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Danksagung ist das Ziel, nicht nur am Erntedank. Aber der Weg dazu? Konrad Eißler weist auf drei Antworten von Apostel Paulus hin: Mach die Augen auf! Mach die Hände auf! Mach die Ohren auf! - Erntedank-Predigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Dass viele danken, darum geht es. Dass viele Gott danken, darum soll es gehen. Dass viele Gott für seine Gaben danken, darum muss es gehen. Danksagung ist das Ziel des Erntedanktages, liebe Gemeinde.

Viele Erzeuger sind verängstigt. Das Überangebot dieses warmen Sommers drückt auf die Preise. “Auf dem Baum sind meine Zwetschgen ein Segen, aber im Korb ein Fluch”, sagte mir ein Bauer. Für einen guten Apfel seien nur Pfennige zu erzielen. Und wenn dann im nächsten Jahr die Zollbäume abgesägt werden und der italienische und französische und spanische und holländische Erntesegen ungebremst über die Grenzen schwappt, dann gute Nacht deutsche Landwirtschaft. Erzeuger ängstigen sich, aber dass viele danken, darum geht es.

Viele Verbraucher sind beunruhigt. Die Inflation habe heimlich, still und leise auch unser Geld erreicht. “Meine Mark ist nur noch 70 Pfennig wert”, meinte ein Rentner. Die Währungshüter in Frankfurt seien Geheimnishüter einer schleichenden Entwertung. Und wenn dann in absehbarer Zukunft für DM oder Lire oder Franc am Bankschalter nur noch ein gemeinsamer Ecu ausbezahlt wird, dann werde es rabenschwarz. Verbraucher beunruhigen sich, aber dass viele Gott danken, darum soll es gehen.

Viele Zeitungsleser sind besorgt. Die Denaturierung, das Unbrauchbarmachen von Lebensmitteln für den menschlichen Verzehr nimmt zu. “Millionen Tonnen Weizen denaturiert!”, meldet der Weltwirtschaftsbericht. Getreidehalden werden auf diese Weise abgebaut. Und wenn dann Katastrophenmeldungen über grassierende Hungersnöte aus Somalia oder dem Südsudan eintreffen, dann sind die Hilfszüge oder Hilfsflüge nur schwer in Bewegung zu setzen. Zeitgenossen sorgen sich, aber dass viele Gott für seine Gaben danken, darum muss es gehen.

Danksagung ist das Ziel, aber der Weg dazu? Ein Erntealtar wird nicht genügen. Man muss mit jungen Leuten im Automuseum in Untertürkheim die hochpolierten Blechveteranen und silberglänzende Rennboliden bestaunt haben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, an welchen Altären junge Herzen aufgehen und anbeten. Ein Erntesegen wird auch nicht genügen. Man muss mit erwachsenen Leuten in ihrem Neubau die Möbel und Teppichböden und Holzfurniere bestaunt haben, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was heute des Dankes wert ist. Eine Erntefeier wird erst recht nicht genügen, denn sonst müssten die Hunderttausende rund um die Fruchtsäule auf dem Wasen lauter dankbare Leute werden. Wer aber wollte dies im Ernst behaupten? Die Frage bleibt: Wie kommen wir zum Danken? Wie kommen wir zum Gott danken?

Der Apostel hat eine Antwort. Sie steckt in dem sehr persönlichen und zutiefst seelsorgerlichen Schreiben an die korinthische Gemeinde. Dort hat er zwei Kapitel über das leidige Thema Kollekte eingefügt. Und weil wir beim Geldgeben so bissig reagieren wie ein Hund, dem man an den Fressnapf will, deshalb kommandiert er nicht wie ein Vater, der sein Kind anherrscht, das von der Oma einen Schokoriegel bekommen hat: “Sag danke, sag endlich danke!” Paulus kommandiert nicht, er orientiert. Seine erste Antwort lautet:

1. Mach die Augen auf

So wie der alte Bauer, den ich als junger Pfarrer in meiner früheren Gemeinde besuchte. Sein Hof wäre ein Prachtstück für das Freilichtmuseum in Wackershofen oder in Beuren gewesen. Die Kuckucksuhr in der niederen Bauernstube schien mit ihrer Zeit stehengeblieben zu sein. Dort ging der Landwirt mit mir durch das ganze Haus. Im Keller lagerten die Kartoffeln und Rüben, die Äpfel leuchteten von den Holzrösten. In der Kammer standen die Beergläser und Saftflaschen, gedörrte Zwetschgen hingen an einem Sack von der Decke. In der Scheune war das Haus bis unters Dach geschichtet, das Stroh bildete gepresst einen ganzen Turm. Und auf dem Speicher war Korn ausgeschüttet, Weizen und Gerste und Hafer und Roggen. Der Bauer sah das alles. Er sah nicht zurück und grollte, dass in diesem Jahr wegen der Trockenheit die Kartoffel nicht so geraten waren. Er sah nicht hinüber zu dem Nachbarn, der 40 Sack mehr einfahren konnte. Er sah nicht voraus und überschlug, ob denn der Vorrat angesichts des schwierigen Agrarmarktes zum Lebensunterhalt ausreiche. Der Mann machte die Augen auf, sah die Gaben und sagte: “Herr Pfarrer, beten Sie mit mir!” So standen wir beide auf dem steinernen Flur, falteten die Hände und dankten: “Ich habe in allen Dingen allezeit volle Genüge.”

Sicher haben die meisten von uns keine Landwirtschaft, aber um uns herum, in Kühltruhen und Gefrierschränken, in Lagerhallen und Geschäftsbe­trieben, in Schaufenstern und Regalen ist alles randvoll. Das Beste vom Besten aus aller Herren Länder ist angeboten. Sonderangebote überschlagen sich. Sehen wir noch? Oder sehen wir nur zurück und grollen, dass alles nicht mehr so wie früher ist? Oder sehen wir nur hinüber und schimpfen, dass der Kollege 8O Mark mehr kriegt und einen schnelleren Wagen fährt? Oder sehen wir nur voraus und überschlagen, ob denn unser Sparbrief als finan­zielles Polster ausreicht? Sehen wir doch endlich das an, was dieser gute Gott an guten Gaben bereitgestellt hat! Der Erntealtar will eine Sehhilfe sein. Zwischen allen herzerfrischenden Erntegab­en liegt die unaussprechliche Gottesgabe, nämlich sein Wort von Jesus Christus. Er ist das Lebensmittel schlechthin, das Mittel zum Leben. Keiner lebt von Kalorien allein, sondern von den Wärmeeinheiten dieses Herrn, die vom Kreuz ausgehen. Franz Marc, der Münchner Maler mit seinen unvergesslichen Tierbildern und kristallklaren Landschaftsaquarellen, schrieb an seine Frau: “Wie kannst du diesen Christus sehen und die Augen vor Angst schließen?” Seine Kraft ist da, seine Liebe, seine Hoffnung, seine Freude. Alles ist von ihm bereitgestellt, was zum Leben und Sterben nötig ist. Kann man anders, als die Hände zu falten und zu danken: Gott sei Dank für seine Essensgaben. Gott sei Dank für seine Lebensgaben. Gott sei Dank für seine unaussprech­liche Gabe in Jesus Christus. Mach die Augen auf!

2. Mach die Hände auf

So wie der alte Bauer, den ich an einem Frühjahrstag wieder besuchte. Ein schwerer Sack lag auf seinen Schultern. Das Saatgut wurde auf den Wagen gewuchtet. Schon im Herbst hatte er es gleich auf die Seite getan. Diese Körner waren kein minderwertiges Überbleibsel vom letzten Dreschtag, sondern Qualitätsgetreide vom Besten. Am liebsten hätte die Bäurin davon genommen und ihr knuspriges Holzofenbrot daraus gebacken. Aber jeder im Hof wusste: Das ist nicht für den Hausgebrauch. Das ist nicht für den Verzehr bestimmt. Das ist Saatgut für das Frühjahr. Mit vollen Händen wird es ausgestreut, denn wer beim Aussähen spart, spart an der falschen Stelle. Das Korn ist nicht weg, sondern geht auf, zwanzig-, sechzig-, hundertfältig.

Aussäen, verteilen, hergeben ist ein fröhliches Geschäft, warum haben wir ein Trauerspiel daraus gemacht? Sicher tun wir auch etwas auf die Seite. Wir legen es sogar auf die hohe Kante. Der kluge Mann baut vor. Aber dass wir etwas hergeben sollen, passt uns überhaupt nicht in den Sparstrumpf. Ein Übrigbleibsel schon, alte Kleider vom Vater und ein paar abgetretene Schuhe von den Kindern, ein Trinkgeld, ein Almosen gewiss. Schließlich sind wir keine Knigger, aber Qualität vom Besten? Wahrscheinlich sind wir nirgends so gebunden wie beim Geld oder Gut. Paulus fragt nach dem Kuvert, auf dem steht: “Nicht für den Hausgebrauch.” Er fragt nach dem Scheck, auf dem verfügt ist: “Nicht zum eigenen Verzehr bestimmt.” Er fragt nach der Zeit, der Liebe, der Zuwendung, die wir als Saatgut für andere bereitstellen. Gott hat sogar seinen eigenen Sohn als Weizenkorn in den Acker der Welt gelegt, wie sollte uns noch ein Sach- oder Geldwert grämen? Diese Gabe geht ja nicht unter, sondern auf. Normalerweise ist 1 minus 1 gleich 0. Aber hier geht es nicht nach Adam Riese, sondern nach Gott dem Herrn und bei ihm kann aus 1 minus 1 2, 4, 8, 16 oder 32 werden. Seine Mathematik lernt man im Rechenbuch der Natur. Aus einer Kartoffel, die man hergibt, werden 10, aus einem Korn werden 50 Körner, aus einem Kern ein ganzer Baum. Geben ist kein Geld zum Fenster hinauswerfen. Geben ist kein Wegwerfen auf Nimmerwiedersehen. Geben ist kein Geben a fonds perdu, ins Nichts hinein. Geben ist Säen und zur Saat gibt Gott immer genug. Man kann es sich leisten, auf diesen Gebergott eine offene Hand zu haben, deshalb: Mach die Hände auf!

3. Mach die Ohren auf

So wie der alte Bauer, dem ich an einem Spätherbstabend an seinem schweren, abgescheuerten Holztisch gegenübersaß. Vor sich hatte er eine Kinderzeichnung und einen handgeschriebenen Gruß liegen. “Woher haben Sie denn Post bekommen”, fragte ich ihn. Dann ging ein Lächeln über sein Gesicht und seine Augen strahlten über die heruntergerutschte Brille hinweg. “Wissen Sie, jedes Jahr um das Erntedankfest herum schicke ich einen Wagen voll Sach’ nach Stetten hinunter. Die können mein Obst und meine Kartoffeln brauchen. Und jedesmal schicken mir die Hauseltern einen Brief.” Auf dem Blatt waren Kinder gemalt, die mit gefalteten Händen um einen Tisch saßen und auf der Karte stand: “Danket dem Herrn, denn er ist freundlich.” Sie schrieben also nicht: Was für ein guter Bauer auf der Ostalb! Was für ein gütiger Landmann im Kreis Heidenheim! Was für ein wunderbarer Mensch! Sie schrieben: “Was für ein guter, gütiger und wunderbarer Gott.” Seine Gabe löste in Stetten Gotteslob aus.

Und so war es damals in Jerusalem. Die Kollekte der Korinther machte die Jerusalemer Christen dankbar. So war es damals in Rom. Die Unter­stützung der Judenchristen machten die römischen Christen getrost. So wie damals 1945 in Stuttgart und Heilbronn und Ulm. Die Care-Pakete der amerikanischen Christen machten uns singend: “Er gibet Speise, reichlich und überall.”

Geben infiziert Danken. Geben stößt Loben an. Geben löst Gotteslob aus. Wer die Hände aufmacht, der muss die Ohren aufmachen, damit er es höre. Vielleicht aus Lima, wo das Kinderwerk an jedem Werktag 6500 Kinder speist. Vielleicht aus dem Libanon, wo die Johann-Schneller-Schule 444 Schüler ausbilden kann. Vielleicht aus Kasachstan, wo Licht im Osten 200 000 Lukasevangelien verteilen kann, vielleicht aber auch aus dem Nachbarhaus, wo einer einen Gruß abgibt, aus dem Krankenzimmer, wo einer Besuche macht, aus dem Pflegezimmer, wo einer telefoniert. Dass viele danken, dass viele Gott danken, dass viele Gott für seine Gaben danken, auch Sie, und deshalb machen Sie jetzt nicht nur die Augen und die Hände und die Ohren auf, sondern jetzt noch den Mund und singen: “Nun danket alle Gott.”

Amen

[Predigtmanuskript; nicht wortidentisch mit der Aufnahme]