Die Sehnsucht nach Frieden und das Bild vom Friedensreich
Feinde gehabt – das ist sicherlich eine Frage, die nicht so einfach zu beantworten ist. Manche werden sich sagen: Feinde? Das ist ein bisschen hochgegriffen, ein bisschen radikal. Mich hat noch niemand versucht zu erschießen. Obwohl ich gestern tatsächlich mit jemandem gesprochen habe, dem das schon einmal passiert ist. Es war auch noch niemand da, der versucht hat, mich ins Gefängnis zu bringen. Nein, Feinde habe ich nicht.
Feindschaft ist gerade das Gegenteil von dem, was wir hier im Buch Jesaja gelesen haben. Dort ist die Prophezeiung, die Prophetie, dass einmal auf der Welt, bei Gott eine Zeit herrschen wird, in der es keine Feindschaft mehr geben wird. Keine Feindschaft unter Menschen, bei der man sagen könnte, dass sie sich gegenseitig den Schädel einschlagen. Aber auch keine Feindschaft mehr, an die wir uns wie selbstverständlich gewöhnt haben, nämlich die Feindschaft innerhalb der Natur – der Tiere untereinander und des Menschen zu den Tieren.
Wenn wir in der Bibel lesen, dann ist gerade der Friede eines der wichtigsten Ziele, die Gott mit den Menschen hat. Der Friedensgruß war im Alten Testament „Shalom“. Das heißt so viel wie „Friede“ oder „Friede sei mit dir“. Das war der Wunsch, den die Menschen sich zusprachen, wenn sie sich begrüßten, wenn sie sozusagen guten Tag sagten.
Dieses „guten Tag“ sagt eigentlich viel weniger aus als das hebräische „Shalom“. Denn Shalom meint so viel wie Wohlergehen, Harmonie, Ruhe – wie in einer Atmosphäre des Vertrauens untereinander zu leben. Vollkommen unversehrt alles zu haben, was ich brauche.
Dieses Schalom ist eine Gabe Gottes, die aus eigener Kraft nicht erreicht werden kann. Schalom ist ein Begriff, der mit Beziehung zu tun hat. Er meint nicht nur die Abwesenheit von Krieg oder das Fernbleiben kriegerischer Auseinandersetzungen, sondern beschreibt ganzheitlich eine Beziehung, die in Ordnung ist.
Dieser Friede kommt von Gott, und Gott wird in Römer 15,33 als der Gott des Friedens bezeichnet. Es ist also nicht nur irgendetwas, was Gott einmal unter anderem macht, sondern ein ganz besonderes Charakteristikum, eine Eigenschaft Gottes und das Ziel Gottes mit der Welt, mit jedem von uns Menschen.
Jesus erscheint den Jüngern, und das wird uns berichtet in Johannes 20, nach seiner Auferstehung. Er grüßt sie mit den Worten: „Friede sei mit euch!“ Im Lukas 2,14, bevor oder gerade als Jesus geboren wird hier auf der Erde, verkünden die Engel: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens.“ Auch da ist der Wunsch vom Himmel, dass Friede auf der Welt einkehren möge.
Das zukünftige Friedensreich, in dem Jesus auch uns als Friedefürst vorgestellt wird – eben als ein Herrscher, dessen ganz besondere Eigenschaft und ganz besonderes Ziel der Friede sein wird. In Jesaja 9,6 wird uns gesagt: Der Friede wird kein Ende haben, der Friede wird ewig währen.
In Psalm 28,11 wird gesagt, dass der Herr sein Volk mit Frieden segnen wird. Und im Epheserbrief 6,15 lesen wir, dass dort das Evangelium das Evangelium des Friedens genannt wird. Also das Evangelium, die gute Botschaft vom Kommen, Tod und der Auferstehung Jesu, wird als Botschaft des Friedens bezeichnet.
Die Realität des Friedens in unserer Welt
Wenn wir in der Bibel, im Alten und Neuen Testament, so viel über Frieden lesen, stellt sich für uns natürlich die Frage: Wo finden wir denn den Frieden in unserer Welt?
Tatsächlich leben wir auch schon ein Stück weit in diesem Friedensreich, wenn wir in Frieden mit den Menschen um uns herum sind. Wir sind erfasst von dem Evangelium des Friedens. Zwischen den Staaten werden jedoch trotz aller Bemühungen der UNO und anderer überstaatlicher Organisationen die Konflikte weiterhin mit Krieg ausgetragen.
„Nie wieder Krieg“, sagte man in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg. Ich weiß nicht, ob Sie die eindrücklichen Zeichnungen von Käthe Kollwitz gesehen haben, die nach dem Ersten Weltkrieg und auch noch später betonte: Nie wieder Krieg! So etwas Schreckliches darf es nicht geben. Doch was geschah? Einige Jahre später brach in Europa ein noch schrecklicherer Krieg aus – der Zweite Weltkrieg.
Seit dem Zweiten Weltkrieg dachte man, und vielleicht wiegen sich manche hier in der vermeintlichen Sicherheit, nun sei doch Frieden. Wir haben doch jetzt 40, 50 Jahre lang Frieden gehabt. Aber nein, das ist nicht so. Gerade vor kurzem habe ich gelesen, dass auf der Welt in den letzten 50 Jahren über 200 Jahre Krieg herrschten – zusammengerechnet, wenn man die einzelnen Konflikte addiert.
Dabei sind keine Bürgerkriege gemeint, keine kleinen Scharmützel wie wir sie jetzt aus Ecuador gehört haben, sondern richtige Kriege. Erinnern wir uns nur an Kriege, die mehrere Generationen geprägt haben: den Vietnamkrieg, den Koreakrieg, den Golfkrieg, den Krieg in Afghanistan, den Sechstagekrieg in Israel, den Krieg zwischen Iran und Irak – all diese Kriege und noch viele mehr. Das sind Kriege, in denen Menschen ihr Leben verlieren und die unsere Welt tief beeinflussen.
Menschen zeigen Grausamkeit dort, wo sie vorher zusammengelebt haben. Ich habe in Basel mit Bosniern gesprochen, die sagen: Meine Nachbarn, mit denen ich zehn Jahre lang zusammengelebt habe, plötzlich bricht Krieg aus und sie fangen an, mich zu quälen. Sie stecken mich in ein Konzentrationslager und versuchen, mich umzubringen. Vollkommen unerwartet werden Menschen, mit denen ich zusammengelebt habe, zu Bestien.
Bandenkrieg in New York herrscht schon seit Jahrzehnten, und das ist kein offiziell erklärter Krieg. Die Kriminalität ist in den USA unter Schwarzen die höchste Todesursache. Wenn ein schwarzer Jugendlicher stirbt, dann ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass er erschossen wird. Und da merken wir: Frieden herrscht nicht auf der Welt.
In Deutschland wurden 1965 1.789.000 Straftaten begangen, und im Jahr 1990 waren es 4.445.000 Straftaten. Daraus können wir schließen, dass auch unter uns eine große Anzahl, statistisch gesehen, von Straftätern sein müsste. Wenn wir das hochrechnen – auf zehn oder zwanzig Jahre –, dann sind das 40 Millionen Straftaten. Das würde bedeuten, dass statistisch gesehen jeder zweite Bundesbürger, der älter als 20 Jahre ist, dazugehört.
Aber hier sehen wir Unfrieden, Verbrechen, Krieg und Auseinandersetzungen unter Menschen. Diese finden nicht nur in zarten Wortwechseln ihren Ausdruck, sie sind überall. Sie sind allgegenwärtig, und mit ihnen haben wir täglich zu tun.
Die verschiedenen Formen von Konflikten im Alltag
Im Geschäftsleben herrscht ein Krieg gegeneinander. Ein Unternehmen führt gewissermaßen Krieg gegen ein anderes – allerdings ohne Waffen. Man spricht dabei von Übernahmeschlachten, wenn ein Unternehmen versucht, ein anderes aufzukaufen.
Auch im Sport begegnen uns militärische Begriffe: Wettkampf, Schlachtenbummler, Torschütze, Stürmer, Schüsse, Verteidigung und Abwehr. Diese Begriffe zeigen, dass eine gewisse Aggressivität Platz finden kann, die aus den Menschen hervorkommt.
Es gibt zudem einen Krieg gegen die Natur, der schon seit Jahren geführt wird. Dieser Krieg führt dazu, dass wir Menschen an der Vernichtung unserer eigenen Lebensgrundlage beteiligt sind.
Auch im Kleinen gibt es Krieg – in der Nachbarschaft und in der Familie. Vielleicht kommt der eine oder andere gerade aus einer solchen Situation. Es können kleine Sticheleien sein, bei denen man die Gelegenheit nutzt, um vor den Nachbarn Partei zu ergreifen. Zum Beispiel möchte jemand endlich eine neue Tapete im Wohnzimmer haben, doch der Partner ist zu faul, sich darum zu kümmern. Wenn dann die Nachbarn zu Besuch kommen, nutzt man die Situation, um zu sagen: „Schaut euch mal die Tapete an.“ Die Nachbarn stimmen vielleicht zu: „Ja, da müsste wirklich mal eine neue rein.“ Der Partner wird langsam böse und schlecht gelaunt und möchte die Nachbarn am liebsten hinauswerfen.
Solche Situationen können der Anfang eines Krieges sein. Manche Eltern versuchen sogar, ihre Kinder in solche Konflikte hineinzuziehen, indem sie sie als Alliierte gewinnen wollen. Sie sagen dann etwa: „Wisst ihr doch, was der Papa dort macht, wisst ihr, was die Mama dort macht.“ So gewinnen sie Verbündete, die sich für die eigenen Interessen einsetzen.
In einer Zeitschrift der Schweizer Familie habe ich einige radikale Beispiele gefunden, die mich betroffen gemacht haben, weil ich viel lese und viele Bücher besitze. Dort steht: Nicht immer bleibt der Kleinkrieg bei Wortgefechten und Kleinbösartigkeiten.
In Zürich etwa erwirkte 1991 ein Neunundsiebzigjähriger seinen Nachbarn, weil er ihn verdächtigte, einige Bücher gestohlen zu haben. Normalerweise sollte man einem 79-Jährigen nicht zutrauen, zu seinem Nachbarn zu gehen, um ihn zu erwürgen. Doch solche kleinen Auseinandersetzungen und Sticheleien in der Nachbarschaft kommen vor. In der Zeitschrift ist dazu auch ein passendes Bild abgedruckt.
Ich erinnere mich, dass es in dem Haus, in dem wir gewohnt haben, immer wieder zu solchen Sticheleien kam, die fast in Feindschaften ausarteten. Eine Nachbarin war mir immer unangenehm, weil ich wusste, dass sie bei jeder Begegnung irgendwie angreifen würde. Der Umgang mit ihr war schwierig.
Manchmal gilt in solchen Situationen das Motto „Wie du mir, so ich dir.“ Wenn jemand einmal Recht bekommt, will der andere das auch. Jeder versucht, seine eigenen Interessen durchzusetzen.
Es gibt sogar Gewalt in der Ehe. Ein Film, der vor einigen Jahren viele Schlagzeilen machte, hieß „Der Feind in meinem Bett.“ Das ist sicherlich eine sehr radikale Ausdrucksweise. Doch damit soll gezeigt werden, dass es gerade in engen Beziehungen viel Feindschaft geben kann.
Wir leben mit einem Inder in Kalkutta oder Neu-Delhi in Frieden. Mit den meisten Menschen in Deutschland leben wir ebenfalls in Frieden. Das ist auch kein Kunststück, weil wir die meisten Menschen in Deutschland gar nicht kennen. Die Inder in Kalkutta und Neu-Delhi kennen die meisten von uns auch nicht.
Krieg und Feindschaft können jedoch gerade dort am stärksten ausbrechen, wo Menschen ganz eng zusammenleben und miteinander zu tun haben.
Ursachen von Unfrieden und Feindschaft im Alltag
Und nun stellt sich die Frage: Woher kommt dieser Unfriede? Woher kommt dieser Krieg, diese Feindschaft, in der wir uns oft wiederfinden – ohne es gewollt zu haben, ohne es zu bemerken? Plötzlich ist der Krieg ausgebrochen.
Mir läuft die Galle über, wenn ich meinen Arbeitskollegen am Morgen sehe. Am liebsten würde ich mir wünschen, der Tag wäre schon vorbei, weil ich weiß, dass er doch immer nur kritisiert. Er wartet darauf, dass ich einen Fehler mache, und reibt sich dann die Hände, wenn der Chef kommt und sagt: „Was haben Sie? Das haben Sie wieder gemacht, da haben Sie nicht gut aufgepasst.“ Und dann wartet er nur darauf, dass vielleicht die nächste Beförderung an ihn geht.
Oder die Nachbarin achtet darauf, wie ich als Frau mit den Kindern umgehe. Wenn eines meiner Kinder wieder schreit oder eine schlechte Note nach Hause gebracht hat, dann schmunzelt sie und erzählt ihrer Nachbarin: „Ja, wissen Sie, in dieser Familie, das habe ich mir schon immer gedacht, dass da nicht ganz in Ordnung zugeht.“
Und wissen Sie, auch der Mann ist immer so lange weg, und die Frau kümmert sich ja nicht genug um ihre Kinder. Oder sie sagt: „Ja, die Frau ist ja gar nicht so tolerant, sie schlägt ihre Kinder immer oder schimpft mit ihnen.“ Oder: „Diese Kinder dürfen aber gar keine Süßigkeiten essen, sie bekommen deshalb noch psychische Probleme.“
Es gibt sicher massenhaft Beispiele, wo es zu solchen Auseinandersetzungen kommen kann. Aber woher kommt das? Wo ist die Ursache? Sicherlich würden wir als Erstes sagen: Das sind die Angriffe vom Anderen. Der Andere ist schuld, der Andere hat angefangen.
Das kennen wir doch von Adam und Eva: Da wird Adam gefragt: „Warum hast du das gemacht?“ Er antwortet: „Ich bin nicht schuld, das hat mir Eva gegeben.“ Und Eva wird gefragt: „Warum hast du das gemacht?“ Sie sagt: „Ich bin nicht schuld, das hat mir die Schlange gegeben.“ Hätte Gott auch noch die Schlange gefragt, hätte sie sicherlich auch noch eine gute Ausrede gehabt.
Wer nun wirklich schuld ist, ist schwer zu sagen. Ihr kennt das sicherlich aus eurem Leben: Es ist immer der Andere schuld. Ganz klar: Der Ehepartner hat angefangen, der hat mich zuerst gereizt, sonst hätte ich bestimmt nichts gesagt. Das ist nach einem Ehekrach immer klar.
Es sind vielleicht die kleinen Ungerechtigkeiten, die hier auch ganz gerechtfertigt sein können. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass ich meinem Mann schon zehnmal gesagt habe – so wie meine Frau mir das oft gesagt hat: „Nun gehst du mit schmutzigen Schuhen in die Wohnung.“ Und nach dem zehnten Mal wundere ich mich plötzlich, dass eine große Auseinandersetzung entsteht. Dann bekomme ich einen Schock, und natürlich ist meine Frau daran schuld. Das ist ja klar. Aber ich bin vorher zehnmal, obwohl meine Frau es mir gesagt hat, doch wieder mit schmutzigen Schuhen in die Wohnung gegangen.
Manchmal ist es auch die Unterdrückung, die sich endlich Luft machen muss. So ist es bei manchen Ländern in der Dritten Welt, die zum 25. Mal befreit werden und nun endlich in Freiheit leben können – bis die neue Freiheitsregierung selbst die Regierung übernimmt. Auch dort gibt es Unterdrückungen, die real sind. Aber die Freiheit, nach der sich die Menschen sehnen, der Frieden, nach dem sie sich sehnen, tritt meistens doch nicht ein.
Ich weiß nicht, ob ihr es beobachtet habt, wie in Israel die Palästinenser sich jahrzehntelang nach Frieden gesehnt haben. Jetzt, wo sie ein eigenes Stück Land haben, treten neue, radikalere Bewegungen auf, weil sie wieder unzufrieden sind. Die Hoffnungen auf die Überwindung der Unterdrückung wurden nicht erfüllt.
Es sind Bedürfnisse, die von uns nicht erfüllt werden: Bedürfnisse nach Anerkennung bei der Arbeit, nach Zeit und Zuwendung, die wir uns von unserem Ehepartner wünschen. Diese Wünsche sind berechtigt, manchmal aber auch überzogen – nach Reichtum, nach Erfüllung oder nach dem Wunsch, sich durchzusetzen. Wenn das nicht klappt, werden wir unfriedlich, wir werden zu Feinden.
Aber was steckt eigentlich dahinter? Das ist doch alles nur die Oberfläche.
Die tiefere Ursache von Aggression und Unfrieden
Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz haben gesagt, dass Aggression dem Menschen angeboren ist. Wenn ein Mensch seine Aggression unterdrückt, kommt sie irgendwo als Ersatzhandlung wieder zum Vorschein. Am besten wäre es daher, nach dem Rat von Konrad Lorenz, wenn einem einmal zumute ist, die Aggression auszuleben: haut auf den Tisch, zerdeppert euer Geschirr, schreit um euch oder macht es so wie einige japanische Manager. Diese haben in ihren Geschäften eine Gummizelle, in der sie sich einschließen und anschreien oder schlagen können. Nach zehn Minuten kommen sie dann wieder heraus, können lachen und sind wieder fröhlich. Dann ist alles wieder in Ordnung.
Doch ich denke, es steht auch etwas anderes im Hintergrund, nämlich das Anspruchsdenken, von dem wir alle beeinflusst sind. Dieses Anspruchsdenken wird durch die Zeit, in der wir leben, und durch die Medien immer weiter angefacht. Da gibt es das Recht auf Glück, das Recht auf sexuelle Abwechslung, auf Schönheit, auf Reichtum und auf Selbstverwirklichung. Auch das Recht auf Gesundheit wird eingefordert. Man glaubt, alles zu brauchen, was man benötigt, und darauf einen Haufen Rechte zu haben. Wenn man das nicht hat, kann man randalieren, wütend werden und aggressiv sein. Schließlich wird dann die ganze Gesellschaft zum Feind.
Manchmal ist es auch der Neid, der eine Rolle spielt. Neid zwischen Staaten, Neid zwischen Nachbarn, die aufeinander schauen. Wenn sie sehen, dass es dem anderen besser geht – der hat einen besseren Beruf, ein etwas größeres Auto –, dann kommt der Neid. Zum Beispiel hat der eine einen Mercedes 200, der andere einen Mercedes 310. Ich weiß nicht, ob es den Mercedes 310 gibt, aber jedenfalls hat der andere einen etwas größeren Mercedes. Dann kommt der Neid, und bei einer Gelegenheit steche ich dem mal die Reifen an oder Ähnliches. So etwas gibt es tatsächlich; Nachbarn machen so etwas miteinander.
Auch in der Familie kann Neid entstehen. Dann sagt der Ehemann zur Frau: „Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Du sitzt die ganze Zeit zu Hause, kannst die Beine hochlegen, Mittagsschlaf halten, Bücher lesen, spazieren gehen oder einkaufen. Ich hingegen bin den ganzen Tag im heißen Büro mit Kollegen, die ich nicht mag, und muss mich anstrengen.“ Umgekehrt sagt die Frau: „Dir geht es gut, ich muss die ganze Zeit zu Hause sitzen. Du verdienst das Geld, und eigentlich geht es dir viel besser.“ Schon ist der Streit da, der Unfriede, und eine Feindschaft kann aufbrechen – eben aufgrund von Neid, der langsam wächst.
Die Bibel sagt uns, und vielleicht ist tatsächlich ein bisschen Wahres daran – ich glaube sogar mehr als nur ein bisschen –, dass Boshaftigkeit irgendwie als kleiner Kern in uns steckt. Dieser braucht nur einen kleinen Anlass, und dann ploppt er auf, wird viel zu früh sehr groß und wächst und wächst. Plötzlich können wir selbst gar nicht mehr darüber schauen und fragen uns, woher das Ganze gekommen ist.
Da ist der Egoismus, die Ich-Zentriertheit, die ständige Suche nach Erfüllung. Viele Menschen um uns herum und auch wir selbst fühlen uns irgendwie unerfüllt und unzufrieden. Es gibt die Annahme, dass es doch noch mehr im Leben geben muss als das, was wir erleben. Vielleicht haben wir zwanzig Jahre im Beruf verbracht, erst dachten wir, das sei spannend, doch jetzt ist es das nicht mehr. Oder in der Familie warteten wir auf die Kinder, jetzt sind sie da, es gibt viel Arbeit, und wir hatten uns gedacht, es müsste anders sein, es müsste mehr geben. Kein innerer Friede, keine innere Ruhe sind da.
Und das kann auch bei Christen vorkommen.
Wege zum Frieden und die Rolle Gottes
Und was tun wir dann, wenn dieser Unfrieden wächst und wir ihn in unserem Leben wahrnehmen? In unserer Umgebung gibt es Institute für Friedensforschung. Es gibt auch den Friedensnobelpreis, der an diejenigen vergeben wird, die sich besonders für die Schlichtung von Kriegen und Auseinandersetzungen einsetzen.
Dabei müssen wir jedoch immer daran denken, dass Alfred Nobel, der den Friedensnobelpreis gestiftet hat, sein Vermögen hauptsächlich mit der Entwicklung von Dynamit verdient hat. Und Dynamit wird, wie ihr wisst, wahrscheinlich nicht immer nur zu friedlichen Zwecken eingesetzt.
Es gibt Friedenserziehung, die in Schulen eingeführt werden soll. Außerdem existiert eine Friedensbewegung, die in den Achtzigerjahren Millionen von Menschen auf die Straßen brachte – zum Beispiel bei den Ostermärschen. Ich habe nachgelesen, dass es damals vier verschiedene Gruppen gab, die dazu aufriefen. Die Menschen wurden bewegt mit dem Wunsch: „Wir wollen Frieden in der Welt!“ Viele suchen auch heute noch den Frieden, haben in der Politik aber lange resigniert, weil sie gemerkt haben, dass es so nicht funktioniert, wie sie es sich vorgestellt haben.
Ein Slogan damals lautete „Frieden schaffen ohne Waffen“. Nicht mit gleichen Mitteln zurückschlagen. Und daran ist tatsächlich etwas Wahres. Sagt uns Jesus nicht auch, dass wir dem, der uns auf die eine Wange schlägt, die andere darbieten sollen? Dass wir dem, der uns zwingt, eine Meile mit ihm zu gehen, zwei Meilen gehen sollen? „Vergeltet nicht Gleiches mit Gleichem“ – ist das nicht auch ein Wort von Jesus? Das ist ähnlich wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ – mit anderen Mitteln Frieden schaffen.
Manchmal gibt es auch ungewöhnliche Ansätze. Zum Beispiel eine unserer Nachbarinnen, die nach Kroatien gereist ist, um den Menschen dort Friedenstänze beizubringen. Sie dachte, wenn die Leute innerlich harmonisch leben und Friedenstänze können, dann würden sie auch den Krieg beenden. Ich war skeptisch und habe versucht, ihr das zu zeigen. Ihr Einsatz war jedoch nicht sehr erfolgreich, denn der Krieg dauert momentan immer noch an.
Aber manche Menschen versuchen es mit großem Engagement, und ich finde das sehr gut. Dennoch denke ich, es muss auch andere Wege geben. Ganz in der Nähe, bei den Externsteinen, gab es im Jahr 1986 oder 1987 ein Treffen von Leuten des guten Willens. Sie trafen sich früh morgens und sangen. Sie wollten sich in einer Schwingung mit dem Universum verbinden, weil sie glaubten, die Welt gehe unter, wenn sie jetzt nicht in dieser Schwingung etwas bewirken.
So gibt es verschiedene Wege zum Frieden, die manche Menschen gehen. Für uns stellt sich jedoch die Frage: Ist das gangbar? Ihr könnt es ja mal versuchen, wenn euer Ehepartner gerade wütend ist – dann fangt ihr an zu summen. Ich glaube, derjenige wird eher denken, ihr wollt ihn provozieren, und vielleicht wird er dann sogar ausholen, um euch eine Ohrfeige zu geben, damit ihr aufhört zu summen.
Aber wie gesagt, manche Menschen empfehlen solche Methoden. Natürlich gibt es Möglichkeiten, Konflikte von vornherein zu vermeiden. Eine davon ist, die Kontakte zu den Menschen, mit denen ich eng zusammenlebe, zu pflegen. Sie nicht verkommen zu lassen. Wenn ich mit meiner Frau nur einmal in der Woche richtig rede, ist es kein Wunder, dass langsam Missverständnisse entstehen. Irgendwann kommt dann ein zündender Funke, und die Auseinandersetzung bricht aus.
Es ist wichtig, Verständnis für den Ehepartner zu suchen und sich in seine Lage zu versetzen. Wie ist es, wenn meine Frau sich zuhause um das Kind und den Haushalt kümmert? Ist das wirklich so einfach?
Es gibt auch Menschen, die um des lieben Friedens willen jeden Konflikt vermeiden. Aber meistens bricht der Konflikt früher oder später doch aus. Das ist keine gute Lösung.
Probleme und Konflikte zu lösen, einander zuzuhören, miteinander zu sprechen und füreinander zu beten – das ist, denke ich, eines der wichtigsten Dinge. Bei Paulus sieht man das in fast jedem Brief. Er sagt: „Ich bete für euch.“ Er denkt ständig an die Gemeinden im Gebet. Er betet sogar für diejenigen, die ihm nahe sind, selbst für die, mit denen er im Streit ist.
Das werden wir noch in den Korintherbriefen sehen, wo es Auseinandersetzungen gab, aber Paulus dennoch Liebe für diese Menschen empfindet. Keine emotionale Liebe, aber er sagt: „Das sind meine Geschwister.“ Er betet für die, die ihm nahe stehen und ihn verletzt haben.
Es gilt, Kompromisse zu suchen und Streit zu schlichten. Konflikte sollten ausgeräumt werden, die Situation bereinigt – wie wenn man die Schuhe draußen vor der Tür auszieht. Aber Frieden um jeden Preis zu wollen, ist keine Lösung.
Gottes Weg zum Frieden
Gott ist ein Gott des Friedens, haben wir gehört. Aber wie macht Gott das? Wie sehen wir das in der Bibel?
Zunächst einmal zeigt die Bibel schonungslos die Ursachen von Auseinandersetzungen auf. Es gibt keine Illusionen: Unfriede, fehlende Erfüllung, Unzufriedenheit, mangelndes Verständnis, Einsamkeit, Egoismus und der fehlende Weg zu Erfüllung und Zufriedenheit liegen im Aufstand gegen Gott. Der Mensch will nichts mit Gott zu tun haben und denkt deshalb immer nur an sich selbst – Ich, Ich, Ich. Daraus entsteht ganz automatisch die Auseinandersetzung mit dem Anderen, mit dem Nächsten.
Der Nächste ist dabei nicht nur der Samariter, den man zufällig auf der Straße trifft. Vielmehr ist der Nächste derjenige, der mir am nächsten steht: der, der mit mir in der Familie lebt, der am Arbeitsplatz neben mir ist, mit dem ich zusammen wohne, mit dem ich nachbarschaftlich Zimmer an Zimmer bin. Vielleicht hat dessen Kind gestern Abend noch bis zwölf Uhr geschrien, und ich habe mich darüber geärgert. Ich habe gedacht: Warum bin ich jetzt nach Brake gefahren? Wäre ich doch besser zu Hause geblieben und hätte meine Ruhe gehabt. Ich weiß nicht, ob jemand so etwas schon erlebt hat, ich hoffe nicht. Aber es könnte ja während dieser Freizeit einmal zu so einer Situation kommen.
Dann wird Friede angeboten. In Jesaja 32,17 heißt es: Friede ist die Frucht der Gerechtigkeit. Das bedeutet, es braucht Gerechtigkeit. Friede ist nicht etwas Wischiwaschi, bei dem jeder macht, was er will. Friede ist eine Sache der Gerechtigkeit.
Aber wie kann Gerechtigkeit gefunden werden, wenn Gott sagt – und jeder von uns weiß –, dass es das Böse in unserer Welt gibt? Mehr oder weniger sind wir alle davon betroffen. Wie kann dann Gerechtigkeit geschaffen werden?
Da tritt Jesus auf. Jesus, der im Neuen Testament als Befreier von Sünde und Schuld erscheint, will uns aus unserem selbstgebauten Gefängnis der Selbstsucht herausführen. In diesem Gefängnis dreht sich alles nur um mich selbst. Durch Jesus wird Friede geschaffen. Gott bietet uns Heil an; er will uns heil machen. Denn Unfriede, Zwietracht und Feindschaft machen uns kaputt, machen uns unheil. Jesus will uns heil machen, ganz machen und Frieden geben.
Die Selbstaufgabe, die damit verbunden ist, bedeutet, dass wir nicht mehr nur auf uns selbst schauen, sondern auf Jesus Christus. Wir geben ihm unsere Bedürfnisse, unsere Unzufriedenheit, unseren Ärger mit dem Nachbarn, unserer Ehe und unserem Ehepartner. Das ist ein Stück weit Selbstaufgabe. Doch dieser Weg führt dazu, dass ich mich schließlich selbst finde. Es geht nicht um Selbstverwirklichung, sondern um die Verwirklichung des Selbst durch Gott.
Gott, der uns kennt, kann unsere Bedürfnisse viel besser erfüllen, als wir das selbst können. Jesus kann uns ein Vorbild sein, wie er gelebt hat und wie er Feindesliebe geübt hat – sogar gegenüber Menschen, die ihm ans Leder wollten und ihn umbringen wollten.
In den Seligpreisungen lesen wir: Selig sind die Friedenstifter, denn sie werden Kinder Gottes genannt.
Wenn wir Kinder Gottes sind, wenn wir an Jesus Christus glauben und ihm nachfolgen, dann ist das eine Aufforderung an uns: Zu Gott zu gehen, um Frieden zu finden – Frieden in Feindschaften, in der Familie, in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz. Wir sollen Frieden schaffen, auch nach außen, wo wir Menschen sehen, die aneinander geraten und sich in die Haare geraten.
Jesus schafft den Frieden und befähigt uns, Frieden zu halten. Er sagt in Johannes 14,27: Frieden hinterlasse ich euch, mein Frieden gebe ich euch. Nicht wie die Welt gibt, gebe ich euch. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Jesus will uns Frieden schon hier auf der Erde geben. Nicht nur, wie wir es im Jesaja, Kapitel 11, gelesen haben, wo einmal ein Friedensreich herrschen wird, sondern Jesus will uns schon jetzt hier auf der Welt Frieden schenken. Frieden, der möglich wird, wenn wir persönlich zurückstecken, nicht nur auf uns selbst schauen, sondern auf Jesus Christus. Wir können ihm unsere Bedürfnisse und unseren Ärger, dort wo wir uns unverstanden und unakzeptiert fühlen, anvertrauen. Wir können ihm unser Leben überlassen und um Hilfe bitten.
So haben wir schon ein kleines Stück Friedensreich hier auf der Erde, unter uns und in unseren Beziehungen.
Einladung zum Frieden im persönlichen Leben
Ich möchte nun auch eine Aufgabe mitgeben. Es gibt viele Aufgaben: Aufgaben in der stillen Zeit, Aufgaben im Sport, die hier gestellt werden. Aber ich möchte auch eine Aufgabe geben, die sich auf unser Miteinander bezieht.
Wir sollen Frieden erleben und Liebe wagen. Vielleicht gab es in den letzten Wochen Unfrieden in den Beziehungen, in denen wir jetzt hier leben. Wenn ihr nach Hause zurückkehrt, versucht dort, einmal auf eigene Rechte und Ansprüche zu verzichten.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass absolutes Glück und Erfüllung nur dann möglich sind, wenn alles auf mich zentriert ist. Wenn jeder sich nur um mich kümmert, meine Frau sofort fragt, wie es mir heute ging, und ich dann nicht wirklich zuhöre, wenn sie erzählt, wie es mit den Kindern gelaufen ist.
Versucht stattdessen, einmal wirklich auf den anderen zu hören – auf euren Ehepartner, euren Kollegen – und wahrzunehmen, was er zu sagen hat. Gebt Macht auf, wenn ihr Machtpositionen eingenommen habt. Vertraut auf Jesus Christus, empfehlt ihm eure Beziehungen an und bittet ihn: „Gib mir die Kraft.“
Denn es braucht Kraft, auf Machtansprüche zu verzichten und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.