Überlegungen zur Wahl von Führungspersonen
Ich weiß nicht, manchmal hat man ja die Illusion, dass man sich seine Führung, seine Leitung irgendwie aussuchen kann. In demokratischen Staaten kann man immer alles Mögliche wählen. Manche Wahlen verstehe ich nicht mal.
Zum Beispiel bei der Krankenkasse bekommen wir irgendwelche Wahlunterlagen zugeschickt. Ich weiß gar nicht mehr, worum es da genau geht. Dann wählen wir unsere Regierung. Komischerweise sind wir hinterher dann nie zufrieden mit dem, was wir gewählt haben. Ich kenne zumindest nicht viele Leute, die damit zufrieden sind.
Ich weiß nicht, was dabei herauskommen würde, wenn wir unsere Firmenchefs selbst wählen würden. Ob es für die Firmen tatsächlich gut wäre, was dabei herauskommt, kann ich nicht sagen. Und natürlich können wir auch nicht frei die Leitungen der Gemeinde wählen. Trotzdem ist es ja gut, wenn man sich diesen Gedanken ab und zu mal durch den Kopf gehen lässt.
Ich meine, wir wollen uns heute damit beschäftigen, welche Kriterien Gott anlegt an Menschen, die seine Gemeinde ein Stück weit leiten. Manchmal sollte man sich vielleicht kurz überlegen: Was würde ich eigentlich für Kriterien anlegen? Was wäre mir wichtig, wenn Menschen Verantwortung in der Gemeinde übernehmen, zu der ich gehöre? Menschen, die dadurch ein Stück weit für mich Verantwortung tragen und deren Verantwortung und Autorität ich auch anerkennen sollte.
Ich weiß, heute ist es oft so, dass man, wenn man mit einer Gemeindeleitung nicht zufrieden ist, einfach eine andere Gemeinde sucht. Aber das war in früheren Zeiten eigentlich nicht so. Da war die Auswahl auch nicht so groß. Du gehörst einfach dazu und musst dann damit leben, was passiert.
Umso mehr steht daher die Frage im Raum: Was wären eigentlich für uns wichtige Kriterien für diejenigen, die verantwortlich sind und immer wieder Entscheidungen in der Gemeinde treffen, in der ich bin?
Leitungsmodell im Neuen Testament und die Rolle der Ältesten
Vor ein paar Wochen haben wir schon einmal kurz über dieses Thema gesprochen. Dabei ging es darum, dass Gott im Neuen Testament eine bestimmte Form der Gemeindeleitung bevorzugt.
Für die meisten evangelikalen Christen wäre es wahrscheinlich überraschend, dass Gott im Neuen Testament nicht das Gemeindemodell favorisiert, bei dem eine Gemeinde durch einen Pastor oder eine einzelne Person geistlich geleitet wird. Stattdessen werden im Neuen Testament Gemeinden tatsächlich durch eine Gruppe von Männern geleitet. Die Zahl dieser Männer ist dabei nicht festgelegt.
Diese Gruppe von Männern erhält im Neuen Testament verschiedene synonyme Titel. Häufig werden sie als Älteste bezeichnet. Dieser Begriff drückt eine Art „relative Reife“ aus. Der Älteste ist in einer Gruppe derjenige, der am reifsten ist – dabei muss das nicht unbedingt an biologischem Alter gemessen werden, sondern eher an der Persönlichkeit.
Es ist interessant, dass das Wort, das im Neuen Testament für Älteste verwendet wird, eng mit dem Wort für Botschafter oder Gesandte verwandt ist. Auch dort war es üblich, dass reife, erfahrene Männer – man könnte sie heute „elder statesmen“ nennen, wie etwa Barack Obama als früherer Präsident der Vereinigten Staaten – als Gesandte zu einer anderen Nation oder Macht geschickt wurden.
Dieses Prinzip ist also ähnlich: Erfahrene, relativ reife Personen übernehmen Verantwortung, sei es für eine Gesandtschaft oder eben für eine Gemeindegruppe.
Eng damit verbunden ist im Neuen Testament der Begriff „Aufseher“. Diese sind diejenigen, die den Überblick behalten und Aufsicht führen. Sehr häufig wird auch das Wort „Hirten“ verwendet. Dieses Bild der Hirten wird in verschiedenen Zusammenhängen im Neuen Testament gebraucht, unter anderem auch für die Gemeindeleitung. Die Leiter der Gemeinde sind demnach Hirten.
Die drei Hauptaufgaben der Hirten in der Gemeinde
Und wir haben das beim letzten Mal kurz angeschaut: Wenn es um Hirten geht, die automatisch herausgefordert sind, einen Überblick über die Herde zu behalten, dann geht es immer um drei Aspekte.
Erstens geht es um Führung. Das heißt, wir müssen den Überblick behalten: Wo läuft gerade etwas in die falsche Richtung? Welche Ziele haben wir als Gemeinde eigentlich? Sind wir noch auf dem richtigen Weg? Oder müssen wir die Ziele als unrealistisch abhaken und einen neuen Kurs einschlagen? Es geht also um Führung, spürbare Führung, ohne dass diese immer gleich in Zwang ausarten muss.
Der zweite Aspekt von Hirten ist immer Nahrung. Das heißt, was brauchen die Geschwister gerade? Brauchen sie eher Trost oder eher eine Herausforderung? Auch darüber gilt es, den Überblick zu behalten.
Der dritte Aspekt von Hirten ist Schutz. Das heißt, in der Gemeinde stellt sich immer die Frage: Welche unguten Tendenzen sickern gerade in die Gemeinde ein? Vielleicht theologisch ungute, aber auch solche, die durch Gruppenbildungen entstehen. Wenn sich innerhalb der Gemeinde zwei oder mehr Gruppen bilden, die eher gegeneinander als miteinander agieren, muss man auch davor schützen.
Das sind die drei Hauptaufgaben von Hirten.
Voraussetzungen für Gemeindeleitung: Aufgaben und Charakter
Und wenn wir heute über Qualifikationen sprechen, also über die Voraussetzungen, die Gott für Männer festgelegt hat, die seine Gemeinde führen sollen, dann ergeben sich manche dieser Kriterien ganz automatisch aus den Aufgaben.
Ich meine, wenn du eine größere Gemeinde hast und dort jemanden, der eigentlich sehr nett und auch irgendwie kompetent ist, aber immer nur drei Personen aus seinem direkten Umfeld im Blick hat und alle anderen gedanklich außen vor lässt, dann ist er aufgrund seiner Fähigkeiten nicht qualifiziert. Denn durch die Aufgabe, einen Überblick über die gesamte Gruppe zu behalten, wird er dieser Anforderung nicht gerecht. Vielleicht erfüllt er alle anderen Kriterien, die genannt werden, aber er kann die Aufgabe nicht erfüllen.
Das heißt, manche Kriterien ergeben sich automatisch aus den Aufgaben. Gott hat sich jedoch entschlossen, noch zusätzliche Kriterien festzulegen, die mehr mit dem Charakter und dem Verhalten der einzelnen Personen zu tun haben. Diese Kriterien wollen wir heute im Großen und Ganzen durchgehen, soweit wir kommen.
Es ist wichtig zu verstehen, dass es bei Gott nicht um eine bestimmte Ausbildung geht, wenn es um Gemeindeleitung geht. Vielmehr geht es um die Qualität der Menschen, denen er seine Leute, seine Herde, die Menschen seiner Gemeinde anvertraut.
Leitungsauftrag ohne Zwang und Eigennutz
Bevor wir zu den entscheidenden Abschnitten im Neuen Testament kommen, noch einmal kurz zurück zu 1. Petrus Kapitel 5. Das haben wir beim letzten Mal ebenfalls betrachtet. Dort sagt Petrus, dass er als ein Mitältester – in dem Fall ein Ältester dieser gesamten christlichen Bewegung – die Ältesten der Gemeinde ermahnt. Er fordert sie auf, die Herde nicht aus Zwang zu führen, also nicht, weil sie von irgendjemandem unter Druck gesetzt werden.
Wörtlich sagt er: „Nicht aus Zwang“. Das bedeutet, sie sollen nicht verantwortlich sein, weil zum Beispiel die Ehefrau das erwartet oder weil die Gruppe Druck ausübt – auch wenn sozialer und psychischer Druck natürlich oft vorhanden ist. Petrus betont, dass die Motivation nicht aufgrund von äußerem Druck erfolgen soll.
Auch nicht wegen persönlicher Vorteile, was in der Kirchengeschichte immer wieder Thema war und worauf wir noch zurückkommen werden. Es soll nicht sein, weil man Geld dafür bekommt oder weil mit der Position ein besonderes Ansehen verbunden ist. Das soll nicht die Motivation sein, sagt Petrus.
Ebenso wenig sollen Älteste führen, um andere zu beherrschen. Das ist eine weitere Motivation, die oft vorkommt: Der Wunsch, etwas zu sagen zu haben, dass andere auf einen hören, dass die eigenen Ideen sich durchsetzen und nicht immer nur andere das Sagen haben. Petrus macht klar, dass all diese Beweggründe keine Motivation sein sollen. Weder äußerer Druck, noch persönliche Vorteile, noch der Wunsch, der Bestimmer zu sein.
Ich weiß nicht, ob das bei Kindern heute noch gebraucht wird, aber als unsere Kinder klein waren und in der Schule gespielt wurde, hieß es manchmal: „Heute bin ich der Bestimmer.“ So etwas gibt es auch in Gemeinden. Manche Gemeinden spalten sich oder es entstehen Abspaltungen. Wenn man das genau betrachtet, sind es immer theologische Gründe, warum Gemeinden sich trennen. Man kann das lehrmäßig oft nicht mehr vertreten, was dort läuft.
Manchmal ist es aber auch so, dass die Tendenz besteht: Egal wie klein die Gruppe ist, Hauptsache, ich bin der größte Frosch. Man möchte bestimmen, egal wie klein die Abspaltung ist, die sich um einen gruppiert.
Petrus sagt aber, wie Älteste führen sollen: Durch ihr Vorbild, indem sie Vorbilder für die Herde sind. Das ist ein ganz wesentliches Kriterium, auch wenn es viele Aspekte umfasst.
Vorbildfunktion als zentrales Kriterium
Und das ist die Frage: Wenn wir uns innerlich mit dieser Frage beschäftigen und darüber nachdenken, wen wir uns eigentlich als Leiter in unserer Gemeinde wünschen, dann kommen wir früher oder später zu einem wichtigen Kriterium. Es sind Menschen, die mir selbst ein Vorbild sind, die meinen Kindern ein Vorbild sind und die allgemein für die Jugend in der Gemeinde Vorbilder sind.
Ich möchte, dass Menschen vorne stehen, die in den wichtigen Punkten ein Vorbild sind. Von diesem Kriterium ausgehend, bevor wir uns die Listen aus dem Neuen Testament anschauen, wird von Ältesten genau das erwartet, was von jedem Christen, von jedem echten Nachfolger erwartet wird.
Jesus hat gesagt, dass wir seine Jünger sein sollen. Er hat betont, dass wahre Jünger ihn viel mehr lieben als alles andere auf dieser Erde. Auch in Bezug auf die Jüngerschaft ist das erste Kriterium für Leiter, dass sie in diesen Punkten ein Vorbild sind. Das ist einfach nur logisch.
Paulus erwähnt das im 1. Timotheus 3, was wir gleich lesen werden, und im Titus 1 wird es nicht mehr ausdrücklich genannt, weil es als selbstverständlich gilt: Die, die führen, also die Ältesten, sind die Reifsten – auch was Nachfolge und Jüngerschaft betrifft.
Im Neuen Testament sind Jünger immer Schüler, oder wir würden heute sagen Auszubildende bei Jesus. Das ist eigentlich ein Synonym für Jünger. Und diejenigen, die führen, sind diejenigen, die sozusagen im fortgeschrittensten Lehrjahr sind.
In dieser Ausbildung gibt es bis zu drei Lehrjahre. Dabei kommt es nicht unbedingt darauf an, wie lange man schon in dieser Lehre ist. Jemand hat einmal gesagt: „Ich habe ungefähr zwölf Lehrjahre hinter mir.“ Die Antwort darauf war: „Ja, aber eigentlich hast du zwölfmal die erste Klasse wiederholt.“
Es kommt also nicht nur auf die Dauer der Ausbildung an, sondern darauf, ob man wirklich weitergekommen ist. Das sind die ganz grundlegenden Kriterien.
Einführung in die neutestamentlichen Leiterschaftskriterien
Nach all diesen Vorbemerkungen schauen wir uns nun die Stellen im Neuen Testament an, in denen es ausdrücklich um Kriterien für Leiterschaft geht.
Ich hatte es bereits kurz erwähnt: Es handelt sich hauptsächlich um Abschnitte aus zwei Briefen. Diese beiden Briefe wurden quasi gleichzeitig geschrieben, beziehungsweise in einem sehr engen Zeitraum.
Der eine Brief wurde von Paulus an einen Mitarbeiter geschrieben, der jungen, frisch entstandenen Gemeinden auf Kreta helfen sollte, in die Selbständigkeit zu kommen. Der andere Brief richtet sich an einen anderen Mitarbeiter, nämlich Timotheus. Dieser war gerade in Ephesus tätig, wo er einer etablierten Gemeinde helfen sollte, wieder selbständig zu werden. Denn offenbar war dort die Leitung zwischenzeitlich zusammengebrochen.
Es handelt sich also um zwei völlig verschiedene Gemeindesituationen: Zum einen neu aus der Mission entstandene Gemeinden, zum anderen eine Gemeinde, die schon relativ lange existierte. Doch beide hatten das gleiche Problem – sie brauchten eine neue Leitung.
In den Briefen, im Titusbrief und im ersten Timotheusbrief, schreibt Paulus einige Kriterien für Leiterschaft nieder. Ich werde mit euch die Stelle aus 1. Timotheus 3 ein Stück weit durchgehen und dabei ab und zu auf Parallelen im Titusbrief, Kapitel 1, verweisen.
Wir fangen jetzt an. Ich lese nicht in der Reihenfolge, da Paulus seine Gedanken etwas schachtelt. Es sind insgesamt nur sieben Verse, 1. Timotheus 3,1-7.
Ich glaube, ihr werdet den Überblick trotzdem behalten, auch wenn ich in diesem kurzen Abschnitt hin und her springe.
Bereitschaft zur Leitungsverantwortung und erste Anforderungen
Es beginnt damit, dass Paulus schreibt: Das Wort ist gewiss, also sicher und wahr. Er sagt: Wenn jemand nach einem Aufseherdienst trachtet, so begehrt er ein schönes Werk.
Beim Lesen des gesamten Briefes bekommt man den Eindruck, dass es dort Leute gibt, die gerne führen wollen. Wie ich vorhin kurz erwähnt habe, haben sie gesagt: Ja, es ist doch etwas Schönes, wenn man sich engagiert. Es ist doch eigentlich etwas Gutes, bereit zu sein, Verantwortung zu übernehmen. Paulus zitiert das hier und sagt: Ja, Aufseherdienst ist ein schönes Werk.
Die Aufzählung, die dann folgt, ist jedoch sein „Aber“. Es gibt Kriterien. Es geht nicht nur darum, jemanden zu finden, der bereit ist, diesen Job zu machen – so wie bei der Elternbeiratswahl in der Schule. Dort ist man dankbar, wenn sich überhaupt jemand zur Verfügung stellt, und wählt diese Person dann auf jeden Fall.
Paulus sagt aber: Ganz so ist es nicht in der Gemeinde. Gott hat Kriterien. Es ist nicht das wichtigste und einzige Kriterium, einfach jemanden zu finden, der bereit ist, den Job zu übernehmen. Ich glaube, das ist der Sinn des einleitenden Satzes.
Dann sagt Paulus das Erste: Der Aufseher muss untadelig sein. Über diesen Begriff wurde viel diskutiert. Natürlich heißt das nicht, dass jemand perfekt sein muss. Eigentlich bedeutet es, glaube ich, etwas ganz anderes.
Wir lesen mal den letzten Vers in dem Abschnitt dazu. Ich habe schon gesagt, es ist ein bisschen geschachtelt. Da steht nämlich: Er muss aber auch ein gutes Zeugnis haben von denen, die draußen sind, damit er nicht in Schmach und Fallstrick des Teufels fällt.
Ich glaube, das ist auch der Sinn von dem Wort „untadelig“ am Anfang. Wir vergessen oft, dass damals – und eigentlich auch heute – Älteste, also Männer, die bereit sind und eingesetzt werden, um die Gemeinde zu führen, nicht nur eine Funktion nach innen haben.
Wir Christen fühlen uns oft als eine kleine, unbedeutende Gruppe in der Gesellschaft, die kaum wahrgenommen wird – vor allem nicht in Bezug auf ihre inneren Strukturen. Aber in der Sicht von Paulus und, ich glaube, auch in der Sicht Gottes ist das anders.
Für Gott ist die Gemeinde eine sehr wichtige Gruppe auf dieser Erde, an einem Ort, in einer Stadt. Für Gott ist es wichtig, dass der Älteste nicht nur innerhalb der Gemeinschaft anerkannt ist, irgendwie akzeptiert oder mit seinen Schwächen toleriert wird.
Wir müssen uns bewusst bleiben, dass ein Ältester oder jeder der Ältesten die Gemeinde und damit auch Gott nach außen repräsentiert.
Paulus schreibt in Titus 1, dass Titus in jeder Stadt Älteste einsetzen soll. Er sagt nicht „in der Gemeinde jeder Stadt“, sondern „in jeder Stadt“. Seine Sicht ist, dass es Repräsentanten Gottes sind – auch für die Stadt, in der diese Gemeinde ist.
Es ist wichtig, dass wir das mitdenken, weil manche Entscheidungen auch davon abhängen, wie die Gesellschaft um uns herum gerade tickt.
Ja, wir wissen, dass das Wort Gottes absolut und gesellschaftsunabhängig ist. Das ist in vielen Punkten auch wahr. Aber hier geht es darum, dass jemand auch einen guten Ruf nach außen hat.
In diesen Kriterien spielt der gute Ruf eine große Rolle. Nur Männer sollen die Gemeinde führen, die einen guten Ruf haben. Natürlich in erster Linie innerhalb der Gemeinde, aber auch nach außen.
Wir können wegen unserer theologischen Ansichten immer einen schlechten Ruf haben. Aber ich meine jetzt rein menschlich.
Woran macht Paulus das hier fest? Der Aufseher soll untadelig sein. In Vers 7 wird deutlich, dass das stark damit zusammenhängt, dass er einen guten Ruf hat und keine breite Angriffsfläche für Kritik bietet.
Das Hauptkriterium, das Paulus unter dem Wort „untadelig“ einordnet, steht hier in 1. Timotheus: Er soll „Mann einer Frau“ sein.
Das heißt, das Erste, was für einen Ältesten oder Aufseher wichtig ist, ist, dass er moralisch einwandfrei ist und ein entsprechendes Zeugnis hat.
Dieser Ausdruck „Mann einer Frau“ bedeutet, meiner Meinung nach, nicht, dass er verheiratet sein muss. Ihr könnt darüber diskutieren, andere Meinungen haben oder andere Ausleger lesen. Ich sage euch nur meine Meinung.
Ich glaube, es geht hier nicht darum, verheiratet zu sein, sondern darum, moralisch einwandfrei zu leben. Ein Amerikaner würde sagen: „a one woman man“ – also jemand, der seiner Frau treu ist.
Wenn er keine Frau hat, dann vielleicht seiner zukünftigen Frau schon treu ist. Es geht nicht darum, ob man gerade verheiratet ist, sondern darum, ob man treu und moralisch einwandfrei lebt.
Ergänzungen aus dem Titusbrief: Ruf der Familie
In Titus werfen wir einen kurzen Blick in den Titusbrief, genauer gesagt in Titus 1. Paulus ergänzt hier etwas, das für die Gesellschaft auf Kreta besonders wichtig gewesen sein könnte.
Er beginnt im Titus Kapitel 1, Vers 6, mit den Worten: „Wenn jemand untadelig ist.“ Dann sagt er wieder: „der Mann einer Frau“ und fügt hinzu – hier gibt es ein kleines Übersetzungsproblem. Meine Übersetzung lautet: „der gläubige Kinder hat, die nicht eines ausschweifenden Lebens beschuldigt werden oder zügellos sind.“
Das Wort „gläubig“ im Neuen Testament ist schwer eindeutig zu übersetzen. Wörtlich bedeutet es eigentlich „treu“. Es hat nicht immer und unbedingt etwas damit zu tun, dass jemand wirklich gläubig im Sinne von wiedergeboren ist. Ich glaube, hier bedeutet es, dass die Kinder treu sind – treu den Prinzipien ihrer Eltern, der DNA ihrer Familie und ihrer Erziehung.
Deshalb ergänzt Paulus: Die Kinder sollen nicht ausschweifend sein, sie sollen nicht eines zügellosen Lebens beschuldigt werden. Solange sie zu Hause wohnen, sollen sie sich auch zu Hause eingliedern. Der Ruf von Ältesten und damit der Ruf der Gemeinde darf nicht dadurch beschädigt werden, dass die Kinder von Ältesten durch die Straßen laufen, Schaufenster mit Steinen einwerfen oder ständig im Supermarkt herumrennen.
Worum geht es also hier? Es geht nicht darum, dass die Kinder von Ältesten unbedingt schon bekehrt sein müssen. Es geht darum, dass sie nicht durch Randale oder gesetzloses Verhalten auffallen. Sie sollen die Autorität ihres Vaters positiv annehmen und danach leben. Man soll sehen, dass die Erziehung funktioniert.
Das ist der Punkt: Unter „untadelig“ steht, dass der Ruf des Ältesten und der Gemeinde nicht durch die Kinder ruiniert wird.
Jetzt kommt ein Punkt, den ich angesprochen habe: Manche Dinge sind gesellschaftsabhängig. In unserer Gesellschaft, zumindest meistens – ich weiß nicht, wie das in Rheinbrücken ist, das ist ein Dorf – aber in einem großstädtischen Bereich wie Frankfurt wird das Verhalten der Kinder, die noch zu Hause wohnen, in der Nachbarschaft wahrgenommen. Das kann den Ruf der Familie beeinflussen.
In einer Großstadt wird aber kaum jemand für die Kinder verantwortlich gemacht, die schon lange ausgezogen sind und ein selbständiges Leben führen. Das fällt meistens nicht mehr auf den Ruf der Familie oder der Eltern zurück, weil wir in einer sehr individualistischen Gesellschaft leben.
So wird es hier auch gesehen. Es gibt aber Gesellschaften, in denen das ganz anders ist. Selbst wenn du 70 Jahre alt bist und dein Kind 52 und macht Mist, fällt das immer noch auf das Familienoberhaupt zurück. Das kann den Ruf der Familie ruinieren.
Man könnte sagen: „Was kann ich dafür, wenn mein Sohn oder meine Tochter Mist macht, obwohl ich seit vielen Jahren keinen Einfluss mehr auf ihn habe?“ Das mag unfair erscheinen, wenn man deswegen vom Ältestendienst ausgeschlossen wird. Aber hier geht es nicht um fair oder unfair, sondern um den Ruf der Gemeinde.
Wenn du in einer Gesellschaft lebst, die so denkt und den Ruf der Gemeinde dadurch geschädigt sieht, sagt Gott: Dann sollte so jemand nicht Ältester einer Gemeinde sein.
Wenn du in einer individualistischen Gesellschaft lebst, in der ausgezogene Kinder mit dem Ruf der Familie nichts mehr zu tun haben, ist das wahrscheinlich kein Problem.
Hier geht es einfach um den Ruf des Ältesten und den Ruf der Gemeinde insgesamt. Das ist ein Schwerpunkt. „Untadelig“ hat meiner Meinung nach hauptsächlich mit dem Ruf zu tun.
Familienverantwortung als Leitungsmerkmal
Okay, schauen wir ein Stück weiter. Überspringen wir ein paar Kriterien und lesen noch einmal kurz. Wir haben das letzte Mal schon kurz 1. Timotheus 3,4 angesprochen. Dort heißt es, der Älteste sollte jemand sein, der dem eigenen Haus wohlvorsteht, sehr seine Kinder in Unterwürfigkeit hält. Das Wort „Unterwürfigkeit“ klingt in meiner Übersetzung ziemlich negativ. Ich glaube aber nicht, dass es so gemeint ist. Es soll ausdrücken, dass er mit allem würdigen Ernst vorgeht.
Wenn aber jemand dem eigenen Haus nicht vorstehen kann, wie wird er für die Gemeinde Gottes sorgen?
In diesem Brief hat Paulus das mit den Kindern ein Stück weit aus dem Ruf herausgenommen. Das ist die Betonung in Titus, dieser Ruf nach außen. Hier geht es darum, dass Männer, die schon eine Familie haben, ein ganz tolles Kriterium sind, um zu beurteilen, ob sie geeignet sind.
Klar, Männer, die verheiratet sind, und das ist ein kinderloses Paar oder die noch nicht verheiratet sind, da hast du dieses Kriterium einfach nicht. Das ist dann schade, aber ich glaube kein Ausschlusskriterium.
Aber wenn Männer da sind, die schon Kinder haben, dann kann man sehr gut sehen, wie die Familie funktioniert, sagt Paulus. Und wenn die Familie nicht funktioniert – das heißt, wenn ihre Autorität von den Kindern boykottiert wird oder irgendwie nicht positiv wahrgenommen wird, warum auch immer, weil sie zu lasch sind oder weil sie zu sehr ihre Familie terrorisieren, zu autoritär sind und die Kinder irgendwann ausbrechen – dann merkt man einfach, die Familie funktioniert nicht.
Dann sagt Paulus: Ja, meine Güte, wie kommst du auf die Idee, so jemanden zum Ältesten der Gemeinde zu machen? Wie soll der für noch eine viel größere Gruppe sinnvoll Verantwortung tragen, wenn er es für seine eigene Familie nicht schafft?
Das ist hier eigentlich ein einfaches Kriterium. Er sagt: Okay, wenn jemand Familie hat, schau dir an, wie die Familie funktioniert. Dann hast du schon irgendwie ein Stück weit ein gewisses Kriterium, ob das auch in der größeren Gruppe funktionieren könnte.
Wahrscheinlich würdest du dieses Kriterium nicht anlegen, wenn es um die Frage geht, ob jemand in meiner Firma eine Abteilung leiten kann. Da gibt es ganz andere Punkte, die auch noch eine Rolle spielen. Dort geht es darum, wie ich etwas managen und organisieren kann.
Aber in der Gemeinde geht es nicht in erster Linie um Management, dass sich diese Gruppe managen kann. Es geht ganz viel um Menschen, es geht viel um Empathie. Es hat viel mehr zu tun, ein Vater in der Familie zu sein. Es gibt viel mehr Parallelen dazu, als irgendwo in der Industrie eine Abteilung zu leiten.
Um in der Industrie eine Abteilung zu leiten, muss ich manchmal entscheiden, wen ich entlasse, weil er unfähig ist. Ich kann in der Gemeinde niemanden entlassen, weil er unfähig ist. Ihr müsst mit jedem zurechtkommen.
Genauso wenig kannst du deine Kinder wegen Unfähigkeit entlassen. Also hat es viel mehr mit Familie zu tun als mit Firma. Paulus sagt es an dieser Stelle sehr deutlich.
Wie gesagt, das habe ich letztes Mal schon kurz angesprochen, und das möchte ich jetzt nicht weiter vertiefen.
Vorsicht bei Neulingen in der Leitung
Vers 6: „Nicht ein Neuling“ bedeutet hier eigentlich nicht jemand, der frisch gepflanzt ist. Es ist ein ganz interessantes Wort: nicht ein Neuling, damit er nicht aufgebläht ins Gericht des Teufels verfällt.
Paulus sagt, es geht nicht darum, dass man die Leitung der Gemeinde anstrebt, weil Ehre damit verbunden ist. Aber eine gewisse Ehre ist damit hinterher doch verbunden. Die Leute schauen ein Stück weit zu dir auf, und du musst darauf achten, dass Menschen in der Leitung sind, die gut damit umgehen können.
Er sagt, die Gefahr besteht besonders für Menschen, die selbst noch nicht lange gläubig sind und noch relativ frisch gepflanzt sind. Sie können oft nicht gut mit dieser Situation umgehen. Vielleicht sind sie total begabt oder sympathisch, absolut fähig für eine Führungsposition. Aber wenn sie noch relativ neu im Glauben sind, ist die Gefahr größer, dass sie abheben, weil alle sie fragen und alle auf sie schauen, wenn Entscheidungen zu treffen sind.
Paulus warnt: Du kannst solchen Leuten wirklich schaden, wenn du sie in so eine Position bringst. Vielleicht ist es ein Kriterium nicht nur, wenn jemand neu im Glauben ist, sondern auch, wenn du das Gefühl hast, er ist anfällig dafür, stolz auf so eine Position zu sein oder es zu genießen, der Bestimmer zu sein.
Pass auf damit! Der Teufel, sagt Paulus hier, hat sich aufgebläht, wollte etwas Besonderes sein, und Gott hat ihn gerichtet. Wenn du Menschen, die anfällig für dieses Verlangen nach Ehre sind, in eine Leitungsposition bringst, kannst du eventuell dafür verantwortlich sein, dass Gott sie irgendwann richten muss, weil sie arrogant oder selbstherrlich werden.
Du musst früh prüfen, ob Menschen dazu eine Veranlagung haben. Prinzipiell ist es schwierig, wenn jemand noch nicht lange gläubig ist. Wahrscheinlich hat jemand, der länger gläubig ist, eine gewisse Demut gelernt, weil er schon ein paar Mal auf die Nase gefallen ist. Deshalb ist es prinzipiell schwierig, aber wie gesagt: Es ist wahrscheinlich auch schwierig, wenn Menschen dazu neigen, eine solche Position zu sehr zu genießen.
Positive Charaktereigenschaften für Älteste
Gut, gehen wir jetzt zurück zu der eigentlichen Aufzählung in 1. Timotheus 3. Diese habe ich ausgelassen. Sie steht hauptsächlich in Vers 2 und 3, also am Ende von Vers 2 und dann in Vers 3.
Paulus beginnt mit drei Begriffen, die eigentlich sehr eng zusammenhängen. Im Titusbrief fasst er diese sogar mit einem einzigen Begriff zusammen. Hier beginnt er mit einer Positivliste. In Titus ist es umgekehrt: Dort beginnt er mit den Ausschlusskriterien. Hier jedoch startet er mit einer Positivliste.
Was müssen Älteste mitbringen? Das Erste sind drei Begriffe: nüchtern, besonnen und das dritte Wort, das ein bisschen schwierig zu übersetzen ist. Ich glaube, die beste Übersetzung ist einfach „angemessen“.
Wie beurteilen sie Dinge? Dinge, die sie hören, Dinge, die man an sie heranträgt, Dinge, auf die sie reagieren müssen, Dinge, bei denen sie vielleicht sogar Entscheidungen treffen müssen? Wie reagieren sie darauf? Es geht um diesen ganzen Komplex: „Ich beobachte etwas, ich höre etwas, ich muss mir eine Meinung dazu bilden, ich muss darauf reagieren, ich muss vielleicht eine Entscheidung treffen.“ Wie funktioniert das bei ihnen?
Paulus sagt, das Wichtige ist – und damit fängt er hier eigentlich an: Wir lesen interne Kriterien. Das Wichtige ist, dass sie ausgewogen sind, dass es Menschen sind, die nüchtern reagieren können. Das heißt ausgewogen, nicht nur emotional, sondern nüchtern auch in einem Gespräch.
Sie sollen besonnen sein, also nachdenken. Besonnen heißt: Ich denke nach, bevor ich reagiere. Manche Menschen reagieren erst und denken dann nach. Besonnen ist, erst nachzudenken und dann zu reagieren.
Und sie sollen angemessen handeln, also so, wie es für jemanden, der Verantwortung trägt, angemessen ist. Nicht kindisch, nicht unangemessen.
Paulus sagt also, das ist das Erste: Sie müssen mit Situationen ausgewogen umgehen können. Das ist ganz wichtig.
Zu emotionale Typen haben wahrscheinlich in der Leitung nichts zu suchen, auch wenn sie für eine Gemeinde extrem wertvoll sein können. Sie bringen sehr viel Leben rein und oft auch viele spontane, positive Emotionen. Aber in der Gemeindeleitung kann das sehr gefährlich sein.
Nüchternes, besonnenes und angemessenes Verhalten – so stellt Paulus hier seine positiven Kriterien an den Anfang.
Gastfreundschaft und Offenheit
Das nächste Wort ist sehr interessant und steht ebenfalls im Titusbrief: gastfrei. Dieses Wort ist im Originaltext besonders spannend, denn gastfreundlich oder gastfrei bedeutet im Griechischen wortwörtlich „Leute, die Fremde lieben“ oder „das Fremde lieben“.
Das ist interessant, weil wir oft denken, gastfreundlich zu sein bedeutet, den Gast, den alle haben wollten, heute zu sich nach Hause zu holen und ihm dann etwas zu bieten. Aber so ist es im Neuen Testament nicht unbedingt gemeint. Im Neuen Testament ist man normalerweise gastfreundlich, weil man Menschen, die gerade Hilfe brauchen, ein Essen oder ein Bett bietet – nicht nur den besonders interessanten Gästen. Gastfreundlichkeit ist also eine alltägliche Haltung.
Eigentlich wird von allen Christen erwartet, gastfreundlich zu sein, und auch Älteste sollen hier ein Vorbild sein. Es ist bemerkenswert, dass im Titusbrief dieses Wort verwendet wird. Man könnte sagen, dass es heute oft nur noch um Gastfreundschaft geht und kaum noch an Fremde gedacht wird, wenn man dieses Wort liest. Paulus spielt aber manchmal mit der Bedeutung des Wortes, vielleicht auch weil Griechisch nicht seine einzige Muttersprache war.
Im Titusbrief verbindet Paulus das Wort „gastfreundlich“ oder „das Fremde lieben“ mit dem Begriff „das Gute lieben“. Das heißt, Älteste sollen sowohl Fremde als auch das Gute lieben. Paulus nimmt das Wort dadurch ein wenig auseinander. Das ist schon interessant und kann zum Nachdenken anregen.
Das ist wahrscheinlich heute nicht das Hauptthema, aber ich glaube, dass es gerade für Gemeinden in etwas städtischeren oder vielfältigeren Gegenden wichtig ist, nicht zu sehr und zu absolut in der eigenen Kultur verwurzelt zu sein. Das, was meine Mutter nicht gekocht hat, kann nicht schmecken – ich meine das nicht nur im Hinblick auf Essen, sondern übertragen. Das, was nicht typisch deutsch ist, so wie ich aufgewachsen bin, kann nicht gut sein und wird oft schlechter bewertet.
Die Gemeinden damals waren extrem multikulturell. Es war eine Voraussetzung, nicht nur Fremde aufzunehmen, sondern auch offen zu sein für das Fremde und das Gute in anderen Kulturen zu sehen. Das war notwendig, um in so einer Gemeinde Führung übernehmen zu können. Man musste lernen, das Gute in anderen Kulturen zu erkennen und zu sehen, wo es vielleicht sogar besser ist als das, was man selbst als selbstverständlich ansieht.
Je größer eine Gemeinde wird, umso mehr verschiedene Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen kommen zusammen – nicht nur hinsichtlich ihrer Nationalität, sondern auch in Bezug auf Gesellschaftsschichten oder andere Unterschiede. Man braucht eine gewisse Offenheit für Menschen, die anders sind, als man selbst aufgewachsen ist oder als die eigene Familie tickt.
Im ersten Timotheusbrief liegt der Schwerpunkt jedoch etwas anders. Ausnahmsweise, und das ist wirklich selten bei allen Stellen zur Gastfreundschaft im Neuen Testament, geht es hier darum, dass der Älteste auch ein Stück weit transparent sein soll. Es ist normal, dass Menschen aus der Gemeinde bei ihm zu Hause sind. Sie sollen sehen, wie er mit seiner Frau umgeht, wie er mit seinen Kindern umgeht. Dadurch bekommt der Älteste einen persönlichen Zugang zu den Menschen, lernt ihre persönliche Sicht und ihre Probleme kennen.
Älteste sollen also, soweit es ihre Möglichkeiten erlauben, ein offenes Haus haben. Spannend ist, dass Paulus im gleichen Zusammenhang als nächstes das Wort „lehrfähig“ erwähnt. In Titus 1,9 sagt er, dass Älteste Fans guter Lehre sein sollen, also der Bibel. Sie sollen in der Lage sein, bei Problemen ihre Bibel aufzuschlagen und relevante Stellen zu zitieren.
Hier wird das aber durch die Kombination mit dem Wort „gastfreundlich“ plötzlich sehr privat. Der Älteste hat Leute bei sich zu Hause und kann ihnen etwas aus der Bibel sagen. Oft denken wir, Älteste müssten gut predigen können. Ja, sie sollen mit der Bibel umgehen können. Aber es geht nicht darum, dass sie eine Dreiviertelstunde einen super rhetorischen Vortrag halten müssen – das steht nirgendwo.
Es geht vielmehr darum, dass Älteste etwas aus der Bibel zu sagen haben. Vieles davon findet wahrscheinlich im privaten Rahmen statt. Darum geht es hier.
Ausschlusskriterien für Gemeindeleitung
Paulus wechselt an dieser Stelle die Perspektive und nennt einige Ausschlusskriterien, die wir uns kurz anschauen sollten. Im Wesentlichen lassen sich diese in zwei Bereiche unterteilen.
Der erste Bereich betrifft den Schutz Gottes für seine Gemeinde. Gott möchte seine Leute vor Streit und Missbrauch bewahren. Er will sie vor Tyrannen schützen, vor Menschen, die ihre Macht letztlich missbrauchen.
Der zweite Bereich, den wir schon kurz angesprochen haben, betrifft die Motivation der Leiter. Gott möchte absolut ausschließen, dass Menschen diese Aufgabe übernehmen, wenn sie sich einen materiellen Vorteil davon versprechen. Leiter in Gemeinden dürfen nicht geldliebend sein, sagt Paulus. Mein Titus formuliert das etwas schärfer und negativer: Sie sollen keinen schändlichen Gewinn anstreben. Hier wird es allgemeiner ausgedrückt: Sie sollen nicht geldliebend sein.
Offensichtlich hat Paulus zu seiner Zeit sehr negative Erfahrungen mit Materialismus gemacht. Ein Beispiel dafür ist ein Vers, den er später im gleichen Brief schreibt, über Geldliebe: „Denn die Geldliebe ist eine Wurzel alles Bösen, nach der einige gestrebt haben, vom Glauben abgeirrt sind und sich selbst mit vielen Schmerzen durchbohrt haben“ (1. Timotheus 6,10).
Paulus hat gesehen, wohin Geldliebe Christen im Laufe der Zeit führen kann: weg vom Glauben hin zu einem schmerzhaften Leben. Deshalb sagt er, dass es absolut ein No-Go ist für jemanden, der ein Vorbild in der Gemeinde sein soll, wenn er hauptsächlich für materiellen Gewinn lebt. Das ist nicht akzeptabel.
Gerade wenn man bedenkt – und das werden wir vielleicht beim nächsten Mal betrachten –, dass es im Neuen Testament normal ist, dass manche Älteste finanziell auch ein Stück weit von der Gemeinde unterstützt werden, betont Paulus, dass dies niemals ein Grund sein darf, sich einen finanziellen Vorteil zu erhoffen. Da dieses Thema hier aber offenbar kein Problem mehr ist, überspringen wir es und wenden uns dem anderen Bereich zu.
Paulus schreibt hier, und es scheint uns heute selbstverständlich, was Älteste nicht sein dürfen: Sie dürfen kein Alkoholproblem haben, sie dürfen keine Schläger sein und sie dürfen nicht streitsüchtig sein. Das sind die drei Begriffe, die er verwendet.
Alkoholprobleme waren damals wahrscheinlich noch üblicher als heute. Doch worauf es letztlich hinausläuft, ist, dass Älteste keine Schläger sein dürfen. Die meisten von uns leben in einer relativ bürgerlichen Kultur, in der Konflikte nicht mit Fäusten gelöst werden. Ich habe zwar eine Gemeinde kennengelernt, in der das passiert ist, aber in unserer Kultur ist das nicht die Norm.
Doch man kann nicht nur mit Fäusten zuschlagen, sondern auch mit Worten. Man kann rüde, sarkastisch, süffisant oder ironisch sein. Mit Worten kann man großen Schaden anrichten und sich durchsetzen. Ich glaube, Paulus meint genau das auch in diesem Zusammenhang.
Älteste dürfen keine Schläger sein, weder körperlich noch verbal. Sie dürfen die Geschwister oder ihre Mitältesten nicht verbal missbrauchen oder misshandeln. Das ist ein wichtiges Kriterium.
Als letztes nennt Paulus die Streitsucht. Warum führt er diese Dinge so explizit auf? Das Extrem eines Alkoholproblems verstärkt die anderen beiden Kriterien. Es geht um den Umgang miteinander, auch verbal, in manchen Kulturen vielleicht auch körperlich. Es geht darum, wie sehr jemand darauf besteht, sich und seine Meinung durchzusetzen, bis hin zur Streitsucht.
Ich glaube, es geht hier um zwei Ebenen: Erstens, wie funktioniert ein Ältestenteam? Paulus hat am Anfang des Briefes kurz erwähnt, dass Gott möchte, dass seine Gemeinde normalerweise durch ein Team geleitet wird. Wie teamfähig jemand ist, ist ein sehr wichtiges Kriterium. Die Mitältesten sollen davor geschützt sein, ständig von ihm verletzt zu werden, wenn es mal nicht nach seinem Kopf geht.
In Titus schreibt Paulus, Älteste sollen nicht eigenwillig sein. Wahrscheinlich gibt es im Griechischen kein besseres Wort, aber „nicht eigenwillig“ bedeutet im Neudeutschen so viel wie teamfähig. Teamfähigkeit ist ein ganz wesentliches Kriterium für Ältestenschaft.
Die zweite Ebene betrifft den Umgang der Leiter mit den einzelnen Gläubigen, mit den Geschwistern in der Gemeinde. Missbrauchen sie ihre Macht? Sind sie Strategen, für die die Geschwister nur Schachfiguren sind, die sie durch die Gegend schieben, um ihre persönlichen strategischen Gemeindeziele zu erreichen? Diese Aspekte sind hier ebenfalls enthalten.
Gott legt großen Wert darauf, seine Leute davor zu bewahren. Natürlich muss manchmal auch Kritik geübt werden, auch in persönlichen Gesprächen.
Die Frage ist: Wie geschieht das? Passiert es in einem guten, nüchternen, sachlichen Gespräch, bei dem der andere merkt, dass er verstanden wird, auch wenn sein Verhalten vielleicht nicht akzeptiert wird? Oder geschieht es mit Streit und Herabwürdigung?
Gott legt großen Wert darauf, wie Kritik geübt wird. Das ist ein ganz wichtiges Kriterium für Älteste: Sie sollen in der Lage sein, Kritik auf eine gute Weise zu üben.
Milde als herausragende Eigenschaft
Und deshalb möchte ich ganz zum Schluss auf ein Wort in diesem Text aufmerksam machen, das Paulus besonders hervorhebt. Es ist das einzige positive Wort in seinen Negativkriterien. Er sagt nicht „streitsüchtig“ oder „kein Schläger“, sondern „milde“.
Ich finde das bemerkenswert, weil Paulus dieses Wort als Gegensatz betont und dadurch besonders hervorhebt: „milde“. Gott ist es manchmal, wie gesagt, nicht so wichtig, dass Leiter die besten Organisatoren sind oder die beeindruckendsten Persönlichkeiten, die vorne stehen. Vielmehr geht es ihm darum, dass die Leiter seiner Gemeinde milde sind.
Das bedeutet, dass sie in milder Weise mit Menschen reden, mit ihnen umgehen, sie führen und vielleicht auch kritisieren können. Ich glaube, das ist ein Wort, das man sich merken sollte – besonders, wenn man darüber nachdenkt, wie jemand geeignet ist, in dieser Gemeinde künftig Ältester zu sein.
Zusammenfassung der Anforderungen an Gemeindeleitung
Das ist ein Punkt, den Paulus hier sehr bewusst hervorhebt. Wenn es um die Gemeinde geht, dreht sich im Neuen Testament vieles um Führung und Verantwortung. Viele Details in der Gemeinde bleiben offen, doch zu Führung und Verantwortung gibt es zahlreiche Aussagen.
Wir brauchen Männer, die besonnen sind, transparent handeln und ein offenes Haus haben. Sie sollten nah bei den Geschwistern sein und trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – auch lehrmäßig klare Linien ziehen können.
Persönliche materielle Interessen dürfen dabei keine Rolle spielen. Ebenso sollten sie kein Problem mit Selbstüberschätzung oder Unbeherrschtheit haben. Letztlich sollen sie für die Gemeinde wie gute Familienväter sein: auf der einen Seite konsequent, auf der anderen Seite fürsorglich und, wie gesagt, nicht ohne Milde.
