Halt im Gedächtnis

Konrad Eißler

Was bleibt von der Konfirmation? Apostel Paulus sagt: “Halt im Gedächtnis Jesus Christus”. Jesus, der die Hand aufhält, hinhält und festhält. - Konfirmationspredigt aus der Stiftskirche Stuttgart


Nun also sind sie eingetroffen, die Omas und Opas, die Tanten und Onkels, die Freunde und Bekannten, die Kumpels und Kollegen. Manche haben sich schon in aller Frühe Euretwegen aufgemacht und sich auf der Autobahn total abgemacht. Vor der Kirche gab es ein fröhliches Hallo. Konfirmation ist eben nicht nur ein ernster Feiertag, sondern auch ein heiterer Familientag. Deshalb eine Frage an Euch: Wen werdet Ihr noch später im Kopf haben? Vielleicht den Paten, der über seinen eigenen Schatten sprang und einen Hunderter springen ließ, sodass es jetzt zum Mokick reicht. Wen werdet ihr gar nie vergessen können? Vielleicht den Mitkonfirmanden, der vor dem Altar gar nicht so schnell zittern konnte, wie er Angst hatte. Wen werdet Ihr immer im Gedächtnis behalten? Vielleicht sogar den Pfarrer, der Euch ein ganzes Jahr lang wie Kirchenstifte an der Stiftskirche behandelte.

Vor genau 35 Jahren bin ich konfirmiert worden. Ich feiere also mit Euch mein kupfernes Konfirmationsjubiläum. Wen habe ich heute noch im Kopf? Vielleicht meinen Vater, dessen Wehrmachtsuniform zum Konfirmandenanzug umgearbeitet wurde und mich wie ein Häftling aussehen ließ. Wen habe ich nie vergessen? Vielleicht meine Mutter, die selbstgezogene Schwarzwurzel auf den Tisch brachte und jedem Festgast zwei Stück Kuchen anbieten konnte. Wen werde ich immer im Gedächtnis behalten? Vielleicht meinen Bruder, der mit mir konfirmiert wurde und der beim Aufsagen in der Kirche nicht steckenblieb.

Wir alle, oder viele von uns, sind konfirmiert worden. Was ist uns geblieben? Weil wir in der Regel kein Gedächtnis wie ein Computer mit großem Speicher, sondern ein Gedächtnis wie ein Sieb mit großen Löchern haben, ist diese Frage von Bedeutung: Wen sollt Ihr später im Kopf haben? Wen dürft Ihr nie vergessen? Wen müsst Ihr immer im Gedächtnis behalten? Den Onkel, die Mutter, die Tante, den Freund?

Der Apostel Paulus sagt: Jesus. Sein Name ist wichtig: Jesus Christus. Seine Person ist lebensentscheidend. “Halt im Gedächtnis Jesus Christus.” So schreibt es der Völkerapostel an seinen jungen Freund Timotheus. “Halt im Gedächtnis Jesus Christus.” Es ist ein Wort aus der Hinrichtungszelle, also das Testament eines Todgeweihten: “Halt im Gedächtnis Jesus Christus.” Über ihn haben wir viel gesprochen. Jetzt soll es noch einmal gebündelt werden. Es geht nicht um einen Feld-Wald-Wiesen-Christus, der uns letztlich zum Narren hält.

“Halt im Gedächtnis Jesus Christus”, der die Hand aufhält, der die Hand hinhält und der die Hand festhält.

1. Jesus Christus, der die Hand aufhält

So sehe ich ihn am See Genezareth. Mittagssonne liegt über dem tiefblauen Wasser. Am Ufer hocken die Fischer und flicken ihre Netze. Auch Petrus sitzt dabei und sein Bruder Andreas. Zu ihnen kommt dieser Herr, hält die Hand auf und sagt: Schlagt ein! Vergesst eure Netze! Fangt Menschen! Folget mir! Petrus sieht sein Boot, die Ruder, die Angeln, seinen ganzen Garnelenbetrieb und Jesus sagt: Schlag ein! Petrus denkt an seine Mutter, seine Schwester, seine ganze Verwandtschaft, die auf seinen Geldbeutel angewiesen sind, und Jesus sagt: Schlag ein! Petrus hört schon das Dorfgelächter und den beißenden Spott über einen Frömmler und Jesus sagt: Schlag ein! Mit tausend Tauen ist er an seine Heimat, an seine Familie, an seinen Beruf gebunden und Jesus schlägt sie wie mit einem Schwert durch und sagt: Schlag ein! Dieser Herr hat also an der Strandpromenade keine Matratzen verteilt und seine Hand den Leuten unter den Kopf gelegt, damit sie ohne Sorgen fromm vor sich hindösen können. Jesus will keine Genießer, sondern Genossen. Deshalb hält er die Hand auf, um von dem abzuhalten, was uns lieber werden könnte als die Liebe zu ihm.

Ein Schüler sieht seine Kameraden, die gleich nach dem Konfirmationssonntag abhängen und am Wochenende als Punker oder Popper nur noch die Discos besuchen. Wie abgeschlagen steht er allein auf weiter Flur, und Jesus sagt: Schlag ein! Ein junges Mädchen sieht ihren Freund, der einfach super ist, aber für Jugendkreis, Gottesdienst, Glaubensfragen nur ein müdes Lächeln übrig hat. Gerne würde sie mit ihm gehen, und Jesus sagt: Schlag ein! Ein Kind sieht seine Eltern, die kein Verständnis für eine Glaubensentscheidung haben, die auf einer Freizeit gefallen ist, ein Kind also, das das Elterngebot ernstnehmen will, aber nicht kann, weil Jesus sagt: Schlag ein! Er trennt den Schüler von seinen Kameraden, das Mädchen vom Freund, das Kind von seinen Eltern, nicht um ihnen wehe zu tun, sondern um ihnen viel mehr zu schenken.

Am Seeufer wäre Petrus nur vergammelt. Erst in der Nachfolge Jesu ging ihm die Größe dieses Herrn auf. Nur wer sich von Liebem trennen lässt, wird den lieben können, der uns lieber werden soll als alles andere auf der Welt.

Nur wer sich von Liebem trennen lässt, wird den lieben können, der uns lieber werden soll als alles andere auf der Welt.

Halt diesen Jesus im Gedächtnis, der seine Hand aufhält.

2. Jesus Christus, der die Hand hinhält

So sehe ich ihn auf dem Hügel Golgatha. Dunkel senkt sich über diese schreckliche Hinrichtungsstätte. Ein Kreuz liegt auf dem Boden. Henker zerren den unschuldig Verurteilten herbei und legen ihn auf das Holz. Dann breiten sie seine Arme aus und nieten die Handflächen am Querbalken fest. Dieser Misshandelte leistet keine Gegenwehr. Dieser Verspottete zuckt nicht zurück. Jesus hält freiwillig seine Hand hin. Anschließend wird das Exekutionsinstrument aufgerichtet. Der Sohn Gottes hängt zwischen Himmel und Erde. Seine Hände zeigen nach Ost und West. Jeder muss es sehen. Jeder muss es hören. Jeder muss es wissen: “Das tat ich für Dich!” Und ich frage, was wäre, wenn er zurückgezogen hätte?

Erinnert Euch an jenen blutjungen Soldaten auf dem Appellplatz des Gefangenenlagers. In Reih und Glied standen die Ärmsten. Wegen Fluchtversuchs sollte jeder 10. Landser erschossen werden. “Abzählen!”, schrie ein Wärter. Dann rollte dieses “1, 2, 3, 4” auf den jungen Mann zu. Links neben sich hörte er die Zahl 9. Aber bevor er kreidebleich den Mund aufbrachte, rief sein rechter Nebenmann: “Zehn!” und hielt die Hand hin. Schergen schleiften ihn nach vorne, wo er unter dem Kugelhagel zusammenbrach. An Stelle des Jüngeren war der Ältere in den Tod gegangen. Und ich frage, was wäre gewesen, wenn dieser zurückgezogen hätte?

Sicher ein Bild nur, ein schwaches und unzulängliches Bild dazu, aber eine Bildhilfe für Jesu Tat. Wir alle haben die Zahl 10. Unser Leben ist verwirkt. Das Urteil steht fest. “Wer wird mich erlösen von dem Leib dieses Todes?”, schreit Paulus in letzter Verzweiflung. Die Tatsache Tod ist eine todsichere Sache. Und dann tritt dieser Jesus an unsere Seite, hält die Hand hin und lässt uns aus der Hand des Todes laufen. Solche Botschaft kann man doch nicht hinter vorgehaltener Hand verhandeln! Bei solchem Angebot kann man doch nicht mit der Hand abwinken und darauf verzichten! Angesichts dieses Evangeliums kann man sich doch nicht mit leeren Händen davonstehlen! Sein Tod ist unser Leben. Das ist der Grund und der Halt unseres Lebens.

Halt diesen Jesus im Gedächtnis, der seine Hand hinhält.

3. Jesus Christus, der die Hand festhält

So sehe ich ihn auf dem Berg bei Galiläa. Morgenlicht erhellt die Szene. Die Stunde des Abschieds ist gekommen. Jesus kehrt zurück zu seinem Vater. Wie werden die Jünger ohne ihren Meister auskommen? Wie werden sie ihren Weg alleine finden können? Wie wird das alles werden? Jesus aber schüttelt ihnen nicht die Hände und wünscht Hals- und Beinbruch. Er hebt die Hände und segnet sie. Nun wissen die Männer: Wir sind nicht allein. Auch in Zukunft hält er uns fest und niemand uns aus seiner Hand reißen. Gott ist mit uns. Deshalb kehren sie mit großer Freude nach Hause zurück.

Liebe jungen Freunde, eine schöne Wegstrecke haben wir im Unterricht miteinander zurückgelegt. Zugegeben, für den einen war es neben dem ganzen Schulbetrieb etwas anstrengend und für den andern war die religiöse Landschaft etwas ermüdend. Allen aber muss ich bescheinigen, dass es treue und prächtige Weggenossen waren, die ich ungern verliere. Nun aber ist die Stunde des Abschieds gekommen. Ist es einem alten Mann wie mir zu verdenken, dass ich ähnlich frage: Wie werdet Ihr im Leben auskommen? Wie werdet Ihr Euren Weg alleine finden? Wie wird das alles werden, so als Bauhandwerker, oder als Studienrätin oder gar als Oberbürgermeister? Aber Jesus hebt auch heute wieder seine Hände und will Euch segnen, Ihr könnt wissen: Wir sind nie allein. Seine Hand hält uns fest. Gott ist mit uns. Konfirmation ist ein Tag der großen Freude.

Hoffentlich denkt’s Dir’s immer: Jesus Christus.

Amen