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Mach es wie Harry

11.01.2015Lukas 15,11-32

Es wurde bereits mehrfach erwähnt, dass die Allianz-Gebetswoche startet. Über 120 Länder weltweit beteiligen sich daran.

Was alle verbindet, ist nicht nur, dass in dieser Woche gebetet wird, sondern auch, dass alles unter einem großen Thema steht: dem Vaterunser.

Impulse dazu haben Christen aus dem Kongo erarbeitet. Es ist spannend, ihre Auslegung aufzunehmen und das zu hören, was Gott ihnen geschenkt hat.

Einführung in das Thema und persönliche Verbindung

Für den heutigen Sonntag lautet das Thema: Was beginnt mit dem Beginn des Vaterunsers, nämlich „Vater“?

Matthias Lohmann hat gefragt: Wie heißt das Thema, zu dem du predigst? Er hat gesagt: Das Thema heißt „Mach's wie Harry“. Das ist also das Gottesdienstthema: Mach's wie Harry.

Wir werden uns mit dem Beginn des Vaterunsers beschäftigen. Bei Lukas lesen wir diese Hintergrundinformation, und zwar ab Lukas 11, Vers 1, eigentlich nur die ersten eineinhalb Verse:

„Und es begab sich, dass er, Jesus, an einem Ort war und betete. Und als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrt.“

Er aber sprach zu ihnen: „Wenn ihr betet, dann sprecht: Vater.“ Und dann geht es weiter mit dem Text.

Bei Matthäus finden wir eine andere Begebenheit, in der Jesus zu dem Volk gesprochen hat und die Gebetspraxis der damaligen Zeit zum Thema gemacht hat. Dort heißt es, dass er sagt: „Wenn ihr betet, dann sprecht: Unser Vater.“

Wir haben verschiedene Überlieferungen vom Vaterunser. Wir dürfen davon ausgehen, dass Jesus es nicht nur einmal gelehrt hat. Wie es damals üblich war, gab es ja keinen Stenographen, der alles mitgeschrieben hat. Deshalb hat Jesus die Texte immer wieder wiederholt, damit die Jünger sich diese Texte, die ihm so wichtig waren, verinnerlichen konnten. So war es auch beim Vaterunser.

Wenn er am Anfang diese Anrede stellt: „Vater“, was hat diese Anrede „Vater“ aber jetzt mit Harry zu tun, wenn wir etwas machen sollen wie Harry? Dazu müssten Sie Harry kennenlernen. Deshalb erzähle ich Ihnen ein bisschen von ihm.

Zwei Dinge verbinden mich mit Harry: Er ist Bäcker, und ich bin auch gelernter Bäcker. Außerdem ist er Franke, und ich bin ebenfalls Franke.

Ich habe ihn vor gefühlt 150 Jahren kennengelernt, damals war ich noch jung. Wir sind zusammen unterwegs gewesen auf einer Wildnistour in Schweden und Norwegen. Das heißt, wir haben uns mit dem Bus absetzen lassen, ausgemacht, dass wir uns in zehn Tagen wieder mit dem Bus treffen. Dann sind wir mit Kanus und Zelt durch die Gegend gezogen. Das, was wir zum Essen dabei hatten, haben wir am Feuer gekocht. Holz war im Wald, Wasser war im See, Zelte hatten wir dabei, und es war so richtig schön Survival.

Es hat einen riesigen Spaß gemacht. Harry war an einer Tour dabei, und die Tour hatte es in sich.

Wir sind in die Kanus eingestiegen, und es begann zu regnen. Wir sind losgepaddelt, es hat geregnet. Wir sind angekommen, nach zwei, drei Stunden Paddeln, mehr wollten wir gar nicht. Es hat immer noch geregnet.

Dann musste man bei Regen im Wald einen geeigneten Platz finden. Der Wald war kein ordentlicher deutscher Wald, wo die Bäume schön in Reih und Glied stehen, sondern es war dort alles, wie man sich das vorstellt: Wildnis.

Bei diesem Regen und der Nässe mussten wir Zelte aufbauen. Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie viel Spaß das macht.

Allen war kalt. Es war zwar August, aber es war sehr, sehr kalt. Alle hatten Hunger, und dann musste man mit nassem Holz Feuer machen.

So ging das los: Die erste Nacht hat es schön geregnet, am zweiten Tag hat es weitergeregnet, am dritten Tag hat es immer noch pausenlos geregnet.

Den Leuten stand es bis Oberkante Unterlippe.

Die Herausforderung des Gebets in schwierigen Zeiten

Man merkt, das war Gereiztheit, und das nahm zu. Immer mehr Leute sagten: „Mensch, komm, brechen wir ab, fahren wir zurück. Der Kanuverleiher hat irgendwo so eine Hütte. Lieber dann neun Tage dort in der Hütte hausen als bei diesem schlechten Wetter draußen.“

Da haben wir gesagt: „Wisst ihr was? Wer Lust hat, wir treffen uns und beten miteinander.“ Einige der Jugendlichen stellten sich dazu. Wir haben gebetet. An keines der Gebete dieser Jugendlichen kann ich mich mehr erinnern, nur noch an Harry. Wir standen dort und beteten, und dann begann Harry zu beten. Seither weiß ich, was ein Amokbeter ist.

Harry stand dort und sagte zu Gott: „Was soll die Scheiße? Als ich mich angemeldet habe, habe ich mich auf eine richtig gute Zeit gefreut, und du versaust es mir, indem der Regen nicht aufhört. Jetzt wird es endlich voll, ich habe die Schnauze voll. Kannst du nicht endlich mal...“ Jetzt erspare ich Ihnen den Rest. Harry war so richtig aufgebracht, geladen wie eine Panzeraubitze.

Das ist das einzige Gebet, an das ich mich noch erinnere. Und das sind zwei Dinge: Zum einen denke ich, das war eines der ehrlichsten Gebete, die ich seit langem gehört habe. Eines der ehrlichsten Gebete.

Aber sofort macht sich dieser kleine Zeigefinger im Hintergrund bereit: „Darf man so beten? Ist das angemessen?“ Ich weiß nicht. Bei einer Gebetsversammlung war ich gerade am Anfang des Gottesdienstes dabei, da wurde würdevoller gebetet. Da hat keiner Amok gebetet oder sich so richtig vor Gott ausgekotzt. Entschuldigen Sie, darf man das?

Wenn ich in die Bibel hineinschaue und die Psalmen lese, sage ich: Nicht nur, dass man es darf, man soll es sogar. Schüttet euer Herz vor ihm aus! Genau das haben die Psalmen gemacht. Und wenn ich manchmal lese, was sie gebetet haben, tut das ja schon weh, oder? „Du möchtest sie vernichten mit allem, was sie haben“ und so weiter.

Ich kenne da gerade einen Jungscharler, der war mal so richtig geladen. Er sagte zu einem anderen: „Ich wünsche dir, dass dir alle Zähne ausfallen, bis auf einen, und der soll dir wehtun.“ Manchmal begegnet man dieser Haltung in den Psalmen.

Und dann kommt nicht von Gott die Zurechtweisung: „Du, so betet man nicht, jetzt reiß dich zusammen!“ Stattdessen begegnet Gott dem Beter in diesem Frust, in diesem geladenen Zustand und sagt: „Und jetzt nehme ich mich um dich an.“

Harry war derjenige, der sein Herz vor Gott ausgeschüttet hat, ganz ehrlich, so wie es halt manchmal in Franken üblich ist. Und was hat das jetzt mit dem Vaterunser zu tun? Genau an dieser Stelle beginnt diese Anrede Gottes mit „Vater“ – genau an dieser Stelle.

Die Bedeutung der Anrede "Vater" im Gebet

Die Frage, ob ich Gott als Vater kenne, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie ich bete und was ich bete.

Wir sollten nun noch einmal genau auf diese Begebenheit schauen: Die Jünger, die Schüler von Jesus, kommen zu ihm und sagen: „Jesus, lehre uns beten.“ Jesus antwortet darauf, dass sie Gott im Gebet mit „Vater“ ansprechen sollen.

Das ist uns heute so vertraut, dass den wenigsten bewusst ist, wie provokativ diese Aussage damals war. Jesus hat damit allen frommen Menschen kräftig ans Schienbein getreten und sie bis zum Äußersten provoziert. Denn zu jener Zeit, als Jesus diese Bitte hörte, war das Beten keineswegs unbekannt. Dreimal täglich wurde gebetet. Die Gesellschaft war geprägt von Menschen, die öffentlich beteten und damit zeigten, dass sie mit Gott sprechen.

Jesus selbst kritisierte dieses Verhalten sogar in der Bergpredigt. Er sagte, sie stünden an den Ecken und an den Straßen und beteten laut. Stellen Sie sich vor: Nach dem Gottesdienst steht jemand draußen und betet laut, und die Leute denken: „Boah, super!“ Dann gehen Sie zur U-Bahn, und dort beten zwei Menschen laut. Sie denken: „Als ich zum Gottesdienst ging, standen dort schon Leute, die beteten. Die beten immer noch – super!“ Und alle applaudieren dazu.

Damals war Gebet etwas Öffentliches, etwas Ständiges. Es war präsent im Alltag und etwas, womit auch die Jünger aufgewachsen sind. Petrus hat es in der Sonntagsschule gelernt, und Jakobus hat es von seiner Mutter erklärt bekommen. So war das regelmäßige Gebet gegenüber Gott eine Selbstverständlichkeit.

Die Frage, ob die Jünger nicht beten konnten, stand also nicht im Raum. Vielmehr beobachteten sie, dass Jesus anders betete als sie selbst und andere Menschen. Da war etwas Besonderes. Etwas, wonach sie sich sehnten. Es waren nicht nur Worte, keine bloße Gewohnheit oder Tradition. Wenn Jesus betete, geschah etwas, das den Alltag und das Leben berührte und prägte.

Und genau das wollten die Jünger. Hier reihe ich mich ein in ihren Kreis und sage: Wenn ich bete, möchte ich nicht nur Worte sagen. Ich will keine fromme Tradition einfach nur fortsetzen oder mitmachen, weil es üblich ist. Ich wünsche mir, dass sich etwas ereignet, dass der Himmel mein Leben berührt, dass ich von Jesus bewegt werde und dass diese Begegnung mit ihm, die im Gebet geschieht, sich in meinem Leben fortsetzt.

Diese Bitte: „Jesus, lehre uns beten.“

Die Bedeutung des Gottesnamens und die neue Nähe im Gebet

Und jetzt lehrt Jesus seine Jünger, und wir sollten noch einmal bewusst darauf achten.

Zu der Zeit, als Jesus den Jüngern gesprochen hat, wurde der Name Gottes, wie er sich offenbart hat, nicht mehr ausgesprochen. Mose hat Gott gefragt, als er am brennenden Dornbusch stand: "Wie ist dein Name?" Daraufhin antwortete Gott: "Ich werde sein, der ich sein werde" beziehungsweise "Ich bin, der ich bin."

Dieser Gottesname ist eigentlich sehr schwer zu übersetzen, aber ein genialer Name. Er wurde als Yahweh ausgedrückt, geschrieben als JHWH. Fachleute nennen das Tetragramm. Für die Juden war dieser Name absolut heilig. Gott hat seinen Namen geschützt, sogar unter Androhung von Sanktionen in den Geboten. Dort heißt es: "Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht unnütz gebrauchen oder missbrauchen, denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht."

Das war den Juden vor Augen und prägte die Heiligkeit des Namens Gottes. Der Name Gottes war etwas absolut Heiliges.

Dann kam eine Verschärfung: Bis zum babylonischen Exil wurde dieser Name immer wieder sehr ehrfürchtig ausgesprochen, wenn man Gott ansprach – als Yahweh. Nach dem babylonischen Exil, nach der Rückkehr, gab es eine große Bewegung, die sehr schnell dazu führte, dass dieser Name nicht mehr ausgesprochen wurde. Stattdessen sagte man Adonai oder andere Namen wie Haschem, was übersetzt einfach "der Name" bedeutet.

Immer wenn die Schriften gelesen wurden und dort das Tetragramm Yahweh stand, sprach man stattdessen Adonai oder Haschem aus. Diese Praxis entstand aus der Angst, den Namen falsch zu verwenden. Das prägte das Gebet.

Stellt euch ein Gespräch mit Gott vor, das immer von der Sorge geprägt ist: "Ich muss darauf achten, richtig mit ihm zu sprechen. Ich darf keine Fehler machen. Ich darf ihn nicht falsch ansprechen." Das Gebet war wie ein Bewerbungsgespräch, bei dem man weiß, es geht um alles oder nichts. Die kleinste falsche Äußerung konnte den Job kosten.

Für die Juden damals war das Gebet geprägt von dieser Angst und Sorge, Gott nicht falsch anzusprechen. Es gibt hervorragende Arbeiten, die nachweisen, dass der Name Yahweh zur Zeit von Jesus so gut wie gar nicht mehr ausgesprochen wurde – aus Angst.

Vor diesem Hintergrund kommen die Jünger zu Jesus und fragen: "Kannst du uns sagen, wie wir beten sollen?" Jesus antwortet: Wenn ihr mit Gott sprecht, dann sagt "Papa" zu ihm, "Väterchen", "Abba".

Das war das erste Wort, das ein Kleinkind lernt. Heute sagen die meisten Kinder meistens "Mama". Zumindest war es bei meinen so. Aber das erste Wort ist eben nicht "ehrwürdiger Vater". Kein Säugling beginnt zu weinen und sagt: "Ehrwürdiger Vater." Aber viele Kinder sagen "Papa".

Das drückt Vertrautheit pur aus. Da ist so wenig Ehrfurcht und so viel Zutrauen, so wenig Distanz und ganz viel Nähe.

In einer Zeit, in der das Gebet von Distanz zu Gott geprägt war, zeigt Jesus Gott so nah, dass er sagt: Wenn ihr mit Gott sprecht, dann sagt einfach "Papa" zu ihm.

Könnt ihr euch vorstellen, dass das provozierend war? Dass es den Leuten nicht einfach so über die Lippen ging? Das war fremd, das war etwas ganz Neues. Es ließ die Menschen hinhören.

Jesus zeigt hier seinen Jüngern: Wenn ihr betet, kommt es nicht zuerst darauf an, was ihr alles betet. Es kommt nicht zuerst darauf an, dass der richtige Inhalt fließt.

Vielmehr soll euch bewusst werden: Wenn ihr betet, sprecht ihr mit dem Vater im Himmel. Dann sprecht ihr mit dem, der wirklich für euch Vater ist. Mit Vertrauen, Vertrautheit und Nähe.

Dann sprecht ihr zu dem, vor dem ihr nicht zuerst in eurer Würde geprüft werdet, sondern als Kinder kommen dürft.

Deshalb lautet der erste Merksatz heute: Beim Beten kommt es nicht zuerst auf Form und Inhalt an, sondern auf die Gewissheit, dass ich mit dem Vater im Himmel spreche.

Persönliche Erfahrungen und die Bedeutung der Anrede im Alltag

Ich weiß nicht, wie ihr betet. Morgens ist mein Gebet meistens sehr gedämpft. Das Aufstehen fühlt sich für mich oft wie eine Totenauferweckung an. Manchmal ist es so, dass ich dann eher sage: „Na, bist du auch noch da, lieber Vater im Himmel? Ich weiß noch nicht, ob ich lebe und wie es mir geht. Das kann ich dir später sagen, wenn ich meinen Kaffee hatte und so.“

Aber wisst ihr, dann fangen wir doch sofort an zu beten. Und ich sage: Wenn ihr anfangt zu beten, macht euch erst einmal bewusst, mit wem ihr sprecht. Dieser Vater ist da, so nah und voller Zutrauen. Dann könnt ihr mit ihm reden. Denn es ist doch entscheidend, mit wem ich spreche, für das, was ich danach sage, oder?

In den letzten Tagen habe ich immer wieder mit Regierungsstellen telefoniert und gesprochen. Auch mit meiner Frau habe ich gesprochen – das passiert immer wieder mal. Mit den Regierungsstellen habe ich anders gesprochen als mit meiner Frau. Wenn die Sekretärin vom Büro dran war, habe ich nicht gesagt: „Hallo Schatz“. Und wenn ich beim Büro des Oberbürgermeisters war, sagt man auch nicht: „Na, Hase“. Da ist man sehr förmlich, sagt „Frau Doktor“ oder „Frau so und so“.

Mit wem ich rede, entscheidet darüber, wie ich rede. Jesus sagt: Wenn ihr redet, redet ihr mit dem Vater im Himmel. Wie zeigt sich das in deinem Gebet? Wie zeigt sich dieses Zutrauen, diese Vertrautheit in deinem Gebet?

Schwierigkeiten mit dem Vaterbegriff und die Korrektur durch Jesus

Und als ob Jesus wüsste, dass es mit dem Vater gar nicht so einfach ist, beschreibt er an vielen Stellen, wie dieser Vater ist. Das ist unheimlich wichtig.

Für mich war eine der eindrücklichen Erfahrungen, die auch tiefgingen, folgende: Eine Frau kam und sagte, Gott als Vater sei für sie die grausamste Vorstellung, die sie sich machen könne. Das sei das, was sie am meisten abhält. Sie erklärte, dass sie von ihrem Vater gnadenlos missbraucht wurde. Er war ein Tyrann. Und dann zu sagen, Gott sei Vater – verstehen Sie, was da aufbricht?

Jetzt bin ich selbst Vater. Und zu sagen: "Ihr lieben Kinder, schließt von mir auf den Vater im Himmel", würde ich nie machen. Da würde ich sagen: Er ist zum Glück anders, er ist ganz anders.

Vielleicht ist es für uns wichtig, immer wieder genau hinzuhören: Wie hat Jesus denn den Vater beschrieben? Damit können wir auch Vorurteile korrigieren. Wenn Jesus sagt, man soll zu Gott Vater sagen, dann meint er nicht, dass man von dem Vater ausgehen soll, den man selbst erlebt hat. Nicht von dem Vater, den ihr erlebt habt, sollt ihr auf Gott schließen. Stattdessen sagt er: Entrümpelt das Ganze und stellt euch Gott so vor, wie er wirklich ist.

Christian Stadt hat vorhin dieses Gleichnis gelesen, diese Geschichte, die Jesus erzählt hat. Viele nennen es das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Ich glaube, Karl Barth hat Recht, wenn er sagt, es ist das Gleichnis vom Vater.

Im Mittelpunkt steht eigentlich nicht der Sohn. Im Mittelpunkt steht der Vater. Und das Entscheidende, was da getan wird, wird nicht durch den Sohn getan, sondern durch den Vater. Die prägende Gestalt dieses Gleichnisses sind nicht die Söhne, sondern der Vater.

Das Gleichnis als Bild für das Gebet

Und jetzt, um es zu sagen: Beten ist, wie in diesem Gleichnis beschrieben, für mich wie das Nachhausekommen des Sohnes zum Vater. Es bedeutet, dem Vater zu begegnen, wie dem, der als der Verlorene bezeichnet wird.

Beten ist aber auch ein distanziertes Sich-Auseinandersetzen mit dem Vater, wie der zweite Sohn. Dieser wird ja oft schnell übersehen. Er sagt: „Vater, für mich warst du immer nur ein erbarmungslos harter Mensch. Ich habe dir gedient, ich habe gearbeitet, ich habe mich abgemüht, und du hast nichts von dem gehalten, was du eigentlich sagst.“ Auch das ist Beten: vor dem Vater zu stehen und den Frust und die ganze Last auszuschütten.

Deshalb macht es Sinn, wie Harry es tut. Harry hat nicht gefragt, wie er ehrfürchtig vor Gott stehen kann, sondern er hat gesagt: „Hier, ich möchte einfach mein Herz vor ihm ausschütten, und ich weiß, Gott hält es aus.“ Deswegen kann er ihm alles sagen. Ich kann wie der verlorene Sohn nach Hause kommen, aber ich kann auch mit Vorbehalten und Zweifeln gegenüber dem Vater beten, wie der hinterfragende Sohn. Diesen Sohn kann ich mit mir vergleichen und sagen: „Das bin ich auch manchmal.“ Der Vater hält es aus.

Nun zum Gleichnis: Wenn Gott der Vater ist, der in diesem Gleichnis beschrieben wird, was bedeutet das dann für mein Gebet? Wäre es anmaßend, schnell durch das Gebet zu gehen und dann alles erledigt zu haben? Vielleicht öffnen wir ein paar Türen, die Gott Lust machen und sagen: „Ja, dann lese ich das Gleichnis doch nochmals.“

Fragen wir bewusst nach: Was bedeutet es, wenn Gott dieser im Gleichnis beschriebene Vater ist? Jesus sagt zu diesem Vater: „Kommt mit eurem Gebet!“ Was heißt das für mein Gebet? Jesus zeigt mir, dass der Vater immer mit offenen Armen wartet, wenn ich bete.

Das ist so schön beschrieben: Der Vater hält schon Ausschau nach mir und läuft mir entgegen. Dieses Entgegenlaufen ist nicht einfach, es zeigt, wo es enden wird. Die offenen Arme sagen: Wenn ich zu Jesus komme in meinem Gebet, dann gibt es nichts, was Jesus von mir abhalten könnte. Nichts.

Wenn ich zu ihm komme, muss ich ihn nicht erst für mich interessieren und sagen: „Mir geht es so schlecht, vielleicht kannst du mich auch mal beachten.“ Nein, er hält Ausschau nach mir und wartet mit offenen Armen darauf, dass ich ihn endlich anspreche, damit er mir begegnen kann.

Wieder: Das ist der Vater. Wenn der Vater der ist, der in dem Gleichnis beschrieben ist, dann ist es völlig egal, wie ich komme und was ich mitbringe. Es spielt keine Rolle, wie ich komme und was ich mitbringe.

Die bedingungslose Annahme des Vaters

Arno Backhaus sagt oft an der Stelle: Haben Sie schon mal ein Schwein geküsst? Ich komme von einem Bauernhof, ich weiß, wie es im Schweinestall riecht. Ja, ich habe zwei Brüder. Manchmal waren wir der Terror für die ganze Nachbarschaft. Wir haben manchmal Verstecken gespielt – am Bauernhof genial. Ich weiß nicht, ein geniales Versteck war der Schweinestall.

Der Schweinestall hatte nur ein Problem: Wenn man sich danach versteckt hat, wird man mit der Nase gesucht. Es gibt kaum penetranteren Gestank als Schwein. Und jetzt kommt dieser Sohn von den Schweinen, und der Vater umarmt ihn und sagt: Kannst du dich erst mal waschen? Also das Deo hat versagt. Aber er schließt ihn in die Arme und sagt: Es ist egal, ob du nach Schwein stinkst und welche Schweinereien du mitbringst.

Genau das hat bei mir Platz. Das ist es, was mich einlädt – zum Beten oder eben nicht zur hundertfünfzigsten Wiederholung der Standardbitte, sondern zu sagen: Jesus, du weißt genau, wie ich komme. Du kennst die Sehnsüchte in meinem Herzen. Danke, dass sie vor dir Platz haben, auch wenn sie eigentlich ganz ungewöhnlich sind. Und Jesus, du weißt, was mich geprägt hat, was ich mitbringe, was ich getan habe und was ich nicht getan habe. Danke, dass ich nichts schönreden muss, sondern dass das wirklich vor dir Platz haben darf.

Danke, dass selbst das, wo ich falle, dich nicht davon abhalten kann, mich in deiner Nähe zu haben. Versteht ihr, das ist der Vater, den Jesus hier malt. Er sagt: Dieser Vater fragt nicht, wie du hierher gekommen bist und was du jetzt endlich mitbringst, sondern er fragt: Wie kommst du und was brauchst du? Und dann sagt Jesus: Beten heißt, von diesem Vater umarmt zu werden.

Umarmt zu werden heißt vielleicht gar nicht in erster Linie dieses sentimentale Gefühl: Ja, dann nehme ich Gott in den Arm, dann krault er mir den Rücken, verpasst mir meine Steicheleinheiten und ach, ist das schön. Vielleicht sagen jetzt manche Frauen: So redet doch wieder nur ein Mann. Wisst ihr, als der Vater den Sohn in die Arme nimmt, sagt der Vater: Und jetzt umschließe ich alles, was du bist und was du mitbringst – eine ganze Geschichte.

Beten heißt: Ich werde mit allem, was ich bin, von Gottes Gegenwart umschlossen – mit allem von Gottes Gegenwart umschlossen. Und diese Gegenwart Gottes hat immer eine Auswirkung. Dann darf ich alles in dieser Gegenwart Gottes wissen. Er nimmt Einfluss darauf, um es sich bewusst zu machen. Das, was ich vor Gott ausgesprochen habe oder was ich gar nicht aussprechen brauche, erkennt er sowieso. Das ist jetzt von Gottes Gegenwart umschlossen. Das hat Folgen.

Und Jesus sagt: Beten heißt, dass du immer den Dienst des Vaters an dir erfährst – immer den Dienst des Vaters an dir. Der Sohn sagt: Vater, ich habe gesündigt, ich bin nicht mehr wert, mach mich zum Tagelöhner. Dieser Tagelöhner war der tiefste Stand. Damals gab es Sklaven, die waren viel besser als Tagelöhner. Sklaven waren Eigentum des Herrn. Mit Eigentum ist man vorsichtig umgegangen.

Es gibt Schriften, die sagen: Wenn du eine gefährliche Arbeit hast, bei der das Leben des Arbeiters in Gefahr ist, dann ist es besser, einen Tagelöhner einzusetzen, denn der schädigt wenigstens nicht dein Eigentum, wenn er ums Leben kommt. Der Sohn kommt nach Hause und sagt ganz unten: Ich bin nichts mehr wert. Und der Vater sagt: Egal, was du bittest und was du willst – ich tue nicht, was du willst, sondern ich tue, was das Beste für dich ist. Ich gebe mein Werk in dein Leben hinein, und du wirst meinen Dienst erfahren.

Diesen Dienst erfährt auch der andere Sohn, der voller Vorbehalte, Zweifel und Anklage gegenüber dem Vater steht. Der Vater sagt: Ich lasse deine Anklage zu, die halte ich aus, und ich ringe um dich. Ich mache mich mit dir auf den Weg. Beten heißt, dass Jesus seinen Dienst an meinem Leben tut. Von daher wird es kein Gebet geben, das wirkungslos ist – kein Gebet, sondern es stellt mich in die Gegenwart des Vaters, der mit offenen Armen wartet.

Bei ihm hat alles Raum, was ich bringe. Er schließt alles in seine Gegenwart ein, und er beginnt dort, mir mit seinem Dienst zu begegnen. Ihr sagt: Das ist der Vater, mit dem ihr redet. Deshalb der zweite Merksatz: Beim Beten kommt es nur darauf an, wer der Vater im Himmel für mich ist. Wer der Vater im Himmel für mich ist.

Gemeinschaftliches Beten und die Einladung zum Vertrauen

Wisst ihr, was ich glaube? Dass der Begriff „Vater“ noch viel, viel mehr bedeutet. Jesus hat gesagt: „Wenn ihr betet, betet Vater unser.“ Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass sich mir im Zusammensein mit anderen Christen, im gemeinsamen Glauben, Beten und Reden immer mehr erschließt, was „Vater“ eigentlich bedeutet. Durch die Gemeinschaft zeigt sich mir der Vater im Himmel immer wieder neu.

Vielleicht deshalb sagt Jesus: „Vater unser.“ Geht gemeinsam zu dem Vater, damit ihr ihm begegnen, ihn kennen und Vertrauen zu ihm aufbauen könnt. Jesus hat seinen Jüngern auf einzigartige Weise diesen Vaterbegriff für das Beten vor Augen gemalt. Ich bin ihm unendlich dankbar für diese Erinnerung: Bevor es um die Inhalte geht, sagt er, soll man sich bewusst machen, mit wem man spricht.

Auch mit ihm dürfen wir jetzt sprechen, und das wollen wir tun – mit dem Vater reden. Vater im Himmel, ich danke dir, dass wir mit dir sprechen dürfen – vertrauensvoll und nicht distanziert. Ich danke dir, dass wir vor dir sein dürfen, ganz ehrlich, ohne etwas beschönigen oder etwas vorspielen zu müssen, um deine Aufmerksamkeit und Zuwendung zu gewinnen.

Ich denke, dass wir einfach kommen dürfen und dass du schon lange darauf wartest, uns zu begegnen. So stehen wir vor dir, der du für uns ganz persönlich Vater bist. Du lädst uns ein, jetzt in deiner Gegenwart zu sein – mit dem, was wir sind, mit unserer Geschichte, unseren Sehnsüchten und Erfahrungen, mit dem, worauf wir stolz sind, mit unseren Fragen und Zweifeln.

Danke, dass all das in deiner Gegenwart sein darf. Danke, dass du das einschließt, dass du jetzt gegenwärtig bist und uns nicht allein lässt, sondern dich um uns und das, was wir mitbringen, kümmerst. Du bist am Handeln, tust dein Werk in uns, mit uns und für uns.

Wir hoffen darauf, Jesus, dass sich das immer wieder ganz konkret und erfahrbar ereignet. Wir hoffen, dass unser Gebet diese Begegnung mit dir immer wieder wird, eine Begegnung, in der wir ankommen und erleben können, wie du dein Werk tust.

Danke, dass du mit uns bist. Danke, dass du dort, wo wir sind, schon lange gegenwärtig bist. Und danke, dass du Vater bist.

Wenn wir in den Alltag hinausgehen, beten wir, dass du dieser Vater für uns bleibst. Dass du mit deiner Fürsorge über unserem Leben stehst und dich uns zuwendest. Wir beten, dass du uns segnest und beschützt.

Herr, lass deine Gnade über unserem Leben aufleuchten. Wende dich uns zu und zeige, dass du es gnädig mit uns meinst. Regiere in uns und über uns mit deinem Frieden, den du als Vater im Himmel für uns bereit hast. Amen.

Abschluss und Sendungswort

Und jetzt heißt es: Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen. Das ist nicht nur der Rausschmeißer, sondern wie ein Sendungswort. Man sagt damit, dass wir uns noch einmal bewusst machen können: Wenn wir gehen, dann gehen wir unter dem Ja des Vaters im Himmel. Geh unter der Gnade, geh mit Gottes Segen.

Steh dazu mal auf – Gutz!