total unterschiedlich.
Wenn du in die Gemeinde kommst und erwartest, immer deinen Typ zu treffen, wird das nicht klappen. Und wenn du erwartest, nur Leute zu finden, die schon total geheiligt sind, bei denen du sagst: „Boah, wunderbar, die tun mir nie weh, die sagen mir nie ein falsches Wort, die treten mir nie auf die Füße, die machen aber auch immer alles richtig“, dann wird das nicht klappen. Das ist nicht Gemeinde.
Du kommst in die Gemeinde und triffst auf Leute, die dir nicht liegen, die dir wehtun, die Dinge sagen, bei denen du sagst: „Wie kann der das denn sagen?“ Leute, die dich versetzen, die dir Dinge versprechen und sie nicht einhalten. Menschen, die auf dem Weg sind, Gott ähnlich zu werden, aber es noch nicht sind.
Jetzt kommt die spannende Herausforderung: Diese Typen, diese halbfertigen Individuen, die irgendwann, wenn Jesus wiederkommt, vollendet sein werden, aber heute eben nur halbfertig sind. Die schaust du dir an und überlegst nicht lange. Du weißt sofort, was du nicht an ihnen magst, weil das in uns angelegte, in uns wohnende Sünde uns sofort zeigt, wo der andere blöd ist.
Du begegnest jemandem und kannst sofort sagen: „Den kann ich nicht riechen.“ Du musst noch nicht mal ein Wort mit ihm sprechen, und du weißt schon, ob er dir liegt. Das passiert uns auch in der Gemeinde.
Jetzt kommt Paulus und er blickt tiefer – und das begeistert mich. Er sagt: „Ihr wart meine Mitteilhaber hier in der Verteidigung, in der Bekräftigung des Evangeliums.“ Das heißt, ich nehme meine persönlichen Vorbehalte und Sympathien mal zur Seite und schaue ein bisschen tiefer.
Der eine Chaot, der immer zu spät kommt, auf den du dich kein Stück verlassen kannst, bei dem du weißt, dass er bei einem Termin mindestens eine halbe Stunde später kommt – du schaust dir sein Herz an. Und du siehst: In diesem Herz brennt eine Leidenschaft für das Evangelium.
Paulus sagt: „Da, wo ich das sehe, bin ich von ganzem Herzen dankbar. Da, wo ich geistliches Leben sehe, will ich mich begeistern für die Leute, mit denen ich zusammen bin.“
Das ist mir über die letzten Monate und Jahre ein ganz wichtiger Punkt geworden: Dass wir voneinander begeistert sind, weil in uns Gottes Geist wohnt. Und dass wir die Begeisterung füreinander nicht abhängig machen von Äußerlichkeiten, davon, ob wir einander riechen können, ob wir die gleichen Interessen haben oder die gleichen Lebenskonzepte fahren. Das werden wir nie tun.
Aber wenn wir es schaffen, hier diesen ersten Block im Philipperbrief, Kapitel 1, Verse 3 bis 8, den Kerngedanken zu erfassen: „Ich bin begeistert von dir, weil Gott in dir wohnt.“ Und ich sehe, dass du ja mit Macken bist, ja, nicht immer hundert Prozent, und ja, auf deine Art, die ich oft nicht verstehe. Aber ich sehe, dass du wirklich Gott nachfolgen möchtest und es ernst meinst.
Und da, wo du hinfällst, stehst du wieder auf. Da, wo etwas misslingt, bist du wirklich traurig darüber. Da möchte ich mich einfach für dich freuen und an dir freuen.
Ich möchte euch an dieser Stelle bitten: Wenn ihr für die Geschwister betet, schaut mal, womit ihr euer Gebet eigentlich anfangt. Wenn ihr für Geschwister betet, beginnt ihr dann gleich mit: „Vater im Himmel, ich wünsche mir, dass xy endlich mal das und das richtig macht“? Oder kommt vorher dieser Gedanke: „Vater im Himmel, ich danke dir für xy. Ich danke dir, dass du in ihm, in ihr wohnst, dass ich sie haben darf, dass ich sie als Vorbild haben darf“?
Wir sind einander Vorbild, vielleicht nicht in allem, aber es gibt genug, wo wir einander Vorbild sind. Dass ich sehen darf, wie xy mit dir lebt, dass ich das erleben darf, dass du uns zusammengestellt hast. Dass so eine ganz grundsätzliche Begeisterung füreinander da ist – eine Begeisterung, die es uns erlaubt, miteinander zu leben, auch wenn die Unterschiede kommen und uns manchmal schwerfallen.
Das ist der Start hier vom Philipperbrief – etwas, was mich sehr, sehr begeistert.
Ich habe noch ein paar Skripte von gestern. Vielleicht kannst du die noch verteilen? Dann hätte ich noch etwas für heute, wenn jemand das übernehmen kann. Wollt ihr beide das machen? Schaut mal, dann teilt das einfach in der Mitte, und jeder bekommt seinen Teil. Das ist genau das Richtige für heute.
Ihr habt von gestern dieses Skript mit dem rosa Deckblatt, und dann gibt es noch für heute vier Seiten dazu. Wir steigen ein in Kapitel 1, Vers 9.
Paulus’ Gebetsanliegen für die Gemeinde
In den ersten Versen erklärt Paulus, warum er betet. Nun folgen seine Gebetsanliegen. Wir beschäftigen uns also mit den Gebetsanliegen des Paulus für die Philipper. Dabei können wir auch viel für unser eigenes Gebetsleben lernen.
Philipper 1,9: „Und um dies bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme.“ Paulus betet für bestimmte Dinge im Leben der Christen. Er sagt, davon kann man eigentlich nie genug bekommen. Wenn man das Neue Testament durchliest, sind die wesentlichen Dinge, für die Paulus immer wieder betet, die Liebe. Liebe ist etwas, von dem man nie genug haben kann. Das gilt auch für Danksagung oder dafür, die eigenen geistlichen Gaben einzusetzen. Paulus sagt, man kann immer wieder dafür beten, dass Menschen davon noch mehr bekommen.
Das Interessante ist, dass Paulus hier davon spricht, dass die Liebe überströmt. Das zeigt, dass die Philipper bereits Liebe besitzen. Liebe ist also etwas, von dem man sagen kann: Selbst wenn ich in einem Leben schon sehr viel Liebe sehe, selbst wenn ich solche Menschen als Riesenvorbilder nehme, kann ich trotzdem immer noch für mehr Liebe beten.
Nun stellt sich die Frage: Was meint Paulus, wenn er sagt: „Ich bete, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht“? Diese Formulierung ist etwas ungewöhnlich. Er meint nicht, dass die Liebe durch Erkenntnis oder Einsicht bereichert wird, als ob diese beiden Dinge noch fehlen würden. Er meint etwas anderes.
Das Überströmen „in“ etwas beschreibt eine Richtung. Man kann sich das vorstellen wie einen riesigen Tank voller Liebe, aus dem die Liebe herausfließt. Die Frage ist: Wohin soll diese Liebe fließen? In welche Bereiche soll sie sich ergießen?
An dieser Stelle möchte Paulus, dass die Liebe Gottes immer weiter wächst – und zwar in Richtung Erkenntnis. Das bedeutet, dass der Bereich der Erkenntnis immer mehr von Liebe durchdrungen wird. Paulus fügt hinzu „und aller Einsicht“. Wir werden uns gleich überlegen, was das genau bedeutet.
Die Bedeutung von Erkenntnis und Einsicht
Jetzt müssen wir uns die beiden Begriffe genauer anschauen. Was ist eigentlich Erkenntnis?
Beim Thema Erkenntnis denken wir vielleicht an Wissen, aber das steckt nicht unbedingt in diesem Wort drin. Das Wort, das hier für Erkenntnis verwendet wird, hat immer einen religiös-moralischen Bezug. Es geht also nicht allgemein um Erkenntnis im Sinne von Wissenszuwachs, sondern immer darum, Gott zu erkennen.
Was bedeutet das nun? Ewiges Leben ist von seiner Definition her was? Ewiges Leben hat damit zu tun, dass ich ein Leben führe, in dem ich Gott kenne und in dem diese Beziehung zu Gott immer tiefer wird.
In Johannes 17,3 heißt es: "Das aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen." Hier wird deutlich, dass ewiges Leben mit Gotteserkenntnis zu tun hat.
So wie eine gute Freundschaft oder eine gute Ehe darin besteht, dass man den anderen immer besser kennenlernt, ist auch die Beziehung zu Gott kein Stillstand. Zumindest hoffe ich das. Wer eine gute Ehe führt, weiß, dass es kein Stillstand ist. Man lernt den anderen über die Jahre besser kennen und wächst zusammen.
Das, was einen verbindet, ist hoffentlich Liebe – wirkliche, echte, tiefe Liebe. Und diese Verbindung geschieht nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen mir und Gott.
Genau darum betet Paulus hier: Dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis. Das bedeutet, dass meine Beziehung zu Gott mehr und mehr von einer tiefen, innigen und echten Liebe geprägt ist.
Dahinter steckt natürlich der Gedanke, dass wir in dem Moment, in dem wir zum Glauben finden, zwar eine Beziehung mit Gott beginnen, diese Beziehung aber auf Entwicklung hin angelegt ist.
Die Liebesspirale in der Beziehung zu Gott
In Johannes 14, Vers 21 möchte ich euch das gerne noch einmal zeigen. Dort steckt dieser Gedanke drin. Es heißt:
Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt. Wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich selbst ihm offenbaren. (Johannes 14,21)
Merkt ihr dieses Wechselseitige? Wer mich liebt, wird wieder geliebt werden, und ich selbst werde ihn wieder lieben und mich selbst ihm offenbaren. Das ist wie eine Spirale, eine Liebesspirale.
Heute spricht man, wenn man über Beziehungen redet, von den fünf Sprachen der Liebe. Der Clou ist: Wenn ich weiß, welche Sprache der Liebe meine Frau spricht, dann kann ich sie so lieben, dass sie es auch merkt. Sie bekommt mit, dass ich sie wirklich liebe. Ich liebe sie also auf die Weise, die sie versteht.
Ich gebe jetzt keine Beispiele aus meiner Ehe, sondern nehme das einfach mal so. Meine Frau merkt: „Der hat mich echt gern.“ Was macht sie daraufhin? Sie öffnet sich ein Stückchen und investiert wieder von ihrer Seite Liebe.
Wenn das immer so hin und her geht, was passiert dann? Dann wird die Beziehung immer ein bisschen tiefer, weil jeder von seinem eigenen Herzen ein bisschen mehr öffnet. So kann man immer ein Stückchen tiefer hineinblicken, bis man wirklich versteht, wie der andere tickt.
Das ist jetzt ein Bild für Mann, Frau, Ehe. Für andere Beziehungen – etwa zwischen Christ und Gemeinde oder zu Gott – funktioniert das ähnlich. Weil Gott auch ein persönlicher Gott ist.
Jesus sagt: Meine Liebessprache ist Gehorsam. Ich fühle mich geliebt, wenn du dich an meine Gebote hältst. Wenn du das machst, kommt etwas zurück in dein Leben. Dann werde ich mich offenbaren, ich werde dir mehr von mir zeigen, als du am Anfang gewusst hast.
So kann man ein ganzes Leben lang in der Beziehung mit Jesus erleben, wie sehr er mich liebt. Man kann erleben, wie Veränderung passiert, wie eine Beziehung wächst und reifer wird.
Dass das passiert, ist das, wofür Paulus hier betet:
Ich bete, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströmt in Erkenntnis.
Ich wünsche mir, dass ihr an genau der Stelle zulegt, dass eure Beziehung zu Gott von echter Liebe geprägt ist und von aller Einsicht.
Praktische Weisheit durch Liebe
Das ist jetzt die andere Seite, wo Paulus sagt: Das eine ist die Beziehung zu Gott, das andere die Beziehung zum Leben. Wir würden heute sagen, es geht um das praktische Verstehen, also darum, die Lebensumstände richtig beurteilen zu können.
Wenn jemand einsichtig ist, dann besitzt er ein ganz praktisches Unterscheidungsvermögen. Er weiß, was in einer bestimmten Situation wichtig ist und was zu tun ist.
Das Spannende ist, dass Paulus hier sagt: Für das alltägliche Leben, für all die Schwierigkeiten, Entscheidungen und Umstände, in die du gestellt bist, wünsche ich dir auch viel Liebe. Das ist interessant, denn es geht weiter, wie vorgelesen wurde, damit ihr prüft, worauf es ankommt.
Das heißt: Wenn wir ein überdurchschnittliches Unterscheidungsvermögen haben wollen, wenn wir Menschen sein wollen, die mit viel Weisheit und fast schon mit Bauernschläue durchs Leben gehen, diejenigen, die in entscheidenden Momenten einfach die richtigen Entscheidungen treffen – was brauchen diese Menschen nach Paulus? Brauchen sie möglichst viel Know-how? Paulus sagt nein.
Damit du die richtigen Entscheidungen treffen kannst, brauchst du besonders viel Liebe. Wenn in dir viel Liebe ist und diese Liebe dein praktisches Entscheiden prägt, wenn du an der Stelle auf Liebe baust, dann bist du in der Lage, zu prüfen, worauf es ankommt. Du kannst das, was wirklich Qualität hat, von dem unterscheiden, was unnötig ist.
Das griechische Wort für „prüfen“ geht weiter, als wir das im Deutschen kennen. Im Deutschen verstehen wir unter „prüfen“ oft etwas wie den TÜV. Im Griechischen bedeutet es aber, bis zu dem Punkt zu prüfen, an dem eine Auswahl getroffen, eine Entscheidung gefällt und gehandelt wird. Es geht also nicht nur ums Prüfen an sich, sondern um das richtige Entscheiden, das hinter dem Prüfen als Tat steht. Es geht also auch ums Verhalten.
Wenn die Liebe in einem Menschen überströmt, wächst seine Beziehung zu Gott. Gleichzeitig wird er fähig, im alltäglichen Leben die richtigen Entscheidungen zu treffen, weil er ein gutes Unterscheidungsvermögen besitzt.
Das Ziel eines reinen und fruchtbaren Lebens
Und dann kommt noch Vers 10 hinzu: „damit ihr lauter und unanstößig seid am Tag Christi.“ Es geht also nicht nur darum, dass sie in ihrem eigenen Leben einen Gewinn haben. Paulus schaut nach vorne und sagt: Dort, wo Liebe überströmt – in Erkenntnis und aller Einsicht –, werdet ihr am Tag Christi vor Christus lauter und unanstößig sein.
Lauter bedeutet rein oder unvermischt. Unanstößig heißt klar, dass es in deinem Leben nichts gibt, woran sich ein anderer stoßen kann. Gemeint ist hier immer, dass niemand sich an deiner Sünde stößt. Du wirst also niemandem zum Fallstrick.
In Vers 11 heißt es: „Erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit.“ Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet? Da ist ein Leben, in dem Frucht wächst. Im Neuen Testament wird die Frucht oft bildhaft verwendet, wie bei einem Apfelbaum. Wenn du so einen Apfelbaum siehst, der voll ist mit Äpfeln, der sich richtig nach unten biegt, dann ist er einfach voll.
So stellt sich Paulus die Gläubigen vor. Er sagt: „Ich wünsche mir, dass in eurem Leben – und dafür bete ich – auf der einen Seite die Liebe überströmt. Und ich wünsche mir, dass ihr erfüllt seid mit der Frucht der Gerechtigkeit.“
Die Frucht der Gerechtigkeit ist Frucht, die aus der Gerechtigkeit kommt. Wir sind gerecht gesprochen und dazu bestimmt, Gerechtigkeit zu leben. Aus diesem Lebensprinzip der Gerechtigkeit soll Frucht kommen. Es sollen Taten entstehen, die uns auszeichnen, die in unserem Leben sichtbar werden und zeigen, dass wir Kinder Gottes sind.
Aber es sind Taten, die durch Jesus Christus gewirkt sind. Das heißt, geistliches Wachstum ist immer abhängig von dem Herrn Jesus. Wir haben hier wieder die Spannung, die wir gestern schon hatten: Auf der einen Seite betet Paulus, dass in euch die Liebe immer mehr überströmt und dass ihr erfüllt werdet. Aber was steckt dahinter? Dahinter steckt Jesus Christus, der in uns Frucht wirkt – zur Herrlichkeit und zum Lobpreis Gottes.
Das bedeutet: Wenn in meinem Charakter Veränderungen passieren – und ich wünsche euch, dass sie passieren –, dann können wir uns nicht auf die Schulter klopfen und sagen: „Boah, bin ich gut!“ – auch wenn wir viel gebetet haben, die Bibel gelesen und gehorsam waren und an der Beziehung zwischen uns und Jesus gearbeitet haben.
Am Ende ist es seine Kraft, sein Geist, der in mir wirkt und die Veränderung hervorbringt. Das ist Paulus, der hier betet: „Ich bitte um Liebe und Unterscheidungsvermögen. Ich bete, dass eure Liebe überströmt. Ich bete, dass ihr Frucht bringt.“
Die Bedeutung des Gebets für Liebe und Charakterentwicklung
Und wenn ihr an den Punkt kommt, wo ihr sagt: „Ja, ich muss auch mal überlegen, wofür ich eigentlich für die Geschwister beten kann“, dann ist das schon ein guter Anfang. Ich weiß nicht, wofür ihr betet, aber zwei schöne Anliegen wären zum Beispiel: Ich möchte dafür beten, dass wir in der Gemeinde und jeder Einzelne darin lieben lernt. Das ist ein wunderbares Anliegen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist immer richtig.
Außerdem wünsche ich mir, dass jeder Einzelne es auch zulässt, sich vielleicht mal zu hinterfragen: Ist das, was ich im Moment eigentlich lebe, Liebe? Ich glaube, das richtet sich besonders an die, die schon länger im Glauben sind. Wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir wirklich Liebe leben oder ob wir in Routine verfallen sind.
Es ist gut, sich ab und zu die Frage zu stellen: Liebe ich eigentlich die Geschwister? Liebe ich eigentlich Gott? Warum mache ich das, was ich in meinem Leben tue? Lese ich die Bibel aus Liebe? Lese ich sie aus Gehorsam? Oder aus Routine? Vielleicht lese ich sie auch, weil ich ein schlechtes Gewissen habe, wenn ich nicht lese. Es gibt verschiedene Gründe, warum wir das tun.
Ich möchte euch diese Fragen ganz bewusst stellen: Warum lest ihr die Bibel? Warum betet ihr? Warum besucht ihr den Gottesdienst? Was ist das Motiv dahinter? Ich finde es sehr heilsam, sich diese Fragen zu stellen. Sie tun manchmal weh – mir tun sie weh. Wenn man nicht sofort eine Antwort hat, ist das nicht schlimm. Es kann sogar gut sein, die Frage morgen nochmal zu stellen und sich zu überlegen: Was bin ich eigentlich für ein Typ? Was ist der innere Kern meines Christseins?
Geht es bei mir vor allem um Aktion? Ich arbeite doch für den Herrn, ich mache doch etwas für den Herrn. Vielleicht arbeitest du in der Jungschar mit, am Büchertisch, hast eine evangelistische Aktion am Laufen oder bist bei der Musik dabei. Ist das das Zentrum? Oder sagst du: Nein, ich habe verstanden, dass es darum geht, Liebe zu leben, Frucht der Gerechtigkeit zu bringen und wirklich ein anderer Mensch zu werden?
Ich wünsche euch, dass ihr euch diese Fragen ehrlich stellt und dass ihr füreinander im Gebet einsteht, damit ihr an dieser Stelle wachst. Passt auf, dass ihr in der Gemeinde nicht nur für die Aktionen betet. „Herr, lass unseren Alphakurs gelingen!“ – Ich bin dafür, dass euer Alphakurs gelingt. Aber betet auch für den Charakter und die charakterliche Entwicklung des Einzelnen.
Wir sind alle an dieser Stelle krüppel. Selbst wenn du denkst: „Ich bin doch eigentlich schon ein ganz feiner Kerl“, vergiss es. Du bist es nicht. Du bist es einfach nicht. Du hast noch unglaublich viel zu lernen. Sich das einzugestehen und aus diesem Eingeständnis, das man sich selbst gegenüber macht, heraus für den anderen zu beten und für sich selbst beten zu lassen – ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig für den Gemeindebau.
Dank und freudige Fürbitte im Philippabrief
Dank und freudige Fürbitte – Philipper 1,3-11
Wir kommen jetzt zum Hauptteil. Merkt euch das schon, denn das war sozusagen eine Art Einleitung. Nun folgt die Priorität des Evangeliums im Leben des Apostels Paulus, Philipper 1,12-26.
Ein anderes Thema, das für Paulus aber trotzdem wichtig ist, denn an dieser Stelle begegnet er den Ängsten der Philipper. Ihr müsst euch vorstellen: Die Philipper haben Paulus wirklich lieb. Er hat ihre Gemeinde gegründet. Nun ist er im Gefängnis, und man denkt sich natürlich: Was wird jetzt eigentlich aus Paulus?
Römische Gefängnisse waren nicht gerade für Komfort bekannt. Man hatte keine Ahnung, wie lange er dort überhaupt überleben würde. Es war unklar, ob er gut versorgt wurde – wahrscheinlich wurde er es nicht. Man musste sich um ihn kümmern. Gleichzeitig stellte man sich die Frage: Was wird jetzt aus unserem Herzensanliegen, der Evangelisation? Unser Top-Missionar steckt irgendwo in einem Loch fest.
Und jetzt? Wir wollten doch eigentlich missionieren. Die Pläne gingen vielleicht in Richtung Spanien weiter. Wir hatten uns das so vorgestellt. Stellt euch vor, ihr bekommt von Paulus regelmäßig Gebetsbriefe. Er schreibt, dass er Richtung Spanien will. Da denkt man: Gut, beten wir mal für Spanien. Dann betet man, und plötzlich sitzt Paulus irgendwo in Caesarea im Gefängnis. Da denkt man: Na ja, mal schauen, wie das weitergeht.
Dann kommt der Schiffbruch, und jetzt wieder Rom, wieder Gefängnis. Das klingt nicht gerade positiv. Man denkt sich: Wir hatten uns doch etwas anderes vorgestellt. Wir wollten unseren Missionar nach Spanien schicken, wir wollten Evangelisation vorantreiben.
Paulus muss ihnen nun schreiben, dass Gott weiß, was er tut.
Die Priorität des Evangeliums trotz Gefangenschaft
Vers 12: Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder, dass meine Umstände mehr zur Förderung des Evangeliums ausgeschlagen sind.
Das ist ganz toll. Toll einerseits deshalb, weil Paulus nicht damit anfängt zu klagen und zu sagen: „Ja, ja, es geht mir wirklich schlecht. Ihr müsstet mal hier sein, wo ich gerade bin. Es ist kalt, das Essen ist schlecht, ich habe mit den Wachen immer Schwierigkeiten, es stinkt, es gibt Ratten und so weiter.“ Das schreibt er alles nicht.
Paulus berichtet kaum über seine Lebensumstände. Wenn wir unser Leben betrachten, neigen wir oft dazu, die Qualität unseres Lebens danach zu beurteilen: Wie geht es uns? Ich zum Beispiel hasse Zahnschmerzen. Gerade habe ich so ein langwieriges Problem, bei dem ich alle paar Wochen zum Zahnarzt muss. Ich schätze die Spritzen, die die Schmerzen lindern, aber manchmal helfen sie nicht vollständig. Ich könnte Leuten stundenlang von meinen Zahnschmerzen erzählen. Paulus macht das nicht.
Paulus lebt unter weit dramatischeren und unüberschaubareren Umständen. Später wird er sagen, dass er nicht weiß, ob er sein Leben wieder herausbekommt. Doch seine Perspektive, um diese Umstände zu beurteilen, ist nicht, ob sie gut oder schlecht sind. Der Maßstab, nach dem er sein Leben bewertet, ist das Evangelium. Deshalb steht die Priorität des Evangeliums im Leben des Apostels Paulus an erster Stelle.
Paulus hat verstanden, dass der größte Sieg in der Weltgeschichte am Kreuz errungen wurde. Wenn man noch weiter zurückgeht, dann auch schon davor in Gethsemane, wo der Sohn Gottes angesichts der Dinge, die auf ihn zukommen, betet und ringt, Blut schwitzt und bittet, dass dieser Kelch an ihm vorübergeht. Doch es kommt anders: „Nein, es geht nicht, es geht nicht.“
An einem Ort, wo die Lebensumstände schlimmer nicht sein könnten – ein Justizmord, ein ganzes Volk gegen ihn, Ablehnung, das Hängen am Kreuz als Schwerverbrecher, als einer, der von Gott verflucht ist – an genau diesem Punkt geschieht der größte Sieg. An dieser Stelle passiert in der Weltgeschichte der Durchbruch. Der Tod wird besiegt, die Sünde bezahlt, und ein Neuanfang wird möglich.
Wenn wir uns bekehren, dann bekehren wir uns dazu, das Kreuz Christi auf uns zu nehmen, einem gekreuzigten Messias zu folgen und zu sagen: So wie du am Kreuz den größten Sieg errungen hast, so sind wir bereit, dir mit unserem Leben zu folgen. Dabei bedenken wir, dass die größten Siege oft mit Lebensqualität bezahlt werden.
Wir folgen Christus und akzeptieren, dass er uns dorthin führt, wo er es für richtig hält. Wir sind berufen, in seinen Fußstapfen zu wandeln. Paulus ist für mich ein großes Vorbild. Wenn uns das in ein Gefängnis oder eine andere missliche Lage bringt, dann ist die Beurteilung dieser Lage nicht, wie ich mich fühle – ob ich friere, Hunger habe, mich einsam fühle, ob alle Leute mich im Stich gelassen haben oder ob ich Gott spüre oder nicht.
Die entscheidende Frage ist: Bin ich auf diesem Weg mit Gott unterwegs? Dient das, was ich erlebe, seinen Zielen? Investiere ich mein Leben so, dass Menschen gerettet werden und das Evangelium wächst?
Diese Perspektive lesen wir hier, wenn Paulus sagt: „Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder.“ Mit „Umstände“ meint er seine Lebensumstände, seine Einkerkerung, Dinge, die mit seinem Gefängnisaufenthalt zusammenhängen. Vielleicht könnte man es besser übersetzen mit: „viel mehr zur Förderung des Evangeliums ausgeschlagen sind.“
Menschlich betrachtet ist das absurd. Ich stecke einen Missionar ins Gefängnis – da kann doch nichts weiter passieren. Das kann doch nur schiefgehen. Für die Predigt oder Verbreitung des Evangeliums müsste das doch der Schlussstrich sein. Menschlich würden wir sagen: Wenn ich den Kerl eingesperrt habe, dann habe ich die Botschaft erledigt.
Paulus sagt: Nein, das mag man erst mal so denken, aber ich habe weitergedacht. Wenn es hier heißt: „Ich will aber, dass ihr wisst, Brüder“, dann möchte ich das auch mal so sagen. Mit dem Wort „Brüder“ sind auch die Schwestern gemeint. Dieses Wort müsste man eigentlich besser mit „Geschwister“ übersetzen.
Wenn ihr das Wort „Geschwister“ hört, steckt da auch ein Wort drin – nicht nur die Brüder, sondern auch die Schwestern. Im Deutschen sagen wir „Geschwister“, wenn wir Männer und Frauen zusammen meinen. Im Griechischen ist es andersherum: Dort wird das Wort von den Brüdern abgeleitet.
Wir müssen verstehen: Hier geht es nicht nur um Männer, sondern um alle. „Ihr wisst“ – oder besser: „Ich will, dass ihr wisst, Geschwister.“
Wie kann es sein, dass ein inhaftierter Missionar das Evangelium fördert? Das erklärt Paulus in Vers 13: „So dass meine Fesseln in Christus im ganzen Prätorium und bei allen anderen offenbar geworden sind.“
„Meine Fesseln in Christus“ – man könnte auch übersetzen: „Fesseln für Christus.“ Paulus ist Gefangener, nicht weil er Unrecht getan hat, sondern weil er an Jesus glaubt. Die Tatsache, dass er ein solcher Gefangener ist, ist im ganzen Prätorium und bei allen anderen offenbar geworden.
Was ist das Prätorium? Normalerweise denkt man an einen Palast. Für Rom ergibt das aber keinen Sinn, denn es gibt kein Gebäude, das so bezeichnet wird. Außerdem heißt es „im ganzen Prätorium und bei allen anderen“, also bei den anderen Menschen in Rom. Wer ist mit Prätorium gemeint?
Wir wissen aus Inschriften und anderen Schriftstellern, dass die Prätorianergarde etwa 9.000 Soldaten umfasste, die auch die Bewachung der Gefangenen übernahmen. Diese Soldaten wurden ebenfalls als Prätorium bezeichnet.
Was ist also passiert? Der Fall Paulus wird, wie wir heute sagen würden, zum Stadtgespräch. Es beginnt mit den Soldaten, die ihn bewachen. Ein Soldat fragt: „Warum bist du hier drin?“ Paulus erzählt seine Geschichte. So knüpft er Kontakte zu den Soldaten, und über sie erhält er Verbindungen nach draußen, in die ganze Stadt.
Man denkt, man sperrt den Mann weg, und niemand redet mehr über das Evangelium. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Man sperrt ihn ein, und alle reden darüber. Alle fragen sich, was es mit diesem Gefangenen und seiner Botschaft auf sich hat.
Der Clou ist: An dem Punkt, an dem die ganze Stadt darüber spricht, was machen die Christen? Man muss sich das vorstellen: Du bist Christ und denkst dir, jetzt haben sie Paulus inhaftiert. Das ist eine blöde Sache. Traue ich mich jetzt, mit meiner Nachbarin über das Evangelium zu sprechen? Jetzt ist unser Mann im Gefängnis. Was wird sie von mir denken, wenn sie erfährt, dass ich auch dazu gehöre? Sollte ich vielleicht lieber den Mund halten?
Das ist eine ganz natürliche Reaktion. Da wird jemand inhaftiert, und man denkt: Vielleicht bin ich der Nächste. Vielleicht sollte ich vorsichtiger sein beim Reden.
Doch dann passiert Folgendes: Die Sache Paulus wird zum Stadtgespräch. Plötzlich kommt eine Nachbarin und sagt: „Sag mal, kannst du mir erklären, was das mit diesem Paulus auf sich hat? Wer ist dieser Christus? Ich verstehe nicht ganz, was hier Sache ist. Ich habe gehört, dass einige Soldaten in meiner Bekanntschaft davon erzählt haben. Erzähl doch mal, was das bedeutet.“
Und plötzlich merkt man: Das ist ja komisch. Eigentlich hatte ich Angst, aber jetzt reden alle darüber. Jetzt müsste ich eigentlich die Gelegenheit beim Schopf packen. Es ist gar nicht gefährlich.
Und hier steht: „Und dass die meisten der Brüder im Herrn Vertrauen gewonnen haben durch meine Fesseln.“ Paulus steckt im Gefängnis, und die Christen merken, dass das offenbar wird, dass alle darüber reden. Sie trauen sich heraus und denken: Na klasse! Wenn schon die Bild-Zeitung darüber schreibt, kann ich ja auch mal was sagen.
Sie haben Vertrauen gewonnen durch Paulus’ Fesseln und wagen vielmehr, das Wort Gottes ohne Furcht zu predigen.
Philipper, ihr denkt vielleicht, ich bin eingesperrt und jetzt geht nichts mehr evangelistisch in Rom. Falsch! Ich bin zwar eingesperrt, aber meine Soldaten, die Wachsoldaten, reden alle darüber und nehmen es mit nach Hause. Inzwischen redet die halbe Stadt davon, und die Christen, die vorher etwas Angst hatten, mitzureden, sind wieder da.
So passiert viel mehr Straßenpredigt, quasi auf jedem größeren Platz. Jeden Tag brennt hier die Luft. Es geht richtig gut mit dem Evangelium voran – und das, obwohl ich im Gefängnis sitze.