Liebe Gemeinde,
je enger sich der Ring um die Stadt schloss und je näher die feindlichen Soldaten kamen, desto lauter sangen sie drinnen. Umso schneller führten sie die Weingläser an den Mund.
Sie, das sind König Belsazar und seine tausend Mächtigen – so heißt es im Text –, seine führenden Beamten, engsten Berater und besten Mitarbeiter.
Wenn man die Geschichte, die Sie auf Ihrem Gottesdienstzettel vor sich haben, nur für sich nähme, ohne den historischen Zusammenhang zu kennen, könnte man meinen, es sei einfach ein weiteres Bankett, bei dem sich die Haute Volée auf Staatskosten amüsiert. Oder es sei eine weitere dekadente Promiparty, bei der Klatschreporter nach neuen Skandalen suchen und die Teilnehmer ihre neueste Garderobe vorführen.
Der Wein fließt in Strömen, je später der Abend, desto lauter die Lieder. An Frauen, Ehelichen und anderen fehlt es ebenfalls nicht. So beschreibt es unser Predigttext in den ersten vier Versen.
Ich möchte Sie bitten, dieses fünfte Kapitel des Danielbuches zur Hand zu nehmen; auf der Rückseite Ihres Gottesdienstzettels finden Sie den Text.
König Belsazar veranstaltete ein herrliches Gastmahl für seine tausend Mächtigen und soff sich mit ihnen voll – so die drastische Lutherübersetzung. Wörtlich heißt es: Er ließ vor den Tausend den Wein auffahren.
Als er betrunken war, ließ er die goldenen und silbernen Gefäße herbeibringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte. Der König wollte mit seinen Mächtigen, seinen Frauen und Nebenfrauen daraus trinken.
Da wurden die goldenen und silbernen Gefäße herbeigebracht, die aus dem Tempel, aus dem Hause Gottes zu Jerusalem weggenommen worden waren. Der König, seine Mächtigen, seine Frauen und Nebenfrauen tranken daraus.
Während sie so tranken, lobten sie die goldenen, silbernen, eisernen, hölzernen und steinernen Götter.
Das ist die Situation: eine laute und doch so banale Szene.
Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, wie viel Angst sich hinter diesem Gegröle verbirgt. Erst bei genauerem Hinsehen kann man die stille Verzweiflung spüren, die diesen Menschen im Nacken sitzt. Vielleicht wollen sie sich nur für ein paar Stunden davon befreien – nur für ein paar Stunden.
Historischer Hintergrund und politische Instabilität
Was ist hier los? Nebukadnezar, der Architekt des Babylonischen Weltreiches, ist seit über zwanzig Jahren tot. Letzten Sonntag hatten wir das Finale seines Lebens genauer untersucht. In Daniel 4 hatten wir gesehen, wie er auf den letzten Metern zu dem lebendigen Gott umkehrte. Wir waren zu der Überzeugung gekommen, dass es sich dabei, soweit man das von außen beurteilen kann, um eine echte Umkehr, eine echte Bekehrung handelte.
Das liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Als Nebukadnezar um das Jahr 561 vor Christus starb, hatte er ein funktionierendes politisches System aufgebaut. Den Menschen in seinem Reich ging es nach allem, was wir wissen, gar nicht so schlecht. Er hatte teilweise gute Berater, nicht zuletzt den gläubigen Daniel, den jüdischen Propheten.
Nur eine Aufgabe hatte Nebukadnezar nicht gelöst: Er hatte die Nachfolge nicht gründlich geklärt. Nach seinem Tod gab es, man könnte fast von italienischen Verhältnissen sprechen, einen ständigen Wechsel der Herrscher in den ersten Jahren. Zuerst regierte ein Sohn, der ziemlich unbedeutend war, Amel-Marduk, dann ein Schwiegersohn und danach dessen Sohn. Sie versuchten immer wieder, die Herrschaft an sich zu reißen. Doch die mächtige Priesterschaft spielte irgendwann nicht mehr mit. Schließlich brachten sie in einem Aufstand Nabonidus an die Macht.
Dieser Nabonidus, auch Nabonid genannt, gehörte nicht zur unmittelbaren Nachkommenschaft Nebukadnezars. Er war aber immerhin mit einer von dessen Töchtern verheiratet, also Schwiegersohn. Nabonidus erwies sich als ein brauchbarer, scharfsinniger König. Er hatte eine Tochter Nebukadnezars geheiratet, und gemeinsam bekamen sie einen Sohn, der auf den Namen Belsazar hörte. Das ist der Belsazar aus dem fünften Kapitel des Buches Daniel.
Man hat messerscharf geschlossen, zumindest die Damen unter ihnen, die sich mit Verwandtschaftsverhältnissen oft besser auskennen, dass Belsazar ein Enkel Nebukadnezars ist. Er ist der Sohn einer der Töchter Nebukadnezars mit dem Schwiegersohn Nabonidus. So war wenigstens ein Stück Dynastie durch Belsazar, den Enkel Nebukadnezars, gewährleistet.
Die Einzelheiten finden sich nicht alle in der Bibel, sondern stammen teilweise aus anderen Quellen, die im Verlauf des letzten Jahrhunderts nach und nach aufgetaucht sind. Diese ergänzen sich sehr stimmig mit dem Buch Daniel. Das ist hochinteressant, denn bis dahin hatte die Bibelkritik auch unser fünftes Kapitel im Buch Daniel nur zu gern in den Bereich des Märchens abgeschoben. Man hatte immer gesagt, wir haben keinen archäologischen Fund mit dem Namen Belsazar, also könne es ihn nicht gegeben haben. Nach dem Motto: Die Bibel hat es wohl erfunden.
Doch je länger man forschte und je mehr Informationen zusammenkamen, desto klarer wurde, wie akkurat auch dieses fünfte Kapitel mit den historischen Einzelheiten umgeht. Eine ganz wichtige Beobachtung. Die Christen haben das schon vorher gewusst. Ein Ausleger schreibt schließlich: „Auslegungsgeschichtlich brachte Daniel 5 einen Triumph des biblischen Berichtes über die historische Skepsis.“
Unser Belsazar ist seit circa 550 vor Christus als König von Babel eingesetzt, obwohl sein Vater Nabonidus noch lebt. Die beiden haben also eine Zeit lang gemeinsam geherrscht: Nabonidus und sein Sohn Belsazar. Das muss auch ganz gut funktioniert haben. Es gab auch einen strategischen Grund, warum Nabonidus Belsazar schon so früh als Mitregenten einsetzte.
Der Vater ahnte nämlich, dass die babylonische Position als Weltmacht zu bröckeln begann. Das war das Problem. Nabonidus war nicht entgangen, dass der persische König Kyros seine Position immer mehr ausbaute. Man wusste, irgendwann würde Kyros nach der großen Macht greifen, irgendwann würde er zuschlagen und die Weltherrschaft an sich reißen wollen.
Also versuchte Nabonidus, das babylonische Weltreich zu stärken – durch weitere Verbündete, durch Koalitionen. Für eine Zeit ging er in die Stadt Tema, um die Region Nordarabien unter seine Kontrolle zu bringen. Das war die Strategie, und damit wollte er Kyros in Schach halten.
Während dieser Zeit in Nordarabien konnte sich Nabonidus natürlich nicht um Babel kümmern. Deshalb setzte er seinen Sohn als Regenten von Babel ein. Dadurch wurde Belsazar noch zu Lebzeiten des Nabonidus König von Babel. Das funktionierte zehn Jahre lang ganz gut, von 550 bis 540 vor Christus.
Trotzdem ließ sich Kyros von seinen Supermachtplänen nicht abbringen. Im großen Bogen kesselte er das babylonische Reich immer weiter ein. Schließlich, im Oktober 539 vor Christus – so relativ genau können wir das bestimmen – zog sich der Ring um die Stadt immer mehr zusammen. Alles spitzte sich zu auf jenen Entscheidungstag, von dem unser fünftes Kapitel berichtet.
Was Sie vor sich haben, ist der Bericht über eine einzige Nacht. Man könnte als Überschrift auch setzen: „Eine Nacht im Oktober 539“. In dieser Nacht stürzt ein Weltreich, das jahrzehntelang alles beherrscht hatte, einfach in sich zusammen.
Darum wollen wir jetzt genauer hinsehen: Was ist da passiert? „Nur eine Nacht“ könnten wir diesen Text überschreiben oder „Wie ein Weltreich stürzt“. Was Sie hier lesen, ist ein Drama. Es hat sich alles so ereignet, aber es hat sich ereignet als ein Drama – ein reales Drama.
Damit wir dieses Drama besser überblicken können, habe ich es in fünf Akte unterteilt. Dieses Drama geht in fünf Akten über die Bühne der Weltgeschichte, und wir sehen, wie sich die ganze Welt in einer Nacht verändern kann.
Als Deutsche denken wir dabei natürlich sofort an die Nacht im November 1989, als unsere Mauer fiel. Da hat sich auch viel in einer Nacht geändert. Wir gehen jetzt zurück in den Herbst 539 vor Christus. Ich hoffe, Sie werden sehen, dass, auch wenn das zeitlich schon so weit weg ist, die Fragen, um die es hier geht, uns ganz, ganz nahe sind.
Erster Akt: Feier trotz drohender Katastrophe
Kommen wir also zum ersten Akt. Die Verse 1 bis 4 haben wir bereits gelesen. Wir überschreiben diesen ersten Akt mit den Worten „Gelage am Abgrund“.
König Belsazar veranstaltete ein prächtiges Mahl für seine tausend Mächtigen und trank sich mit ihnen voll. Die Truppen des Kyros rücken immer näher. Doch Belsazar feiert ein trotziges Fest. Es ist der Hochmut der Verzweiflung. Warum tut er das? Er weiß doch, dass die persischen Truppen bereits in die Vorstadtbezirke eingedrungen sind.
Im Palast fühlen sie sich noch einigermaßen sicher. Dieser Palast wurde von Nebukadnezar erbaut und lag wie eine Trutzburg, eine kleine Festung. Lebensmittelvorräte waren in Hülle und Fülle angelegt. Das beschreiben auch viele griechische Autoren, die die gute Versorgung schildern. Vielleicht sitzen sie dort und feiern, hoffen ganz irrational auf ein Wunder.
Herodot, der Schriftsteller, der im Jahrhundert danach lebte – das Geschehen spielte im 6. Jahrhundert vor Christus, Herodot schrieb im 5. Jahrhundert vor Christus –, hat diesen Abend ebenfalls festgehalten. Er berichtet, dass man ein Fest feierte, tanzte und guter Dinge war. Xenophon schreibt Ähnliches über diese Nacht.
Vielleicht wollte Belsazar mit diesem Festmahl auch ein Zeichen des Optimismus setzen: So schnell geben wir nicht auf. Und wenn Kyros kurz vor dem Palast steht, dann halten wir durch. Sicherlich wollte er seine Getreuen noch einmal motivieren und bei der Stange halten. Vielleicht wollten die Menschen auch einfach nur ihre Angst betäuben. Möglicherweise hofften sie wirklich, dass ihre Götzen das Schicksal noch wenden könnten.
Nachdem der Wein seine erste Wirkung getan hat, sehen wir, wie der König eine weitere Grenze überschreitet. In Vers 2 heißt es: „Und als er betrunken war, ließ er die goldenen und silbernen Gefäße herbeibringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte, damit der König mit seinen Mächtigen, mit seinen Frauen und mit seinen Nebenfrauen daraus tränke.“
Die goldenen und silbernen Gefäße, die aus dem Tempel, dem Hause Gottes zu Jerusalem, weggenommen worden waren, wurden herbeigebracht, und sie tranken daraus.
Nebukadnezar wird hier als Vater von Belsazar genannt. Im Semitischen kann man einen Großvater auch Vater nennen und einen Enkel auch Sohn. Es ist also klar, dass hier mit „Vater“ der Großvater gemeint ist, nämlich Nebukadnezar.
Belsazar lässt also in seiner Weinlaune die alten Beutestücke aus dem Archiv holen, die man damals im Jerusalemer Tempel geraubt hatte. Diese Gefäße gehörten zum alttestamentlichen Gottesdienst. Nun benutzt er diese religiösen Gegenstände absichtlich zu völlig anderen Zwecken. Er missbraucht sie. Das ist ein gezielter Missbrauch, eine Zweckentfremdung, eine absichtliche Verunehrung der liturgischen Geräte. Es ist eine Provokation, ein Frevel gegenüber dem Glauben des Alten Testaments.
Wir fragen uns: Warum macht er das? Will er sich einreden, dass die babylonischen Götter doch stärker sind als der Gott Israels? Oder ist das nur eine Laune des Weins, der ihn dazu verleitet? Vielleicht hat er auch ein psychologisches Motiv.
Diese Gefäße erinnern an die alten Schlachten und an die alten Siege. Sie sind eng verbunden mit der Eroberung Israels vor über sechzig Jahren. Damals waren sie Sieger, als sie diese Gefäße eroberten. Damals stiegen sie zur Weltmacht auf. Damals glaubten sie, sich über den Gott der Bibel hinwegsetzen zu können. Damals schien alles möglich zu sein. Ihrer Meinung nach stand ihnen der Himmel offen, und kein Volk der Welt konnte ihnen widerstehen.
An diese glorreiche Vergangenheit will Belsazar wohl anknüpfen, so meint er. Er erinnert sich: „Seht, das war damals möglich!“ Sollte das nicht auch heute möglich sein – durch unsere babylonischen Götter – gegenüber den Persern?
Dann lesen wir in Vers 4: „Und als sie so tranken, lobten sie die goldenen, silbernen, ehrenden, eisernen, hölzernen und steinernen Götter.“
Überlegen Sie, was für eine widersinnige, bizarre Situation das ist! Hunderte von Menschen setzen in dieser verzweifelten Lage ihre ganze Hoffnung auf totes Material, auf hölzerne, silberne, steinerne Götzen. Hunderte von Menschen.
Die Tragik ist, dass sie damit rechnen, dass die toten Götzen irgendwie helfen. Aber der Einzige, der wirklich helfen könnte, wird nicht bedacht. Schlimmer noch: Sie verhöhnen ihn. Sie glauben, sie könnten sich das leisten. Und dann sind sie auch noch so naiv zu glauben, sie kämen damit durch.
Das erscheint uns schrecklich. Doch in anderer Hinsicht machen wir oft einen ähnlichen Fehler. Wir rechnen mit lauter toten Dingen, mit begrenzten Mitteln, möglicherweise auch mit Menschen. Darauf setzen wir unsere ganze Hoffnung.
Aber der Einzige, der wirklich helfen könnte, der wahre lebendige Gott, mit dem rechnen wir kaum. Auf ihn setzen wir wenig, auf ihn hoffen wir kaum.
Hier sind es die Götzen, und die Götzen ihrer Wahl bleiben stumm. Doch der lebendige Gott, mit dem sie glauben, längst fertig zu sein, meldet sich plötzlich zu Wort. Während sie noch weinselig ihre Götzenlieder durch den Festsaal tönen lassen, wird Belsazar von einem Moment zum anderen in die harte Wirklichkeit zurückgeholt.
Zweiter Akt: Unerwartete Unterbrechung
Und das sehen sie in Vers 5: Im gleichen Augenblick erschienen gespenstisch Finger, wie von einer Menschenhand, die schrieben gegenüber dem Leuchter auf die getünchte Wand in dem königlichen Saal.
Der König erblickte die Hand, die da schrieb. Da wurde er leichenblass, und seine Gedanken erschreckten ihn so sehr, dass er wie gelähmt war und ihm die Beine zitterten. Er bekam schlotternde Knie, dieser große König.
Das ist schon der zweite Akt. Es ist ein sehr kurzer Akt, eine Störung aus dem Jenseits. Der erste Akt lautete „Gelage am Abgrund“. Der zweite Akt ist ganz kurz eingeschoben, nur dieser fünfte Vers. Diesen überschreiben wir mit den Worten „Störung aus dem Jenseits“.
Man kann sich vorstellen, wie plötzlich ein Raunen durch diesen Saal geht, wie die Gäste ihre Gläser fester anfassen, sich die Augen reiben und überhaupt nicht einordnen können, was da geschieht.
Plötzlich erscheint an einer großen getünchten Wand ein rätselhafter Schriftzug. Vers 5 beschreibt hier noch eine Einzelheit: Er steht gegenüber dem Leuchter. Also gegenüber dem Kronleuchter an der Wand, sodass man ihn gut lesen konnte. Der Schriftzug war gewissermaßen illuminiert, in der Nähe des großen Kronleuchters zu sehen.
Aus Ausgrabungen wissen wir, dass dieser Thronsaal riesige Ausmaße hatte. Er war etwa siebzehn Meter breit und zweiundfünfzig Meter lang – ein riesiger Festsaal. Auf einer dieser riesigen Wände ist diese für die Babylonier fremde Schrift zu lesen. Man sieht den Rücken der schreibenden Hand.
Und Gott redet dazwischen. Gott verschafft sich Zutritt zu diesem Fest. Keine Leibwache kann ihn daran hindern. Irgendwann hat die Musikkapelle, wenn es denn eine gab, die Instrumente beiseitegelegt.
Wir können uns vorstellen, wie viele Augen sich jetzt auf den König gerichtet haben dürften – auf den Hausherrn, auf den Führer. Was wird er jetzt machen? Wie wird er reagieren?
Aber in diesem Moment ist alle Führungsstärke wie weggeblasen. Das sehen Sie im Vers 6: Da wurde der König leichenblass, seine Gedanken erschreckten ihn so sehr, dass er wie gelähmt war und ihm die Beine zitterten.
Dritter Akt: Angst und die Suche nach Rettung
Und darum überschreiben wir den dritten Akt, der hier in Vers 6 beginnt und bis Vers 16 durchläuft. Wir überschreiben diesen dritten Akt mit den Worten Hilflose Furcht und eine letzte Hoffnung.
Dritter Akt, Verse 6 bis 16: Hilflose Furcht und eine letzte Hoffnung.
Eben noch – machen Sie sich das mal klar – glaubt Nebukadnezar, sich über diese geraubten religiösen Geräte und den Gott, der dazugehörte, lustig machen zu können. Doch jetzt merkt er, dass er es hier mit einer Macht zu tun hat, gegen die er nicht den Hauch einer Chance besitzt.
Die nächsten Verse, die wir aus Platzgründen nicht auf unserem Zettel haben, erzählen dann, wie Belsazar in seiner Panik alle Gelehrten und Wahrsager zusammentrommelt. Sie sollen diese Schrift entziffern und ihm sagen, was sie bedeutet. Doch es ist wie bei den Malen davor: Sie können es nicht, sie kriegen es nicht heraus. Belsazar braucht jetzt Übersetzungshilfe. Er braucht einen Schriftkundigen, und das können ihm seine Leute nicht bieten.
Hier steht dann, dass er noch mehr in Panik geriet. In Vers 9 heißt es: „Darüber erschrak der König Belsazar noch mehr und verlor seine Farbe ganz, und auch seinen Mächtigen wurde Angst und Bange, hilflose Furcht.“ Diese führenden Politiker, Beamten und Strategen merken, dass ihnen die Situation entgleitet. Sie merken auch, dass sie vor dieser drohenden Realität nicht einfach davonlaufen können. Sie merken, dass sie sich auch nicht einfach davontrinken können. Die Wirklichkeit ist da.
Hilflose Furcht – was tun?
Und dann, endlich, endlich, wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer: Endlich betritt eine Dame den Saal, die sich bezeichnenderweise bis dahin von diesem Fest ferngehalten hatte. Ich denke, es ist kein Zufall.
Sie erfährt jetzt, was gelaufen ist. Sie wird um Hilfe gerufen. Dann heißt es in Vers 10 – ich empfehle Ihnen, das zu Hause nochmal nachzulesen: „Da ging auf die Worte des Königs und seiner Mächtigen die Königinmutter in den Saal hinein.“ Sie begrüßt den König, versucht, ihn ein bisschen zu beruhigen und sagt ihm: „Es gibt einen Mann in deinem Reich, der unter deinem Großvater schon gedient hat. Der wird eine Lösung finden, das ist Daniel, lass ihn rufen.“
Wer ist diese Königinmutter? Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um die Mutter Belsazars, also um die Frau Nabunids, um die Tochter Nebukadnezars. Wir haben das gut aufgedröselt. Also wird es die Tochter Nebukadnezzars gewesen sein, eine seiner Töchter, die Mutter Belsazars.
Diese Frau hat wirklich Charakter gezeigt. Sie hat nicht mitgemacht bei diesem Trinkgelage, im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, die dabei gewesen waren, wie wir am Anfang lesen. Und jetzt, in diesem dritten Akt, tritt sie auf die Bühne. Sie beruhigt ihren Sohn und bringt dann die entscheidende Idee, den entscheidenden Hoffnungsschimmer ins Gespräch.
Sie hat nicht vergessen, was ihr Vater dem Daniel verdankte. Sie hatte miterlebt, was ihm widerfahren war. Sie hatte, denke ich, bestimmt auch etwas mitbekommen von der Bekehrung ihres Vaters Nebukadnezzars. Sie hatte diese grauenvollen sieben Jahre miterlebt, als er wie ein Vieh im Zustand des Wahnsinns draußen in den Parkanlagen herumvegetiert war. Sie hatte das bestimmt mit Tränen gesehen und die Verzweiflung der Familie geteilt, als das passierte.
Dann hat sie mitbekommen, wie ihr Vater sich an den Gott Daniels, an den Gott der Bibel, wandte und wie er wieder gesund wurde, wie er zum lebendigen Glauben an diesen Gott fand und anfing, ihn anzubeten.
Ich bin sicher, dass diese Frau dem Belsazar davon erzählt hat. Das lag noch gar nicht so lange zurück – gut zwanzig Jahre. Was sind zwanzig Jahre? Sie wird mit ihrem Sohn darüber gesprochen haben. Aber der junge König hatte diese Geschichte offensichtlich abgestreift, er hatte sie ausgelöscht. Er hatte Daniel auch aufs Altenteil geschickt, er hatte sich mit anderen Beratern umgeben. Er wollte nicht mehr auf die alten Fahrensleute setzen, die schon für seinen Großvater gearbeitet hatten.
Dann kommt es zu einer denkwürdigen Begegnung in Vers 13, und das haben Sie wieder auf Ihrem Zettel: „Da wurde Daniel vor den König geführt, und der König sprach zu Daniel: Bist du Daniel, einer der Gefangenen aus Juda, die der König, mein Vater, also mein Großvater, aus Juda hergebracht hat?“ Dann schildert er ihm diese Situation.
Es ist eine seltsame Stimmung in diesem Gespräch zwischen Daniel, dem alten Daniel, der auch schon so gut achtzig sein dürfte jetzt, und dem jungen Belsazar.
Jetzt brauchen Sie ihn noch mal.
Wissen Sie, wenn es ernst wird, wenn die großen, wenn die letzten Fragen auf uns zukommen, dann sucht die Welt nach einer Antwort. Warum ist es denn so, dass bei Flugzeugkatastrophen und Zugkatastrophen oft nach der Kirche, nach den Pastoren gerufen wird? Die Welt sucht eine Deutung, eine Orientierung, einen Trost – vielleicht aus irgendeiner anderen Welt. Sie suchen jemanden, der nicht nur die Schultern zuckt und sagt: „Das ist eben Schicksal, ich kann auch nicht mehr sagen.“
Viele Menschen ahnen, dass diese Deutung der Situation nur von solchen Leuten kommen kann, die den Gott der Bibel kennen. Viele ahnen das.
So ist es auch hier: Sie lassen Daniel rufen. Ich kann mir vorstellen, dass er lange auf diese Stunde gewartet hat, dass er sich darauf vorbereitet hat, dass er dafür gebetet hat und gesagt hat: „Allmächtiger Gott, gib mir noch einmal die Chance, diesen Heiden, die in ihr Unglück rennen, deine Wahrheit zu sagen. Gib mir noch einmal diese Chance, gib, dass sie noch einmal aufwachen.“
Dann kommt diese Situation, wo allen anderen die Ideen ausgegangen sind. Daniel bekommt noch einmal dieses Forum, diese Kanzel im Festsaal zu Babel. Er nutzt diese Situation, jetzt, wo Hunderte von Leuten sicherlich an seinen Lippen hängen und gucken, was dieser greise Prophet jetzt dem jungen König angesichts der nahenden Katastrophe sagen wird.
Vierter Akt: Deutliche Botschaft und Evangelisation
Und damit kommen wir zum vierten und vorletzten Akt; der fünfte ist dann nur noch sehr kurz. Der vierte Akt trägt die Überschrift „Evangelisation im Thronsaal“. Denn genau das ist es: Evangelisation im Thronsaal. Wozu der alte Prophet und Königsberater diese Gelegenheit nutzt.
Ihm wird vom König versprochen, dass, wenn er helfen kann, wie er es den anderen auch versprochen hatte, er in Purpur gekleidet wird, eine goldene Kette erhält und der Dritte im Reich sein wird – also Nabunidos, Belsaza und Daniel. Daniel sagt gleich zu Beginn dieses Gesprächs: „Lass mal deine ganzen Insignien stecken, die brauche ich nicht.“ Er weiß wahrscheinlich, dass das, was dieser König noch an Macht zu vergeben hat, sowieso wertlos sein wird.
Dann beginnt er mit einem kurzen Vortrag: „Ich will dir diese Schrift gern vorlesen, die an der Wand steht. Ich will dir Gottes Botschaft erklären. Es sind nur vier aramäische Wörter, und ich werde dir erklären, was diese aramäischen Wörter bedeuten. Ich werde sie dir vorlesen und dir sagen, was Gott dir damit sagen will.“
Daniel nutzt noch einmal diese evangelistische Gelegenheit, und das wollen wir uns in den nächsten Minuten noch anschauen, weil es wichtig ist, den Zusammenhang hier zu sehen. Es ist erstaunlich, wie lange Belsaza den Daniel reden lässt. Er kann richtig einen kurzen Vortrag halten und gliedert seinen evangelistischen Vortrag in diesem vierten Akt in drei Teile: Er erzählt zuerst die Geschichte des Großvaters (Vers 18-21), dann redet er von der Schuld des Enkels (Vers 22-23), und am Ende schildert er das Urteil Gottes (Vers 24-28).
Die Geschichte des Großvaters beginnt ab Vers 18. Daniel erinnert den Enkel noch einmal daran: „Da sagte mein König, Gott der Höchste hat deinem Großvater Nebukadnezar Königreich, Macht, Ehre und Herrlichkeit gegeben. Und um solcher Macht willen fürchteten und scheuten sich vor ihm alle Völker und Leute aus so vielen Sprachen. Er tötete, wen er wollte, ließ leben, wen er wollte, erhöhte, wen er wollte, demütigte, wen er wollte. Als sich aber sein Herz erhob und er stolz und hochmütig wurde, wurde er vom königlichen Thron gestoßen, verlor seine Ehre und wurde aus der Gemeinschaft der Menschen verstoßen. Sein Herz wurde gleich dem der Tiere.“ Das ist Nebukadnezars Kapitel vier.
Er musste bei den Wildtieren leben und Gras fressen wie die Rinder. Sein Leib lag unter dem Tau des Himmels und wurde nass, bis er lernte und begriff, dass Gott der Höchste Gewalt hat über die Königreiche der Menschen. Gott der Höchste gibt sie, wem er will. Das ist die Geschichte des Großvaters.
„Denk daran, Belsaza, dein Großvater verdankte seine Erfolge dem Herrn der Geschichte. Aber das wusste er nicht in allen Zeiten seines Lebens. Er wollte diesen Gott nicht ehren, wollte sich vor ihm nicht beugen, und dadurch ist sein Leben bitter gescheitert. Er landete bei den Tieren, wollte sich zu einem kleinen Gott erheben und wurde wahnsinnig, kam an seine letzten Grenzen. Doch dann blickte er noch einmal auf zu diesem lebendigen Gott.“
Wir haben das letzten Sonntag gesehen: Er flehte ihn um Hilfe an, kehrte um, wurde gerettet, gesund und kam wieder klar. „Belsaza, verschließe doch nicht die Augen vor dieser großen Wahrheit, die dein berühmter Vorfahre kapiert hat. Du kannst nicht gegen den heiligen Gott anleben, du kannst es nicht. Und wenn du noch so viel Macht besitzt, bist du machtlos und hilflos vor ihm.“ Das ist die Geschichte des Großvaters.
Dann folgt die Schuld des Enkels. Jetzt geht Daniel zum Angriff über, Vers 22: „Aber du, Belsaza, sein Sohn, also sein Enkel, du hast dein Herz nicht gedemütigt, obwohl du das alles wusstest. Du hast dich gegen den Herrn des Himmels erhoben. Die Gefäße seines Hauses hat man vor dich bringen müssen, du und deine Mächtigen, deine Frauen und Nebenfrauen. Ihr habt daraus getrunken und dann die hölzernen, steinernen, eisernen, ehrenden Götter gelobt, die weder sehen, noch hören, noch fühlen können. Aber den Gott, der deinen Odem und alle deine Wege in seiner Hand hat, also den, dem du dein Leben verdankst und von dem dein Schicksal abhängt, den hast du nicht verehrt. Das ist deine Schuld.“
Verstehen Sie, wie klar und eindeutig Daniel hier redet? Er sagt: „Belsaza, du hast den gleichen Fehler gemacht wie dein Großvater, und bei dir ist es viel schlimmer, denn du kanntest dessen Geschichte. Du hast alles gewusst, aber du hast es mit Füßen getreten. Es war dir egal, du dachtest, du könntest es anders schaffen. Und dann hast du den entscheidenden Fehler gemacht: Du hast dein Herz nicht gedemütigt.“
Wissen Sie, das ist das Grundproblem hinter jeder Sünde: dass wir unser Herz nicht demütigen wollen, dass wir gegenüber dem lebendigen Gott hochmütig und stolz bleiben wollen, dass wir nicht anerkennen: „Du bist mein Gott, und ich beuge mich vor dir.“
„Belsaza, du kannst dich nicht auf Unwissenheit herausreden. Ein Philosoph hat einmal gesagt: Was lernen wir aus der Geschichte der Völker? Wir lernen aus der Geschichte der Völker, dass die Völker aus der Geschichte nichts lernen.“ Diesen Satz hätte Daniel hier auch zitieren können. „Wir lernen aus der Geschichte der Herrscher, dass die Herrscher aus der Geschichte nichts lernen.“
Belsaza, du hast so viele Informationen vorliegen, du hättest so deutlich gewarnt sein müssen, und trotzdem hast du den heiligen Gott nicht ernst genommen. Und dann, Vers 23, das ist das eigentlich Schlimme: „Du hast dich de facto, in Wirklichkeit, ob du es weißt oder nicht, gegen den Herrn des Himmels erhoben.“
Das heißt, und das ist das Entscheidende, was wir sehen müssen: „Du hast dich mit deinem Leben an dem lebendigen Gott vergangen.“ Das ist das Problem. Das andere sind alles Symptome: Du hast diese Tempelgeräte missbraucht, du hast die toten Götzen gelobt, und du hast dem einzig wahren Gott die Anbetung verweigert, obwohl du ihm dein Leben verdankst, obwohl er dir den Atem gibt, obwohl du ohne ihn keine Sekunde existieren könntest.
Und obwohl doch dein Leben in seiner Hand ist – Menge übersetzt sehr schön an dieser Stelle: „Von dem doch dein ganzes Schicksal abhängt.“ Von diesem Gott hängt dein ganzes Schicksal ab. Du hast gegen ihn gelebt.
Wissen Sie, was Daniel hier macht? Das ist Evangelisation in Reinkultur. In diesen Sätzen von Daniel erkennen wir, was der Kernbestand jeder evangelistischen Botschaft ist: Wir müssen dem Menschen sagen: „Du, der heilige Gott, dem du dein Leben verdankst, hat dein Leben in der Hand. Der heilige Gott ist die letzte Instanz, vor der du dein Leben verantworten musst. Und so, wie du bist und so, wie du dein Leben gelebt hast, kannst du vor diesem Gott nicht bestehen. Denn ob du es weißt oder nicht, du hast dich an Gott vergangen, du bist persönlich an Gott schuldig geworden.“
Er bewertet das als Feindschaft. So ist Vers 23 zu verstehen: „Du hast dich gegen den Herrn des Himmels erhoben.“ Das ist der Kern jeder evangelistischen Diagnose. Und dahin müssen wir früher oder später mit jedem Menschen kommen, dem wir das Evangelium erklären: dass wir ihm sagen, „Du hast dich vergangen an dem lebendigen Gott.“
Vorletzte Woche, vom 24. bis 28. April, fand in Hamburg eine sogenannte Jugendevangelisationsstadt namens Jesushaus in der Fischauktionshalle statt. Sie wurde von dort in etwa 750 Orte Europas übertragen. Das ist gewissermaßen das Jugendprojekt von Pro Christ. Unsere Studenten haben die Kurzpredigten dieser Evangelisationswoche in der letzten Woche im Internet nachträglich gehört und analysiert.
Ich muss Ihnen sagen, wir waren wirklich erschüttert, welche Botschaft den Jugendlichen da in ganz Europa ausgerichtet wurde. Von dem, was Daniel hier sagt, von dieser Kernbotschaft, wurde kaum deutlich geredet. Man hat viele christliche Begriffe gebraucht, vom Sinn des Lebens gesprochen und von Ängsten. Man hat etwas blumig von der Liebe Gottes geredet. Aber diese große grundlegende Wahrheit, wie Gott unser Leben sieht und wo unser größtes Problem ist, und dass wir uns an Gott vergehen, diese Wahrheit wurde den jungen Menschen weitgehend verschwiegen oder höchstens in homöopathischster Kleinstverdünnung gereicht.
Wissen Sie, was das Problem dabei ist? Das Problem liegt darin, dass wir den Menschen, die so etwas hören, ein völlig falsches Verständnis von dem heiligen Gott vermitteln. Das ist die große Not. Ob die Musik dabei ein bisschen schöner oder schlechter ist, darüber kann man viel diskutieren und nachdenken. Aber das Problem liegt viel, viel tiefer: Es wird den Menschen ein völlig falsches, viel zu harmloses Verständnis davon vermittelt, wer Gott ist.
Dann hat eine Verkündigerin dort gesagt: „Jesus kann es überhaupt nur wagen, dich aufzufordern, ihn zu lieben, weil er dich selbst so geliebt hat. Deswegen kann er es überhaupt auch nur wagen, dich darum zu bitten, ihn zu lieben – so, als hätte Gott uns gegenüber eine Schuld, als ob er uns bräuchte.“ Und das Ganze mit vielen frommen Worten. Diese amputierte Halbwahrheit wird den Gemeinden und Jugendlichen europaweit als das vollständige Evangelium präsentiert.
Es ist wirklich zum Heulen, wie viel Verwirrung und Verführung hier geschieht, unter der Überschrift Evangelisation. Verstehen Sie: Auf dieser harmlosen Tour wird den Jugendlichen weder Gottes Heiligkeit und Gottes gerechte Forderung deutlich, noch die Tiefe seiner hingebungsvollen Liebe. Es wird alles so harmlos gemacht. Es wird alles auf der Ebene menschlicher Sehnsucht und menschlicher Furcht dargestellt – und Jesus ist dann der, der dich durchs Leben bringt. Und irgendwann ist auch mal von Schuld die Rede.
Ich bitte Sie, das richtig zu verstehen: Wir sagen das wirklich nicht selbstgerecht, sondern voller Schmerz. Und es ist auch mit Kritisieren nicht getan, das haben unsere Studenten letzte Woche immer wieder gesagt: Wir müssen darum ringen, bessere Evangelisation auf den Weg zu bringen. Wir müssen dafür kämpfen, dass besser und bibelgemäßer evangelisiert wird. Das ist unsere Aufgabe.
Wir haben die ganze Wahrheit zu sagen, so wie Daniel. Und er kommt dann in Vers 24 auf die Zielgerade seiner kurzen Ansprache. Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die Geduld für diese Zielgerade noch haben und auch noch alle ganz frisch aussehen. Er bringt es noch einmal auf den Punkt, weicht dieser Konsequenz nicht aus. Nach der Geschichte des Großvaters und der Schuld des Enkels bringt er in Vers 24 bis 28 das Urteil Gottes.
Und jetzt kommt es: Er formuliert das ganz eindeutig. Hören Sie, wie das klingt:
„Darum“, sagt er schließlich zu Belsaza, „wurde von Gott, den du nicht verehrt hast, diese Hand gesandt und diese Schrift geschrieben. So aber lautet die Schrift, die dort geschrieben steht: Mene, Mene, Tekel, Uparsin.“ Und sie bedeutet dies:
Mene heißt, Gott hat dein Königtum gezählt und beendet. Tekel heißt, man hat dich auf der Waage gewogen und zu leicht befunden. Peres heißt, dein Reich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben.
Verstehen Sie, Gottes Urteil ist so eindeutig, dass es sich mit drei aramäischen Begriffen zusammenfassen lässt. Erst der Begriff Mene, das heißt gezählt: Gott hat Bilanz gemacht von deinem Leben. Deine Tage sind gezählt, sie werden langsam ausgezählt. Dann Tekel: Gott hat dich gewogen, dein Leben auf seine Waagschale gelegt. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass du zu leicht bist. Das Gewicht, das du auf die Waage bringst, ist zu wenig. Du bist ein religiöses Leichtgewicht, du kannst vor Gott nicht bestehen.
Uparsin ist die Mehrzahl von Peres, und das U davor bedeutet „und“. Gott hat dein Reich zerteilt. Er wird deswegen die Mehrzahl Parsin auseinandernehmen in mehrere Teile. Das babylonische Weltreich wird in das medopersische Weltreich übergehen.
Schauen Sie: Interessant ist, dass Daniel noch als Greis erlebt, wie sich ein Teil seiner Prophetie, die er als junger Mann gegeben hatte, erfüllt. Das große goldene Haupt, das babylonische Weltreich, wird jetzt von den Persern abgelöst.
Und das Urteil – und das müssen wir sehr deutlich sehen – ist nicht nur politisch gemeint, sondern auch persönlich: Nicht nur dein Königreich ist gescheitert, Belsaza, sondern auch dein Leben. Vor Gottes Instanz hast du keine Chance, mit deinem Leben ungeschoren davonzukommen.
Sehen Sie, das ist genau die gleiche evangelistische Wahrheit, die der lebendige Gott jedem von uns vor Augen führt: Auch du bist gezählt, auch dein Leben ist gewogen, und auch du bist zu leicht befunden. So hat es Johannes der Täufer dem Herodes gesagt, und Herodes wollte es nicht glauben, bis er am Ende grauenvoll starb.
So hat es Paulus zum Beispiel in Apostelgeschichte 24 dem Gouverneur Felix gesagt. Da steht, er hat ihm den Glauben an Jesus verkündet und sprach von der Gerechtigkeit Gottes und von der Keuschheit, an der Felix seine Sünde erkennen konnte, und vom zukünftigen Gericht darüber redete Paulus in diesem evangelistischen Gespräch.
Darum, wer will, dass andere die Chance haben, Frieden mit Gott zu finden, der muss ihnen reinen Wein einschenken. Wer will, dass andere Menschen Frieden mit Gott finden, der muss ihnen die ganze Wahrheit sagen, so wie Daniel hier. Wir können nicht in jedem Gespräch und in jeder Situation immer alles gleich sagen. Aber es muss unser Ziel sein, mit den Menschen dahin zu kommen, dass wir ihnen die ganze Wahrheit mitteilen und nichts verschweigen – früher oder später.
In diesen deutlichen Worten, die Daniel da überhaupt nicht polternd ausrichtet – er hat nicht auf den Putz gehauen und gesagt: „Jetzt will ich das noch mal sagen, was ich schon lange sagen wollte, ihr alten Heiden“ –, hat er präzise die Wahrheit Gottes ausgerichtet. Darin steckte so ein letztes Rufen, ein letztes Werben, ein letztes Einladen Gottes.
Er kannte die Geschichte seines Großvaters, er hätte Zuflucht bei demselben Gott suchen können. Für uns heute ist diese Zuflucht noch deutlicher ausgewiesen am Kreuz von Jesus Christus. Christus lädt uns ein und sagt: „Komm her, ich habe mein Leben für dich gegeben. Ich habe mein Leben für dich in die Waagschale gelegt.“
Sagt Jesus: „Ich habe mein Leben damals am Kreuz in die Waagschale geworfen und für dich bezahlt, für deine Schuld die Strafe getragen. Und du darfst jetzt sagen: Jesus, rette mich! Wenn ich ohne dich, Jesus, gewogen würde, dann wäre ich auch zu leicht, dann hätte ich auch keine Chance. Aber Jesus, rette mich, der du für mich dein Leben in die Waagschale geworfen hast!“
Und dann gilt für uns auch, wie es in diesem Lied heißt: „Und das Mene Tekel, das auf deinem Leben stand“, also dieses Urteil Gottes – du bist gewogen und zu leicht befunden –, „das ist das Mene Tekel, das in diesem bekannten Lied gemeint ist. Das Mene Tekel, das auf deinem Leben stand, wird gelöscht von Gottes guter Vaterhand.“
Daniel hat diesen letzten Tag des babylonischen Weltreichs zu einer eindrucksvollen Kurzevangelisation genutzt. Er hat nicht gesagt, „Es ist sowieso alles zu spät“, er hat gesagt: „Jetzt kommt das Gericht, und Schluss, aus, vorbei.“ Sondern er hat bis zur letzten Sekunde geworben um diese Menschen. Er hat sie gerufen.
Fünfter Akt: Das Ende und die Konsequenzen
Und dann bleibt nicht mehr viel Zeit – nur noch wenige Stunden. Das Drama dieser Nacht endet mit einem kurzen letzten Akt, und so auch unsere Predigt: der fünfte Akt, ein schnelles Ende.
Also noch einmal: Erster Akt – Gelage am Abgrund, zweiter Akt – Störung aus dem Jenseits, dritter Akt – hilflose Furcht und eine letzte Hoffnung, vierter Akt – Evangelisation im Festsaal, und jetzt zum Schluss der fünfte und letzte kurze Akt – ein schnelles Ende.
Man fragt sich natürlich, wie Belsazar jetzt reagieren wird. Und sehen Sie hin, wie er reagiert – es ist erschütternd. Hier in Vers 29 steht: „Da befahl Belsazar, dass man Daniel mit Purpur kleiden sollte und ihm eine goldene Kette um den Hals geben.“ Außerdem ließ er von ihm verkünden, dort in diesem Thronsaal, dass er jetzt der Dritte im Königreich sei.
Verstehen Sie, er reagiert wie in Trance. Er tut so, als ob alles immer so weitergehen würde. Nun gut, er hält sein Versprechen und ruft das noch vor diesen verzweifelten Menschen aus: Er ist jetzt der Dritte im Reich. Aber das ist makaber – diese Situation.
Das alles perlt an ihm ab. Anstatt zu sagen: „Mensch Daniel, bete für uns!“ oder sich hinzustellen und zu sagen: „Leute, lasst uns auf die Knie gehen und umkehren“, so wie es die Menschen in Ninive getan haben, passiert nichts.
Anstatt aus diesem Gelage einen Bußgottesdienst werden zu lassen und zu rufen: „Herr, wir haben gegen dich gesündigt und wir kennen dich nicht einmal genug, aber erbarme dich über uns! Die Perser stehen vor der Tür, unser Leben ist bedroht, wir bitten dich, lass uns umkehren!“ – nichts davon geschieht.
Die Botschaft prallt ab, er findet keinen Raum mehr zur Buße. Sein Leben ist ein schreckliches Beispiel dafür, was es heißt, zu spät zu sein.
Mit dieser Evangelisation wenige Stunden vor dem Zusammenbruch hatte Daniel die Tür noch einmal einen Spalt weit geöffnet. Er hatte noch einmal eine Zuflucht gezeigt. Aber Belsazar geht nicht mehr hindurch – es ist zu spät.
Und dann heißt es hier nur noch in Vers 30: „Aber in derselben Nacht wurde Belsazar, der König der Chaldäer, getötet.“
Die Bibel beschreibt das wieder nur mit knappsten Worten. Die griechischen Schriftsteller Xenophon und Herodot berichten etwas ausführlicher, was in dieser Nacht passiert ist. Sie erwähnen auch dieses Fest und sagen, dass noch in derselben Nacht der persische General Gubrias, auch Ugbaru genannt, mit seinen Truppen in den Palastbezirk einzog.
Wir wissen aus antiken Aufzeichnungen, dass Gubrias etwas Strategisch Kluges gemacht hat: Er hatte vorher dafür gesorgt, dass der Euphrat vom Wasserspiegel her gesenkt wird. Er ließ Gräben ausheben und leitete Teile des Euphrats in diese Gräben um. Dadurch sank der Wasserspiegel im Euphrat.
Da der Euphrat sich auch durch die Stadt Babel zog, konnten die Perser jetzt bei niedrigerem Wasserstand auf diesem Seeweg gewissermaßen in den Palast hineinfahren. Man konnte den Wasserweg unter den dicken Mauern nutzen und kam überraschend schnell und unerwartet in den Palast hinein – in dieser Nacht.
Zwischen Daniels Predigt und Belsazars Tod dürften nur wenige Stunden gelegen haben. General Gubrias, so sagen die griechischen Schriftsteller, tötet ihn noch im Palast. So stirbt der König in Gottes Gericht hinein.
Überlegen Sie mal: Ein Jahrhundert vorher hatte der Prophet Jeremia diesen Tag beschrieben. In Jeremia 51,30 heißt es: „Die Helden zu Babel werden nicht zu Felde ziehen, sondern in der Festung bleiben. Mit ihrer Stärke ist es aus. Ein Läufer begegnet dem anderen und ein Bote dem anderen, um dem König von Babel anzusagen, dass seine Stadt genommen sei an allen Enden, und die Furten, also die Seewege, die Flüsse, besetzt seien, und die Bollwerke verbrannt. Und die Kriegsleute verzagt.“
Und genau so ist es gekommen. Das Babylonische Weltreich und Belsazars Leben finden ein schnelles, jähes Ende.
Schlussgedanken und Appell
Und für uns ist das nicht einfach nur ein historischer Stoff, liebe Mitchristen. Mit diesem Kapitel zeigt uns der heilige Gott, wie es um unser Leben bestellt ist. Er macht uns bewusst, wie ernst und gefährdet die Situation jedes Menschen ist, der diese Erde durchschreitet.
Wir werden alle gewogen, und wir werden alle als zu leicht befunden. Über unserem Leben steht Gottes Mene Thekel. Doch es gibt eine Zuflucht, die einzige Zuflucht: den gestorbenen und auferstandenen Jesus Christus.
Darum lasst uns als Gemeinde den Daniel zum Vorbild nehmen. Egal, wie weit der Zeiger an der Weltenuhr schon vorangeschritten ist, lasst uns klar und liebevoll und ohne Abstriche in den Festsälen und in den Katastrophen dieser Welt evangelisieren. Lasst uns die Botschaft von dem heiligen Gott weitertragen, der unser Leben wiegt und uns dennoch Rettung anbietet.
Sollte jemand hier sitzen, dem vielleicht zum ersten Mal Gottes Mene Thekel bewusst geworden ist, dann bitte ich Sie: Machen Sie nicht den gleichen Fehler wie Belsatsa. Rufen Sie den lebendigen Gott an, beten Sie zu dem Herrn Jesus Christus, dass er das Mene Thekel über Ihrem Leben auslöscht, und retten Sie Ihr Leben gleich. Er ruft Sie heute. Amen.