Eröffnung und Gebet um geistliche Ausrichtung
Ich möchte darum bitten, dass wir uns zum Gebiet erheben.
Ja, das Leben, das sich lohnt, Herr, ist das Leben mit Christus – einzig und allein mit ihm, für ihn, durch ihn und in ihm. Es ist auf Christus aufgebaut, Vater.
Wir wollen umgeben sein von dem Christus, der uns bewohnt. Wir möchten das Leben so leben, dass andere es als attraktiv ansehen, dir nachzufolgen und mit uns den Weg zu gehen, der zu dir führt.
Wir bitten dich um Hilfe für diese Stunde, für diese Minuten. Schenke uns die Fülle deines Heiligen Geistes zum Reden und zum Hören, so wie es dir gefällt.
Reinige uns von allem, was uns ablenken oder davon trennen würde, deine Stimme zu vernehmen und deinen Willen in die Tat umzusetzen.
In Jesu Namen, Amen. Amen.
Wir nehmen wieder Platz.
Die Gemeinde als Träger der Herrlichkeit Gottes
Wir haben uns bisher auf eine klare Vorstellung konzentriert: darauf, was Gott mit der Gemeinde vorhat. Die Gemeinde soll Träger der Herrlichkeit Gottes in der Welt sein. Dabei haben wir eine gute Darstellung der Gesamtheit dieser Bilder im Neuen Testament betrachtet.
Im Mittelpunkt steht vor allem die Erkenntnis, dass die Gemeinde Jesu Ehe und Familie bedeutet. Es geht um verbindliche Beziehungen zu Mitgeschwistern, die der Herr uns zur Seite stellt – nicht solche, die wir aus Vorliebe auswählen. Wir sind bereit, uns aneinander zu reiben und schleifen zu lassen, einander zu glauben und zu guten Werken anzustupsen.
Ziel ist, dass Christus Raum und Platz in uns gewinnt. In den nächsten Stunden wollen wir mehr darüber erfahren, wie die Gemeinde hinausgehen soll in die Welt und was ihre Aufgaben dabei sind.
Das größte Gebot als Grundlage des Gemeindelebens
Hier möchte ich mit Matthäus 22 beginnen. Matthäus 22 ist zu einer meiner Lieblingsbibelstellen geworden. Mein Leben wurde durch diese Bibelstelle sehr vereinfacht, und dafür bin ich sehr dankbar. Das Leben ist kompliziert genug, nicht wahr? Wir sollten immer wieder versuchen, das Komplizierte zu vereinfachen, wenn es möglich ist.
In Matthäus 22,34 heißt es: Als die Pharisäer hörten, dass Jesus den Sadduzäern den Mund gestopft hatte, versammelten sie sich. Einer von ihnen, ein Gesetzesgelehrter, stellte ihm eine Frage, um ihn zu prüfen. Er sprach: „Meister, welches ist das größte Gebot im Gesetz?“
Jesus antwortete ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das erste und größte Gebot. Das zweite ist ihm gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen zwei Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten.“
Die Tragweite der Liebe zu Gott und zum Nächsten
Nach der Gemeindespaltung 1980, da habe ich 1982, als wir im Reisedienst in den Staaten waren, aus der Ferne gebetet: Herr, was braucht die Gemeinde, wenn wir zurückkommen?
Der Herr legte mir eine Predigtserie aufs Herz mit dem Thema „Durch die Liebe“. In dieser Predigtserie wusste ich, dass auf jeden Fall diese Bibelstelle zur Sprache kommen würde. Ich las die Bibelstelle in meiner Vorbereitung und sah, dass die Gliederung leicht und hermeneutisch ist: Liebe Gott und liebe Menschen. Das ist ziemlich einfach als Gliederung.
Aber dann las ich den letzten Vers noch einmal, und in mir stieg Ärger auf: An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten. Beim Nachdenken über die Tragweite dieser Aussage kam dieser Ärger in mir hoch.
Warum? Ich war mit acht Jahren zum Glauben gekommen, 1951, und sah zum ersten Mal mit Scheinwerferlicht die Wichtigkeit dieser zwei Gebote. Warum hat kein Bibellehrer mir vorher je diese Tragweite, diese Wichtigkeit, diese Größe vor Augen gestellt? Wenn ich das Alte Testament nicht besäße und wissen wollte, was Gott den Menschen auferlegt hat, dann ist die größte Verantwortung der Menschen hier in zwei Geboten zusammengefasst: Liebe Gott und liebe Menschen.
Als ich mir diesen letzten Satz überlegte, war der Ärger, der hochkam, in erster Linie die Frage: Warum hat mich keine Lehre je darauf aufmerksam gemacht? Manchmal denke ich so: Wenn ich der Teufel wäre, würde ich versuchen, die Mitte aus der Mitte zu rücken, damit sie nicht mehr die Mitte ist.
Das ist die Mitte, es ist die Achse vom Rad, es ist der Kern des Lebens, es ist das Seil, von dem alles abhängt, es ist die Mitte des christlichen Wandels. Es ist die Mitte vom Leben.
Was die menschliche Verantwortung anbelangt, wollte Gott natürlich weit mehr als nur menschliche Verantwortung im Alten Testament weitergeben. Er lehrte viel von sich selbst. Aber wenn es darauf ankommt, was Menschen auf dieser Welt zu tun haben, dann ist es: Gott lieben und Menschen lieben.
Das ist nicht einfach. Es ist super einfach zu begreifen, nicht wahr, mit dem Kopf, intellektuell leicht zu verstehen. Aber wir brauchen ein Leben lang Gottes Kraft, um das auszuleben. Das kann niemand aus eigener Kraft. Wir können Gott nicht lieben, und wir können erst recht Menschen nicht lieben, ohne Gottes äußere Hilfe zu dieser Aufgabe.
Die zentrale Bedeutung der Liebe in der Lehre und im Dienst
Nun, bei der Vorbereitung und Darstellung dieser Predigt war vieles zunächst ganz neu für mich. Am Anfang war ich sehr unsicher und machte Fehler. Bis dahin hatte mich niemand darauf aufmerksam gemacht, und vielleicht lag ich ja völlig falsch.
Paulus sagt an Timotheus: Das Ziel unserer Lehre ist Liebe aus reinem Herzen. Diese Aussage ist in der gesamten Schrift das Zentralste. Doch bis dahin hatte ich das übersehen.
Daraufhin wurde meine Dienstphilosophie – wenn man das so nennen kann – klar definiert. Meine Dienstaufgabe sieht folgendermaßen aus: Liebe Gott und liebe Menschen. Und hilf Menschen, Gott zu lieben und Menschen zu lieben.
Das ist ziemlich einfach, nicht wahr? Hilf Menschen, Gott zu lieben und Menschen zu lieben. Dabei kann man aufatmen und sich entspannen. Es ist gar nicht so kompliziert, wie wir das oft meinen.
Am Ende meines guten, wunderbaren Theologiestudiums lagen alle Teile meiner biblischen Theologie wie die Einzelteile eines hochwertigen Mercedes-Motors auf der Werkbank. Sie waren unzusammengestellt und frei zugänglich. Als ich dieses Gebot, dieses zweiteilige Gebot, sah, fügte sich plötzlich alles zusammen. Ah, jetzt begreife ich das.
Die Liebe Gottes als treibende Kraft im Leben
Nun, im ersten Gebot – wir kommen gleich zum zweiten – möchte ich kurz etwas zum ersten Gebot sagen. Ich stehe im ersten Unterrichtsjahr vor einer Gruppe von 45 Studenten. Es ist klar, dass meine Liebe zu Gott eine Erwiderung seiner Liebe zu mir ist, so wie es die Bibel lehrt. Es ist keine selbst aufgepumpte Liebe. Ich habe nichts in mir, um ihm etwas zu geben. Er gibt mir seine Liebe, und ich erwidere diese Liebe.
Nun stellte ich den Studenten folgende Frage: Welche Eigenschaften hat die Liebe Gottes? Ich stelle die Frage hier nicht, um sie zu beantworten, sondern um zu erklären, was damals geschah. Es war sehr deprimierend: 45 Studenten, und wie sind die Eigenschaften der Liebe Gottes für uns? Ja, Gott ist vergebend, er ist treu – danach folgte eine lange Pause. Dann wurden noch ein paar andere Eigenschaften genannt, insgesamt fünf, höchstens sechs.
Bewusst wartete ich auf eine lange, peinliche Stille, eine Pause. Ich wartete, sagte innerlich: „Okay, keine mehr?“ Dann wartete ich weiter, bis ich schließlich sagte: „Liebe Brüder und Schwestern, wir haben hier ein Problem.“ Paulus sagt in 2. Korinther 5, dass wir gedrängt werden von der Liebe Christi. Der treibende Motor des christlichen Lebens ist die Liebe Christi.
Das ist die Liebe Christi, nicht meine Liebe zu ihm, sondern seine Liebe zu mir. Der treibende Motor des christlichen Lebens ist die Tatsache, dass wir von Gott geliebt werden. Das wissen wir alle. Ich habe eine leidenschaftliche Liebe in meinem Herzen für Deutschland. Das sage ich oft. Es gab Tage, an denen bin ich mehrmals zu Tränen gekommen wegen der Liebe, die Gott in mein Herz gelegt hat für Deutschland.
Aber meine Liebe für Deutschland hält mich nicht hier und treibt mich nicht an. Es ist nicht meine Liebe für Deutschland, die mich im Dienst hält. Meine Liebe für Deutschland ist eher gering. Es ist seine Liebe für uns, die uns Treue gibt – für die Ehe, für den Dienst, für die Gemeinde, für die Sache Jesu.
Nur das Wissen, dass ich von Gott geliebt werde – in endloser Treue –, lässt mich weiterleben in meinem Dienst. Die Liebe Christi drängt uns. Eine andere Übersetzung dieser Stelle in 2. Korinther 5 lautet: Die Liebe Christi nimmt uns gefangen. Da dachte ich: Welch ein Gefängnis, nicht wahr? Im Gefängnis der Liebe Christi!
Hier und dort, um uns und über uns, sind wir umgeben, total gefangen genommen von der Liebe Christi. Wir werden getrieben und weitergebracht – täglich, neu, stündlich – von der Tatsache, dass wir von Christus geliebt werden.
Dankbarkeit als Ausdruck der Liebe Gottes
In dem Gebetskurs, den ich unterrichte, wachsen die Aufgaben mit der Zeit. Die Studenten fragen sich oft, wann es endlich aufhört. Doch von Semester zu Semester bekomme ich neue Ideen, wie ich ihnen helfen kann, in Christus zu wachsen.
Vor ein paar Jahren habe ich ihnen die Aufgabe gegeben, eine Dankesliste zu schreiben. Im Semester sollen sie täglich drei Danksagungen notieren – also Dinge, für die sie dankbar sind. Das sind etwa 25 pro Woche und ungefähr 350 für das gesamte Semester. Dabei dürfen keine Wiederholungen vorkommen. Das bedeutet, man darf zum Beispiel nur einmal für schönes Wetter oder gutes Essen danken.
Die ersten 50 oder 75 Danksagungen kommen meist ziemlich flott. Danach trifft man oft auf eine Flaute und fragt sich: Wofür kann ich jetzt noch danken? Am Ende des Semesters ist es immer eine Freude, die Ergebnisse zu sehen. Ich möchte jedoch nicht die Listen lesen, da sie viele persönliche Angelegenheiten enthalten. Stattdessen sollen die Studenten eine doppelseitig beschriebene Seite abgeben, auf der sie festhalten, was sie dabei gelernt haben.
Fast jeder Student sagt am Ende des Semesters: „Ich habe gemerkt, dass ich zu viel meckere. Ich habe erkannt, wie undankbar ich bin.“ Etwa bei der 50. oder 75. Danksagung wird vielen bewusst, wie viele Dinge sie übersehen haben, die sie für selbstverständlich halten.
Das erste Mal in meinem Leben habe ich für geteerte Straßen gedankt, nachdem ich aus Afrika zurückkam. Dort sind die Schlaglöcher so groß, dass ein ganzes Rad darin verschwindet. Man braucht zwanzig Minuten für zwei Kilometer, weil die Straßen so schlecht sind. Zuhause in Deutschland fuhr ich dann auf der Autobahn, die sich anfühlte wie Sand. Natürlich gibt es überall Baustellen, aber hier nehmen wir das in Kauf und meckern nicht.
In diesem Herbstsemester gab ich den Studenten eine besondere Aufgabe: Es ist eine Studentenkrankheit, weltweit, über das Essen in der Mensa zu meckern. Deshalb sagte ich: „Kein einziges Mal dürft ihr über die Speisen in der Mensa meckern.“ Wenn ihr jemanden meckern hört, sollt ihr ihn auffordern, nicht zu meckern. Stattdessen sollt ihr zum Dienstpersonal in der Küche gehen und ihnen für ihre Dienstbereitschaft danken. „Danke für das, was ihr für uns tut.“
In den Tagen, in denen ich die Schwestern und Brüder sah, die hier dienen, habe ich ihnen gedankt: „Danke für euren Dienst für uns.“ Statt zu meckern.
Wisst ihr, was der Herr vom Meckern hält? Einmal öffnete sich die Erde, weil der Herr nicht sehr beglückt ist über unsere Undankbarkeit. Jedes Mal, wenn wir ihm danken, wofür danken wir? Für Liebesbeweise nach Liebesbeweisen. Er beweist uns seine Liebe.
Wie gut geht es uns? Unsagbar gut, nicht wahr? Wir haben überhaupt keinen Grund zu meckern, sondern jeden Grund zum Danken. Liebe Gott von ganzem Herzen. Es ehrt ihn, wenn wir ihm ständig sagen, wie dankbar wir für jeden Beweis seiner Liebe sind – für jeden.
Zeugnis eines Pastors über Gottes Liebe in Leid
Nun spiele ich eine Kassette ab, eine Aufnahme, die ich euch geben möchte. Ich habe einige Dateien, die ich für den MP3-Tonträger mitgebe. Es handelt sich um eine Predigt, die ich von einem John Bishop erhalten habe. Es tut mir leid, sie ist auf Englisch, aber für diejenigen, die Englisch verstehen, ist sie beeindruckend.
John Bishop ist ein Pastor gewesen und ist es auch heute noch. Er bekam jedoch Meningitis und ein Medikament, das ihm, wie er sagte, die Festplatte gelöscht hat. Er verlor sein Gedächtnis. Seine Frau kam zu ihm und sagte: „John, ich bin deine Frau, Donna.“ Er wusste nicht, wer seine Frau war, und bat sie, es ihm zu erklären. Sie antwortete: „Ja, John, ich gehöre dir und du gehörst mir. Ich bin dein Donna, deine Donna.“
„Ah, okay, du bist meine Donna“, sagte er. Von da an nannte er sie seine Donna. Er verlor auch für eine Weile sein Augenlicht. Er erzählte: „Ich konnte sie nicht sehen, ich wollte sie küssen, aber ich konnte ihre Lippen nicht finden. Ich habe geküsst, bis ich sie fand.“ Das Augenlicht kam zurück, und dann konnte er einen Roller fahren.
Er sagte, es war ein Honda-Roller, der gut für etwa fünf Unfälle ist. Er meinte, er habe vier oder fünf Honda-Roller gehabt. Er warnte: „Fahr nicht auf Gras, das ist sehr glitschig und nicht gut. Auch Kieselsteine sind nicht gut, fahr nicht darauf, sonst kommst du von der Straße ab.“
Sein Dienst heißt „God is good, God is good“. Er sagt in der Darstellung: Gott war nicht beängstigt, als er sah, dass eine Krankheit in seinen Kopf kam – Meningitis. Gott war nicht im Himmel und sagte: „Oh nein, oh nein, bitte nicht!“ Nein, Gott stand darüber. Gott liebte ihn. Gott ist gut, Gott ist gut. Er beobachtete das.
Dann sagt er: „Mein größtes Geschenk von Gott ist mein Heil, das zweitgrößte Geschenk ist meine Donna und das drittgrößte Geschenk ist Meningitis.“ Da dachte ich: Oh, für dieses Leiden zu danken! Er ist jetzt wieder Pastor, reist bundesweit in den USA und erzählt, wie gut Gott ist. Gott ist gut.
Er sagt, Gott war gut vor und Gott war gut nach der Meningitis-Infektion. Nicht nur für die schönen Tage dankbar zu sein, sondern auch für die Leiden, die Beweise der Liebe Gottes sind. Und dafür zu danken, dass Gott uns so liebt, dass er uns nicht von sich wegdriften lässt. Manchmal gebraucht er einen Pfahl im Fleisch, um uns in seiner Nähe zu halten – und das ist gut.
John Bishop sagt in dieser Aufnahme: „Ich habe festgestellt, dass es eine Körperposition gibt, in der ich keine Kopfschmerzen habe. Wenn ich Kopfschmerzen habe, habe ich eine Körperposition entdeckt, die gut ist: Sie bringt mich auf die Knie, den Kopf nach unten.“
Er sagt: „Es ist alles gut, was mich auf die Knie bringt. Wenn es mich auf die Knie bringt und Gott mich dahin führt, dass ich mich vor ihm beuge, kann das nur gut sein.“ Für alles zu danken heißt, für jeden Beweis der Liebe zu danken. Und wenn wir merken, wie großartig seine Liebe ist, fällt die Erwiderung dieser Liebe von selbst, automatisch. Wir werden gedrängt und getrieben, täglich durch die Liebe Christi für uns.
Die praktische Umsetzung der Nächstenliebe
Das führt uns zum zweiten Liebesbefehl: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Hier habe ich auch etwas Wichtiges gelernt. Gegen Ende meines Studiums erkannte ich, dass wir evangelisieren müssen. Für mich bedeutete Evangelisieren damals, Menschen zu überzeugen. Ich fühlte mich fast wie ein Cowboy mit Revolvern. Ich suchte mir jemanden aus, „erschoss“ ihn quasi mit Argumenten, holte dann mein Taschenmesser heraus, machte einen Schnitt in die Kerbe und hatte einen „Gewonnenen“. Am nächsten Tag kam jemand zu Jesus, weil ich ihn überzeugt hatte. Ich dachte so: „Der kommt zu Jesus, den überzeuge ich.“ Heute sehe ich das ganz anders.
Der Missionsbefehl ist eine Verlängerung des Liebesgebots. Liebe die Menschen, sagt Jesus. Das ist das zweite Gebot: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Jesus sagt: Mache zu Jüngern. Wenn ich Menschen zu Jüngern mache, habe ich die Möglichkeit, sie zu lieben und ihnen Jesus näherzubringen. So können sie Jesus wirklich erfahren.
In der Überlegung, wie Liebe aussieht, kam ich zu Matthäus 5. Es ist immer eine Definitionssache. Nicht nur, weil ich Lehrer bin, sondern weil Jesus in Matthäus 5 Liebe definiert. Die meisten Menschen denken bei Liebe an ein warmes Gefühl im Herzen für nette Mitmenschen. Dabei ist es nicht so, dass wir Menschen des 21. Jahrhunderts eine neue, besondere Idee hätten. Das war schon zu Jesu Zeiten so.
In Matthäus 5,43 heißt es: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.“ Jesus korrigiert diesen weit verbreiteten, aber nicht biblischen Spruch. Er sagt: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, segnet die, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, welche euch beleidigen und verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel seid. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“
Jesus fährt fort: „Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Machen das nicht auch die Zöllner? Darum sollt ihr vollkommen sein, gleich wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“
Ungläubiger Mensch hat nebenan ein Feld, und ein anderer Ungläubiger hat daneben ein Feld. Der Herr lässt auf beide Felder regnen, weil er allgemeine Liebe für alle Menschen hat. Wir sollen also nicht nur Freunde lieben, sondern besonders auch unsere Feinde.
Ich möchte sagen: Am besten können wir messen, wie unsere Liebe aussieht, daran, wie wir unseren Feinden Liebe zeigen – nicht daran, wie wir unseren Freunden Liebe zeigen. Liebe ist wie Licht. Licht ist am nötigsten, wenn es vom Gegenteil umgeben ist. Liebe ist am wirksamsten, wenn sie vom Gegenteil umgeben ist.
Stell dir vor, in einem stockdunklen Raum genügt eine kleine Kerze, um den Weg zu finden. Eine einzige Kerze oder eine kleine Taschenlampe helfen, ohne zu stolpern durch den Raum zu gehen. Je dunkler es ist, desto besser und wirksamer ist das kleine Licht.
Liebe ist ähnlich. Der größte Schauplatz des Gegenteils von Licht in der Weltgeschichte bis zu dieser Stunde war die Kreuzigung. Und der größte Schauplatz der Liebe bis zu dieser Sekunde in der Weltgeschichte war ebenfalls die Kreuzigung.
Geschwister, die Liebe hat gewonnen! Liebe ist stärker als jedes Gegenteil von Liebe. Ist das nicht ermutigend? Gewaltig ermutigend! Dort bewies Gott seine Herrlichkeit am Kreuz und vertrieb die Finsternis, indem er Licht durch die Kreuzigung Jesu offenbarte.
Die Welt definiert Liebe als warme Gefühle für nette Menschen. Jesus definiert Liebe als das, was wir tun – besonders gegenüber unseren Feinden – um ihnen unsere Wertschätzung zu zeigen.
Die Fußwaschung als Zeichen der Liebe zu Feinden
Nun, wenden wir uns dem letzten Abend im Obergemach zu. Jesus kniet sich nieder. Ich stelle mir vor, dass Petrus, Jakobus und Johannes dabei sind. Und stellen wir uns vor, gleich neben Johannes sitzt Judas.
Wenn es Roger Pugh gewesen wäre und ich in jener Nacht zu Judas gekommen wäre, hätte ich mich vielleicht zu ihm rübergelehnt und gesagt: „Hey, Petrus, hast du hier in der Nähe eine Stahlbürste? Denen wasche ich die Füße.“ Aber unser Herr hat das nicht getan. Er hat seinem schlimmsten irdischen Feind die Füße gewaschen – mit der gleichen Freundlichkeit, die er auch bei seinen besten Freunden Petrus, Jakobus und Johannes gezeigt hat.
Wie ist es mit der Person, die dir am unsympathischsten ist? Die Person, die du am liebsten nicht sehen möchtest, der du am liebsten aus dem Weg gehst? Wenn du sie auf zweihundert Meter Entfernung kommen siehst, denkst du dann: „Hm, okay, dann gehe ich lieber weg von der möglichen Begegnung mit dieser Person.“
Noch eine Aufgabe für die Gebetsklasse, wegen dieser Bibelstelle: Die Studenten sollen für ihre Feinde beten. Fang am Anfang des Semesters an, für deine Feinde zu beten.
Ein Missionar nahm an diesem Kurs in einem Sommer teil. Er kam aus einem der Stanländer, Spekistan. Er kam zum Unterricht und sagte: „Am Ende dieser Woche, in der wir Intensivunterricht hatten, hatte ich einige Wochen Zeit, um die Aufgaben auszuführen. Ich habe keine Feinde.“
Die Erklärung für „Feind“ in der Aufgabe ist eine Person, die dir unsympathisch ist oder eine Person, der du am meisten gerne aus dem Weg gehst. Eine Person, mit der du nicht in der Gegenwart sein möchtest.
Nach einer Weile betete er: „Herr, zeige mir meine Feinde.“ Und tatsächlich kam er auf die Polizei in seinem Land. Sie nahmen Bestechungsgelder an, waren ungerecht, unfreundlich und unfair. Er sagte: „Jedes Mal, wenn ich einen Polizisten sah, stieg Groll in mir hoch. Da merkte ich: Aha, das ist mein Feind. Für diesen muss ich beten.“
Wer sind unsere Feinde? Wie lieben wir sie? Die Liebe beginnt zuerst im Gebet, indem wir für sie bitten. Dann wird es möglich, dass es zu Taten kommt. Hoffentlich wird es möglich, dass es zu Taten kommt. Aber wir müssen im Gebet anfangen.
Wenn wir nicht für sie beten: „Herr, schenke mir die Möglichkeit, ihnen zu zeigen, dass du sie liebst, durch mich. Ich will ihnen zeigen, dass du sie liebst“, dann haben wir keine Gelegenheit dazu. Aber der Herr ist so wunderbar, er gibt uns diese Gelegenheit.
Persönliche Erfahrungen mit Feindesliebe und Versöhnung
Wir haben in unserer Gemeinde die Fußwaschung, die wir zusammen mit dem Abendmahl praktizieren. Es gab einen Bruder aus unserer Gemeinde, der mich verleumdet hat und dies auch öffentlich weiterverbreitete.
Als das Abendmahl begann, trennten wir uns nach Männern und Frauen. Ich ging zu den Männern. Es gab dort zwei Räume, und ich dachte: „Okay, ich gehe nach oben, ich bin jung, das kann ich machen.“ Also ging ich nach oben und setzte mich hinten hin.
Mein Freund, unser Nachbar, leitete das Ganze vorne und sagte zu mir: „Roger, könntest du nicht nach vorne kommen und die zweite Reihe beginnen?“ Ich antwortete: „Natürlich, ich komme.“ Und ich lief ihm nach.
Und wer saß vorne? Der Mann, der mich verleumdet hatte. Er war der Erste, dem ich die Füße waschen sollte. „Oh Herr, du hast Humor, du hast wirklich Humor“, war mein Gedanke.
Ich betete: „Herr, hilf mir, dass ich ihm die Füße waschen kann.“ Nach der Fußwaschung ist es unsere Gewohnheit, uns zu umarmen und uns gegenseitig Gottes Segen zu wünschen. Ich bat: „Hilf mir, Herr, dass ich ihm die Füße waschen kann, ohne Groll oder Hass, sondern mit Wohlwollen und ihm den Segen wünsche.“
Der Herr tat es. Mit freiem Herzen konnte ich das tun. Ich weiß, woher das kam. Es kam nicht von mir, sondern vom Herrn.
Der Herr hat oft Humor. Er schickt uns in Situationen, in denen wir unsere Feinde lieben sollen.
Herausforderungen in familiären Beziehungen und kulturelle Hemmungen
Was ich hier in Deutschland entdeckt habe, ist, dass es oft in der Familie die schlimmsten Feinde gibt. Durch viele Gespräche habe ich festgestellt, dass der Vater häufig ein Hassobjekt vieler Kinder ist. Wie oft habe ich das gehört?
Wer den Artikel lesen möchte, kann ihn von der Website herunterladen. Ein Schlüssel zum Herzen der Deutschen ist auf der CD enthalten. Ja, ich habe das auch als Extragut. Es ist auf der CD, und man kann es ganz lesen. Hier nur kurz überflogen:
Durch viele Gespräche stellte ich fest, dass viele Probleme damit haben, dem Vater Liebe zu zeigen. Der Vater ist oft der größte Feind. Er war hart, kritisch, hat heruntergeputzt, negative Vergleiche angestellt, war distanziert und konnte kaum Wärme zeigen.
Ein Mädchen in einer Bibelschule in der Schweiz bat um Zeit. Wir saßen in einem Schüleraufenthaltsraum. Ich fragte sie: „Hat dein Vater dir je gesagt, dass er dich liebt?“ – „Nein.“ „Hat er dir je durch eine Zärtlichkeit, eine Umarmung oder Ähnliches gezeigt, dass er dich als Tochter liebt?“ – „Nein.“
Sie erzählte: „Meine Mutter sagt mir, einmal als Säugling hat er mich gehalten, und einmal, als ich etwa sechs war. Ich fuhr mit dem Zug zu den Großeltern. Am Ende des Sonntags brachten die Großeltern mich zurück zum Zug, und ich fuhr wieder zurück zu meinen Eltern. Meine Eltern waren am Bahnhof. Mein Vater reichte mir hoch in den Zugwagen, hob mich ab und stellte mich auf den Bahnsteig. Es war das erste und einzige Mal, dass mein Vater mich je berührt hat. Es war schön“, sagte sie, „ich habe fast geweint.“
Nun, ich habe diese Frage oder ähnliche Fragen zigmal gestellt und immer wieder ähnliche Antworten bekommen. Ich war in Schenkenzell bei einer KfG-Tagung, 1988 oder 1989, mit 25 Brüdern. Wir sprachen über das Thema Evangelisation – andere Menschen zu Jesus zu führen. Dabei machte ich folgende Beobachtung:
Ich sagte: „Ich bin 16 Jahre Gastarbeiter in Deutschland“, wohl wissend, dass ich das Wort „Gastarbeiter“ benutze. Im Schwabenland sind Gastarbeiter Straßenkehrer, arbeiten bei der Müllabfuhr oder als Bauarbeiter. Ich bin Gastarbeiter in Deutschland seit 16 Jahren und stelle fest, dass viele Menschen Hemmungen haben, Liebe zu äußern, weil sie sie selbst nicht bekommen haben. Es ist eine neue Sprache für sie, fast so, als müssten sie auf der Stelle Swahili sprechen – sie haben es nicht gelernt.
Ich stelle fest, dass dies oft darauf zurückzuführen ist, dass ein Vater nicht fähig war, seinen Kindern Liebe zu zeigen. Es ist nicht so, dass die Väter ihre Kinder nicht lieben – bei weitem nicht. Deutsche Väter lieben ihre Kinder, sind aber oft gehemmt darin, diese Liebe auszudrücken.
Das Gespräch in Schenkenzell hat mich sehr beeindruckt. Anschließend, in der Pause, stand ich mit einem zusammen. Er war Pastor und sagte: „Ich habe Beerdigungen, Leute weinen vor mir, aber ich habe noch nie geweint. Ich habe kein Mitempfinden mit Menschen, überhaupt keines.“
Ich kam zurück nach Stuttgart und hatte ein interessantes Gespräch mit einem Mann, der mir am nächsten Tag sagte: „Roger, mein Vater hat mir einmal gesagt: ‚Du, ich habe dich lieb.‘“ Es war am Ende eines erhitzten Telefongesprächs. Er sagte: „Du, wir haben dich lieb“, und legte dann den Hörer auf.
Nun, nicht sehr überzeugend, denke ich. So wirkte das.
Fürbitte für eine Erweckung der Liebe in Deutschland
Eine Woche später war ich in den USA, am Sonntagabend in Akron, Ohio. Ich dachte: Herr, hilf mir, die Geschwister in den USA zu bitten, mitzubeten, dass es eine Erweckung der christusähnlichen Liebe in Deutschland geben möge! Ich erzählte diesen Menschen meine Geschichten und bat sie um Fürbitte für mein liebes Deutschland.
Einer kam weinend auf mich zu, Tränen strömten über sein Gesicht. Er schloss sich dem Gottesdienst an und sagte: „Roger, du hast keine Ahnung, was du heute Abend gesagt hast.“ Ich fragte: „Warum?“ Er erzählte, dass er eine Frau aus der deutschsprachigen Schweiz geheiratet hat. Vor drei Wochen wurde sie wegen Krebs operiert. Ihr Vater flog eigens für die Operation her. Zum ersten Mal in ihrem Leben, kurz bevor sie in den Operationssaal geschoben wurde, lehnte er sich über ihr Bett, küsste sie, umarmte sie und sagte: „Ich habe dich lieb“ – zum ersten Mal in seinem Leben! Dabei weinte er. Er gestand, dass er keine Ahnung gehabt habe, dass das kulturell bedingt sein könnte. Diese Geschichte bewegte mich sehr.
In der darauffolgenden Woche war ich in Ashland, Ohio, und erzählte Ähnliches. Außerdem sagte ich, dass Deutschland ein ungeliebtes Land sei. Wenn ich mit deutschem Nummernschild über die Grenze nach Holland fahre, steige ich aus und suche nach Wegweisungen. Ich spreche Deutsch, werde aber nicht besonders freundlich behandelt. Schalte ich dann auf Englisch um, erhalte ich sofort eine Antwort. Ähnlich erlebe ich es in Frankreich.
Ich persönlich habe erfahren, wie es sich anfühlt, sich mit Deutschland zu identifizieren. Meine eigene Tante, die Schwester meiner Mutter, sagte einmal zu meiner Mutter: „Wenn Roger nach Deutschland geht, um dort zu dienen, hast du ihn umsonst erzogen.“ Diese Ansicht meiner Tante teile ich überhaupt nicht. Es tut mir weh, dass es so viel Voreingenommenheit, so viel Hass und negative Empfindungen gibt – vor allem bei der älteren Generation.
Ich liebe Deutschland herzlich und innig. Ich bin mir aber im Klaren darüber und weiß genug von der Situation, um als gebürtiger Amerikaner das sagen zu können, ohne als Neonazi abgestempelt zu werden. Das weiß ich zu genüge. Ein Deutscher kann das kaum öffentlich sagen, das ist mir völlig klar.
Aber wir können, dürfen, sollen und müssen die Liebe Gottes diesem wunderbaren Land zeigen. Dieses Land ist voll von geistlichem Potenzial, begabt bis zum Gehtnichtmehr, und doch gebunden in Finsternis.
Vor allem ist es wichtig, dass wir lernen: Evangelisation ist das Leben für andere Menschen. Evangelisation bedeutet nicht Überzeugen mit dem Hammer, sondern: Wie können wir sie lieben? Fremde und Gäste kommen zu uns in den Gottesdienstraum. Dort sitzen wir. Zu meiner rechten Seite sind die Gäste, zu meiner linken Seite meine Freunde aus der Gemeinde.
Am Schluss des Gottesdienstes wende ich mich zu den Gästen, um mit ihnen zu sprechen, sie zu begrüßen und herzlich willkommen zu heißen – oder wende ich mich meinen Freunden zu und kehre den Gästen meinen Rücken zu? Was sage ich überhaupt zu Fremden? Ich weiß es nicht, ich mache es nicht. Ich zeige meine Liebe nur meinen Freunden und Geschwistern.
Warum wollen wir von Tür zu Tür gehen oder auf die Straße, um zu evangelisieren, wenn Fremde in unsere Gottesdiensträume kommen und wir sie dort nicht mit der Liebe Gottes empfangen können? Sie sind auf unserem Territorium!
Erfahrungen mit Gastfreundschaft und Evangelisation
Ich komme einmal zur Verkündigung in eine Gemeinde in Deutschland. Dabei habe ich mir mein Bein verletzt und musste Krücken benutzen. Meine Aktentasche halte ich in der Hand, ich stolpere ein wenig und komme etwas spät zum Gottesdienst. Der Gottesdienst hat bereits begonnen.
Ich komme an und da kommt noch jemand. Wir sind zu zweit auf der Straße, es ist Sonntagmorgen, zwei Minuten nach zehn. Alle anderen sind schon drinnen, der Gottesdienst hat begonnen. Ich hinke heran, und der andere ist etwa fünf Meter von mir entfernt. Er läuft durch die Tür und lässt sie mir vor dem Gesicht zuschlagen. Ich dachte nur: Gibt es das wirklich? Ich bin mit Krücken da, laufe auf dieselbe Tür zu.
Ich komme oft zu Gottesdiensten in Gemeinden, und da stehen Leute draußen. Ich trage vielleicht eine Krawatte und habe eine Tasche dabei. Vielleicht denken sie, ich sei der Gastredner. Sie stehen in kleinen Gruppen hier drüben und schauen sich um. Es muss ja jemand da sein, denken sie, aber niemand kommt auf mich zu und begrüßt mich. Ich bin der Redner.
Und wenn ich der Redner bin und nicht begrüßt werde, wie fühlen sich Fremde, die kommen? Wie fühlen Sie sich, wenn man so auf Sie schielt, schaut und sagt: „Das muss ein Gast sein.“ Was machen wir mit einem Gast? Ihr versteht, was ich meine.
Im Herzen frage ich: Herr, wie kann ich anderen Liebe zeigen? Es ist wie ein klingelndes Telefon, dieser Gedanke schießt mir durch den Kopf: Herr, was kann ich tun, um dem, der anruft, Liebe zu zeigen? Hilft es, dass es durchkommt, durch meine Rede, bei jeder Begegnung mit jedem?
Ich möchte Gottes Liebe äußern und dabei hoffen, dass die Offenheit die Möglichkeit ergibt, dass diese Person zu Jesus kommt. Und es gibt Leute, die uns total nerven. Du hast sie, ich habe sie.
Beispiel einer schwierigen Beziehung und Versöhnung
Joseph war einer von denen, bei dem ich meinen Ehering erst seit zwei Wochen wieder tragen kann. Im Dezember bin ich gestürzt. Ich war mit Joseph und seiner Frau Sandy auf dem Weg zum Gerichtssaal und stolperte. Draußen war es nicht glatt, aber ich habe mich beim Treppenabgang vertan und stolperte. Ich fiel vier, fünf Meter und landete ziemlich weit entfernt. Dabei landete ich irgendwie komisch auf meiner Hand, die sofort brannte, furchtbar weh tat und anschwoll.
Ich nahm meinen Ehering ab und dachte, irgendwann würden die Finger wieder kleiner werden. Nach zwei Wochen dachte ich, das ist mir zu dumm, und ließ den Ring ein bisschen erweitern. Jetzt passt er wieder.
Dieser Joseph, mit dem ich mehrmals zum Gericht ging, ist aus Kenia und hatte einige Fehler gemacht. Im ganzen Frühjahr beteten wir zusammen. Ich dachte mir, okay, das ist Gottes Weg. Ich wollte es probieren. Immer wieder sprachen wir über seine Wege und Gottes Wege. Ich sagte zu Joseph: „Wenn du es nach deinem Kopf machst, steht der Herr daneben und schaut zu. Dann sagt er: ‚Okay, Joseph, versuch es alleine, ich schaue zu, während du es alleine tust.‘ Aber wenn du es nach Gottes Plan machst, ist Gott voll mittendrin, voll!“ Er glaubte mir nicht.
Geschwister, das ganze Frühjahr war ein Kampf. Mehrmals kam die Polizei, ein paarmal riefen wir sie sogar. Es war nicht schön. Die vorletzte Gerichtsverhandlung fand Ende Juni statt. In der Woche davor kam Joseph zu mir und fragte: „Roger, darf ich dich bitten, täglich mit mir zu fasten und zu beten?“ Das waren ganz neue Worte für mich. Natürlich machte ich gerne mit.
Tagsüber betete ich und fastete mit ihm, und abends kamen wir ein paarmal zusammen zum Gebet. Dann gingen wir zum Gericht, und er bekannte sich schuldig. Er gab zu, dass er falsch gehandelt hatte. Die Schuldsprechung erfolgte im August.
Im Laufe des Frühjahrs hatte er ein Ticket nach Kenia gekauft, sechzehnhundert Dollar futsch, doch er flog nicht. Dann sagte er, er wolle nach Kanada flüchten. Nein, dann nach Arizona. Ich sagte zu ihm: „Flüchtest du nach Kanada? Wenn du dort eine Arbeitsstelle suchst, wird deine Identität sofort von Interpol festgestellt. Du wirst zurückgeholt und dann gleich nach Kenia abgeschoben. Überleg dir das gut.“ Er entschied sich dann für Arizona – aber auch dort mit seiner Identität. Schließlich blieb er.
Im August kam die Schuldsprechung, und wir beteten stürmisch um ein Wunder. Joseph hat eine Frau und zwei Kinder, seine Frau ist Amerikanerin. Wir waren weg, da klingelte mein Handy. „Hallo Roger, hier ist Sandy. Joseph kann gar nicht sprechen.“ Und Gott tat Wunder über Wunder. Wir beteten zusammen, weinten zusammen. Joseph wurde mir wie ein Sohn.
Im Laufe der Monate im Frühjahr wuchs mir alles über den Kopf, ich konnte fast nichts mehr mit ihm anfangen. Irgendwann im Mai gab ich auf und sagte: „Herr, ich denke, es wird nichts werden. Ich bete dafür, aber ich glaube nicht mehr daran.“
Gerade als ich aufgab, wirkte Gott Großes. Joseph sage ich immer wieder: „Mein größtes Ziel, Joseph, ist, dass du weißt, dass ich dich liebe. Was du vorhast zu tun, ist sündig und falsch, aber ich habe dich lieb.“
In den nächsten Wochen will ich ihn und Sandy in den Gebetsunterricht holen, damit sie ihr Zeugnis geben können – eine Ehe gerettet, ein Leben gerettet.
Der Richter gab ihm sechs Monate Bewährungszeit. Wenn er etwas Falsches tut, gegen das Gericht oder das Recht verstößt, wird er sofort nach Kenia abgeschoben. Sechs Monate Bewährung – stell dir das mal vor, welche Gnade!
Joseph sieht das, und ich sage ihm immer wieder: „Niemals im Leben kannst du sagen, es gibt keinen Gott. Du hast ihn erfahren.“ Er antwortet: „Oh ja, Roger, ich habe ihn erfahren.“
Evangelisation als Ausdruck von Liebe und Einladung zu Jesus
Unsere größte Aufgabe ist es, Menschen zu lieben, sie zu Jesus zu führen und ihnen zu zeigen, dass hier die Liebe Gottes durch mich wirkt. Evangelisation bietet die Möglichkeit, anderen von Jesus zu erzählen.
Neulich, vor etwa zwei Wochen, saß ich mit jemandem zusammen. Seine erste Frage war: „Roger, kannst du mir den Unterschied zwischen der römisch-katholischen Lehre und der Lehre des Grace Seminary erklären?“ Das war für mich die Einladung, ihm das Evangelium zu erklären.
Ich habe einige Ähnlichkeiten genannt und dann gesagt, dass der größte Unterschied darin besteht, wie man gerettet wird. Die offizielle römisch-katholische Lehre sieht das so, und die Bibel sagt, dass wir durch Gnade gerettet werden (Epheser 2,8-9). Diese Gnade wird uns von Christus als Geschenk angeboten, aber wir müssen sie annehmen.
Plötzlich, mitten im Gespräch, sagt er: „Das muss ich tun.“ Wie Wilfried vorhin so schön gesagt hat, habe ich in diesem Moment auch gebetet: „Herr, ist er so weit oder nur auf der Suche?“ Ich hatte das innere Empfinden, ihn jetzt nicht zu drängen, sofort das Gebet zu sprechen.
Ich versprach ihm, dass wir uns wieder treffen, nachdem ich aus Deutschland zurückkomme, um weiter darüber zu reden. Darauf freue ich mich sehr.
Gott will, dass wir Menschen lieben, egal wo sie stehen, und ihnen die Wahrheit des Evangeliums sagen, damit sie eine Entscheidung für Jesus treffen können.
Als ich das jemandem erzählt habe, kam diese Person zu mir und sagte: „Rutte, das zu wissen und sie einfach zu lieben, und dass der Herr die Tür öffnet, damit ich weitersagen kann, entlastet mich unbeschreiblich.“ Dann fühle ich mich nicht gedrängt, aus einem inneren Zwang heraus das Evangelium jedes Mal in allen Details zu erzählen, sondern ich liebe und bitte den Herrn, dass er die Tür öffnet.
Wenn er das tut, geht die Tür weit auf. So durfte ich einem Mann, dem ich seit 30 Jahren das Evangelium sagen wollte, begegnen. Seine Frau starb, wir standen am Grab, er weinte, und als wir zurück in die Wohnung gingen, sprach er mich zwei Stunden lang über das Evangelium aus.
Jahrelang wollte ich nach dem Tod seiner Frau seine Bereitschaft aufnehmen.
Die Gemeinde Jesu hat den Auftrag, in die Welt zu gehen, in eine verlorene Welt, um Menschen zu lieben und sie zu Jesus zu führen. Ob in Deutschland, in der Schweiz oder in Österreich – wir sind gerufen, Menschen zu lieben, Jesus zu lieben, Gott zu lieben und Menschen zu helfen, Gott zu lieben, damit sie selbst Menschen lieben können.
Schlussgebet um Kraft und Weisheit zur Liebe
Darf ich bitten, dass wir uns zum Schluss zum Gebet erheben.
Vater im Himmel, wir preisen dich und beten dich an für das Wunder, dass du uns in diesen Auftrag, in deinen Auftrag, gestellt hast. Du bist gekommen, hast deine Gegner geliebt und deinen Feinden die Liebe gezeigt.
Du hast deinen Jüngern, die oft egoistisch waren, deine Liebe bewiesen. Immer wieder hast du selbstlos gezeigt, wie sehr du sie liebst, geliebt hast und liebst.
Vater, fülle du uns durch deinen guten Heiligen Geist mit der Christusliebe. Lass diese Liebe, die vom Heiligen Geist erzeugt wird, durch uns strahlen. Gib uns deine Kraft, das zu tun, und gib uns deine Weisheit, damit es in die Tat umgesetzt wird.
Hilf uns, Worte der Ermutigung zu sprechen, Berührungen und Umarmungen zu schenken sowie unsere Zeit zu verschenken. Hilf Vätern, ihren Kindern Zeit zu schenken. Wie viele Kinder sind auf Abwege geraten, weil ihre Väter keine Zeit für sie hatten.
Vater, gib uns Vergebungsbereitschaft, wenn andere uns misshandeln oder wenn die Kinder rebellieren. Hilf, dass wir als Eltern nicht bitter werden. Hilf auch, dass wir als Gemeindeleiter nicht bitter werden, wenn deine Kinder in der Gemeinde rebellieren.
Hilf uns, als Leitende Christus ähnlich zu lieben und durch Christus ausgelebte Liebe zu leiten.
Danke dafür! In Jesu Namen, Amen.
